Vorkurs Mathematik Kiel, Oktober 2009

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Vorkurs Mathematik
Kiel, Oktober 2009
Inhaltsverzeichnis
§1
§2
§3
§4
§5
§6
§7
§8
§9
§10
§11
§12
§13
§14
§15
§16
§1
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Potenzen und Wurzeln . . . . . . . . . . .
Mengen und Funktionen . . . . . . . . . .
Kompositionen und Umkehrfunktionen . .
Polynome und rationale Funktionen . . . .
Exponential und Logarithmus Funktionen
Trigonometrische Funktionen . . . . . . .
Die Hyperbelfunktionen . . . . . . . . . .
Gleichungen und Ungleichungen . . . . . .
Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . .
Die komplexen Zahlen . . . . . . . . . . .
Aussagenlogik . . . . . . . . . . . . . . . .
Direkte und indirekte Beweise . . . . . . .
Die vollständige Induktion . . . . . . . . .
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1
2
6
9
15
21
24
28
38
41
46
51
60
63
67
71
Einleitung
Im 1. Semester des Mathematikstudiums werden die aus der Schule bekannten Begriffe und Ergebnisse der Analysis und der Linearen Algebra neu behandelt, und die
Resultate werden sauber aus Grundannahmen, den Axiomen, abgeleitet. Diese logische
Strenge macht erfahrungsgemäß vielen Studienanfängern Schwierigkeiten, da - anders
als in der Schule - die Rechenfertigkeiten weniger im Vordergrund stehen als die saubere
Grundlegung der Begriffe (wie etwa Stetigkeit oder Differenzierbarkeit) und die logisch
klaren Beweise der Sätze (wie etwa des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechung). Die Rechentechniken fallen dabei nebenbei ab: an dieser Stelle wird auf diese
aus der Schule bekannten Fähigkeiten implizit zurückgegriffen, da sie nur kurz (erneut)
eingeübt werden. Der Vorkurs soll zur Erleichterung des Übergangs Schule-Universität
daher dazu dienen
- Rechentechniken (Brüche, Potenzen, Wurzeln, Logarithmen, die trigonometrischen Funktionen) zu wiederholen
1
§2
Vorkurs Mathematik 2009
- den sicheren Umgang mit Gleichungen und Ungleichungen einzuüben
- wichtige Beweisprinzipien der Mathematik zu behandeln (direkter und indirekter
Beweis, Beweis durch vollständige Induktion).
In diesem Vorkurs sollten Sie also nur Dinge lernen, die Sie zumindest schon einmal
gewusst haben (sollten). Während wir inhaltlich im Rahmen der Schulmathematik
bleiben werden, wird der Stoff aber schon etwas abstrakter als in der Schule üblich
behandelt. Wir werden zwar keine systematische Theorie betreiben, das wird dann in
den Vorlesungen gemacht, aber doch mehr auf Begründungen und Warum Fragen“
”
eingehen als in der Schule.
Wir werden die folgenden Themengebiete behandeln:
1. Grundrechenarten, also Bruchrechnung, Potenzrechnung und so weiter.
2. Mengen und Funktionen. Funktionen sollten Ihnen vertraut sein, Mengen wahrscheinlich weniger. Der Mengenbegriff ist für die Hochschulmathematik zentral,
und daher gehen wir etwas weitergehend darauf ein.
3. Die komplexen Zahlen.
4. Die Grundfunktionen, also Polynome, rationale Funktionen, Potenz- und Logarithmusfunktionen sowie die trigonometrischen Funktionen.
5. Ableitungen.
6. Integrale.
7. Grundlegende Beweistechniken, beispielsweise die vollständige Induktion.
§2
Zahlen
In Laufe der Schulzeit haben Sie folgenden grundlegenden Zahlbereiche kennengelernt:
N = {0, 1, 2, 3, . . .},
die natürlichen Zahlen,
Z = {. . . , −2, −1, 0, 1, 2, . . .}, die ganzen Zahlen,
Q,
die rationalen Zahlen also Brüche ganzer Zahlen,
R,
die reellen Zahlen, also alle Dezimalbrüche auch mit
unendlich vielen Nachkommastellen,
C,
die komplexen Zahlen.
2
§2
Vorkurs Mathematik 2009
Ob Null als natürliche Zahl betrachtet wird oder nicht wird leider nicht ganz einheitlich
gehandhabt. Oft bezeichnet N nur die natürlichen Zahlen ab Eins, also 1, 2, 3, . . ., und
dann schreibt man N0 für unsere natürlichen Zahlen“. Die reellen Zahlen als unendliche
”
Dezimalbrüche zu betrachten, ist die in der Schule favorisierte Sichtweise. Im Studium
wird dann ein anderer Standpunkt bevorzugt, der für einen systematischen Aufbau
der Theorie geeigneter ist. Die komplexen Zahlen kennen Sie vielleicht nicht aus der
Schule, dies ist aber nicht weiter tragisch. Wir werden die komplexen Zahlen später
noch behandeln aber zuerst kommen die reellen Zahlen dran.
Zu je zwei reellen Zahlen x, y hat man eine Summe x + y und ein Produkt x · y.
Addition und Multiplikation sind die beiden Grundrechenarten. Dagegen werden Subtraktion und Division nicht als eigenständige Rechenoperationen betrachtet sondern
nur als Schreibweisen
x − y,
x
,
y
ist die reelle Zahl mit (x − y) + y = x,
x
ist die reelle Zahl mit · y = x,
y
letzteres natürlich nur für y 6= 0. Die Schreibweise ist wie üblich, also Punkt vor
”
Strich“, Multiplikationszeichen können weggelassen werden, der Gebrauch von Klammern, und so weiter. Bereits hier gibt es einige erstaunlich weit verbreitete Fehler, die
Sie tunlichst vermeiden sollten:
• a + b · c bedeutet die Summe von a mit dem Produkt aus b und c“ und nicht
”
etwa das Produkt von c mit der Summe aus a und b“. Dieser Fehler ergibt sich
”
oft durch allzu unbedachtes Taschenrechnerdenken“.
”
• Es heißt a · (−b) = a(−b) = −ab und nicht etwa a · −b.
Eine der traditionell ergiebigsten Fehlerquellen ist die Bruchrechnung. Wir wollen uns
kurz einmal die zuständigen Rechenregeln klarmachen, bevor wir dann zu Beispielen
und Aufgaben kommen. Beginnen wir mit dem Produkt, also was ist (x/y)·(u/v)? Hierbei sollen x, y, u, v reelle Zahlen mit y, v 6= 0 sein. Dass das Ergebnis gleich (xu)/(yv)
ist wissen Sie höchstwahrscheinlich, aber warum ist dies der Fall? Wir starten mit einem Zahlbeispiel (2/7) · (3/5) und gehen das heuristische Tortenargument“ durch,
”
also wieviel sind drei Fünftel von zwei Siebteln einer Torte? Hierzu denken wir uns die
Torte in 5 · 7 = 35 Stücke aufgeteilt. Zwei Siebtel der Torte sind dann 2 · 5 = 10 der 35
Stücke. Ein Fünftel davon sind 2 Stücke und drei Fünftel sind damit 3 · 2 = 6 der 35
Stücke, also der 6/35te Teil der Torte.
Das ist zwar irgendwo überzeugend, aber man möchte natürlich nicht für jede Multiplikation einen solchen Aufwand treiben. Stattdessen wird alles in eine Formel gepackt
x u
xu
· =
y v
yv
(x, y, u, v ∈ R, y, v 6= 0).
Wie kann man das beweisen? Das obige Argument ist nur ein Beispiel aber kein Beweis,
zumal die Argumentation im Beispiel sich höchstens auf Brüche natürlicher Zahlen
3
§2
Vorkurs Mathematik 2009
übertragen läßt. Wir erinnern uns an die Definition der rechten Seite, der Quotient
(xu)/(yv) ist die reelle Zahl, deren Produkt mit yv gleich xu ist. Um die Gleichheit
einzusehen, müssen wir uns nur klarmachen das die linke Seite der Gleichung eine
solche reelle Zahl ist. Zunächst ist dabei x/y diejenige reelle Zahl mit (x/y) · y = x und
ebenso ist u/v die Zahl mit (u/v) · v = u. Multiplizieren wir diese beiden Gleichungen
so ergibt sich
x
x u
·y = x
y
=⇒ · · (yv) = xu,
u
·v = u
y v
v
und dies wollten wir auch so haben. Dies ist bereits ein Beweis dieser Formel. Es ist
normal wenn Sie dies verwirrend finden ohne genau sagen zu können welche Stelle unklar ist, Beweise solcher selbstverständlichen Formeln rufen meist diese Gefühle hervor.
Aus der Produktformel folgt nun leicht auch die Formel für die Division von Brüchen.
Seien hierzu x, y, u, v ∈ R mit y, u, v 6= 0 gegeben. Wir wissen, oder behaupten,
x
xv
y
u =
.
yu
v
Erneut muss nur geprüft werden, dass die rechte Seite der Gleichung das richtige tut,
dass ihr Produkt mit u/v also gleich x/y ist. Probieren wir das einfach mal aus
xv u
xuv
x
· =
= ,
yu v
yuv
y
und wieder haben wir eine Formel bewiesen.
Aufgaben
x
ax
=
.
y
y
x
y
x
Aufgabe 2: Zeigen Sie: Für alle x, y, a ∈ R mit a, y 6= 0 gilt
=
.
a
ay
Wir kommen jetzt zur Addition von Brüchen. Wir beginnen wieder wie in der frühesten
Schulzeit mit Tortenüberlegungen“. Nehmen wir zuerst das Beispiel 2/7 + 3/7. Hier
”
ist eigentlich alles klar, zwei von sieben Stücken plus drei von sieben Stücken sind
insgesamt fünf von sieben Stücken. Die zugehörige Formel ist
Aufgabe 1: Zeigen Sie: Für alle a, x, y ∈ R mit y 6= 0 gilt a ·
x y
x+y
+ =
z z
z
gültig für alle reellen Zahlen x, y, z mit z 6= 0. Um dies im obigen Stil zu begründen,
muss man sich nur klarmachen das die linke Seite mal z gleich x + y ist. Dies ist kein
großes Problem
x y y
x
+
· z = · z + · z = x + y.
z z
z
z
4
§2
Vorkurs Mathematik 2009
Die Addition von Brüchen mit gleichem Nenner ist also völlig unproblematisch. Der
allgemeine Fall, also Brüche mit verschiedenen Nenner, läßt sich hierauf zurückführen
x u
xv yu
xv + yu
+ =
+
=
.
y v
yv yv
yv
Bei Brüchen ganzer Zahlen kann man jetzt eventuell noch auskürzen, anstelle des Produkts yv nimmt man daher für ganze Zahlen y, v ∈ Z oft auch den kleinsten gemeinsamen Vielfachen von y und v. Dies ist aber nur ein rechnerisches Detail. Rechnen wir
mal ein paar Beispiele, und beginnen ruhig mit einem Zahlenbeispiel, nämlich
S =1+
1 1 1 1
1
− + − + .
2 3 5 6 15
Das Produkt aller Nenner zu bilden führt zu unnötig großen Zahlen, daher nehmen wir
als Hauptnenner den kgV(2, 3, 5, 6, 15) = 30. Die Summe S wird dann zu
S=
30 15 10
6
5
2
38
19
+
−
+
−
+
=
= .
30 30 30 30 30 30
30
15
An dieser Stelle können wir jetzt auf einen Unterschied zur üblichen Schulnotation
verweisen. Der Bruch 19/15 ist tatsächlich das Endergebnis, meistens verzichtet man
auf die Angabe der Dezimaldarstellung 19/15 = 1, 26. Ebenfalls nicht üblich ist es
19
4
=1
15
15
zu schreiben, diese gemischte Bruchschreibweise“ wird außerhalb der Schule eigentlich
”
nicht benutzt. Nehmen wir nun ein zweites Beispiel, den Bruch
a
1−a
a−1
a
+
−
a+1
a
a
a+1
.
Dabei sei a ∈ R eine reelle Zahl für die das alles Sinn macht. Um dies zu rechnen, werden
zuerst in Zähler und Nenner jeweils die Addition durchgeführt, und anschließend die
Formel für Quotienten von Brüchen verwendet.
a
1−a
a−1
a
+
−
a+1
a
a
a+1
=
a·a+(a+1)·(1−a)
(1−a)a
(a−1)·(a+1)−a·a
a·(1+a)
=
Aufgaben
1 + 32
Aufgabe 3: Berechnen Sie
.
2 − 54
Aufgabe 4: Vereinfachen Sie
b 2 − a2
.
b−a
5
1
a(1−a)
−1
a(1+a)
=−
1+a
a+1
=
.
1−a
a−1
§3
Vorkurs Mathematik 2009
1−n
n(n + 3)
Aufgabe 5: Vereinfachen Sie
.
n+1
√
1
1−x
Aufgabe 6: Vereinfachen Sie · √
− 1 − x2 .
2
1 − x2
q3 − 1
Aufgabe 7: Vereinfachen Sie
.
q−1
1+
§3
Potenzen und Wurzeln
Die n-te Potenz an einer reellen Zahl a ∈ R ist das n-fache Produkt von a mit sich
selbst, wobei n ∈ N ist, also
an = a
. . · a} .
| · .{z
n mal
0
Das 0-fache Produkt wird dabei als a = 1 interpretiert. Wenn b = an ist, ist b der
Potenzwert, a die Basis und n der Exponent. Für a, b ∈ R, n, m ∈ N gelten die
Rechenregeln
an · bn = (a · b)n ,
an · am = an+m ,
an /bn = (a/b)n (b 6= 0), an /am = an−m (a 6= 0),
(an )m = an·m ,
a−n := a1n (a 6= 0).
Die letzte dieser Formeln ist dabei eine Definition, was häufig durch das Symbol :=“
”
angedeutet wird. Ganz streng genommen wird diese Definition bereits in der darüber
stehenden Formel verwendet, da die Differenz n−m ja auch negativ sein kann. All diese
Formeln folgen sofort aus der Definition der Potenz an . Berechnen wir beispielsweise
an · am , so haben wir zuerst ein n-faches Produkt von a mit sich selbst multipliziert mit
einem m-fachen solchen Produkt und dies ist insgesamt ein (n+m)-faches Produkt von
m
a mit sich selbst. Im allgemeinen ist a(n ) 6= (an )m , zum Beispiel ist (23 )4 = 212 = 4096
während
4
2(3 ) = 281 = 2417851639229258349412352
sehr viel größer ist. Die Umkehrung des Potenzierens ist die Wurzelbildung. Diese
unterliegt allerdings einer kleinen Einschränkung, aus Potenzwert und Exponent kann
man die Basis nicht eindeutig zurückgewinnen, da im Falle eines geraden Exponenten
ja (−a)n = an für alle a ∈ R gilt. Außerdem kann bei geraden n auch nicht jede reelle
Zahl als Potenzwert auftauchen, denn alle Potenzwerte sind positiv oder Null. Daher
werden Wurzeln nur für nicht negative Zahlen
definiert. Sind n ≥ 1 eine natürliche
√
Zahl und a ≥ 0 eine reelle Zahl, so ist n a die nicht negative reelle Zahl deren n-te
Potenz gleich a ist, also
√
√
n
a ≥ 0 und ( n a)n = a.
6
§3
Vorkurs Mathematik 2009
Für ungerade n könnte man Wurzeln für alle a ∈ R einführen, dies wird aber meistens
nicht getan. Rechenregeln für die Wurzelbildung: Für a, b ≥ 0 und n, m ∈ N gilt
√
√
√
√
√
√
n
n
n
a· √
b = p
a · b, n ap· m a = nm an+m ,
√
√
√
n m
n
a/ n b = n a/b,
a = nm a.
All diese Formeln
folgen
aus den entsprechenden Potenzrechenregeln. Wollen
wir
bei√
√
√
√
√
n
n
n
n
n
spielsweise a · b = ab nachweisen,
so muss
man√nur festhalten das a · b eine
√
√
√
n
n
n n
n
n
n
nicht negative,
reelle
Zahl
mit
(
a
·
b)
=
a
·
b = ab ist, und dies bedeutet
√
√
√
n
n
n
gerade ab = a· b. Mit Wurzeln kann man dann auch Potenzen mit nicht negativer
Basis und rationalen Exponenten einführen
√
√
an/m := ( m a)n = m an (a ∈ R, n, m ∈ Z, a ≥ 0, m ≥ 1).
Die Potenzrechenregeln gelten dann auch für diese Potenzen.
Beispiele:
√
94 (a2 a b)2
38 · a4 · a · b2
3 · a2
=
=
für reelle Zahlen a, b ∈ R mit a > 0
1.
182 (3ab)3
22 · 34 · 33 · a3 · b3
4·b
und b 6= 0.
q
√
3 √
2.
125 = 1251/6 = (53 )1/6 = 51/2 = 5. Wie bei Brüchen geht dies schon als
√
Endergebnis durch, auf das Berechnen der Dezimaldarstellung 5 = 2, 2361 . . .
wird meistens verzichtet. Wenn man die Dezimaldarstellung
√ aus irgendeinem
Grund
doch haben möchte, so schreibt man sie
√ häufig als 5 ' 2, 2361 oder
√
5 ≈ 2, 2361 oder ähnlich. Es wird aber nicht 5 = 2, 2361 geschrieben. Gleichheit wird hier wesentlich ernster genommen als in der Schule üblich, selbst wenn
Sie die ersten√fünf Millarden Nachkommastellen hinschreiben, so ist das trotzdem
nicht gleich 5 (warum eigentlich nicht?). Eine Identität a = b bedeutet nicht
das a und b für irgendeinen praktischen Zweck gleich sind, sondern die wirkliche,
abstrakte Gleichheit.
3. Für reelle Zahlen a, b ∈ R mit a2 ≥ b2 gilt
q
q
q
√
√
√
√
2
2
2
2
a − a − b · a + a − b = (a − a2 − b2 ) · (a + a2 − b2 )
q
√
p
√
2
= a2 − a2 − b2 = a2 − (a2 − b2 ) = b2 .
Wie schon in verschiedenen Aufgaben haben wir hier die binomische Formel (u −
2
2
v) · (u
√ + v) = u − v für u, v ∈ R verwendet, hier angewandt mit√u = a und
v = a2 − b2 . Jetzt muss man ein klein wenig aufpassen,
Wurzel b2 ist nicht
√ die √
2
gleich b. Ist zum Beispiel b = −1, so haben wir ja b = 1 = 1 6= b. Dieses
falsche Vorzeichen ist aber auch das einzige mögliche Missgeschick, es gilt
(
q
q
√
√
√
b,
b ≥ 0,
a − a2 − b2 · a + a2 − b2 = b2 =
−b, b < 0.
7
§4
Vorkurs Mathematik 2009
4. Wir haben
√
√
1
5−1
5−1
1
√
√
=√
=
.
4
5+1
5+1 5−1
Auch dieser Erweiterungstrick beruht wieder auf der dritten binomischen Formel.
Derartige Rechnungen sind typisch um Wurzeln vom Nenner eines Bruchs in den
Zähler zu verschieben. Wir rechnen jetzt noch ein ähnliches Beispiel.
√
√
√
√
√
1
3− 2
3− 2 √
1
√ =√
√ ·√
√ =
5. √
= 3 − 2.
1
2+ 3
2+ 3
3− 2
Aufgaben
p
3
x5 y 4
Aufgabe 8: Seien x, y ∈ R mit x, y > 0. Vereinfachen Sie p
.
4
16x2 y −6
r q
√
5
Aufgabe 9: Seien x, y ∈ R mit x, y > 0. Vereinfachen Sie x3 32y 6 3 x.
p
√
Aufgabe 10: Vereinfachen Sie 3 + 2 2 (dies ist ein wenig trickreicher).
Schließlich kann man sogar allgemeine Potenzen ab mit positiver Basis a > 0 und
beliebigen reellen Exponenten b ∈ R einführen. Für die exakte Definition dieser Potenzen gibt es verschiedene Möglichkeiten, von denen Sie eine in Ihrer Analysis Vorlesung
kennen lernen werden. Wir stellen uns hier auf den Schulstandpunkt und begnügen
uns mit einer eher heuristischen Einführung dieser Potenzen, die man
aber durchaus
√
2
zu einer exakten Definition ausbauen kann. Was ist zum Beispiel 2 ? Wir haben die
Dezimaldarstellung
√
2 = 1, 4142135623730950488 . . .
und denken uns dann das die durch Abbrechen
der Dezimalentwicklung entstehenden
√
Näherungen uns eine Näherung für 2 2 geben. Wir schreiben diese
√ in der folgenden
Tabelle der Reihe nach für 0, 1, 2, 3, . . . , 11 Nachkommastellen von 2 hin
0
1
2
3
4
5
..
.
1
1, 4 = 1 + 25 =
141
1, 41 = 100
1, 414 = 707
500
1, 4142 = 7071
5000
1, 41421
7
5
21 =
√
21,4 = 27/5 =√5 128 =
21,41 = ( 100 2)141 =
21,414 =
10 1, 4142135623
11
2
2, 6390158215 . . .
2, 6573716281 . . .
2, 6647496501 . . .
2, 6651190885 . . .
2, 6651375617 . . .
..
.
2, 6651441425 . . .
2, 6651441426 . . .
√
es sollte also 2 2 ≈ 2, 665144142 sein. Tatsächlich konvergieren
die Näherungen bei
√
2
wachsender Zahl der Nachkommastellen gegen die Potenz 2 . Auch für Potenzen mit
reellen Exponenten gelten die Potenzrechenregeln.
8
§4
Vorkurs Mathematik 2009
§4
Mengen und Funktionen
Wie in der Schule sind Mengen in diesem Vorkurs nur eine bequeme Schreibweise,
wir wollen hier keine Mengenlehre im eigentlichen Sinn machen. In der Schule begegnen
Ihnen Menge nur am Rande, zum einen bei den Lösungsmengen von Gleichungen oder
Gleichungssystemen die mehrere Lösungen haben und zum anderen bei den Definitionsmengen von Funktionen. Eine Menge fasst einfach einige Objekte, beispielsweise
einige Zahlen, zu einer Gesamtheit zusammen. Der Begriff einer Menge ist erst relativ
spät in die Mathematik eingeführt worden, und zwar um das Jahr 1880 herum von G.
Cantor. Cantors ursprüngliche Definition einer Menge wird auch heute noch in vielen
Anfängervorlesungen gerne zitiert, also wollen wir es hier auch tun: Unter einer Menge
”
verstehen wir jede Zusammenfassung M von bestimmten wohlunterschiedenen Objekten unserer Anschauung oder unseres Denkens, welche die Elemente von M genannt
werden, zu einem Ganzen“. Dies wird klarer wenn wir ein paar Beispiele betrachten.
1. Die Zahlmengen N, Z, Q, R und C.
2. Die Menge {1, 2, 3} mit den drei Elementen 1, 2 und 3. Dies ist die einfachste Art
Mengen zu definieren, es werden einfach die Elemente der zu bildenden Menge
aufgelistet und in geschweifte Klammern {· · · } gesetzt. Es ist durchaus erlaubt
ein Element mehrfach aufzulisten
{1, 2, 3} = {1, 2, 1, 3}.
Dies ist genau dieselbe Menge, ein Objekt ist entweder Element der Menge oder
nicht, so etwas wie mehrfache Mitgliedschaft“ gibt es nicht. Natürlich macht es
”
keinen Sinn wissentlich dasselbe Element mehrfach aufzulisten, dies zu erlauben
ist aber praktisch wenn man so etwas wie M = {x, y, z} mit noch nicht bekannten
reellen Zahlen x, y und z schreiben möchte. Hätten wir auf verschiedene Elemente
in den geschweiften Klammern bestanden, so müsste man hier so etwas schreiben
wie Ist x = y = z so sei M = {x}, ist x = y 6= z so sei M = {x, z} ...“, da ja
”
Gleichheiten zwischen x, y, z auftauchen können.
3. Die Menge R2 der Punkte der Ebene. Man schreibt
R2 = {(x, y)|x, y ∈ R}
wobei (x, y) dann natürlich der Punkt mit den gegebenen x- und y-Koordinaten
ist. In der Schule gerne verwendete Schreibweisen wie (2|3), P (2|3), P (2; 3) und
so weiter, werden nicht benutzt, man schreibt einfach (2, 3) für diesen Punkt.
