archiv - Komponist Karl Heinz Wahren

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KARL HEINZ WAHREN
ARCHIV Discographie
Biografie Werke
Essays Reden Kritiken Werkkommentare
DIRECTORY (if in english)
INHALT
Biografie
2
Biographie
Werke
Orchestermusik
Opern
Kammerorchester
Kammermusik
Klaviermusik
Chormusik
Filmmusik
3
3
4
4
6
7
7
Works
music for orchestra
operas
chamber orchester
chamber music
piano music
choral music
soundtracks
Discographie
8
Discographie
Essays über ...
Christian Bruhn
Karl Heinz Wahren von Bruhn
Norbert Schultze
Helmut Brandt
Erich Schulze
9
16
19
27
28
Reden zu ...
100 Jahre GEMA
50 Jahre DKV
Gerald Humel
31
34
40
Kritiken zu ...
Magnificat
Du sollst nicht töten
Fettklößchen
Bayreuther Impressionen
Friedensoratorium
Geburtstagskonzert
Essays about ...
Christian Bruhn
Karl Heinz Wahren by Bruhn
Norbert Schultze
Speeches about ...
100 years GEMA
50 years German association of composers
Cutups about ...
43
44
46
50
50
51
Comments
Werkkommentare
Brandenburgische Revue
Ecce Homo
Auf der Suche nach dem verlorenen Tango
Magnificat
At this moment
Entführung aus dem Köchelverzeichnis
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53
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53
54
Abduction from the Köchel catalogue
Kontakt
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Contact
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Biografie Werke
Essays Reden Kritiken Werkkommentare
Karl Heinz Wahren, geboren 1933 in Bonn, wuchs in
Gera/Thüringen auf und studierte ab 1953 am Städtischen Konservatorium in Berlin-West. Ab 1961, nach
seinem Abschlussexamen an der jetzigen Universität
der Künste Berlin, gehörte er zum Schülerkreis Josef
Rufers, studierte privat bei Karl Amadeus Hartmann
in München und war 1965 Mitbegründer der Gruppe
Neue Musik Berlin.
1969 erhielt Wahren den Rompreis (Villa Massimo),
1970 Preis des „Rostrum of Composers“ (UNESCO
Paris) für das Werk „Du sollst nicht töten“ für Orchester, Chor, Sprecher und Tonband. Er war mehrmals
Stipendiat der „Internationalen Ferienkurse für Neue
Musik“ in Darmstadt. 1978 konnte er den Förderungspreis der Berliner Akademie der Künste entgegennehmen, 1994 das Bundesverdienst-kreuz, 2001
den GEMA-Ehrenring, 2003 die Werner-Egk-Medaille
(Schott Musik International). Von 1981 bis 2003 war er
Mitglied des GEMA-Aufsichtsrates, von 1990 bis 2004
Präsident des „Deutschen Komponistenverbandes“.
2003 wurde ihm die GEMA-Ehrenmitgliedschaft verliehen und 2004 wählte ihn der Deutsche Komponistenverband zu seinem Ehrenpräsidenten.
Sein Œuvre weist gegenwärtig etwa 60 Kammermusik-kompositionen, 20 Orchesterwerke, einige Filmmusiken und drei Opern auf: „Fettklößchen“ (Dt. Oper
Berlin, 1976), „Goldelse“ (Berliner Festwoche, 1987)
und „Galathee, die Schöne“ frei nach Franz v. Suppé (Dt. Oper Berlin, 1995). Orchesterwerke Wahrens
wurden als Rundfunkaufführungen in über 40 Ländern
weltweit gesendet, Kammermusikaufführungen fanden in den meisten europäischen Ländern statt, außerdem in den USA, in Südamerika, Australien und
Japan. Ein Teil dieser Werke ist auf insgesamt 12 CDs
dokumentiert.
Karl Heinz Wahren verfasste zahlreiche Rundfunkbeiträge, Aufsätze, Essays und Vorträge über zeitgenössische Musik. 2003 ernannte ihn der Bayerische Kulturminister Hans Zehetmair zum Honorarprofessor.
Er lebt als freischaffender Komponist in Berlin.
Karl Heinz Wahren, born 1933 in Bonn, he grew up in
Gera/Thuringia; began to study piano and composition
in 1953 in Berlin-West at what is today the “Universität
der Künste”, where he graduated in 1961; continued
his studies under Josef Rufer (Berlin) and Karl Amadeus Hartmann (Munich); co-founder of the “Gruppe
Neue Musik, Berlin” in 1965.
Awards: 1969 “Rompreis” (1 year at the Villa Massimo); 1970 award of the “Rostrum of Composers”
(Unesco, Paris) for his orchestral cantata “Du sollst
nicht töten!” (Thou shalt not kill); 1978 award of the
“Akademie der Künste”, 1994 Order of Merit (of Germany); 2001 ring of honour of the GEMA; 2003 Werner
Egk medal (Schott Music International) and (the same
year) honorary member of the GEMA. From 1981 till
2003 he was a member of the “GEMA-Aufsichtsrat”.
From 1990 to 2004 he was the president of the German association of composers.
Wahren´s musical works spans nearly all musical
forms and includes 3 operas – “Fettklösschen” after
Maupassant, Deutsche Oper Berlin, 1976; “Goldelse”
(libretto Volker Ludwig), Berliner Festwochen for the
750th anniversary of the city of Berlin, 1987; “Galathee, die Schöne” (libretto Thomas Höft) freely adapted from Suppé, Deutsche Oper Berlin, 1995 – as well
as 20 orchestral works, more than 60 compositions of
chamber music using various instruments and several
choral works and film as well as Jazz scores. A selection of his works is available on CD.
Wahren is also the author of numerous articles, essays and radio programmes about music. Following a
series of lectures he gave at the Munich academy of
music and theatre, he was named honorary professor
in 2003. He also was named honorary president of the
German association of composers in 2004.
Wahren works as a freelance composer in Berlin.
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Biografie Werke
Essays Reden Kritiken Werkkommentare
Orchesterwerke (Auswahl)
Opern
Klavierkonzert
in 3 Sätzen,
UA (Uraufführung) 1968
Fettklößchen
Opera buffo nach Guy de Maupassant
Libretto: Claus H. Henneberg und Karl Heinz Wahren
UA Deutsche Oper Berlin 1976
At This Moment
Orchesterkonzert in 3 Sätzen,
UA 1976
Circulus virtuosus
für Holzbläserquartett und Orchester in 3 Sätzen,
UA 1976
Auf der Suche nach dem verlorenen Tango
symphonische Dichtung für Orchester,
UA 1979
Goldelse
Satirische Oper
Libretto: Volker Ludwig
UA Berliner Festwochen zur 750-Jahrfeier 1987
Galathee, die Schöne
Singspiel frei nach Franz von Suppé
Libretto: Thomas Höft
UA Deutsche Oper Berlin 1995
Romantische Suite
für Violoncello und Orchester,
UA 1980
Brandenburgische Revue
für Sprecher und Orchester in 9 Sätzen,
UA 1984
„Nächtliche Tänze toskanischer Jungfrauen in Florentinischen Gärten zur Blütezeit der Inquisition“
für Big Band und Streichquintett,
UA 1986
Entführung aus dem Köchelverzeichnis
für Orchester in 3 Sätzen,
UA 1991
Ecce Homo
Orchestersuite nach Bildern von Otto Dix in 5 Sätzen,
UA 1993
Metropolis Berlin
Suite für Big Band und Symphonieorchester in 4 Sätzen,
UA 1998
Bayreuther Impression
für großes Orchester in 3 Sätzen,
UA 2004
Tango Capriccio
für Orchester in einem Satz
UA 2005
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Biografie Werke
Essays Reden Kritiken Werkkommentare
Kammerorchester
Kammermusik (Auswahl)
Wechselspiele
für Flöte, Klavier u. Streichorchester
UA Budapest 1967
Pas de deux
für Violine und 3 Holzbläser
UA Haus am Waldsee Berlin 1961
Zum Selbstmord des Genossen Jessenin
nach Wladimir W. Majakowski
für einen Sprecher, Zuspielband u. Kammerorchester
UA Berlin 1972
Frétillement
für Flöte und Klavier in 2 Sätzen
UA Amerika Gedenkbibliothek 1965
Gruppe Neue Musik Berlin
The Pitcher
Groteske für einen Sprecher u. Kammerorchester
Text: Peter Stripp
UA Berlin 1977
Sequenzen
für Flöte, Cembalo und Marimbaphon in 2 Sätzen
UA Forum-Theater Berlin 1965
Der Unterhaltungskünstler
Groteske für einen Sprecher, Gesangsquartett u.
Kammerorchester, Text: Peter Stripp
UA Berlin 1978
Theatermusik
Konzertante Suite in 8 Szenen für Kammerorchester
UA Berlin 1981
Les Fleurs du Mal et les Fleurs d’Innocence
für Flöte, Bassklarinette, Schlagzeug und Streichorchester
UA 1988
Lippenbekenntnisse
Konzert für Posaune u. Kammerorchester
UA Berlin 1990
Kabuki
Konzert für Schlagzeug und Kammerensemble
UA Berlin 1992
Alles was Odem hat ...
Doppelkonzert für Flöte, Oboe u. Streichorchester
UA Brandenburg a.d. Havel 1993
Hamletpuzzle
Satyrspiel für einen Sprecher u. Kammerorchester
Text: Thomas Höft
UA Berlin 1998
L`art pour l`art
für Cello, Flöte, Klavier und Tonband
UA Witten 1968
Permutation
für 3 Flöten
UA Akademie der Künste Berlin 1968
Application
für Orgel
UA 12-Apostel-Kirche Berlin 1968
Dionysos meets Apollo
Streichquartett in 2 Sätzen
UA Akademie der Künste Berlin 1970
Increase
für Flöte, Marimba und Orgel
UA Kirchenmusiktage Kassel 1971
Pas de deux pour Flutes
für 2 Flöten in einem Satz
UA Freiburg i. Br. 1974
Soundscreen-Klangraster
für Flöte und 2 Schlagzeuger
UA Hochschule der Künste Berlin 1975
Entrevue
für Flöte und Orgel
UA Eosanderkapelle Schloss Charlottenburg 1976
Circulus octo virtuosis
für Kammerensemble
UA Berliner Kulturtage New York 1977
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Biografie Werke
Essays Reden Kritiken Werkkommentare
Fortsetzung Kammermusik (Auswahl)
En trois couleurs
für Oboe, Klarinette und Fagott
UA Braunschweig 1977
Drums-Trip Concertino
für Drums-Quartett
UA Hotel Intercontinental Berlin 1988
Tango appassionato
für Streichquartett
UA Berliner Festwochen 1977
Spirale
für Percussions-Quartett in 3 Sätzen
UA Fürth a.B. 1988
Tango noir
für Flöte, Klarinette, Schlagzeug, Violine, Viola, Cello
und Kontrabass
UA Das Neue Werk Hamburg in Turin 1978
Brass-Quintett in 4 Sätzen
UA Frankfurt a.M. 1989
Schon ist die Zukunft da
für Sprecher und kleines Ensemble
(Text: Matthias Koeppel)
UA Künstlerhaus Bethanien, Kreuzberg 1978
Messingklänge
für 4 Posaunen und Orgel
UA 12-Apostel-Kirche Berlin 1978
Der Wettlauf
für Altstimme und Flöte
nach Texten von Joachim Ringelnatz
UA Amerikahaus Berlin 1979
Der Tierbändiger
für Sprecher und Klavier (Text: Friederike Kempner)
UA SFB Musikforum live 1983
Nächtliche Tänze toscanischer Jungfrauen in florentinischen Gärten zur Blütezeit der Inquisition
in 4 Sätzen
für Cello und Kontrabass
UA Gütersloh 1983
Scherzando, Ritmico e Fugato per tre flauti
in 3 Sätzen
(Ich sei, gewährt mir die Bitte,
in Eurem Bunde der Dritte)
UA Richard Strauss Konservatorium München 1986
Elegie des Sisyphos
Streichquartett in 2 Sätzen
UA Akademie der Künste Berlin 1987
Verborgen – in uns – Duo concertante
für Violine und Klavier in 3 Sätzen
UA im BKA Berlin 1989
Largo Barbaro in 3 Sätzen
für Kammerensemble
UA Düsseldorf 1989
„Der große Aufbruch“
Ost-West Kammermusik
zur Ausstellung Gerhard Andrees
UA Halle 1992
Nur in sich selbst
für Solocello
UA Berlin 1992
Romantische Rhapsodie
für Klavier
UA Hamburg 1993
Im Einklang ...
für Oboe und Violoncello
UA Akademie der Künste Berlin 1994
Echospiele
für 5 Blechbläser
UA Haus am Waldsee Berlin 1994
Gegenwärtig und Vergangen
für Flöte, Schlagzeug und Violoncello
UA Theater der Stadt Brandenburg 1996
Stille meidend, Klänge flirrend
für Flöte, Violoncello und Tonband
UA Kirche Satemin Wendland 1997
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Biografie Werke
Essays Reden Kritiken Werkkommentare
Fortsetzung Kammermusik (Auswahl)
Klaviermusik (Auswahl)
Verweilt im Augenblick
für Flöte, Marimba und Violoncello
UA Kunstamt Wilmersdorf Berlin 1998
Impression de temps perdu et de déjà vu
für Flöte, Klavier und Violoncello
UA Kunstamt Wilmersdorf Berlin 1999
Klassizistische Sonatine
für Klavier in 3 Sätzen
UA Städtisches Konservatorium Berlin 1959
Bachandante
für Flöte, Marimba und Violoncello in 2 Sätzen
UA Hochschule für Musik Weimar 2000
Zwischenräume
für Flöte, Violoncello und Harfe
UA Lüchow-Dannenberg 2001
Liebeswandel
Variationen für Streichquartett
UA Haus am Waldsee Berlin 2002
Déjà vu à trois
für Flöte, Klavier und Violoncello
UA Kolbe Museum Berlin 2002
Nebeneinander-Miteinander
in drei Sätzen für Violine, Klarinette und Klavier
UA BKA Berlin 2003
Dreisam
für Flöte, Klavier und Marimbaphon in 2 Sätzen
UA Konzerthaus Berlin 2004
Jeu musical pour trois
für Oboe, Harfe und Violoncello
UA Kolbe Museum Berlin 2004
Kinder-Suite
in 5 Sätzen für Klavier
UA Grafschaft/Wilhelmshaven 1967
Tango Rag
für Klavier
UA Hochschule für Musik Hamburg 1978
Tango Rag
für Klavier zu 4 Händen
UA British Centre Berlin 1980
Bye-Bye, Bayreuth
für Klavier
UA Hochschule für Musik Hamburg 1984
Toccata Appasionata
für Klavier
UA Hochschule für Musik Lübeck 1986
Paradiesvogel
Burleske für Klavier
UA Hochschule für Musik Hamburg 1987
Sonate de l`Exposition
pour Klavier
UA Orangerie Schloss Charlottenburg Berlin 1998
Gershwin meets Mozart
Klaviervariationen
UA Museum für angewandte Kunst Gera 2002
Tango burlesco
für Tenorsax., Bassklari., Vibra., Elektrogit.,
Violoncello u. Kontrabass
UA 6. Weimarer Frühjahrstage für zeitg. Musik 2005
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Biografie Werke
Essays Reden Kritiken Werkkommentare
Chormusik (Auswahl)
Filmmusik
Du sollst nicht töten
Kantate für Orchester, Chor, Sprecher und Tonband
UA 1969
Der Brudermord nach Kafka
Fernsehfilm ohne Sprache.
Manuskript und Regie: Lothar Geissler
UA Filmakademie Berlin 1969
Passioni
für 4-stimmigen Chor, Solosopran und 3 Instrumente
nach Texten von Giordano Bruno
UA Kaiser-Friedrich-Gedächtnis-Kirche Berlin 1973
Die Plapperschlange
Surrealistischer Film von H. Otterson
UA Kunstamt Tiergarten Berlin 1972
Fernsehhymne
für großen Chor (Text: Matthias Koeppel)
UA Berliner Festwochen 1982
Fragen an die Wirklichkeit
Film-Bild-Projekt von Gerhard Andrees
UA London-Lewisham 1975
Magnificat mundus pacem
für Sopran, Alt, Tenor, Bariton, Chor und Orchester
UA 1984
Wasser: Pulsieren
Zwei Experimentalfilme von Ernst Reinboth
UA Akademie der Künste 1977
Fuge an die Industrie
für 4-stimmigen Chor (Text: Karl Heinz Wahren)
UA Akademie der Künste Berlin 1987
Kyritz-Pyritz
Altberliner Posse nach H. Wuttig und O. Justinus, bearbeitet als Fernseh-Musical von Stefan Wigger und
K.H. Wahren, Regie: Stefan Wigger
UA ARD 1979
Friedensoratorium (Anfang und Ende der Welt)
für Sopran, Alt, Tenor, Bariton, Chor u. Orchester
UA 2005
Herzlichen Glückwunsch
Sozialkritischer Spielfilm von W. Voigt und A. Quest
UA Hofer Filmtage 1982
Stadt-Raum-Landschaft
Film von Gerhard Andrees
Landschaft heute, aus ihrer historischen Entwicklung
UA TV Offener Kanal Berlin 1989
Ich und Christine
Buch und Regie: Peter Stripp; mit Götz George, Christiane Paul, Daniel Morgenrot, Jutta Speidel, Maximilian Wigger u.a. UA Filmbühne Wien Berlin 1992
Metropolis
Zweistündiger Stummfilm von 1927
Buch: Thea von Harbou, Regie: Fritz Lang
Musik für großes Symphonieorchester zusammen mit Bernd
Wefelmeyer im Auftrag des Filmorchesters Babelsberg
UA 5. Film & Musikfest Bielefeld - Oetkerhalle (22. Okt. 1994)
Die seltsamen Abenteuer des Mr. West
im Lande der Bolschewiki
Stummfilmgroteske, UdSSR 1924, R: Lew Kuleschow
Musik: Bernd Wefelmeyer und K. H. Wahren
UA 13. FilmFestival Cottbus (4. Nov. 2003)
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Biografie Werke
Essays Reden Kritiken Werkkommentare
Ricordandi a Verdi (Erinnerungen an Verdi)
3. Streichquartett – Florestan Quartett (Bielefeld)
Verlag für Neue Musik, Kreuzberg Records
LC 255 Nr. 10033
Les Fleurs du Mal et les Fleurs de l’Innocence
Universal Ensemble Berlin –
Leitung: Karl Heinz Wahren
(sowie Werke von Gerald Humel, Rainer Rubbert,
Wilhelm Dieter Siebert)
CD-Largo 5116
Spirale für Schlagzeugquartett
Percussion Art Quartett Würzburg
CD-Thorophon Capella CTH 3063
Klaviermusik
Karl Heinz Wahren und Karl Amadeus Hartmann
Peter Roggenkamp (Hamburg) – Klavier
CD-Largo 5121
Ich und Christine
Original Soundtrack zum Götz George Film
von Peter Stripp
Swing Studio Ensemble Berlin –
Leitung: Karl Heinz Wahren
CD-ZYX-Musik 20264-2
Selbst und auch zur Weite der Nacht
Universal Ensemble Berlin –
Leitung: Karl Heinz Wahren
CD-Interconti Production - Nau Verlag Berlin
Du sollst nicht töten
Kantate für Sprecher, Jazzsolisten, Chor und
Orchester
RIAS-Orchester, RIAS-Kammerorchester –
Leitung: Klaus Martin Ziegler
CD-Pelca - PSRX 40602
Klangdenkmal
A Monument in Sound for the Victims of the Holocaust
for String quartet –
von 28 Komponisten einzelne Sätze
2002 M.T.A. TIM The International Music Company AG
Order No 220813 PC 215 (Tel. +49-40-6699160)
Auf weiteren 12 CD’s sind die wichtigsten Orchesterund Kammermusik-Kompositionen dokumentiert.
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Biografie Werke
Essays Reden Kritiken Werkkommentare
Marmorstein und Liebeskummer –
die musikalische Vielfalt eines Lebensweges
Zum 70. Geburtstag von Prof. Christian Bruhn
von Prof. Karl Heinz Wahren
Marble Stone and Problems with Love –
The Musical Variety of a Life
For the 70th Birthday of Prof. Christian Bruhn
by Prof. Karl Heinz Wahren
Es ist für mich eine schöne Genugtuung des Herzens,
über das Leben eines verehrten Kollegen schreiben
zu dürfen, zumal es mit innerer Anteilnahme und aus
Überzeugung geschieht. Der 70. Geburtstag des
Komponisten, Pianisten, Musikproduzenten, Publizisten und Hochschulprofessors Christian Bruhn ist mir
Anlass, seinen abwechslungsreichen und mit musikalischer Vielfalt verlaufenen Lebensweg, allerdings den
hier gegebenen Möglichkeiten entsprechend verkürzt,
nachzuzeichnen. Als Erinnerungsstütze dient mir die
über zwanzigjährige gemeinsame Zeit im GEMA-Aufsichtsrat und im Vorstand des Deutschen Komponistenverbandes, aber auch die in Bruhns Biografie
„Marmor, Stein und Liebeskummer” zusammengefassten „Essay’s, Reden, Gedichte, Gedanken und Gefühle – von ihm selbst aufgeschrieben”.
It is very gratifying for me to be allowed to write about
the life of an esteemed colleague, especially since I
do this with inner sympathy and conviction. The 70th
birthday of the composer, pianist, music producer, publicist and university professor Christian Bruhn is a
good reason for me to trace his eventful path in life that
has been accompanied by musical variety. However,
I will abridge it to appropriately fit this occasion. The
more than twenty years of time together on the GEMA
Board of Supervisors and the Executive Board of the
German Composers’ Association, as well as the “essays, speeches, poems, thoughts and feelings - written by his own pen” integrated into Bruhn’s biography
Marmor, Stein und Liebeskummer (Marble, Stone and
Problems with Love), serve to refresh my memory.
Der ausdrückliche Hinweis im Vortext seiner Biografie:
„... von mir selbst aufgeschrieben” soll der Vermutung
vorbeugen, er könnte, wie heute gern praktiziert, einen Journalisten mit der Niederschrift beauftragt haben. Christian Bruhn jedoch ist sein eigener Schriftsteller, so wie er auch seine Bigband-Arrangements
oder die orchestralen Filmkompositionen stets selbst
schrieb und keine Bearbeiter bemühen musste, wie so
mancher seiner Kollegen, dem die Kunst des Partiturschreibens zeitlebens ein Rätsel bleibt.
Die handwerklichen Grundlagen, die es Bruhn ermöglichten, seine jugendlich-besessene Liebe zur Tanzund Jazzmusik später ins Kompositorische praktisch
umzusetzen, verdankt das bereits mit vier Jahren
selbstständig am Klavier in Terzen fantasierende Kind
der couragierten Mutter. Sie war „der Kunst wie auch
dem Irdischen zugetan” und sorgte frühzeitig dafür,
dass ihr Erstgeborener sinnvollen Klavierunterricht
erhielt.
Der Vater, Sohn des auch als Erfinder tätigen Sanitätsrates Dr. Adolf Christian Bruhn, betrieb bis 1933 einen
Kunstverlag und brachte die Familie als Kaufmann
geschickt durch die Wirrnisse des Dritten Reiches. Er
„malte sehr schön und anständig – zwischen im- und
frühexpressionistisch”, Klavier allerdings spielte er, im
Gegensatz zu seiner routiniert Noten lesenden Frau,
nur auf den schwarzen Tasten und nach Gehör. Durch
seine künstlerische Tätigkeit war er mit Malern wie
The express reference in the foreword of his biography: “... written by my own pen” is intended to prevent
the assumption that he commissioned a journalist to
write it down, which is a popular practice these days.
However, Christian Bruhn is his own writer, just as he
also always wrote his big-band arrangements or the
orchestral film compositions himself and no arranger
had to make the effort, as in the case of some of his
colleagues to whom the art of writing a score remains
a mystery for their entire lives.
The child who was already independently extemporising in thirds at the piano at the age of four years owes
the fundamental craftsmanship that allowed Bruhn to
later practically translate his youthful-obsessed love of
dance and jazz music into compositions to his courageous mother. She “had a great affection for both art
and the mundane” and made sure that her first-born
child received meaningful piano instruction at an early
age. The father, the son of the public-health councillor
Dr. Adolf Christian Bruhn, who was also an inventor,
ran an art-publishing house until 1933 and skilfully
brought his family through the confusion of the Third
Reich as a businessman. He “painted in a very beautiful and respectable way – between Impressionism and
Early Expressionism; however, in contrast to his wife
who was experienced at reading music, he only played
the piano on the black keys and by ear. As a result of
his artistic work, he was friends with painters like Emil
Nolde, August Macke, Willi Baumeister and their gal-
9
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Essays Reden Kritiken Werkkommentare
Emil Nolde, August Macke, Willi Baumeister und deren Galeristen befreundet.
Christian Bruhn wuchs in einer bildungs- und kunstinteressierten Familie auf, deren Domizil infolge des
Krieges von Hamburg nach dem damals zu Deutschland gehörenden Österreich verlegt wurde. Da Kärnten aller Voraussicht nach von Luftangriffen verschont
bleiben würde, reiste die Mutter mit Sohn Christian und
der jüngeren Tochter dorthin. Der Vater kam kriegsbedingt nur gelegentlich zu Besuch. Dort, hoch droben
auf dem Berg, wurde Christian eingeschult und verinnerlichte in den nächsten Jahren das süddeutsche Idiom, in dessen Sprachbereich er später die meiste Zeit
seines Lebens verbringen sollte. Aber kurz vor Kriegsende ging es zunächst von dem inzwischen geliebten
Gebirge wieder zurück in die norddeutsche Tiefebene,
nach Wentorf im Großraum Hamburg, das dann bald
zur britischen Besatzungszone gehörte.
Hier in seiner Geburtsheimat besuchte er das Reinbeker Gymnasium und gründete dort, knapp vierzehnjährig, seine erste Schülerkapelle, mit der er zu
Schulfesten etc. aufspielte. Da es in der unmittelbaren
Nachkriegszeit kaum gedruckte Noten gab, Papier
war wie alles andere ebenfalls Mangelware, hörte
Christian die Schlager vom Radio ab und ergänzte
das Repertoire seiner Band mit selbst geschriebenen
Noten. Gelegentlich schrumpfte das kleine Ensemble
zum Duo, dann bestand die Besetzung lediglich aus
Klavier und Schlagzeug. Aber auch diese Verkürzung
konnte den blutjungen Entertainer nicht bremsen, seine ersten Versuche zur eigenen Schlagerproduktion
zu starten.
Doch Enthusiasmus und Elan allein reichen nicht, die
Zeit war noch nicht reif für den Komponisten Bruhn.
Zunächst formte er sich in den nächsten Jahren zum
Pianisten, durch ein intensives theoretisches wie praktisches privates Musikstudium neben der Schule. Als
junger Musiker verdiente er dann den Lebensunterhalt
für sich und seine Verlobte Christiane. 1956 wurde in
München geheiratet, und hier beendete Christian auch
seine Karriere als Tanz- und Jazzmusiker, er arbeitete als Arrangeur und Produzent für die Firma Spezial
Record, die mit ihrem Label Tempo-Schallplatten so
genannte Nachzieher, also preiswertere Zweitversionen der gerade erfolgreichsten Hits produzierte. Hier
erlernte Bruhn die Voraussetzungen für seinen späteren Hauptberuf als Schlager-, Film- und Fernsehkomponist. Wie bereits eingangs erwähnt, gehört zu
Bruhns persönlichem Berufsziel „das Selbst-Erfinden
lerists. Christian Bruhn grew up in a family interested
in education and art, whose domicile was moved from
Hamburg to Austria, which belonged to Germany at
that time, as a result of the war. Since it appeared that
Carinthia would remain spared of air attacks, the mother travelled there with son Christian and the younger
daughter. Because of the war, the father only came
to visit occasionally. There, high up on the mountain,
Christian was enrolled in elementary school and in the
subsequent years internalised the southern German
idiom in whose linguistic realm he later spent most of
his time. But shortly before the end of the war, they left
the mountains that he had grown to love and initially
returned to the northern German lowlands, to Wentorf
in the Greater Hamburg area, which became a part of
the British zone of occupation soon thereafter.
Here, in the homeland of his birth, he attended the
Reinbeker Gymnasium (secondary school). When he
was barely fourteen years old, he established his first
student band here and played at school parties with
it. Since there was hardly any printed music directly
after the war because paper was a scarce commodity,
like everything else, Christian listened to the Schlager songs on the radio and added to the repertoire of
his band by writing down the music himself. The little
ensemble occasionally shrank into a duo, which consisted of just piano and drums. But even this curtailment
could not stop the very young entertainer from beginning his first attempts at producing his own Schlager
songs.
Yet, enthusiasm and élan are not enough. The time
was not yet ripe for the composer Bruhn. In the following years, he first developed himself as a pianist
through intensive theoretical and practical private music studies in addition to school. As a young musician,
he then earned a livelihood for himself and his fiancée
Christiane. In 1956, they married in Munich and Christian also ended his career as a dance and jazz musician at this time. Instead, he worked as an arranger
and producer for the company Spezial Record, which
produced the so-called copies, cheaper second versions of the most successful hits of the moment, with its
label Tempo-Schallplatten. This is where Bruhn learned the prerequisites for his later main profession as
a composer for Schlager songs, film and television. As
already mentioned at the beginning, one of Bruhn’s
personal professional goals was “the self-invention of
the entire sound image” and he was able to do practical experiments at Spezial Record.
