Hören und Hörbehinderung Vortrag für die Mitarbeiter von Kindertageseinrichtungen oder für Therapeuten, die hörgeschädigte Kinder betreuen 19.10.2013 Angelika Seynstahl, StRin FS Leiterin der Pädagogisch-Audiologischen Beratungsstelle am Zentrum für Hörgeschädigte in Nürnberg Wie funktioniert unser Ohr? Bildquelle: Geers, 1994, „Handbuch für das Hören mit modernen Hörhilfen“ 1. Ohrmuschel / Gehörgang (äußeres Ohr - Schallleitung) 2. Trommelfell /Gehörknöchelchen (Mittelohr – Schallleitung) 3. Schnecke / Hörsinneszellen (Innenohr – Schallempfindung) 4. Hörnerv (Schallempfindung) 5. Hörbahnen / Hörzentrum (Schallverarbeitung und –wahrnehmung) Schädigungen des Innenohres • • • • • • • • Alterungsprozess Lärmschädigung (Beruf, Freizeit) Krankheit (z.B. Hirnhautentzündung) Unfall (z.B. Hirnverletzungen) Vererbung (dominant oder rezessiv) Syndrome Medikamentenschädigung (z.B. Cisplatin) Pränatale Infektionen (z.B. Cytomegalie oder Röteln) • Frühgeburt oder Probleme bei der Geburt Der Schall wird durch zwei Bezugsgrößen bestimmt: 1. durch die Frequenz (16 bis 20000 Hertz) 2. durch die Lautstärke (0 dB bis 170 dB) Die Darstellung eines Hörverlustes in einem Audiogramm orientiert sich an diesen beiden Größen. Bildquelle: „Wieder besser hören“, Stiftung Warentest, 2005 Audiogrammformular Im Audiogrammformular sind die einzelnen Werte bezüglich Frequenz und Lautstärke eingetragen. Was hört ein Mensch wie laut? • • • • • • • • • • • • • • 0 dB 10 dB 20 dB 30 dB 40 dB 50 dB 60 dB 70 dB 80 dB 90 dB 100 dB 110 dB 120 dB 130 dB • 170 dB normale Hörschwelle das Ticken einer Uhr Blätter im Wind Flüstersprache raschelndes Laub leise Unterhaltung normale Umgangssprache Staubsauger Autoverkehr, Föhn, Schreien LKW Presslufthammer laute Discomusik, Formel-1-Auto Motorsäge Düsenjäger (100m entfernt), Schmerzschwelle Spielzeugpistole am Gehörgang Grad der Hörschädigung 0 – 20 dB Normalgehör 20 – 40 dB leichtgradig 40 – 70 dB mittelgradig 70 – 100 dB hochgradig Bildquelle: Jacobs/Schneider/Weishaupt, „Hören/Hörschädigung“, 1998, S. 15 ab 100 dB resthörig oder gehörlos (taub) Das Sprachfeld in ein Audiogrammformular projiziert Bei einem Hörverlust von mehr als 70 dB ist kein Hören und Verstehen von Sprache mehr möglich. Bildquelle: www.phonak.com Folgen einer Hörschädigung (bes. stark ohne Früherkennung, technische Versorgung und Frühförderung) • im Bereich der Wahrnehmung • im Bereich der Sprache • im kognitiven Bereich • im sozialen Bereich • im emotionalen Bereich • im motorischen Bereich • im beruflichen Bereich Bildquelle: ZS HörPäd 10/2011 Einseitiger Hörverlust (Schwerhörigkeit oder Taubheit) Bei Taubheit kein Hörgerät auf der tauben Seite! Probleme: •Richtungshören/räumliches Hören •Verstehen im Störschall/Gruppen •Verlust an Lautstärke (ca. 3-17 dB) •geringere Hörweite •größere Höranstrengung/Stress Foto: Firma Phonak Betroffen ist 1 Kind von 300 Kindern •schlechtere Lautdiskrimination •(ototoxische Medikamente) Konzentrationsprobleme oder Verhaltensauffälligkeiten Technische