Vektorräume

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Kapitel 4
Vektorräume
4.1 Reelle und komplexe Vektorräume
Wir beginnen mit der
Definition 4.1. Eine Menge V heißt linearer Raum oder auch Vektorraum über R
bzw. C, wenn in V eine Addition und eine Multiplikation mit Zahlen aus R bzw. C
definiert sind, d.h.
◦ zwei Elementen u, v ∈ V eindeutig ein Element u + v ∈ V
◦ sowie einem Element u ∈ V und einer Zahl λ eindeutig ein Element λ u ∈ V
zugeordnet ist, und wenn diese Zuordnung folgendes erfüllt:
1. (V, +, ·) ist eine kommutative (abelsche) Gruppe bez. der Addition
(1.1)
(u + v) + w = u + (v + w)
(1.2)
u+v = v+u
(1.3)
u+0 = u
(1.4)
u + (−u) = 0
2. (V, +, ·) genügt bez. der Multiplikation den Regeln
(2.1)
λ (u + v) = λ u + λ v
(2.2)
(λ + µ )u = λ u + µ v
(2.3)
λ (µ u) = (λ µ )u
(2.4)
1·u = u
Je nachdem, ob die Skalare λ und µ aus R oder C stammen, sprechen wir von einem
reellen oder komplexen Vetorraum.
Die Elemente u, v usw. bezeichnen wir als Vektoren.
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4 Vektorräume
Abstrakte Vektorräume
Vektorräume können auch über beliebige Körper K definiert sein, nicht nur über R
oder C. Dabei verlangt man, dass die Verknüpfung (V, +) eine kommutative (abelsche) Gruppe bildet, und V außerdem mit einer Multiplikation · : V → V ausgestattet ist, welche die Eigenschaften (2.1) bis (2.4) erfüllt.
Unsere obige Definition ist also ein Spezialfall einer allgemeineren algebraischen
Struktur, wird aber für unsere Zwecke völlig ausreichen.
Die Definition eines Körpers haben wir in Abschnitt 1.2 kennen gelernt.
Beispiele
Folgende Strukturen bilden Vektorräume:
◦ die Euklidische Ebene R2 mit den Pfeilklassen“ als Vektoren und den reellen
”
Zahlen als Skalare;
◦ der Raum der affinen Funktionen
f : R −→ R
vermöge x 7→ a · x + b
mit reellen Zahlen a und b, wobei die Funktionen f als Vektoren, die reellen
Zahlen R als Skalare agieren;
◦ der Raum der reellwertigen Polynome
a 0 + a 1 x + a 2 x2 + a 3 x3 + . . .
mit den Polynomen als Vektoren und den Skalaren ai ∈ R für i ∈ N.
Untervektorräume
Wir benötigen ferner die
Definition 4.2. Eine nichtleere Teilmenge U ⊂ V, die mit von V vorgegebenen Verknüpfungen wieder ein linearer Raum bzw. ein Vektorraum ist, nennen wir einen
linearen Unterraum von V.
4.2 Linearkombinationen und lineare Hülle
Linearkombinationen
Gegeben seien ein Vektorraum V über dem Körper R der reellen Zahlen sowie Elemente v1 , . . . , vn ∈ V und α1 , . . . , αn ∈ R.
4.2 Linearkombinationen und lineare Hülle
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Definition 4.3. Der Vektor
u := α1 v1 + . . . αn vn =
n
∑ αk vk
k=1
heißt eine Linearkombination der Vektoren v1 , . . . , vn .
Lineare Hülle und Erzeugendensystem
Die Menge aller möglichen Linearkombinationen aus den gegebenen Vektoren
v1 , . . . , vn ∈ V nennen wir deren Spann oder auch deren lineare Hülle und schreiben dafür
Span {v1 , . . . , vn } .
Satz 4.1. Die lineare Hülle der Vektoren v1 , . . . , vn ∈ V ist ein linearer Unterraum
des Vektorraums V.
Beweis. Der Beweis verbleibt dem Studenten als Übung. ⊓
⊔
Und schließlich noch ein Begriff: Man sagt, die Vektoren v1 , . . . , vn bilden ein Erzeugendensystem des linearen Raumes
Span {v1 , . . . , vn } .
Beispiele
Zu diesen Begriffen zwei Beispiele:
1. Für einen Vektor v 6= 0 bildet die Menge
Span v = {tv : t ∈ R}
aus geometrischer Sicht einfach diejenige Ursprungsgerade, welche von dem
Vektor v erzeugt wird.