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des gesamten Klangbildes” und bei Spezial Record
konnte er praktisch experimentieren.
Er profilierte sich zunehmend als Arrangeur, erhielt
erste Fernsehaufträge, schrieb sich die Finger wund
und lernte im Tempo-Studio bei den Musikaufnahmen
seine zweite Frau, die Sängerin Charlotte Bischoff
kennen, die ihm zwei Söhne schenkte. Johannes, der
Jüngere, promovierte als Pädagoge, während sich Sebastian für den Beruf eines Kameramannes entschied
und durch die Geburt seiner Tochter Ella den Vater
Christian in den Status des Großvaters erhob.
Zurück ins Jahr 1960, denn da gab es mit einer eigenen Komposition den ersten großen Erfolg, mit
Midi-Midinette. Dieses Liebeslied auf ein Pariser Mädchen, das so schön ist wie die Stadt an der Seine,
sang Conny Froboess mit ihrer frischen, jugendlichen
Stimme. Damit begannen die viele Jahre fortgeführten
Produktionen mit dem gleichaltrigen Berliner Verleger Peter Meisel, Sohn des Erfolgskomponisten und
Musikverlegers Will Meisel. Aus dieser Zusammenarbeit entstand die Freundschaft und daraus schließlich
eine lange Reihe von bedeutsamen musikalischen
Erfolgen. Gemeinsam entdeckten sie das Multitalent
Drafi Deutscher und die Sängerin Manuela, diese
führte Schuld war nur der Bossa Nova zum Hit, Drafi
Deutscher 1965 Marmor, Stein und Eisen bricht, der
einer der populärsten deutschen Schlager überhaupt
werden sollte. Aus der produktiven Partnerschaft dieser beiden Bigband- Fans Rudolf Günter Loose/Christian Bruhn entstanden später weitere zahlreiche
Erfolgstitel, denn Wunder gibt es immer wieder und
Ein bißchen Spaß muß ... schließlich auch dabei sein.
Zuvor trafen Anfang der sechziger Jahre das Autorenduo Bruhn/Georg Buschor (Text) mit ihrem Song
Zwei kleine Italiener zielgenau den Zeitnerv. Bei den
Deutschen Schlagerfestspielen 1962 in Baden-Baden
ersang Conny Froboess damit den begehrten 1. Preis
und auf allen Sendern ertönte dieses reizende Lied
vom schmerzvollen Verlangen junger italienischer
Gastarbeiter nach ihrer warmen, südlichen Heimat.
Schlagerlieder überhöhen im Allgemeinen die Realität mit einer textlichsehnsüchtigen Unwirklichkeit, die
Zwei kleinen Italiener jedoch lagen ziemlich genau,
ohne Samtäugigkeit, an der damaligen Realität. Christian Bruhn möchte mit seiner Musik möglichst vielen
Menschen Freude bereiten. Dieses Wunschziel darf
man – nicht nur hier – als gelungen ansehen. Wenn
einige Kollegen glauben, solcher Musik gegenüber
eine vornehme Miene aufsetzen zu müssen, so mö-
He increasingly distinguished himself as an arranger,
received his first television commissions, wrote his fingers to the bone and met his second wife, the singer
Charlotte Bischoff, at the Tempo Studio while recording music. She gave him two sons: Johannes, the
younger one, graduated as an educator while Sebastian decided on the profession of a cameraman and
elevated his father Christian to the status of a grandfather through the birth of his daughter Ella.
Let’s go back to the year 1960 because this is when he
had his first big success with one of his own compositions, “Midi-Midinette.” This love song for a Parisian girl
who is as beautiful as the city on the Seine was sung
by Conny Froboess with her fresh, youthful voice. This
started many years of continuing productions with the
Berlin publisher Peter Meisel, son of the successful
composer and music publisher Will Meisel, who was
the same age as Christian.
This collaboration became a friendship that ultimately
resulted in a long series of significant musical successes. Together they discovered the multi-talented Drafi
Deutscher and the singer Manuela, who made a hit
of “Blame It on the Bossa Nova.” Drafi Deutscher’s
1965 recording of “Marmor, Stein und Eisen bricht”
(Marble, Stone and Iron Breaks) was to become one
of the most popular German Schlager songs ever.
The productive partnership of the two big-band fans
Rudolf Günter Loose/Christian Bruhn later resulted
in numerous other successful titles such as “Wunder
gibt es immer wieder” and “Ein bisschen Spass muß
auch dabei sein.” Even before this, the author duo
Bruhn/Georg Buschor (lyrics) accurately hit the nerve
of the times with their song “Zwei kleiner Italiener”. At
the German Schlager Festival of 1962 in Baden-Baden, Conny Froboess sang her way to the coveted 1st
Prize with it and this charming song about two young
Italian foreign workers feeling a painful desire for their
warm, southern homeland could be heard on all of the
stations.
Although Schlager songs generally exaggerate the
reality with lyrics that express an artificial yearning,
Zwei kleiner Italiener was very accurate in reflecting
the reality of that time without any velvety eyes. With
his music, Christian Bruhn would like to bring joy to as
many people as possible. It is safe to say that he has
attained this desired goal – and not just here. If some
of the colleagues believe that they have to put on a distinguished face with regard to this type of music, may
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gen diese Kaltschwärmer von emotionslosen Ton- und
Geräuschfolgen sich auf die heute längst offenkundig
gewordene Legitimationskrise der E- Musik konzentrieren.
Damals jedenfalls, als Conny Froboess den 1. Preis
in Baden-Baden sich und ihren Autoren ersang, litt
weder die E-Musik noch der deutsche Schlager unter
einer Legitimationskrise oder unter terminologischen
Definitionsschwierigkeiten zum eigenen Genre. Es ist
freilich schon fast ein halbes Jahrhundert her, dass
die Deutschen Schlagerfestspiele eine fest installierte
Institution der U-Musik waren, von einem Millionenpublikum aufmerksam verfolgt und genährt durch den
rechtlich-öffentlichen Rundfunk und das Fernsehen,
an deren Seriosität niemand zweifelte.
Nachdem der Gartenzwerg-Marsch (Adelheid) zum
Text von Hans Bradtke ein Dauerhit wurde, es für die
Zwei kleinen Italiener die erste Goldene Schallplatte
(damals für eine Million verkaufter Exemplare) und
den Bronzenen Spatz gab, blieb dem fleißigen Duo
Bruhn/Buschor der Erfolg auch weiterhin treu, denn sie
erzielten bei den Schlagerfestspielen 1964 erneut den
ersten Preis, dieses Mal mit ihrem Titel Liebeskummer
lohnt sich nicht. Siw Malmquist war die Gesangsinterpretin, begleitet von der Rolf-Hans-Müller-Bigband
des Südwestfunks. Im folgenden Jahr, gerade hatte
der Dauerbrenner Marmor, Stein und Eisen gezündet,
gab es den Goldenen Spatz für Liebeskummer lohnt
sich nicht und eine „3/4” Goldene Schallplatte. Es folgten die Hits Lord Leicester aus Manchester und Monsieur Dupont, beides von Manuela gesungen, Wärst
Du doch in Düsseldorf geblieben (Dorthe Kollo), Hinter
den Kulissen von Paris (Mireille Mathieu) und Wunder
gibt es immer wieder. Mit diesem Lied gewann Katja Ebstein beim internationalen Schlagerwettbewerb
Grand Prix d’Eurovision in Amsterdam den 3. Preis
für Deutschland, sie gewann aber auch das Herz von
Christian Bruhn, und 1972 wurde geheiratet.
Erhielt 1963 das Heimwehlied Zwei kleine Italiener die
erste Goldene Schallplatte, so folgten 1972 für Akropolis Adieu und 1974 für La Paloma Ade – beides gesungen von Mireille Mathieu – die nächsten Goldenen
Schallplatten.
Das saisonunabhängige, auf längere Dauer angelegte erfolgreiche Schlagerproduzieren verlangt von
den Autoren nicht nur solide handwerklich-musikalische Grundlagen, sondern auch viel Ernst im heiteren
Spiel. Freilich muss auch genügend heiteres Spiel im
these cold enthusiasts of emotionless sequences of
tones and sounds concentrate on the identification crisis of classical music that has long become apparent.
In any case, back when Conny Froboess and her authors won the 1st Prize in Baden-Baden, neither classical music nor the German Schlager suffered from
an identification crisis or from terminological definition
difficulties regarding their own genre. Of course, the
German Schlager Festival has become a solidly established institution of light music, attentively followed
by an audience of millions and fed by public broadcasting and television, the respectability of which no one
can doubt during the nearly fifty years of its existence.
After the “Gartenzwerg-Marsch” (Garden Gnome
March, Adelheid) to the lyrics by Hans Bradtke became a continuous hit, “Zwei kleiner Italiener” received
the first Gold Record (awarded back then for one million copies sold) and the Bronze Sparrow, success remained faithful to the diligent duo Bruhn/Buschor because they once again achieved the first prize at the
1964 Schlager Festival with their title “Liebeskummer
lohnt sich nicht.” Siw Malmquist was the vocal performer, accompanied by the Rolf Hans Müller Bigband of
Southwest Broadcasting.
In the following year, as the long-lasting success “Marmor, Stein und Eisen bricht” was just taking off, they
received the Golden Sparrow for “Liebeskummer lohnt
sich nicht” and a “3/4” Gold Record. These were followed by the hits “Lord Leicester aus Manchester” and
“Monsieur Dupont,” both of which were sung by Manuela, “Wärst Du doch in Düsseldorf geblieben” (Dorthe
Kollo), “Hinter den Kulissen von Paris” (Mireille Mathieu) and “Wunder gibt es immer wieder.” With this
last song, Katja Ebstein collected the 3rd Prize for
Germany at the international song contest Grand Prix
d’Eurovision in Amsterdam, but she also won the heart
of Christian Bruhn and they married in 1972.
In 1963, the “Zwei kleiner Italiener” song about homesickness received the first Gold Record, which was
followed in 1972 by “Akropolis Adieu” and in 1974 by
“La Paloma Ade” – both sung by Mireille Mathieu – the
next Gold Records.
The non-seasonal, long-term successful production of
Schlager songs demands not only solid craftsmanship
and musical foundations from the authors but also
a great deal of seriousness while having fun. There
must obviously also be enough fun in the serious-
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Ernst sein und dem Publikum immer wieder Neues im
Vertrauten geboten werden, bis sich die Paradigmen
scheinbar erschöpft haben und unter neuem Anstrich
das Vertraute die Empfindungsscala der Rezipienten
wieder zum positiven Mitschwingen bringt. Unter diesen Gegebenheiten über viele Jahre hin zu reüssieren ist nur wenigen Komponisten vergönnt. Christian
Bruhn gelang es, als einer der schöpferisch erfolgreichsten Popularmusikautoren in der zweiten Hälfte
des 20. Jahrhunderts zu wirken.
Aus den verschiedenen Genres seines Oeuvres
möchte ich hier nur einige Beispiele erwähnen, wie
der von Katja Ebstein mit großem Nuancenreichtum
interpretierte Heine-Zyklus. Der Schriftsteller Friedrich
Torberg war hingerissen und schrieb 1976 begeistert:
„Christian Bruhn – und daher die frappante Gültigkeit
seiner Vertonungen – hat sich fast ausschließlich an
Heine-Gedichte gehalten, die schon von sich aus
Chansons waren. (…) Aber da glaubt man immer ein
listiges, lustiges Zwinkern aus der Musik herauszuhören. Kein liebliches Geläute zieht leise durchs Gemüt,
um den Loreleifelsen wogt es von beinahe Rheintöchtern, Melodie und Instrumentation lassen auch
nicht den kleinsten Tropfen Schmalz einsickern. (…)”
Ebenso wenig verwandt dem Schlageralltag ist der
fürs Fernsehen in zwölf Folgen komponierte Zyklus
James Tierleben nach Gedichten von James Krüss.
Allein die Fernseh- und Filmmusiken nur aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Essay’s sprengen.
Um wenigstens einige Titel zu nennen: Timm Thaler,
Sindbad, Alice im Wunderland, Jack Holborn, Captain
Future, Die Post geht ab, Die Banditen vom Rio Grande, Apartmentzauber, Maibritt, Fit forever, Manni der
Libero, All meine Töchter, Abenteuer in Afrika, Hans
im Glück, Hotel Shanghai usw.
Die Musik zur Fernsehserie Jack Holborn wurde von
dem Symphonieorchester Kurt Graunke 1982 in den
Münchener Bavaria Tonstudios eingespielt. Was da
in den 16 durchschnittlich knapp drei Minuten langen
Musik-Takes an thematischem Material geboten wird,
daraus hätte im 19. Jahrhundert ein talentierter Tonsetzer mindestens vier romantische Symphonien komponiert. Bruhns Instrumentation ist hier impressionistisch
orientiert und von erlesener Farbigkeit. Schade, dass
nur wenige Musikfreunde um diese ganz erstaunliche
Vielfachbegabung Bruhns wissen, denn solche Musik
ist auch ohne Filmbilder sehr hörenswert.
Ganz anders klingt dagegen der Soundtrack zu Hotel
Shanghai (nach Vicki Baums Roman), 1997 vom Babelsberger Filmorchester aufgenommen. Hier demon-
ness, and the audience must constantly be offered
something new within the familiar until the paradigms
are apparently exhausted and what is familiar once
again elicits a positive resonance from the recipients’
emotional scale under a new veneer. Under these circumstances, having songs that are successful over
many years is something that has only been granted
to very few composers. Christian Bruhn accomplished
this as one of the creatively most successful authors
of popular music during the second half of the 20th
Century.
I would like to just mention a few examples from the
various genres of his oeuvre, such as the Heine Cycle
that was performed by Katja Ebstein with a wealth of
nuances. The writer Friedrich Torberg was fascinated
and enthusiastically wrote in 1976: “Christian Bruhn
– and therefore the remarkable validity of his compositions for poetry – has almost exclusively followed the
Heine poems, which were actually already chansons
(…) But we believe that we are always hearing a wily,
humorous winking from the music. No sweet chimes
run through the soul, the almost daughters of the Rhine are surging around the rocks of the Lorelei and not
the smallest drop of schmaltz has seeped into the melody and instrumentation (…)”
He composed the cycle James Tierleben, based on
poems by James Krüss, for television in twelve episodes and this also has little in common with the everyday life of the Schlager song. Just listing the compositions of television and film music would exceed
the scope of this essay. To name just a few of the titles: “Timm Thaler,” “Sindbad,” “Alice im Wunderland,”
“Jack Holborn,” “Captain Future,” “Die Post geht ab,”
“Die Banditen vom Rio Grande,” “Apartmentzauber,”
“Maibritt,” “Fit Forever,” “Manni der Libero,” “All meine
Töchter,” “Abenteuer in Afrika,” “Hans im Glück,” “Hotel Shanghai,” etc.
The music for the television series Jack Holborn was
recorded by the Symphonic Orchestra Kurt Graunke in
1982 at Munich’s Bavaria Sound Studios. The thematic material that was offered in those 16 music takes
that were an average of just less than three minutes
in length would have sufficed a talented 19th century composer for at least four romantic symphonies.
Bruhn’s instrumentation is impressionistically oriented
here and exquisitely colourful. It’s unfortunate that so
few music fans know about Bruhn’s quite astonishing
multi-talented abilities because such music is also very
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striert Christian Bruhn elegant, dass er die musikalischen Codes aller Tanzmusikarten brillant beherrscht,
ob Tango, Blues, Charleston usw. Einzelne Musikstükke zeichnen sich durch interessante, exotisch- fernöstliche Klangphänomene aus und folgen damit der
Filmhandlung. Der Titelsong erinnert an die frühen
James-Bond-Filme und ist ebenso geschickt wie aufwändig instrumentiert, beherrscht von der groovenden
Stimme Jocelyn B. Smiths. Diese wenigen Beispiele
zeigen den außerordentlichen musikalischen Ideenreichtum des Komponisten Christian Bruhn. Populär
wurde er jedoch durch seine Schlagererfolge, die ihm
schließlich auch neben den Film- und Fernsehmusiken eine dauerhafte wirtschaftliche Grundlage gaben.
Sein frühes Bohemientum mündete im Verlaufe der
Jahre in eine allgemeine Lebensbürgerlichkeit, die
sich äußerlich in seiner geräumigen Sollner Villa mit
Garten, eigenen Aufnahmestudios, lichten Wohnräumen, einem Schwimmbad und schönen Gästezimmern manifestierte. Das Haus ist im späten Jugendstil
mit Tendenz zur neuen Sachlichkeit entworfen und im
Jahr 1922 gebaut.
Die immer wieder beruflich bedingten Trennungen
von der singenden Ehefrau führten wohl auch zur
Scheidung. Jedoch verhalf Katja Ebstein noch einigen
Bruhn-Songs zum Erfolg, wie Der Stern von Mykonos
oder Ein Indiojunge aus Peru. Um in sich kein Gefühl
der Vereinsamung aufkommen zu lassen, heiratete
Christian Bruhn 1976 die junge, begabte Sängerin
Erika Götz. Ihr gelangen im Duo mit ihrer fast gleichaltrigen Schwester unter anderem mit Heidi und Die
Musik kommt aus Böhmen neue, sehr schöne Erfolge.
Christian arbeitete mit Fleiß weiter und wurde in den
folgenden Jahren dafür mit dem Goldenen Hufeisen
(1986), der Goldenen Stimmgabel (1987), dem PaulLincke-Ring (1993), der Goldenen Nadel der Dramatiker Union, der Richard-Strauss-Medaille der GEMA
und der Verdienstmedaille des Deutschen Musikverleger-Verbandes (1999) belohnt.
Inzwischen hatte ihn 1982 die GEMA-Mitgliederversammlung mit großer Mehrheit in den Aufsichtsrat gewählt, d.h. er musste zunächst zur Kandidatur
überredet werden. Der gleiche Vorgang wiederholte
sich 1991, als es galt, nach dem plötzlichen Tod von
Raimund Rosenberger einen neuen Aufsichtsratsvorsitzenden zu küren. Christian Bruhn stellte sich
schließlich dieser zeitaufwändigen Herausforderung,
die er nun seit 13 Jahren glänzend bewältigt. Für sei-
worthwhile to listen to even without the film images.
On the other hand, the soundtrack to Hotel Shanghai
(based on Vicki Baum’s novel), which was recorded
in 1997 by the Babelsberg film orchestra, makes a
completely different impression. Christian Bruhn elegantly demonstrates here that he brilliantly masters
the musical codes for all types of dance music, whether tango, blues, Charleston, etc. Individual pieces
of music are distinguished by the interesting, exotic
Far-Eastern sound phenomena and therefore follow
the plot of the film. The title song is reminiscent of the
early James Bond films and has an instrumentation
that is both skilful and complex, ruled by the grooving
voice of Jocelyn B. Smith. These few examples show
the composer Christian Bruhn’s extraordinary wealth
of ideas. However, he became popular because of his
Schlager successes, which ultimately also gave him a
stable economic basis in addition to the music for film
and television.
Through the course of the years, his early Bohemianism ended up as a generally conventional way of
life that manifests itself externally in his roomy villa in
Solln with its garden, his own recording studios, lightfilled living spaces, a swimming pool and lovely guest
rooms. The house was designed as late Art Nouveau
leaning towards the new functionalism and built in the
year 1922.
The repeated separations from the singing wife dictated by the profession probably also led to the divorce.
Yet, Katja Ebstein still contributed to the success of
some of the Bruhn songs such as “Der Stern von Mykonos” or “Ein Indiojunge aus Peru.” To stop any feelings of loneliness from developing, Christian Bruhn
married the young, talented singer Erika Götz in 1976.
In a duo with her sister, who is almost the same age,
she had some new, very beautiful successes that included “Heidi” and “Die Music kommt aus Böhmen.”
Christian continued to work diligently and was rewarded in the following years for it with the Golden Horseshoe (1986), the Golden Tuning Fork (1987), the
Paul Lincke Ring (1993), the Golden Pin of the Dramatists’ Union, the Richard Strauss Medal of GEMA
and the Medal of Merit of the German Music Publishers’ Association (1999).
In the meantime, in 1982 the GEMA General Meeting
had elected him with a large majority to the Board of
Supervisors, which means that he first had to be talked into becoming a candidate. The same procedure
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ne dabei allen GEMA-Mitgliedern zugute kommenden
erbrachten außerordentlichen Leistungen wurde er im
Jahr 2001 mit dem GEMA-Ehrenring ausgezeichnet
und bald darauf außerdem zum Ehrenmitglied der
GEMA ernannt, während der Freistaat Bayern ihn für
seine Vorlesungen an der Musikhochschule Nürnberg/
Augsburg mit einer Honorarprofessur würdigte.
Bruhns sachlich-freundschaftliche Zusammenarbeit
mit dem GEMA-Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. Kreile bewährt sich gerade in den augenblicklich in vielerlei Hinsicht zunehmend schwierigen Zeiten für unsere Urheberrechtsgesellschaft. Es ist für uns alle eine
glückliche Fügung, dass hier zwei kenntnisreiche,
pflichtbewusste Urheberfachleute das wirtschaftliche
Wohlergehen der Mitglieder mit Geschick gegen Angriffe von außen und auch von innen verteidigen. Der
GEMA-Aufsichtsrat hatte nie zuvor einen so effektiven
und umfassend gebildeten Vorsitzenden, ausgenommen Werner Egk; dem allerdings mangelte es an Klarheit gegenüber seiner eigenen politischen Vergangenheit. Bruhn dagegen ist auch politisch „ein Moralist der
höheren Art” und außerdem verlässlich.
Wer sich wünscht, mit ihm unangestrengt ins Gespräch zu kommen, ohne das Thema Musik zu strapazieren, dem sei die Lektüre einiger Thomas Mann
Werke empfohlen. Speziell mit der Genealogie der
Lübecker Kaufmannsfamilie Buddenbrook sollte er
sich vertraut machen, ebenso mit dem rheinischen
Lebenskünstler Felix Krull und mit der fiktiven Biografie über den faustisch-genialen Tonsetzer Adrian Leverkühn. Zu Bruhns literarischer Hitliste zählen unter
anderem aber auch die Jahreszeiten von Uwe Johnson und das Frauenschicksal Effie Briest des Berliner Hugenottenabkömmlings Theodor Fontane. Als
Nachtisch wäre vielleicht noch Raymond Chandlers
The big sleep und ein Gläschen guten schottischen
Landweins angezeigt. Trotz seiner zahlreichen Verpflichtungen bleibt Christian Bruhn auch literarisch
auf dem aktuellen Stand. Außerdem schreibt er neue
Fernsehmusiken, plant ein Kindermusical und das alles zwischen den Reisen, die ihn rund um die Welt
führen, nicht nur als GEMA- Aufsichtsratvorsitzenden,
sondern seit 2002 auch als Präsident der CISAC,
Confédération Internationale des Sociétés d’Auteurs
et Compositeurs, Paris.
Alle Ehrungen und Ämter ließen Christian Bruhn kollegial und bescheiden bleiben. Weder leidet er unter
dem in der Musikbranche gelegentlich aufleuchtenden
was repeated in 1991 when a new Chairman of the
Board of Supervisors had to be chosen after the sudden death of Raimund Rosenberger. Christian Bruhn
ultimately accepted this time-consuming challenge,
which he has now mastered brilliantly for the past 13
years. For his extraordinary accomplishments that benefit all of the GEMA members, he was distinguished
in the year 2001 with the GEMA Ring of Honour and
was named an Honorary Member of GEMA soon afterwards. The State of Bavaria also acknowledged
him for his lectures at the Music Academy of Nuremberg/Augsburg with an honorary professorship.
Bruhn’s professional and friendly working relationship
with GEMA President Prof. Dr. Kreile is standing the
test, especially in the momentary difficult times for our
copyright society that are becoming increasingly so in
many respects. It is a happy stroke of fate for all of
us that two such knowledgeable, conscientious author
specialists are defending the economic welfare of the
members so skilfully against attacks from the outside,
as well as from the inside. The GEMA Board of Supervisors has never before had such an effective and extensively educated Chairman except for Werner Egk;
however, there is a lack of clarity about the latter’s own
political past. On the other hand, Bruhn is also politically “a moralist of the higher sort,” in addition to being
reliable.
I recommend that anyone who wants to easily get into
a conversation with him, without exhausting the topic
of music, should read some of the works by Thomas
Mann. He should become familiar with the genealogy
of the Lubeck merchant family Buddenbrook, as well
as with the Rhenish master of the art of living, Felix
Krull, and with the fictive biography of the Faustian-ingenious composer Adrian Leverkühn. Bruhn’s literary
list of hits also includes the Jahreszeiten book by Uwe
Johnson and the woman’s novel Effie Briest by the
descendant of Berlin Huguenots, Theodor Fontane.
An appropriate dessert would perhaps be Raymond
Chandler’s The Big Sleep and a little glass of good
Scottish table wine.
Despite his numerous obligations, Christian Bruhn
also stays up to date when it comes to literature. In
addition, he is writing new music for television, is planning a children’s musical and does all this between the
journeys that take him around the world not only as
the Chairman of the GEMA Board of Supervisors but
also as President of CISAC, Confédération Internationale des Sociétés d’Auteurs et Compositeurs, Paris,
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bizarren Byzantinismus, noch benötigt er zur Stabilisierung seines Selbstbewusstseins das von Berufskollegen häufig erlebte Schmeichelentzücke. Sein zu
knappen Formulierungen neigender Pragmatismus
provoziert manchesmal Unverständnis oder gar Unmut, dem begegnet er gelegentlich mit Ironie oder Ungeduld, was mancher mit Erdenschwere und egozentrischer Sensibilität behafteten Komponistenseele nur
mäßig bekommt. Ich meine, dass für Christian Bruhns
gefestigtes Selbstbewusstsein durchaus berechtigte
Grundlagen bestehen.
Sein Name erscheint – im Gegensatz zu anderen,
meist weniger erfolgreichen Popularmusikautoren – in
Gazetten vom Genre der Bildzeitung, dem deutschen
Zentralorgan für gesundes Volksempfinden, äußerst
selten und dann eher im Zusammenhang mit urheberrechtlichen Problemen als mit Beiträgen zur privaten
Sittengeschichte der bundesrepublikanischen Bourgeoisie. Dem Ehekäfig bereits viermal entronnen,
wagte er es vor nicht allzu langer Zeit ein fünftes Mal,
sich dieser gelegentlich vielleicht auch zwiespältigen
Dauerverzückung zu unterwerfen, er heiratete die
Ärztin Dr. Irene Link. Christian lebt nicht im Konjunktiv, er dringt darauf, immer wieder neue Erfahrungen
zu sammeln und immer noch weiterzulernen. Aber bei
all seinen komplexen Interessen bleibt die Musik aktiv
wie passiv sein Elan vital.
Ich wünsche dem in Süddeutschland inzwischen verwurzelten norddeutschen Glückskind zu seinem 70.
Geburtstag vor allem Gesundheit und weiterhin ungebrochene Lebensfreude. Mögen ihm auch in seinem
achten Jahrzehnt optimale Lebensbedingungen erhalten bleiben, auf dass sich seine Talente so großartig
wie bisher entfalten und seine Schaffenskraft noch
viele reife Früchte tragen wird.
KARL HEINZ WAHREN – NUN BEREITS SIEBZIG
Prof. Christian Bruhn zum 70. Geburtstag seines
Freundes
since 2002. Despite all of these honours and offices,
Christian Bruhn is still friendly and modest. He does
not suffer from the bizarre Byzantinism that occasionally flares up in the music sector nor does he require
the flattery frequently experienced from professional
colleagues for the stabilisation of his self-confidence.
His pragmatism, which tends toward succinct formulations, sometimes provokes a lack of understanding or
even annoyance, which he will occasionally counter
with irony or impatience. Some composers’ souls who
are subject to heaviness and egocentric sensitivity
only have a mediocre response to this. I believe that
there is most definitely a justified reason for Christian
Bruhn’s solid sense of self-confidence.
His name – in contrast to other, usually less successful
authors of popular music – appears extremely rarely in
gazettes of a genre like the Bildzeitung newspaper,
the German central organ for sound popular instinct,
and then more likely in relation to problems concerning authors’ rights than with articles about private
stories on the morals of the German bourgeoisie. After already escaping from the cage of marriage four
times, he risked subjecting himself to this occasionally
conflicting permanent state of ecstasy for a fifth time
not too long ago by marrying the physician Dr. Irene
Link. Christian does not live in the subjunctive. He is
keen about having new experiences time and again
and still continuing to learn. But despite all of his complex interests, music in both the active and the passive
sense remains his Élan vital.
Above all, I wish this north German child of fortune
who has now become rooted in southern Germany
health and continuing undiminished joy in life for his
70th birthday. May the optimal conditions in life also
be preserved for him in his eighth decade so that his
talents can continue to develop as splendidly as they
have up to now and his creative powers bear many
ripe fruits.
