zur sippenhaft im sudan, zur verfolgung christlicher

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ZUR SIPPENHAFT IM SUDAN, ZUR VERFOLGUNG
CHRISTLICHER MINDERHEITEN UND POLITISCHER
AUSBLICK
SFH-Gutachten von Peter Hunziker an die Länderabteilung der ARK vom September 2001
1.
Verwandtschaft und Klientelismus als zentrales
Bezugs- und Ordnungssystem
Die Einbettung des Politischen in die verwandtschaftlichen-familiären Beziehungen ist im
Sudan von grosser Wichtigkeit. Bei den verschiedenen Volksgruppen (Dinka, Nuer, usw),
aus welchen sich die Rebellen rekrutieren und auf welche sich die Rebellengruppen im Süden stützen, ist die Verwandtschaftszugehörigkeit das zentrale politische Ordnungsprinzip.
Sie ist aber nicht nur im traditionellen tribalen Kontext des Südsudans von grosser Bedeutung, sondern findet auch in Form von Patron-Klientelsystemen bei den verschiedenen Elitegruppen des Staates, den politischen Parteien und den Religionsgemeinschaften ihre
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Fortsetzung. Deng z.B. weist darauf hin, dass die Kinder, welche die christlichen Missionsschulen besuchten, von ihren Eltern ”the children of missionaries” genannt und so angesehen wurden, als ob sie zu einer anderen Familie gehörten, die eine eigene kulturelle Gemeinschaft mit eigenen Gewohnheiten und einer eigenen Sprache bildeten. Das neue Bezugssystem der Kinder, die Kirche, wurde in ihrer Funktionsweise analog zum Verwandtschaftssystem eingeordnet. Das Patron-Klientelsystem auf Ebene des Staates hat denn
auch analoge soziopolitische Funktionen wie die des Familienclans. Innerhalb der Gruppe
werden die politisch Verantwortlichen in die Pflicht genommen, es besteht eine eigene interne Parteisolidarität, und gegen aussen tritt die Gruppe als politische Einheit auf.
Ein weiteres wichtiges Ordnungsprinzip der Politik besteht im Lösen und Bilden von Bünd2
nissystemen. Der Sudankenner Asha Elkarib schreibt, dass die sudanesische Kultur vom
Denken in Gruppen-Gegensätzen geprägt ist: Araber gegen Afrikaner, Islam gegen Christentum, Norden gegen Süden, Zentrum gegen Peripherie. Das Zusammenleben wird dabei
durch strategische Bündnisse zwischen den unterschiedlichen sozialen, politischen und
religiösen Gruppen gewährleistet, welche aber selten dauerhaft sind. Aufgrund dieser Regeln können wir stark vereinfacht sagen, dass ein Individuum weniger aufgrund seiner eigenen politischen (oder nicht-politischen) Meinungsäusserung beurteilt wird, als aufgrund
seiner politischen, religiösen und sozialen Gruppenzugehörigkeit. Die politische Zugehörigkeit einer Gruppe wiederum ist nicht statisch, sondern hängt von der aktuellen Konstellation der bestehenden Bündnissysteme ab. Zusammenfassend können wir also festhalten,
dass die politische Stellung eines Individuums von seiner sozialen Zugehörigkeit zu einer
Gruppe und vom aktuellen Bündnis dieser politischen Gruppe abhängt.
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Deng Francis M.: ”War of visions, Conflict of Identities in the Sudan,” Washington 1995 (Seite 208)
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Asha Elkarib, ”Sudan and Conflict: are they Siamese twins?” in: ACORD/HEKS Focus Meeting May 21-22,
2001 in Zurich
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MITGLIED DER ZEWO
2.
Anfragenspezifisch
Der Asylsuchende, welcher selbst nicht politisch tätig ist, befürchtet, von den sudanesischen Behörden bei seiner Rückkehr wegen der politischen und militärischen Aktivitäten
seines Bruders festgenommen zu werden (Sippenhaft). Dieser war seit 1998 Mitglied im
Oppositionsbündnis der National Democratic Alliance (NDA) und engagierte sich militärisch
bei der sogenannten Sudan Alliance Force (SAF). Ein weiterer Nachteil des Asylsuchenden
besteht in seiner Zugehörigkeit zur koptischen Glaubensgemeinschaft.