2. Seien u, v ∈ V \ {0} derart gewählt, so dass es kein λ ∈ R gibt mit u = λ v. Dann
bildet
Span {u, v} = {su + tv : s,t ∈ R}
die Ursprungsebene, welche von u und v erzeugt wird.
Die lineare Hülle einer Menge
Definition 4.4. Für eine nichtleere Menge M ⊂ V bezeichnet Span M die Menge
aller Linearkombinationen aus je endlich vielen Vektoren aus M. Diese Menge heißt
die lineare Hülle von M.
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4 Vektorräume
Satz 4.2. Die Menge Span M ist ein linearer Unterraum des zugrunde liegenden
Vektorraums V.
Beweis. Übung. ⊓
⊔
Insbesondere besitzt also ein linearer Raum auch stets die Menge aller seiner endlichen Linearkombinationen als Elemente.
4.3 Lineare Abhängigkeit und Unabhängigkeit
Abhängig oder unabhängig
Definition 4.5. Die Vektoren v1 , . . . , vn ∈ V heißen linear unabhängig, wenn aus
α1 v1 + . . . + αn vn = 0
notwendig α1 = . . . = αn = 0 folgen. Andernfalls heißen sie linear abhängig.
Hier einige Beispiele:
◦ Im Falle n = 1 bedeutet lineare Unabhängigkeit einfach v1 6= 0.
◦ Im Falle n = 2 bedeutet lineare Unabhängigkeit zweier Vektoren v1 und v2 anschaulich, dass Span {v1 , v2 } eine zweidimensionale Ebene aufspannen.
Satz 4.3. Für n ≥ 2 sind die nichtverschwindenden Vektoren v1 , . . . , vn linear abhängig genau dann, wenn wenigstens einer von ihnen Linearkombination der übrigen ist.
Beweis. 1. Sei zunächst α1 v1 + . . . + αn vn = 0 mit αk 6= 0 für ein k ∈ {1, . . . , n}.
Umstellen liefert
n αℓ
vℓ ,
vk = ∑ −
αk
ℓ=1
ℓ6=k
womit also vk Linearkombination der übrigen Vektoren ist.
2. Es sei nun vk Linearkombination der Vektoren v1 , . . . , vk−1 , vk+1 , . . . , vn , d.h.
vk = β1 v1 + . . . + βk−1vk−1 + βk+1vk+1 + . . . + βnvn .
Dann sind aber v1 , . . . , vk , . . . , vn linear abhängig, denn es ist
(−1)vk + β1v1 + . . . + βk−1 vk−1 + βk+1 vk+1 + . . . + βn vn = 0,
womit der Satz gezeigt ist.
⊓
⊔
4.4 Basis und Dimension
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Zwei Beispiele
1. Die Vektoren u = (1, 0, 3) und v = (4, 0, 12) sind linear abhängig, denn es ist
v = 4u.
Mit anderen Worten: α u + β v = 0 zieht nicht α = 0 und β = 0 nach sich.
2. Betrachte nun u = (1, 0, −1, 0), v = (0, 1, 1, −2) und w = (3, −1, −4, 2). Falls
diese Vektoren linear unabhängig sind, besitzt nach Definition
αu + β v + γw = 0
nur die triviale Lösung α = β = γ = 0. Diese vektorielle Gleichung besteht genauer aus den vier skalaren Gleichungen
α
+ 3γ = 0
β − γ =0
−α + β − 4γ = 0
− 2β + 2γ = 0
Aus den ersten beiden Gleichungen folgen α = −3γ und β = γ . Damit sind
aber die beiden restlichen Gleichungen identisch erfüllt und liefern keine neuen
Aussagen, um die Koeffizienten α , β und γ näher zu bestimmen! Wir können
daher beispielsweise setzen
α = −3,
β = 1,
γ =1
und erhalten
−3u + v + w = 0.
Die Vektoren u, v und w sind also linear abhängig.
4.4 Basis und Dimension
Der Begriff der Basis
Definition 4.6. Die Menge
B := b1 , . . . , bn
von Vektoren b1 , . . . , bn ∈ V heißt eine Basis von V, wenn sich jeder Vektor v ∈ V
als Linearkombination
v = α1 b1 + . . . + αn bn
mit eindeutig bestimmten Koeffizienten αi darstellen läßt.
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4 Vektorräume
Wir bezeichnen die Koeffizienten αi in dieser Definition als die Koordinaten von v
bez. der Basis B und schreiben auch
vB = (α1 , . . . , αn ).