Lieber Karl Heinz, lieber Freund: Mit 70 ärgert man
sich über alles, wundert sich aber über nichts mehr.
Karl Heinz Wahren - Already seventy years old
Professor Christian Bruhn on the 70th birthday of his
friend
70 Jahre –
das ist ein Alter, in das man ein Leben lang nicht
glaubt, selbst zu kommen.
70-Jährige –
das sind Greise, impotent und inkompetent.
Dear Karl Heinz, Dear Friend: At 70 people are annoyed with everything but no longer surprised by
anything.
70 years – for much of our lives we believe that we will
never be that old ourselves.
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70-Jährige das waren alte Nazis, die von Kriegsheldentaten und
den guten Seiten Adolf Hitlers berichteten.
70-Jährige die haben keinen Sinn für Humor und finden alles,
was Jüngere tun, vollkommen geschmacklos, vor allem deren Musik.
Wie anders dagegen die Wirklichkeit! - Ich bin zwar
noch nicht ganz siebzig, wundere mich aber auch
nicht mehr viel. Verwundern tun mich jedoch immer
wieder drei Umstände im Dasein meines Freundes,
die meinem Erachten nach Bewunderung verdienen:
In erster Linie imponiert mir, dass dieser E-Kollege sich
ohne die hilfreiche Stütze eines Lehrauftrages durchs
Leben rettet. Zwar kann er so seine bei Karl Amadeus
Hartmann mühsam erworbenen musikalischen Weisheiten leider nicht weitergeben, aber das können ja
seine Kollegen tun. Er hat Besseres zu tun.
Denn zweitens, Freunde, horcht auf: Selbst mein verengtes und beschränktes Terzen-Herz vermag er mit
seiner Musik zu rühren, das will viel heißen. Und deshalb imponiert mir seine Musik ebenfalls.
Zum dritten imponiert mir die soziale Grundhaltung
meines Freundes Karl Heinz, denn wie anders als
sozial ist zu nennen, wenn sich einer in Ehrenämtern
zum Wohle der Reihen seiner Berufskollegen aufreibt,
anstatt in der Reihentechnik zu komponieren.
Mein Lob gilt also
a) dem selbstständigen freiberuflichen Komponisten
und seiner Musik,
b) dem als vielseitigen Funktionär Tätigen und
c) natürlich dem Menschen Karl Heinz Wahren.
Das gutmütige und hochgebildete, in der Historie (besonders der preußischen) überaus beschlagene Wesen Wahren hat natürlich auch seine Schrullen, wie z.
B. die häufige Anwendung des Wortes “kafkaesk” und
des Begriffes von der “Heisenbergschen UnschärfeRelation”.
Wer ihn kennt, weiß, dass auch sein Privatleben zu
Zeiten einer gewissen Groteske nicht entbehrt, aber:
Wenn auf jemanden der Terminus “Redlichkeit” anzuwenden ist, dann auf unseren Karl Heinz! Karl Heinz
(wie kann man sein Kind nur so taufen lassen-?) - wir
lieben dich und wir brauchen dich!
70-year-olds those are the seniors, impotent and incompetent.
70-year-olds those were the old Nazis who talked about the feats of
the war heroes and the good sides of Adolf Hitler.
70-year-olds they have no sense of humour and find everything that
young people do to be completely tasteless, especially their music.
But the reality is very different! Although I am not quite seventy yet, I find very few things surprising anymore. However, I am still constantly astonished about three aspects
of my friend’s life that I consider worthy of admiration:
First of all, I am impressed that this colleague of serious music has made it through life without the helpful
support of a lectureship. Although this means he unfortunately cannot pass on the musical wisdom that he
so arduously acquired from Karl Amadeus Hartmann
in that way, his colleagues can take care of that. He
has better things to do.
Secondly, my friends, please listen carefully: Even my
narrow-minded and limited heart that loves thirds is
touched by his music, which means quite a lot. And
this is why his music also amazes me.
Thirdly, I am impressed by the basic social attitude
of my friend Karl Heinz. Could it be called anything
other than “caring” when a person wears himself out
in honorary positions to benefit the ranks of his professional colleagues instead of composing in the series
technique.
My praise is also extended to:
a) the independent freelance composer and his music
b) the versatile activities of the functionary
c) and, of course, Karl Heinz Wahren as a human
being.
The good-natured and highly educated being Wahren, who is very knowledgeable in history (Prussian
in particular) naturally also has his whims, such as the
frequent use of the word “Kafkaesque” and the term
“Heisenbergian relation of unsharpness.”
Those who know him are also aware that his private
life has sometimes had a certain grotesque quality to
it. However: If there is anyone for whom we can use the
expression “uprightness,” then it is our Karl Heinz! Karl
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Vor zehn Jahren bereits trug ich anlässlich eines runden Geburtstages (ja - richtig geraten, es war der
sechzigste!) unseres heutigen Jubilars ein mühsam
verfertigtes, ja: ziseliertes Gedicht vor. Schier echolos
verpuffte es in der bereits stark alkoholisierten Menge,
und deshalb verdient es, heute wiederholt zu werden
(Wiederholungen, lieber Karl Heinz, sind das Salz der
U-Musik), nicht ohne dem festlichen Anlass allerdings
behutsam angepasst zu sein:
Heute, ihr Leute, da jährt sich zum siebzigsten Male
der Tag der Geburt unsres immer noch rüstigen Alten.
Seht ihn, den feurigen Greis mit dem bärtigen Antlitz,
silbern das Haar und leuchtend die wachsamen Augen!
Gruben auch Kleine Sekunden und mancher Tritonus
- Klänge, die seine Musik unverwechselbar machten gruben sie auch, diese Töne, die oft dissonanten,
Runen ins weise Gesicht sowie kleinere Falten,
strotzt doch das heitere Kerlchen von Jugend und Spannkraft,
perlt von den Lippen der Strom unaufhaltsamer Rede,
voll Anekdoten und wichtiger Informationen.
Weiß der Karl Heinz doch fast alles von Körper und Seele,
von Kafka und Heisenberg, Wilhelm und Friedrich dem Großen,
- die Geschichte des preußischen Reiches hier auch zu erwähnen,
hieße, die märkischen Eulen nach Spree-Athen tragen weiß er (und weiß, daß auch wir dieses wiederum wissen)
ja nicht nur die Regeln der E-Musik kundig zu nutzen,
schichtend so wacker wie herzhaft den Reiz der Friktionen
über- und nebeneinander im Reich der Euterpe,
weiß er doch auch um die Wonnen des klassischen Jazzes,
und back to the roots zieht’s ihn öfter am späteren Abend.
Erleuchtet vom Weine, befeuert und mächtig beflügelt
donnert Karl Heinz dann Akkorde und wucht’ge Kaskaden,
schonend wohl kaum des Klavieres empfindliche Tasten.
Wo blieb Verlorenen Tangos subtiles Gewebe?
Wo bleibt der Jungfrauen zarter Gesang in den Gärten?
Alles vereint sich zum Urstrom der wabernden Muse.
Aber Adorno rotieret im naßkalten Grabe.
Lasset uns heben nun hoch unsre schimmernden Humpen,
trinken auf ihn und mit ihm, unsrem Festjubilaren!
Die mit dem Altwerden drohenden bösen Gefahren
möge das Schicksal dir gnädig noch lange ersparen!
Gönne dir und auch den Freunden noch mal einen Klaren,
Sei du beschenkt mit noch vielen und fruchtbaren Jahren!
Laut rufen alle wir, die heut gekommen in Scharen:
Gott segne dich und die Deinen, oh Freund Karl Heinz Wahren!
[*] Anmerkung: Auf der Suche nach dem verlorenen
Tango und Gesang toskanischer Jungfrauen in florentinischen Gärten zur Blütezeit der Inquisition sind
Kompositionen von Karl Heinz Wahren.
Heinz (how can anyone have their child baptised with
that name...?) - we love you and we need you!
Ten years ago, on the occasion of a birthday (yes good guess, it was the sixtieth!) of the person who we
are celebrating today, I already read an arduously composed and even engraved poem. Without an echo, it
went up in smoke in the strongly alcoholised crowd and
therefore deserves to be recited today (repetitions, dear
Karl Heinz, are the salt of light music), but not without
careful adaptation to this festive occasion:
Today, dear people, is the seventieth anniversary
Of the birth of our old man so hale and hearty.
Look at him, the fiery elder with his bearded countenance,
His hair silvery and eyes shining with so much vigilance!
Even if the minor seconds and some of the tritones
- the sounds that have given his music a style of its own
Even if these tones, dissonant as they are in their place,
Engraved runes and little wrinkles in his wise face,
This cheerful fellow is still bursting with youth and energy,
And from his lips bubbles a stream of unstoppable speech
Full of anecdotes and information we should know,
Karl Heinz is familiar with most things about body and soul,
About Kafka and Heisenberg, Wilhelm and Frederick II the Great,
- as well as the Prussian empire’s history to date
Which means taking the owls of Brandenburg March to Spree-Athens He not only knows (and, in turn, also knows that we all know this)
How to use the rules of serious music in a way that is ideal,
Layering both bravely and heartily the friction’s appeal
One upon the other and side by side in Euterpe’s realm,
He even knows the delights of classical jazz and how to enjoy them
And often, late in the evening, back to the roots he is drawn
Inspired by wine, full of fire, with powerful wings to carry him on
Karl Heinz thunders the chords and cascades so massively,
That he hardly spares the piano’s sensitive keys.
What has happened to the subtle texture of the Lost Tango?
Where did the tender Song of Virgins in the Garden go?
Everything unites in the undulating muse’s primal stream,
Yet Adorno is turning in a grave that is clammy and unseen.
So now our glistening glasses should all be raised
Drink to him and with him as he celebrates his special day!
May fate in its mercy long spare you
Of the evil dangers that threaten as we grow older too!
Allow yourself, and your friends, one more schnapps in the glass,
And may you be given many more fruitful years as they pass!
Now it’s time for the whole group here to call out and applaud:
Oh, friend Karl Heinz Wahren - may you and yours be blessed by God!
[*]Note: In Search of the Lost Tango and the Song of Tuscan Virgins in the
Florentine Gardens at the Height of the Inquisition are compositions by Karl
Heinz Wahren. [Translated by GEMA member Christine Grimm]
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Zum Tode von Norbert Schultze (1911 - 2002)
von Karl Heinz Wahren
On the Death of Norbert Schultze (1911 - 2002)
by Karl Heinz Wahren
Norbert Schultze wurde 1911, zu Zeiten der kaiserlichen Monarchie, geboren und eingeschult. Er absolvierte Gymnasium, Abitur und Musikstudium während
der Weimarer Republik, dann in der Hitlerdiktatur erlebte er den Aufstieg zu einem der erfolgreichsten und
höchstbezahlten deutschen Filmkomponisten. Nach
dem II. Weltkrieg erhielt er mehrere Jahre Berufsverbot, um nach seiner Entnazifizierung erneut seine
Karriere als renommierter Film- und Fernsehkomponist zu machen.
Norbert Schultze was born in 1911 and started school
at the time of the imperial monarchy. He attended
grammar school, took his matriculation exam and finished his music studies during the Weimar Republic
and then under Hitler’s dictatorship he experienced his
rise to become one of the most successful and best
paid German film composers. After World War II he
was banned from pursuing his profession for several
years only to resume a career as a renowned film and
television composer after his denazification.
Das lange Leben des Norbert Schultze durch vier politische Gesellschaftsordnungen sowie sein umfangreiches kompositorisches Schaffen stellen sich der breiten Öffentlichkeit vor allem in zwei Liedern polarisiert
dar:
Dem 1938 entstandenen Chanson Lili Marleen und
dem 1940 vertonten Marschlied Bomben auf Engelland.
For the public at large, there are two songs in particular that reveal the polarity of Norbert Schulze’s comprehensive work as a composer and the long life that
took him through four different political systems:
The chanson Lili Marleen written in 1938 and the marching song Bomben auf Engelland - Bombs on England - set to music in 1940.
Dabei begann alles so gutbürgerlich in der preußischen
Residenzstadt Braunschweig. Während der Vater, in
der Familientradition Medizinprofessor, als Stabsarzt
in den I. Weltkrieg einberufen wurde, sorgten die rührigen Großeltern für den ersten Klavierunterricht. Als
13-Jähriger komponierte der Gymnasiast bereits ein
Lied auf Verse von Ludwig Uhland. Auch Geigenspiel
wurde geübt. Nach dem Abitur ging es nach Köln zur
Musikhochschule. Bei dem Busoni-Schüler Philipp
Jarnack wurde Harmonielehre und Instrumentation
studiert, bei Hermann Abendroth Dirigieren, an der
Universität Musik- und Theaterwissenschaft belegt.
And everything started from a solid middle-class background in the Prussian town of Braunschweig. While
his father, a medical professor in the family tradition,
was conscripted as a captain of the medical corps in
World War I, his busy grandparents made sure he got
his first piano lessons. At the age of 13, the grammar
school pupil had already composed a song on verses
of Ludwig Uhland. He also learned to play the violin.
After his school-leaving examination, he went to the
music conservatory in Cologne. He studied harmony
and instrumentation with Philipp Jarnack, a former Busoni student, conducting with Hermann Abendroth and
musicology and theatre at the university.
Im dritten Studienjahr lockte aus München das eben
gegründete Studentenkabarett Die vier Nachrichter
- so benannt nach Frank Wedekinds Ensemble Elf
Scharfrichter. Als Pianist, Komponist und Mitspieler,
engagiert von Helmut Käutner, Bobby Todd und Kurt
E. Heyne wird ihm das Pseudonym Frank Norbert verpasst: “Schultze klingt für bayrische Ohren zu preußisch.” Mit der Revue Hier irrt Goethe gelingt dem
begabten Quartett, das alle Texte selbst schreibt, ein
sensationeller Erfolg. Die vielseitige Gruppe wird zum
Gastspiel nach Berlin ins Renaissance-Theater eingeladen. In der Charlottenburger Kantstraße lernen
sie den Groschenkeller (neben dem Kantgaragenhaus) kennen; dort verkehren Heinrich George, Werner Kraus, Lotte Lenya, Kurt Weill, Bert Brecht, Trude
In the third year of his studies he was inveigled into
joining the newly founded students’ cabaret Die Vier
Nachrichter - The four messengers - from Munich - named after Frank Wedekind’s ensemble Elf Scharfrichter - Eleven Executioners. Engaged by Helmut Käutner, Bobby Todd and Kurt E. Heyne as piano player,
composer and member of the ensemble he received
the pseudonym Frank Norbert: “Schultze sounds too
Prussian for Bavarian ears.” The talented quartet that
wrote all its own texts had a sensational success with
its revue Hier irrt Goethe - Goethe is wrong here.
The multi-talented group was invited to Berlin for a
guest performance in the Renaissance Theatre. In
the Charlottenburg Kantstrasse they got to know the
Groschenkeller - Penny Cellar - (next to the Kant-
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Hesterberg und viele andere damalige Stars. Die vier
Glückspilze lassen sich von der Prominenz verwöhnen
und planen nach vierzig ausverkauften Vorstellungen
eine Deutschlandtournee. Das Ensemble war für diese Goetherevue - 1932, dem hundertsten Todesjahr
des Dichters - mit Damen erweitert worden. So lernte
er seine erste Frau kennen, die Schauspielerin Vera
Spohr.
Er suchte nun ein festes Theaterengagement und
fand es in Heidelberg als Chordirektor und Korrepetitor mit Dirigierverpflichtung. Nach weiteren Engagements, jetzt als Kapellmeister in Darmstadt, München
und Leipzig, landete er schließlich wieder als Frank
Norbert bei dem alten Nachrichter-Ensemble im Berliner Theater in der Saarlandstraße (heutiges Hebbeltheater) mit dem Stück Die Nervensäge. Inzwischen
schrieb man das Jahr 1934. Beim “Röhm-Putsch”
zeigt sich erstmalig die menschenverachtende Erbarmungslosigkeit und Brutalität des NS-Systems für
einen Moment ganz offen. Aber trotzdem glaubt man
noch sehr naiv, dass dieser “braune Spuk” bald wieder
vorüber sein wird.
Norbert Schultze schließt 1935 einen Vertrag mit der
Schallplattenfirma AEG-Telefunken als Koordinator
für die Unterhaltungsmusikproduktionen. Damals wurde die Musik mit Saphir in dicke, temperierte Wachsplatten geschnitten, von denen im nachfolgenden
industriellen Verfahren die schwarzen Schellackplatten gepresst werden. Zusätzlich verdient sich Norbert Schultze Geld als Komponist mit Werbemusik.
Das Ziel, eine eigene Oper zu schreiben, hat er dabei nicht aus dem Auge verloren. Aus dem plattdeutschen Märchen Erik entwickelt er ein Szenarium, in
dem das Kartenspiel Schwarzer Peter die Handlung
vorantreibt. In Walter Lieck findet sich schließlich ein
begabter Librettist, mit dem er - neben seiner Telefunken-Tätigkeit - an dem aufwändigen Projekt arbeitet.
Überraschend für die beiden jungen Autoren setzt die
Hamburger Staatsoper die “Heitere Oper für kleine
und große Leute” - so der Untertitel des Schwarzen
Peter - für Weihnachten 1936 kurzfristig als Uraufführung auf den Spielplan. 50 Jahre später meint Norbert
Schultze: “Nur wenn man noch ein Greenhorn von 25
Jahren ist, traut man sich zu, eine so große und völlig
ungewohnte Aufgabe in so kurzer Zeit zu bewältigen.”
Aber es klappte, Schwarzer Peter wurde beim Publikum, ob groß oder klein, und ebenso bei der Kritik ein
glänzender Erfolg und anschließend auch gleich von
zahlreichen weiteren Bühnen übernommen.
garagen house); regular guests there were Heinrich
George, Werner Kraus, Lotte Lenya, Kurt Weill, Bert
Brecht, Trude Hesterberg and many other stars of the
time. The lucky foursome allowed themselves to be
pampered by these celebrities and after forty sold-out
performances planned a tour through Germany. The
ensemble had been augmented by the addition of several ladies for this Goethe revue - 1932 was the year
of the 100th anniversary of the poet’s death. This is
when Norbert Schultze met his first wife, the actress
Vera Spohr.
After that he began looking for a permanent appointment at a theatre and found it in Heidelberg as director of the choir and coach together with conductor’s
duties. After further engagements as director of music
in Darmstadt, Munich and Leipzig, he finally ended up
once again as Frank Norbert with the old Nachrichter ensemble at the Berlin Theatre in Saarlandstrasse
(today’s Hebbel Theatre) with the piece Die Nervensäge - Pain in the neck. By now it was the year 1934. For
the first time the “Röhm putsch” made momentarily
manifest the merciless contempt for mankind and brutality of the NS system. But most of the people were
still naïve enough to believe that this “brown spectre”
would soon be over.
In 1935 Norbert Schultze concluded a contract with
the AEG-Telefunken record company as co-ordinator
for light music productions. In those days the music
was cut with sapphires on thick, heated wax sheets
from which the black shellac records were then
pressed in the industrial manufacturing process that
followed. Norbert Schultze also earned some money
as a composer of advertising music. But he did not
lose touch with his aim of writing an opera of his own.
Based on the Low German fairytale Erik, he developed a scenario where the action is hurried along by
the card game Schwarzer Peter. In Walter Lieck he
found a talented librettist with whom - in addition to his
work with Telefunken - he worked on this demanding
project. It came as a surprise to the two young authors
when at short notice the Hamburg State Opera put the
“Amusing Opera for Young and Old” - the subtitle of
Schwarzer Peter - on the programme as a premiere
for Christmas 1936. 50 years later Norbert Schultze
observed: “Only a greenhorn of 25 years of age can
think one is capable of mastering such a major and
completely unaccustomed task in such a short period
of time.” But it worked out. Schwarzer Peter became
a brilliant success with the audience, young and old,
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Die Uraufführung, die eigentlich Dr. Hans Schmidt-Isserstedt leiten sollte, der aber wegen plötzlicher Erkrankung absagen musste, dirigierte Norbert Schultze
selbst; er wurde dabei auch in seinem Talent als Dirigent bestätigt.
Der große Erfolg dieser Märchenoper sollte für den
Autor später Konsequenzen haben, die direkt zu dem
verhängnisvollen Bomben auf Engelland führten.
Doch jetzt herrschte noch Frieden in Europa, hatte
Hitler doch gerade erst bei den Olympischen Spielen
in Berlin seine angebliche Weltoffenheit und Versöhnlichkeit demonstrativ zur Schau getragen.
Im September 1935 verabschiedete die NS-Regierung
die “Gesetze zum Schutze des deutschen Blutes und
der deutschen Ehre” anlässlich des Nürnberger Parteitages der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Danach wurde sowohl ein Liebesverhältnis als auch die Eheschließung zwischen “Juden
und deutschen Staatsangehörigen” mit Gefängnis
oder Zuchthaus - was praktisch Konzentrationslager
bedeutete - geahndet. Diese “Nürnberger Gesetze”
schufen die juristische Grundlage für die Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Mitbürger, deren
Ausmaße täglich sichtbarer wurden.
Aber die große Mehrheit der Deutschen ließ sich
durch die Beseitigung der Arbeitslosigkeit blenden,
durch das Angebot von KdF-Reisen (Kraft durch Freude) und den scheinbar soliden wirtschaftlichen Aufschwung.
Die euphemistischen Reden des Propagandaministers
Joseph Goebbels verbreiteten Rundfunk und Wochenschau bis in die letzten Winkel des III. Reiches.
Von dieser raffinierten Mischung aus Tatsachen und
Lügen ließ sich das deutsche Volk willfährig betäuben
und glaubte allzu gern an die Friedfertigkeit dieses Systems, trotz der inzwischen offensichtlich gewordenen
massiven militärischen Aufrüstung. Hermann Göring,
Chef der Luftwaffe und des industriellen Fünf-JahresPlans: “Wir brauchen Kanonen statt Butter!”
Norbert Schulze schwimmt inzwischen auf der Welle
des Erfolges mit völlig unpolitischen Kompositionen
wie mit der Oper Kaspar (im Krieg verloren gegangen), dem Ballett Max und Moritz (Hamburger Staatsoper) und der plattdeutschen Kantate Sünnschien un’
Regen, ein volkstümliches Gegenstück zu Joseph
Haydns Jahreszeiten. Die Filmbranche wird auf den
begabten, seriösen, jungen Komponisten aufmerk-
and also with the critics, whereupon it was taken over
immediately by many other theatres.
Originally Dr. Hans Schmidt-Isserstedt had been supposed to conduct the premiere, but had to call it off
because he suddenly fell ill, so Norbert Schultze conducted it instead and thus confirmed his talent as a
conductor.
The great success of this fairytale opera was later to
have consequences for the author that led directly to
the disastrous Bomben auf Engelland. But at the time
Europe was still at peace, and Hitler had only just displayed demonstratively his alleged cosmopolitan attitudes and conciliatory nature at the Olympic Games
in Berlin.
In September 1935 the NS government adopted the
“Laws for the Protection of German Blood and German
Honour” at the Nuremberg party convention of the Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP).
According to these laws a relationship or a marriage
between “Jews and German nationals” was punishable by prison or penal servitude - which to all intents and
purposes meant a concentration camp. These “Nürnberger Gesetze” (Nuremberg Laws) created the legal
basis for the discrimination and persecution of the Jewish citizens and the extent of this became more and
more apparent with every day.
But the great majority of the Germans were dazzled by
the elimination of unemployment, by the offer of KdF
trips (Kraft durch Freude - Strength through Joy) and
the apparently solid economic recovery.
The radio and the Wochenschau in the cinemas disseminated the euphemistic speeches of propaganda minister Joseph Goebbels to the furthest corners of the
Third Reich. With due compliance the German people
allowed themselves to be mesmerised by this cunning mixture of facts and lies and were all too willing
to believe in the peacefulness of the system despite
the massive military rearmament that had become obvious in the meantime. Said Hermann Goering, head
of the Luftwaffe and of the industrial five-year plan:
“We need cannons instead of butter!”
Norbert Schultze by then was riding a wave of success with compositions of a completely non-political
nature such as the opera Kaspar (lost during the war),
the ballet Max and Moritz (Hamburg State Opera)
and the Low-German cantata Sünnschien un’ Regen
(Sunshine and Rain), a popular counterpart to Jose-
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sam und engagiert ihn. Bei der Tobis-Filmgesellschaft
entsteht der Musikfilm Renate im Quartett. Ein kleines
Bratschenkonzert, Mozart nachempfunden, ist Norbert
Schultzes kompositorischer Einstieg in die Filmmusik.
Helmut Käutner engagiert den “Kleinen Mozart”, wie
ihn Kollegen hänseln, für seinen Terra-Film Frau nach
Maß, für den allerdings moderne Tanzmusik verlangt
wird. Norbert Schultze schafft auch diesen Spagat
zwischen E- und U-Musik und schreibt sein erstes
Schlagerlied: Ich möchte so sein wie du mich willst.
Nun häufen sich die Angebote für Film-Vertonungen.
Norbert im Glück?
In seiner alten Stammkneipe, dem Groschenkeller, wo
sich nach Feierabend allerlei Künstlerkollegen treffen,
bittet ein befreundeter Basssänger Schultze, ihm ein
paar Shantys für eine Radiosendung zu schreiben,
dabei drückt er ihm die Gedichtesammlung Die kleine
Hafenorgel von Hans Leip in die Hand.
Norbert vertont daraus zehn Gedichte und spielt sie
dem Freund vor. Der aber ist enttäuscht, findet das
alles zu sanft, viel zu lyrisch, “für kleine Mädchen”;
er, der Sänger, hatte an etwas Zünftiges, eher Derbes “für Männer” gedacht. Die Lieder werden von
Schultze reihum bei Verlagen und Schallplattenfirmen
angeboten, doch keiner greift zu. Nur Helmut Käutner bedankt sich für die hektographierten Abzüge von
Norberts sauberer Reinschrift und gratuliert, speziell
zu dem Lied Lili Marleen. Schließlich erhält auch die
alte Freundin aus den frühen 30-erJahren, Lieselotte
Wilke, jetzt als Sängerin unter dem Namen Lale Anderson im Berliner Kaiserhof engagiert, einen Abzug.
Während Schultze als Dirigent in Berlin die Erstaufführung des Schwarzen Peter leitet und im Wechsel
damit in der Hamburger Staatsoper sein neues Ballett
Max und Moritz dirigiert, steckten die Nazis Synagogen in Brand, verwüsteten jüdische Geschäfte und
ermordeten unschuldige Menschen: Der 9. November
1938 ging als Reichspogromnacht in die Geschichte
ein. Lale Andersen sang im Rundfunk zum ersten Mal
Lili Marleen.
Die von Electrola produzierte Schallplatte fand aber
kaum Käufer.
Norbert Schultze musste zur Musterung und wird als
k.v. (kriegsverwendungsfähig) der Infanterie zugeschlagen. Nach dem Kriegsausbruch am 1. September 1939 erwartet er täglich seine Einberufung. Aber
als der Polenfeldzug nach sechs Wochen vorüber ist,
wird ihm die Vertonung des Films Feuertaufe angebo-
ph Haydn’s Four Seasons. The film business became
aware of the talented, serious, young composer and
offered him a job. The Tobis film company produced
the music film Renate im Quartett (Renate in quartet).
A minor concerto for viola, after Mozart, was Norbert
Schultze’s first compositional work for film music. Helmut Käutner hired the “Little Mozart”, as he was called
teasingly by colleagues, for his Terra film Frau nach
Maß (Woman made to measure) for which, however,
modern dance music was required. Norbert Schultze
also succeeded in walking the tightrope between serious and light music and wrote his first hit: Ich möchte
so sein wie du mich willst (I want to be like you want
me).
Now came more and more offers for writing film music.
Norbert in luck?
In his old local, the Groschenkeller, where numerous
fellow artists met after work, Schultze was asked by
a bass singer he was acquainted with to write a few
shanties for a radio broadcast and gave him Die kleine
Hafenorgel, a collection of poems by Hans Leip.
Norbert set ten of the poems to music and played them
to his friend. The friend, however, was disappointed,
considered everything to be too soft, too lyrical, “for little girls”; he, the singer had thought of something more
vigorous, rather coarse “for men”. Schultze offered
the songs to a number of publishers and record companies but nobody took them. Only Helmut Käutner
thanked him for the hectographed copies of Norbert’s
neat manuscripts and congratulated him especially on
the song Lili Marleen. And finally his old friend from
the thirties, Liselotte Wilke, at the time engaged as a
singer under the name of Lale Anderson at the Berlin
Kaiserhof, also received a copy. While Schultze was
switching between managing the premiere of Schwarzer Peter as conductor in Berlin and conducting his
new ballet Max and Moritz at the Hamburg State Opera, the Nazis were setting synagogues on fire, devastating Jewish shops and murdering innocent people:
November 9th, 1938 went down in the annals of history as the Reichsprogromnacht. And Lale Anderson
sang Lili Marleen on the radio for the first time.
But the record, which was produced by Electrola, scarcely found any buyers.
Norbert Schultze was recruited for military service
and, being of sound mind and body, was assigned to
the infantry. When war broke out on September 1st,
1939 he expected to be called up any day. But the
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ten, produziert im Auftrag des Göringschen Luftfahrtministeriums.
