Brain Modelling

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BRAIN MODELLING
physikalische Modelle über das Gehirn
BRAIN MODELLING
physikalische Modelle für das Gehirn und Gedächtnis
nach einer Vorlesung von W.Gruber
im Jahr 2000/01
Inhaltsverzeichnis:
Historischer Überblick
Biologische Neuronen
Elektrische Potentiale in biologischen Netzwerken
Die chemische Übertragung zwischen zwei Neuronen
Technische neuronale Netzwerke
Lernen - synaptische Plastizität
Repräsentation von Objekten
Gestaltspsychologie
Entwicklung des Nervensystems
Sehsystem
Geräuschlokalisation bei der Schleiereule
Das Riechsystem
Die Großhirnrinde
Sprache und Sprachverständnis
Steuerung und Regelung
Der Thalamus
Das Arbeitsgedächtnis
Der Schlaf
Das Gedächtnis
Neurotransmitter
Der kranke Geist
Künstliche Intelligenz
Synthetische Psychologie
Spieltheorie
4
12
16
32
37
49
55
62
64
69
78
80
85
90
98
100
101
102
105
113
114
120
121
123
Literaturverzeichnis
125
"Die vielleicht letzte wissenschaftliche Grenze - die ultimative Herausforderung - besteht
darin, die biologische Basis des Bewußtseins und der geistigen Vorgänge, durch die wir
wahrnehmen, handeln, lernen und uns erinnern, zu verstehen."
Eric Kandel
Das menschliche Gehirn stellt sicher eines der komplexesten Systeme in der Natur dar. Es
gibt verschiedene Ansätze, dieses System zu beschreiben. Die Übergänge zwischen den
einzelnen Fachgebieten und Methoden sind kontinuierlich. Das Gebiet der Hirnforschung ist
äußerst interdisziplinär und somit ist es notwendig, auf die jeweiligen Fachgebiete einzugehen
und die einzelnen Fakten und Theorien aus verschiedenen Gebieten gegeneinander
aufzuwiegen und zu überprüfen.
Wie kommt die Physik dazu sich mit dem Gehirn zu beschäftigen ? Nun, zum einen ist die
Physik eine der elementarsten Naturwissenschaften, die schon in vielen anderen
Arbeitsbereichen interessante Themenbeiträge liefern konnte (Erwin Schrödinger; Was ist
Leben ?). Zum anderen ist das klassisch physikalische Gebiet der komplexen dynamischen
Systeme (Chaos- und Systemtheorie) geradezu prädestiniert, Phänomene der
Selbstorganisation des Gehirns zu beschreiben. Leider gibt es noch keine konsistente
physikalische Theorie, die das Gehirn, Bewußtsein, Lernen und so weiter beschreibt. In das
Gebiet der Neurowissenschaft fließen Ergebnisse aus den verschiedensten
Wissenschaftsdisziplinen. Natürlich ist es notwendig, die jeweiligen Fachsprachen zu
sprechen, um das arbeiten mit unterschiedlicher Literatur zu erleichtern. Dieses Skriptum
sollte helfen, ein fundiertes Wissen aus den verschiedensten Bereichen aufzubauen. Dort wo
es möglich ist, werden auch die jeweiligen physikalischen Modelle, beziehungsweise die
Grenzen verdeutlicht.
Die Physik konnte sehr viele interessante Gedanken zur Gehirnforschung beitragen. Der
Physiker Gottfried Wilhelm Leibniz wollte Denken und Wissen überhaupt auf das Rechnen
zurückführen, um dann alle wissenschaftlichen Probleme letztlich durch Rechenmaschinen
lösen zu können. John von Neumann hat später auf die Analogie zwischen den binären
Computern und der Signalübertragung im Nervensystem hingewiesen. Aufgrund der raschen
Computerentwicklung in den letzten Jahrzehnten entstand ein neues Teilgebiet der Physik: die
computative Physik. Es wurden neue numerische Verfahren entwickelt und dadurch neue
physikalische Phänomene (Chaos, neuronale Netzwerke, seltsame Attraktoren und so weiter)
entdeckt beziehungsweise neue Lösungen gefunden. Viele dieser Experimente unterliegen
dem Selbstorganisationsprinzip, wie etwa Bénard-Zellen oder Spingläser. Durch
verschiedenste physikalische Methoden ist es möglich, Erklärungen zu liefern und
Vorhersagen zu treffen. Nachdem Christoph von der Malsburg eine Theorie zur
Informationsverarbeitung im Gehirn aufgestellt hat, die dem Selbstorganisationsprinzip
zugrunde liegt, hat es viele interessante Ansätze gegeben, um diese Theorie zu beweisen
beziehungsweise zu widerlegen. Erst 1984 ist es Wolf Singer gelungen, dieses Prinzip in
medizinischen Studien zu beweisen. Durch verschiedenste Ansätze der physikalischen
Beschreibungsweise versucht man dieses Modell zu verbessern, um mehr Erkenntnisse über
das menschliche Verhalten zu gewinnen. Ein Ansatz besteht darin, einzelne Neuronen als
"integrate-and-fire"-Oszillatoren zu betrachten. Durch eine sinnvolle Kopplung zwischen
diesen Oszillatoren ist es möglich, viele Phänomene aus dem Bereich der Neurowissenschaft
physikalisch zu beschreiben. Interessanterweise können die Ergebnisse der Neurophysik auch
in anderen Gebieten, wie der Festkörperphysik oder Hydrodynamik, angewendet werden.