Probleme mit in Dezimalschreibweise geschriebenen Koordinaten, also die Interpretation von Dingen wie (1, 2 , 0, 75), treten dabei in der Praxis nicht auf.
Zum einen kann man wie hier ausreichend viel Platz zwischen den Komponenten
lassen, und zum anderen wird sowieso die Bruchschreibweise ( 56 , 43 ) bevorzugt.
9
§4
Vorkurs Mathematik 2009
Ist x ein Element einer Menge M so schreibt man x ∈ M und andernfalls ist x ∈
/ M.
Diese Schreibweise haben wir ja auch schon verwendet. Noch eine weitere Bemerkung
zur üblichen Notation. In der Schule ist es beliebt jede Menge mit Doppelstrichen“ zu
”
schreiben, also zum Beispiel L für die Lösungsmenge einer Gleichung, aber diese Konvention wird in der Hochschulmathematik nicht befolgt. Die Doppelstrichbezeichnung
wird nur für einige wenige Mengen wie etwa R verwendet. Für ganz normale Mengen
nimmt man auch ganz normale Buchstaben.
Auf Mengen M, N kann man verschiedene Rechenoperationen anwenden:
Vereinigung
M ∪N
Menge aller x in M oder N
Durchschnitt
M ∩N
Menge aller x in M und N
Komplement
M \N
Menge aller x in M aber
nicht in N
Produkt
M ×N
Menge aller Paare (x, y) mit
x ∈ M, y ∈ N
Beachte das bei der Vereinigung auch die x dabei sind die in M und N liegen, bei
Menge aller x in M oder N“ ist das Wort oder“ im einschließenden Sinn gemeint,
”
”
also mit erlaubten und“ Fall. Die Schreibweise M \N für das Komplement wird nicht
”
ganz einheitlich gehandhabt, gelegentlich findet man auch M −N statt M \N . Kommen
wir jetzt zu ein paar Beispielen:
1. Seien M := {1, 2, 3} und N := {1, 3, 4}. Dann sind
• M ∪ N = {1, 2, 3, 1, 3, 4} = {1, 2, 3, 4},
• M ∩ N = {1, 3},
• M \N = {2} und
• M × N = {(1, 1), (1, 3), (1, 4), (2, 1), (2, 3), (2, 4), (3, 1), (3, 3), (3, 4)}.
2. Ist M = R die Zahlengerade, so ist M × M = R × R = R2 die Ebene. Weiter ist
dann R × R × R = R × R2 = R3 der dreidimensionale Raum, und so weiter.
Aufgaben
Berechnen Sie M ∪ N , M ∩ N und M \N für die Mengen
Aufgabe 11: M = {0, 2, 4, 5} und N = {2, 3, 4}.
Aufgabe 12: M = {1, 2, 3, 4} und N = {1, 2}.
Aufgabe 13: M = N = {1, 2, 3}.
10
§4
Vorkurs Mathematik 2009
Aufgabe 14: Berechnen Sie den Durchschnitt von M = {x ∈ R|x2 ≤ 3x} und N = Z.
Eine weitere wichtige Bildungsweise für Mengen ist die Auswahl einzelner Elemente
aus einer bereits gegebenen Menge. Die Schreibweise hierfür ist wie in der obigen Aufgabe 14, sind M eine Menge und A(x) eine Bedingung an die Elemente x aus M , so
bezeichnet {x ∈ M |A(x)} die Menge all derjenigen Elemente x von M , die die Bedingung A(x) erfüllen. Was als Bedingung auftauchen darf wollen wir hier nicht näher
festlegen, A(x) darf aber auch durchaus ein längerer Text sein. Beispielsweise ist
n > 1 und n ist nicht das Produkt
P := n ∈ N zweier natürlicher Zahlen a, b 6= 1
die Menge aller Primzahlen. Eine durch N = {x ∈ M |A(x)} gegebene Menge N ist
eine Teilmenge von M , d.h. jedes Element von N ist auch ein Element von M . Diese
Beziehung zwischen Mengen ist so wichtig das sie ein eigenes Symbol erhält
N ⊆ M ⇐⇒ N ist eine Teilmenge von M
⇐⇒ Für jedes Element x ∈ N ist auch x ∈ M .
Es gibt noch eine weitere übliche Methode der Mengenbildung. Diese ist eine Verallgemeinerung der Auflistung aller Elemente. Nehmen wir einmal an wir wollen die Menge
aller geraden ganzen Zahlen hinschreiben. Dies könnte man als
{. . . , −4, −2, 0, 2, 4, . . .}
tun, allerdings ist die Verwendung solcher Auslassungspunkte oft nicht ganz eindeutig
interpretierbar. Um zu sehen, wie man die Menge der geraden Zahlen besser beschreiben
kann, schreiben wir den obigen Ausdruck erst einmal etwas um
{. . . , −4, −2, 0, 2, 4, . . .} = {. . . , 2 · (−2), 2 · (−1), 2 · 0, 2 · 1, 2 · 2, . . .},
die Elemente unserer Menge haben also die Form Zwei mal eine ganze Zahl“, bezie”
hungsweise 2 · x mit x ∈ Z. Genauso kann man dies dann auch hinschreiben, also
{2x|x ∈ Z}
für die Menge der geraden Zahlen. Hier durchläuft x die Menge Z der ganzen Zahlen, und für jedes solche x packt man 2x in die zu bildende Menge. Diese Notation
ist eine Verallgemeinerung des Aufzählens der Elemente. Die Schreibweisen für dieses
Aufzählen und die obige Auswahl einer Teilmenge haben beide die Gestalt {. . . | . . .}
sehen formal also sehr ähnlich aus, sie sind aber zwei verschiedene Dinge. Verwechslungen treten im praktischen Gebrauch aber normalerweise nicht auf. Eine Menge kann
man meistens auf viele verschiede Arten schreiben, beispielsweise ist die Menge der
geraden Zahlen auch gleich
{2x|x ∈ Z} = {n ∈ Z|Es gibt ein x ∈ Z mit n = 2x},
11
§4
Vorkurs Mathematik 2009
links steht hier eine durch Auflistung gegebene Menge und rechts eine durch Auswahl
aus Z definierte Menge. Als ein weiteres Beispiel ist
M := {ab|a, b ∈ N, a, b > 1}
die Menge aller natürlichen Zahlen, die sich als ein Produkt von zwei natürlichen Zahlen
echt größer Eins schreiben lassen. Dies ist wieder eine durch Auflistung gegebene Menge
bei der diesmal gleich zwei Laufvariablen a, b zur Beschreibung der Menge verwendet
werden. Die Menge M ist fast die Menge der Nichtprimzahlen, nur 0 und 1 werden
nicht erfasst. Also wird
P = N\(M ∪ {0, 1}).
Aufgaben
Aufgabe 15: Schreibe die Menge aller Quadrate (in den natürlichen Zahlen) hin.
Aufgabe 16: Schreibe die Menge aller natürlichen Zahlen, die sich als Summe von
höchstens drei Quadraten schreiben lassen, hin.
Aufgabe 17: Schreibe die Menge aller Punkte der Ebene hin, die im Kreis mit Radius
2 und Mittelpunkt in (1, 0) liegen.
Damit können wir jetzt zu den Funktionen kommen. Wir beginnen dabei mit dem meist in der
Schule verwendeten Standpunkt. Dort sind Funktionen so etwas wie
4
3
3
3
y = f (x) = x4 + x3 − 2x2 − x + 1
2
2
2
und interpretiert wird dies so, dass jeder reellen
Zahl x die durch die Formel gegebene Zahl y zugeordnet wird. Die Funktion ist dabei die Zuordnung
selbst und nicht etwa die sie beschreibende Formel.
Beispielsweise ist
3
2
2
g(x) = (x − 1) x + x − 1
2
–2
–1.5
1
–1
–0.5
0
0.5
1
1.5
x
–1
exakt dieselbe Funktion wie f , auch wenn die Formel etwas anders aussieht. Innerhalb
der Hochschulmathematik kommt noch ein weiteres Detail hinzu, es müssen immer eine
Definitionsmenge und eine Wertemenge angegeben werden, diese sind Bestandteile der
Funktion. Zur Angabe einer Funktion braucht es dann drei Dinge
1. Einen Definitionsbereich M der Funktion. Hier läßt man beliebige Mengen zu, es
muss sich nicht um eine Menge reeller Zahlen handeln.
12
§4
Vorkurs Mathematik 2009
2. Einen (potentiellen) Wertebereich N der Funktion.
3. Eine Zuordnung, die jedem Element x ∈ M einen Wert y ∈ N zuordnet.
Man spricht dann von einer Funktion von M nach N und schreibt f : M → N . Das
Wort Wertebereich“ ist dabei eigentlich ein wenig unglücklich, da keinesfalls jedes
”
Element von N als Funktionswert vorkommen muss. Beispielsweise ist das Quadrieren
f (x) = x2 eine Funktion f : R → R obwohl die negativen Zahlen nicht als Quadrate
vorkommen. Unser obiges Beispiel wird dann als
3
3
f : R → R; x 7→ x4 + x3 − 2x2 − x + 1
2
2
geschrieben, oder manchmal auch als
3
3
f : R → R; f (x) = x4 + x3 − 2x2 − x + 1.
2
2
Diese Schreibweise folgt dem Schema
f : Definitionsbereich → Wertebereich; x 7→ Zuordnungsvorschrift.
Die Zuordnungsvorschrift muss dabei jedem x ∈ M ein eindeutiges f (x) ∈ N zuordnen.
Was dabei unter einer Zuordnungsvorschrift“ zu verstehen ist, hat sich im Laufe der
”
Zeit einige Male geändert. Die einfachste, und auch mit Abstand häufigste, Art der
Zuordnung geschieht einfach durch eine Formel in der das Funktionsargument x frei
vorkommt, also zum Beispiel
f : R → R; x 7→ x2 + 1.
Funktionen dieser Art waren lange Zeit die einzige zugelassene Version. Für viele Anwendungen hat sich dies
aber als zu einschränkend herausgestellt. Das klassische
f(x)
Beispiel ist die Diskussion der schwingenden Saite. Hierbei soll die Bewegung einer an zwei Endpunkten eingex=1/2
x=1
spannten Saite bei gegebener Startauslenkung und Start- x=0
geschwindigkeit beschrieben werden, was auf die sogenannte Wellengleichung führt. Eine dabei gerne diskutierte Startauslenkung f ist die
angezupfte Saite“ wie im nebenstehenden Bild. Hier kann man die Funktion nicht so
”
recht in einer Formel beschreiben, sondern braucht dazu gleich zwei Formeln, einmal
für die Argumente x zwischen 0 und 1/2 und eine zweite für die Argumente zwischen
1/2 und 1. Die Funktion f schreibt man dann als
(
2x,
0 ≤ x ≤ 21 ,
f : {x ∈ R|0 ≤ x ≤ 1} → R; x 7→
2 − 2x, 12 ≤ x ≤ 1.
13
§4
Vorkurs Mathematik 2009
Für x mit 0 ≤ x ≤ 1/2 soll also f (x) = 2x sein, und für x mit 1/2 ≤ x ≤ 1 soll
f (x) = 2 − 2x sein. Dass das Argument x = 1/2 durch beide Fälle erfasst wird, ist
dabei kein Problem da für x = 1/2 beide Formeln den Wert f (1/2) = 1 liefern.
Es sind natürlich auch drei und mehr Stücke erlaubt. Die Stücke selbst dürfen auch
kompliziertere Mengen sein, wie zum Beispiel beim sogenannten Dirichlet-Monster
(
1, x ist rational, d.h. x ∈ Q,
f : R → R; x 7→
0, x ist irrational, d.h. x ∈
/ Q.
Schließlich darf anstelle irgendeiner Art von Formel auch ein komplizierterer Text als
Zuordnungsvorschrift benutzt werden. Ein solches Beispiel ist die Funktion

p


q, x 6= 0 und x = q mit p ∈ Z und q ∈ N, q ≥ 1,
f : Q → N; x 7→
p und q sind teilerfremd,



0, x = 0.
Wie soll man das lesen? Angenommen wir haben die rationale Zahl x gegeben und
wollen f (x) berechnen. Im ersten Schritt müssen wir schauen in welchem der beiden
Fälle wir sind, ob also x = 0 oder x 6= 0 ist. Für x = 0 ist der Funktionswert dann
f (x) = 0. Andernfalls schreiben wir x als einen ausgekürzten Bruch x = p/q mit
positiven Nenner. Der Funktionswert ist dann f (x) = q, d.h. wir nehmen den Nenner
als den Funktionswert. Nehmen wir als ein Beispiel x = 1, 2. Dann ist x 6= 0 und wir
schreiben
6
12
x = 1, 2 =
= ,
10
5
d.h. in der ausgekürzten Form ist der Nenner q = 5 und der Zähler p = 6, also wird
der Funktionswert f (1, 2) = 5. Warum schreibt man nicht einfach
p
f
:= q?
q
Das Problem hier ist das dies keine eindeutige Zuordnungsvorschrift ist da sich eine rationale Zahl wie im obigen Beispiel x = 1, 2 auf viele verschiedene Arten als
Bruch schreiben läßt. Man spricht dann auch davon das dies keine wohldefinierte“
”
Zuordnungsvorschrift ist. Dagegen gibt es nur eine einzige ausgekürzte Darstellung mit
positiven Nenner, daher ist unsere Definition der Funktion f tatsächlich eine eindeutige Zuordnungsvorschrift. Dabei muss x = 0 als Sonderfall behandelt werden, da der
Nenner q ≥ 1 bei x = 0 völlig beliebig ist.
Mit diesen schlimmstenfalls stückweise definierten Funktionen ist man dann lange
ausgekommen, bis auch dieser Funktionsbegriff ungefähr zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu eng wurde. Was genau als Funktion durchgehen sollte war dabei durchaus
umstritten, die obige Dirichlet-Funktion war ursprünglich ein Beispiel für etwas das
natürlich keine Funktion sein sollte“. Die Definition des Funktionsbegriffs die sich
”
letztlich durchgesetzt hat verzichtet ganz auf die Idee einer Zuordnungsverschrift:
14
§5
Vorkurs Mathematik 2009
Definition 1: Eine Funktion f : M → N besteht aus einem Definitionsbereich M ,
einem Wertebereich N und einer Teilmenge F ⊆ M × N so, dass es für jedes x ∈ M
genau ein y ∈ N mit (x, y) ∈ F gibt, und man schreibt dann f (x) = y.
Die Menge F ist dann der Graph der Funktion F = {(x, f (x))|x ∈ M }. Das Symbol
F ⊆ M × N“ bedeutete dabei das F eine Teilmenge von M × N ist, dass also jedes
”
Element von F auch ein Element von M × N ist, also die Form (x, y) mit x ∈ M ,
y ∈ N hat. Das Wort Graph“ darf man dabei nicht so wörtlich nehmen. Hat man
”
beispielsweise die Funktion
f : {1, 2, 3} → R; x 7→ x
so besteht der Graph von f nur aus den drei Punkten (1, 1), (2, 2) und (3, 3).
Diese Definition einer Funktion ist zwar ziemlich abstrakt, sie hat aber den Vorteil das man nicht mehr von Zuordnungsvorschriften reden muss, auch wenn sie zur
Definition konkreter Funktionen natürlich verwendet werden, d.h. die Schreibweise
f : M → N ; x 7→ f (x) wird beibehalten. Zwei Funktionen sind gleich wenn sie denselben Definitionsbereich, denselben Wertebereich und denselben Graphen haben.
Aufgaben
Aufgabe 18: Sei F := {(x, y) ∈ R2 |xy = 1}. Finde eine Funktion f : M → N deren
Graph gleich F ist.
Aufgabe 19: Ist der Einheitskreis F := {(x, y) ∈ R2 |x2 + y 2 = 1} der Graph einer
Funktion?
§5
Kompositionen und Umkehrfunktionen
Man kann Funktionen ineinander einsetzen und spricht dann von Hintereinanderausführung oder Komposition der Funktionen. Sind f : M → N und g : A → B zwei
Funktionen mit f (x) ∈ A für alle x ∈ M , so können g und f hintereinander ausgeführt
werden und ihre Hintereinanderausführung ist
g ◦ f : M → B; x 7→ g(f (x)).
Behandeln wir ein paar Beispiele:
1. Seien
f : R → R; x 7→ x2 + x + 1 und g : R → R; x 7→ x2 − x − 1.
Die Hintereinanderausführung h := g ◦ f ist dann
h(x) = g(f (x)) = f (x)2 − f (x) − 1 = (x2 + x + 1)2 − (x2 + x + 1) − 1
= x4 + 2x3 + 3x2 + 2x + 1 − x2 − x − 1 − 1 = x4 + 2x3 + 2x2 + x − 1
15
§5
Vorkurs Mathematik 2009
für alle x ∈ R.
2. Sind
f : R≥0 := {x ∈ R|x ≥ 0} → R; x 7→
so wird
g ◦ f (x) = g(f (x)) =
√
2
√
x und g : R → R; x 7→ x2 + x + 1,
x +
√
x+1=
√
x+x+1
für alle x ∈ R≥0 .
Bei der Anwendung von Dingen wie der Kettenregel beim Ableiten oder der Substitutionsregel beim Integrieren muss man oftmals umgekehrt eine gegebene Funktion als
Hintereinanderausführung anderer Funktionen schreiben.
1. Die Funktion f : R → R gegeben durch f (x) = x4 + 3x2 + 1 kann man auch als
f (x) = (x2 )2 + 3x2 + 1 schreiben. In dieser Formel kommt x nur als x2 vor, es ist
also f (x) = g(x2 ) wenn g die durch g(x) = x2 + 3x + 1 gegebene Funktion von R
nach R ist. Ist also h(x) = x2 , so wird f = g ◦ h.
2. Sei f (x) = 4 cos3 x − 3 cos x. Hier tritt x nur als cos x in Erscheinung, und wir
können f (x) = g(cos x) mit g(x) = 4x3 − 3x schreiben.
3. Sei f : R≥0 → R; x 7→ x3 + x2 . Auch √
dies können wir als Funktion in x2 schreiben,
etwas als f (x) = g(x2 ) mit g(x) = x x+x. Ebenso könnte man f (x) = h(x3 ) mit
h(x) = x + x2/3 schreiben. Es gibt meist sehr viele Möglichkeiten eine Funktion
(sinnvoll) als Hintereinanderausführung zu schreiben. Welche davon man nehmen
soll, und ob man die Funktion überhaupt als Hintereinanderausführung schreiben
will, hängt davon was man überhaupt mit der Funktion machen möchte. Die
Auswahl kann durchaus einiges Geschick erfordern, wie zum Beispiel bei der
Anwendung der Substitutionsregel in der Integralrechnung.
Will man eine Funktion f als eine Hintereinanderausführung f = h ◦ g schreiben, so
spricht man oft auch davon die Funktion f (x) als eine Funktion in g(x) zu schreiben.
Aufgaben
Aufgabe 20: Schreibe f : R≥0 → R; x 7→ x3 + 2x2 − 1 als eine Funktion in x2 .
Aufgabe 21: Schreibe die Funktion
f : R>0 := {x ∈ R|x > 0} → R; x 7→
x+1
x
als eine Funktion in 1/x.
Eine Funktion f : M → N ordnet jedem x ∈ M im Definitionsbereich einen Wert
y = f (x) ∈ N im Wertebereich der Funktion zu. Kann man umgekehrt aus dem
Wert y das Argument x rekonstruieren, so nennt man die Funktion f invertierbar
16
§5
Vorkurs Mathematik 2009
oder umkehrbar. Die Umkehrfunktion von f ist dann die Funktion g : N → M , die
jedem y ∈ N das zugehörige Argument x = g(y) ∈ M mit y = f (x) zuordnet. In
Gleichungstermen bedeutet dies das die Gleichung y = f (x) sich in die Form x = g(y)
umformen läßt. Eine Umkehrfunktion der Funktion f : M → N ist also eine Funktion
g : N → M mit
y = f (x) ⇐⇒ x = g(y) für alle x ∈ M , y ∈ N .
Dies ist natürlich nicht immer möglich. Betrachten wir beispielsweise einmal die Funktion
f : R → R; x 7→ x2 + 1.
Hier gibt es gleich zwei Gründe die eine Umkehrfunktion verhindern. Zum einen kommt
gar nicht jedes y ∈ R als ein Wert f (x) der Funktion vor, denn für jedes x ∈ R gilt ja
f (x) = x2 + 1 ≥ 1. Zweitens gibt es zu vielen der tatsächlich auftretenden Werte gleich
mehrere passende Argumente, es ist ja f (−x) = f (x) für jedes x ∈ R. Wir definieren:
Definition 2: Eine Funktion f : M → N heißt surjektiv wenn jedes y ∈ N als Wert
von f auftritt, wenn es also für jedes y ∈ N ein x ∈ M mit f (x) = y gibt. In anderen
Worten soll die Gleichung f (x) = y für jede rechte Seite y ∈ N eine Lösung x ∈ M
haben.
Mit ein x ∈ M mit f (x) = y gibt“ ist hier mindestens ein“ gemeint. Dies ist die
”
”
übliche Konvention, es ist immer implizit mindestens“ gemeint. Sonst schreibt man
”
so etwas wie genau eins“.
”
1. Die Funktion f : R → R; x 7→ x2 + 1 ist wie bereits bemerkt nicht surjektiv, da
zum Beispiel die Gleichung x2 + 1 = 0 keine Lösung x ∈ R hat.
2. Die Funktion f : R → R; x 7→ x3 + 1 ist surjektiv.
3. Die Funktion f : R≥0 → R≥0 ; x 7→ x2 ist surjektiv. Als Wertebereich nehmen wir
hier ja nur die Menge R≥0 der nicht negativen reellen Zahlen, und diese kommen
alle als Quadrate vor.
4. Die Funktion f : N → N; n 7→ n2 ist nicht surjektiv. Es ist zwar jede natürliche
Zahl ein Quadrat einer reellen Zahl, aber eben nicht unbedingt ein Quadrat einer
natürlichen Zahl. Zum Beispiel ist f (n) = n2 6= 2 für jede natürliche Zahl n ∈ N.
Falls Sie letzteres nicht aus der Schule in √
Erinnerung haben, so müssen Sie sich
noch bis §15 gedulden, dort werden wir 2 ∈
/ Q als Beispiel eines indirekten
Beweises vorführen.
5. Die Funktion
(
f : N → Z; n 7→
n
,
2
− n+1
,
2
17
n ist gerade,
n ist ungerade
§5
Vorkurs Mathematik 2009
ist surjektiv. Um dies zu sehen schaut man sich am besten einige Werte von f
an:
f (0) = 0, f (1) = −1, f (2) = 1, f (3) = −2, f (4) = 2, f (5) = −3, f (6) = 3, . . .
d.h. läuft n durch die geraden natürlichen Zahlen, so durchlaufen die Werte f (n)
die natürlichen Zahlen und durchläuft n die ungeraden natürlichen Zahlen so
durchläuft f (n) die negativen ganzen Zahlen. Insgesamt kommt dann jede ganze
Zahl als ein Funktionswert von f vor.
Wie diese Beispiele zeigen kommt es für die Surjektivität nicht nur auf die Abbildungsvorschrift sondern auch auf Definitions- und Wertebereich der Funktion an. Man kann
natürlich jede Funktion surjektiv machen“ indem die Wertemenge N abgeändert wird.
”
Ist f : M → N eine beliebige Funktion, so heißt
f (M ) := {f (x)|x ∈ M } ⊆ N
die Bildmenge von f , und dann ist die Funktion
fe : M → f (M ); x 7→ f (x)
surjektiv. Streng genommen ist für eine nicht surjektive Funktion f stets fe 6= f . Meistens unterscheidet man aber f und fe nicht voneinander und behandelt sie als dieselbe
Funktion, die Behandlung der Surjektivität ist eine der wenigen Situationen wo man
dies doch tut. Im obigen Beispiel
f : R → R; x 7→ x2 + 1
ist die Bildmenge gleich
f (R) = {x2 + 1|x ∈ R} = {x ∈ R|x ≥ 1} =: R≥1
und als Funktion von R nach R≥1 ist f dann surjektiv. Damit eine Funktion f : M → N
eine Umkehrfunktion haben kann muss sie also zumindest surjektiv sein. Dies allein
reicht allerdings nicht aus, wir hatten ja noch das andere Problem das verschiedene
Argumente denselben Funktionswert haben können. Auch hier gibt es eine zugehörige
Definition:
Definition 3: Eine Funktion f : M → N heißt injektiv wenn für alle x1 , x2 ∈ M mit
x1 6= x2 auch f (x1 ) 6= f (x2 ) ist, wenn die Funktion also verschiedene Argumente stets
auf verschiedene Werte abbildet.