Um die Kompositionsarbeit im Film nicht durch die
plötzliche Einberufung zu gefährden, will die zuständige Filmfirma TOBIS Norbert Schultze “u.k.” (unabkömmlich) schreiben lassen. Da stellt sich heraus,
dass dieser Komponist längst auf der so genannten
“Führerliste” steht, d. h. er darf für die Dauer des
Krieges nicht zum Militär einberufen werden. Ein ihm
völlig unbekannter Dr. Scherler im Propagandaministerium hatte Norbert Schultze nach der Uraufführung des Schwarzen Peter für würdig befunden, dem
deutschen Volk als Künstler erhalten zu bleiben. Der
Haken an der Sache: Von nun an heißt es nicht nur
künstlerisch, sondern auch propagandistisch dem III.
Reich zu dienen.
Für den Luftwaffen-Dokumentarfilm Feuertaufe muss
er auch gleich den Text Bomben auf Engelland - (“Kamerad! - Kamerad! Alle Mädchen müssen warten!”)
vertonen. Aus dem “Kleinen Mozart” war plötzlich der
“Bomben - Schultze” geworden.
In seinen Lebenserinnerungen schreibt Norbert Schultze 55 Jahre später: “Wenn ich das Lied heute wieder
höre, gibt es mir jedes Mal einen Stich ins Herz: Was?
Das hast du komponiert? Das peinigt mich dann oft
tagelang und lässt mich nicht schlafen, vor Schreck
und Scham - heute noch.”
Auch privat hatte sich Norbert Schultzes Leben verändert. 1941 lernte er die bulgarische Filmschauspielerin und Sängerin Iwa Wanja kennen und heiratete
sie 1943. In dieser Zeit entsteht die Märchenoper Das
kalte Herz nach Wilhelm Hauff, im Auftrag der Stadt
Leipzig. Im gleichen Jahr, 1943, der Film Symphonie
eines Lebens, welcher in vier symphonischen Sätzen mit Rückblendetechnik das gesellschaftlich zerbrochene Leben eines Komponisten erzählt. Dieser
Film hat mich als Schüler seinerzeit tief beeindruckt
mit seiner spätromantischen, an Brahms angelehnten
symphonischen Orchestermusik. Die Partitur ging im
Krieg verloren. Von dem Film existieren nur noch zwei
technisch mäßig gut erhaltene Lichttonkopien.
Bereits 1940 war Norbert Schulze in die NSDAP eingetreten, denn das hatte man ihm sehr empfohlen,
vor allem um nicht doch wieder von der “Führerliste”
gestrichen zu werden und beim Infanterie-Einsatz an
der Ostfront statt seines musikalischen Talents militärische Todesbereitschaft für “Führer und Volk” demonstrieren zu müssen.
Poland campaign was over in six weeks and after that
he was invited to write the music for the film Feuertaufe, produced on commission by Goering’s Ministry of
Aviation.
In order not to jeopardise the compositional work in the
film because he might suddenly be called up, TOBIS,
the company making the film wanted to have Norbert
Schultze classified as being “in a reserved occupation”. It then emerged that this composer had long since
been on the so-called “Führer’s list”, i.e., that he was
exempt from conscription for the duration of the war.
After the premiere of Schwarzer Peter, a certain Dr.
Scherler in the propaganda ministry, who was absolutely unknown to him, had found Norbert Schultze worth
keeping as an artist for the German people. The snag
was that, from now on, he had to serve the Third Reich
not only as an artist but also as a propagandist.
For the Luftwaffe documentary Feuertaufe he also had
to set the text of Bomben auf Engelland - (“Kamerad! Kamerad! Alle Mädchen müssen warten!” - “Comrade!
- Comrade! All the girls must wait!”). “Little Mozart” had
suddenly become “Bomber - Schultze”.
55 years later Norbert Schultze wrote in his memoirs:
“Every time I hear this song today I am cut to the quick:
what? You actually composed this? It often tortures
me for days and I cannot sleep owing to my terror and
shame - even today.”
Norbert Schultze’s life had also changed in his private sphere. In 1941 he met the Bulgarian film actress
and singer Iva Vanja and they were married in 1943.
At that time he was writing the fairytale opera Das
kalte Herz (The cold heart), based on Wilhelm Hauff,
commissioned by the city of Leipzig. In the same year,
1943, the film Symphonie eines Lebens - A life’s symphony - which in four symphonic sets using the flashback technique describes the socially shattered life of
a composer. As a pupil I was deeply impressed by the
film at the time with its Late Romantic symphonic orchestral music adapted from Brahms. The score was
lost in the war. There are only two copies of the film
today, in the form of photographic sound recordings of
poor technical quality.
Norbert Schultze had already become a member of
the NSDAP in 1940 because he had been urgently
prevailed upon to do so, especially to avoid being
struck from the “Führer’s list” and having to demonstrate his readiness to die as a soldier in the infantry
on the Eastern front, instead of his musical talent.
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Norbert Schultze beschloss, sich und seinen inzwischen zwei Familien sein Leben zu erhalten und komponierte entschlossen und erfolgreich weiter, alle politischen und kriegerischen Turbulenzen verdrängend.
Neben unpolitischen Spielfilmen wie Aus erster Ehe,
Gold für Frisco, Die Nacht der Zwölf oder Sommer,
Sonne, Erika entstand die Musik zu politischen Historienfilmen wie Bismarck oder Affäre Rödern, zu dem
Kriegsfilm Kampfgeschwader Lützow, und schließlich,
kurz vor dem Zusammenbruch des III. Reiches, vertonte er noch den monumentalen Durchhaltefilm Kolberg (Veit Harlan).
Nach dem Kriege wurde Norbert Schultze bei seiner
“Entnazifizierung” als “Mitläufer” eingestuft, musste
aber zunächst, anstatt wie bisher die fünf Notenlinien
zu füllen, einige Straßen reparieren, Gärten wiederaufbauen und als sanften Übergang in sein eigentliches Berufsleben für politisch nicht belastete Kollegen
Orchesterstimmen herausschreiben.
1948 war es für ihn schließlich wieder so weit und die
Schultz’schen Filmkompositionen begleiteten von da
an das deutsche Wirtschaftswunder musikalisch erfolgreich. Neben den zahlreichen Filmvertonungen
komponierte Norbert Schultze auch für die Bühne.
Berühmt wurde sein Musical Käpt’n Bay-Bay mit dem
melodiösen Hauptsong Nimm mich mit Kapitän auf die
Reise und dem Lied Kleine weiße Möwe.
Im Verlaufe der Jahre entstanden die Bühnen-Revue
Wir können uns das nicht leisten, die Operette Regen in Paris, die Märchen mit Musik Prinzessin auf
der Erbse, Schneekönigin, Schneewittchen und Das
tapfere Schneiderlein, die Lustspiele mit Musik Junge
Spatzen und Kurzschluss.
Das wichtigste Genre aber blieb für Schultze weiterhin der Film und später das Fernsehen. Der Käpt’n
Bay-Bay wurde mit Hans Albers verfilmt und durch
die anschließende Schallplattenproduktion einer der
größten musikalischen Erfolge Schultzes.
Er selbst sieht seine umfangreiche Filmarbeit sehr kritisch: “Unter den 25 Filmen, zu denen ich innerhalb
von 10 Jahren die Musik geschrieben habe, sind, bei
Lichte besehen, nur wenige, die zu erwähnen sich
lohnt.” Das liegt freilich viel eher an den Drehbüchern
und der Regie als am Komponisten. Eine positive Ausnahme ist hier der 1958 von Rolf Thiele gedrehte Film
Das Mädchen Rosemarie. Der nie aufgeklärte Mord
an einer Frankfurter Edel-Prostituierten zeigt das damalige bundesdeutsche Wirtschaftswunderland - mu-
Norbert Schultze decided to preserve his life for himself and for the two families he had in the meantime
and continued his work as a composer with determination and success, putting all political and wartime
turbulences from his mind. Along with feature films of
a non-political nature such as Aus erster Ehe - From
the first marriage -, Gold für Frisco - Gold for Frisco -,
Die Nacht der Zwölf - The night of the twelve - or Sommer, Sonne, Erika - Summer, sun, Erika - he wrote the
music to political historical films such as Bismarck or
Affäre Rödern - Rödern affair-, to the war film Kampfgeschwader Lützow - Lützow fighter squadron - and
finally, shortly before the collapse of the Third Reich,
he wrote the music for the monumental film Kolberg
(Veit Harlan).
After the war Norbert Schultze was classified as a
“fellow traveller” during his “denazification”, but, instead of writing musical scores, he began by repairing
roads, reconstructing gardens and, as a gentle return
to his old profession, writing out orchestra parts for
colleagues who were politically untainted.
In 1948 he was finally allowed to resume his work and,
from then on, Schultze’s film compositions began to
successfully accompany - in musical terms - the German economic miracle.
Along with the large amount of music he wrote for films,
Norbert Schultze also composed for the theatre. The
musicals that achieved fame were his Käpt’n Bay-Bay
with the melodious theme song Nimm mich mit Kapitän auf die Reise (Take me on a journey captain) and
the song Kleine weiße Möwe (Little white seagull).
Over the years he wrote the stage revue Wir können
uns das nicht leisten - We cannot afford this, the operetta Regen in Paris (Rain in Paris), the fairytales with
music Prinzessin auf der Erbse (The princess on the
pea), Schneekönigin (The snow queen), Schneewittchen (Snow White) and Das tapfere Schneiderlein
(The brave little tailor) and the comedies with music,
Junge Spatzen (Young sparrows) and Kurzschluss
(Short-circuit).
But the most important genre for Schultze continued
to be the film and later television. Käpt’n Bay-Bay was
made into a film starring Hans Albers and, thanks to
the record production that followed, became one of
Schultze’s greatest musical successes.
He himself took a very critical view of his extensive
work for film: “Seen in the cold light of day, of the 25
films for which I wrote the music within a period of 10
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sikalisch verschärft durch satirische Moritaten - mit
seinen sozialen Verwerfungen kritisch und dabei kaba
rettistisch überhöht. Die Besetzungsliste liest sich wie
ein Ausschnitt aus dem “Gotha” der Schauspieler.
Die “Aufarbeitung” unserer Zeitgeschichte geschah
damals eher beiläufig und ohne beunruhigende Reflexion, aber mit viel Verdrängungsfähigkeit zum III.
Reich.
Norbert Schultze jedoch sah das im Zusammenhang
mit seiner eigenen Vergangenheit für sich selbst jetzt
kritisch: “Nur zwei historisch-politische Sujets fallen
aus dem Rahmen der Nichtigkeiten: Einmal 1958 U
47 - Kapitänleutnant Prien, da klingt als Zeitdokument
mein U-Boot-Lied von 1942 noch einmal auf, jetzt
natürlich vor dem tragischen Hintergrund des Untergangs und mit der verspäteten Erkenntnis eines sinnlos gewordenen Opfers. Für mich persönlich erschütternd, da ich 1942 vielleicht noch blauäugiger als der
berühmte Kapitänleutnant dessen Todesfahrt musikalisch begleitet habe, - 1960 Soldatensender Calais
unter Regie von Paul May. Darin ist Lili Marleen ein
Lied, das mit dem Widerstand verknüpft ist - wie Lucie
Mannheims Version des Liedes, die 1942 und 1943
von der BBC London ausgestrahlt wurde.”
Trotz der vielen Aufträge, des notwendigen, zeitraubenden Notenschreibens, der Auftritte als Pianist und
Dirigent und der vielen Reisen fühlte sich Norbert
Schultze verpflichtet, für seine Kollegen durch ehrenamtliche Tätigkeiten in der GEMA und dem Deutschen
Komponistenverband auf einen Teil seiner ohnehin
geringen Freizeit zu verzichten. Vier Jahrzehnte lang,
von 1956-1996, half er als Kurator der GEMA-Sozialkasse zahllosen in Not geratenen Kollegen, über berufliche oder auch persönliche Schicksalsschläge wenigstens finanziell hinwegzukommen. Uns jüngeren
Autoren stand er stets mit seinen realitätsgeprüften,
lebensklugen Ratschlägen zur Verfügung, schenkte
uns in vielen Gesprächen bereitwillig seine wache
Aufmerksamkeit. Er vermochte immer mit feinem Gespür aufzumuntern und den naiven Nachwuchs durch
ehrliche Worte vor den Fallstricken unseres Risikoberufes zu warnen oder auch hoffnungsvolle Wege
aus fälschlich eingeschlagenen musikalischen Sackgassen zu weisen. Das alles ohne Besserwisserei
oder gar Überheblichkeit, sondern mit ermutigender,
freundlicher Kollegialität.
Von 1973 bis 1992 war er stellvertretendes Vorstandsmitglied des Deutschen Komponistenverbandes und
engagierte sich zusätzlich für die Interessen seiner
years only a few are worth mentioning.” The reasons
for this were of course rather the scripts and the directors than the composer. A positive exception in this
context is the film Das Mädchen Rosemarie (The girl
Rosemarie) made by Rolf Thiele in 1958. The unsolved murder of a high-class prostitute in Frankfurt critically shows the Germany of the time as the land of the
economic miracle - musically highlighted by satirical
street ballads and heightened in the cabaret style with all its social distortions. The cast list reads like an
excerpt from the actors’ “Gotha”.
The method of “coping with” our contemporary history
in those days was more of an incidental process and
without any disturbing reflections but with a great gift
for repressing memories of the Third Reich.
Norbert Schultze, however, viewed this very critically
in connection with his own past as far as it had a bearing on himself: “Only two historical-political subjects
distinguish themselves from the list of trivialities: once
in 1958 U 47 - Kapitänleutnant Prien, with my submarine song from 1942 as a document of the time, now
of course against the tragic background of the sinking
of the vessel and the delayed realisation that the sacrifice was meaningless. What causes me particular
personal distress is the fact that in 1942 I provided the
musical accompaniment to its fatal voyage even more
naively than the famous lieutenant - and in 1960 the
film Soldatensender Calais (Army radio station Calais) directed by Paul May. It contains Lili Marleen, a
song that is associated with the resistance - like Lucie
Mannheim’s version of the song that was broadcast in
1942 and 1943 by BBC London.”
Despite the many commissions, the necessary timeconsuming business of writing music, his appearances as pianist and conductor and his many trips, Norbert Schultze felt obliged to spare some of the little
time that remained for his colleagues, for honorary
work with GEMA and the German Composers’ Association. As trustee of the GEMA Welfare Fund for four
decades, from 1956-1996, he helped a large number
of colleagues who had fallen on hard times to overcome their professional or personal misfortunes at
least in financial terms. He always helped us younger
authors with wise advice gathered from his own real
experiences, and was always willing to lend us his full
attention in the many talks we had with him. He had
a constant flair for cheering us up and warning naive
young authors against the traps of our risky profession or showing us promising ways out of musical dead
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Kollegen mehrere Jahrzehnte im GEMA-Werkausschuss, dem Wertungs- und Beschwerdeausschuss
sowie in der Verteilungsplankommission; außerdem
von 1959 bis 1996 im Kuratorium der Versorgungsstiftung der deutschen Komponisten.
Als er 1996 anlässlich seines 85. Geburtstages für
seine Aktivitäten um die Bewahrung des geistigen
Eigentums sowie die Verbesserung des ideellen und
finanziellen Schutzes der Musikautoren mit dem Ehrenring der GEMA ausgezeichnet wurde, betonte der
GEMA-Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. Reinhold Kreile: “ Norbert Schultze hat die GEMA mitgeprägt, und
die Gemeinschaft der Komponisten, Textdichter und
Verleger verdankt ihm viel.”
Bereits 1973 wurde ihm die höchste repräsentative
Ehrung der deutschen Unterhaltungsmusik verliehen,
der “Paul-Linke-Ring”. 1980 überreichte ihm im Fernsehen Peter von Zahn die “Goldene Europa”, worauf
Norbert Schultze - mit der kleinen Statue in der Hand
- feststellte: “Die Hälfte dieser Dame gehört bitte Hans
Leip.” Der damals 87-jährige Dichter der Lili Marleen
schrieb umgehend: “Dankeschön, lieber Norbert, aber
eine Dame teilt man nicht.” Für sein umfangreiches
Bühnen-Œuvre würdigte die Dramatiker-Union Norbert Schultze 1981 mit der “Goldenen Nadel”.
Im Jahr zuvor produzierte der WDR-Hörfunk die Märchenoper Schwarzer Peter und 1984 Das kalte Herz
in einer neuen Fassung. Norbert Schultze dirigierte
beide Produktionen, die auch als CDs erschienen.
Nach dem Tode seiner Frau Iwa Wanja - inzwischen
aus dieser und seiner ersten Ehe mit sechs Kindern,
achtzehn Enkeln und vier Urenkeln gesegnet - zog er
1991 vorübergehend erst nach Hamburg, dann aber
nach Mallorca, wo er sein “Abendsonnenlicht” - wie er
sagt - kennen lernt und Ostern 1992 heiratet: Brigitt
Salvatori. Zehn Jahre waren ihm dann noch vergönnt,
die er zum größten Teil auf Mallorca, zwischendurch
immer wieder in Berlin und zuletzt in Bayern verbrachte. Norbert Schultze war nicht nur ein außerordentlich
begabter, er war auch ein bemerkenswert fleißiger
Komponist, dem allerdings trotz aller Intelligenz und
Weltläufigkeit in jungen Jahren seine politische Naivität zum Schicksal wurde. Er erkannte nicht das Teuflische im Nationalsozialismus, konnte sich aber damit
im Kollektivverhalten der meisten Deutschen bestätigt
fühlen - “Den Teufel spürt das Völkchen nie”, Mephisto, Faust I.
ends mistakenly taken. All this without a trace of condescension or even superciliousness, but in an encouraging, friendly and co-operative manner.
From 1973 to 1992 he was a deputy member of the
executive board of the German Composers’ Association and as well as that worked for his colleagues’ interests for several decades in the GEMA Works Committee, the Ratings and Complaints Committee and in
the Distribution Plan Committee; from 1959 to 1996
he was also active on the board of trustees for the
German composers’ pension foundation.
In 1996, on his 85th birthday, he was awarded the
GEMA Ring of Honour for his work in helping to safeguard intellectual property and in improving the moral
and financial protection of music authors. At the award
ceremony GEMA President Professor Kreile observed
most emphatically: “Norbert Schultze has helped to
shape GEMA and the community of composers, lyricists and publishers owes a great deal to him.”
As early as 1973 he was awarded the highest representative honour of German light music, the “Paul
Lincke Ring”. In 1980 Peter von Zahn awarded him
the “Golden Europa” on television, whereupon Norbert
Schultze - the little statue in his hand - stated, “Half
of this lady belongs to Hans Leip.” The then 87-yearold author of the lyrics to Lili Marleen, wrote back immediately: “Thank you, dear Robert, but one does not
share a lady.” In 1981 Norbert Schultze was awarded
the “Golden Pin” by the Dramatists’ Union for his wideranging work for the stage.
One year earlier the WDR radio station produced a
new version of the fairytale opera, Schwarzer Peter,
and in 1984 Das kalte Herz. Norbert Schultze conducted both productions, which were also released on
CD.
After the death of his wife Iva Vanja - in the meantime
blessed with six children, eighteen grandchildren and
four great-grandchildren from this and his first marriage - he moved to Hamburg for a while in 1991 and
then to Mallorca where he met and married his “evening sunlight”- as he called her - at Easter in 1992, namely Brigitt Salvatori. He was granted the privilege of
another ten years which he mostly spent on Mallorca
and from time to time in Berlin and finally in Bavaria.
Norbert Schultze was not only an extremely talented
but also a remarkably industrious composer, whose
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In seiner symphonischen Stilistik blieb Norbert Schultze beständig der deutschen Spätromantik des ausgehenden 19. Jahrhunderts verhaftet, am deutlichsten in
dem filmischen Musikdrama Symphonie des Lebens.
Über seinen umfangreichen Werkkatalog, der fast alle
Musikgenres umfasst, wird für immer das eine kleine
Lied leuchten, das Lied von der Lili Marleen, dessen
ahnungsvolle Beklommenheit schon den Zyniker Joseph Goebbels irritierte, das aber über alle kriegerischen Fronten des II. Weltkrieges hinweg in die Herzen der Soldaten traf und ihre privaten Sehnsüchte
imaginierte: “Wenn sich die späten Nebel dreh’n ...”
young man’s political naivety, however, was to become his fate, despite all his intelligence and urbanity.
He was unable to see the diabolical in National Socialism, but could feel confirmed in not doing so by the
collective behaviour of most Germans. - “Den Teufel
spürt das Völkchen nie” (The people never sense the
devil), Mephisto, Faust I.
Musik war sein Leben
Zum Tode von Helmut Brandt
Von Karl Heinz Wahren
Fans Jazzclubs und in den frühen Fünfzigerjahren
wurden die ersten Jazz-Festivals initiiert. Dort, 1955
beim 3. Deutschen Jazz-Festival in Frankfurt a. M.,
katapultierte sich Helmut Brandt mit seiner Combo in
die vorderste Reihe der deutschen Jazzmusiker. Begeistert umjubelte das Publikum die junge Truppe aus
Berlin, mit der Besetzung Baritonsaxophon, Trompete, Piano, Bass und Drums. Die Arrangements schrieb
alle Helmut Brandt; auch seine ersten Kompositionen
entstanden, wie zum Beispiel die berühmte Ballade
„Nordlicht“.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges änderten
sich die musikalischen Hörgewohnheiten in Deutschland zunächst kaum. Zwar war die zuvor ständig präsentierte Marschmusik passee und es belebte sich die
Tanzmusik unter dem Einfluss des amerikanischen
Swing, aber die sinfonische Unterhaltungsmusik beherrschte als populäre Tochter der seriösen historischen Tonkunst neben den aktuellen Schlagern die
Programme der zahlreichen Rundfunksender.
Der Jazz galt vorläufig weiterhin - wie seit den späten
Zwanzigerjahren – als fremdartiger Bürgerschreck.
Nur die Jugend interessierte sich für diese auffällig
rhythmisch geprägte Musik mit zunehmender Begeisterung, sogar jenseits der sonst so üblichen sozialen
Begrenzungen. In den Metropolen wie Berlin (West),
Hamburg, München, Frankfurt und Köln gründeten
In his symphonic style, Norbert Schultze always remained rooted in the German Late Romanticism of
the late 19th century, most clearly in the musical film
drama Symphonie des Lebens. A little song will forever shine out above his comprehensive catalogue of
works that comprises nearly all genres, the song of Lili
Marleen, whose uneasy foreboding had irritated even
a cynic like Joseph Goebbels, but which went straight
to the hearts of the soldiers on all the fronts of World
War II and gave shape to their private longings: “Wenn
sich die späten Nebel dreh’n ...” (When the late mists
swirl).
In der Bundesrepublik begann sich der Jazz zu emanzipieren, und wenngleich die Musikbranche weiterhin
von den tradierten Genres beherrscht wurde, konnten sich doch deutsche Eigenarten in dieser bisher
ausschließlich nach US-amerikanischen Vorbildern
geprägten Musik langsam herausbilden. So fremd,
wie es uns verkrustete Vorurteile immer wieder weismachen wollten, war diese Musik ohnehin nicht. Sind
doch neben ihrem afrikanisch-amerikanischen Ur-
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sprung gerade im harmonischen Bereich und den
vom Musical des frühen 20. Jahrhunderts entlehnten
Elementen transponierte europäische Anteile deutlich
zu erkennen.
Als Miles Davis 1948 das Capitol Orchestra gründete
und mit dem Arrangeur Gil Evans das Klangideal der
Cool-Jazz-Ära begründete, war Helmut Brandt 17 Jahre alt und studierte in Berlin am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium Klarinette und Tenorsaxophon. Er
spielte bald in verschiedenen Berliner Clubs und holte
sich erste BigBand-Erfahrungen in den bekannten Orchestern Lubo D’Orio und Kurt Widmann, nachdem er
zum Baritonsaxophon überwechselte.
Als Arrangeur und Komponist Autodidakt, erarbeitete
er sich durch das Abhören und Nachschreiben von
Jazz-Schallplatten seine Orchestrierungskenntnisse
hartnäckig selbst. Helmut Brandt im Originalton: „Ich
habe die großen Jazzmusiker akribisch studiert. Stan
Kenton kenne ich seit meiner Jugend in- und auswendig. Von Schellack-Platten habe ich etwa zehn Titel
des Miles Davis Capitol Orchestras abgeschrieben
und nacharrangiert. Es waren sehr komplizierte Klänge, sehr schwer zu hören.“
Nach dem fantastischen Erfolg auf dem Frankfurter
Jazzfestival, seine Komposition „Sum“ war dort der
meistdiskutierte Beitrag, sah er für die Realisation
seiner größeren kompositorischen Visionen nur noch
Möglichkeiten beim Rundfunk. Nach weiteren Erfolgen
als Solist und Komponist, zum Beispiel mit dem 1957
im „SDR-Treff Jazz“ uraufgeführten „Konzert für Jazz
Combo“ und 1958 einer Auftragskomposition für die
All Stars des Frankfurter Jazz-Festivals, trat Helmut
Dem Neuen auf der Spur
Prof. Dr. h.c. Erich Schulze zum 90. Geburtstag
von Karl Heinz Wahren
Wer die Filmaufnahmen von der endlosen Trümmerlandschaft Berlins kurz nach Kriegsende kennt, kann
sich vorstellen, von welchem Optimismus ein 32-jähriger Stagma-Mitarbeiter beseelt sein musste, der im
Spätsommer 1945 die ausgedehnten Ruinenfelder
durchradelte, um in den zahlreichen Kellerbars oder
den wenigen intakt gebliebenen Tanzlokalen Aufführungslisten von den Kapellen einzutreiben. Vereinzelt
Brandt 1959 dem damals über Deutschland hinaus
bekannten RIAS-Tanzorchester Berlin als Baritonsaxophonist und Arrangeur bei. Im Verlaufe der Jahre
schrieb er neben populären BigBand-Arrangements
zahlreiche große Orchesterwerke, wie „Reise nach
Prag“ in 3 Sätzen, in der außer der BigBand noch
Streicher, Hörner und Holzbläser mitwirken.
1998 wurden durch das Rundfunk Symphonie-orchester Berlin und die RIAS-Big-band seine „Symphonischen Impressionen“ im Konzerthaus Berlin uraufgeführt. Diese sinfonischen Jazzkompositionen gehören
auf diesem Gebiet zu dem Interessantesten, was im
Deutschland des 20. Jahrhunderts entstand.
Als er mit 65 Jahren aus der RIAS-Bigband ausscheiden musste, arbeitete er erfolgreich weiter mit seinem
bereits vorher gegründeten Helmut-Brandt-Mainstream-Orchestra, dessen reichhaltiges Repertoire er
aus eigenen und anderen populären Jazznummern
selbst schrieb.
Unser natürlicher Lebenswille verhindert oft die Ahnung vom Tode, aber sie streift uns gelegentlich, so
auch den vitalen, jugendlichen 68-jährigen Helmut
Brandt, als er vor zwei Jahren sagte: „So viel möchte
ich noch machen! Mozart und Beethoven – nicht, dass
ich mich mit ihnen vergleichen wollte – aber beide hatten wohl das ganze Leben Angst, nicht mehr genug
Zeit zu haben, all das aufzuschreiben, was ihnen im
Kopf herum spukte. Diese Angst kenne ich auch.“
Ihn ereilte ein plötzlicher Herzschlag bei einem Spaziergang in Stuttgart, wo er mit seinem großartigen
Mainstream-Orchestra bald wieder auftreten sollte
und dessen neueste CD demnächst erscheinen wird.
gab es inzwischen auch wieder Konzerte zeitgenössischer Musik mit Werken, die zwölf Jahre lang “unerwünscht” oder verboten waren.
Dieser junge Mann erweckte die einzige deutsche musikalische Inkassogesellschaft aus ihrer kriegsbedingten Bewusstlosigkeit mit Energie und Einfallsreichtum
wieder zum Leben. Von der alliierten Militärregierung
ertrotzte er Arbeitserlaubnis, Papierzuteilungen, Reisegenehmigungen und alles, was damals notwendig
war, um in dieser Zeit des Ausnahmezustandes eine
administrativ effektive Organisation wieder aufbauen
zu können.
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Als Nichtmitglied der Nazipartei hätte er auch Stadtrat
von Wilmersdorf oder Steglitz werden können. Aber
er zog es vor, in dem von Bomben und Granaten zur
Mondlandschaft umgepflügten Berliner Stadtraum
nach realen Musikklängen zu forschen, um diese für
ein Inkasso in alter Reichsmark zu registrieren und so
den Urhebern einen bescheidenen finanziellen Neuanfang zu ermöglichen. Dieses Geschäft betrieb der
junge Mann Monat für Monat mit zunehmendem Erfolg, denn aus den Trümmern blühte zaghaft neues
Leben, und dieses wollte sich seine staubig graue und
hungrige Umgebung wenigstens mit Musik verschönen: “Ich hab’ so schrecklich Appetit auf Würstchen
mit Salat.”
Es entstanden bald in beiden Teilen Deutschlands die
heutigen Strukturen der Bezirksdirektionen, die natürlich nicht mehr mit dem Fahrrad, sondern inzwischen
mit einem von den Alliierten zur Verfügung gestellten
fauchenden Holzvergaser-Opel bereist wurden.