Die Wahl einer Basis für einen fest gewählten Vektorraum V ist nicht eindeutig. Die
Darstellung eines gegebenen Vektors v ∈ V bez. verschiedener Basen werden wir
später diskutieren.
Basis und Erzeugendensystem
Ein wichtiger Zusammenhang zwischen einer Basis und einem Erzeugendensystem
eines Vektorraums V ist Inhalt des folgenden
Satz 4.4. Die Menge B = {b1 , . . . , bn } ist genau dann eine Basis von V, wenn die
Vektoren b1 , . . . , bn ein linear unabhängiges Erzeugendensystem bilden.
Beweis. (i) Sei B = {b1 , . . . , bn } eine Basis von V. Da nach Definition jeder Vektor v ∈ V eindeutig als Linearkombination der vi darstellbar ist, gilt zunächst
V = Span {b1 , . . . , bn } .
Wir prüfen die lineare Unabhängigkeit der bi : Folgende beide Darstellungen sind
natürlich richtig
0 = 0 · b1 + . . . 0 · b1
und 0 = β1 b1 + . . . βn bn
mit noch zu bestimmenden Koeffizienten βi . Es wurde aber auch Eindeutigkeit aller Linearkombinationen gefordert, d.h. wir schliessen βi = 0 für alle
i = 1, . . . , n. Daher ist das System {b1 , . . . , bn } linear unabhängig.
(ii) Sei nun B = {b1 , . . . , bn } ein linear unabhängiges Erzeugendensystem von V.
Dann läßt sich jeder Vektor v ∈ V darstellen in der Form
v = α1 b1 + . . . + αn bn .
Die Koeffizienten αi sind dabei eindeutig bestimmt, denn mit einer weiteren Darstellung
v = β1 b1 + . . . + βn bn
folgern wir
0 = (β1 − α1 )b1 + . . . + (βn − αn )bn
und daher βi = αi für i = 1, . . . , n wegen der linearen Unabhängigkeit. Also ist
B auch Basis. ⊓
⊔
4.4 Basis und Dimension
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Zwei Beispiele
Die sogenannte kanonische Basis oder Standardbasis des Rn ist gegeben durch die
zueinander orthogonalen Einheitsvektoren
e1 = (1, 0, 0, . . . , 0),
e2 = (0, 1, 0, . . . , 0), . . . ,
en = (0, 0, 0, . . . , 1).
Weiter bildet
p0 (x) = 1,
p1 (x) = x,
p2 (x) = x2 , . . . ,
pn (x) = xn
eine Basis des Vektorraums der Polynome vom Grad n.
Ein Hilfssatz zur Charakterisierung von Erzeugendensystemen
Für eine geometrische Deutung von Basen eines Vektorraumes V kommen wir
zunächst zu folgendem
Hilfssatz 4.1. Ist {v1 , . . . , vn } ein Erzeugendensystem für V, und sind u1 , . . . , um linear unabhängige Vektoren in V, so gilt m ≤ n.
Beweis. Induktiv zeigen wir die äquivalente Aussage: Besitzt V ein Erzeugendensystem {v1 , . . . , vn }, so ist jede aus m > n Vektoren bestehende Menge {u1 , . . . , um }
linear abhängig.
◦ Der Fall n = 1 : Seien V = Span {v1 } und ui = αi v1 für i = 1, . . . , m mit m > 1.
Für zwei nicht verschwindende Vektoren u1 = α1 v1 und u2 = α2 v1 mit α1 6= 0
und α2 6= 0 berechnen wir aber
α2 u1 − α1 u2 = α2 α1 v1 − α1 α2 v1 = 0,
also sind u1 und u2 linear abhängig.
◦ Die Behauptung sei nun für n − 1 bereits gezeigt. In V = Span {v1 , . . . , vn } seien
m > n Vektoren u1 , . . . , um gegeben, d.h. es gelten die Linearkombinationen
n
ui =
∑ αik vk ,
i = 1, . . . , m.
k=1
O.B.d.A. sei α11 6= 0, was man z.B. durch Umnummerieren erreichen kann. Für
i = 2, . . . , m betrachten wir dann die Vektoren
uei := ui −
n
αi1
αi1
u1 = ∑ αik vk −
α11
α
11
k=1
n
α11 αi1 − αi1 α1k
vk ,
α11
k=1
n
∑ α1k vk = ∑
k=1
d.h. es gilt
uei ∈ Span {v2 , . . . , vn }
für alle i = 2, . . . , m.