Es gibt einige häufig verwendete Umformulierungen
f : M → N ist injektiv ⇐⇒ Sind x, y ∈ M , so folgt aus f (x) = f (y) auch x = y
⇐⇒ Für jede rechte Seite y ∈ N hat die Gleichung
f (x) = y höchstens eine Lösung x ∈ M .
Als ein Beispiel wollen wir einmal die obigen Beispielfunktionen auf Injektivität untersuchen.
18
§5
Vorkurs Mathematik 2009
1. Die Funktion f : R → R; x 7→ x2 + 1 ist auch nicht injektiv, es ist ja zum Beispiel
f (−1) = 2 = f (1).
2. Die Funktion f : R → R; x 7→ x3 + 1 ist injektiv.
3. Die Funktion f : R≥0 → R≥0 ; x 7→ x2 ist injektiv, denn die Quadrate zweier
verschiedener positiver Zahlen sind wieder verschieden. Dass für jedes x > 0 auch
(−x)2 = x2 ist, spielt hier keine Rolle denn −x ist ja negativ, also −x ∈
/ R≥0 . Es
kommt für die Injektivität also wesentlich auf den Definitionsbereich der Funktion
an.
4. Die Funktion f : N → N; n 7→ n2 ist injektiv.
5. Die Funktion
(
f : N → Z; n 7→
n
,
2
− n+1
,
2
n ist gerade,
n ist ungerade
ist injektiv.
Aufgaben
Aufgabe 22: Ist die Funktion
f : R>0 → R; x 7→
x
1+x
injektiv beziehungsweise surjektiv? Was ist das Bild von f ?
Aufgabe 23: Ist die Funktion
f : M := {x ∈ R|0 < x < 1} → R; x 7→
x
1 + x2
injektiv beziehungsweise surjektiv? Was ist das Bild von f ?
Mengen wie der Definitionsbereich der Funktion f aus Aufgabe 23 heißen Intervalle.
Da derartige Mengen recht oft vorkommen wird für sie eine eigene Schreibweise eingeführt. Es gibt ziemlich viele verschiedene Sorten von Intervallen, je nachdem ob die
Randpunkte dazu gehören sollen oder nicht:
[a, b]
]a, b[
]a, b]
[a, b[
:=
:=
:=
:=
{x ∈ R|a ≤ x ≤ b},
{x ∈ R|a < x < b} (oft auch als (a, b) geschrieben),
{x ∈ R|a < x ≤ b} (oft auch als (a, b] geschrieben),
{x ∈ R|a ≤ x < b} (oft auch als [a, b) geschrieben)
mit vorgegebenen Grenzen a, b ∈ R. Ob a ≤ b beziehungsweise a < b verlangt wird
ist dabei eine Geschmacksfrage. Gelegentlich läßt man für die offenen Enden auch −∞
und ∞ als (symbolische) Werte zu.
19
§5
Vorkurs Mathematik 2009
Injektiv und Surjektiv sind die beiden Bedingungen die wir für die Existenz einer Umkehrfunktion brauchen. Treffen beide gleichzeitig zu, so spricht man von einer
bijektiven Funktion.
Definition 4: Eine Funktion heißt bijektiv wenn sie surjektiv und injektiv ist.
Eine Funktion f : M → N ist also genau dann bijektiv wenn es für jedes y ∈ N genau
ein x ∈ M mit f (x) = y gibt, wenn sich also die Gleichung f (x) = y bei beliebiger
rechter Seite y ∈ N eindeutig nach x ∈ M auflösen läßt. Schreiben wir die Lösung der
Gleichung als x = g(y), so wird g die Umkehrfunktion von f . Eines der wohl einfachsten
Beispiele ist die Funktion
√
f : R≥0 → R≥0 ; x 7→ x
mit der Umkehrfunktion
g : R≥0 → R≥0 ; x 7→ x2 .
Auch bei Umkehrfunktionen kommt es entscheidend auf Definitions- und Wertebereich
der Funktion f an, also auf die Mengen M und N . Beispielsweise hat die Funktion
√
f : R≥0 → R; x 7→ x
keine Umkehrfunktion, sie ist auch nicht bijektiv. Die Funktion g : R → R≥0 ; x 7→ x2
ist nämlich keine Umkehrfunktion von f , denn dies würde
√
f (x) = y ⇐⇒ x = g(y) also y = x ⇐⇒ x = y 2
für alle
√ x ∈ R≥0 , 2y ∈ R bedeuten, und diese Äquivalenz besteht nicht. Es gilt zwar
y = x =⇒ x = y , aber dies reicht eben nicht aus. In der Schule wird dieser Punkt oft
etwas anders gehandhabt so, dass Sie sich an dieser Stelle eventuell etwas umgewöhnen
müssen.
Schauen wir uns√noch einmal die Funktion f :
R≥0 → R≥0 ; x 7→ x und ihre Umkehrfunktion
g : R≥0 → R≥0 ; x 7→ x2 an. Wie nebenstehend zu 1.4
sehen, gehen die Graphen dieser beiden Funktionen durch Spiegelung an der Diagonalen auseinan- 1.2
der hervor, und dies ist tatsächlich immer der Fall.
1
Das hat nicht einmal etwas mit reellen Zahlen zu
tun, sondern ist auch für ganz allgemeine Funktio- 0.8
nen so (man muss nur das Wort Spiegelung“ etwas
”
großzügig auslegen). Angenommen wir haben eine 0.6
bijektive Funktion f : M → N . Diese hat dann ei0.4
ne Umkehrfunktion g : N → M . Was ist nun der
Graph der Umkehrfunktion? Hierzu rechnen wir
0.2
{(y, g(y))|y ∈ N } = {(f (x), g(f (x)))|x ∈ M }
= {(f (x), x)|x ∈ M },
20
0
0.2
0.4
0.6
x
0.8
1
1.2
§6
Vorkurs Mathematik 2009
und der Graph von g entsteht damit aus dem von f durch Vertauschen der beiden
Komponenten x und y, und dies ist gerade die Spiegelung an der Diagonalen.
Aufgaben
Aufgabe 24: Berechne die Umkehrfunktion der Funktion f : R>0 → R>0 ; x 7→
Aufgabe 25: Sei
f : R>0 →]0, 1[; x 7→
1
.
x
x
.
1+x
Berechne die Umkehrfunktion von f .
Aufgabe 26: Sei
1
x
f :]0, 1[→ 0,
; x 7→
.
2
1 + x2
Berechne die Umkehrfunktion von f .
§6
Polynome und rationale Funktionen
Wir beginnen jetzt mit der Besprechung der Grundfunktionen. Die einfachsten
Funktionen sind die Polynome. Eine Polynom ist dabei eine Funktion f : R → R
der Gestalt
f (x) = an xn + an−1 xn−1 + · · · + a1 x + a0
mit n ∈ N, a0 , . . . , an ∈ R, also zum Beispiel
f (x) = x3 − x − 1, f (x) = x14 − 3x2 + 4, . . .
Im ersten Beispiel f (x) = x3 − x − 1 ist n = 3, da x3 die höchste auftretende Potenz ist.
Lesen wir x3 als 1·x3 , so ist a3 = 1. Ein quadratischer Term scheint nicht vorzukommen,
aber diesen können wir uns als 0 · x2 dazudenken, d.h. es ist a2 = 0. Der lineare Anteil
−x scheint zunächst nicht zu passen, aber wir können ihn uns als (−1) · x denken, also
ist a1 = −1. Ebenso ist dann a0 = −1. Im zweiten Beispiel f (x) = x14 − 3x2 + 4 haben
wir entsprechend n = 14, a14 = 1, a13 = a12 = . . . = a3 = 0, a2 = −3, a1 = 0 und
a0 = 4.
Die Zahlen a0 , a1 , . . . heißen die Koeffizienten des Polynoms f . Ist f 6= 0, so können
wir auch noch an 6= 0 annehmen und die natürliche Zahl n heißt dann der Grad des
Polynoms f . Ist sogar an = 1 so nennt man f ein normiertes Polynom. Beispielsweise
haben die beiden obigen Polynome die Grade 3 beziehungsweise 14. Das Nullpolynom
ist ein Sonderfall, und erhält per Konvention den Grad −∞. Einige typische Polynome
sind:
21
§6
Vorkurs Mathematik 2009
4
3
y
2
2
1
2.5
1.5
2
–3
1.5
1
–2
0
–1
1
2
3
x
1
–1
0.5
0.5
–2
0
–1
1
2
–3
–2
0
–1
1
2
–0.5
x
Grad 0
–2
3
x
Grad 1
Grad 2
4
4
3
y
3
3
y
2
2
2
1
1
1
0
0
y
–3
–2
–1
1
2
3
–3
–2
–1
1
x
–3
–2
–1
0
1
2
3
2
3
x
–1
–1
–2
–2
x
–1
–2
–3
–3
–3
–4
–4
Grad 3
Grad 4
Grad 5
Den Graphen entnehmen wir das sich Polynome von geraden und von ungeraden Grad
qualitativ voneinander unterscheiden. Wir haben die folgenden Grundtatsachen über
Polynome von Grad n ∈ N, n ≥ 1:
1. Ist der Grad n gerade, so ist das Polynom f weder surjektiv noch injektiv. Ist
der höchste Koeffizient an > 0 positiv, so ist
lim f (x) = lim f (x) = ∞,
x→−∞
x→∞
und andernfalls gilt
lim f (x) = lim f (x) = −∞.
x→−∞
x→∞
2. Ist f (x) = x2 + px + q normiert und von Grad 2, so liegt der Scheitelpunkt von
f bei x = −p/2 mit dem Funktionswert
p p2 p2
p2
=
−
+q =q−
f −
2
4
2
4
und dies ist der kleinste von f angenommene Funktionswert. Außerdem ist der
Graph von f symmetrisch zur vertikalen Geraden x = −p/2. Hat f zwei Nullstellen, so liegt −p/2 genau in der Mitte zwischen diesen beiden Nullstellen.
3. Ist der Grad n ungerade, so ist f surjektiv und es gilt
lim f (x) = −∞, lim f (x) = ∞
x→−∞
x→∞
22
§7
Vorkurs Mathematik 2009
im Fall an > 0 und
lim f (x) = ∞, lim f (x) = −∞
x→−∞
x→∞
im Fall an < 0. Normalerweise ist f nicht injektiv, es gibt aber Ausnahmen wie
beispielsweise f (x) = x3 .
4. Für jedes y ∈ R gibt es höchstens n Lösungen der Gleichung f (x) = y.
Letzteres gilt da wir f (x) = y zu f (x) − y = 0 umschreiben können und f (x) − y ist
wieder ein Polynom von Grad n.
Die nächst kompliziertere Klasse von Grundfunktionen sind die sogenannten rationalen Funktionen, dies sind Quotienten von Polynomen. Da das Nennerpolynom dabei
Nullstellen haben kann sind rationale Funktionen nicht unbedingt auf ganz R definiert.
Wir nennen eine auf einer Teilmenge M ⊆ R definierte Funktion f : M → R rational,
wenn es Polynome p, q mit q(x) 6= 0 für alle x ∈ M gibt so, dass
f (x) =
p(x)
q(x)
für alle x ∈ M gilt. Normalerweise ist M entweder ein Intervall auf dem der Nenner keine Nullstellen hat, oder die Menge M := {x ∈ R|q(x) 6= 0}. Die rationalen Funktionen
bieten deutlich mehr Abwechslung als die Polynome.
0.4
y
4
4
3
3
y
2
2
0.2
1
–4
–2
0
2
4
–3
–2
–1
0
1
1
2
3
–3
–2
0
–1
1
x
x
2
3
x
–1
–1
–2
–2
–3
–3
–0.2
–0.4
–4
f (x) =
x
1+x2
f (x) =
x2 +x+1
x3 +x2 −4x−4
–4
f (x) =
1
4
·
x3 +x+1
x3 +x2 −4x−4
Aufgaben
Aufgabe 27: Seien p ein Polynom von Grad n ≥ 1 und q ein Polynom von Grad m ≥ 1.
Es gelte n 6= m und p und q sollen keine gemeinsame Nullstelle haben. Weiter seien
M := {x ∈ R|q(x) 6= 0} und f : M → R; x 7→
p(x)
.
q(x)
Zeigen Sie, dass f surjektiv ist wenn die größere der beiden Zahlen n und m ungerade
ist und das Polynom p eine Nullstelle hat.
23
§7
Vorkurs Mathematik 2009
§7
Exponential und Logarithmus Funktionen
Für jede Basis a > 0 haben wir eine Potenzfunktion
f : R → R>0 ; x 7→ ax .
Die Gestalt dieser Funktion hängt davon ab ob die Basis a kleiner Eins, größer Eins
oder gleich Eins ist.
4
4
3.5
3.5
3
3
2.5
2.5
2
2
1.5
1.5
1
1
0.5
–2
–1
0.5
0
1
2
–2
–1
0
1
2
x
x
f (x) = 2x
f (x) =
1 x
2
Für a = 1 ist die zugehörige Potenzfunktion dagegen konstant gleich 1 und damit nicht
besonders interessant. Für jedes a 6= 1 ist f : R → R>0 bijektiv, und hat damit eine
Umkehrfunktion
loga : R>0 → R
genannt der Logarithmus zur Basis a. Für jedes y > 0 ist x = loga y damit die eindeutige reelle Zahl x mit ax = y. Es ist eine übliche Konvention bei Anwendung des
Logarithmus die Klammern wegzulassen, also wie oben loga y statt loga (y) zu schreiben. Dies tut man aber nur bei einfachen Argumenten“, bei loga (x2 + 1) sollte man
”
die Klammern besser stehen lassen. Einige Beispiele von Logarithmen sind
log2 16 =
4, da 24 = 16,
1
log3 19 = −2, da 3−2 = 2 =
3
log5 125 =
3, da 53 = 125,
√ 3
3
3/2
log4 8 =
,
da
4
=
4
2
1
,
9
= 23 = 8.
Definitionsgemäß gelten
aloga x = x (x ∈ R) und loga (ax ) = x (x ∈ R>0 ).
24
§7
Vorkurs Mathematik 2009
Wegen a0 = 1 ist auch loga 1 = 0.
Logarithmengesetze
1. Für alle x, y > 0 ist loga (xy) = loga x + loga y.
2. Für alle x, y > 0 ist loga (x/y) = loga x − loga y.
3. Für alle x > 0, n ∈ N ist loga (xn ) = n · loga x.
4. Für alle x > 0, n ∈ Z ist loga (xn ) = n · loga x.
5. Für alle x > 0, n ∈ N mit n ≥ 1 ist loga
√
n
x=
1
loga x.
n
6. Für alle x, y ∈ R mit x > 0 ist loga (xy ) = y · loga x.
Seien x, y > 0 gegeben. Setze c := loga (xy), c1 := loga x, c2 := loga y. Dann gilt ac = xy,
ac1 = x, ac2 = y, also ac = xy = ac1 · ac2 = ac1 +c2 woraus c = c1 + c2 folgt. Damit
haben wir die erste Formel eingesehen. Die zweite Formel ist dann eine Konsequenz
der ersten, es gilt nämlich
x
x
(1)
· y = loga
+ loga y,
loga x = loga
y
y
und somit auch loga (x/y) = loga x − loga y. Auch die dritte Formel folgt aus der ersten,
sind nämlich x > 0 und n ∈ N, so haben wir
loga (xn ) = loga (x
. . · x}) = loga x + · · · + loga x = n · loga x.
| · .{z
{z
}
|
n mal
n mal
Als einen Spezialfall der Formel (2) haben wir
1
loga
= loga 1 − loga x = − loga x,
x
und damit können wir (4) aus (3) herleiten. Ist nämlich n ∈ Z mit n < 0 eine negative
ganze Zahl, so rechnen wir
1
(3)
n
loga (x ) = loga
= − loga (x−n ) = −(−n) loga x = n · loga x.
−n
x
Wir kommen
zur fünften Formel. Seien√also x > 0 und n ∈ N mit n ≥ 1 gegeben. Sei
√
n
c := loga x, c1 := loga x. Also ac = n x = x1/n , ac1 = x = (x1/n )n = (ac )n = acn ,
woraus sich c = n1 · c1 ergibt.
Die sechste Formel wollen wir hier nicht vollständig beweisen, da wir uns in §3 um
die exakte Definition von Potenzen mit reellen Exponenten herumgedrückt haben. Wir
25
§7
Vorkurs Mathematik 2009
beweisen die Formel nur wenn y = m/n mit n, m ∈ Z, n ≥ 1 eine rationale Zahl ist.
Nach (1) und (4)
√
√
m
loga (xy ) = loga ( n x)m = m · loga n x =
· loga x = y · loga x.
n
Gesetz (1) wurde früher (mit Hilfe von Logarithmentafeln oder mittels Rechenschieber)
zum Multiplizieren von Zahlen x, y > 0 benutzt (vor Einführung der Taschenrechner)
und wird auch heute intern in Computern verwandt.
Unter all den Exponentialfunktionen gibt es eine besonders ausgezeichnete, nämlich
diejenige bei der als Basis die Eulersche Zahl e ≈ 2, 71828 verwendet wird. Was genau e
ist wird in der Schule meist nicht exakt definiert, und dies wollen wir hier auch so halten.
Es gibt mindestens vier verschiedene, übliche Möglichkeiten wie man e einführen kann,
von denen Sie eine in der Analysis Vorlesung kennenlernen werden. Bei dreien dieser
vier Möglichkeiten wird tatsächlich gleich die ganze Funktion ex definiert, so dass man
sich die Einführung von Potenzen mit reellen Exponenten sparen kann, und diese dann
nachträglich über die e-Funktion einführt.
Der Logarithmus zur Basis e wird dann als der natürliche Logarithmus bezeichnet.
Tatsächlich ist dieser der einzige Logarithmus der in der reinen Mathematik betrachtet
wird, und daher läßt man den Zusatz natürlicher“ einfach weg und spricht nur von
”
dem Logarithmus. Geschrieben wird der Logarithmus dann als
log := loge .
Dies steht im Widerspruch zur üblichen Notation in den meisten Anwendungen und
auch zu der Schreibweise die Sie wahrscheinlich in der Schule gelernt haben. Dort wird
meist ln := loge geschrieben und log bezeichnet dann den Logarithmus zur Basis 10.
Auch die Bezeichnung der Tasten auf dem Taschenrechner folgt dieser Konvention.
Trotzdem schreiben wir log für den natürlichen
3
Logarithmus, daran muss man sich gewöhnen. Der
Logarithmus zur Basis 10 spielt in der im Studium
vermittelten Mathematik keine nennenswerte Rol2
le, und er erhält auch keine eigene Schreibweise. y
Auch in der Hochschulmathematik schreibt ein Teil
1
der Menschheit ln für den natürlichen Logarithmus,
aber auch dann bedeutet log nicht den Logarithmus zur Basis 10. Wie in §5 festgehalten entsteht
0
5
6
1
2
3
4
der Graph des Logarithmus durch Spiegeln des Grax
phen von ex an der Diagonalen, und er hat damit
–1
die nebenstehende Form
Eine der Stellen bei der die ausgezeichnete Rolle
des natürlichen Logarithmus zutage tritt ist bei der –2
Berechnung der Ableitungen der Potenzfunktionen.
Für jedes a > 0 ist die Ableitung der Potenzfunk- –3
tion
f : R → R>0 ; x 7→ ax
26
§7
Vorkurs Mathematik 2009
gegeben als
f 0 (x) = log(a) · ax
für alle x ∈ R. Hierauf werden wir in §11 noch einmal kurz eingehen. Mit dem Grenzverhalten der Exponentialfunktion lim ex = 0 und lim ex = ∞ ist
x→−∞
x→∞
lim log x = −∞ und lim log x = ∞.
x→0
x→∞
Da die Exponentialfunktion ex aber sehr schnell wächst, wird der Logarithmus nur sehr
langsam groß. Dies geschieht so langsam, dass zum Beispiel
x+1
1
lim (log(x + 1) − log(x)) = lim log
= lim log 1 +
=0
x→∞
x→∞
x→∞
x
x
ist. Aus dem (natürlichen) Logarithmus lassen sich die anderen Logarithmen berechnen,
es gilt
log x
loga x =
log a
für alle a, x > 0 mit a 6= 1. Dies folgt aus den Potenzgesetzen, für die rechte Seite
c := log(x)/ log(a) gilt ja
c
ac = elog a = e(log a)·c = elog x = x,
und dies bedeutet loga x = c wie behauptet. Wir rechnen jetzt einige Beispiele
1. Es ist
√
log
2. Es ist
1
1
2
6
2 6
log(e3(log e +log e ) ) = log e3 log(e ·e )
2
2
3 3
1
3
3
8
8
= log elog(e ) = log elog e = log e8 = 8 = 12.
2
2
2
2
√
3/2
1
= (e 2 )3 log 5 = elog5
= 53/2 = 125.
e3(log e2 +log e6 ) =
√ 3 log 5
e
3. Ein Organismus habe zur Zeit t die Masse m(t) und unterliege einem idealen
Wachstumsgesetz m(t) = Ceαt mit unbekannten Konstanten α, C > 0. Zum
Zeitpunkt t = 2 sei die Masse gleich 1 und zum Zeitpunkt t = 5 sei sie bei
5 angekommen. Wir wollen C und α berechnen, und haben hierzu die beiden
Gleichungen
5
Ce5α
Ce2α = 1
=⇒
5
=
=
= e5α−2α = e3α
Ce5α = 5
1
Ce2α
also 3α = log 5, beziehungsweise α =
chung
1
3
log 5. Gehen wir damit in die erste Glei-
√
2
1
3
1 = Ce2α = Ce 3 log 5 = C(elog 5 )2/3 = C 25 =⇒ C = √
.
3
25
Numerisch ist α ≈ 0, 5364 und C ≈ 0, 3419.
27
§8
Vorkurs Mathematik 2009
Aufgaben
Aufgabe 28: Seien t1 , t2 ∈ R mit t1 < t2 und m1 , m2 ∈ R gegeben. Wann gibt es
dann positive Zahlen C, α > 0 mit Ceαti = mi für i = 1, 2, und bestimme diese
gegebenenfalls.
Aufgabe 29: Zeigen Sie, das für alle Basen a, b > 0, a, b 6= 1 und für alle x > 0 stets
loga x = (logb x) · (loga b)
gilt (Allgemeine Übergangsformel für Logarithmen).
1
2
Aufgabe 30: Berechne den Grenzwert lim
log(x + 1) − log(x) .
x→∞ 2
Aufgabe 31: Bestimme Maximum und Minimum der Funktion f : R → R; x 7→ 2x − x
(soweit vorhanden).
§8
Trigonometrische Funktionen
Wir werden hier die trigonometrischen Funktionen so wie aus der Schule gewohnt
behandeln, also anhand der Definition über Seitenverhältnisse in rechtwinkligen Dreiecken. Im Laufe der Analysis Vorlesung wird dann ein anderer Zugang gewählt, der
ganz ohne geometrische Begriffe auskommt.
Wir benötigen eine kleine Vorbemerkung zur
Schreibweise von Winkeln. Für die analytische Behandlung von Sinus, Cosinus und Tangens ist es
nicht günstig die Argumente als Winkel im üblichen
Gradmaß zu betrachten, sondern es ist besser das
sogenannte Bogenmaß zu verwenden. Haben wir
einen Winkel φ wie im nebenstehenden Bild, so
messen wir den Winkel im Bogenmaß durch die
Länge des vom Winkel auf dem Kreis mit Radius
r = 1 ausgeschnittenen Bogens, dieser ist im Bild
etwas dicker eingezeichnet. Die Länge, also der Umfang, des vollständigen Kreises ist 2π · r = 2π, d.h.
der Winkel φ = 360◦ im Gradmaß entspricht dem
Winkel φ = 2π im Bogenmaß. Ist der Winkel im
Gradmaß gleich 180◦ , so ist unser Bogen gerade der halbe Kreis mit Länge (2π)/2 = π,
also ist φ = 180◦ im Gradmaß gleich φ = π im Bogenmaß. Entsprechend ist 90◦ im
Gradmaß dasselbe wie π/2 im Bogenmaß.