Das an sich Unmögliche gelang schließlich, die GEMA
entstand neu aus den Ruinen, und der unerschrockene junge Mann wurde von 1950 bis 1989 ihr Alleinvorstand, ohne Mitteldeutschland, das allerdings wurde
inzwischen von der staatlichen DDR- Inkassogesellschaft AWA verwaltet.
In diesem Jahr nun feiert Prof. Dr. h.c. Erich Schulze
seinen 90. Geburtstag.
In den letzten neun Jahren seiner Amtszeit lernte ich
ihn durch meine Tätigkeit im GEMA- Aufsichtsrat näher kennen. Dabei entdeckte ich bald, dass der auf internationalen Podien vielfach Geehrte, mit Orden und
Medaillen, akademischen, weltlichen wie päpstlichen
Titeln Geschmückte - bei aller erkennbaren Freude
über diese Ehrungen - ein Zeitgenosse realistischmenschlichen Denkens geblieben war. Er nahm sich
der Sorgen seiner über 1000 Mitarbeiter ebenso an
wie der Nöte einzelner GEMA-Mitglieder, deren Gesamtzahl damals rund 25 000 betrug. Trotz der sich
hieraus ergebenden außerordentlichen Machtfülle
- die freilich auch mit entsprechender Verantwortung
getragen sein wollte - blieb Prof. Dr. Schulze, was er
ehedem immer war: Ein sich an der Mitwelt orientierender Zeitgenosse, dem wohl nichts Menschliches
fremd ist, dem aber auch der Mensch als Maß aller
Dinge gilt, ohne dass solche Bestrebungen mit der
Satzungstreue des Kant´schen Imperativs exekutiert
würden. Er nahm jede Herausforderung ohne großes Zögern an, ging Konflikten nicht aus dem Wege,
wenn er sie im Interesse seiner Urheber für notwendig erachtete. Er war ein Einzelkämpfer, von keinerlei Ängstlichkeit gebremst, der aber mit Voraussicht
seine Chancen meist richtig einschätzte und danach
handelte. Freilich hat man in diesem hohen Alter viele Feinde kommen, vor allem aber gehen sehen. Wer
wird da nicht besinnlicher?
Unsere gemeinsame Arbeit im Aufsichtsrat wie in
den verschiedenen Ausschüssen führte oft zu divergierenden Meinungen, deren Ursache gelegentlich
grundverschiedene Interessenlagen zwischen Autoren und Verlegern, auch mal zwischen Komponisten
und Textdichtern oder U- Musik und E-Musik waren.
Da galt es für Prof. Dr. Schulze, stets mit taktischem
Geschick und feinem Gespür diplomatisch und intelligent zu verhandeln: Um die Besitzstände der verschiedenen gema-eigenen Gruppierungen in einer
vertretbaren Balance zu halten, kleine Eitelkeiten zu
berücksichtigen - auch die eigenen -, dabei notwendigen Neuerungen auf den Weg zu helfen, Minderheiten
vor ungerechtfertigten Auszehrungen zu schützen, die
Altersversorgung und Sozialleistungen abzusichern,
um nur einige Punkte aus dem großen Repertoire der
Aufgabenpalette zu nennen.
Und das alles auf dem recht dünnen Eis des vom Gesetzgeber mit munteren Augen bewachten Satzungsgewirrs, dessen kafkaeske Ausmaße sich nur nach
jahrelangem Studium zu lichten scheinen. Zusätzlich
muss den sich ständig ändernden Verhaltensmustern
des Musikmarktes Rechnung getragen, nationale Eigenheiten den internationalen Gepflogenheiten angepasst werden, ohne dabei die eigene Identität zu
opfern oder gar Verluste hinzunehmen.
Die energische Elastizität, mit der Professor Dr. Schulze den komplexen Forderungen des Tages gegenübertrat, blieb in all den Jahren unverändert, seine
Vitalität und Arbeitsbereitschaft ungemindert. Sicher
muss jemand zu den Besten zählen, um auf diesem
gefährlich glatten Parkett über 40 Jahre mit außerordentlichem Erfolg gewirkt zu haben. Bei all seinen
leistungsüberragenden Aktivitäten lässt sich Prof. Dr.
Schulze nicht zu einem Musikliebhaber stilisieren. Seine Einstellung zur Musik ist von Gleichmut getragen,
besonders wenn es zeitgenössische Konzertmusik
betrifft. Eher sah man ihn bei einem Schlagerfestival
vorbeischauen, denn diese Musik fordert kaum Widerspruch heraus, sie ist niemals dumm, weil sie niemals
klug zu sein braucht und lässt einem einfachen Be-
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haglichkeitsanspruch Raum. Sie erlöst vom Geiste,
der uns peinigt und dem wir sonst kaum entrinnen
können. Sicher war es feinere diplomatische Taktik,
dass Mister GEMA - so nannte schon vor Jahrzehnten
die Frankfurter Allgemeine Zeitung Prof. Dr. Schulze durch sein Auftreten in populären Fernsehsendungen
breiteren Volksschichten unsere Urheberrechtsinstitution nahe brachte und damit die ungerechten Vorurteile gegen Autorentantiemen abzubauen half. Mehr
als mit der akustischen Ausdruckswelt hält es Prof.
Dr. Schulze privat mit der Literatur. Hier trifft man ihn
im eigenen Hause an, denn mit den Modernen ist er
so vertraut wie mit der Romantik oder den Klassikern.
Nicht, dass er allen Zacken und Windungen folgte,
welche die Avantgarde schlägt, aber dem Neuesten
bleibt er auf der Spur und weiß darüber beiläufig, aber
treffend zu berichten.
Von Herzen soll hier endlich ein Dankeschön ausgesprochen werden, ein Dank für weit über 40 Jahre
treueste Dienste an Komponisten, Textdichtern und
Verlegern unseres Landes - ein Dank auch für die kulturpolitische Arbeit, deren Wert und Nutzen gar nicht
hoch genug veranschlagt werden kann. Dank auch für
die menschliche Anteilnahme, deren sich in besonderem Maße die Autoren sicher sein durften, eine Sicherheit in einer Welt, deren Unsicherheit eines ihrer
sichersten Kennzeichen ist.
Nicht vergessen werden wir, dass er uns zu seinem
Abschied aus dem Amt mit Prof. Dr. Kreile einen so
überragend tüchtigen und würdigen Nachfolger empfahl, der Prof. Dr. Schulzes segensreiches Werk mit
großem Erfolg fortsetzt und so die Erinnerungen an
diese außerordentliche Leistung, nämlich mit der
GEMA eine in der Welt einzigartige Inkassogesellschaft aufgebaut zu haben, bei uns allen wach hält.
Möge Professor Dr. Schulze mit Freude und Stolz
noch viele Jahre auf sein weiterhin florierendes Lebenswerk blicken und dabei des Dankes seiner Autoren gewiss sein.
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Festakt 100 Jahre GEMA am 2. Mai 2003 in Berlin
Festredner Karl Heinz Wahren, GEMA-Aufsichtsrat
und Präsident des Deutschen Komponisten-Verbandes
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
meine verehrten Damen und Herren!
Die Entwicklungsgeschichte des Urheberrechts für
künstlerische Schöpfungen zeigt einen kurvenreichen,
gelegentlich sogar bizarren Verlauf, der uns zurück bis
in das 18. Jahrhundert führt. Hier möchte ich Sie mit
einem Mann bekannt machen, dessen abenteuerliches Leben einem pittoresken Bühnenstück entlehnt
sein könnte. Ihm verdanken wir den bis heute in unserer Urheberrechtsgesetzgebung festgeschriebenen
Begriff des “Geistigen Eigentums”: Pierre-Augustin
Carson de Beaumarchais, geboren 1732.
Im 18. Jahrhundert blühte die Aufklärung, es wirkten
Goethe, Voltaire, Rousseau, Diderot, Kant, Jefferson,
Benjamin Franklin, aber auch erste freischaffende,
sich vom höfischen, musikalischen Frondienst emanzipierende Komponisten; Wolfgang Amadeus Mozart
ist der uns heute bekannteste von ihnen. Es entwikkelte sich die Idee von religiöser und politischer Freiheit, vom Fortschritt, die Vernunft begann über den
Aberglauben zu siegen, unsere moderne Vorstellung
vom individuellen Recht auf Glück formte sich. Der
Mensch befreite sich aus seiner selbst verschuldeten
Unmündigkeit, wie es Kant formulierte. Es war eine
der hoffnungsvollsten Epochen unserer neuzeitlichen
Geschichte, der Beginn unserer modernen Welt, mit
allen Vor- und Nachteilen.
Beaumarchais, der Sohn eines Pariser Uhrmachers,
war während seines abenteuerlichen Lebens in zahlreichen Berufen tätig, zunächst als Uhrmacher und
Musiker, schließlich brachte er es zum hohen Beamten am Hofe Ludwigs XV. Nebenbei handelte er mit
Holz, Kerzen oder Waffen, was ihm immer wieder
Rechtsstreitigkeiten und sogar Gefängnisstrafen einbrachte. Einzig als Autor blieb er erfolgreich und wurde durch seine Theaterstücke La folie journée (Figaros Hochzeit) und Le Barbier de Seville weltberühmt.
Der Dichter und zugleich trickreiche Geschäftsmann
Beaumarchais wollte sich nicht damit abfinden, von
den Theatern regelmäßig um einen Teil des ihm zustehenden Geldes betrogen zu werden.
Die damals meist von Schauspielern geleiteten Unternehmen rechneten häufig nicht korrekt ab, unterschlu-
GEMA’s Centenary Celebration in Berlin –
a Dazzling Ceremony
Speech of Karl Heinz Wahren, member of the
GEMA Board of Supervisors and
President of the German Composers’ Association
President Rau,
Ladies and gentlemen!
The history of copyright for the products of artistic
creation has followed a meandering, sometimes bizarre course with origins back in the 18th century. Let me
introduce you to a man whose adventurous life might
have been drawn from a pittoresco play. We owe to
him the concept of “intellectual property”, which has
remained anchored in our copyright legislation to this
day. His name was Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, and he was born in 1732.
The 18th century brought the heyday of Enlightenment. It was the age of Goethe, Voltaire, Rousseau,
Diderot, Kant, Jefferson, Benjamin Franklin, but also
of the first freelance composers, seeking emancipation from musical servitude at the courts of the nobility;
Wolfgang Amadeus Mozart is the best-known of these
today. Ideas were developed of religious and political
liberty and of progress; reason began to triumph over
superstition; our modern view of the individual right to
happiness took shape. Man was released from what
Kant called the “subservience for which he was himself to blame”. It was one of the most hopeful eras in
modern history, the dawn of our modern world, with all
its pros and cons.
Beaumarchais, the son of a Parisian watchmaker, engaged in many occupations during the course of his
adventurous life, starting out as a watchmaker and
musician and ending up as a high-ranking official at
the court of Louis XV. On the side, he traded in timber,
candles and weapons, as a result of which he found
himself time and again in court, and sometimes prison.
His only unblemished success was as a writer, and he
won international fame with his plays La folie journée
(The Marriage of Figaro) and Le Barbier de Seville. As
an author and at the same time a clever businessman,
Beaumarchais refused to accept the way theatres regularly cheated him out of some of the money to which
he was entitled.
These enterprises, most of them run by actors, were
frequently lax with their accounting, neglecting to
mention entire performances or simply refusing to pay
31
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gen ganze Vorstellungen oder verweigerten einfach
die vertraglich festgelegten Zahlungen. So beschloss
Beaumarchais im Sommer 1777 schließlich, das Problem grundsätzlich zu lösen. Er bat die Pariser Theaterautoren in sein Haus zum Souper. Und sein Plan
ging auf: Im Verlaufe des Abends gründeten die 22
zusammengekommenen Autoren die erste Urheberrechtsgesellschaft der Welt, die “Société des auteurs
dramatiques”, aus der dann 1851 die heute noch existierende Urheberrechtsgesellschaft SACEM hervorging.
Das zentralistisch gelenkte Frankreich war der Entwicklung in Deutschland um ein halbes Jahrhundert
voraus. Denn die sehr unterschiedliche Gesetzgebung
der zahlreichen deutschen Kleinstaaten hatte ein einheitliches Urheberrecht lange verzögert.
Mit der allmählichen Entwicklung eines eigenständigen, bürgerlichen Musiklebens im Deutschland des
ausgehenden 18. Jahrhunderts verselbstständigte
sich die bis dahin im Dienste der Kirche und der Aristokratie befangene Musik. Die geistige Erhebung des
Bürgertums gegen die vom Adel bestimmten Klassenschranken geschah im Nachhall der Französischen
Revolution. Dabei entwickelte sich auch der bürgerliche Anspruch auf eine eigene Musikkultur.
Der Beruf des Komponisten erhielt nun einen ganz
neuen gesellschaftlichen, vor allem aber auch künstlerischen Stellenwert: Er trat aus der höfischen Isolation ins Licht eines öffentlichen, bürgerlichen Konzertlebens. Musste der Komponist im fürstlichen Dienst
seine Mahlzeiten in der Küche mit der Dienerschaft
einnehmen, so durfte er nun gleichberechtigt an der
Tafel des Großbürgertums speisen. Das schloss allerdings nicht aus, dass die alltäglichen Lebensverhältnisse eher bescheiden blieben, wie wir in den Memoiren selbst herausragender Tonsetzer lesen können.
Waren die Autoren ehedem auf die mehr zufällige,
häufig wechselnde Huld ihrer kirchlichen oder fürstlichen Dienstherren angewiesen, mussten sie nun an
den Einlasstüren der Konzertsäle das Abkassieren
der Eintrittsgelder selbst überwachen.
Der besonders misstrauische Paganini - so wird erzählt - verkaufte persönlich die Billetts. Er deponierte
die Einnahmen in seinem Geigenkasten, den er mit
auf die Bühne nahm und während seines furios-virtuosen Spiels nicht mehr aus den Augen ließ.
contractually agreed sums. In the summer of 1777,
Beaumarchais therefore decided to resolve the problem once and for all. He invited the theatrical writers
of Paris to a supper at his home. And the plan worked:
in the course of that evening the twenty-two authors
present founded the world’s first copyright society, the
“Société des auteurs dramatiques”, which gave birth
in 1851 to the copyright society SACEM, still in existence today.
France, with its centralised government, was half a
century ahead of Germany. The very different laws
pertaining in the myriad German principalities delayed
standardised legislation on copyright for many years
to come.
As the bourgeois classes gradually established a
musical life of their own in Germany in the late 18th
century, musicians who had hitherto been fettered in
the service of the church and aristocracy also began
to acquire independence. In the wake of the French
Revolution, the bourgeoisie unleashed an intellectual rebellion against the class barriers erected by the
nobility. The bourgeois demand for a different musical
culture was part of this process.
The profession of composer acquired a quite new social and, above all, artistic status, away from isolation
at court and into the broad daylight of public concerts
for the middle classes. A composer in the service of a
prince had been obliged to take his meals in the kitchen with the other domestics, whereas now he could
dine as an equal at the table of the grand bourgeoisie.
That did not necessarily prevent his everyday lifestyle
from being rather modest, as we read in the memoirs
of even the most accomplished symphonists.
Once dependent on the arbitrary, often fluctuating
favours of their ecclesiastical or secular lords, these
authors were now obliged to stand at the doors of concert halls to supervise the collection of entrance fees
on their own behalf.
Paganini - they say - was particularly distrustful and
sold his tickets himself. He deposited the takings in his
violin case and took this on stage with him, where he
would not take his eyes off it throughout his virtuoso
performance.
Today’s composers are spared such rigours, for after the original Society for Musical Performance
Rights (Anstalt für musikalische Aufführungsrechte)
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Solche Strapazen bleiben uns heutigen Komponisten
erspart. Denn nach der Gründung der ersten “Anstalt
für musikalische Aufführungsrechte” in Deutschland auf Initiative von Richard Strauß, Hans Sommer und
Friedrich Rösch - entwickelte sich die GEMA zu einer
weltweit führenden Urheberrechtsgesellschaft. Und
das trotz der schrecklichen politischen und kriegerischen Turbulenzen während der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts.
Inzwischen nimmt die GEMA im wirtschaftlich vereinigten Europa für alle in Deutschland lebenden Musikurheber - und ebenso für die Musikverleger - die
Rechte in treuhänderischer Verwaltung wahr. Der ihr
vom Gesetzgeber erteilte kulturelle Auftrag ist im Satzungskanon verankert. So ist die GEMA ausdrücklich
gehalten, auch künstlerische Gegebenheiten zu berücksichtigen.
Wir Urheber dürfen bei dem von uns anvisierten Ziel
einer angemessenen Verwertbarkeit unserer künstlerischen Arbeit nicht alles ausschließlich unter dem
Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Effektivität sehen.
Das war nie und darf nie das Grundmotiv unseres
Schaffens sein, denn das würde unserem über Jahrhunderte gewachsenen Kulturverständnis entgegenstehen, das eine normative ethische Grundlage unserer Gesellschaft ist.
Als Autoren dürfen wir unsere Musikvisionen nicht allein dem Markt und seinen Managern überlassen. Der
Markt wird alles, über die nationalen Grenzen hinweg,
ausschließlich nach seinen merkantilen Gesetzen vereinheitlichen. Den eigentlichen Musikschöpfern droht
die Aktivität genommen zu werden, ob in der U-Musik
oder in der E-Musik. Es gilt daher, die sich weltweit befruchtenden Kulturzonen zu bewahren. Es gilt, unsere
kulturelle Vielfalt zu erhalten, um einer Bequemlichkeit
auf verständlichstem Niveau entgegenzuwirken. - Leider wird diese heute längst in einem großen Teil der
privat-rechtlich betriebenen Fernseh- und Radiostationen lärmend angeboten. Es gilt also den “langen Marsch” ins geistige Neandertal zu verhindern. Wobei die Ironie ist: Das kleine,
aber weltberühmte Neandertal zwischen Düsseldorf
und Mettmann wurde durch die Funde des Frühmenschen weltberühmt, seinen Namen erhielt es jedoch
nach dem Prediger, Dichter und Komponisten Joachim Neander, der dort im 17. Jahrhundert lebte.
was founded in Germany, on the initiative of Richard
Strauss, Hans Sommer and Friedrich Roesch, GEMA
eventually evolved into one of the world’s leading copyright associations. In spite of the appalling political
and bellicose turbulence that marked the first half of
the twentieth century.
Now, in an economically united Europe, GEMA manages rights on a fiduciary basis for all music authors
- and also music publishers - living in Germany. The
cultural remit defined for it by the legislature is inscribed in its canon of statutes. GEMA is explicitly called
upon, for example, to respect artistic considerations.
Although it is our declared aim as authors to have our
artistic work appropriately rewarded, we should not
see everything in terms of commercial effect. That
has never been the primary motive for our creativity,
and never should be; for it would be at odds with an
understanding of culture that has developed over the
centuries and is one of the basic ethical foundations
of our society.
As authors we must not submit our musical visions
entirely to the market and its managers. The market
will level everything, across national boundaries, in
sole obedience to mercantile laws. There is a threat
that the real creators of music will be deprived of their
activity, in light music and serious music alike. The zones of culture, fertilised world-wide, must be protected.
Our cultural diversity must be preserved to counter
convenience at the level of broadest comprehension.
Unfortunately, this is what many private TV and radio
stations have long since been noisily offering.
In other words, we must prevent the long descent into
an intellectual Neanderthal. This valley between Düsseldorf and Mettmann, small for all its fame, became a
household name across the world after the remains of
prehistoric man were discovered there. Ironically, the
place was named after the preacher, poet and composer Joachim Neander, who lived there in the 17th
century.
As a collecting society, GEMA is of vital importance,
not only to its members. In making copyright happen,
it ensures a safe place for our works in a society which
may well be culturally orientated, but is sometimes
prevented by the sheer speed of life from being aware
of its culture. Musical works of the present and recent
past are documented, protected, preserved for their
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Die Inkassogesellschaft GEMA ist nicht nur für ihre
Mitglieder von existenzieller Bedeutung. Indem sie
das Urheberrecht realisiert, verschafft sie den Werken
einen gesicherten Ort in unserer zwar kulturorientierten, aber in der Schnelllebigkeit nicht immer kulturbewussten Gesellschaft. Musikalische Werke unserer
Gegenwart und der näheren Vergangenheit werden
dokumentiert, geschützt, als Werte bewahrt. Hier treffen Goethes Faust-Worte auch für künftige Generationen eine kulturelle Realität:
own value. It makes cultural reality, today and for future generations, of those words from Goethe’s Faust:
“The precious things your forebears left for you Assimilate, that you may own them.”
“Was du ererbt von deinen Vätern hast, Erwirb es, um
es zu besitzen.”
50 Jahre DKV – Festakt am 12. März 2004, Berlin
Über die Ziele des Deutschen Komponistenverbandes
und Anmerkungen zu seiner Frühgeschichte anlässlich seines 50-jährigen Neugründungs-Jubiläums
50 years German Music Composers‘ Association
The objectives of the German Music Composers’ Association with remarks on its early history on the 50th
anniversary of its re-establishment
Rede von Prof. Karl Heinz Wahren –
Präsident des Deutschen Komponistenverbandes
by Prof. Karl Heinz Wahren –
President of the German Music Composers’ Association
Die Neugründung des Deutschen Komponistenverbandes im Jahr 1954 sollte vor allem ein symbolisches
Zeichen sein für die grundsätzliche Erneuerung dieser
berufsständischen Organisation nach den politischen
und kriegerischen Katastrophen in der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts. Denn schon lange vorher, noch
im wilhelminischen Kaiserreich, wurde im Herbst 1898
in Leipzig die erste Vereinigung deutscher Komponisten ins Leben gerufen. Zuvor hatte Richard Strauss in
einem Rundschreiben und im Namen berühmter Kollegen wie Eugen d’Albert, Engelbert Humperdink, Max
von Schillings, Gustav Mahler, Friedrich Rösch und
Hans Sommer zur Gründung einer Komponisten-eigenen - verlegerfreien - Interessenvertretung aufgerufen:
“Zweck und Aufgabe dieses Autorenverbandes wäre
einzig und alleine eine wirksame genossenschaftliche
Wahrnehmung aller musikalischen Urheberrechte und
der damit verknüpften Standesinteressen.”
The re-establishment of the German Music Composers’ Association in 1954 was mainly intended to be
a symbol of the fundamental renewal of this professional organisation after the political and military catastrophes of the first half of the 20th century. In fact, the
first association of German composers had already
been founded long before at the time of the Wilhelminian Empire, in autumn 1898 in Leipzig. Before that,
Richard Strauss had circulated an appeal in the name
of famous colleagues such as Eugen d’Albert, Engelbert Humperdink, Max von Schillings, Gustav Mahler,
Friedrich Roesch and Hans Sommer to found their
own association of composers - without publishers:
“The sole purpose and task of this authors’ association
would be an effective co-operative administration of all
musical copyrights and the interests of the profession
associated with it.”
Zu den von den Leipziger Verbandsgründern seit
1898 angestrebten Zielen verpflichteten sich auch alle
weiteren Komponistenvereinigungen, die in der wech-
The aims that the founders of the association had
been striving for since 1898 were also espoused by
all further composers’ organisations that were founded
in the ever-changing course of German history in the
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selvollen deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts
noch gegründet wurden, sich wieder auflösten oder
sich mit anderen Organisationen gleicher
Intention vereinigten. Auch heute bleibt die Wahrnehmung und der Schutz aller dem Komponisten
zustehenden Rechte die dringlichste Aufgabe dieser
großen berufsständischen Vereinigung. Das “Gesetz
über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte” garantiert uns Komponisten - bei angemessenem Fleiß
und entsprechendem Erfolg - eine finanzielle Sicherheit, von der die Kollegen früherer Jahrhunderte nur
träumen konnten. Denn auf die launisch wechselnde
Huld ihrer aristokratischen Dienstherren angewiesen,
mussten diese sich vornehmlich als Instrumentalisten
oder Dirigenten ihren Lebensunterhalt verdienen, an
kleineren Residenzen war das oft auch noch mit Servierdiensten oder Gärtnerarbeit gekoppelt. Mozart gilt
in seinem letzten Lebensjahrzehnt, nach dem von ihm
provozierten Bruch mit dem Salzburger Fürstenbischof
Graf Colloredo, als einer der ersten erfolgreichen freischaffenden Komponisten. Seine zum Teil erheblichen Einnahmen, mit denen weder er noch seine Frau
zu haushalten wussten, waren nur Bruchteile dessen,
was ihm bereits damals eigentlich zugestanden hätte.
Aber im 18. Jahrhundert waren Raubdrucke üblich,
und die Verleger rechneten auch die Aufführungen oft
nur nach Gutdünken ab.
In dieser Zeit der rechtlichen Unsicherheiten für Autoren gründete 1777 der Pariser Theaterdichter PierreAugustin de Beaumarchais mit Kollegen die erste Urheberrechtsgesellschaft der Welt. Die Stückeschreiber
waren es leid, immer wieder um einen Teil der ihnen
zustehenden Tantiemen betrogen zu werden. In der
bald folgenden französischen Revolutionszeit wurde
1793 schließlich das geistige Eigentum an schriftstellerischen und musikalischen Werken gesetzlich geregelt. Von Beaumarchais stammt auch der uns heute
geläufige Begriff vom “geistigen Eigentum”. Das erste
deutsche Urhebergesetz wurde 1837 in Preußen erlassen. Die unterschiedliche Gesetzgebung in den
zahlreichen deutschen Kleinfürstentümern verzögerte lange ein einheitliches Urheberrecht. Das wundert
nicht, denn trotz der eingeführten Zollunion galten z.B.
um 1850 innerhalb des deutschen Bundes allein neun
verschiedene Großmünzen als offizielle Zahlungsmittel, der Preußische Taler, der Reichstaler, der Kronentaler, die Hamburgische Mark, der österreichische
Gulden usw. Dieser groteske Zustand änderte sich
erst 1871 mit der bismarckschen Reichsgründung. Im
twentieth century, only to be disbanded or to unite with
other similarly minded organisations. To the present
day, the administration and the protection of all rights
to which a composer is entitled to has remained the
most urgent task of this great professional association.
The “Act on Copyright and Related Rights” guarantees
us composers - provided we work hard and are suitably
successful - a form of financial security of which colleagues of previous centuries could only dream. Being
dependent on the favours, capriciously bestowed, of
their aristocratic masters they mainly had to earn their
living as instrumentalists or working as conductors,
and at smaller courts this often also involved serving
at table or gardening. In the last decade of his life,
after provoking the break-up with the Prince Bishop of
Salzburg Count Colloredo, Mozart was looked upon
as one of the first successful free-lance composers.
His in part considerable income, which neither he nor
his wife managed to use economically, were only fractions of what he actually would have been entitled to
even back then. But pirate copies were common in
the 18th century and also the publishers often paid for
performances at their own discretion.
In those days of legal uncertainties for authors, the
Paris playwright Pierre-Augustin de Beaumarchais
got together with colleagues to found the world’s first
copyright society in 1777. The playwrights were tired
of being repeatedly cheated out of a part of the royalties they were entitled to. In the days of the French
Revolution that followed the intellectual property of literary and musical works was finally legally regulated
in 1793. Beaumarchais was also the first to use the
now common term of “intellectual property”. In 1837
the first German copyright act was enacted in Prussia. The variations in legislation in the numerous small
German principalities delayed a uniform copyright for
a long time. This is not surprising because, around
1850, despite the introduction of the customs union,
there were, for example, no less than nine different
large-denomination coins in the German Confederation that were valid as official tender, the Prussian
Taler, the Reichstaler, the Kronentaler, the Hamburg
Mark, the Austrian Gulden, and so on. This grotesque
situation did not change until 1871, with the foundation
of the Reich under Bismarck. A “Deutsche Genossenschaft dramatischer Autoren und Komponisten” - German Co-operative of Dramatic Authors and Composers - had also been founded in the same year, but
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gleichen Jahr war zwar noch eine “Deutsche Genossenschaft dramatischer Autoren und Komponisten”
entstanden, doch erst 1898 konstituierte sich der älteste Vorläufer unseres heutigen Verbandes, die “Genossenschaft Deutscher Componisten”. 1903 wurde
dieser Name auf Wunsch von Engelbert Humperdink
und Richard Strauss - “... von dem banausischen und
nichtssagenden Fremdwort ‚Componist’ endgültig
Abstand nehmen ...” - in “Genossenschaft Deutscher
Tonsetzer” (GDT) umgewandelt.
Bei dieser Hauptversammlung in Berlin beschlossen
die Mitglieder der GDT auch die organisatorische
Verkopplung mit der im gleichen Jahr gegründeten
“Anstalt für musikalische Aufführungsrechte” (AFMA).
