Immuntherapie gegen Krebs- Der Tumor ist eine Festung

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Immuntherapie gegen Krebs: Der Tumor ist eine Festung - doch man kann sie durchbrechen - Medizin - FAZ
28.11.13 22:06
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Immuntherapie gegen Krebs
Der Tumor ist eine Festung - doch man kann
sie durchbrechen
11.12.2012 · Die Krebsmedizin hofft schon lange auf Impfstoffe, die auf den
individuellen Antigenen eines Tumors basieren. Der Erfolg scheint in greifbare Nähe
zu rücken.
Von EMMANUELLE VANIET
Artikel
E
s war Ende 1975, er war gerade 21. Bei
Anton Wulf* war ein malignes Melanom
diagnostiziert worden. Der schwarze
Hautkrebs hatte sich bereits in den
Lymphknoten ausgebreitet, die Ärzte
versuchten, die Metastasen zu entfernen.
Allerdings gelang es ihnen nicht vollständig.
Damit sich der Verlauf des aggressiven
Krebs-Prüfzentrum: Hier werden neue
Tumors verlangsamt, wurde der junge Patient
Immuntherapien getestet.
mit intensiver Chemotherapie behandelt,
außerdem erhielt er eine der ersten „Krebsimpfungen“: Die eigenen entfernten
Tumorzellen wurden abgetötet und ihm alle zwei Wochen wieder verabreicht. Mit
diesem letzten Versuch erhofften sich die Forscher um Lloyd Old vom Sloan-Kettering
© DPA
Cancer Center in New York, das Immunsystem des Patienten gegen den Krebs zu
aktivieren, so dass es die restlichen bösartigen Zellen zerstört. Doch zwei Jahre später
kehrte der Krebs zurück. Wieder versuchten die Ärzte, die Geschwüre vollständig zu
entfernen - ohne Erfolg. Dennoch hörten sie mit den Tumor-Impfungen nicht auf. Und
trotz düsterer Prognose blieb die Krankheit in den folgenden Monaten und in den
folgenden Jahren aus.
In der klinischen Praxis ist ein solcher Fall heute immer noch eine Ausnahme. Ein
Melanom, das schon gestreut hat, gilt als unheilbar. Der Erfolg beim Patienten Wulf
wurde aber nicht als solcher publiziert, weil nicht zu beweisen war, dass die Heilung wenn auch nur teilweise - auf die Impfungen zurückzuführen war. Der erste eindeutige
Beweis einer Reaktion des Immunsystems gegen Krebs kam erst später. Im Jahr 1991
gelang es der Gruppe um den Genetiker Thierry Boon am Ludwig Institute for Cancer
Research (LICR) in Brüssel, auf den Tumorzellen einer anderen Melanom-Patientin
eine Zielstruktur zu identifizieren, die von ihren Immunzellen erkannt wurde. Die
sogenannten zytotoxischen T-Lymphozyten dockten an das aus der Oberfläche
herausragende Stück Protein an und töteten die Tumorzelle in der Petrischale. Das
Protein, aus dem das Bruchstück stammte, nannten die Forscher „Mage-1“ (MelanomaAntigen 1).
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Eine wandernde Krebszelle: Nahezu jede Minute
erkrankt in Deutschland ein Mensch neu an Krebs
© DPA
Das Bruchstück selbst war das erste der etwa 400 Tumorantigene, die man mittlerweile
bei den unterschiedlichsten Krebsarten entdeckt hat. Mit einigen wurden in den
vergangenen zwanzig Jahren Tausende von Patienten geimpft, mit dem Ziel, die
eigenen Immunzellen gegen das Antigen und somit auch gegen den Krebs zu richten.
Doch die Erfolge blieben spärlich: Weniger als vier Prozent der Behandelten zeigten
eine deutliche Rückbildung der Tumore, geschweige denn Heilung - diese gibt es bis
heute so gut wie nicht. Auch bei dem seit 2010 in den Vereinigten Staaten zugelassenen
ersten Impfstoff „Sipuleucel-T“ kann von Heilung keine Rede sein: Beim
fortgeschrittenen Prostatakrebs strebt man eine Erhöhung der Lebenserwartung um
vier Monate an.