28
§8
Vorkurs Mathematik 2009
Anschaulich ist klar das bei Vergrößerung des Winkels φ der ausgeschnittene Bogen
linear mit φ wächst, d.h. Bogen- und Gradmaß sind zueinander proportional. Da 360◦
dabei 2π entspricht ist die Proportionalitätskonstante festgelegt. Wir haben
φ=
2π ◦
π ◦
φ =
φ
360
180
wobei φ◦ das Gradmaß und φ das Bogenmaß ist. Der Übergang von Gradmaß zu
Bogenmaß ist also nur eine Umskalierung. Beispielsweise sind
360◦ = 2π, 180◦ = π, 90◦ =
π
π
π
, 45◦ = , 60◦ =
2
4
3
und so weiter. Das Bogenmaß wird als eine reelle Zahl interpretiert, man hat also keine
Maßeinheiten. Jetzt betrachten wir ein rechtwinkliges Dreieck in dem der Winkel φ als
einer der nicht-rechten Winkel auftaucht.
Ankathete
Gegenkathete
φ
Hypotenuse
Die dem rechten Winkel gegenüberliegende Seite wird als die Hypothenuse des Dreiecks
bezeichnet und die beiden anderen Seiten heißen die Katheten des Dreiecks. Die dem
Winkel φ gegenüberliegende Seite wird dabei als die Gegenkathete und die am Winkel
φ anliegende Kathete wird als die Ankathete bezeichnet. Mit diesen Bezeichnungen
definiert man
Gegenkathete
Sinus
sin φ :=
,
Hypothenuse
Cosinus
cos φ :=
Ankathete
,
Hypothenuse
Tangens
tan φ :=
Gegenkathete
,
Ankathete
Cotangens
cot φ :=
Ankathete
1
=
.
Gegenkathete
tan φ
Die Winkelsumme in einem Dreieck ist 180◦ = π, der rechte Winkel verbraucht π/2
davon, und somit werden die vier trigonometrischen Funktionen für alle Winkel 0 <
φ < π/2 definiert.
29
§8
Vorkurs Mathematik 2009
Wie beim Logarithmus läßt man bei den vier trigonometrischen Funktionen oft
die Klammern um das Funktionsargument weg, schreibt also zum Beispiel sin φ statt
sin(φ). Weiter gibt es auch eine spezielle Schreibweise für Potenzen von Werten der
trigonometrischen Funktionen, man schreibt den Exponenten an das Funktionssymbol
vor dem Funktionsargument. Beispielsweise steht sin2 φ für
sin2 φ = (sin φ)2 = sin(φ)2 .
Dies wird manchmal auch beim Logarithmus gemacht kommt dort aber seltener vor.
Das Weglassen der Klammern wird bei den trigonometrischen Funktionen manchmal
recht weit getrieben, finden Sie zum Beispiel den Term sin 2φ in einem Buch, so wird
dies in den allermeisten Fällen als sin(2φ) gemeint sein.
Wir haben die vier trigonometrischen Funktionen als
Seitenverhältnisse in einem rechtwinkligen Dreieck definiert. Dabei ist der Sinus das Verhältniss von Gegenkab
a
thete zur Hypothenuse, Cosinus das Verhältniss von Ankathete zu Hypothenuse und der Tangens das Verhältnis
φ
von Gegenkathete zu Ankathete. Bezeichnen wir die Seic
ten des Dreiecks wie im nebenstehenden Bild so ist damit
sin φ = a/c, cos φ = b/c und tan φ = a/b. Den Tangens
kann man daher durch Sinus und Cosinus ausdrücken
a
a c
sin φ
cos φ
tan φ = = · =
und ebenso cot φ =
.
b
c b
cos φ
sin φ
Entscheidend für alles weitere ist der Satz des Pythagoras. In unserem rechtwinkligen
Dreieck besagt der Satz des Pythagoras bekanntlich a2 + b2 = c2 , und damit ist auch
2 2
b
a2 + b2
a
b 2 a2
2
2
= 1.
sin φ + cos φ =
+
= 2+ 2 =
c
c
c
c
c2
Eine weitere Identität ist klar. Da die Winkelsumme im Dreieck gleich π ist, ist der andere nicht rechte Winkel in unserem Dreieck gleich (π/2) − φ. Bezüglich dieses anderen
Winkels vertauschen sind Ankathete und Gegenkathete, und wir haben
π
π
sin
− φ = cos φ und cos
− φ = sin φ.
2
2
Aufgaben
Aufgabe 32: Zeigen Sie, dass auch
π
π
tan
− φ = cot φ und cot
− φ = tan φ
2
2
gelten.
1
Aufgabe 33: Zeigen Sie 1 + tan2 φ =
.
cos2 φ
30
§8
Vorkurs Mathematik 2009
Wir steuern jetzt die Additionstheoreme für Sinus und Cosinus an, und werden
hierzu über den Sinus- und den Cosinussatz
vorgehen. Beachtlicherweise folgen alle diese Dinge durch die Betrachtung des nebenstehenden Bildes. Wir betrachten ein Dreieck mit den Seitenlängen a, b, c und den
Winkeln α, β, γ angeordnet wie rechts zu
sehen. Dann bilden wir die Höhe auf der
Seite c, und diese zerlegt c in zwei kleinere
Stücke p und q. Wenden wir den Satz des
Pythagoras auf die links und rechts entstehenden rechtwinkligen Dreiecke an, so ergeben sich
c = p + q, b2 = q 2 + h2c , a2 = p2 + h2c .
Sinussatz: In einem allgemeinem Dreieck 4(ABC) mit den Seiten a, b, c, den Winkeln
α, β, γ gilt der Sinussatz
sin α
sin β
sin γ
=
=
.
a
b
c
Mit den Bezeichnungen unserer Figur, speziell der Höhe hc auf die Seite c, gilt
sin α =
hc
hc
, sin β =
b
a
also
sin α
sin β
=
.
a
b
Die verbleibende Identität folgt analog indem man die Höhe auf einer der anderen
Seiten betrachtet. Damit haben wir den Sinussatz eingesehen und kommen nun zum
sogenannten Cosinussatz.
hc = b sin α = a sin β =⇒
Kosinussatz: Es gilt a2 = b2 + c2 − 2bc cos α.
Wir wissen bereits h2c = b2 − q 2 = a2 − p2 . Mit p = c − q und cos α = q/b erhalten
wir
a2 = b2 + p2 − q 2 = b2 + (c − q)2 − q 2 = b2 + c2 − 2cq = b2 + c2 − 2bc cos α.
Damit sind wir in der Lage die Additionstheoreme nachzuweisen. Auch diese folgen
durch Betrachtung unseres obigen Bildes, nur schauen wir uns diesmal an wie der
Winkel γ in die beiden Teile γ1 und γ2 zerlegt wird.
Additionstheoreme
1. sin(x ± y) = sin x cos y ± cos x sin y.
2. cos(x ± y) = cos x cos y ∓ sin x sin y.
31
§8
Vorkurs Mathematik 2009
3. sin(2x) = 2 sin x cos x, cos(2x) = cos2 x − sin2 x.
4. tan(x ± y) =
tan x±tan y
.
1∓tan x tan y
Wir weisen die Additionstheoreme in ihrer Form mit + nach, wie wir noch sehen werden
kann man den anderen Fall darauf zurückführen. Wir leiten die Additionsformel des
Cosinus im Fall 0 < x, y, x + y < π/2 her. Setze γ1 := x, γ2 := y und dann ist
γ = x + y. Nach dem Kosinussatz, angewandt mit α und γ und entsprechend auch a
und c vertauscht, gilt
2ab cos γ = a2 + b2 − c2 = p2 + q 2 + 2h2c − (p + q)2 = 2h2c − 2pq = 2(h2c − pq).
Dividieren wir beide Seiten durch 2ab, so wird dies zu
cos γ =
h2c − pq
hc hc p q
=
·
− · = cos γ1 cos γ2 − sin γ1 sin γ2 ,
ab
a b
a b
und wir haben unsere Formel bewiesen. Für das Additionstheorem des Sinus rechnen
wir
hc (p + q)
chc
p hc hc q
sin γ1 cos γ2 + cos γ1 sin γ2 = ·
+
· =
=
a b
a b
ab
ab
Andererseits ist nach dem Sinussatz
c · hbc
c sin α
chc
sin γ =
=
=
,
a
a
ab
und auch das Additionstheorem des Sinus ist eingesehen. Für x = y ergibt sich (3). Es
verbleibt der Beweis von (4):
tan(x + y) =
sin(x + y)
sin x cos y + cos x sin y
=
cos(x + y)
cos x cos y − sin x sin y
Teilt man Nenner und Zähler durch cos x cos y, so erhält man
tan(x + y) =
tan x + tan y
.
1 − tan x tan y
Bisher haben wir die trigonometrischen Funktionen streng genommen nur für Argumente im Intervall ]0, π/2[ definiert, da andere Winkel ja nicht in ein rechtwinkliges
Dreieck hineinpassen. Wir kommen nun zur Erweiterung auf beliebige reelle Argumente. Die Ebene kann wie schon in §4 mit dem R2 = R × R, dem kartesischem Produkt
von R mit sich selbst, identifiziert werden. Ein Kreis vom Radius r > 0 mit Mittelpunkt
0 = (0, 0) ∈ R2 wird nach dem Satz des Pythagoras durch die Menge
K = {(x, y) ∈ R2 |x2 + y 2 = r2 }
gegeben. Die (mathematisch) positive Umlaufrichtung um den Kreis ist die Bewegung
im Gegenuhrzeigersinn.
32
§8
Vorkurs Mathematik 2009
Anschaulich ist der Kreis K etwas eindimensionales, zur Beschreibung seiner Punkte würde man
daher gerne einen einzelnen reellen Parameter verwenden, und nicht zwei wie in der obigen Beschreibung von K. Wir schauen uns zunächst einmal nur
den Teil des Kreises im ersten Quadranten an, und
nehmen r = 1 an. Es ist naheliegend die Punkte des
Kreises durch den Winkel φ zu parametrisieren, und
wir bezeichnen den Punkt von K dessen Verbindung mit dem Nullpunkt zur x-Achse den Winkel
φ hat mit e(φ). Wie im nebenstehenden Bild entsteht ein rechtwinkliges Dreieck mit Hypothenuse
1, Gegenkathete y und Ankathete x. Damit folgen
x=
e(
)
1
y
x
x
y
= cos φ, y = = sin φ
1
1
also auch e(φ) = (cos φ, sin φ). Mit wachsenden Winkel φ durchläuft der Punkt e(φ)
den Kreis in positiver Richtung, was auch die Namensgebung positiv“ erklärt. Es ist
”
naheliegend die Sinus- und Cosinusfunktionen so fortzusetzen das der Zusammenhang
e(φ) = (cos φ, sin φ) für überhaupt alle Winkel φ gilt. Lassen wir auch Winkel φ größer
als 2π zu, interpretiert als mehrfacher Umlauf, sowie negative Winkel, interpretiert als
Umlauf in Gegenrichtung, so werden Sinus und Cosinus dadurch zu Funktionen
sin : R → R, cos : R → R.
Die Graphen von sin x und cos x haben dann die folgende Form:
1
–6
–4
–2
–1
1
2
4
6
8
10
12
–6
x
–4
–2
–1
sin x
2
4
6
8
x
cos x
An diesen Graphen sehen wir das die Graphen von
Sinus und Cosinus sich nur durch Verschiebung um π/2
unterscheiden. Dies können wir auch geometrische begründen indem wir uns einen Punkt im zweiten Quadranten anschauen. Schreiben wir φ = ψ+ π2 mit 0 < ψ < π/2,
so sehen wir
−x
y
1
(cos φ, sin φ) = e(φ) = (− sin ψ, cos ψ).
Benennen wir φ und ψ um, so gibt dies die Formeln
π
π
sin
+ φ = cos φ und cos
+ φ = − sin φ,
2
2
33
10
12
§8
Vorkurs Mathematik 2009
die tatsächlich für alle φ ∈ R gültig sind. Weiter ergeben sich die Periodizitätsformeln
sin(x + π) = − sin x, cos(x + π) = − cos x, sin(x + 2π) = sin x, cos(x + 2π) = cos x.
Der Sinus ist eine ungerade Funktion und der Cosinus ist eine gerade Funktion, d.h.
sin(−x) = − sin(x) und cos(−x) = cos(x) für alle x ∈ R.
Die Additionstheoreme für Sinus und Cosinus gelten für alle x, y ∈ R und nicht nur
zwischen 0 und π/2.
Aufgaben
Aufgabe 34: Leiten Sie die Additionstheoreme für sin(x − y) und cos(x − y) aus den
schon bewiesenen Additionstheorem für sin(x + y) und cos(x + y) her.
Aufgabe 35: Bestimmen Sie die Nullstellen der Sinus- und Cosinusfunktion.
Jetzt können wir Tangens und Cotangens unter Verwendung der Formeln tan x =
sin x/ cos x und cot x = cos x/ sin x auf die reellen Zahlen fortsetzen. Nur die Nullstellen
des jeweiligen Nenners müssen wir dabei ausnehmen. Der Tangens ist also die Funktion
nπ
o
sin x
tan : R\
+ nπ n ∈ Z → R; x 7→
2
cos x
und der Cotangens ist
cos x
cot : R\{nπ|n ∈ Z} → R; x 7→
.
sin x
Die Graphen dieser Funktionen haben die folgende Form
y
4
4
3
3
y
2
1
–6
–4
–2
0
2
1
2
4
6
8
10
12
–6
–4
–2
0
2
4
x
6
x
–1
–1
–2
–2
–3
–3
–4
–4
tan x
cot x
34
8
10
12
§8
Vorkurs Mathematik 2009
Wie sie sehen hat der Tangens die Periode π, dies folgt auch leicht aus unseren bisherigen Formeln den für alle x ∈ R mit cos x 6= 0 ist
tan(x + π) =
sin(x + π)
− sin x
=
= tan x.
cos(x + π)
− cos x
Wir listen jetzt einige spezielle Werte der trigonometrischen Funktionen auf.
β
0
π/6
π/5
π/4
π/3
π/2
π
cos β
√1
3/2
√
(1 + 5)/4
√
1/ 2
1/2
0
-1
sin β
0
1/2
q
√
2(5 − 5)/4
√
1/
√ 2
3/2
1
0
tan β
0√
1/q 3
√
√
( 5 + 1)/ 2(5 − 5)
√1
3
±∞
0
Alle diese Werte können geometrisch begründet werden, wir wollen dies hier aber
nicht vorführen. Der Winkel π/5 ist allerdings schon recht trickreich, und ist hier
hauptsächlich der Vollständigkeit halber aufgeführt. Als ein Beispiel zur Anwendung
all dieser Formeln wollen wir auch noch die Werte der trigogometrischen Funktionen
bei x = π/12 berechnen. Eines unserer Additionstheoreme war cos(2x) = cos2 x−sin2 x
und kombinieren wir dies mit sin2 x + cos2 x = 1, so erhalten wir
cos(2x) = 2 cos2 x − 1 = 1 − 2 sin2 x.
Setzen wir hier x/2 statt x ein, so wird diese Formel zu
2 x
2 x
cos x = 2 cos
− 1 = 1 − 2 sin
.
2
2
Für −π ≤ x ≤ π ist −π/2 ≤ x/2 ≤ π/2 also cos(x/2) ≥ 0 und somit
x r
x r 1 + cos x
2
cos
= cos
=
(−π ≤ x ≤ π).
2
2
2
Mit dem Sinus können wir ähnlich rechnen. Für 0 ≤ x ≤ 2π ist 0 ≤ x/2 ≤ π also
sin(x/2) ≥ 0. Damit ist
x r 1 − cos x
sin
=
.
2
2
Wir erhalten damit beispielsweise
s
s
p
√
s
√
√
√
√
π
1
π
1 + cos 6
1+ 2 3
2+ 3
2+ 3
2+ 6
cos
=
=
=
=
=
.
12
2
2
4
2
4
35
§8
Vorkurs Mathematik 2009
Um die letzte Gleichung zu sehen rechnet man am einfachsten von rechts nach links
√
√ √
√
√
√
√
√
( 2 + 6)2 = 2 + 2 2 6 + 6 = 8 + 2 12 = 8 + 2 4 · 3 = 8 + 4 3 = 4(2 + 3),
woraus unsere Gleichung folgt. Den Sinuswert könnte man ebenfalls über die Halbierungsformel rechnen, alternativ ist aber auch der Weg über sin2 x + cos2 x = 1 möglich
π
π
π 2 + √3
1 = sin2
.
+ cos2
= sin2
+
12
12
12
4
Es folgt
√
2− 3
=
,
sin
12
4
und da sin(π/12) > 0 ist bedeutet dies
p
√
√
√
π
2− 3
6− 2
sin
=
=
.
12
2
4
2
π
Die letzte Gleichung folgt dabei ähnlich wie bei der entsprechenden Überlegung zum
Cosinus.
Aufgaben
Aufgabe 36: Zeigen Sie, dass für alle 0 ≤ x < π die Gleichung
x 1 − cos x
tan
=
2
sin x
gilt.
Aufgabe 37: Berechnen Sie tan
π
12
.
Den Graphen von Sinus und Cosinus entnehmen wir das
h π πi
sin : − ,
→ [−1, 1]
2 2
und
cos : [0, π] → [−1, 1]
jeweils bijektive Funktionen sind. Ihre Umkehrfunktionen werden als Arcus Sinus beziehungsweise als Arcus Cosinus bezeichnet, und geschrieben als
h π πi
arcsin : [−1, 1] → − ,
2 2
und
arccos : [−1, 1] → [0, π].
Die Graphen dieser Funktion enstehen durch Spiegelung der Graphen der entsprechenden Teile der Graphen von Sinus und Cosinus:
36
§9
Vorkurs Mathematik 2009
3
1.5
2.5
1
2
0.5
1.5
–1 –0.8 –0.6 –0.4 –0.2
0.2 0.4 0.6 0.8
1
x
1
–0.5
0.5
–1
–1 –0.8 –0.6 –0.4 –0.2 0
0.2 0.4 0.6 0.8
1
–1.5
x
arcsin x
arccos x
Aufgaben
π
− arcsin x für alle −1 ≤ x ≤ 1.
2
Aufgabe 39: Berechnen Sie sin(arccos x) und cos(arcsin x) jeweils für alle −1 ≤ x ≤ 1.
Aufgabe 38: Zeigen Sie arccos x =
Schließlich ist auch
i π πh
tan : − ,
→R
2 2
eine bijektive Funktion, deren Umkehrfunktion als Arcus Tangens bezeichnet wird.
Man schreibt
i π πh
arctan : R → − ,
.
2 2
Als Graph des Arcus Tangens ergibt sich
1
0.5
–4
–3
–2
–1
0
–0.5
1
2
3
4
x
–1
Das Grenzverhalten des Arcus Tangens wird dabei durch
lim arctan x = −
x→−∞
π
π
und lim arctan x =
x→∞
2
2
beschrieben.
37
§9
Vorkurs Mathematik 2009
§9
Die Hyperbelfunktionen
In den letzten Abschnitten haben wir Polynome, rationale Funktionen, Potenzfunktionen, Logarithmen und die trigonometrischen Funktionen beschrieben. Wir kommen
zu einer weiteren und auch letzten Sorte von Grundfunktionen, den sogenannten Hyperbelfunktionen. Dies sind gewisse aus Exponentialfunktionen zusammengesetzte Funktionen. Da sie nicht so wichtig wie die trigonometrischen Funktionen sind, werden wir
sie auch nur recht knapp behandeln. Hyperbelfunktionen tauchen oft bei der Lösung
gewisser Sorten gewöhnlicher Differentialgleichungen auf. Da dies allerdings kein Schulthema ist, müssen wir uns damit abfinden jetzt nicht begründen zu können warum man
diese Funktionen überhaupt betrachtet. Sie können diesen Abschnit daher auch als ein
weiteres Beispiel für Exponentialfunktionen und Logarithmen sehen. Wir definieren
Sinus Hyperbolicus
sinh x :=
ex − e−x
,
2
Cosinus Hyperbolicus
cosh x :=
ex + e−x
,
2
Tangens Hyperbolicus
tanh x :=
sinh x
,
cosh x
cosh x
1
=
.
sinh x
tanh x
Die ersten drei Funktionen sind für alle reellen x ∈ R definiert, und haben die Graphen
Cotangens Hyperbolicus
coth x :=
4
3
3
2
1
y 2
–2
–1
0
1
2
x
–1
1
1
0.5
–2
–2
–3
0
1
x
–2
–1
0
1
x
sinh x
–1
cosh x
38
2
–0.5
–1
tanh x
2
§9
Vorkurs Mathematik 2009
Der Sinus hyperbolicus und der Tangens hyperbolicus
haben eine eindeutige Nullstelle in x = 0. Dagegen ist
cosh 0 = 1 und cosh x ≥ 1 für alle x ∈ R. Damit ist der
Cotangens Hyperbolicus nur für x 6= 0 definiert und ist
eine Funktion
coth : R\{0} → R,
4
3
y
1
–2
–1
2
cosh x − sinh x =
0
2
1
x
deren Graph rechts abgebildet ist.
Die Hyperbelfunktionen erfüllen ähnliche Gleichungen wie die trigonometrischen Funktionen, von denen wir
hier nur eine nachrechnen wollen.
Für jede reelle Zahl x ist
2
2
–1
–2
–3
–4
2 x
2
ex + e−x
e − e−x
+
2
2
2x
x −x
e + 2e e + e−2x − e2x + 2ex e−x − e−2x
=
= ex e−x = 1.
4
Wir haben also cosh2 x − sinh2 x = 1 für alle x ∈ R, in Analogie zur entsprechenden
Formel cos2 x + sin2 x = 1 für die trigonometrischen Funktionen.
Aufgaben
Aufgabe 40: Zeigen Sie sinh x + cosh x = ex für alle x ∈ R.
Aufgabe 41: Beweisen Sie die Additionstheoreme
sinh(x + y) = sinh x cosh y + cosh x sinh y,
cosh(x + y) = cosh x cosh y + sinh x sinh y
der Hyperbelfunktionen.
Aufgabe 42: Zeigen Sie, dass −1 < tanh x < 1 für jedes x ∈ R gilt.
Was haben die Hyperbelfunktionen jetzt mit den trigonometrischen Funktionen zu tun, und warum heißen sie
überhaupt Hyperbelfunktionen? Wie in §8 gesehen, durchläuft
der Punkt (cos t, sin t) den Einheitskreis wenn t die reellen Zahlen durchläuft. Außerdem haben wir bereits die Formel
4
y
2
cosh2 t − sinh2 t = 1
–4
–2
0
2
x
für alle t ∈ R nachgerechnet. Die Menge
H := {(x, y) ∈ R2 |x2 − y 2 = 1}
ist die rechts abgebildete Hyperbel, und unsere Formel sagt,
dass der Punkt (cosh t, sinh t) für t ∈ R in der Hyperbel H liegt.
39
–2
–4
4
§9
Vorkurs Mathematik 2009
Tatsächlich ist es so, dass (cosh t, sinh t) für wachsendes t ∈ R die rechte Hälfte
unserer Hyperbel von unten kommend nach oben durchläuft. Der Sinus hyperbolicus
und der Cosinus hyperbolicus sind also für die Hyperbel H das was Sinus und Cosinus
für den Einheitskreis sind. Aus diesem Grund spricht man von Hyperbelfunktionen.
Wir wollen nicht viel mehr mit diesen Funktionen machen, und uns nur noch kurz
ihre Umkehrfunktionen anschauen. Der Sinus hyperbolicus sinh : R → R ist bijektiv, und seine Umkehrfunktion wird als der Area Sinus Hyperbolicus bezeichnet. Die
Schreibweise ist
arsinh : R → R.