Hier hatten ausschließlich die Komponisten das Sagen, freilich nur die Vertreter der Ernsten Musik. Die
Unterhaltungsmusikkomponisten gründeten gemeinsam mit ihren Verlegern die “Genossenschaft zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte”, abgekürzt
GEMA, die allerdings nicht identisch mit unserer heutigen GEMA ist. Beide Organisationen, die “Genossenschaft Deutscher Tonsetzer” (GDT) und die GEMA
hielten ihr Verhältnis zueinander durch permanente
Auseinandersetzungen in Spannung. Die politischen
Turbulenzen im folgenden Jahrzehnt der Weimarer
Republik verschärften diese Kontroversen noch. Der
NS-Staat beendete 1933 diesen Kleinkrieg, indem er
kurzerhand alle musikberufsständischen wie urheberrechtlich tätigen Organisationen auflöste und in der
Reichskulturkammer die Künste politisch gleichschaltete. Für die Komponisten war in den nächsten zwölf
Jahren die Reichsmusikkammer zuständig, und nur
deren Mitglieder durften öffentlich schöpferisch tätig
sein.
In Berlin ging damit die weltweit beachtete Epoche
einer europäischen Kulturkristallisation plötzlich zu
Ende, als es Hitler und Goebbels durch massenwirksame Beredsamkeit im Schatten der Weltwirtschaftskrise gelang, die Minderwertigkeitsgefühle des im Kriege
geschlagenen Volkes in die kollektive Wahnidee eines
“nationalsozialistischen Mythos” zu transformieren.
In diesem rüden “Deutschland erwache”- Taumel war
kritische, zum Mitdenken auffordernde Kunst nicht
nur unerwünscht, sie wurde verboten, diffamiert, verbrannt und ihre Autoren “ausgedeutscht”, verhaftet,
zum Schweigen verurteilt, gejagt und sogar ermordet.
Als sich nach der völligen Niederlage Deutschlands
1945 aus den Trümmern wieder zaghaft ein neues
the oldest predecessor of our present association was
constituted only in 1898, the “Genossenschaft Deutscher Componisten”. In 1903, at the request of Engelbert Humperdink and Richard Strauss - “... to finally
bid farewell to the philistine and meaningless foreign
word ‘Componist’ (composer) ...” - this name was altered to “Genossenschaft Deutscher Tonsetzer” (GDT) German Composers’ Co-operative, using the German
term ‘Tonsetzer’.
At this general meeting in Berlin the members of the
GDT also decided to link their organisation with the
“Anstalt für musikalische Aufführungsrechte” (AFMA)
- Institute for Musical Performing Rights - which had
been founded in the same year.
Only composers had a say here, and of course only
the representatives of serious music. Together with
their publishers the composers of light music founded the “Co-operative for the Exploitation of Musical
Performing Rights” - “Genossenschaft zur Verwertung
musikalischer Aufführungsrechte”, abbreviated to
GEMA, which, however, is not identical with our present GEMA.
Constant disputes created a permanent tension between the two organisations, the “Genossenschaft
Deutscher Tonsetzer” (GDT) and GEMA. The political turmoil in the subsequent decade of the Weimar
Republic even aggravated these controversies. The
NS state put an end to this running battle in 1933 by
disbanding, without further ado, all organisations of
the musical profession and those active in the field of
copyright, and by forcing the arts politically into line in
the Reichskulturkammer. In the next twelve years the
Reichsmusikkammer took charge of the composers,
and only its members were permitted to be creatively
active in public.
So the epoch of a European crystallisation of culture that had attracted so much international attention
came to a sudden end in Berlin, when Hitler and Goebbels succeeded by mass eloquence, in the shadow
of the world economic crisis, to transform the feeling of
inferiority of a nation defeated in war into the collective delusion of a “National-Socialist myth”. In this rude
frenzy of “Germany awake” critical art that called upon
people to think was not only undesirable, it was prohibited, defamed, burnt and their authors declared to be
“un-German”, arrested, condemned to remain silent,
persecuted and even murdered.
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Kulturleben zu regen begann, gründeten sich auch
wieder verschiedene Komponistenverbände, in München, in Berlin und schließlich getrennt in west- und
ostdeutsche Organisationen.
Diese in der Folge kompliziert verschlungenen Pfade
dieser berufsständischen Organisationen aufzuzeichnen mag der Musikgeschichtswissenschaft vorbehalten bleiben. Als Jubiläum interessiert nur das Jahr
1954, als nämlich der heutige Gesamt-”Deutsche
Komponistenverband” seine Gründungsversammlung
abhielt.
After Germany had been totally defeated in 1945, a
new cultural life began timidly to stir again from the ruins and various composers’ associations established
themselves once more in Munich and in Berlin, separating finally into organisations in East and West
Germany.
To map out the intricate, winding paths subsequently taken by these professional organisations needs to
be left to the science of musical history. What is of
interest here is only the year 1954, when today’s All“German Composers’ Association” held its constitutive
meeting.
Zwar blieb die von Richard Strauss vorgegebene Zielsetzung, die gemeinsame Wahrnehmung aller musikalischen Urheberrechte als Hauptaufgabe, wurde
aber erweitert und den heutigen Gegebenheiten angepasst. So kann jedes Mitglied bei dem Verbandsjustiziar Prof. Dr. Wilhelm Nordemann eine kostenlose
Erstberatung in Fragen des Urheber- und Verlagsrechts einholen; jedem Mitglied sind Musterverträge
aus den Bereichen U- und E-Musik zugänglich; in
persönlichen Notfällen ist durch die verbandseigenen
Stiftungen begrenzte finanzielle Unterstützung möglich; die INFORMATIONEN des DKV enthalten nicht
nur Hinweise auf Kompositionswettbewerbe, sie berichten außerdem für Komponisten Wissenswertes
aus dem Musikleben, wie z.B. über Uraufführungen
der Mitglieder; auf der Homepage des DKV wird jedes Mitglied mit detaillierten Informationen zur Person
(Foto) und seinem Werk auf einer standardisierten
Seite vorgestellt; es würde den hier vorgegebenen
Rahmen sprengen, alle Aktivitäten des Verbands, der
einzelnen Arbeitsgruppen usw. aufzuzählen.
The objective set by Richard Strauss, the joint administration of all musical copyrights, remained the main
task, but it was extended and adapted to today’s situation. For example, every member is entitled to a free
first consultation with the association’s legal adviser,
Prof. Dr. Wilhelm Nordemann, on questions of copyright and publishing law; each member has access to
model agreements from the light- and serious-music
segments; the association’s own foundations can provide limited financial assistance in personal emergencies; the INFORMATIONEN of the DKV contain not
only announcements of competitions for composers,
they also supply composers with valuable information
from the world of music, such as, for example, members’ premieres; the DKV Homepage presents every
member with detailed personal information (photo)
and information about his or her work on a standardised page; it would go beyond the scope of this contribution to list all the activities of the association, the
individual working groups, etc.
So wie im Verlaufe des 20. Jahrhunderts durch die
Weiterentwicklung unserer Wissenschaft und Technik immer neue Berufe entstanden, andere wieder
fast lautlos verschwanden, so veränderten sich nicht
nur das Berufsbild des Komponisten, sondern auch
die Ergebnisse seiner Arbeiten. Der romantische Geniekult vergangener Epochen verwandelte sich zum
Teil in ökonomischen Pragmatismus, gemäß unserer
computerisierten Gegenwart mit ihrer oft unkünstlerischen, aber marktschreierisch alles beherrschenden
Medienwelt.
In the course of the twentieth century, thanks to the
continuing development of our science and technology, new professions were created time and again,
and others in turn disappeared almost silently. As this
happened, it was not only the composers’ professional image that changed, but also the results of their
works. The romantic cult of genius of bygone ages
was transformed partly into economic pragmatism in
conformity with our present computerised age with its
world of media that is often unartistic, but blatantly dominates everything.
Trotzdem sucht jede Generation ihr eigenes musikalisches Daseinsmuster.
In der E-Musik drückt sich diese Suche nach der verlorenen Schönheit, nach einer dämonisch-erotischen
And yet, each generation seeks its own musical patterns of existence.
In serious music this search for lost beauty, for a demonically erotic vitality or perhaps a coolly distant
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Vitalität oder vielleicht einem distanziert-coolen Hörerlebnis in musikalisch-ästhetisch neuen, oft interessanten Klangphänomenen aus, bleibt aber doch noch
häufiger in schlichten romantischen Rückblenden
hängen oder verirrt sich gar in eklektizistischen, auch
elektronischen Stilübungen, ohne durch eigene Originalität zu fesseln. Wozu auch, die Mehrzahl der Hörer
liebt ohnehin den historischen Mainstream.
acoustic experience finds its expression in musicallyaesthetically novel, often interesting, acoustic phenomena, but even more often remains caught in simple
romantic flashbacks or even loses its way in eclecticist, sometimes electronic, stylistic exercises without
the grip of its own originality. And why should it? The
majority of the audience loves the historical mainstream anyway.
In der U-Musik schreitet die Aufsplitterung, man kann
schon von Diversifizierung sprechen, unaufhaltsam
voran. Ethnologische wie folkloristische Elemente
überlagern sich in eleganten elektronisch-technischen
Aufbereitungen, der Kenner verliert die Übersicht, den
Käufer verwirrt die sich ständig ändernde kaleidoskopartige Vielfalt, die Musikindustrie klagt über massive
Umsatzeinbrüche. Allerdings ohne zu erkennen, dass
die Probleme im offensichtlichen Mangel ihres musikästhetischen Gespürs liegen, diagnostizieren sie als
alleinige Ursache ihrer zehrenden Schwindsucht ausschließlich die Internettauschbörsen und den privaten
CD-Brenner.
This fragmentation, one may even say diversification,
in light music is progressing at an unstoppable pace.
Layer upon layer of ethnological and folkloric elements are worked up into a combination of electronic
and technological elegance, the expert loses track of
what is going on, the buyer is bewildered by the kaleidoscope of ever-changing variety, the music business
complains about massive drops in sales. They fail to
realise, however, that the problems lie in their obvious
lack of an aesthetic feeling for music; they diagnose
the Internet exchanges and the private CD-writer as
the sole causes of their debilitating galloping consumption.
Der Jazz als exotisch-vitales Gewächs zwischen den
Polen U- und E-Musik nimmt Anleihen von beiden Seiten und bleibt so immer wieder interessant, nicht nur
wegen seines irrealen Metrums. Die Unmittelbarkeit
der solistischen Improvisationen, die sprühenden, variablen Rhythmen und in größeren Formationen die
harmonisch wie stilistisch oft interessanten Instrumentierungen faszinieren jede Generation erneut.
Freilich bleibt die ernsthaft interessierte Zielgruppe so
überschaubar wie bei der Neuen Musik. Dabei verändern sich auch hier die Hörerzahlen ständig. Sie sind
so wenig wie in den anderen genannten Musikbereichen genau zu verifizieren, im Gegensatz zum Politbarometer oder den Publikumsquoten im Fernsehen
- falls nicht auch diese Zahlen mehr von der heisenbergschen Unschärferelation als von der Wirklichkeit
beeinflusst sind.
Jazz, that vigorously exotic plant that thrives between
the poles of light and serious music, borrows from both
sides, and this is why it always remains interesting,
not just because of its surreal metre. Each new generation is fascinated by the immediacy of the solo improvisations, the effervescent, changing rhythms and,
in bigger formations, the instrumentation, whose style
and harmony is often so interesting. Of course, the seriously interested target group remains as limited as is
the case with New Music. And the number of listeners
is continuously changing here as well. It is just as difficult to pin them down exactly as it is in the other fields
of music mentioned, unlike the political barometer or
the viewer ratings on television - unless these figures
are also influenced more by Heisenberg’s uncertainty
principle than by reality.
Jedes künstlerische Schaffen ist ein Versuch, sich von
der Realität zu distanzieren, um sich der eigenen Realität auf schöpferischem Wege zu nähern. Wird die musikalische Chiffrierung dabei jedoch zu weit getrieben,
verliert sogar der willige, nicht konservative Hörer den
Zugang zum Werk. Dadurch und noch mehr durch die
Forderung unserer sinnentleerten Spaßgesellschaft
nach permanenter Unterhaltung auf verständlichster
Ebene, verblasst der Strahlenglanz unseres Berufes,
auch wird sein Ethos brüchig, so wie die moralischen
Each artistic work is an attempt to distance oneself
from reality, to get closer to one’s personal reality via
the creative route. But if the musical encoding is taken
too far, even the willing, non-conservative listener loses access to the work.
Through this and even more so through the demands
of our hollow, hedonistic society for constant entertainment at its most easily comprehensible level, the brilliant aura of our profession pales into insignificance,
its ethos also starts to crumble just like the moral
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Grundlagen unserer postindustriellen Gesellschaft.
Der inzwischen gefestigte Glaube an die Leichtigkeit
des Seins treibt wie zur eigenen Rechtfertigung die
Boulevardisierung unserer Kultur weiter voran. Die
interessanten Beiträge im anspruchsvollen deutschen
Feuilleton sind auf Film und Literatur konzentriert.
Über Popmusik wird nur unterhaltend berichtet. Mit
dem allgemeinen Trend zum musikalischen Analphabetentum hat man sich journalistisch offensichtlich abgefunden - von Ausnahmen abgesehen.
Sollte sich in unserem Verband der immer wieder beschworene kollegiale Konsens den äußeren gesellschaftlichen Zuständen folgend in einen erbarmungslosen Konkurrenzkampf innerhalb der verschiedenen
musikalischen Gattungen auflösen, werden wir nicht
nur uns selbst schaden, sondern auch das öffentliche
Ansehen unseres Berufes herabwürdigen. Den Widerspruch zwischen künstlerischem Auftrag und wirtschaftlichen Realitäten erträglich zu lösen, sich in der
Gemeinschaft mit ähnlich Gesinnten abzustimmen
bleiben neben dem Schutz der urheberrechtlichen
Ansprüche wesentliche Anliegen der Mitglieder an
unseren Verband. All dem gerecht zu werden bei der
zunehmenden Aufsplitterung in immer neue, verschiedenartige musikalische Gattungen, deren wirtschaftliche Interessen gelegentlich fast diametral zueinander
stehen, ist die schwierigste Aufgabe für den Deutschen
Komponistenverband in den kommenden Jahren. Sie
gemeinsam zu lösen muss unser aller Interesse sein,
denn von außen ist keine Hilfe zu erwarten. Darum
sind der kollegiale Zusammenhalt ebenso wie die Arbeitsaufteilung in die verschiedenen musikalischen
Sektoren die wichtigsten Aufgaben, denen wir uns
unmittelbar und in der Zukunft stellen müssen. Dazu
könnte uns heute, im Jahre 2004 - dem Jubiläumsjahr
des großen deutschen Philosophen -, Immanuel Kant
mit seiner “Kritik der praktischen Vernunft” eine geistige Anleitung sein.
Zumal unserem Berufsstand ständig Gefahren von
außen drohen, wie das aktuelle Beispiel mit der Deutschen Landesgruppe IFPI (International Federation of
Phonographic Industry) zeigt. Diese senkte den Urheber-Lizenzsatz für Tonträger ab 1. Januar 2004 von
9,009% des Herstellerabgabepreises auf 5,6% - ohne
Vertragsabsprache mit der die Urheber vertretenden
GEMA. Den Komponisten werden plötzlich und willkürlich 40% ihres bisherigen Einkommens vorenthalten. Solchen rigiden Vorgängen ist der einzelne Urheber schutzlos ausgeliefert, zumal die Erfahrungen uns
foundations of our post-industrial society. The meanwhile firmly established belief in the lightness of being
is hurrying the trivialisation of our culture along as if
in justification of itself. The interesting articles in the
sophisticated feature sections of German newspapers
focus on film and literature. Reports on pop music are
written simply to entertain. It looks as if journalism has
already accepted the general trend towards musical
illiteracy - apart from a few exceptions.
Should the repeatedly invoked consensus among
colleagues in our association dissolve - in line with
external social conditions - into ruthless competition
within the different musical genres, we will not only
do ourselves harm but also belittle the standing of
our profession. Resolving the contradiction between
one’s artistic mission and economic realities in a tolerable way, reaching consensus in a community of
like-minded people - these goals will remain, along
with the protection of claims based on copyright, the
main demands our members will make of our association. Given the ever-increasing fragmentation into
newer, even more differentiated musical genres, whose economic interests are sometimes almost diametrically opposed, the most difficult task for the German
Composers’ Association in the coming years will be to
meet all these expectations. Solving these problems
together must be in the interest of us all, because no
help can be expected from outside. Thus the most
important tasks that we shall have to face both now
and in future will be our solidarity as colleagues just as
much as the division of work in the different musical
sectors. In 2004 - the anniversary year of the great
German philosopher - Immanuel Kant, with his “Critique of Practical Reason”, could give us some intellectual guidance in this context.
This is especially important because our profession
is always threatened by dangers from outside, as is
shown by the current example with the German National Group of IFPI (International Federation of Phonographic Industry). From 1st January 2004, it lowered the royalty rate for licensing audio-carriers from
9.009% of the published price for dealers to 5.6% without agreeing a contract with GEMA, the representative of the authors. The composers find themselves
suddenly and deliberately deprived of 40% of their
former income. The individual author is defenceless
without protection against such unyielding processes,
especially because experience shows that litigation
can drag on for years. The German Composers’ As-
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lehren, dass sich Gerichtsverfahren über Jahre hinziehen können. Hier muss der Deutsche Komponistenverband Stärke beweisen und darf dabei grundsätzlich
nicht trennen zwischen Komponisten, Popspezialisten
oder Composers, er soll vielmehr die Interessen aller
Musikautoren jeden Genres wahrnehmen und diese
gegenüber einer kleinmütigen Kulturpolitik oder der
nur monetaristisch handelnden Industrie entschlossen
und redlich vertreten zum Nutzen aller seiner Mitglieder.
sociation has to show strength here and must not differentiate on principle between composers of classical
music, pop specialists or modern composers. On the
contrary, it needs to look after the interests of all music
authors of all genres and show honesty and determination when it comes to representing them in the face
of a fainthearted cultural policy or the purely monetarist motives of industry, so that all its members may
benefit from this.
Vortrag in der Akademie der Künste
Berlin, am 20. Juni 2005
Gerald Humel zum Gedenken (1931 – 2005)
von Karl Heinz Wahren
Universitäten gelang er durch ein Fulbright-Stipendium via London 1960 nach Berlin. Wir trafen uns im
Frühjahr 1961 an der Staatlichen Musikhochschule in
Professor Rufers 12-Ton–Seminar zum Studium der
Schönberg´schen Kompositionstechnik. Hieraus ergaben sich neben den beruflichen auch privat-freundschaftliche Kontakte, die schließlich zusammen mit
fünf weiteren jungen Komponistenkollegen 1965 zur
Gründung der “Gruppe Neue Musik Berlin” führten.
Gerald Humel war genuin ein Transatlantiker. Seine
Eltern wanderten kurz vor seiner Geburt aus ihrer heimatlichen Tschechoslowakei in die USA aus. Als der
Vater dort – in Folge der Weltwirtschaftskrise – keine
Arbeit fand, kehrte er mit dem kleinen US-Bürger Gerald in seine angestammte Heimat zurück. Dort wurde
Gerald nach ein paar Jahren zwar noch eingeschult,
aber als die von Hitler-Deutschland ausgehende
Kriegsgefahr 1937 immer konkreter wurde, emigrierte
die Familie Humel ein zweites Mal in die USA, in die
Industrie- und Universitätsstadt Cleveland am südlichen Ufer des Eriesees im Bundesstaat Ohio.
Hier absolvierte Gerald seine gesamte Schulzeit, im
Elternhaus wurde noch immer ausschließlich Tschechisch gesprochen. Erst auf der Universität lernte er
zum Beispiel die üblichen amerikanischen Essensbegriffe kennen, wie er gelegentlich lachend erzählte.
Während des Koreakrieges wurde er zur Army eingezogen, er hatte jedoch Glück und blieb als Tambourmajor bei einer Marsch-Band in New York hängen.
Gelegentlich führte er uns mit einem Spazierstock die
virtuose Dirigier-, Dreh- und Wurftechnik vor, mit der
er seine Military-Band zum Swingen brachte. Nach
seinen anschließenden Studien an verschiedenen
Es war die Zeit des “Kalten Krieges” und die von uns
gemeinsam projektierten Veranstaltungen wurden
vom Westberliner Kultursenat finanziell getragen, zumal wir eine Lücke im Schaufenster des westlichen
Kulturbetriebes füllten, indem wir kurzweilige Konzerte mit zeitgenössischer Kammermusik organisierten,
die sich sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung nicht an dem allgemein üblichen Kanon dieses Genre ausrichteten, sondern durch neue Darstellungsweisen und Aufführungsorte das Interesse des
Publikums weckten.
Die “Gruppe Neue Musik Berlin” war eine Notgemeinschaft junger Komponisten, die in Eigeninitiative ihre
Werke aufführten, interpretiert von gleichaltrigen Musikern aus den großen Westberliner Orchestern, wie
den Philharmonikern, dem Radio-Symphonie-Orchester und dem Orchester der Deutschen Oper Berlin
.Die außerordentliche Qualtät dieser Interpreten garantierte ein hohes Aufführungsniveau, was schließ-
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lich unseren Kompositionen zu gute kam. Durch diese Erfolge wurden unsere Begabungen bestätigt, wir
erhielten individuelle Kompositionsaufträge von den
beiden Westberliner Rundfunksendern Rias und SFB,
wurden durch Kunstpreise geehrt und schließlich als
junge Kulturbotschafter einer neuen zeitgenössischen
Berliner Kammermusik in zahlreiche andere Länder
geschickt und konnten so für Berlin und unsere eigene Musik werben.
Die einzelnen Mitglieder der Gruppe fluktuierten, es
gab Abgänge wegen ästhetischer Querelen oder auch
aus ganz pragmatischen Gründen, es gab aber auch
immer wieder Neuzugänge, was sich im Verlaufe der
Jahre ausglich. Bis schließlich von den Gründungsmitgliedern die drei unverzagten Kollegen Humel, Siebert
und Wahren übrig blieben. Jeder von uns hatte neben
seinen Kammermusikkompositionen in allen variablen Besetzungen, sein spezielles Genre innerhalb der
Neuen Musik entdeckt. Bei Gerald Humel war es die
Ballettmusik. Er vertonte mit Begeisterung narrative
Szenerien, komplexe Handlungsstränge, deren dramaturgischen Verläufe er mit seiner zunächst vor allem an Arnold Schönberg orientierten Stilistik expressiv in grosse musikalische Zusammenhänge setzte.
Ganz gleich ob es sich dabei um Partituren für grosses
Orchester oder kleinere, kammermusikalische Formationen handelte. Denn durch unglaublich geschickte,
farbig sehr abwechslungsreiche Instrumentationen
verlangte er den Musikern Klangphänomene ab, so
dass die Hörer schon bald nicht mehr wussten, ob der
Handlungsablauf von einem normalen Orchester oder
ledigliche von einem kleinen Kammermusik-Ensemble
vorangetrieben wurde. Er war von uns Komponisten
derjenige, den man ohne stilistische Verbiegung einem wirklich neuen, musikalischen Expressionismus
zuordnen konnte, dessen offensichtlicher europäischer Ursprung von transatlantischer Beeinflussung
nicht frei war.
In den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts beherrschte die Stilikone Arnold Schönberg das Denken
avantgardistischer junger Komponisten in Europa wie
in den USA. Das betraf vor allem die strenge serielle Kompositionstechnik, der Humel dann viele Jahre
verhaftet blieb. Innerhalb der vergangenen zwei Jahrzehnte gelang ihm eine langsame, jedoch konsequente Loslösung von seinem dominanten Vorbild, durch
das er bereits in den USA während seines Studiums
musikalisch konditioniert worden war.
Liest man in Gerald Humels frühem Lebenslauf die
Zielgerade zum Transatlantiker heraus, wie ich es eingangs erwähnte, so veränderte sich seine Haltung zu
dieser Einordnung mit der Zeit. Schon vor vielen Jahren brachte uns Gerald von seinen USA-Besuchen
eigene Eindrücke von der dortigen medialen Massenüberflutung mit. Es war abzusehen, dass es in der Folge dieser Entwicklung langsam unmöglich wurde, zwischen Kitsch und Kunst zu unterscheiden, wirklichen
Avantgardismus von purem Blödsinn zu trennen. So
verlor sich Humels transatlantisches Selbstverständnis in einer zunehmenden Hinwendung zur Kultur des
alten Europa. Das darf man allerdings nicht als eine
ästhetische Einengung sehen, es zeigt vielmehr eine
Besinnung auf die eigenen, ursprünglichen Wurzeln
in einer sich rapide verändernden Welt. Humel reiste
viel, besonderns oft ins Ausland, ins östliche wie ins
westliche. Vor kurzem verbrachte er mit seiner Frau
Haidi Sandmann ein ganzes Jahr in Australien, wohin
er sein künstlerisches Netzwerk erweiterte.
Bertold Brecht diagnostizierte einst: “Wir Deutschen
sind im Ertragen von Langeweile ungemein stark und
äußerst abgehärtet gegen Humorlosigkeit”.
Sollte Musik ein Auslöser zu diesem Sarkasmus gewesen sein, dann könnte es sich keinesfalls um Musik
von Gerald Humel gehandelt haben, denn Langeweile
kann ihr selbst der missgünstigste Kollege nicht nachsagen. Allerdings war Humels Humor auch nicht an
Heinz Rühmann oder Heinz Erhardt approbiert, sondern eher an Buster Keaton und den Marx-Brothers
geschärft worden. Aber in der heutigen Welt geht es
längst nicht mehr um die Wirklichkeit, sondern nur
noch um die äußere Wirkung.
Konnte Picasso noch postulieren: “Kunst ist eine Lüge,
die uns die Wirklichkeit erkennen lässt”;
Ich bin mir nicht sicher, ob diese kluge Sentenz heute
noch richtig verstanden wird, wo doch die Lüge sowohl
in der Politik als auch in der Kunst länst gesellschaftsfähig und fast unentbehrlich geworden ist.
Auch Humel wollte mit seiner Kunst – wie alle schöpferisch tätigen Menschen - der Wahrheit näher kommen, darum blieb er auch zeitlebens den historisch
gewachsenen Parametern unserer abendländischen
Musikkultur verhaftet. Allerdings nicht in konventioneller Naivität, sondern gefiltert durch sein eigenes
zeitgenössisches Klang- und Rhythmusempfinden, zu
dessen individueller Kennzeichnung gerade Kurzweil
und Verständlichkeit, aber auch Witz und Ironie gehören. Die klangliche Anschaulichkeit seiner Werke ist
allerdings nicht mit dem ersten Schwung zu verste-
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hen. Humel verlangt von seinen Hörern Mitdenken,
Mitfühlen. Er verlangt auch die echt gefühlten falschen
Töne selbst zu entlarven, das bewusste Klischee in
den komplexen Kontext einzuordnen, der sich allerdings zu dem üblichen Behaglichkeisanspruch unseres pittoresken Medienalltags und seiner falschen,
marktschreierischen Virulenz quer stellt.
bestimmte. Seine perfekte Dreisprachigkeit verlieh
ihm die Kraft interkultureller Vermittlung, die er mit
großem Feingefühl und seinem Sinn für Prioritäten zu
realisieren wusste.
Dabei strebte Gerald Humel in seinen Werken stets
nach intelligenter Anschaulichkeit und lebendiger
Unmittelbarkeit. Verbissene Innovationssucht, dionysische Entsagung bis zur skelettierten Klanglichkeit
waren ihm ein Gräul. Von seiner eigenen Zielsetzung
ließ er sich auch nicht durch das Hohngelächter ästhetischer Fundamentalisten abbringen, so wenig wie
durch die Indolenz journalistischer Schreibtischtäter,
die noch immer verbissen auf der Suche nach des
Kaisers neuen Kleidern sind.
Diesen komplexen Menschen - Gerald Humel - hier mit
einigen Sätzen zu umreißen, konnte nur mit mancherlei Unschärfen geschehen. Jedoch seine von einem
tiefen Humanismus getragene Botschaft, die in ihrer
scheinbar abstrakten, aber lebendigen musikalischen
Sprache hörbar und erkennbar von Toleranz und
menschlicher Verständnisbereitschaft zu uns spricht,
aber auch von intensiver Ablehnung gegen scheinbar Unabänderliches -, kurz, sein musikalisches Vermächtnis soll auch künftig zu uns sprechen und wir
wollen uns dabei mit Liebe und Optimismus unseres
Freundes und Kollegen Gerald Humel in herzlicher
Sehnsucht erinnern.
Gerald Humel war ein streitbarer, aber ein klarer Geist,
der sich für unseren politischen Alltag ebenso vital
ineressierte wie für Musik allgemein, die seine freilich
vorangestellt. Mit Eifer konnte er nach einem Konzert
eine leidenschaftlich geführte Diskussion um ein einzelnes Werk entfachen, das auf positive oder negative Weise seinen Nerv getroffen hatte.Dabei ging
es ihm nie um simple Rechthaberei. Gelang es einem
Kontrahenten, ihn zu überzeugen, akzeptierte er auch
eine andere, konträre Meinung. Er unterlag nie dem
Zwang, Andersdenkende missionieren zu müssen.