Die Gründe für die Fehlschläge sind vielfältig, doch mittlerweile ziemlich gut bekannt.
„Verwendet worden sind meistens Antigene, die auch auf normalen Geweben
vorkommen“ erklärt Thomas Wölfel, Onkologe an der III. Medizinischen Klinik der
Universität Mainz. Auch Mage-1 wird nicht nur von Melanomzellen produziert, sondern
auch in den Hoden. Der Grund, warum man solche Antigene bevorzugt hat, ist ein
pragmatischer: Man findet sie nicht nur auf unterschiedlichen Tumorarten, sondern
auch in verschiedenen Individuen. Damit sind sie ideale Kandidaten für breit
anwendbare Impfstoffe. Das Immunsystem hat aber von Geburt an gelernt, diese AutoAntigene nicht oder wenig zu erkennen, um nicht auch gesundes Gewebe anzugreifen.
Anders bei den Mutationsantigenen. Sie stammen aus den vielen defekten Proteinen,
die in den Krebszellen produziert werden. Sie tauchen auf gesunden Zellen nicht auf
und werden daher vom Immunsystem als fremd erkannt. Eines der ersten
Mutationsantigene entdeckte Wölfel 1995 auf den Melanomzellen von Anton Wulf, vier
Jahre also nach Mage-1. Als sie viel später im Gefriertank ein seit mehr als zwanzig
Jahren gelagertes Röhrchen mit Wulfs Lymphozyten wiederfanden, machten er und
seine Gruppe sich auf die Suche nach deren Zielstrukturen - mit mittlerweile viel
effizienteren Nachweisverfahren. Sie stellten fest: Praktisch alle Immunzellen, die den
Tumor erkannten, waren gegen das Mutationsantigen gerichtet.
Offensive mit mehreren Antigenen
Im Fall von Wulf führten sie wohl auch zum endgültigen Abstoßen des Krebs, weil das
mutierte Protein, so Wölfel, wahrscheinlich für das Überleben des Tumors unabdingbar
gewesen sei. Nur durch die Mutation konnten die Zellen sich ungebremst vermehren.
In anderen Fällen aber, wo das Protein für ihr Wachstum nicht dringend notwendig ist,
haben Tumore einen Mechanismus entwickelt, um den Lymphozyten zu entkommen.
Sie produzieren das Molekül einfach nicht mehr. Somit erscheint auch das Antigen auf
ihrer Oberfläche nicht und die Lymphozyten gehen leer aus. Das haben vor kurzem die
Gruppe um Thomas Tüting von der Universität Bonn in genetisch veränderten Mäusen
beobachtet, die am Melanom erkrankt waren. Das Antigen, auf das die Therapie
abzielte, verschwand von der Tumoroberfläche, solange sie dem Immunangriff
ausgesetzt war (“Nature“, doi: 10. 1038/nature11538). Eine Möglichkeit den
Tarnungsversuch zu umgehen, könnte es sein, mit mehreren Antigenen statt mit nur
einem zu impfen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass die Krebszellen gleichzeitig alle
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anvisierten Strukturen ausschalten, sei viel geringer als das Ausblenden eines einzigen
Antigens, so die Forscher.
Im Jahr 2008 entstand die Firma „BioNTech“ als Ausgründung der Universität Mainz.
Das Konzept des Startups fügt sich perfekt in die derzeitige Entwicklung der
Krebsmedizin ein. Einer der Kompetenzbereiche des Unternehmens ist es,
Krebsimpfstoffe zu entwickeln, die auf den individuellen Mutationsantigenen des
Patienten basieren. Ein anspruchsvolles Ziel, das dank der enormen Fortschritte in den
Sequenzierungstechniken der vergangenen Jahre realistisch wird. „Wir können das
komplette Genom eines Tumors in zwei Tagen entschlüsseln“, sagt Sahin. Das sei
möglich mit einem Sequenzierer der zweiten Generation, den das Zentrum für
Translationale Onkologie und Immunologie (“Tron“) der Universität Mainz vor zwei
Jahren erwarb. Basierend auf den entdeckten Mutationen im individuellen TumorGenom können die Wissenschaftler potentielle Antigene ermitteln, mit denen sie - in
Kombination - den Patienten impfen wollen (“Cancer Research“, Bd. 72, S. 1081). Mitte
2013 will Biontech die ersten Melanom-Patienten mit Impfstoffen aus gleich zehn
Mutationsantigenen behandeln.