Die Umkehrfunktionen von cosh : R≥0 → R≥1 und tanh : R →] − 1, 1[ werden entsprechend als Area Cosinus Hyperbolicus und Area Tangens Hyperbolicus bezeichnet
arcosh : R≥1 → R≥0 und artanh :] − 1, 1[→ R.
Die Graphen dieser Funktionen sind
4
3
y
2
1
1.5
–1 –0.8 –0.6 –0.4 –0.2 0
1
–1
0
0.4
0.6
0.8
1
x
–1
0.5
–2
0.2
2
1.5
1
2
–2
1
x
–0.5
0.5
–3
–1
0 1
–1.5
arsinh x
2
3
x
arcosh x
4
5
–4
artanh x
Man kann die Area Funktionen als Logarithmen schreiben, und dies wollen wir hier für
den Area Sinus Hyperbolicus vorführen. Zur Bestimmung von arsinh y müssen wir die
Gleichung
ex − e−x
y = sinh x =
2
nach x auflösen. Wir haben
y=
ex − e−x
⇐⇒ 2y = ex − e−x ⇐⇒ 2yex = e2x − 1 ⇐⇒ (ex )2 − 2yex − 1 = 0.
2
Dies fassen wir nun als eine quadratische Gleichung für ex auf, und die pq-Formel gibt
uns
p
ex = y ± y 2 + 1.
p
p
p
Wegen y 2 + 1 > y 2 ≥ y ist y − y 2 + 1 < 0, also muss sogar
p
p
ex = y + y 2 + 1 =⇒ x = log(y + y 2 + 1)
40
§10
Vorkurs Mathematik 2009
sein. Damit haben wir
arsinh x = log(x +
√
x2 + 1)
für alle x ∈ R eingesehen.
Aufgaben
Aufgabe 43: Beweisen Sie
√
arcosh x = log(x + x2 − 1) für alle x ∈ R≥1 , und
1
1+x
artanh x =
log
für alle −1 < x < 1.
2
1−x
§10
Gleichungen und Ungleichungen
Lineare Gleichungen in einer Unbekannten / Variablen x haben die Form ax+b =
, wenn a 6= 0 ist.
c; aufgelöst x = c−b
a
1. 6x + 3 − 2x + 1 = 8, vereinfacht 4x + 4 = 8, 4x = 4, x = 1.
2.
2x − a
= 1 nur sinnvoll, wenn die Lösung x 6= b ist. Für x 6= b gilt die Gleichung
x−b
genau wenn 2x − a = x − b, x = a − b: x 6= b, wenn a 6= 2b ist.
Quadratische Gleichungen in einer Unbekannten x haben die Form ax2 +bx+c = 0,
x2 + px + q = 0 mit p = ab , q = ac . Wie schon mehrfach vorgeführt wird diese Gleichung
durch die pq-Formel gelöst
r
p
−p ± p2 − 4q
p2
p
x=− ±
−q =
.
2
4
2
Zur Erinnerung noch einmal die Herleitung durch quadratische Ergänzung: (x + p2 )2 +
p
q − ( p2 )2 = 0 ⇔ x2 + px + q = 0 Lösungen also x = − p2 ± ( p2 )2 − q: genau zwei
Lösungen, wenn p2 6= 4q für p2 = 4q eine doppelte Nullstelle x = − p2 . Die Zahl p2 − 4q
wird auch die Diskriminante des quadratischen Polynoms genannt.
Eine alternative Sichtweise ist es die Funktion f (x) := x2 + px + q zu betrachten
und das Argument x zu transformieren
f (x + a) = (x + a)2 + p(x + a) + q = x2 + (2a + p)x + q + ap + a2 .
Wählen wir also a = −p/2, so verschwindet der lineare Teil
p2
p
f x−
= x2 + q − ,
2
4
41
§10
Vorkurs Mathematik 2009
und wir kommen erneut auf die pq-Formel.
Aufgaben
Aufgabe 44: Überlegen Sie sich das man jede Gleichung dritten Grades x3 + ax2 +
bx + c = 0 auf eine Gleichung der speziellen Form x3 + px + q = 0 reduzieren kann.
Wir kommen jetzt zu Ungleichungen, das sind Größenvergleiche zwischen reellen Zahlen. Erinnern wir uns zunächst einmal an die Grundeigenschaften von ≤ und <.
a < b < c =⇒ a < c, a < b =⇒ a + c < b + c, a < b =⇒ −b < −a,
a < b und c > 0 =⇒ ac < bc, a < b und c < 0 =⇒ bc < ac,
1
1
a < b und a, b > 0 oder a, b < 0 =⇒ < ,
b
a
0 < a < b und c > 0 =⇒ ca < cb , b < c und a > 1 =⇒ ab < ac
wobei a, b, c drei reelle Zahlen sind. Entsprechende Aussagen gelten dann auch für ≤
statt <. Häufig werden diese Aussagen auch in der Form
ab > 0 ⇐⇒ a, b > 0 oder a, b < 0
verwendet.
Beispiele
1. 5 < 6 ⇒ 2 · 5 = 10 < 2 · 6 = 12 aber (−2) · 5 = −10 > (−2) · 6 = −12.
2. Finde die reellen x ∈ R, für die die Ungleichung gilt:
x2 + 4x − 5 < 0.
Mit x2 + 4x − 5 = (x + 2)2 − 9 gilt das, genau dann, wenn (x + 2)2 < 9 = 32 ist.
Das bedeutet −3 < x + 2 < 3, also −5 < x < 1. Lösungsintervall also ] − 5, 1[.
Im letzten Beispiel hatten wir eine Ungleichung der Form a2 ≤ b2 mit b ≥ 0 zu −b ≤
a ≤ b umgeformt. Wäre dagegen b < 0 so müssten wir dies als b ≤ a ≤ −b schreiben.
Um solche Fallunterscheiden zu vermeiden kann man den sogenannten Betrag
(
x,
x ≥ 0,
|x| :=
−x, x < 0
verwenden. Beispielsweise ist |1| = 1, |2| = 2, | − 3| = 3, √
|0| = 0 und so weiter. Der
Zusammenhang mit Wurzeln wird durch die Formel |x| = x2 hergestellt, und damit
ist a2 ≤ b2 ⇔ |a| ≤ |b| für alle a, b ∈ R. Wir rechnen einige weitere Beispiele:
42
§10
Vorkurs Mathematik 2009
1. Finde die reellen x ∈ R mit x2 − x − 1 > 0.
Es ist x2 − x − 1 = (x − 21 )2 − 54 > 0 ⇔ (x − 12 )2 > 45 , also für |x − 12 | >
ist
(
1
1
1
x − = x − 2 , x ≥ 2 ,
1
2
− x, x ≤ 1 ,
2
√
5
.
2
Nun
2
1
|
2
d.h. |x − ist der Abstand von x zu 1/2.
Allgemein ist |x√− y| der Abstand zwi√
√
5
5
5
1
1
1
schen x und y. Damit
bedeutet
|x−
|
>
genau
x−
>
oder
−(x−
)
>
.
2
2
2
2
√
√2
√
√2
1+ 5
5−1
5+1
1− 5
Dies gilt für x > 2 oder x < 2 . Lösungsmenge x ∈]−∞, − 2 [∪] 2 , ∞[.
Wie in §5 angedeutet ist die Schreibweise mit Intervallgrenzen ±∞ eine Erweiterung der Intervallnotation, und steht für
"
#√
"
#
√
5−1
5
+
1
= R<−(√5−1)/2 und
, ∞ = R>(1+√5)/2 .
−∞, −
2
2
Hierdurch kann man es vermeiden allzu große Formeln als Index an das R“
”
schreiben zu müssen.
2. Lösungsmenge x ∈ M von (∗)
3x−1
2x+4
< 2 gesucht, x 6= −2.
(a) Falls 2x + 4 > 0 ist, also x > −2, kann man die Ungleichung mit 2x + 4
multiplizieren: 3x−1
< 2 ⇔ 3x − 1 < 2(2x + 4) = 4x + 8 ⇔ −9 < x. Da
2x+4
x > −2 ⇒ x > −9, gilt (∗) also für alle x > −2.
(b) Falls 2x + 4 < 0 ist, also x < −2, ergibt die Multiplikation mit 2x + 4:
3x−1
< 2 ⇔ 3x − 1 > 2(2x + 4) = 4x + 8 ⇔ x < −9. Damit gilt (∗) also
2x+4
auch für alle x < −9. Lösungsmenge daher M =] − ∞, −9[ ∪ ] − 2, ∞[.
3. Finde die reellen x ∈ R mit |x2 − 6x + 5| < 3. (+)
(a) Es ist
x2 − 6x + 5 = (x − 5)(x − 1) ≥ 0 ⇐⇒ x ≥ 5 oder x ≤ 1
⇐⇒ x ∈] − ∞, 1] ∪ [5, ∞[=: M1 .
Für x ∈ M1 gilt (+), wenn x2 − 6x + 5 < 3 ist, d.h. x2 − 6x + 2 < 0 ist.
Wenn es solche x überhaupt gibt ist dies das Intervall
√ zwischen den beiden
2
Nullstellen. Lösungen von x√
− 6x +√
2 = 0 sind 3 ± 7. Es ist x2 − 6x + 2 < 0
genau dann, wenn
√ x ∈]3 − 7, 3√+ 7[' (0, 354, 5, 646). Lösungen von (+)
also für x ∈]3 − 7, 1] ∪ [5, 3 + 7[ da wir ja in M1 sind.
(b) x2 −6x+5 < 0 ⇔ x ∈]1, 5[=: M2 . Für x ∈ M2 gilt (+), wenn −(x2 −6x+5) <
3 ist, also x2 − 6x + 8 > 0 gilt. Lösungen von x2 − 6x + 8 = (x − 4)(x − 2) = 0
sind x = 2 und x = 4. Also (+) erfüllt für x ∈]1, 2[∪]4, 5[.
√
√
Zusammengenommen gilt (+) für x ∈ M :=]3 − 7, 2[∪]4, 3 + 7[.
43
§10
Vorkurs Mathematik 2009
Aufgaben
Aufgabe 45: Bestimme die Menge M aller x ∈ R mit (3x − 5) · (x − 2) ≤ 4(x − 2).
Aufgabe 46: Bestimme die Menge M aller reellen Zahlen x mit
2
x + x + 2
2
< 2.
x − x − 1 6= 0 und 2
x − x − 1
Aufgabe 47: Sei x ∈ R mit x > 0 gegeben. Bestimme alle reellen Zahlen h ∈ R mit
h 6= 0, x + h 6= 0 und
1 −1
1 x+h x
+ 2 < 1.
h
x Gerade Ungleichungen des Typs aus Beispiel (3), in denen also Aussagen der Form
| · · · | < · · · nachgewiesen werden sollen, werden Ihnen in den Analysis Vorlesungen und
Übungen sehr häufig begegnen. Dort ist man dann allerdings meistens nicht an allen
Lösungen der fraglichen Ungleichungen interessiert, sondern sucht nur nach Aussagen
der Form wenn x die Bedingungen . . . erfüllt, so erfüllt x auch die Ungleichung“. Das
”
vereinfacht die Rechnungen in der Regel.
Auch die vielfältigen Fallunterscheidungen in den obigen Beispielen sind nicht so
typisch für das Rechnen mit Ungleichungen, was natürlich erfreulich ist. Diese lassen
sich oftmals durch konsequentes Rechnen mit Beträgen ersetzen. Daher wollen wir jetzt
die üblichen Rechenregeln für Beträge vorstellen.
Grundeigenschaften des Betrages Im folgenden seien x, y zwei reelle Zahlen.
1. Es ist | − x| = |x| ≥ 0 und x ≤ |x|. Dies ist beides klar, da |x| ja das positiv
gemachte x ist.
2. Es ist |x|2 = x2 . Auch dies ist klar da beim Quadrieren das Vorzeichen verschwindet.
3. Es ist |x · y| = |x| · |y|, auch dies ist klar, egal was die jeweiligen Vorzeichen sind,
sie werden auf beiden Seiten einfach weggelassen.
4. |x + y| ≤ |x| + |y|.
Dies ist die sogenannte Dreiecksungleichung. Man kann auch für Punkte der Ebene einen Betrag definieren, und dann ist die Dreiecksungleichung für diesen Betrag
in der Ebene tatsächlich gleichbedeutend zur geometrischen Dreiecksungleichung
das die Summe zweier Seiten in einem Dreieck größer als die dritte Seite des Dreiecks ist. Die Bezeichung wird dann auch für den reellen Betrag übernommen, auch
wenn sie dort nichts mit Dreiecken zu tun hat. Beweisen kann man die Dreiecksungleichung am einfachsten durch Übergang zu den Quadraten
|x + y|2 = (x + y)2 = x2 + 2xy + y 2 ≤ x2 + |2xy| + y 2 = |x|2 + 2|x| · |y| + |y|2
= (|x| + |y|)2 ,
44
§10
Vorkurs Mathematik 2009
und dies ergibt durch Wurzelziehen die Dreiecksungleichung. Dabei haben wir
von den bereits festgehaltenen Eigenschaften des Betrages Gebrauch gemacht.
5. Es ist |x − y| ≥ |x| − |y|. Dies ist eine Konsequenz der Dreiecksungleichung, man
rechnet
|x| = |(x − y) + y| ≤ |x − y| + |y| =⇒ |x − y| ≥ |x| − |y|.
6. Die letzte unserer Formeln ist |x| − |y| ≤ |x − y|. Dies folgt durch zweimalige
Anwendung der eben bewiesenen Formel. Wir haben ja |x − y| ≥ |x| − |y| und
|x − y| = | − (x − y)| = |y − x| ≥ |y| − |x| = −(|x| − |y|).
Aber der Betrag |x| − |y| ist eine der beiden Zahlen |x| − |y| oder −(|x| − |y|),
und beide sind kleiner als |x − y|.
Als letzten kleinen Punkt in diesem Abschnitt wollen wir noch kurz ansprechen wie sich
Ungleichungen und Funktionen miteinander vertragen. Ist f : R → R eine beliebige
Funktion, so gibt es keinerlei Grund warum x ≤ y ⇒ f (x) ≤ f (y) gelten sollte. Die
Funktionen für die dies doch wahr ist, nennt man monoton.
Definition 5: Seien M ⊆ R und f : M → R eine Funktion. Wir nennen f
monoton steigend
streng monoton steigend
monoton fallend
streng monoton fallend
wenn
wenn
wenn
wenn
x ≤ y ⇒ f (x) ≤ f (y) für alle x, y ∈ M
x < y ⇒ f (x) < f (y) für alle x, y ∈ M
x ≤ y ⇒ f (x) ≥ f (y) für alle x, y ∈ M
x < y ⇒ f (x) > f (y) für alle x, y ∈ M
gilt.
gilt.
gilt.
gilt.
Schauen wir uns die Graphen der Grundfunktionen an, so sehen wir: f : R → R; x 7→
ex , der Logarithmus log : R>0 → R, der Tangens tan :] − π/2, π/2[→ R und der
Arcus Tangens arctan : R → R sind streng monoton steigend. Sinus und Cosinus sind
dagegen weder monoton steigend noch monoton fallend. Schauen wir uns Sinus und
Cosinus allerdings auf den zur Definition von arcsin und arccos verwendeten Intervallen
an, so sind sin : [−π/2, π/2] → R streng monoton steigend und cos : [0, π] → R streng
monoton fallend. Damit ist auch arcsin : [−1, 1] → R streng monoton steigend und
arccos : [−1, 1] → R ist streng monoton fallend.
Als ein Beispiel wollen wir die Aufgabe
Ist 21273125 < 31252127 oder 31252127 < 21273125 ?“
”
behandeln. Man erwartet 31252127 < 21273125 da rechts ja rund 1000 Faktoren mehr
stehen wenn wir uns beide Seiten als Produkt denken. Für den Taschenrechner sind
die Zahlen zu groß. Statt mit diesen konkreten Zahlen fragen wir jetzt allgemein:
wann gilt xy < y x
45
§11
Vorkurs Mathematik 2009
wenn x, y > 1 sind. Schreiben wir das ganze etwas um
y
x
xy < y x ⇐⇒ elog x < elog y
⇐⇒ ey log x < ex log y
⇐⇒ y log x < x log y,
wobei wir im letzten Schritt die Monotonie der Exponentialfunktion und des Logarithmus verwendet haben. Wegen x, y > 1 ist log x, log y > 0 und wir können dies weiter
zu
log x
x
xy < y x ⇐⇒
<
log y
y
umformen. In unserem Beispiel haben wir x = 2127 und y = 3125, und die rechte
Bedingung kann der Taschenrechner leicht auswerten
2127
log 2127
≈ 0, 95 und
≈ 0, 68.
log 3125
3125
Die vermutete Ungleichung ist also wirklich wahr.
§11
Ableitungen
Die genaue Definition von Ableitungen erfolgt in
der Vorlesung: Steigung der Tangente an den Graphen von f im Punkt (x0 , f (x0 )) ∈ R2 als Grenzwert der Steigungen von Sekanten durch (x0 , f (x0 ))
und (x, f (x)), wie nebenstehend angedeutet. Anstelle dieser geometrischen Interpretation ist oft
auch die Interpretation als Änderungsrate hilfreich.
Denken wir uns die Funktion f (t) als die Position
eines Teilchens zum Zeitpunkt t (das Teilchen soll
sich auf einer Geraden bewegen), so ist die Positionänderung in einem Zeitabschnitt h > 0 die Differenz f (t + h) − f (t). Die Rate der Änderung im
Zeitabschnitt der Länge h ergibt sich durch Division mit der Länge h, ist also
f (t + h) − f (t)
.
h
Lassen wir h gegen Null gehen, so ergibt sich die Änderungsrate in t,
f (t + h) − f (t)
h→0
h
f 0 (t) := lim
46
§11
Vorkurs Mathematik 2009
sozusagen die Geschwindigkeit. Mathematisch ist das gleichwertig zu den Sekantensteigungen, man muss nur x0 = t und x = t + h schreiben, die anschauliche Vorstellung
unterscheidet sich in diesem Bild aber etwas.
Die exakte Differenzierbarkeitsdefinition werden Sie wie schon bemerkt in der Analysis Vorlesung sehen. Erstaunlicherweise kann man mit Ableitungen bestens herumrechnen auch wenn man nur eine sehr vage Vorstellung davon hat was sie eigentlich
sind. Dieser beim Ableiten verwendete Rechenkalkül stützt sich auf die:
Ableitungsregeln
Summenregel
Vielfachenregel
Produktregel
Quotientenregel
Kettenregel
(f + g)0 (x) = f 0 (x) + g 0 (x)
(cf )0 (x) = c · f 0 (x) wobei c ∈ R ist
(f g)0 (x) = f 0 (x)g(x) + f (x)g 0 (x)
0
0
0 (x)f (x)
f
(x) = f (x)g(x)−g
g
g(x)2
(g ◦ f )0 (x) = g 0 (f (x)) · f 0 (x)
Dabei war g ◦ f das in §5 eingeführte Symbol für die Hintereinanderausführung (g ◦
f )(x) = g(f (x)). In der Schule nennt man g die äußere Funktion“ und f die innere
”
”
Funktion“ und formuliert die Kettenregel dann gerne als innere mal äußere Ableitung.
Um mit den Ableitungsregeln etwas anfangen zu können, benötigt man noch die
Ableitungen der Grundfunktionen. Die einfachsten Grundfunktionen waren die Polynome. Das einfachste Polynom ist ein konstantes Polynom f (x) = c. Dann ist stets
f (x + h) − f (x) = 0 und wir haben
f (x) = c =⇒ f 0 (x) = 0,
die Ableitung einer konstanten Funktion ist also Null. Auch für das Polynom f (x) = x
können wir direkt
f (x + h) − f (x)
x+h−x
= lim
=1
h→0
h→0
h
h
f (x) = x =⇒ f 0 (x) = lim
rechnen. Für die Ableitung von f (x) = x2 kann man dann schon die Produktregel
verwenden:
f (x) = x2 = x · x =⇒ f 0 (x) = 1 · x + x · 1 = 2x.
So fortfahrend kann man dann allgemein
f (x) = xn =⇒ f 0 (x) = nxn−1
für jedes n ∈ N nachweisen. Die Formel gilt für x 6= 0 auch dann wenn n ∈ Z ist. Für
beliebigen reellen Exponenten a ∈ R gilt ebenfalls
f (x) = xa =⇒ f 0 (x) = axa−1 für x > 0.
47
§11
Vorkurs Mathematik 2009
Damit kann man über Summen und Vielfachenregel dann die Ableitungen aller Polynome und über die Quotientenregel weiter auch die Ableitungen aller rationalen Funktionen ausrechnen.
Aufgaben
1
.
1 + x2
x2 + 1
Aufgabe 49: Berechnen Sie die Ableitung von f (x) =
.
x+1
Die nächste Grundfunktion ist die Exponentialfunktion, und deren Ableitung ist
Aufgabe 48: Berechnen Sie die Ableitung von f (x) =
f (x) = ex =⇒ f 0 (x) = ex
die e-Funktion ist also gleich ihrer eigenen Ableitung. Weiter kann man jetzt die Gleichung elog x = x auf beiden Seiten ableiten, und erhält über die Kettenregel
1 = elog x · log0 x = x · log0 (x),
d.h.
1
, x > 0.
x
Dies ist allerdings kein wirklich stichhaltiges Argument da hier die Differenzierbarkeit
des Logarithmus von vornherein unterstellt wird, vom Schulstandpunkt her spielen
solche Bedenken aber keine Rolle.
Die Ableitungen von Sinus und Cosinus wollen wir hier ebenfalls einfach nur angeben:
f (x) = sin x ⇒ f 0 (x) = cos x und f (x) = cos x ⇒ f 0 (x) = − sin x.
f (x) = log x =⇒ f 0 (x) =
Das Minuszeichen in der Ableitung des Cosinus ist eine der wohl ergiebigsten Fehlerquellen in diesem Bereich, achten Sie also darauf. Die Ableitung des Tangens können
wir dann wieder über die Quotientenregel berechnen:
0
cos(x)2 + sin(x)2
1
sin
0
(x) =
=
= 1 + tan2 x.
tan (x) =
2
2
cos
cos(x)
cos(x)
Die Hyperbelfunktionen sind wieder ähnlich wie die trigonometrischen Funktionen, wir
haben
f (x) = sinh x ⇒ f 0 (x) = cosh x und f (x) = cosh x ⇒ f 0 (x) = sinh x
nur diesmal ohne Minuszeichen. Die Ableitungen der Arcus Funktionen erhält man
wieder über den obigen Weg des Ableitens von sin(arcsin x) = x. Es wird
√
1 = cos(arcsin x) · arcsin0 x = 1 − x2 · arcsin0 x,
48
§11
Vorkurs Mathematik 2009
nach einer Übungsaufgabe. Ähnlich kann man für den Arcus Tangens rechnen und hat
damit
f (x) = arcsin x ⇒ f 0 (x) = √
1
1
.
und f (x) = arctan x ⇒ f 0 (x) =
1 + x2
1 − x2
Durch Kombination von Ableitungsregeln und den Ableitungen der Grundfunktionen
kann man dann jede Funktion ableiten die sich aus den Grundfunktionen zusammensetzt. Wir wollen ein paar Beispiele rechnen:
1. f (x) = (x6 + 4x3 − 1)12 .
Dies könnte man als Polynom ableiten, allerdings müssten wir dazu erst einmal
alles ausmultiplizieren, was man natürlich vermeiden will. Daher benutzen wir
die Kettenregel mit g(x) = x6 + 4x3 − 1 als innerer Funktion und h(x) = x12 als
äußerer Funktion, also f (x) = h(g(x)). Dann wird
f 0 (x) = 12(x6 + 4x3 − 1)11 · (6x5 + 12x2 ) = 72x2 (x3 + 2)(x6 + 4x3 − 1)11 .
|
{z
} |
{z
}
h0 (g(x))
g 0 (x)
Die Untertitelung“ der einzelnen Faktoren läßt man außerhalb von Schmierzet”
teln normalerweise weg.
√
2. f (x) = 1 + sin2 x.