Denn bei aller Streitbarkeit für einen ästhetischen
oder auch politischen Standpunkt, war Humels Charakter von einem Commen sense geprägt, den seine
zum Vermitteln bereite, liebenswürdige Grundnatur
Während unserer jahrzehntelangen musikalisch wie
organisatorischen Zusammenarbeit war zwischen uns
eine tiefe Freundschaft entstanden, die unter konkurrierenden Kollegen ihres gleichen sucht. Auf unseren
zahlreichen Spaziergängen diskutierten wir Probleme
der zeitgenössischen Kunst, speziell solche, unseres
sich ständig verändernden Berufsstandes. Aber auch
ganz Persönliches, Privates wurde angesprochen und
dabei oft gegenseitiger Rat gesucht. Meinen Töchtern, die Gerry – wie wir ihn nannten – von kleinst auf
kannten, war er ebenfalls ein lieber, an ihren kleinen
Problemen freundlich anteilnehmender Vertrauter.
Wir alle haben einen sehr liebenswerten, eben auch
kritischen, vor allem aber treuen Freund für immer
verloren.
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Presse zu “Magnificat” Uraufführung 1984
1. Berliner Morgenpost (W.Sch.)
2. Der Tagesspiegel (Walther Kaempfer)
3. Frankfurter Allgemeine Zeitung (H.H. Stuckenschmidt)
Konzert in der Philharmonie zum 30jährigen Bestehen
des Berliner Konzert-Chores
BM 28.03.1984 –
Zum Jubiläum gab´s ein Werk von Wahren
... Schwer tat sich dieser Chor nur mit der zeitgenössischen Musik. Sie war und wird wohl auch weiterhin
die Ausnahme von der Regel bleiben. Um so bemerkenswerter, daß man zum Jubiläum sogar ein Werk in
Auftrag gegeben hat. Es wurde nun unter viel Beifall,
aber auch einigen Unmutsäußerungen in der Philharmonie aus der Taufe gehoben: Ein Magnificat von Karl
Heinz Wahren.
Wahren verschmähte es, seinem Magnificat den
sonst üblichen Text aus dem Lukas-Evangelium unterzulegen. Statt dessen greift er auf mehrere, ganz
verschiedenartige Autoren zurück. Texte von Cicero,
Augustinus, Petrarca, Imanuel Geibel und des Engländers Tavistock stehen nebeneinander. Der Vielfalt
der Worte entspricht eine Vielfalt der Stile: Gregorianische, barocke, impressionistische, zwölftönige und
geräuschartige Elemente werden eingesetzt.
Wahrens Anspruch ist hochgeschraubt. Eine Art
Friedensappell, ein Plädoyer für friedliches Zusammenleben aller Völker soll aus dem Werk aufklingen.
(W.Sch.)
Der Tagesspiegel 27.03.1984
Apokalyptische Kraftballungen –
Der Berliner Konzert-Chor mit Weisse in der Philharmonie
Zum 30jährigen Bestehen des Berliner Konzert-Chores war an Karl Heinz Wahren, den heute 50jährigen,
vorzugsweise in Berlin ausgebildeten Komponisten
und Mitbegründer der Gruppe Neue Musik, der Auftrag ergangen, für das Jubiläumskonzert ein größeres
Werk für Chor und Orchester zu schaffen. Was unter
dem Titel “Magnificat” nun bei festlichem Anlaß zur Uraufführung kam, war mitnichten eine Vertonung des
marianischen Lobgesanges aus dem Lukas-Evangelium, der vom frühen Mittelalter bis in unser Jahrhundert die Meister beider christlichen Konfessionen
zu unzählbaren Tonsätzen inspiriert hat. Wahren hat
vielmehr ein Konglomerat aus lateinischen, mittelalterlichen Versen oder Sprüchen und einem leider
schwachen Gedicht Emanuel Geibels als Textvorlage
benutzt, die der in allen Völkern seit der Antike immer
wachen Friedenssehnsucht Ausdruck geben soll.
Mit den Worten “Magnificat mundus pacem” beginnt
und endet das umfangreiche dreiteilige Opus, das mit
berühmten Worten Ciceros, des Horaz und Augustinus und der Klage des Petrarca über den Verfall der
römischen Kirche im 14. Jahrhundert untermischt ist.
Das gewiß hochaktuelle Plädoyer für den Frieden, das
von politischen Parteien aller Länder in Demonstrationen laut wird, kann schwerlich zu einem Kunstwerk
geformt werden, denn wie schon Cicero wußte, “silent musae inter arma” – wenn die Waffen sprechen,
schweigen die Künste.
Die Tonsprache Wahrens, die sich collagierend gregorianischer Melismatik, kanonischer und kontrapunktischer, dazu orchestraler Effekte von sanftem Impressionismus bis zu hartem Cluster bedient, erreicht
zwar durch vielfach rezitativische Diktion und das zum
Instrumentalklang gesprochene Wort im allgemeinen eine Faßbarkeit des Sinngehalts. Musikalische
Eindrücke ergeben sich aber nur in wenigen Takten
instrumentaler Ein- oder Überleitung oder in apokalyptischen Kraftballungen. Die zeitlichen Übermaße
der drei Sätze ermüden die Hörer in der gut besetzten
Philharmonie spürbar, so daß der den Schlußbeifall
erheblich störende Widerspruch beim Erscheinen des
Komponisten auf dem Podium verständlich erschien.
(Walther Kaempfer)
Frankfurter Allgemeine Zeitung 07.04.1984
Berliner Konzert-Chor
... Das Jubiläums-Programm stellte vor Mozarts Große Messe in c-moll eine Uraufführung: Karl Heinz
Wahrens “Magnificat”; das im Auftrag des Berliner
Konzert-Chors zu diesem Anlaß geschrieben ist. Wahren, Jahrgang 1933, lebt in Berlin, hat Komposition bei
Josef Rufer und Karl Amadeus Hartmann studiert. In
zahlreichen Arbeiten und vielen Gattungen bewährt,
machte er 1976 mit der komischen Oper “Fettklößchen” (nach Maupassants Novelle “Boule de suif”)
Aufsehen.
So vielzüngig wie diese ist auch das 37 Minuten lange
“Magnificat” für Chor, Orchester und Soloquartett. Als
Text hat Wahren eine lateinische, deutsche und englische Anthologie von Zitaten aus der Weltdichtung zusammengesetzt: Klagesang und Friedensbitte in drei
Sätzen. Das pazifistische Leitwort “Magnificat mundus
pacem” wird nach kurzer Orchester-Einleitung vom
Chor gesungen. Den musikalischen Gipfel bildet der
zweite Satz im Wechsel von Fugato der männlichen
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Solisten und Chören, alle bald singend, bald sprechend, die Polyphonie bis zur Achtstimmigkeit im “Misera” geführt. Lieblichere Töne bringen die weiblichen
Solisten im Rosengedicht eines englischen Barockpoeten, bis Soloquartett und Chor mit einem Friedensruf
an die Menschheit das Werk beschließen. Wahren hat
wieder einmal ein tief engagiertes Stück von meisterlicher Kunst geschrieben. ... (H.H. Stuckenschmidt)
Presse zu “Du sollst nicht töten”
Aufführung 1974
1. Frankfurter Allgemeine Zeitung (H.H. Stuckenschmidt)
2. Die Welt (Harald Colberg)
3. Der Tagesspiegel (Gottfried Eberle)
4. RIAS-Hörfunk (Walter Bachauer)
5. Philharmonische Blätter (wgb)
6. Berliner Morgenpost (-w-)
7. Spandauer Volksblatt Berlin
Frankfurter Allgemeine Zeitung - 05.04.74
Neuheiten in West-Berliner Konzerten
Karl-Heinz Wahren beschloß mit seiner Kantate “Du
sollst nicht töten” den interessanten Abend. Zwei Sprecher, Chor und Tonband teilen sich mit Jazzsolisten in
die Interpretation eines gegen alle Gewalt gerichteten
Textes, den der in Berlin lebende Komponist zusammen mit Walter Böttcher aus christlich-religiösen Liturgieworten ausbrechen läßt.
Ausgezeichnet für die Stimmen und Instrumente gesetzt, überzeugend, wo immer sie rein musikalisch begrenzt ist, leidet diese Kantate an einer etwas äußerlichen Plakathaftigkeit. Doch der hohe sittliche Ernst
ihres Bekenntnisses setzte sich durch, auch dank der
großen Intensität, mit der Reinhard Peters manche
Schwierigkeiten der Synchronität überbrückte.
(H. H. STUCKENSCHMIDT)
Die Welt - 30.03.74
Die Kette von Leiden – “Musik der Gegenwart” unter
Reinhard Peters in der Philharmonie
“Sie nehmen das Kreuz und drehen und drehen es
um, bis es zum Schwert wird.” Dieser Satz, Dreh- und
Angelpunkt der Kantate “Du sollst nicht töten” von
Karl-Heinz Wahren, läßt schlaglichtartig deutlich werden, mit welch metaphorischer Prägnanz der Berliner
Komponist und sein Textmitgestalter Walter Böttcher
ein ungeheuer anspruchsvolles Thema angehen: Gewalttat und Mord, die die Menschen seit den Tagen
Kain und Abels einander antun, und ihre Konfrontation
mit der tradierten christlichen Doktrin von Vergebung
und Nächstenliebe.
Unausgesprochen ist es, das Problem der Theodizee,
die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts
einer Welt voller Leid, Blut und Vernichtung, das hier
aktualisiert wird. Aber es wird nicht theologisch bequem ausgewichen. Letztlich ergeht der Appell an den
Menschen selbst, die geschichtliche Kette von Elend
und Greueltat zu durchbrechen. Daß dieser Appell
nicht in Agitprop-Thesen, sondern in der Benennung
des Schrecklichen und nicht frei von Sarkasmus und
Verzweiflung vorgetragen wird, gibt dem Werk seine
Tiefendimension. ...
...Die Mannigfaltigkeit der Mittel von der Gregorianik
bis zum Jazz, vom hymnischen Lobgesang bis zum
schaurigen Wehgeschrei, vom Kriegslärm und Demonstrationsprotest bis zur Aufzählung der Stätten
des Grauens (“...Treblinka, Hiroshima, Dresden...”)
reflektiert die Fülle der Perspektiven. Vor diesem Hintergrund referieren zwei Sprecher (Robert Dietl und
Helmut Krauss) Stationen menschlicher Vernichtung:
Kains Brudermord, die letzten Sekunden eines Hingerichteten, Aspekte von Napalm- und Atomkrieg, den
Terror der christlichen Konquistadoren in Westindien.
...(Harald Colberg)
Der Tagesspiegel - 30.03.74
20. Jahrhundert
Karl Heinz Wahrens Kantate “Du sollst nicht töten”
für kleines Blasorchester, Jazzcombo, Chor, zwei
Sprecher und Tonband ist 1969 bei den Jazztagen
durchaus mit Erfolg aufgeführt worden. Jetzt erregte
sie neben Beifall auch heftigen Widerstand. Warum
wohl? Diese Musik war jedenfalls sinnfälliger als das
übrige Programm. Zu sinnfällig und direkt vielleicht
schon wieder? Ihre Botschaft ist klar. Eine Welt der
Glaubensgewißheit repräsentiert durch gregorianischen Choral wird Protokollen des Sterbens und der
Brutalität, Kriegs- und Demonstrationslärm konfrontiert. Engagierte Musik also, freilich nicht für eine bestimmte politische Richtung. Wurde das zum Vorwurf
gemacht? Das Stück ist fraglos sorgfältig gearbeitet,
frappierend vor allem immer wieder in den Übergängen, den Überlappungen von verschiedenen Perspektiven. Allerdings, die einzelnen “Takes” wirkten jetzt zu
lang, das Ganze nach dieser kurzen Zeit schon merkwürdig gealtert. Vielleicht aber muß das Komponieren
letztlich immer an der Gewalt des besagten Themas
abprallen. ... (Gottfried Eberle)
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RIAS-Hörfunk
zur Pelca-Schallplatte “Du sollst nicht töten”
...Stockhausen montierte aus den Nationalhymnen
der Welt seine “Hymnen”, Luciano Berios “Sinfonia”
verklebte Samuel Beckett mit Elementen einer Mahler-Symphonie, Lukas Poss fügte aus verfremdeten
Motiven von Dach und Scarlatti seine parodistischen
“Barock-Variationen”.
Die Kantate Karl Heinz Wahrens nutzt die neue Technik zu einer sehr direkten Konfrontation von Religion,
Politik und Musik. Bibelstellen und zeitgenössische
Texte über Anwendung von Gewalt, das Alte Testament und Vietnam werden simultan zu Zeugen eines
pazifistischen Manifests aufgerufen; im Vordergrund
die Anklage gegen die militärischen Maschinerien der
Gegenwart und die technisch verfeinerte Kunst des
Tötens. Eine kommentarlose Folge der archaischen
und modernen Textpartikel - sie ist von der evangelischen Kirche autorisiert - zielt auf Schock, Plastizität
der Vorstellung, nicht so sehr auf ästhetische Wirkung.
Wahren hat sie ganz der Musik überlassen, die aus
nicht minder Heterogenem konstruiert ist.
Chor-Polyphonie in dichten Flächen, wie sie übrigens
auch Penderecki in der gefeierten “Lucas-Passion”
verwendet, stehen neben den harten Blech-Breaks
des Jazzensembles,
Flötenkantilenen neben Beat und von Tonband eingespieltem Kampflärm. Der Widerspruch der musikalischen Materialien wird nicht simpel durch Verwischung ihrer verschiedenen
Ebenen gelöst, sondern quer durch die Dramaturgie
des Ganzen ausgetragen. Collage-Technik präsentiert
sich hier pur.
Das erhöhte Risiko solchen Komponierens hat seinen
guten Sinn; der Autor mag in der Musik nichts von dem
beschönigen, was der Text in seinen Kontrasten aufwirft. Der ästhetische Bruch, in engagierten Stücken
bereits Kunstmittel, spiegelt drastisch den Zustand
der “beschädigten Welt”. (Walter Bachauer im RIAS)
Philharmonische Blätter - Heft 6 1973/74
Das Thema dieser Kantate ist nicht der ewige Zyklus
des Sterbens, sondern vor allem das Töten, der Mord,
den Menschen für Menschen planen, ist der Mechanismus der Gewalt, der im Namen von Ideologien oder
im Namen des Kreuzes in historischen Zeiten wie in
der Gegenwart an Menschen vollzogen wird. Walter
Böttcher, der in Zusamrhenarbeit mit dem Komponisten die Texte dieser Kantate zusammenstellte, beginnt zwar mit einer alten biblischen Notiz, der über
den Brudermord Kains an Abel. Aber der Blick konzen-
triert sich vor allem auf die Dokumentation der Gewalt,
wie sie hier durch Texte über den Mord der Spanier
in Westindien, durch einen Hinrichtungsbericht oder
Texte über Napalm- und Atombombenverheerungen
belegt wird. Und die christlichen Verläßlichkeiten, wie
sie im alten Lobgesang ,Und gelobt sei der Ewige’
auch hier mehrfach zitiert werden oder in der Gelassenheit des “Alles hat seine Zeit ...” sie geraten in den
Sog eines gegenwärtigen Lebensgefühls, das mit den
traditionsreichen Wahrheiten nicht nur dissoniert, sondern sie radikal in Frage stellt. Denn angesichts des
realen Schreckens wird im Bewußtsein des gegenwärtigen Menschen die alte Bitte “Rette mich, Herr,
vor dem ewigen Tode an jenem Tage des Schreckens”
zu einer eigentümlich akademisch gefärbten, weit im
Hintergrund verborgen liegenden Bitte. Kugelbombe,
Napalmbombe, Atombombe und die Topographie des
Grauens, die hier mit La Guernica beginnt und mit
Biafra ihr, wir wissen, nur vorläufiges Ende gefunden
hat, solche Realitäten scheinen durch keine jenseitige
Höllenqual mehr überbietbar zu sein.
Karl Heinz Wahren hat diese Kantate 1969 im Auftrag
des RIAS geschrieben, und im gleichen Jahr fand sie,
während der Berliner Jazztage, eine vielbeachtete Uraufführung. Sie ist für Orchester, für Jazzsolisten und
Chor und Sprecher und Tonband konzipiert. Und diese Vielfalt der musikalischen Mittel spiegelt exakt die
Vielfältigkeit der Perspektiven, wie sie in der Text-Collage ausgebreitet wird.
Vordergründig betrachtet, sucht Wahren die Konfrontation von Jazz-Aggressivität, stillem Orgelton und vox
humana, als der Stimme des leidenden Menschen,
wie sie sich mehrfach in weitgefächerten Chorpartien
ausspricht. Hinzu kommt zudem die Nüchternheit der
Sprecher, kommen die konkreten musikalischen Partikel von Demonstrationen oder Zitate aus Gregorianik
und Renaissance. In der Tat ist nicht zu leugnen, daß
wesentliche Partien der Kantate von schnellen Schnitten leben, von der Konfrontation kurzer musikalischer
Partien unterschiedlichen Charakters. So wechseln
immer wieder jäh emphatische Ausbrüche des Orchesters mit klagenden Chorpartien oder der nüchternen
Heftigkeit kurzer solistischer Jazzeinblendungen. Andererseits aber gelingen Wahren allmähliche Überlagerungen oder auch kaum merkliche Veränderungen
der zugrunde liegenden Ausdruckscharaktete von
verblüffender Intensität. Nach dem Bericht über den
Hingerichteten findet sich eine im Herzrhythmus zukkende Jazzüberleitung, die unmittelbar in eine gregorianische Intonation überführt wird. Klimatisch und
musikalisch wird sie überlagert von der Hochstimmung
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der Renaissance-Trompeten, die wiederum ins Saxophon-Solo einmünden, in Linien von eindringlicher
Beweglichkeit. Das Solo reichert sich an, es wird zum
Ensemble mit zwingendem, vorantreibendem Baß und
schliefllich zum Geräusch knatternder Maschinengewehre, das sich zum Demonstrationslärm weitet. Solche Kunst des musikalischen Changierens faßt das
musikalisch Einzelne auf faszinierende Weise zum
klimatisch einheitlichen Raum zusammen. Und sie ermöglicht es auch, daß Wahrens Partitur nie ins hohle
Pathos der Anklage ausbricht oder ins überhöhende
musikalische Espressivo. Die Musik bleibt vielmehr so
konkret, so unmittelbar faßlich auch, wie es die Texte
ohnehin sind. Diese Leichtverständlichkeit der Partitur
sollte freilich nicht darüber hinwegtäuschen, wieviel
Kunstverstand in die musikalischen Zusammenhänge
eingegangen ist. Denn gerade die Sprache des Jazz,
wie sie Wahren in den stilistisch vielfältigen Raum integrierte, wird mit außerordentlicher Empfindsamkeit
und auf verschiedenen Ebenen gehandhabt. So ist
sie einmal, in den Breaks, Ausdruck der Aggression,
andererseits aber auch gleichsam neutralisierende
Ebene, vor deren Hintergrund sich mit aller Deutlichkeit die Texte formulieren lassen. In ihrer Gelenkigkeit
aber kontrastiert sie mit der Statik der alten Gesänge
und deren starrer Traditions-Aura.
“Du sollst nicht töten” ist eine Kantate, die um Teilnahme wirbt, indem sie pathoslos sagt, wie es ist. Und
darum sollte man sie auch wie eine Information aufnehmen: wach und reflexionsbereit.(wgb)
vom Tonband und kammermusikalische Melancholie
zu einer verblüffenden Einheit verschweißt werden. ...
(-w-)
Berliner Morgenpost - 30.03.74
Kühle Sprechtexte und Klageschreie
Die Kantate “Du sollst nicht töten” des Berliner Komponisten Karl Heinz Wahren dürfte zu den wenigen
zeitgenössischen Werken zählen, die die Chance haben, einstmals unsere Epoche würdig und eindrucksvoll zu repräsentieren. Das liegt nicht nur an dem
hochgespannten Thema, das sich nichts Geringeres
vornimmt, als Gewalttat und Mord in Geschichte und
Gegenwart mit den christlichen Heilsgewißheiten zu
konfrontieren. Ein Thema also von unablässiger Brisanz und Aktualität.
Viele Stilmittel
Es liegt vor allem aber an der dramatisch-packenden
Direktheit, mit der Wahren den Vorwurf gestalterisch
bewältigt. Der Vielfalt der Perspektiven entspricht
eine Fülle scheinbar unzuvereinbarender Stilmittel.
So ist es immer wieder faszinierend zu beobachten,
wie Gregorianik und Jazz, expressive Klagesehreie
und kühl referierende Sprechertexte, reale Geräusche
Presse zu “Fettklößchen” - Uraufführung 1976
Spandauer Volksblatt Berlin - 30.03.74
“Musik des 20. Jahrhunderts”
In seiner Kantate “Du sollst nicht töten” verbindet
Karl Heinz Wahren (geb. 1933) Orchester, Jazzsolisten, Chor, Sprecher und Tonband. Von den damit
gegebenen Möglichkeiten macht Wahren eine halbe
Stunde lang in rascher Abwechslung immer nur knapp
Gebrauch, so dafl ein Eindruck sparsamer Fülle entsteht und die Einheitlichkeit des Duktus stets gewahrt
scheint. Der Text, eine von Walter Böttcher und Wahren selbst zusammengestellte Montage in vier Sprachen, läßt vom Sakralwort über politische und medizinische Texte bis hin zur Aufzählung von Stätten des
Massenmords von Guernica bis Biafra verschiedene
Aspekte des Sterbens und Leidens aufklingen. Der
appellative Sinn dieses moralistisch gemeinten Kunstwerkes verbirgt sich hinter nüchterner Beschreibung
und Tönen der Klage - und das gewiß nicht zu seinem
Schaden. Manche mögen´s jedoch nur mit dem Holzhammer; So jedenfalls erkläre ich mir die vereinzelten
Buhrufe, die Wahren als einzigem der anwesenden
Komponisten zuteil wurden.
1. Frankfurter Allgemeine Zeitung (H.H. Stuckenschmidt)
2. Theater Rundschau (Joachim Kramarz)
3. Die Welt (Klaus Geitel)
4. Der Tagesspiegel (Wolfgang Burde)
5. Orpheus (Klaus Laskowski)
6. SFB-Fernsehen Abendschau (Ditha Rupprecht)
7. SFB-Hörfunk (Dietrich Steinbeck)
8. Berliner Morgenpost (Horst Feige)
9. Kieler Nachrichten, Mannheimer Morgen, Tageblatt
Heidelberg (Hellmut Kotschenreuther)
10. Westfälische Zeitung (Horst Dammrose)
11. Berliner Zeitung (K.W.)
12. Der Abend
13. Spandauer Volksblatt Berlin (Georg Quander)
Frankfurter Allgemeine Zeitung - 26.04.76
Fettklößchens Jammer –
Karl Heinz Wahrens Buffa in Berlin uraufgeführt
Nun hat ein Musiker des Jahrgangs 1933 einen Fund
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gemacht. Guy de Maupassants Erstlingsnovelle, die
“Boule de suif” von 1880, drängt sich als kapitaler
Spaß mit kritischen Hintergrund der Bühne gleichsam
auf. ...
Zusammen mit dem Hausdramaturgen der Deutschen
Oper Berlin, Claus H. Henneberg, hat der Komponist
Karl Heinz Wahren daraus ein Stück in drei Bildern
gemacht. Maupassants Novellentext wird in Szenen
und Nummern aufgespalten. Dialoge, Ensembles und
Lieder folgen den Geboten des Singtheaters. Dabei
kommt es zu Vergöberungen. Die Sprache wird vulgär;
bisweilen ist schon die deutsche Übersetzung ordinärer als der französische Text. Dramaturgisch ist das
Libretto in Ordnung.
Was sagt die Musik dazu? Karl Heinz Wahren, ehemals Schüler Amadeus Hartmanns und Josef Rufers,
hat seit den sechziger Jahren mit Symphonik und
Kammermusik von sich reden gemacht. Sein Klavierkonzert war bei den Berliner Festwochen 1968 in Rolf
Kuhnerts Interpretation ein Wurf. Ohne sich serieller
und aleatoririscher Mittel zu bedienen, redete Wahren
eine kultivierte, auf zwölftönigen Methoden ruhende
Sprache.
“Fettklößchen”, im Auftrag der West-Berliner Oper
geschrieben, ist sein erster Bühnenversuch. Für nur
vierzig Mann Orchester einschließlich Harfe, Celesta,
Klavier und zwei Schlagzeuggruppen ist die Partitur
sparsamer gesetzt als der oft üppige, rauschende,
polyphone Klang vermuten läßt. Die Mittel sind pluralistisch: neben vieltönig-dissonanten Akkorden, Clusters, Glissandowirkungen und vielfarbigem Geklingel
stehen äußerst simple Stellen vom Marseillaisezitat im
kurzen Vorspiel bis zu den “Nummern”, zu denen ein
meist rezitatirisch-deklamierender Singstil manchmal
gerinnt.
Auch das singspielhaft gesprochene Wort mischt sich
in die gesungenen “Strecken” ein. Der Hauptmangel
der Musik ist, daß diese höchst heterogenen Mittel fast
unvermittelt nebeneinander liegen. Sie wollen nicht
verschmelzen. So zerfällt der Ablauf in einzelne Teile.
Wahren hat Sinn für Parodien. So glücken ihm Dinge
wie das nationalhymnische Unisono am Schluß des
ersten Bildes ebenso wie das Terzett de preußischen
Soldaten im zweiten und das gesungene Salonstück
von Judith und Holofernes. Da überall herrscht ungenierte Tonalität und Diatonik. Aber gleich daneben
klingen dann im Orchester teils Erinnerungen an Debus- syschen oder Ravelschen Impressionismus, teils
dissonante Kontrapunkte. Das handwerkliche Können,
namentlich in der Orchesterbehandlung, ist beachtlich.
(H.H. Stuckenschmidt)
Theater Rundschau - Juni 1976
Herzlicher Beifall für Karl Heinz Wahrens “Fettklößchen”
Diese kleine Eineinhalb-Stunden-Oper verdient alle
Anerkennung. Karl Heinz Wahren schreibt eine Nummernoper, seine Musik spielt in klaren Taktmaßen,
gewohnten Harmonieabläufen bildet Perioden und
benutzt Neutönerisches nur sehr zurückhaltend. Aber
in diesem Rahmen ist die Musik einfallsreich, trifft den
Ton der Handlung, changiert leicht zwischen Gesang
und Sprache, eröffnet den Sängern gute Spielmöglichkeiten und hat Witz. ...
(Joachim Kramarz)
Die Welt - 26.04.76
Schmunzelmusik zur Häme von Maupassant
... Karl Heinz Wahren, der Komponist und Claus H.
Henneberg, Dramaturg der Deutschen Oper Berlin, ab
Herbst Generalintendant in Kiel, haben die Bühnenwirksamkeit des Sujets erkannt, das schon Michael
Romm in Rußland, Christian Jaque in Frankreich verfilmt haben.
In Wahrens Vertonung serviert die Deutsche Oper
Berlin nun dieses “Fettklößchen”, gewissermaßen in
würziger Sauce, und zwar im neuen Theatersaal der
Musikhochschule Berlin.
Karl Heinz Wahren ist ein geschickter, auch gewitzter
Komponist, der sein Metier ausgezeichnet beherrscht.
Er schreibt eine klingende, illustrierende, oft effektvoll
schlagkräftige Musik, die im Wechsel aus gesungenen und gesprochenem Wort geschickt Nutzen zieht.
Aber es ist gewissermaßen die Musik einer klassenlosen Gesellschaft. Wahren spickt das Geschehen
mit hübschen, geschmackvollen Orchesterpointen.
Er setzt manch lustigen, ironischen, sogar parodistischen Kommentar. Wahren schreibt eine Schmunzelmusik. ...
Das “Fettklößchen” erwies sich als Schlager: sozusagen als musikalischer Whimpy. (Klaus Geitel)
Der Tagesspiegel - 27.04.76
Karl Heinz Wahrens Oper “Fettklößchen” uraufgeführt
Der Berliner Komponist Karl Heinz Wahren wollte nach seinem eigenen Geständnis eine im besten
Sinne unterhaltende Oper schreiben¸ Keine, die den
seit den 50er Jahren üblichen vokal-artistischen Subtilitäten erneuten Tribut zollt, keine auch, deren musiksprachliche Differenzierung so weit getrieben ist,
das ein unbekümmert drauflos hörendes großes Publikum nach den ersten Takten bereits zurückzuckt,
mit Desinteresse oder gar Angst reagiert. Der erste
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Schritt, in Zusammenarbeit mit dem Chefdramaturgen
der Deutschen Oper Claus H. Henneberg, vollzogen,
schien ein gutes Stück auf diesem Wege größtmöglicher Kommunikation voranzutreiben. Man entschied
sich für Guy de Maupassants Novelle “Boule de Suif”
(Fettklößchen) als literarischen Vorwurf, und Hennelkerg lieferte ein Libretto, das zwar auch die vulgäre
Pointe nicht scheut, insgesamt aber spielbar und im
traditionellen Sinne theaterwirksam ist.
Karl Heinz Wahren hat dazu eine Opernmusik geschrieben, deren Durchsichtigkeit und kurzmotivische
Gelenkigkeit, deren relativ leichte Singbarkeit und Auffaßbarkeit zunächst durchaus für sie einnehmen. In
den ersten Minuten dieser dreiaktigen Partitur rauscht
die Musik impressionistisch auf, der Parlandoton der
ersten Rezitative hat Textverständlichkeit für sich, und
nirgendwann überdeckt der Klang des Orchesters die
sängerischen Aktionen.