Was die Verfolgungssituation der koptischen Christen betrifft, so weisen verschiedene
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Quellen auf die wirtschaftliche und politische Diskriminierung der Kopten im Nordsudan
hin. Ihre wirtschaftliche Benachteiligung führte zu einer grossen Arbeitslosigkeit und zur
Auswanderung, insbesondere nach Australien. Daran änderte sich auch nichts, als die sudanesische Regierung 1998 eine tolerantere Verfassung verabschiedete und Bashir 1999
per Dekret die sharia auf die moslemische Bevölkerung beschränkte. Im Ausland hatten
diese Massnahmen grosse asylpolitische Auswirkungen. In der Folge erhielten die Kopten
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in der Schweiz und in Deutschland kein Asyl mehr. Das Oberverwaltungsgericht Thür
schreibt in seiner Begründung dazu, dass nun die Möglichkeit, sich mit anderen Gläubigen
zum gemeinsamen Gebet zu versammeln und sich innerlich zum Christentum zu bekennen,
für die nordsudanesischen Christen gegeben sei.
Als Gegenargument möchte ich darauf hinweisen, dass die Kopten aufgrund ihrer jahrelangen Unterdrückung an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. Ihre soziale, wirtschaftliche und kulturelle Benachteiligung dauert trotz Verfassungsänderung weiterhin an.
Die heute angeblich demokratische Regierung Omar el Bashirs unterdrückt in Wirklichkeit
die Oppositionsparteien, die ethnischen und religiösen Minderheiten massiv. Wie repressiv
die Regierung gegen wichtige oppositionelle Kräfte vorgeht, zeigt sich an ihrer systematischen Verfolgung der Christen im Südsudan. Zusammenfassend können wir in Bezug auf
die Verfolgung der koptischen Christen festhalten, dass die Regierung de iure die anfangs
1999 mit der neuen Verfassung in Kraft gesetzte Religionsfreiheit zwar garantiert, de facto
die Christen aber nicht als gleichberechtigte Mitbürger behandelt. Die Regierung betrachtet
den Islam nach wie vor als Staatsreligion und erklärt, dass der Islam die Gesetze des Landes, deren Institutionen und die Politik inspirieren soll. Die christlichen Kirchen sind verschiedenen schwerwiegenden Restriktionen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit unterworfen.
Die freie Ausübung der Religionsfreiheit wird eingeschränkt und die christliche Missionierung ist verboten. Im Rahmen der Islamisierung und der Arabisierung des Landes wird auf
die Nicht-Moslems starker Druck ausgeübt, viele werden gezwungen, zu konvertieren. In
den Gefängnissen und in den sogenannten Friedenslagern der Regierung, wohin die
Kriegsopfer fliehen, ist der Zwang besonders gross. Die Benachteiligung von NichtMoslems ist im Alltag sehr gross. Ein moslemischer Mann oder eine moslemische Frau
können nur dann einen christlichen Partner heiraten, wenn die Kinder moslemisch erzogen
werden. Ähnliche Einschränkungen gelten für die Adoption von Kindern. Nicht-Moslems
können nur nicht-moslemische Kinder adoptieren, währenddem solche Vorbehalte moslemische Eltern nicht betreffen.
Aufgrund dieser Erörterungen wird klar, dass der koptische Asylsuchende bereits aufgrund
seiner Glaubenszugehörigkeit in der sudanesischen Gesellschaft stark benachteiligt ist.
Hinzu kommt die Gefahr, durch die Behörden in Sippenhaft genommen zu werden. Nach
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Arzt E. Donna, ”The Copts” in: Human Rights Watch; NZZ vom 20.3.2001; Gesellschaft für bedrohte Völker.
Angaben gemäss NZZ vom 20.3.2001.
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Thür OVG: ”Keine Gruppenverfolgung von Christen aus dem Norden des Landes, keine generelle Gefährdung
wegen Asylantragsstellung, Auslandaufenthalt und exilpolitischer Gefährdung”, in: Asylmagazin 9/99.