Hier muss man die Kettenregel gleich zwei mal verwenden. Zuerst ist 1 + sin2 x
die innere Funktion. Die Ableitung dieser inneren Funktion erfolgt dann selbst
wieder über die Kettenregel, also haben wir f (x) = u(v(w(x))) mit
√
u(x) = x, v(x) = 1 + x2 und w(x) = sin x.
Zweifache Anwendung der Kettenregel ergibt
1
sin x cos x
√
f 0 (x) = √
·
2
sin
x
·
cos
x
=
.
|
{z
}
|
{z
}
2
2
2
1
+
sin
x
1
+
sin
x
0
0
|
{z
} v (w(x)) w (x)
u0 (v(w(x)))
√
√
3. f (x) = 1 − x · arcsin( x), 0 < x < 1.
Hier muss man Produkt und Kettenregel kombinieren
√
√ arcsin( x) √
1
1
1
1
arcsin( x)
0
√ =
√ − √
f (x) = − √
+ 1 − xq
.
√ 22 x
2
x
2 1−x
1−x
1− x
Aufgaben
Aufgabe 50: Berechnen Sie die Ableitung von f (x) = x · sin x.
49
§11
Vorkurs Mathematik 2009
Aufgabe 51: Berechnen Sie die Ableitung von f (x) = x · log x.
√
Aufgabe 52: Berechnen Sie die Ableitung von f (x) = 1 + x2 .
p
√
Aufgabe 53: Berechnen Sie die Ableitung von f (x) = 1 + x.
Aufgabe 54: Berechnen Sie die Ableitung von f (x) = sin(x2 ).
Aufgabe 55: Berechnen Sie die Ableitung von f (x) = log(log x).
x
Aufgabe 56: Berechnen Sie die Ableitung von f (x) =
.
cos x
Gelegentlich muss man die abzuleitende Funktion erst in eine geeignete Form bringen
um dann die Ableitungsregeln anwenden zu können. Ein einfaches Beispiel für dieses
Vorgehen ist die Ableitung der Potenzfunktionen
f : R → R; x 7→ ax
wobei a ∈ R mit a > 0 sei. Um f mit den Ableitungsregeln abzuleiten muss f erst mit
Hilfe von Funktionen beschrieben werden deren Ableitungen wir schon kennen. Mit
den Potenzrechenregeln können wir etwa
x
f (x) = ax = elog a = elog(a)x
schreiben, und sind dann in der Situation die Kettenregel anwenden zu können
f 0 (x) = elog(a)x · log(a) = log(a) · ax .
Aufgaben
Aufgabe 57: Berechnen Sie die Ableitung von f (x) = xx , x > 0.
Aufgabe 58: Berechnen Sie die Ableitung der Funktion f (x) = (2 + sin x)cos x .
Zum Abschluß wollen wir noch an die Anwendung von Ableitungen bei Kurvendiskussionen erinnern. Dieses Thema nimmt in der Schule meist einen sehr großen Zeitraum
ein, ist außerhalb der Schulthematik aber nicht annäherend so wichtig wie man denken
könnte. Die Grundbeobachtung ist die Tatsache das die Ableitung einer Funktion in
einem lokalen Extremum gleich Null ist (sofern sie überhaupt existiert). In der geometrischen Deutung der Ableitung ist dies klar, da die Tangente in einem lokalen Extremum
waagerecht ist, also Steigung Null hat. Sucht man also nach lokalen Extrema x, so kann
man diese als Lösungen der Gleichung f 0 (x) = 0 finden.
Wie das Beispiel f (x) = x3 zeigt sind allerdings nicht alle Lösungen von f 0 (x) = 0
auch lokale Extrema. Ein in der Schule gerne verwendetes Kriterium ist dann:
f 00 (x) < 0 dann ist x ein lokales Maximum,
f 00 (x) > 0 dann ist x ein lokales Minimum.
50
§12
Vorkurs Mathematik 2009
Meist ist es aber einfacher über das Monotonieverhalten zu argumentieren.
Beispiele
x
.
1 + x2
Wir haben lim f (x) = 0, f (0) = 0 und f (x) < 0 für x < 0, f (x) > 0 für x > 0.
1. f (x) =
x→±∞
Die Ableitung ist
f 0 (x) =
1 + x2 − 2x2
1 − x2
=
(1 + x2 )2
(1 + x2 )2
mit Nullstellen in ±1. Wegen lim f (x) = 0 = f (0), f (x) < 0 für x < 0 muss in
x→∞
−1 ein lokales Minimum sein. Ebenso ist in x = 1 ein lokales Maximum.
2. f (x) = 2x − x.
Wir haben limx→±∞ f (x) = ∞. Die Ableitung ist
f 0 (x) = log(2)2x − 1,
und Nullstellen sind in
log(2)2x − 1 = 0 ⇐⇒ 2x =
1
log 2
⇐⇒ x = log2
1
log 2
= − log2 (log 2) = −
log(log 2)
.
log 2
Wegen limx→±∞ f (x) = ∞ muss dies ein lokales und globales Minimum sein. Der
Funktionswert ist
log(log 2)
1
log(log 2)
1 + log(log 2)
log(log 2)
= 2− log2 (log 2) +
=
+
=
.
f −
log 2
log 2
log 2
log 2
log 2
§12
Integralrechnung
Gegeben sei eine Funktion f : M → R auf einem Intervall M ⊆ R. Für a, b ∈ M
mit a ≤ b wollen wir ein Integral
Z b
f (x) dx ∈ R
a
der Funktion f zwischen a und b einführen. Es gibt verschiedene heuristische Erklärungen des Intergralbegriffs, und wir wollen drei dieser Interpretationen kurz ansprechen.
51
§12
Vorkurs Mathematik 2009
Die erste Interpretation ist die Deutung des Integrals als die Fläche unter der durch die
Funktion f gegebenen Kurve. Dabei werden oberhalb der x-Achse liegende Teile der
Fläche positiv und unterhalb der x-Achse gelegene Teile der Fläche negativ gezählt.
Dies ist die geometrische Interpretation des Integrals.
Eine für Anwendungen wichtigere Interpretation ist die Deutung des Integrals als
einen Gesamtsumme der Werte f (x) für x zwischen a und b. Von dieser Interpretation
stammt auch das Integralzeichen das ursprünglich ein stilisiertes S“ für Summe“ war.
”
”
Das klassische Beispiel hierfür ist der Begriff der Arbeit. Angenommen wir bewegen
irgendein Objekt startend zu einem Zeitpunkt t = a und brauchen hierfür bis zur
Zeit t = b. Zu jedem Zeitpunkt t zwischen a und b müssen wir hierzu eine Kraft f (t)
aufbringen. Dabei nehmen wir hier der Einfachheit halber an, dass die Kraft immer
in dieselbe Richtung zeigt, und damit als Zahl behandelt werden kann. Mit dieselbe
”
Richtung“ ist dabei auch die entgegengesetzte Richtung gemeint, die Funktion f (t)
darf also negativ werden. Die verrichtete Arbeit ist dann die gesamte von
R b t = a bis
t = b aufgewendete Kraft, und mathematisch ist dies wieder das Integral a f (t) dt.
Wie können wir die gesamte aufgewendete Kraft“ bestimmen, oder überhaupt
”
genau sagen was damit gemeint ist? Dies ist leicht wenn wir zu jedem Zeitpunkt dieselbe
Kraft aufwenden mussten, die Funktion F also konstant ist, etwa F (t) = F0 . Die Arbeit
sollte dann natürlich einfach das Produkt
Kraft · Zeit = (b − a)F0
sein. Bei einer komplizierteren Funktion zerlegen wir dann das Intervall [a, b] in kleinere
Stücke, und nähern die Funktion auf jedem dieser Teilstückchen durch eine konstante
Funktion an, nehmen also an das die einzelnen Stücke so klein gewählt sind das die
Funktion auf diesen im wesentlichen konstant ist. Die von so einem Stückchen beigetragene Arbeit ist dann die auf dem Stück konstante Kraft mal die Länge des Stücks, also
die Fläche des Rechtecks über dem Teilstück. Dabei entsprechen unterhalb der x-Achse
liegende Rechtecke negativen Konstanten, werden also tatsächlich negativ gezählt. Jetzt
sollten die entstehenden Rechtecke zusammen das Integral approximieren, und wenn
wir die Zerlegung immer feiner werden lassen, so sollte im Grenzwert das Integral
herauskommen.
52
§12
Vorkurs Mathematik 2009
Im obigen Bild ist eine ziemlich ungleichmäßige Zerlegung gezeigt, bei der auch die
Näherungsrechtecke noch nicht besonders gut sind.
Eine weitere häufig auftauchende Sichtweise ist es den Wert
Z b
1
f (x) dx
b−a a
als das arithmetische Mittel“ der Funktionswerte f (x) für a ≤ x ≤ b zu betrachten,
”
Integration ist von diesem Standpunkt aus eine Art
R b Mittelung.
Das hilft alles natürlich nicht für das Problem a f (x) dx überhaupt auszurechnen.
Der Schlüssel zur Berechnung von Integralen ist der sogenannte
Hauptsatz der Differential und Integralrechnung
Sind M ⊆ R ein Intervall und f : M → R eine stetige Funktion, so ist für jedes
a ∈ M die Funktion
Z x
F : M → R; x 7→
f (t) dt
a
0
eine Stammfunktion
R b von f , also differenzierbar mit F = f . Weiter gilt für alle a, b ∈ M
mit a ≤ b stets a f (t) dt = F (b) − F (a).
Stetigkeit nehmen wir wie in der Schule einfach hin, und denken an Dinge wie oh”
ne Sprünge“, eine genauere Behandlung wird dann in der Analysis Vorlesung erfolgen.
Da sich je zwei Stammfunktionen
einer Funktion f nur um eine Konstante unterscheiRb
den, gilt die Formel a f (x) dx = F (b) − F (a) für überhaupt jede Stammfunktion der
Funktion f . Zur Berechnung des Integrals muss also nur irgendeine Stammfunktion F
gefunden werden, und das Integral ist dann die Differenz F (b) − F (a).
Als ein Beispiel wollen wir einmal das Integral
Z 2
x2 dx
1
berechnen. Die Ableitung von x3 ist 3x2 , also erhalten wir durch F (x) = x3 /3 eine
Stammfunktion von f (x) = x2 . Damit wird
Z 2
1
1
1 1
7
x2 dx = 23 − 13 = 8 − = .
3
3
3 3
3
1
Rb
Das prinzipielle Schema zur Berechnung von a f (x) dx läuft in zwei Schritten ab:
53
§12
Vorkurs Mathematik 2009
1. Finde eine Stammfunktion F von f , d.h. eine Funktion deren Ableitung gleich
unserer vorgegebenen Funktion f ist.
Rb
2. Berechne a f (x) dx = F (b) − F (a).
Für beide Teilbereiche führt man kleine Abkürzungen ein. Zunächst für eine Funktion
F
b
F := F (b) − F (a),
a
also beispielsweise
2
x + x = 2 + 4 − 1 − 1 = 4.
2
1
R
Weiter führt man das sogenannte unbestimmte Integral f (x) dx, also ohne vorgegebene Grenzen, ein. Dies ist einfach eine symbolische Schreibweise für irgendeine
”
Stammfunktion“. Beispielsweise ist
Z
x3
x2 dx = .
3
Da Stammfunktionen nur bis auf eine additive Konstante festgelegt sind, wird dies oft
auch als
Z
x3
x2 dx =
+C
3
geschrieben, wobei das C die additive Konstante symbolisiert. Welche der beiden
Schreibweisen man verwendet ist eine reine Geschmacksfrage, beide stehen symbolisch
für Stammfunktionen
R b der Funktion f . In diesem Zusammenhang bezeichnet man das
richtige Integral a f (x) dx, also mit Grenzen, auch als ein bestimmtes Integral.
Die
R Hauptarbeit liegt nun im Finden von Stammfunktionen, also im Berechnen
von f (x) dx. Der einfachste Fall sind hierbei Funktionen, deren Stammfunktion wir
zufällig kennen weil die entsprechende Ableitung schon einmal gerechnet wurde. Wir
listen jetzt einige dieser Funktionen auf:
Z
xa+1
1.
xa dx =
für a ∈ R mit a 6= −1. Für a ∈
/ Z müssen wir uns dabei auf
a+1
x > 0 beschränken.
Z
dx
2.
= log x zumindest für x > 0. Für negative x hat man
x
(log(−x))0 =
Z
−1
1
=
−x
x
dx
= log(−x) für x < 0. Gelegentlich fasst man diese beiden Fälle zu
x
Z
dx
= log |x|
x
zusammen.
also
54
§12
Vorkurs Mathematik 2009
Z
3.
ex dx = ex .
Z
Z
sin x dx = − cos x und
4.
Z
5.
Z
6.
√
dx
= arcsin x.
1 − x2
dx
= arctan x.
1 + x2
Z
7.
cos x dx = sin x.
Z
sinh x dx = cosh x und
cosh x dx = sinh x.
Es gibt einige weitere Funktionen deren Ableitung man direkt sieht, und wir wollen als
ein Beispiel einmal den Tangens behandeln. Es ist
tan x =
sin x
cos x
und hier fällt auf, dass im Zähler fast die Ableitung des Nenners steht, nur das Vorzeichen ist falsch. Dies ist deshalb bedeutsam, da wir die Stammfunktion von Funktionen
der Form f 0 /f sofort sehen. Mit der Kettenregel haben wir nämlich
0
log |f (x)| =
1
f 0 (x)
· f 0 (x) =
f (x)
f (x)
zumindest außerhalb der Nullstellen von f . Lesen wir dies von rechts nach links, so
haben wir
Z 0
f (x)
dx = log |f (x)|
f (x)
für jede (stetig differenzierbare) Funktion f . Damit folgt
Z
Z
− sin x
tan x dx = −
dx = − log | cos x|.
cos x
Aus den entsprechenden Ableitungsregeln folgen auch
Z
Z
Z
Z
Z
(f (x) + g(x)) dx = f (x) dx + g(x) dx und
cf (x) dx = c · f (x) dx
für stetige Funktionen f, g und Konstanten c ∈ R.
Aufgaben
Z
Aufgabe 59: Berechnen Sie
cos x
dx.
2 + sin x
55
§12
Vorkurs Mathematik 2009
Z
Aufgabe 60: Berechnen Sie
tanh x dx.
Z
x+1
dx.
x2 + 1
Z
dx
Aufgabe 62: Berechnen Sie
.
x log x
Z
Aufgabe 63: Berechnen Sie f (x)f 0 (x) dx für eine stetig differenzierbare Funktion f .
Aufgabe 61: Berechnen Sie
Z
Aufgabe 64: Berechnen Sie
x cos(x2 ) dx.
Mit unseren bisherigen unbestimmten Integralen und einigen algebraischen Umformungen können wir bereits Stammfunktionen zu vielen der rationalen Funktionen
berechnen. Das hierzu verwendete algebraische Verfahren ist die sogenannte Partialbruchzerlegung, die wir hier an einem Beispiel demonstrieren wollen. Wir betrachten
die rationale Funktion
1
.
f (x) =
x(x − 1)
Partialbruchzerlegung bedeutet diese Funktion in der Form
1
A
B
= +
x(x − 1)
x x−1
zu schreiben, wobei A und B noch festzulegende Konstanten sind. Um A und B zu
finden kann man die rechte Seite auf den Hauptnenner bringen
1
B
A(x − 1) + Bx
(A + B)x − A !
A
=
+
=
=
,
x x−1
x(x − 1)
x(x − 1)
x(x − 1)
wobei das Ausrufungszeichen über dem Gleichheitszeichen andeutet, dass wir A, B so
wählen müssen das die Gleichung wahr wird. Dies können wir erreichen durch
A + B = 0 und − A = 1
also A = −1 und B = −A = 1. Damit haben wir
1
1
1
=
− ,
x(x − 1)
x−1 x
und wegen (log |x − 1|)0 = 1/(x − 1) wird unser unbestimmtes Integral zu
Z
Z
Z
dx
dx
dx
1 =
−
= log |x − 1| − log |x| = log 1 − .
x(x − 1)
x−1
x
x
Wir scheitern alDamit haben wir einen Gutteil der leichten Beute“ abgehandelt.
R
”
lerdings noch an vergleichsweise simplen Integralen wie x sin x dx, hier hilft keine
56
§12
Vorkurs Mathematik 2009
unserer bisherigen Methoden weiter. Wie sie aus der Schule wissen ist für derartige
Integrale von Produkten die sogenannte partielle Integration zuständig.
Partielle Integration
Sind u, v zwei stetig differenzierbare Funktionen, so gilt
Z
Z
0
u(x)v (x) dx = u(x)v(x) − u0 (x)v(x) dx.
R
Wollen wir diese Regel auf ein unbestimmtes Integral der Form f (x)g(x) dx anwenden, so muss man sich entscheiden welchen Faktor man als u(x) und welchen als v 0 (x)
verwenden will. Dies ist nicht immer ganz eindeutig zu entscheiden, es gibt aber zwei
einfache Leitprinzipien:
1. Um aus dem als v 0 gewählten Faktor f die Funktion v ablesen zu können, müssen
wir
R eine Stammfunktion von f kennen, d.h. wir sollten das unbestimmte Integral
f (x) dx überhaupt berechnen können.
2. Der als u(x) gewählte Faktor sollte beim Ableiten einfacher werden“. Dies ist
”
nicht immer so, aber meistens. In machen Fällen vereinfacht sich u0 nur in Verbindung mit v, weil sich zum Beispiel etwas wegkürzt.
Beispiele
Z
1. Das unbestimmte Integral
x cos x dx.
Hier ist die Wahl von u und v ziemlich naheliegend, durch Ableiten wird die Funktion x zu 1 und verschwindet somit, d.h. wir sollten wohl u(x) = x verwenden.
Für den anderen Faktor v 0 (x) = cos x sehen wir die Stammfunktion v(x) = sin x,
und rechnen somit
Z
Z
x cos x dx = x sin x − sin x dx = x sin x + cos x.
2. Gelegentlich erfordert die Anwendung der Produktregel das wir den Integranden etwas umformen, um ihn überhaupt als Produkt zu schreiben. Ein einfaches
solches Beispiel ist die Stammfunktion des Logarithmus
Z
log x dx.
Hier schreiben wir log x = 1 · log x, nehmen x als Stammfunktion der konstanten
Funktion 1, und leiten log x zu 1/x ab. Damit wird
Z
Z
1
log x dx = x log x − x · dx = x log x − x.
x
57
§12
Vorkurs Mathematik 2009
Z
3. Das unbestimmte Integral
ex sin x dx.
Hier führen wir zweimal eine partielle Integration durch, beide Male mit v(x) =
ex .
Z
Z
Z
x
x
x
x
x
e sin x dx = e sin x − e cos x dx = e sin x − e cos x − ex sin x dx.
Hier scheinen wir zunächst nichts gewonnen zu haben, wir sind ja wieder bei dem
Integral angelangt bei dem wir gestartet sind. Wir können dies aber auch als eine
glücklicherweise sehr einfach zu lösende Gleichung für dieses Integral
R x ansehen,
denn bringen wir die beiden Integrale auf eine Seite so wird 2 e sin x dx =
ex sin x − ex cos x und wir erhalten
Z
1
ex sin x dx = ex (sin x − cos x).
2
Aufgaben
Z
Aufgabe 65: Berechnen Sie
x2 cos x dx.
Wir kommen jetzt zur Substitutionsregel, diese beschreibt die Umparametrisierung
bestimmter, beziehungsweise unbestimmter, Integrale. Die Kettenregel der Differentialrechnung besagt
g(x) = f (ϕ(x)) =⇒ g 0 (x) = f 0 (ϕ(x)) · ϕ0 (x),
und lesen wir dies von rechts nach links so erhalten wir die Substitutionsregel für
bestimmte Integrale
Substitutionsregel
Sind M, N ⊆ R zwei Intervalle, f : M → R und ϕ : N → M stetig differenzierbar,
so ist für alle a, b ∈ N
Z ϕ(b)
Z b
f (x) dx =
f (ϕ(x))ϕ0 (x) dx.
ϕ(a)
a
Für unbestimmte Integrale kann man dies lesen als
Z
Z
0
f (ϕ(x))ϕ (x) dx = F (ϕ(x)) wenn F (x) = f (x) dx.
Ein einfaches Beispiel ist
Z
1
xe dx =
2
x2
Z
1 x2
x2
2x
e
dx
=
e .
|{z} |{z}
2
0
ϕ (x) f (ϕ(x))
58
§12
Vorkurs Mathematik 2009
R
Schon etwas raffinierter ist das Integral x4x+1 dx. Hier haben wir
Z
Z
1
2x
1
x
dx = arctan(x2 ),
dx =
4
2
2
x +1
2
(x ) + 1
2
wobei man
Z
1
dx
und
= arctan x
ϕ(x) = x , f (x) =
2
1+x
1 + x2
verwendet. Dass man ϕ0 (x) wie in diesen Beispielen direkt als einen Faktor im Integral
sieht, ist aber eher die Ausnahme. Meist muss zunächst diese Form hergestellt werden,
und hierfür gibt
R dxes einen oft verwendeten Rechenweg, den wir einmal am Beispiel
des Integrals 1+√x vorführen wollen. Die Parametrisierung wird jetzt in Form einer
Substitution ausgedrückt, in diesem Beispiel etwa
2
t=1+
√
x =⇒
1
dt
1
= √ =
=⇒ dx = 2(t − 1) dt,
dx
2(t − 1)
2 x
und dann wird das Integral durch t ausgedrückt und gelöst
Z
Z
Z dx
2(t − 1)
1
√ =
dt = 2
1−
dt = 2(t − log(t)).
t
t
1+ x
Anschließend muss t wieder zurücksubstituiert werden um dies als eine Funktion von
x zu schreiben
Z
√
√
dx
√ = 2(t − log(t)) = 2 x − 2 log(1 + x),
1+ x
wobei wir den Summand 2 weglassen, da das unbestimmte Integral ja nur bis auf eine
additive Konstante festgelegt ist. Hier wird nicht wirklich mit dx und dt gerechnet,
das sieht nur so aus. Wenn man das Vorgehen näher analysiert sieht man das hier
tatsächlich die obige Substitutionsregel angewendet wird, die Rechnung ist nur eine
rein symbolische Hilfestellung. Dies wollen wir hier aber nicht näher ausführen, sondern
das Verfahren wie in der Schule einfach benutzen. Will man ein bestimmtes Integral
über die obige Methode ausrechnen, so ist die abschließende Rücksubstitution nicht
nötig, aber die Grenzen müssen mit substituiert werden.
√ Wollen wir etwa das obige
Integral zwischen 1 und 4 berechnen, so läuft t = 1 + x von 2 bis 3 während x von 1
bis 4 läuft, also
3
Z 4
Z 3
dx
1
4
√ =2
1−
dt = 2(t − log t) = 2(3 − log 3 − 2 + log 2) = 2 + log .
t
9
x
1 1+
2
2
Es ist ebenfalls möglich x als eine Funktion in t zu schreiben, das weitereR Vorgehen
ist
√
2
2
dann wie im obigen Fall. Nehmen wir als ein Beispiel einmal das Integral
a − x dx
mit a > 0. Hier ist die Substitution nicht so naheliegend, es funktioniert
x = a sin t =⇒
dx
= a cos t =⇒ dx = a cos t dt
dt
59
§13
Vorkurs Mathematik 2009
und somit
Z p
Z √
Z p
2
2
2
2
2
2
a − x dx =
a − a sin ta cos t dt = a
1 − sin2 t cos t dt
Z
Z
1 + cos(2t)
a2
sin(2t)
2
2
2
=a
cos t dt = a
dt =
t+
.
2
2
2
Verwenden wir noch
x
2x
t = arcsin und sin(2t) = 2 sin t cos t =
a
a
so wird
Z √
a2 − x2 dx =
r
1−
x2
2x √ 2
=
a − x2
a2
a2
x 1 √
a2
arcsin
+ x a2 − x 2 .
2
a
2
Aufgaben
Z
Aufgabe 66: Berechnen Sie
dx
.
1 + ex
Z
Aufgabe 67: Berechnen Sie
arcsin x dx.
Z
Aufgabe 68: Berechnen Sie
§13
(log x)2 dx.