Im Verlauf des ersten Aktes aber wird auch sichtbar,
daß Wahren die Protagonisten an jene beiläufigen
sängerischen Wendungen gebunden hält, daß weder
Pianissimo-Intimität noch Ausbruch, noch etwa ausführlichere ariose sängerische Selbstdarstellung zu
seiner Konzeption gehört. ... (Wolfgang Burde)
Orpheus - 15.06.76
Premiere des Monats Fettklößchen von Karl Heinz Wahren
... Guy de Maupassants Novelle “Boule de Suif” hat
die theatralische Umwandlung mehr als einmal mitgemacht; ob als Film (z.B. von Michail Romm) oder als
Schauspiel (“Hotel du Commerce” von Hochwälder).
Jetzt ist aus dem “Fettklößchen” gar eine Oper geworden. Der Berliner Komponist Karl Heinz Wahren hat
zusammen mit Claus H. Henneberg, dem das theaterwirksame Libretto zu verdanken ist, einen höchst unterhaltsamen musikalischen Dreiakter geschaffen, der
alle Chancen hat, sich als Saison-Hit die deutschen
Opernbühnen zu erobern. ... Dieser dramaturgisch
hervorragende Bau wird orchestral mit viel Achtel- und
Sechszehntelnoten gefüllt. Impressionistische Anklänge wallen für Momente auf, werden durch Zitate und
ganz konventionelle Einschübe - ein Chanson, einen
Can-Can, die Marseillaise - abgelöst. Der Klang ist alles andere als filigran, obwohl nur ca. 40 Mann im Orchester sitzen. Wahrens Arbeit Zeigt in seinem ersten
Bühnenwerk erstaunliches Können, allerdings ohne
allzu große Ideengabe. Aber er kann für Stimmen
schreiben, und das vermögen heutzutage nur wenige Komponisten. Er individualisiert die Gesangslinie,
die oft von der des Orchesters losgelöst ist und nicht
selten in den gesprochenen Dialog mündet. ... (Klaus
Laskowski)
SFB-Fernsehen Redaktion Abendschau
Ein gefälliges Werk ist diese Oper vom “Fettklößchen” - einem nicht mehr ganz taufrischen, leichten
Mädchen -, das aus Gefälligkeit sieben patriotischen
Landsleuten gegenüber dem bösen preußischen feind
schließlich doch den gefallen tut und mit ihm ins Bett
geht.
Gut gefallen hat diese erste Oper des Berliner Komponisten Karl Heinz Wahren dem Premierenpublikum.
Nur Bravos waren zu hören und das ist bei Uraufführungen äußerst selten.
Nun ist Wahrens Erstling nicht das große, erleuchtende Werk des modernen Musiktheaters. Das will es
und soll es gar nicht sein. Aber es stimmt in sich ganz
gut. Schade nur, daß das, was z.B. Musik über innere
Vorgänge zu sagen hat, oft zu kurz kommt.
Wahren räumt dem gesungenen Wort Priorität ein.
Deshalb verzichtet er auch auf artistisch hohe Töne.
Die Folge: man versteht eigentlich jedes Wort, die
Pointen kommen an.
Und das ist gar nicht so schlecht für eine Spieloper, die
eine gute literarische Vorlage hat. Aus Maupassants
Novelle über die heuchlerischen, bigotten Vertreter
der Kirche, des Adels und des Bürgertums haben
Claus H. Henneberg und Wahren ein witzig-ironisches
Libretto zurechtgezimmert. ...
... Der Dirigent Caspar Richter musizierte mit Engagement, Umsicht und Sinn für ironischen Witz. Und
die Sänger bewiesen wieder einmal, daß sie treffliche Darsteller sein können. “Fettklößchen” – diese
neue Oper wird nicht nur in Berlin ihr Publikum finden.
(Ditha Rupprecht)
SFB-Hörfunk
... Eins nämlich scheint mir sicher: diese heiter-satirische Spieloper (und wann hätte ein Komponist unserer Zeit Ähnliches zustandegebracht?), sie wird ihren
Weg in die deutschen Stadttheater finden. Sie ist, den
stimmlichen Anforderungen nach, leicht zu besetzen,
sie bietet zu effektvollem Rollenspiel Gelegenheit
genug ... das Libretto hat Maupassants frühe Novelle recht geschickt gerafft und dialogisiert ...(Dietrich
Steinbeck)
Berliner Morgenpost - 27.04.76
Fettklößchens Reise in der Kutsche der Vorurteile
... Das Märchen von “Fettklößchen” ist ebenso erheiternd wie in seiner lapidaren Schlichtheit menschlich
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ergreifend. Die Wuchtbrumme der siebziger Jahre
(des vorigen Jahrhunderts) hatte ihre Klößchen an
den richtigen Stellen und verstand es, damit gegen
bare Münze zu wuchern.
Weil der Komponist Karl Heinz Wahren die “bürgerliche Renommierwandelhalle” – so nennt er die Oper
im Programmheft – nicht mag, zog man zur Premiere
in den Theatersaal der Hochschule der Künste, wo
das Singspiel gut aufgehoben war.
Die teils impressionistisch schwelgende, teils beatig
laute, auch das Couplet nicht scheuende Musik ist illustrierend.
Da dieses veroperte “Fettklößchen” im Gegensatz
zu seinem literarischen Vorbild nicht im Winter spielt,
durfte Martin Rupprecht kleidsame Sommergarderobe
heraussuchen. ...
Das Orchester unter Caspar Richter spielte die ungewohnte Partitur sicher und mit schönem Erfolg. Der
große Beifall sollte die Deutsche Oper anregen, – wo
auch immer – “Fettklößchen” am Opernleben zu erhalten. (Horst Feige)
Mannheimer Morgen, Kieler Nachrichten, Tageblatt
Heidelberg - 28.04.76
Fettklößchen und die Heuchler –
Eine Oper von Claus H. Henneberg und Karl Heinz
Wahren in Berlin uraufgeführt
... Claus H. Henneberg, der designierte Kieler Generalintendant, und der Komponist Karl Heinz Wahren haben aus der Novelle ein Libretto extrahiert, in dem viel
von der beißenden Ironie, viel von der sarkastischen
Gesellschafts- und Menschenkritik Maupassants bewahrt ist; und Wahrens Musik, die vom heutigen Stand
der kompositorischen Mittel aus den Impressionismus
in den Blick nimmt, versteht sich darauf, Situationen
und Charaktere effektsicher zu pointieren. Die leichtfüßige Partitur, aus der sich dann und wann kleine
Chansons und Ensembles auskristallisieren, zielt –
und gedankt sei´s ihr – eher auf Unterhaltsamkeit als
auf die Unsterblichkeit; sie hat, was hierzulande seit je
rar war: Esprit. ...(Hellmut Kotschenreuther)
Westfälische Zeitung - 27.04.76
Durchaus bekömmlich –
Wahrens erste Oper “Fettklößchen” in Berlin uraufgeführt
Die Deutsche Oper Berlin stellt jetzt im Theater- und
Probensaal der Hochschule für Künste als Uraufführung die Oper “Fettklößchen” von Karl Heinz Wahren
vor. ...
Henneberg und Wahren haben den Novellentext in
verschiedene Szenen und Bilder unterteilt, aus der
Novelle ein Singspiel gemacht, den Kern und Gehalt
der Novelle aber nicht verändert. Die Sprache ist derb,
dramaturgisch bietet das Libretto großartige Möglichkeiten.
“Fettklößchen” ist Wahrens erster musikalischer Bühnenversuch, ein Auftragswerk für die Deutsche Oper
Berlin. Zeitgenösische Kompositionstechniken wechseln mit denen des Impressionismus, Lieder im Volkston, die Ballade von Judith und Holofernes mit modernen, beatähnlichen Rhythmen. Wahren will über
die Brücke des Vertrauten dem Hörer einen Zugang
zu modernen Klängen erleichtern. Die Musik unterstreicht hervorragend das Wort. ...
Mein Gesamteindruck: Diese Nettigkeit “Fettklößchen” sollte keineswegs wieder in der Versenkung
verschwinden. Dank einer vorzüglichen musikalischen
Interpretation, einer gelungenen Inszenierung, hervorragender darstellerischer Leistungen aller Mitwirkenden eine entspannende Abendunterhaltung, die zum
Nachdenken anregt. Sehr empfehlenswert. (Horst
Dammrose)
Berliner Zeitung B.Z. - 26.04.76
Oper mit allem drum und dran
Karl Heinz Wahren hat das “Fettklößchen” zusammen
mit Claus H. Henneberg geschickt für das Musiktheater präpariert! Wahren hat auch ein Ohr für Wirkungen. Er weiß, daß man auf die Dauer keine Musik
ohne oder gar gegen das Publikum schreiben kann,
und hat daraus Konsequenzen gezogen. Also hat er
aus “Fettklößchen” eine Oper gemacht, eine richtige
kleine Oper, mit allem, was dazugehört. Es gibt kurze
Lieder, ein Miniatur-Liebesduett, Tanzrhythmen, alles
klanglich bestens gewürzt, und selbst das Lied als
dramatisches Füllsel, hier ein balladesker Song von
Judith und Holofernes, fehlt nicht. ...(K.W.)
Der Abend - 26.04.76
Das kleine Fressen –
Erfolg im Quintett: “Fettklößchen” in der Fasanenstraße uraufgeführt
... Die Uraufführung im neuen Theatersaal der Kunsthochschule an der Fasanenstraße, eine Exkursion der
Deutschen Oper in ein ihr fehlendes “Kleines Haus”,
verlief am Wochenende sehr erfolgreich und rief alle
fünf Väter des Werkes und der Aufführung an die
Rampe. ...
... Diese Handlung begleitet der Berliner Komponist
Karl Heinz Wahren mit einer handwerklich sehr sauberen, auch geschickt instrumentierten, aber insgesamt
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doch recht harmlosen Musik illustrativen Charakters,
die sich von jedem Avantgardismus freihält und eher
epigonal ist. ...
Spandauer Volksblatt Berlin - 27.04.76
Satire im Gewand einer “Spieloper”
Claus H. Henneberg und Karl Heinz Wahren ist es
im Libretto gelungen, die wesentlichen Elemente aus
Guy de Maupassants gleichnamiger Novelle in eine
pointenreiche szenische Aktion umzusetzen, die in
treffender Rede und gegenrede die politische und moralische Verlogenheit der flüchtigen Reisegesellschaft
sentenzenreich charakterisiert.
Ravel, Bartók und Strawinsky, die Wahren, zeitkoloristisch bewußt zitiert, feiern fröhliche Urständ. Und das
Publikum fühlt sich in solch altvertrauten Klängen offenbar wohl. Es wird von der Musik nicht gefordert und
amüsiert sich an den Späßen der Handlung. ...
Das Orchester unter Caspar Richter erntete ebenso
wie der Komponist und der Librettist herzlichen Applaus. (Georg Quander)
Presse zu “Bayreuther Impressionen” Uraufführung 2004
1. Märkische Allgemeine (Olaf Wilhelmer)
2. Brandenburger Stadtkurier (Ann Brünink)
Märkische Allgemeine - 03.05.04
Analytische Kraft der Langsamkeit –
Wagner in Brandenburg
... Besonders bayreuthisch war das nicht, aber dafür
gab es zuvor die Uraufführung der Bayreuther Impressionen von Karl Heinz Wahren. Inspiriert von der rätselhaften Hassliebe der französischen Impressionisten
zu Wagner, unternahm der 1933 in Bonn geborene
Komponist eine tour d’horizon durch die Welt des musikalischen Zitats: geflügelte Klänge, ein komponierter
Büchmann was einem in Bayreuth halt durch den Kopf geht. Kein
Wagner-Highlight, das Wahren seinen Instrumentations-künsten nicht unterworfen hätte. Zwischen diesen
zweifellos originell verknüpften Fäden keimte aber die
Frage auf, wo hinter jenem in die Jahre gekommenen
Postmodernismus die Persönlichkeit Wahrens zu suchen sei.
Gleichwohl vermochte diese Novität einen komponierten Kommentar zur gedanklichen Klammer des Abends
abzugeben: Eingangs war nämlich ...
Brandenburger Stadtkurier - 03.05.04
Die Brandenburger Symphoniker zelebrieren Gegensätze
... “Bayreuther Impressionen”, die am Wochendende uraufgeführte, rhythmisch und inhaltlich überreiche Komposition von Karl Heinz Wahren (geboren 1933), hat vor
allem den Intellekt der Konzertbesucher angesprochen.
Ganz romantisch leiten die Streicher das an musikhistorischen Bezügen reiche Werk mit einem Motiv aus Wagners Lohengrin ein. Doch plötzlich explodiert ein grelles
musikalisches Feuerwerk. Temporeich und mit schrillen
Dissonanzen schwelgt das Orchester in Erinnerungen
an “Tristan” und den “Fliegenden Holländer”. Mit einem
wehmütigen Cellosolo verharrt das Orchester an Wagners Grab, bevor die Musik mal im fetzigen CancanRhythmus, mal gravitätisch zu Klängen aus dem immer
währenden
“Tannhäuser” von der unendlichen Wiederkehr des Altmeisters kündet.
Mit seiner freitonalen Musik wolle er die Wagnerver-ehrung in die Gegenwart bringen, erklärt Wahren, Mitbegründer der “Gruppe Neue Musik Berlin”. Auch wenn viel
Wagner darin vorkomme, sei seine Komposition kein Potpourri, sondern eine Collage. Darin verbinde er Wagnerzitate mit Eigenem, aber auch mit anderen Impressionen.
Begeistert zeigt sich Wahren von der Leistung der Brandenburger Symphoniker, die seine schwierige Komposition werkgetreu gemeistert hätten. ...
Presse zu “Friedensoratorium”
6. Anfang und Ende der Welt
Uraufführung 2005
1. Augsburger Allgemeine Zeitung (Claus Lamcy)
Augsburger Allgemeine Zeitung - 11.08.05
Vielstimmiger Frieden –
Festkonzert zu “Pax 2005” in der Augsburger Annakirche
... Zuletzt “Anfang und Ende der Welt” von Karl Heinz
Wahren - eine Gegenüberstellung von Genesis und
Offenbarung, zugleich eine Zusammenfassung aller
Mitwirkenden.
Wahren endfesselt düstere Klanggewitter, selbst für
den “siebenten Tag”, der Triumph der Stellen “Der Tod
wird nicht mehr sein” und “Schafft alles neu” erscheint
als kurzer Siegesmarsch, der jäh abbricht: Auftrag
statt Siegesgewissheit? Ein Werk, fragmentarisch und
disparat wie unsere Zeit, dieses “Oratorium” , rätselhaft und mitreißend zugleich - ein einmaliger Akzent
im Friedensjahr. (Claus Lamcy)
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Berliner Morgenpost 11. Oktober 2003
Musikalischer Vagabund - Geburtstagskonzert
Er wollte das Publikum nie vor den Kopf stoßen. Eingängig und verständlich sind seine Werke. Serielle
Konstruktionen? Nein, danke. Jazzrhythmen haben
Karl Heinz Wahren viel stärker inspiriert. Für den Vagabunden zwischen E- und U-Musik gestaltet das BKA
ein Porträtkonzert zum 70. Geburtstag.
Jazzkomponist wollte der Bonner werden, als er zum
Musikstudium nach Berlin kam. Er jazzte in der HajoBar und schrieb Arrangements fürs Rias-Tanzorchester. Dann eröffneten ihm die Werke von Strawinsky,
Ravel und Blacher eine neue, viel reichere Welt. Wahren konvertierte, wurde E-Musik-Komponist - und hat
doch seine Liebe zum Jazz nie aufgegeben.
1965 war er Mitbegründer der “Gruppe Neue Musik
Berlin”, einem Interessenverband junger Komponisten, die individuelle Wege verfolgten. Der Durchbruch gelang Wahren 1976 mit “Fettklößchen”, einer
Oper mit Strophenliedern im Volkston, Cancan und
französischem Kolorit. “Der Mensch soll sich als Sozialwesen in der Musik wiedererkennen”, sagt er und
greift gern gesellschaftspolitische Themen auf, etwa
im Antikriegs-Stück “Du sollst nicht töten”.
Gerald Humel, langjähriger Weggefährte aus der
“Gruppe Neue Musik”, leitet das Geburtstagskonzert
mit dem Concerto Streichquartett und acht weiteren
Musikern. Sie spielen ausgewählte Kammermusikwerke, die Wahren seit 1959 geschrieben hat, und
eine Uraufführung: “Nebeneinander - Miteinander”
für Violine, Klarinette und Klavier. Wahren selbst führt
durch den Abend.
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Brandenburgische Revue
des Großen in den ersten Jahren seiner langen Regierungszeit.
... ist eine Folge von “Moments musicaux” zu tatsächlichen Begebenheiten aus der 500 jährigen Geschichte
des Hauses Hohenzollern von Brandenburg-Preußen.
Die Musik der einzelnen Bilder konfrontiert Stilelemente der jeweiligen Epoche dem Duktus unserer Zeit.
Diese stilistischen Rückblenden sollen dem bewußten
Hörer ermöglichen, das Vergangene aus der Sicht unserer Gegenwart zu empfinden.
8. PAVANE
auf den Tod des im napoleoniscfien Krieg 1806 gefallenen hohenzollern Prinzen und Komponisten Louis
Ferdinand.
Auftragswerk der Berliner Festwochen 1981
1. FESTLICHE RENAISSANCE INTRODUKTION
Am 30. April 1415, während des Konstanzer Konzils,
belohnte König Sigismund
den Nürnberger Burggrafen Friedrich von Hohenzollern mit der Mark Brandenburg.
2. SIEGESMARSCH
Anläßlich der ruhmreichen Rückkehr des Kurprinzen
Joachim
- später Kurfürst Joachim II. - aus den Türkenkriegen
im Jahre 1533
3. BERCEUSE
zur Geburt des dreiundzwanzigsten Kindes vom kurz
zuvor im dreiundsiebzigsten Lebensjahr verstorbenen
und drei mal verheirateten Kurfürsten Johann Georg
im Jahre 1598.
4. GAVOTTE POPULAIRE
auf den Sieg des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm über die schwedischen Invasoren bei Fehrbellin,
1675.
5. FURIOSO BARBARO - FUNEBRE
zum Sturz der geistig umnachteten Königin Sophie
Louise durch die geschlossene Glastür ins Schlafzimmer ihres Gatten König Friedrich I . und dessen,
vom Schrecken ausgelöster unmittelbarer Tod darauf
1713.
6. FUGATO
“Nischt wie weg, der König kommt!”
Straßenparole aus der Regierungszeit König Friedrich Wilhelm I. der gelegentlich mit dem Stock auf der
Strafle “faule” Bürger in die Flucht schlug und dabei
rief: “Lieben sollt ihr mich!”
7. GIGUE
zu der abendlichen Kammermusik am Hofe Friedrich
9. FINALE MAESTOSO - AGITATO DIVAGANDO
zur Ausrufung König WilheIms I. von Preußen zum
Deutschen Kaiser am 18. Januar 1871 in Versailles
und
Ausblick auf den entgültigen Untergang Preußens in
der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts.
(K.H.W.)
Ecce Homo
Orchestersuite in 5 Sätzen nach Bildern von Otto Dix
Die verschiedenen, deutlich voneinander trennbaren
Perioden im 0Euvre Ott Dix’ zeigen sich auch in den
hier zur Vertonung ausgewählten Bildern, die in der
ersten Hälfte unseres Jahrhunderts entstanden. Ihr
historischer Bogen reicht von der Wilhelminischen
Kaiserzeit über die Weimarer Republik, der nationalsozialistischen Diktatur, bis zur Gründung der beiden
antagonistisch zueinander stehenden Deutschen
Staaten nach 1945.
Diese Bilder sollen nicht in ihren optisch sichtbaren
Äußerlichkeiten musikalisch interpretiert werden, vielmehr suche ich sie aus ihrem psychologischen Hintergrund und mit den in ihnen enthaltenen komplexen
Anspielungen - natürlich aus subjektiver Sicht - ins
Klangliche zu transportieren.
Im ersten Gemälde - Die Nacht in der Stadt (1913) verkünden die das Bild beherrschenden Wolken durch
expressive Bewegungen ebenso wie die feuerroten
Fensterhöhlen des größeren Hauses - in der schwarz/
weiß Reproduktion nicht erkennbar - genuin Unheil,
das im zweiten Gemälde - Schützenqraben (1918) die Menschen im absurden Stahigewitter des 1. Weltkrieges gnadenlos erfaßt.
An die Schönheit (1922) - beschreibt durch die maskenhafte Darstellung seiner Akteure fast karikatutistisch in einer Art magischem Realismus, die von
verbissener Lebenswut gekennzeichnete Oberflächlichkeit der folgenden Nachkriegsjahre, der “Roaring
Twenties”, deren Unterhaltungswert sich für uns heute
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unter anderem in begebenden Tangorhythmen nostalgisch symbolisiert.
Im Triumph des Todes (1934) wird die damalige politische Polarisierung musikalisch plakativ verdeutlicht
durch insistierende Rhythmen, die später überlagert
sind von den Kampfliedern “Völker, hört die Signale”
und “Die Fahne hoch”, die schließlich mit “Deutschland über alles” verschmelzen. Der Triumph der Nationalsozialisten wurde zum Triumph des Todes über
Millionen Menschen.
Die Bildersequenz schließt mit einer fast holzschnittartigen Jesus-Darstellung: Ecce homo (1949) - Sehet,
welch ein Mensch - der sich vergeblich für das Heil
der Menschheit sind den Frieden auf Erden opferte.
Nich einem breiten polyphonen Beginn erinnern kurze
Zitate an die vorangegangenen Sätze, und mit einem
skurrilen Trauermarsch endet die 5-sätzige Suite, eine
Hommage an den sensitiv-vitalen Künstler und kritischen Zeitgenossen Otto Dix (1891-1969).
(Karl Heinz Wahren)
At this moment
Auftragswerk der Berliner Festwochen 1970
Im Gegensatz zur Bildenden Kunst, die den Betrachter in keine Zeitbegrenzung zwängt, wirkt Musik im
Augenblick, ist nur im Moment ihres Klanges faßbar.
Der Titel “At this moment” will das dem Hörer bewußt
machen und ihm damit ein gewisses Maß akustischer
Kontaktbereitschaft abverlangen.
In den drei Sätzen dieses Orchesterkonzertes werden Motive umrissen, die sich fortentwickeln, verändern und wieder neuen Momenten weichen;
Wiederholungen, Verflechtungen gegensätzlicher
Motive, Einblendungen kurzer Erinnerungen an vergangene musikalische Epochen. Zeitabläufe also,
die für Augenblicke Gestalt annehmen, flüchtig, für
den bewußten Hörer doch faßbar, reihen sich in “At
this moment” musikalisch organisiert aneinander.
(K.H.W.)
Magnificat mundus pacem
Wacht auf, Ihr Menschen!
Auftragswerk zum dreißigjährigen Bestehen des Berliner Konzert-Chors 1984
Meinem Magnificat habe ich nicht, wie üblich, die biblischen Verse des Marianischen Lobgesangs (Lukas
1, 46 - 55) - Magnificat anima mea Dominum/Hoch
erhebet meine Seele den Herrn - zugrunde gelegt.
Im Namen von Konfessionen und politischen Systemen wurde und wird um Vorherrschaft gekämpft:
Menschenverachtung zieht sich wie ein roter Faden
durch die Ge- schichte. Angst und Aggression sind es,
die das friedliche Zusammenleben der Menschen zu
allen Zeiten verhindert haben.
Diese Erkenntnis ist ein zentrales Thema humanistischen Weltbildes abendländischer Prägung. Ideale
Friedenssehnsucht hat seit der Antike immer wieder
gültigen Ausdruck gefunden. Mir schien es wichtig,
einige Väter dieser Gedanken in meinem MagniticatText zu Wort kommen zu lassen: den Philosophen und
Staatsmann Marcus Tullius Cicero (106 - 43 n.Chr.),
den Kirchenvater Aurelius Augustinus (354 - 430) und
den Dichterfürsten Francesco Pretrarca (1304 -1374).
Sie stehen stellvertretend für eine humanistische Tradition, deren Anfänge 2000 Jahre zurückliegen und
deren geistesgeschichtliche Wirkung auf unsere Kultur nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Das
musikalische Material meines Magnificat collagiert,
ebenso wie der Text, verschiedene Stilepochen: Gregorianik, einfache Mehrstimmigkeit, barocken Kontrapunkt, impressionistische Orchesterklangfarben
und geräuschähnliche Cluster der Gegenwart - den
gesungenen oder gesprochenen Text kommentierend
und kontrastierend. Meine Absicht ist es, die Tragik
menschlichen Bemühens in Vergangenheit und Gegenwart um eine friedliche Existenz mit künstlerischen
Mitteln bewußt zu machen. Inspiriert von Wort und
Musik soll der Hörer die aktuelle Brisanz der ciceronischen Weisheit erkennen:
Ut sementem feceris, ita metes – Wie die Saat, so die
Ernte.
(K.H.W.)
Auf der Suche nach dem
verlorenen Tango
Auftragswerk des SFB 1979
“A la Recherche du Tango perdu” ist die Suche nach
der verlorenen Zeit mit musikalischen Mitteln. Der
Tango, ein ursprünglich aus Argentinien stammender
Gesellschaftstanz, auch in Europa repräsentativ für
die gehobene Trivialmusik der “roaring twenties”, hat
sich bis heute als Lied, aber auch als Tanz bewährt.
In dieser etwa 20 Minuten dauernden Komposition sind in rhapsodischer Folge Melodiephrasen und
Tangorhythmen miteinander verschränkt, werden va-
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riiert, aufgelöst und schließlich in neuen Zusammenhängen wiederholt oder ins Groteske verzerrt, wobei
der monoton insistierende Rhythmus, oft synkopisch
zugespitzt, immer wieder dominiert. Der musikalische
Rückblick wird durch Elemente der zeitgenössischen
Musik gefiltert, so daß Vergangenes und Gegenwärtiges für Momente miteinander verschmolzen scheint.
(K.H.W.)
Entführung aus dem Köchelverzeichnis
Abduction from the Köchel catalogue
1. Allegro con brio
2. Sentimento con espressivo
3. Molto allegro e leggiero
“Diese Komposition ist kein Potpourri von Mozartmelodien, sondern ein Konzert für Orchester in historischen und zeitgenössischen Klängen, basierend auf
einigen auserwählten Mozartthemen.
Der Vorlauf des 1. Satzes - Allegro con brio - läßt sich
als Rondo formal so darstellen: A-B-A-C-A. Im A-Teil
wird das verkürzte Ouvertürenmotiv der “Entführung
aus dem Serail” (1782) verarbeitet, außerdem die Arie
des Belmontes: “Hier soll ich dich denn sehen, Konstanze ...”, die auch im folgenden B-Teil weiterwirkt,
kontrastiert mit dem Hauptmotiv aus “Eine kleine
Nachtmusik” (K.V. 525). Im C-Teil wird das AndanteThema der “Sinfonia concertante” - für Violine, Bratsche und Orchester, K.V. 364 - verarbeitet.
Nach der 2. Wiederholung des A-Teils erklingt eine kurze Coda, anekdotisch versetzt mit dem kleinen Nachtmusik-Motiv. Der 2. Satz - Sentimento con espressivo
- bezieht sein motivisches Material von dem Adagio
aus Mozarts “Konzert für Klarinette und Orchester”
(K.V. 622), das im Sept./0kt. 1791 entstand, wenige
Wochen vor Mozarts Tod. Im 3. Satz schließlich - Molto
allegro e leggiero - werden Themen des letzten Satzes
(Permutationsfuge) der “Jupiter-Sinfonie” (1788 - K.V.
551) variiert und beenden so diese in unser Jahrhundert transponierte musikalische Verbeugung vor dem
Genie Wolfgang Amadeus Mozart.”
This composition is not a potpourri of Mozart melodies
but a concerto for orchestra with historical and contemporary sounds, based on some chosen themes
from Mozart’s work.
The introduction of the first movement (Allegro con
brio) is in the following rondo form: A-B-A-C-A. The
A part is made up of variations of a shortened version
of the ouverture motif of “Entführung aus dem Serail”
(1782) as well as Belmontes’ aria “Hier soll ich dich
denn sehen, Konstanze ...”. The latter motif is also
used in the B part, where it is contrasted with the main
motif from “Eine kleine Nachtmusik” (K.V. 525). The C
part is characterised by variations of the andante-theme of the “Sinfonia concertante” for violin, viola and orchestra (K.V. 364). The second repetition of the A part
is followed by a short coda, anecdotally transposed
with the little motif from “Eine kleine Nachtmusik”.
The motives for the second movement (Sentimento
con espressivo) are drawn from the adagio of Mozart’s
“Konzert für Klarinette und Orchester’ (K.V. 622),
which Mozart wrote in Sept./Oct. 1791, some weeks
before his death.
The third movement (Molto allegro e leggiero) is made
up of variations inspired by themes from the last movement of Mozart’s “Jupiter-Sinfonie” (1788 - K.V. 551),
thus concluding this musical bow, transposed into our
century, to the genius of Wolfgang Amadeus Mozart.
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KARL HEINZ WAHREN
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