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Gattiker besteht Sippenhaft oder Reflexverfolgung dann, wenn Angehörige von politisch
verfolgten Personen Repressalien ausgesetzt werden, um damit Druck auf diese oder die
Familie auszuüben. In unserem Falle besteht eine grosse Wahrscheinlichkeit, dass die Behörden den Asylbewerber als Symphatisanten der National Democratic Alliance (NDA) einschätzen und ihn wegen seiner zu dessen Lebzeiten engen familiären Beziehung zum Bruder in Sippenhaft nehmen. Es ist davon auszugehen, dass sie ihn wegen der erfolgreichen
militärischen Karriere seines Bruders auf Regierungs- und auf der Rebellenseite bei der
Sudan Alliance Force (SAF) als Mitwisser betrachten und als Kollaborateur verhaften.
3.
Das politische Bündnissystem der National Democratic
Alliance (NDA)
Nach diesen Hinweisen auf die potentielle Gefährdung des Asylsuchenden, als Kollaboratuer der NDA in Sippenhaft genommen zu werden, möchte ich abschliessend auf die Situation der NDA eingehen, da sich seit Beginn des Jahres 2001 dieses Bündnissystems zu
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verändern beginnt. Das untenstehende Diagramm von ACORD gibt eine gute Übersicht
über die Komplexität der zur Zeit bestehenden in- und ausländischen Bündnissysteme des
Sudans.
6
7
Mario Gattiker, ”Das Asyl-und Wegweisungsverfahren.” 1999, S.72.
Acord/HEKS, Focus Meeting, May 21-22 2001 in Zurich, Switzerland.
Sudan – SFH-Infobörse 5/01, Dezember 2001, Seite
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Die bisher wichtigsten Mitglieder der National Democratic Front waren:
−
die Democratic Unionist Party,
−
das Sudan People's Liberation Movement,
−
die UMMA-Party,
−
die Sudan Alliance Forces,
−
die Sudanese Communist Party,
−
die Sudanese African Parties Alliance,
−
das Legitimate Command,
−
verschiedene Gewerkschaften,
−
der Bija Congress.
Gemäss Selbstdarstellung wird die Sudan Alliance Forces (SAF) von Brigadier Abdul Aziz
Khallid angeführt. Er ist ihr politischer und militärischer Führer. Die Gründung der SAF erfolgte im August 1994 mit dem Ziel, eine demokratische und säkulare politische Ordnung
einzuführen. Bei den Gründungsvätern handelt es sich um die gleichen zivilen und militärischen Führer, welche 1985 General Numeiri stürzten und anschliessend den Militärrat um
dessen Nachfolger Swar el Dhahab bildeten. Dieser Militärrat führte im April/Mai 1986
Wahlen durch, wobei als Sieger der Parlamentswahlen die UMMA-Partei mit 99 Sitzen und
die DUP mit 63 Sitzen hervorgingen. Sadik el Mahdi wurde in der Folge zum Premierminister ernannt.
Die aktuelle Regierung Omar el Bashirs versucht nun gerade diese politischen Kräfte, die
sie 1989 gestürzt hatte, nämlich die Umma-Partei und die DUP, wieder für eine Regierungskoalition zu gewinnen. Anfangs 2001, nach der Entlassung des bisherigen NIFKoalitionspartners und nach Verhandlungen mit der Regierung, kehrte Sadik el Mahdi nach
Khartum zurück, wo er von einer grossen Menschenmenge begeistert empfangen wurde.
Trotzdem bleiben aber die Umma-Partei und die DUP darüber gespalten, ob sie eine Regierungskoalition eingehen wollen. Der Führer der Umma, Sadik el Mahdi, steht zwischen
Befürwortern und Gegnern einer Regierungskoalition. Er selbst will nicht an der Regierung
teilhaben, es sei denn, er werde in Neuwahlen bestätigt. Während der Parteiflügel um Mubarak al Fadl al Mahdi einen Kompromiss mit der Regierung vorzieht und eine Koalitionsregierung der nationalen Einheit eingehen möchte, ist der Parteiflügel, der während der letzten zehn Jahre in Khartum geblieben ist, dagegen. Die wichtigsten Anführer dieser Richtung sind Dr. Musa Adam Madibbu, Abdel Rahman Nugudallah und Bakri Adil.