Die komplexen Zahlen
Die komplexen Zahlen traten erstmalig als ein rechnerischer Trick bei der Lösung
der Gleichungen dritten und vierten Grades auf. Bei den Lösungsformeln dieser Gleichungen, den sogenannten Cardano-Formeln, müssen als Zwischenergebnisse unter anderem Wurzeln aus negativen Zahlen gezogen werden. Rechnet man mit diesen einfach
normal weiter, so verschwinden sie am Ende der Rechnung
√ und√man erhält die
√ wieder
gesuchten reellen Lösungen (sofern vorhanden). Wegen −a = −1 · a, a > 0 reicht
es die Wurzel aus −1 ziehen zu können, und für diese schreibt man i, also i2 = −1.
Dann ist zum Beispiel
(1 + i)(1 + 2i) = 1 + 3i + 2i2 = 3i − 1, (i2 + i + 1)(1 + i) = i(1 + i) = i − 1,
wenn man wie schon gesagt ganz normal rechnet, nur eben mit i2 = −1. Allgemein
ergibt sich das Produkt als
(a1 + b1 i) · (a2 + b2 i) = a1 a2 + (a1 b2 + a2 b1 )i + b1 b2 i2 = a1 a2 − b1 b2 + (a1 b2 + a2 b1 )i.
60
§13
Vorkurs Mathematik 2009
Für Summen und Produkte kommt man mit Termen der Form a + ib, a, b ∈ R aus,
höhere Potenzen von i bringen wegen i2 = −1, i3 = −i, i4 = 1, i5 = i und so weiter
nichts neues. Man kan auch dividieren, dies erfordert nur einen kleinen Trick
1
3 − 2i
3 − 2i
3
2
=
=
=
− i.
2
3 + 2i
(3 + 2i)(3 − 2i)
9 − 4i
13 13
Diese Überlegungen führen dazu das man überhaupt jede komplexe Zahl in der Form
a + ib mit a, b ∈ R schreiben kann.
Beispiele:
√
√
√
√
√
√
√
√
1. (2 + 3i)(3 − 2i) = (6 − 6i2 ) + i(3 3 − 2 2) = (6 + 6) + (3 3 − 2 2)i.
q
q
q
√
√
√
√
√
2. 3 + 7i 3 − 7i = (3 + 7i)(3 − 7i) = 9 + 7 = 4.
3. 3a + 4bi + 4a − 3bi = (3a + 4bi)(4a + 3bi) + (4a − 3bi)(4a − 3bi)
4a − 3bi 4a + 3bi
(4a − 3bi)(4a + 3bi)
1
2
2
2
2
(12a
=
−
12b
)
+
i(16ab
+
9ab)
+
(16a
−
9b
)
−
i(12ab
+
12ab)
16a2 + 9b2
7(4a2 − 3b2 ) + iab
1
2
2
(28a
.
=
−
21b
)
+
iab
=
16a2 + 9b2
16a2 + 9b2
5−i
(5 − i)(6 + i)
4. (5 − i)(6 − i) +
= (29 − 11i) +
6−i
(6 − i)(6 + i)
31 − i
1104 408
= 29 − 11i +
=
−
i.
37
37
37
Aufgaben
1
.
1+i
Aufgabe 70: Berechnen Sie über den Ansatz z = x + iy ein z ∈ C mit z 2 = i.
Aufgabe 69: Berechnen Sie (1 + i)2 und
Es stellt sich natürlich die Frage warum das überhaupt funktionieren sollte. Die übliche
Methode die komplexen Zahlen exakt einzuführen führt über die sogenannte Gaußsche
Zahlenebene. Hier stellt man sich die komplexen Zahlen als die Punkte der Ebene vor,
wobei der Punkt (x, y) ∈ R2 gleich der komplexen Zahl x+iy sein soll. Auf den Punkten
der Ebene definiert man dann Addition und Multiplikation durch
(a1 , b1 ) + (a2 , b2 ) := (a1 + a2 , b1 + b2 ),
(a1 , b1 ) · (a2 , b2 ) := (a1 a2 − b1 b2 , a2 b1 + a1 b2 ).
Denken wir uns dann R als die x-Achse, also x = (x, 0) für x ∈ R, so haben wir das
Element i := (0, 1) mit i2 = (−1, 0) = −1. Sei z = a + ib ∈ C mit a, b ∈ R. Dann heißt
61
§13
Vorkurs Mathematik 2009
a der Realteil und b der Imaginärteil von z, a = Re√
z, b = Im z. Die Zahl z := a − ib
heißt die zu z konjugiert komplexe Zahl und |z| := a2 + b2 der Betrag von z. Es ist
z · z = |z|2 . Mit dieser Bezeichnung haben wir
1
z
z
=
= 2.
z
zz
|z|
für jedes z ∈ C. Mit diesen Informationen können wir auch eine erste geometrische
Aussage über die Multiplikation komplexer Zahlen herleiten, wir wollen den Betrag
|zw| eines Produktes berechnen. Für z = x + iy und w = u + iv haben wir zunächst
zw = xu − yv + i(xv + yu) = xu − yv − i(xv + yu)
= xu − (−y)(−v) + i(x(−v) + (−y)u) = (x − iy) · (u − iv) = z · w.
Damit ergibt sich weiter |zw|2 = zzww = zz · ww = |z|2 |w|2 =⇒ |zw| = |z| · |w|. Beim
Multiplizieren komplexer Zahlen multiplizieren sich also die Beträge.
Die Addition komplexer Zahlen ist die Vektoraddition im Parallelogramm, wie sie Ihnen vielleicht
noch aus der Vektorrechnung bekannt ist. Auch die
Multiplikation komplexer Zahlen hat eine geometrische Interpretation. Hierzu erinnern wir uns an
die Besprechung der trigonometrischen Funktionen
aus §8. Wir hatten gesehen das der Punkt
e(φ) = (cos φ, sin φ) = cos φ + i sin φ
mit φ im Gegenuhrzeigersinn um den Einheitskreis
läuft. Multiplizieren wir zwei dieser Punkte, so ergibt sich mit Hilfe der Additionstheorem des Sinus und Cosinus
e(φ) · e(ψ) = (cos φ + i sin φ) · (cos ψ + i sin ψ)
= cos φ cos ψ − sin φ sin ψ + i(cos φ sin ψ + sin φ cos ψ)
= cos(φ + ψ) + i sin(φ + ψ) = e(φ + ψ).
Multiplikation der e(φ) wird also durch Addition der
Winkel erreicht. Diese Beobachtung kann man noch etwas ausdehnen. Jede komplexe Zahl z ∈ C = R2 kann
man ja in der Form z = re(φ) schreiben, wobei r = |z|
der Abstand von z zu Null ist und φ der Winkel von
z gegen die x-Achse ist. Man nennt den Winkel φ auch
das Argument der komplexen Zahl z, und normiert ihn
beispielsweise auf −π < φ ≤ φ. Die Zahlen r und φ zusammen heißen die Polarkoordinaten der komplexen Zahl
z.
62
z = r e( φ )
e( φ )
φ
§14
Vorkurs Mathematik 2009
In Polarkoordinaten hat die Multiplikation in C die Gestalt
(re(φ)) · (se(ψ)) = rse(φ + ψ),
d.h. Längen multiplizieren
√ sich und die Winkel addieren sich. Als ein Beispiel wollen
wir erneut die Wurzel i berechnen. Die Zahl i hat die Polarkoordinaten
r = 1 und
√
φ = π/2, und setzen wir die Wurzel in Polarkoordinaten
√ an, also i = se(ψ), so
2
2
brauchen wir i = (se(ψ)) = s e(2ψ), wir können also s = r = 1 und ψ = φ/2 = π/4
verwenden, und erhalten als Wurzel
√
π
π
1√
i = e(π/4) = cos + i sin =
2(1 + i).
4
4
2
§14
Aussagenlogik
Mathematische Aussagen sind wahr ( 1“ oder w“) oder falsch ( 0“ oder f“), eine
”
”
”
”
dritte Möglichkeit wird ausgeschlossen. Dieses Prinzip wird manchmal als Tertium
”
non datur“ bezeichnet. Eine Aussageform ist ein Aussagesatz mit einer, oder auch
mehreren, freien Variablen, für sich genommen ist dies weder wahr noch falsch. Es
wird eine Aussage daraus, wenn man für die Variablen konstante Werte einsetzt.
Aussagen
7 ist eine Primzahl
w
7 ist eine gerade Zahl f
7<3
f
Aussageform x2 + 2x + 1 = 0:
für x = −1 w
für x = +1 f
Es wird nur verlangt das eine Aussage wahr oder falsch ist, aber nicht das bekannt ist
welcher der beiden Fälle zutrifft. Beispielsweise sind
• Die 104000 -te Nachkommastelle von π ist eine 7.
n
• Es gibt eine Fermat-Primzahl (das sind Primzahlen der Form 22 + 1), die größer
als 65537 = 216 + 1 ist.
• Es gibt beliebig große natürliche Zahlen n so, dass unter den ersten n Nachkommastellen von π die 7 genauso oft wie die 3 vorkommt.
alles Aussagen, aber von keiner von diesen ist bekannt ob sie wahr oder falsch ist. Bei der
dritten spricht sogar einiges dafür das man dies nie wissen wird (und es glücklicherweise
auch gar nicht wissen will).
Zunächst ist offen, ob es überhaupt Werte gibt, für die eine Aussageform wahr wird.
Zu einer Aussageform A(x) mit freier Variablen x und einer Menge M kann man die
folgende sogenannte Existenzaussage bilden:
∃(x ∈ M ) : A(x) meint es existiert ein x ∈ M so, dass A(x) wahr ist“.
”
63
§14
Vorkurs Mathematik 2009
Das Zeichen ∃“ wird als ein Existenzquantor bezeichnet. Die exakte Syntax einer
”
Existenzaussage ist in der real praktizierten Mathematik nicht besonders streng festgelegt, man findet zum Beispiel auch ∃x ∈ M : A(x)“ und ähnliches. In einem eher
”
informellen Kontext, wie zum Beispiel an der Tafel während einer Vorlesung, wird
der Existenzquantor manchmal auch hinter A(x) geschrieben. In Übungsaufgaben und
ähnlichen sollte man dies besser sein lassen.
Beispiele:
∃x ∈ R x + 1 = 0
w (wähle x = −1)
∃x ∈ R x2 + 4x + 4 = 0 w (wähle x = −2)
∃x ∈ R x2 + 1 = 0
f (x2 ≥ 0 ⇒ x2 + 1 ≥ 1 > 0)
Weiter gibt es eine Universalaussage, manchmal auch Allaussage“ genannt:
”
∀(x ∈ M ) : A(x) meint für alle x ∈ M ist A(x) wahr“.
”
Beispiele:
∀x ∈ [1, ∞[ x2 > x w
∀x ∈ R
x2 > x f (02 = 0 6> 0)
Man kann auch Aussagen mit mehreren geschachtelten Quantoren bilden, zum Beispiel
∀(n ∈ N)∃(m ∈ N) : n < m
in Worten für jede natürliche Zahl n ∈ N existiert eine natürliche Zahl m ∈ N mit
”
n < m“. Dies ist wahr, da wir zu gegebenen n ∈ N etwa m = n + 1 verwenden können.
Bei geschachtelten Quantoren kommt es auf die Reihenfolge an, beispielsweise bedeutet
∃(m ∈ N)∀(n ∈ N) : n < m
das es eine natürliche Zahl m ∈ N gibt, die größer als alle natürliche Zahlen ist, was
natürlich hoffnungslos falsch ist.
Die Negation, oder Verneinung, einer Aussage A ist die Aussage ¬A mit umgekehrtem
Wahrheitswert, d.h. ¬A ist wahr wenn A falsch ist und umgekehrt. Probleme tauchen
oft bei der Verneinung von Existenz- und Allaussagen aus. Überlegehn wir uns einmal
was die Verneinung einer Existenzaussage ∃(x ∈ M ) : A(x)“ bedeutet. Es soll also
”
kein x ∈ M geben für das A(x) wahr ist, d.h. wann immer x ∈ M ein Element von M
ist, so soll A(x) falsch sein, also ¬A(x) wahr sein. In anderen Worten soll die Aussage
¬A(x) für jedes x ∈ M wahr sein, und dies bedeutet ∀(x ∈ M ) : ¬A(x). Damit haben
wir
¬∃(x ∈ M ) : A(x) ist gleichbedeutend mit ∀(x ∈ M ) : ¬A(x).
Ebenso kann man sich
¬∀(x ∈ M ) : A(x) ist gleichbedeutend mit ∃(x ∈ M ) : ¬A(x)
64
§14
Vorkurs Mathematik 2009
überlegen.
Konjunktion und Disjunktion
Die Konjunktion zweier Aussagen A, B, geschrieben als A ∧ B und gesprochen als
A und B“, ist genau dann wahr, wenn beide Aussagen wahr sind.
”
Die Disjunktion zweier Aussagen A, B, geschrieben als A ∨ B und gesprochen als
A oder B”, ist genau dann wahr, wenn eine Aussage der Aussagen A, B wahr ist. Mit
”
eine“ ist hier mindestens eine“ gemeint, es handelt sich also um ein einschließendes
”
”
oder bei dem auch A und B zugleich wahr sein dürfen. Dies unterscheidet sich etwas
vom normalen Sprachgebrauch wo meist das ausschließende oder gemeint ist. In der
Mathematik kommt dies aber vergleichsweise selten vor, so dass es noch nicht einmal
ein allgemein verwendetes Symbol dafür gibt. Oft werden Konjunktion und Disjunktion
auch in Form von Wahrheitstafeln geschrieben
@A
A ∨ B: B
@ f w
f f w
w w w
A
A ∧ B: @
B @ f w
f f f
w f w
Der letzte dieser logischen Junktoren ist die Implikation A ⇒ B, gesprochen als aus
”
A folgt B“ oder A impliziert B“. Diese ist wahr wenn B aus A folgt, und die Wahr”
heitstafel ist
A
A ⇒ B: @
B @ f w
f w f
w w w
Beachte das aus einer falschen Aussage alles, also sowohl wahre als auch falsche Aussagen, folgen. Dies scheint zunächst etwas merkwürdig zu sein, aber es gibt gute Gründe
für diese Festlegung:
1. Es deckt sich mit der umgangssprachlichen Verwendung in den Fällen in denen
eine Implikationsaussage überhaupt sinnvoll ist. Umgangssprachlich würde man
eine Aussage der Form Wenn morgen das Hörsaalgebäude einstürzt, so fällt die
”
Vorlesung aus“, als wahr betrachten unabhängig davon ob das Gebäude morgen noch steht, selbst dann wenn die Vorlesung trotz eines in bestem Zustand
befindlichen Hörsaals ausfällt.
2. Ein weiterer Grund für die angegebene Interpretation der Implikation, der für die
Mathematik auch erheblich schwerwiegender ist, sind Implikationen in Allaussagen. Beispielsweise sollte die Allaussage
∀(x ∈ R) : x2 = 4 =⇒ |x| ≤ 2
wahr sein. Für x 6= ±2 ist hier die linke Seite der Implikation falsch, die rechte
kann aber wahr oder falsch sein, beispielsweise wahr für x = 0 aber falsch für
x = 3.
65
§14
Vorkurs Mathematik 2009
3. Die Interpretation deckt sich auch mit dem rechnerischen Schließen. Aus −1 = 1
(falsch) folgte durch Quadrieren 1 = 1 (wahr), durch kubische Potenzbildung
aber (−1)3 = 13 , d.h. −1 = 1 (falsch).
Schließlich gibt es noch die Äquivalenz A ⇔ B und diese bedeutet die Gültigkeit
beider Implikationen A ⇒ B und B ⇒ A. Man kann Implikation auch in Termen von
Verneinung und oder“ beschreiben, es gilt nämlich für alle Aussagen A, B stets
”
A ⇒ B ⇐⇒ (¬A) ∨ B.
Dies kann man am leichtesten durch eine sogenannte Wahrheitstabelle überprüfen, bei
der alle Möglichkeiten für die Wahrheitswerte von A und B systematisch durchgegangen
werden.
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
A⇒B
w
f
w
w
(¬A) ∨ B
w
f
w
w
Wir wollen noch einige Beispiele zu den logischen Junktoren durchgehen. Dabei seien
a, b, c ∈ R drei reelle Zahlen.
1. Wir betrachten die Aussagen
A : a < c,
B : b < c.
Dann bedeutet
A∧B :
max{a, b} < c und A ∨ B :
min{a, b} < c.
Denn A ∧ B bedeutet das A und B beide wahr sind, das also sowohl a < c als
auch b < c gilt, und dies ist offenbar genau dann der Fall wenn die größere der
beiden Zahlen a und b kleiner als c ist. Die größere der beiden Zahlen a und b
schreibt man dabei als max{a, b}. Ebenso bedeutet A ∨ B das eine der beiden
Aussagen A, B wahr ist, das also a < c oder b < c ist. Dies ist genau dann der
Fall wenn die kleinere der beiden Zahlen a und b kleiner als c ist, und die kleinere
der Zahlen a und b schreibt man als min{a, b}.
2. Diesmal seien
A : a ≤ b,
B : b ≤ c.
Dann ist
A∧B :
b ∈ [a, c] und b ∈] − ∞, c] ∪ [a, ∞[.
Denn A ∧ B heißt a ≤ b ≤ c, also b ∈ [a, c]. Die Disjunktion ist etwas unschöner,
hier soll b ≤ c also b ∈] − ∞, c] oder b ≥ a also b ∈ [a, ∞[ sein.
66
§15
Vorkurs Mathematik 2009
Weiter hatten wir die Implikation A ⇒ B eingeführt. In solch einer Implikation nennt
man die linke Seite A oft die Voraussetzung, oder Prämisse, der Implikation und die
rechte Seite B die Behauptung, oder Konklusion, der Implikation. Eine weitere Sprechweise ist üblich. Ist die Implikation A ⇒ B wahr, so heißt
A eine hinreichende Bedingung für B, und
B eine notwendige Bedingung für A,
denn wenn A wahr sein soll, so muss auch B wahr sein. Nehmen wir ein einfaches
Beispiel: A:
B:
A⇒B
6 teilt n
3 teilt n
ist wahr da 3 ein Teiler von 6 ist
Hier ist 6 ist ein Teiler von n“ hinreichend für 3 ist ein Teiler von n“ und 3 ist ein
”
”
”
Teiler von n“ notwendig dafür das 6 ist ein Teiler von n“ gilt.
”
Die Äquivalenz A ⇔ B bedeutet das A notwendig und hinreichend für B ist. Zum
Abschluß wollen wir noch das sogenannte Kontrapositionsprinzip festhalten
Kontrapositionsprinzip:
A⇒B
⇐⇒
(¬B) ⇒ (¬A).
Tatsächlich ist A ⇒ B gleichwertig zu (¬A) ∨ B und (¬B) ⇒ (¬A) ist ebenfalls
gleichwertig zu (¬¬B) ∨ (¬A) = B ∨ (¬A) = (¬A) ∨ B.
§15
Direkte und indirekte Beweise
Mathematik ist keine empirische Wissenschaft, die Wahrheit mathematischer Aussagen wird nicht durch Experimente oder die Erhebung von Daten entschieden, sondern
ausschließlich durch Beweise der betreffenden Aussagen. Von einigen Grundaussagen
abgesehen haben alle mathematischen Aussagen die Form einer Implikation. Ein solcher
Beweis dient dazu
1. wie schon gesagt die Wahrheit der Aussage festzustellen.
2. die fragliche Aussage zu erklären. Insbesondere kann es durchaus sinnvoll sein
verschiedene Beweise und und derselben Aussage zu haben, wenn diese den untersuchten Sachverhalt von unterschiedlichen Standpunkten aus beleuchten.
Im Gegensatz zur umgangssprachlichen Verwendung des Wortes Beweis“ ist ein Beweis
”
mehr als nur eine überzeugende Begründung des behaupteten Sachverhalts, es muss
sich um eine wirklich lückenlose und vollständige Herleitung handeln. Dagegen dient
ein Beweis nicht zur Erläuterung wie man auf die fragliche Herleitung oder die Aussage
selbst gekommen ist, er soll keine Dokumentation der angestellten Überlegungen sein.
67
§15
Vorkurs Mathematik 2009
Was unter lückenlos“ zu verstehen ist, hängt vom intendierten Leserkreis eines
”
Beweises ab. Die meisten Lehrbücher und sonstigen Bücher zur Mathematik erwarten
eine aktive Mitarbeit des Lesers, je nach Anspruch und erwarteten Vorkenntnissen
werden viele Beweisdetails fortgelassen und sollten vom jeweiligen Leser rekonstruiert
werden können. Lehrbücher zu den Grundvorlesungen und die Vorlesungen selber sind
zwar deutlich detaillierter, erwarten aber weiterhin aktive Beschäftigung mit dem Stoff.
Wir wollen hier zunächst ein Beispiel eines direkten Beweises vorstellen, und verbinden dies mit einigen Hinweisen zur Bearbeitung von Übungsaufgaben. Unter einem
direkten Beweis versteht man dabei eine Schlußkette die mit den Voraussetzungen beginnt und in einigen Schritten daraus die Behauptung herleitet. Nehmen wir an die
gestellte Aufgabe ist:
a+b √
Zeigen Sie: Für alle a, b ∈ R≥0 gilt
≥ ab.
2
Wir wollen in mehreren Schritten eine abgabefähige Lösung dieser Aufgabe entwickeln.
Als ersten Schritt sollten Sie alle für die Aufgabe relevanten Definitionen sowie die
bereits bekannten Tatsachen zusammentragen, wenn man nicht ausreichend genau weiß
worum es eigentlich geht, wird es auch schwer fallen eine Lösung zu finden. In diesem
Beispiel ist in diesem Schritt nicht viel zu tun, man kann sich höchstens noch einmal
klar machen was die Wurzel bedeutet. Das ist aber eher eine Ausnahme, kompliziertere
Aufgaben können wir hier nicht behandeln.
Nun beginnen Sie nach einer Lösung zu suchen. Wir tun hier so als findet man
gleich den richtigen Ansatz, meist braucht es aber den einen oder anderen Fehlstart
bis man auf dem richtigen Weg ist. Auf Ihrem Schmierzettel könnte sich etwas das
folgende finden:
√
a+b
≥ ab, quadrieren
2
2
2
(a+b)2
= a +2ab+b
≥ ab
4
4
2
2
a + 2ab + b ≥ 4ab
a2 − 2ab + b2 ≥ 0
(a − b)2 ≥ 0, ok
Zum Abgeben ist dies allerdings nicht geeignet, noch ist dies sowohl formal als auch
inhaltlich völlig indiskutabel. Sie sollen nicht nur zeigen das sie die Aufgabe verstanden
haben, sondern auch einen vollständigen Beweis derselben konstruieren können.
Beginnen wir mit den formalen Problemen. Was sind a und b und was soll hier
eigentlich gezeigt werden? Das steht zwar in der Aufgabenstellung, aber das reicht
nicht aus. Es ist ein Teil der Aufgabe zu erkennen was hier die Voraussetzung und was
die Behauptung ist. Vorausgesetzt ist hier das a, b zwei
√ reelle Zahlen mit a, b ≥ 0 sind
und die Behauptung ist die Ungleichung (a + b)/2 ≥ ab. In der auf dem Schmierzettel
angegebenen Rechnung selbst wird dann nicht klargestellt in welchem Zusammenhang
die fünf Zeilen zueinander stehen, das sie zufällig untereinander stehen hat nichts zu
sagen. Als eine zweite Version versuchen wir unser Glück daher mit
68
§15
Vorkurs Mathematik 2009
Voraussetzung: Seien a, b ∈ R mit a, b ≥ 0.
a+b √
Behauptung: Es gilt
≥ ab.