Der Krebs wehrt sich
Doch die Forscher müssen noch mit einer weiteren Herausforderung rechnen: Im
vergangenen Jahrzehnt wurde es immer offensichtlicher, dass der Tumor nicht nur die
Antigene ausschaltet, er schafft um sich herum auch ein für die Lymphozyten äußerst
feindliches Umfeld. „Der Körper hat sehr mächtige Mechanismen entwickelt, sich vor
einer unpassenden oder überschüssigen Immunantwort zu schützen“, sagt Wölfel. Viele
dieser Mechanismen machen sich die Tumore zunutze. Sie sondern das Enzym
Indolamin-2,3-Dioxygenase (“Ido“) ab, das sonst beispielsweise von der Plazenta
produziert wird. Dort sorgt es dafür, dass der Fötus nicht vom mütterlichen
Immunsystem abgestoßen wird. Ido verhindert, dass die sich annähernden
Lymphozyten aktiviert werden und sich vermehren. Suppressive Zellen, die uns vor
dem Ausbruch von Autoimmunkrankheiten schützen, werden in der Tumorumgebung
rekrutiert und legen die angreifenden Lymphozyten lahm. Auch an ihrer Oberfläche
selbst gibt es noch Schalter, mit denen Tumorzellen die wenigen Angreifer, die noch
ankommen, aufhalten. „Der Tumor ist wie eine Festung mit Verteidigungsringen“ sagt
Wölfel. Um die Wirkung von Therapien zu erhöhen, gilt es, diese Festung
durchzubrechen.
Doch das ist ein zweischneidiges Unterfangen. Indem man diese Schutzbarrieren
unspezifisch niederreißt, riskiert man gleichzeitig, unterdrückte Immunantworten
gegen gesundes Gewebe wieder freizusetzen. Das seit 2011 beim fortgeschrittenen
Melanom zugelassene Medikament „Ipilimumab“ etwa inhibiert CTLA-4, ein Molekül
an der Oberfläche von Lymphozyten, das die Immunantwort nach einer Infektion
wieder herunterreguliert. Bei Krebs erhofft man sich durch die Blockade, dass sich die
Antwort gegen den Tumor ungebremst entfaltet. Die Therapie erhöht zwar die
Lebenserwartung der Patienten, aber ein Viertel der Behandelten muss mit schweren
Autoimmunreaktionen rechnen (“Nature“, Bd. 480, S. 480).
Es lohnt sich allerdings, die suppressiven Barrieren auszuhebeln. Denn wenn die
Immunzellen ihnen nicht ausgesetzt sind, können sie Krebs durchaus beseitigen. Das
zeigt eine Studie von Steven Rosenberg vom National Cancer Institute in Bethesda aus
dem vergangenen Jahr. Der Immunologe behandelte Patienten mit fortgeschrittenem
Melanom mit den eigenen Lymphozyten, die den Patienten entnommen, im Labor
gegen den Tumor aktiviert und um mehrere Potenzen vervielfacht worden waren. 93
Patienten erhielten die so stimulierten Lymphozyten wieder verabreicht. Bei fast einem
Viertel verschwand der Krebs vollständig. Acht Jahre nach der Therapie zeigen sie
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keinerlei Anzeichen der Krankheit, sie gelten als geheilt (“Nature Reviews
Immunology“, Bd. 12, S. 269). Nicht alle Patienten können allerdings von der
aufwändigen Therapie profitieren, denn sie müssen in der Lage sein, die
Vorbehandlung - die der einer Knochenmarktransplantation ähnelt - auszuhalten. Doch
die Ergebnisse zeigen: Wo gängige Methoden scheitern, kann das Immunsystem
Heilung vollbringen, wenn ihm geholfen wird. Davon war der vor einem Jahr
verstorbene Pionier der Krebsimpfungen, Lloyd Old, überzeugt. Auch davon, dass die
Immuntherapie die Krebstherapie der Zukunft sei - doch bis dahin wird sie sich noch
bewähren müssen.
*Name von der Redaktion geändert
Quelle: F.A.Z.
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