Ähnlich gespalten ist die DUP. Mulana al Mirghani, der Parteiführer der DUP, steht unter
beachtlichem Druck seiner eigenen Partei, Sadik el Mahdi nach Khartum zu folgen. Er
schickte aus diesem Grunde seinen Bruder Ahmed dorthin. Viele Finanzleute und Händler
der DUP möchten, dass die DUP ebenfalls nach Khartum zurückkehrt. Doch analog zur
Umma-Partei fordert der in Khartum verbliebene Flügel der DUP, dass zuerst eine klare
Vereinbarung mit der Regierung ausgehandelt werden müsse. Mulana al Mirghani gibt sich
alle Mühe, die unterschiedlichen Positionen innerhalb der Partei auf einen Nenner zu bringen. Keine Unterstützung in seinen Vermittlungs- und Friedensbemühungen mit der Regierung erhielt Mulana al Mirgani aber seitens der NDA. In den letzten Monaten wurde die Allianz zwischen der DUP und der NDA, insbesondere dem Sudanese Peoples Liberation Movement (SPLM), zusehends schwächer, und das gegenseitige Misstrauen zwischen den
beiden Bündnispartnern wuchs. Die Sudanese Peoples Liberation Army (SPLA) fürchtet,
dass die DUP das bisher von allen NDA-Partnern verfolgte gemeinsame Ziel der Selbstbestimmung des Südsudans aufgeben könnte. Die DUP bleibt zwar weiterhin in der NDA, das
Bündnissystem hat aber wegen der Spannungen viel von seinem Schwung verloren. Trotzdem wird die der DUP und der Umma nahestehende Sudan Alliance Force auf der Seite der
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SPLA weiterkämpfen, bis ein Abkommen der beiden Parteien mit der Regierung zustande
kommt.
Gleichzeitig spitzte sich im Norden des Landes nach der Entlassung der Islamisten aus der
Regierung der Machtkampf zwischen der Regierung und ihrem ehemaligen Bündnispartner,
der National Islamic Front (NIF), zu. Ende Juni 2000 gab der frühere Parlamentssprecher
und ehemalige Generalsekretär der NIF, Hassan al-Turabi, die Gründung einer neuen politischen Oppositionspartei, des People’s National Congress (PNC), bekannt und beschuldigte
Präsident Omar el Bashir, die islamischen Grundwerte zu verraten. Nachdem es am 16.
September 2000 in verschiedenen Städten des Nordens zu Unruhen gekommen war, verhafteten die sudanesischen Sicherheitskräfte 51 Mitglieder des fundamentalistischen islamischen People’s National Congress (PNC). Sie warfen dem PNC vor, die Unruhen im
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Osten Sudans zu schüren.
Schlussfolgerungen
Grundsätzlich hat sich an der Verfolgung von Mitgliedern der Sudan Alliance Force (SAF)
auch nach der Verfassungsänderung Ende 2000 und der Rückkehr der Umma-Partei aus
dem Exil nach Khartum nichts geändert. Trotz aller aktuellen Friedensbemühungen der verschiedenen Parteien dauern die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Regierungsstreitkräften und den Streitkräften der NDA an. Es scheint, dass die verschiedenen
Parteien gerade wegen der gegenwärtig labilen politischen Situation mit militärischen Mitteln einen Entscheid herbeiführen möchten, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Aus diesem Grunde besteht nach wie vor eine akute Gefährdung von Angehörigen und Sympathisanten der verschiedenen Konfliktgruppen, die darin besteht, durch die jeweilige Gegenpartei gefangengenommen, gefoltert oder umgebracht zu werden.
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24 PNC-Mitglieder wurden in Fashir, der Provinzhauptstadt des nördlichen Darfur im Westsudan, und vier in
Nyala in der südlichen Provinz Darfur festgenommen. Weitere 21 wurden in Port Sudan in der östlichen Provinz
Red Sea festgenommen. Die Autoritäten versuchten zudem, den früheren Landwirtschaftsminister und PNCSekretär, General al-Haj Adam Yusuf sowie einen weiteren PNC Offiziellen als-Sheik Nur al-Din zu verhaften.
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