2
Beweis: Es gilt
√
a+b
≥
ab
2
2
2
(a+b)2
=⇒
= a +2ab+b
≥ ab
4
4
=⇒ a2 + 2ab + b2 ≥ 4ab
=⇒ a2 − 2ab + b2 ≥ 0
=⇒ (a − b)2 ≥ 0
Das ist schon ein Fortschritt, aber inhaltlich noch immer falsch. Wir zeigen hier das
aus der zu beweisenden Aussage eine wahre Aussage folgt. Da aber auch aus einer
falschen Aussage etwas wahres folgen kann, folgt daraus nicht die Gültigkeit unserer
Behauptung. Die tabellarische Auflistung von Voraussetzung, Behauptung und Beweis
ist ein bei der Bearbeitung von Übungsaufgaben beliebter Stil. Dass dies in Büchern
und in der Vorlesung nicht so gemacht wird sollte Sie nicht stören, die Lösung einer
Übungsaufgabe soll kein Vorlesungsskript oder Buchmanuskript sein. Beachten Sie weiter, dass wir die Voraussetzung als Seien a, b ∈ R mit a, b ≥ 0“ geschrieben haben,
”
und nicht etwa nur a, b ∈ R, a, b ≥ 0“ oder ähnliches. Anders als in der Schule soll
”
ein Beweis keine Abfolge von Formeln sein, sondern in vollständigen Sätzen formuliert
werden. Das verwendete Wort Seien“ führt die beiden Variablen a und b ein.
”
Jede verwendete Bezeichnung muss vorher eingeführt werden. Dies wird in Übungen,
zumindest im ersten Semester, strikter gehandhabt als etwa in der Vorlesung. Neben
den inhaltlichen Aussagen ist es eine Funktion von Übungsaufgaben die Formalien der
mathematischen Notation zu lernen, daher werden formale Fragen zu Beginn recht
streng bewertet. In einigen Aufgaben in den frühen Aufgabenblätter kann es sogar fast
nur um Formalien gehen, das läßt mit Fortschreiten des Semesters dann aber nach.
Kommen wir zur Verbesserung unserer vorgeschlagenen Lösung zurück. Wie bereits
bemerkt ist hier die Schlußreihenfolge falsch, es wird etwas aus der Behauptung gefolgert, und nicht auf die Behauptung geschlossen wie es eigentlich sein sollte. Man kann
jetzt die Implikationen ⇒“ durch Äquivalenzen ⇔“ ersetzen, aber solche Ketten von
”
”
Äquivalenzumformungen werden normalerweise nur sehr sparsam verwendet. Außerdem ist nach dieser Äquivalenz gar nicht gefragt worden, wir wollen nur die Gültigkeit
der obersten Zeile, d.h. wir wollen eigentlich keine Äquivalenz sondern jeweils von unten
nach oben schließen. Daher wird die ganze Schlußkette umgedreht, man beginnt also
mit der untersten Zeile (a − b)2 ≥ 0 und schhließt von unten nach oben auf die Behauptung. Erinnern Sie sich daran das ein Beweis keine Dokumentation Ihrer Überlegungen
ist, daher schreibt man tatsächlich die logische Folgerungsreihenfolge, von unten nach
oben, hin, auch wenn dies die angestellten Überlegungen etwas verschleiert.
Weiter gibt es noch einen kleinen formalen Kritikpunkt. Die obige großzügige Verwendung logischer Zeichen wie ⇒“ ist außerhalb der Tafel nicht üblich, man sollte
”
diese besser als einen Text hinschreiben. Damit kommen wir zur folgenden dritten
Version, die all diese Punkte berücksichtigt:
69
§15
Vorkurs Mathematik 2009
Voraussetzung: Seien a, b ∈ R mit a, b ≥ 0.
a+b √
Behauptung: Es gilt
≥ ab.
2
Beweis: Da Quadrate niemals negativ sind haben wir (a − b)2 ≥ 0
und wegen (a − b)2 = a2 − 2ab + b2 liefert dies a2 − 2ab + b2 ≥ 0.
Addition mit 4ab zeigt a2 + 2ab + b2 ≥ 4ab und somit ist auch
(a + b)2
a2 + 2ab + b2
=
≥ ab.
4
4
Die Monotonie der Wurzel ergibt wegen (a + b)/2 ≥ 0 schließlich
die Behauptung
a+b √
≥ ab.
2
Das kann man so abgeben, und es ist auch schon eine korrekte Lösung. Man kann das
ganze aber auch noch ein klein wenig weiter ausarbeiten und versuchen das Argument
weiter zu reduzieren. Der Kern des ganzen ist die Gleichung (a + b)2 − 4ab = (a − b)2
und man kann die Folgerungskette in eine Gleichungskette umwandeln, in der diese
Gleichung der entscheidende Schritt ist. Dies führt auf nächste und finale Version
Voraussetzung: Seien a, b ∈ R mit a, b ≥ 0.
a+b √
≥ ab.
Behauptung: Es gilt
2
Beweis: Es ist
(a + b)2 − 4ab = a2 + 2ab + b2 − 4ab = a2 − 2ab + b2 = (a − b)2 ,
und mit (a + b)/2 ≥ 0 sowie der Monotonie der Wurzel ergibt sich
a+b
=
2
r
r
(a + b)2
(a + b)2
=
− ab + ab
4r
4
r
√
(a + b)2 − 4ab
(a − b)2
=
+ ab =
+ ab ≥ ab.
4
4
Wie bereits bemerkt war dies ein Beispiel eines direkten Beweises. Der andere grundlegende Beweistyp ist der indirekte Beweis, der oft auch als Beweis durch Widerspruch
bezeichnet wird. Bei einem Widerspruchsbeweis hat man eine zu beweisende Aussage
A. Man nimmt dann an, dass A nicht wahr wäre. Unter Verwendung der Annahme ¬A,
sowie der sonstigen Voraussetzungen, wird dann sowohl eine Aussage B als auch die
Verneinung ¬B hergeleitet. Dies ist aber unmöglich, da nicht gleichzeitig B und ¬B
wahr sein können. Dieser Widerspruch zeigt dann das unsere Startannahme ¬A falsch
sein muss, d.h. die Aussage A ist wie gewünscht wahr.
√
Das Urbeispiel eines Widerspruchsbeweises ist die Irrationalität von 2. Die zu
beweisende Aussage ist hier
√
A:
2∈
/ Q.
70
§16
Vorkurs Mathematik 2009
√
Nehmen wir also an A wäre falsch, d.h. es ist
√ 2 ∈ Q. Da rationale Zahlen definitions2 > 0 ist, gibt es dann natürliche Zahlen
gemäß Brüche ganzer Zahlen
sind,
und
da
√
p, q ∈ N mit p, q ≥ 1 und 2 = p/q. Durch Auskürzen kann man weiter annehmen das
p und q keine gemeinsamen Teiler haben. Dies ist dann unsere Aussage
B:
p und q haben keine gemeinsamen Teiler.
Wir werden dann zeigen das auch ¬B gilt, dass p und q also doch einen gemeinsamen
Teiler haben müssen. Hierzu rechnen wir
2
√ 2
p
p2
2= 2 =
= 2,
q
q
und somit ist auch p2 = 2q 2 . Damit ist p2 ein Vielfaches von 2, also gerade. Andererseits
sind Produkte ungerader Zahlen wieder ungerade, und damit muss p selbst gerade sein,
da sonst p2 ungerade wäre. Damit erhalten wir die natürliche Zahl
r :=
p
∈N
2
mit p = 2r. Setzen wir dies in unsere Gleichung ein, so folgt
2q 2 = p2 = (2r)2 = 4r2 ,
also auch q 2 = 2r2 . Genau wie bei p muss q damit gerade sein. Somit ist 2 aber ein
gemeinsamer
√ Teiler von p und q, wir haben also ¬B. Dies ist ein Widerspruch, und
somit ist 2 tatsächlich irrational.
§16
Die vollständige Induktion
Die vollständige Induktion ist ein Beweisverfahren, um Aussagen über alle natürlichen
Zahlen ab einer gewissen Zahl n0 ∈ N zu beweisen, etwa die Richtigkeit der Aussage
A(n) für alle n ∈ N mit n ≥ 1
A(n) :
1 + 2 + 3 + ... + n =
n(n + 1)
.
2
Interpretieren wir die bei n = 0 auftretende leere Summe als Null, so ist dies auch für
n = 0 wahr, wir wollen diesen Randfall aber der Deutlichkeit halber ausschließen. Der
Induktionsbeweis erfolgt in zwei Schritten:
1. Induktionsanfang: Es wird gezeigt, dass die Aussage A(n0 ) für einen Startwert
n0 ∈ N gilt. In unserem Beispiel ist n0 = 1, denn wir wollen die Aussage für alle
n ≥ 1 beweisen.
71
§16
Vorkurs Mathematik 2009
2. Induktionsschritt: Unter der Voraussetzung, dass für ein n ∈ N mit n ≥ n0 die
Aussage A(n) gilt, wird die Aussage A(n + 1) gezeigt. Es wird also A(n) ⇒
A(n + 1) für alle n ∈ N mit n ≥ n0 bewiesen.
Der Induktionsschritt hat damit die drei Bestandteile
(a)
(b)
(c)
Induktionsvoraussetzung: A(n) gilt.
Induktionsbehauptung:
Es wird behauptet, dass A(n + 1) richtig ist.
Induktionsbeweis:
Aus A(n) wird A(n + 1) hergeleitet.
Führen wir dies einmal alles in unserem obigen Beispiel
A(n) :
1 + 2 + 3 + ... + n =
n(n + 1)
2
mit n0 = 1 durch. Der Induktionsanfang ist
A(1) :
1=
1 · (1 + 1)
,
2
was sicherlich wahr ist. Wir kommen zum Induktionsschritt. Sei also n ∈ N mit n ≥ 1
und es gelte, dass 1 + . . . + n = n(n+1)
, also A(n), wahr ist. Wir müssen einsehen das
2
auch A(n + 1), also
1 + . . . + (n + 1) =
(n + 1)((n + 1) + 1)
(n + 1)(n + 2)
=
2
2
wahr ist. Mit der Induktionsvoraussetzung ergibt sich
1 + . . . + (n + 1) = (1 + . . . + n) + (n + 1) =
n(n + 1)
n(n + 1) + 2(n + 1)
+ (n + 1) =
2
2
(n + 1)(n + 2)
=
,
2
und der Induktionsschluß ist durchgeführt. Per vollständiger Induktion ist damit A(n)
für alle n ∈ N bewiesen.
Überlegen wir uns kurz warum die Induktion hier funktioniert. Wir haben A(1)
direkt nachgerechnet. Weiter A(n) ⇒ A(n + 1) für alle n ≥ 1. Mit n = 1 wissen wir
insbesondere A(1) ⇒ A(1 + 1) = A(2), d.h. A(2) ist wahr. Mit n = 2 haben wir dann
auch A(2) ⇒ A(2 + 1) = A(3) und auch A(3) ist wahr. So fortfahrend sind dann
auch A(4), A(5), . . ., und immer so weiter, wahr. Da wir so bei jeder natürlichen Zahl
n ≥ 1 vorbeikommen ist A(n) für jedes n ≥ 1 wahr. Dies sollte Sie von der Gültigkeit
der Methode der vollständigen Induktion überzeugen. Es ist allerdings kein exaktes
Argument für diese, da wir das Problem in dem harmlos aussehenden und so weiter“
”
versteckt haben.
Als Startwert n0 ist jede natürliche Zahl zugelassen, meist wird aber n0 = 0 oder
n0 = 1 genommen. Wir wollen jetzt ein zweites Beispiel besprechen bei dem mal ein
72
§16
Vorkurs Mathematik 2009
anderes n0 vorkommt, nämlich n0 = 5. Wir behaupten das für alle n ∈ N mit n ≥ 5
stets 2n > n2 ist, also
A(n) : 2n > n2 .
Für die kleinen Zahlen n = 2, 3, 4 ist dies falsch, für n = 0, 1 aber wieder richtig.
Der Induktionsanfang ist bei n0 = 5, also 25 = 32 > 52 = 25. Wir kommen zum
Induktionsschluß, sei also n ∈ N mit n ≥ 5 und 2n > n2 gegeben. Da insbesondere
n ≥ 3 ist haben wir dann
n2 = n · n ≥ 3n = 2n + n > 2n + 1.
Es folgt
2n+1 = 2 · 2n > 2n2 = n2 + n2 > n2 + 2n + 1 = (n + 1)2 ,
und wir haben auch A(n + 1). Per Induktion ist unsere Aussage damit bewiesen.
In den allermeisten Fällen ist der Induktionsanfang wie in diesen Beispielen eine
recht banale Angelegenheit. Trotzdem ist er unverzichtbar, der Induktionsschluß kann
auch bei falschen Aussagen funktionieren. Nehmen wir einmal die offensichtlich unsinnige Aussage n > n + 1 als unser A(n). Ist dann n ∈ N mit A(n), also n > n + 1,
so folgt durch Addition mit Eins auch n + 1 > (n + 1) + 1, also A(n + 1). Der Induktionsschluß ist hier also problemlos möglich, der Anfang natürlich nicht. Dies ist
kein seltenes Phänomen, nehmen Sie einmal an die Aussage A(n) ist für jedes n ∈ N
falsch. Da aus falschem alles folgt, gilt dann A(n) ⇒ A(n + 1) für jedes n ∈ N, der
Induktionsschluß funktioniert also immer wenn die Aussage A(n) niemals richtig ist.
Abschnittsinduktion
Es gibt einige Induktionsvarianten von denen die häufigste die sogenannte Abschnittsinduktion ist. Diese ist kein eigenständiges Beweisverfahren, sondern kann aus dem
Induktionsprinzip hergeleitet werden, auch wenn wir dies hier nicht tun wollen. Als ein
Beispiel nehmen wir die folgende Aussage:
A(n) :
n ist ein Produkt von Primzahlen.
Wir wollen beweisen das dies für alle n ≥ 2 wahr ist (auch für n = 1 wenn wir
1 als ein Produkt von Null Primzahlen interpretieren). Eine Induktion funktioniert
nicht, ist n als ein Produkt von Primzahlen geschrieben, so können wir über n + 1
so direkt nichts rechtes sagen. Bei der Abschnittsinduktion wird der Induktionsschluß
etwas abgeändert, man zeigt nicht A(n) ⇒ A(n + 1) sondern
A(n0 ) ∧ A(n0 + 1) ∧ . . . ∧ A(n − 1) =⇒ A(n)
für jedes n > n0 . Man muss also zeigen das aus der Gültigkeit von A(k) für alle
natürlichen Zahlen n0 ≤ k < n auch die Gültigkeit von A(n) folgt. Den Induktionsanfang A(n0 ) braucht man weiter.
Benutzen wir dies einmal für unser Primzahlbeispiel. Hier ist n0 = 2. Der Induktionsanfang A(2) besagt das 2 ein Produkt von Primzahlen ist, und dies ist wahr, 2 ist
73
§16
Vorkurs Mathematik 2009
ja selbst eine Primzahl. Wir kommen zum Induktionsschluß. Sei also n ∈ N mit n ≥ 3
und nehme an das jede natürliche Zahl 2 ≤ k < n ein Produkt von Primzahlen sei. Es
gibt zwei mögliche Fälle.
Entweder ist n selbst eine Primzahl und dann ist n sicherlich auch ein Produkt
von (einer) Primzahl. Andernfalls ist n keine Primzahl. Dies bedeutet das man n als
ein Produkt zweier natürlicher Zahlen a, b ≥ 2 schreiben kann, d.h. es gibt a, b ∈ N
mit a, b ≥ 2 und n = ab. Insbesondere ist dann auch a, b < n und nach unserer
Induktionsannahme sind a und b beides Produkte von Primzahlen. Damit ist aber
auch n = ab ein Produkt von Primzahlen. Per Abschnittsinduktion ist die Aussage
damit bewiesen.
Aufgaben
Aufgabe 71: Für jedes n ∈ N mit n ≥ 1 ist die Summe der ersten n ungeraden Zahlen
gleich n2 , d.h. 1 + 3 + · · · + (2n − 1) = n2 .
Binomialkoeffizienten
Die Fakultät einer natürlichen Zahl n, geschrieben als n!, ist definiert als
n! := 1 · 2 · . . . · n, 0! = 1
das Produkt der natürlichen Zahlen von 1 bis n. In der Schule begegnet Ihnen diese
Größe meist während der Wahrscheinlichkeitsrechnung da Fakultäten oft in Anzahlformeln auftauchen.
Seien n, k ∈ N, 0 ≤ k ≤ n. Dann definieren wir den Binomialkoeffi
n
zienten k , gesprochen n über k, als
n
n!
:=
.
k
k!(n − k)!
n
Insbesondere sind n0 = nn = 1 und n1 = n. Es ist nk = n−k
. Die Binomialkoeffizienten erfüllen die folgende Identität
n
n
n+1
+
=
für alle n, k ∈ N mit 1 ≤ k ≤ n.
k
k−1
k
Ein in den ersten Semestern oft anzutreffender Fehler ist es jede Behauptung in der
ein n auftaucht per Induktion beweisen zu wollen. Unsere Behauptung hier kann man
am einfachsten durch direkte Rechnung überprüfen.
Beweis. Es gilt
n
n
n!
n!
n! · (n − k + 1) + n! · k
+
=
+
=
k
k−1
k!(n − k)! (k − 1)!(n − k + 1)!
k!(n + 1 − k)!
n! · (n + 1)
(n + 1)!
n+1
=
=
=
.
k!(n + 1 − k)!
k!(n + 1 − k)!
k
74
§16
Vorkurs Mathematik 2009
In Dreiecksform aufgeschrieben, erhält man das Pascalsche Dreieck.
0
0
.
& 1
1
0
1
.
&
.
& 2
2
2
0
1
2
& .
& .
& .
3
3
3
3
0
1
2
3
Unsere Formel können wir dann folgendermaßen interpretieren: Der k-te Binomialkoeffizient in Zeile n ergibt sich als die Summe des (k − 1)-ten und des k-ten Binomialkoeffizienten in der darüberliegenden (n − 1)-ten Zeile, d.h. als die Summe der beiden
links und rechts über ihm stehenden Binomialkoeffizienten. Auf diese Weise können die
Binomialkoeffizienten rekursiv berechnet werden ohne das es nötig ist, die verschiedenen Fakultäten auszurechnen. Für die kleinen Werte n = 1, 2, 3, 4, 5, 6 erhalten wir die
folgenden Binomialkoeffizienten:
1
1
1
1
1
1
1
2
3
4
5
6
n
1
6
10
15
1
3
1
4
10
20
1
5
15
1
6
1
Der Binomialkoeffizient k gibt die Anzahl der Möglichkeiten wieder, k verschiedene Elemente aus einer Menge von
n Elementen auszuwählen. So ist etwa die Anzahl
49
der Möglichkeiten im Lotto 6 = 13 983 816. Wir wollen diese Tatsache über den
Binomialkoeffizienten jetzt beweisen, also
Behauptung: Sind n, k ∈ N mit 0 ≤ k ≤ n, so ist der Binomialkoeffizient nk gleich
der Anzahl der Möglichkeiten k Elemente aus einer n-elementigen Menge auszuwählen.
Beachten Sie das wir hier keine Voraussetzung der Form Sei n ∈ N, . . .“ machen,
”
dies wäre tatsächlich ein Fehler (zumindest wenn man die üblichen Maßstäbe bei der
Korrektur von Übungsaufgaben anlegt). Die Formulierung Sei n ∈ N“ bedeutet ja
”
das eine natürliche Zahl fixiert und n genannt wird, im folgenden ist n dann eine feste
Zahl. Bei einem Induktionsbeweis will man dies natürlich nicht da n dort eben keine
feste Zahl ist.
75
§16
Vorkurs Mathematik 2009
Beweis. Mit A(n) bezeichnen wir die Aussage für n ∈ N:
n
A(n) : ∀(0 ≤ k ≤ n) :
= Zahl der Auswahlmöglichkeiten von k aus n Elementen.
k
Wir beweisen dies durch Induktion über n ∈ N, wobei n0 = 0 als Startwert verwendet
wird.
Induktionsanfang: Für n = 0 müssen wir nur k = 0 betrachten und es ist 00 =
1. Außerdem gibt es auch genau eine Möglichkeit 0 Elemente aus der leeren Menge
auszuwählen.
Induktionsschritt: Sei n ∈ N und A(n) gelte. Sei 0 ≤ k ≤ n + 1. Wir betrachten
dann eine (n + 1)-elementige Menge und wollen k Elemente davon auswählen. OBdA
sei 1 ≤ k ≤ n; die Fälle k = 0 und k = n + 1 sind trivial. Dabei steht die Abkürzung
oBdA für ohne Beschränkung der Allgemeinheit“ dies meint das es ausreicht den
”
angegebenen Fall zu betrachten. Hier kann man dies tun da die beiden Randfälle k = 0
und k = n + 1 unproblematisch sind. Bei Lösungen von Übungsaufgaben sollten Sie
mit dieser Formulierung gerade zu Beginn sehr sparsam sein, und sie möglichst ganz
vermeiden.
Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Eines der ausgewählten k Elemente ist das (n+1)te, dann müssen noch k − 1 aus den ersten n Elementen ausgewählt werden oder nicht
und dann müssen wir k Elemente aus den ersten n Elementen auswählen. Das ergibt
insgesamt
n
n
n+1
+
=
k−1
k
k
Auswahlmöglichkeiten. Für alle k durchgeführt, ergibt das A(n + 1).
Als ein letztes Beispiel für einen Induktionsbeweis wollen wir die allgemeine binomische
Formel herleiten. Durch Ausmultiplizieren haben wir
(a + b)2 = a2 + 2ab + b2 (Erste binomische Formel)
(a + b)3 = a3 + 3a2 b + 3ab2 + b3
(a + b)4 = a4 + 4a3 b + 6a2 b2 + 4ab3 + b4
und die binomische Formel ist eine allgemeine FormelP
für (a + b)n . Um diese auszusprechen ist es nützlich zuvor das Summationszeichen
einzuführen. Der Term
n
X
ak
k=0
bedeutet: Durchlaufe mit k die Werte k = 0, 1, 2, . . . bis n. Für jeden dieser Werte bilde
ak und addiere all dies auf. Statt von 0 bis n darf k auch über andere Bereiche laufen.
Beispielsweise sind
P4 1
Pn
1
1
1
1
=
+
+
+
,
k=1
k=1 k = 1 + 2 + · · · + n,
k
1
2
3
4
P
Pn
1
1
1
1
1
= 2 + 3 + 5 + 7,
1≤k≤10
k=1 (2k − 1) = 1 + 3 + · · · + (2n − 1)
k
k ist eine Primzahl
76
§16
Vorkurs Mathematik 2009
und so weiter.
Binomischer Satz
Seien a, b ∈ R und n ∈ N. Dann gilt die binomische Formel
n X
n n−k k
n
(a + b) =
a b .
k
k=0
Auch dies wollen wir durch vollständige Induktion beweisen.
Voraussetzung: Seien a, b ∈ R.
Behauptung: Für jedes n ∈ N gilt (a + b)n =
n
P
k=0
n
k
an−k bk .
Beweis: durch vollständige Induktion.
Induktionsanfang: Für n = 0 haben wir (a + b)0 = 1 = 00 a0 b0 wie gewünscht.
P
Induktionsschritt: Sei n ∈ N und es gelte (a + b)n = nk=0 nk an−k bk . Wir müssen
P
n+1 n+1−k k
zeigen das auch (a + b)n+1 = n+1
a
b wahr ist. Hierzu rechnen wir
k=0
k
(a + b)n+1 = (a + b)n · (a + b) Induktionsvoraussetzung anwenden
!
n X
n n−k k
=
a b · (a + b)
k
k=0
n n X
X
n n−k k
n n−k k
a b
a b +b·
= a·
k
k
k=0
k=0
n n X
n n+1−k k X n n−k k+1
a b
=
a
b +
k
k
k=0
k=0
n n X
X
n (n+1)−(k+1) k+1
n n+1−k k
a
b
=
a
b +
k
k
k=0
k=0
n n+1 X
X
n
n n+1−k k
an+1−k) bk
=
a
b +
k
k
−
1
k=1
k=0
n X
n
n
n+1
= a
+
+
an+1−k bk + bn+1
k
k
−
1
k=1
n n + 1 0 n+1
n + 1 n+1 0 X n + 1 n+1−k k
=
a b +
a
b +
ab
0
k
n+1
k=1
n+1 X
n + 1 n+1−k k
=
a
b .
k
k=0
n
n
P
P
n
n
k n
Es folgt also z. B. 2n = (1 + 1)n =
,
0
=
(1
−
1)
=
(−1)
, (a + b)4 =
k
k
k=0
k=0
a4 + 4a3 b + 6a2 b2 + 4ab3 + b4 mit 42 = 6.
77
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