Krankes Haus

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Krankes Haus
W
enn Astronauten aus dem Weltall auf die Erde guckten, spottete Norbert Blüm, einst CDULandeschef von Nordrhein-Westfalen,
sähen sie die Chinesische Mauer – und
das Aachener Universitätsklinikum: Wie
eine Erdölraffinerie ragt der monströse
Bau mit seinen 24 Versorgungstürmen
aus der Landschaft. Bis zu 1500 Patienten liegen hinter der Betonfassade, rund
11 000 Mitarbeiter, Studenten und Besucher huschen auf neun Etagen durch
das grellgelb, grün und orange gestaltete
Innere.
Nach Plänen des nordrhein-westfälischen Bauministers Oliver Wittke (CDU)
soll der rund 20 Jahre alte Klotz nun unter
Denkmalschutz gestellt werden. Von Denkmalschützern und Feuilletonisten wird der
Schutz des einzigartigen Baus seit sechs
Jahren herbeigesehnt – doch Mediziner,
FOTOS: OLIVER TJADEN
Das Aachener Klinikum,
ein monströser Energiefresser,
wird unter Denkmalschutz
gestellt – obwohl es für die
Menschen eine Plage ist.
Universitätsklinikum Aachen: „Planungsfehler einer technikgläubigen Epoche“
Techniker und das Pflegepersonal zweifeln
am Verstand der Regierenden: Denn von
innen ist das Haus schwer krank. Menschen, die mit der Universitätsklinik leben
müssen, plagen sich seit Jahren mit einem
gigantischen Gebäude, das teuer ist, dunkel
und schlecht belüftet.
Entworfen 1969, spiegelt der Bau mit
den außenliegenden Versorgungsleitungen
die Technikbegeisterung aus den Anfängen des Mondfahrt-Zeitalters. Das „deutsche Centre Pompidou“ nennt Godehard
Hoffmann vom Rheinischen Amt für
Denkmalpflege die Klinik der Superlative.
Als „Fabrik“ und „Betonburg“ titulieren
es dagegen Bürger und Presse.
Noch vor der Einweihung 1985 debattierte der Landtag heftig über die Kosten
und den Sinn des Monstrums. Der Bau kostete schließlich statt der geplanten 310 Millionen Euro 1,2 Milliarden. Zwei LandtagsUntersuchungsausschüsse zählten 3000
Mängel – von rostigen Zwischendecken bis
zur undichten Fassade.
Die heutigen Nutzer müssten „manche
Planungsfehler einer technikgläubigen Epoche ausbaden“, klagt Henning Saß, Ärztlicher Direktor des Klinikums. Eine Zu-
Deutschland
Gebäudemanagerin Stelkens
Arbeiten wie im U-Boot
mutung zum Beispiel ist die riesige Klimaanlage: Wie futuristische Treibhäuser ragen an der Rückseite des Gebäudes acht
Glaskästen auf, die pro Stunde zwei Millionen Kubikmeter Außenluft ansaugen.
Kalte und warme Luft werden in zwei getrennten Rohrsystemen bis vor die Zimmer
gepumpt und erst dort, nach manchmal 500
Metern kreuz und quer durchs Gebäude,
in der richtigen Temperatur gemischt – eine „europaweit einzigartige Energieverschwendung“, sagt Herbert Pfeiffer, Leiter
der hausinternen Bauabteilung.
Allein die Ventilatoren, die die Luft in
der Klimaanlage bewegen, verbrauchen
nach Schätzungen der Haustechniker täglich Strom für 5000 Euro. Sie treiben die
Gesamtenergiekosten des Klinikums auf
27 000 Euro pro Tag – rund 20 Prozent
mehr als bei vergleichbaren Häusern.
Die Anlage, die mit ihrem Rohrgewirr
auch die Optik prägt, ist zudem wohl auch
ungesund: Seit Jahren, so Personalratschef
Helmut Lemaire, würden Mitarbeiter über
„Dauerschnupfen und trockene Schleimhäute“ klagen. Er fordert „endlich Fenster,
die man öffnen kann“. Der geplante Denkmalschutz, fürchtet Lemaire, könnte diese
dringend nötigen Umbauten weiter verzögern: „Das wäre der GAU.“
Betriebsarzt Dieter Preim findet es
ebenso schlimm, dass von den 6500 Räumen rund 35 Prozent gar keine Fenster haben. Augenarzt Gernot Rößler etwa teilt
sich in der 7. Etage, Gang B, ein fensterloses Kabuff mit zwei Kollegen. Sieben bis
acht Stunden, sagt er, arbeite er täglich
wie in einem U-Boot: „Darüber haben die
Bauherren wohl nicht nachgedacht.“
Was andere vergaßen, macht Andrea
Stelkens heute viel Arbeit. Die schlanke
Frau mit den langen braunen Haaren leitet
das Gebäudemanagement. Die Ingenieurin
führt die Oberaufsicht über derzeit 30 Baustellen im Haus. 25 Millionen Euro gibt sie
pro Jahr für Reparaturen aus – Personalkosten für ihre 160 Techniker und Handwerker nicht eingerechnet.
Die mit Klebeband notdürftig geflickten
grasgrüngestreiften Teppichböden im Erdgeschoss sind da eher eine Kleinigkeit.
Stelkens hat neue bestellt, teure Sonderanfertigungen aus gewebtem Velours. Erst
beim dritten Produktionsversuch stimmten die Farben. Die Klinik tue schon freiwillig eine Menge, um den Charakter des
Hauses zu wahren, sagt die Gebäudemanagerin. Die Bürokratie der Denkmalschützer werde ihre Arbeit erheblich verlangsamen, fürchtet sie: „Das ist ein echter
Wettbewerbsnachteil für die Klinik.“
Eigentlich, so Stelkens, müssten alle
technischen Anlagen komplett erneuert
werden, und schon die erste Stufe ihres
Sanierungsplans könnte zum Testfall für
den von Bauminister Wittke propagierten
Denkmalschutz werden. Auch aus Angst
vor Protesten von Klinikvertretern und
Bürgern hat er sich für eine Art Denkmalschutz light entschieden. Die Außenansicht
mit Türmen, Dachgärten, Fassade, Rohren
und Gitterwerk sowie das Farbkonzept sollen nun geschützt werden, nicht aber – wie
Denkmalschützer forderten – auch das Innenleben. So will Wittke Architektur-Fans
und Nutzer versöhnen.
Gelingt das nicht, droht auch Ärger in
der Düsseldorfer Koalition: Falls der Koloss
immer teurer werden sollte, sagt Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP),
müsse man „nüchtern über einen Klinikneubau nachdenken“. Das geschützte alte
Klinikum dürfte man dann freilich nicht
mehr abreißen.
Andrea Brandt
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