Hörhilfen – Hörgeräte/Hörsysteme Bildquelle: Firma Oticon und „Wieder besser hören“, Stiftung Warentest, 2005 Wirkung von Hörsystemen Sonderformen der Hörgeräteversorgung: Knochenleitungs-Hörgerät BAHA erhältlich mit Kopfbügel, Stirnband oder als knochenverankertes Hörgerät (BAHA). Quelle: Firmenprospekt der Firma BAHA Cochlea Implantat für hochgradig schwerhörige Kinder Bildquellen: Firma MED EL FM-Anlagen für Hörgeräte Akustisch ungünstige Situationen: •große Entfernung •Störgeräusche •Nachhall Bildquellen: Firmenprospekt der Firma Phonak FM-Anlagen: Firma Phonak Sennheiser Empfänger für das Kind Sender (Erzieher/Lehrer) Fotos: Firmenprospekte der Firmen Phonak und Sennheiser Wann sollten Sie hellhörig werden? • wenn das Kind häufig nachfragt • wenn das Kind im Gespräch ihr Gesicht sucht (Mundbild, Mimik) • wenn das Kind Lautbildungsfehler aufweist • wenn das Kind klangähnliche Wörter verwechselt • wenn das Kind scheinbar nicht zuhört • wenn das Kind schnell ermüdet • wenn das Kind unaufmerksam wirkt • wenn das Kind gern allein spielt • wenn das Kind lautes Spielzeug bevorzugt • wenn das Kind sich durch Lärm gestört fühlt... Pädagogisch-audiologische Hörüberprüfungen sind möglich an allen Förderzentren Förderschwerpunkt Hören • Überprüfungen des peripheren Hörens • der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung (AVWS) Seit 1.1.2009 ist das Neugeborenenhörscreening in Bayern verpflichtend! Am 2. Lebenstag: Ableitung der OAEs mit Abschätzung des Hörvermögens des Säuglings bei Auffälligkeit: Wiederholung/Überprüfung mit BERA möglichst zeitnah Einleitung von Maßnahmen wie Hörgeräteversorgung bis 3. Lebensmonat, Frühförderbeginn bis 6. Lebensmonat ist das angestrebte Ziel Frühförderung Bildquelle: Phonak Firmenprospekt An wen richtet sich die Frühförderung? • Kinder von 0 – Einschulung • Kinder mit leicht – mittel – hochgradiger Hörstörung • Kinder mit einseitiger Hörstörung • Eltern, Betreuer, Familie, Erzieher… • (hörende Kinder hörgeschädigter Eltern) Frühe Erkennung – frühe Förderung Ziel: Unterstützung bei der Akzeptanz der Behinderung und bei der gesellschaftlichen Teilhabe Was macht die Frühförderung? • Beratung/“Auffangen“ der Eltern nach dem sog. Diagnoseschock • Ansprechpartner für Eltern mit Fragen, Sorgen, Nöten • Hilfestellung beim Umgang mit Hörgeräten / CIs • Netzwerkarbeit: Kontakte zu anderen betroffenen Eltern herstellen • Zusammenarbeit mit Ärzten, Therapeuten, Kindergärten, anderen Einrichtungen • Versuch, Eltern einen „normalen“ Umgang mit dem hörgeschädigten Kind zu ermöglichen und sie in ihrer Bindung zum Kind zu unterstützen • Eltern sollen sich als selbstwirksam erleben („Empowerment“) • Ganzheitliche Förderung des hörgeschädigten Kindes (Sprache, Motorik, Soziales) • Hörförderung: Aufbauen einer Lauschhaltung, Verknüpfung von Geräuschen und Personen/Gegenständen, Antlitzgerichtetheit herstellen, Rhythmusdifferenzierung, Lautstärken Richtungserkennung… • Kommunikation anbahnen (Lautsprache, Mimik, Gestik, Gebärden …)