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4 Vektorräume
Da m − 1 > n − 1, folgt nach Induktionsvoraussetzung, dass {e
u2 , . . . , uem } linear
abhängig ist. Es gibt also λ2 , . . . , λm , welche nicht alle verschwinden, mit
m
m
m
m
αi1
λi αi1
0 = ∑ λi uei = ∑ λi ui −
u1 = ∑ λi ui − ∑
u1
α11
i=2
i=2
i=2
i=2 α11
bzw.
m
0 = ∑ λi ui
i=1
λi αi1
,
i=2 α11
m
mit der Setzung λ1 := − ∑
und nicht alle λi verschwinden. Also ist {u1 , . . . , um } linear abhängig. ⊓
⊔
Der Begriff der Dimension
Den vorigen Hilfssatz kann man auch so formulieren:
Satz 4.5. Besitzt der Vektorraum V eine Basis B aus n Vektoren, so besteht auch
jede andere Basis aus genau n Vektoren.
Definition 4.7. Die hierdurch charakterisierte Zahl n bezeichnen wir als die Basis
des Vektorraums V und schreiben
n = dimV.
Im Fall V = {0} setzen wir dimV := 0.
Die lineare Algebra beschräftigt sich mit endlich-dimensionalen Vektorräumen mit
der Eigenschaft n < ∞ für alle auftretenden Basen. In der linearen Funktionalanalysis hingegen werden wir unendlich-dimensionale Vektorräume betrachten.
Der Basisergänzungssatz
Ausgehend von einem beliebigen, linear unabhängigen System läßt sich stets eine
Basis konstruieren.
Satz 4.6. Ist {v1 , . . . , vn } ein Erzeugendensystem von V, und bildet das linear unabhängige System {u1 , . . . , um } keine Basis von V, so lassen sich die u1 , . . . , um durch
Hinzunahme geeigneter vk zu einer Basis von V ergänzen.
Beweis. Setze
U := {u1 , . . . , um } und M := {u1 , . . . , um , v1 , . . . , vn }.
Betrachte nun alle Mengen S mit
U ⊂S⊂M
und V = Span S.
4.4 Basis und Dimension
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Dabei ist M selbst eine solche Menge. Weiter gibt es eine solche Menge S0 mit
kleinster Elementezahl. Dann sind aber alle Vektoren aus S0 linear unabhängig, denn
◦ Wäre ein vk ∈ S0 Linearkombination der restlichen Vektoren aus S0 , so wäre S0
nicht minimal.
◦ Wäre ein uℓ ∈ S0 Linearkombination der restlichen Vektoren aus S0 , so müsste
für eine solche Linearkombination mindestens ein vk einen von Null verschiedenen Vorfaktor haben, da nämlich das System {u1 , . . . , um } linear unabhängig ist.
Dieses vk wäre dann aber Linearkombination der restlichen Vektoren aus S0 , und
wir sind wieder beim Gegenargument des ersten Punktes.
Also enthält S0 ein linear unabhängiges Erzeugendensystem, d.h. eine Basis.
⊓
⊔
Der Basisauswahlsatz
Aus dem Beweis des vorigen Satzes läßt sich leicht folgendes Resultat ableiten.
Satz 4.7. Besitzt der Vektorraum V 6= {0} mit {v1 , . . . , vn } ein endliches Erzeugendensystem, so läßt sich aus diesem eine Basis von V auswählen.
Beweis. Übungsaufgabe.
Folgerungen
Wir wollen dieses Kapitel abschließen mit den folgenden Bemerkungen.
1. In einem n-dimensionalen Vektorraum bilden je n linear unabhängige Vektoren
eine Basis.
2. Hat ein Unterraum W ⊂ V die gleiche Dimension wie V, so gilt V = W.
Die erste Aussage folgt direkt aus dem Basisergänzungssatz. Für die zweite Aussage
betrachten wir zwei Basen
B = {b1 , . . . , bn } und B ∗ = {b∗1 , . . . , b∗n }
von V bzw. W. Wäre W ein echter Teilraum von V, so ist B ∗ auch keine Basis von
V, läßt sich aber durch Hinzunahme geeigneter Elemente zu einer solchen Basis
ergänzen. Dann ist aber dimV > n. Widerspruch.
Damit wollen wir unsere einführenden Betrachtungen zur Geometrie linearer Vektorräume abschließen.
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