Die heutige Neurowissenschaft entwickelte sich aus der klassischen Medizin und der
Psychologie. Es ist wichtig zu wissen, welches Gebiet für welche Probleme, bzw. Lösungen
verantwortlich ist. So ist einem Mediziner die Wirkung einer Behandlung wichtiger, als die
exakte mathematische Formel, die die Erkrankung beschreibt. Heute sind folgende
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Wissenschaften mit folgenden Problemen beschäftigt: Die Biologie beschäftigt sich unter
anderem mit den einzelnen Zellen, deren Aufbau und der Evolution unterschiedlicher
Strukturen des menschlichen Gehirns. Der Bereich der Informatik ist wichtig um
verschiedenen Modelle auszutesten. Durch die Informatik sollte die Software "intelligenter"
werden. Die Mathematiker stellen Verfahren zur Berechnung komplexer Probleme zur
Verfügung. Ohne das Wirken von Henry Poincaré wäre es nicht möglich gewesen, die
Selbstorganisation im Gehirn zu beschreiben.
Die Medizin versucht organische Schäden zu heilen. Bei unmittelbaren Problemen, die
spontan entstehen und eine nachweislich organische Ursache haben, können sie durch
verschiedene Therapien helfen. Die Neurologie im speziellen beschäftigt sich unter anderem
mit den chemischen Vorgängen im menschlichen Gehirn. Die beiden französischen
Psychiater Jean Delay und Pierre Deniker deckten die antischizophrene Eigenschaft von
Chlorpromazin auf, Julius Axelrod entdeckte, auf welchem Weg die meisten Botenstoffe im
Gehirn inaktiviert werden. Heute versucht eine Vielzahl von Biochemikern, die chemischen
Vorgänge im Gehirn zu verstehen und neue Medikamente zu entwickeln. Damit wird es zum
Beispiel möglich, sinnvolle Therapien gegen die Abhängigkeit von Suchtmittel
durchzuführen. Die Biochemiker beschäftigen sich aber auch immer mehr mit den
biochemischen und genetischen Vorgängen in den Neuronen. Dies führte zu äußerst
interessanten Erkenntnissen auf dem Gebiet des zellulären Lernens.
Natürlich werden die Mediziner kräftig von den Pharmazeuten unterstützt. Die Pharmazie
stellt verschiedenen Medikamente bereit. Eine wesentliche Frage beschäftigt sich vor allem
damit, wie bringt man das Medikament durch die Blut-Hirn Schranke. Die Psychologie
versucht bei persönlichen Problemen des Lebens mit der Theorie des menschlichen
Verhaltens zu helfen. Viele Verhaltensweisen sind stark strukturiert und unterliegen einer
eigenen Dynamik. Leider sind die Regeln des menschlichen Verhaltens noch nicht
naturwissenschaftlich herleitbar.
Durch die Technik im Allgemeinen entstehen bessere Computer die leistungsfähigere
Programme erlauben. Aber auch der Zusammenhang zwischen Technik und Biologie wird
immer wichtiger. So seien hier die Neuroprothesen erwähnt, die teilweise schon ganz
excelente Leistungen erbringen (Cochlea-Implantat). Die Physik, wie schon
oben
beschrieben versucht komplexe dynamische Systeme zu erklären und zu berechnen. Und gibt
es ein komplexers und dynamischeres System als das menschliche Gehirn ?
Natürlich können die einzelnen Gebiete nicht wirklich voneinder getrennt werden. Jedes
Gebiet profitiert von den Ergebnissen anderer.
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Die Neurowissenschaften können aber nicht nur in verschiedene Teilbereiche untergliedert
werden. Es existieren verschiedene Ebenen der Betrachtung:
Körper
Immunsystem
ZNS
PNS
Systeme von Neuronen
10 cm
Karten von Neuronen
1 cm
Gruppen von Neuronen
1 mm
Neuronen
100 m
Synapsen
1 m
Moleküle
1 Å
Die Pharmazeuten beschäftigen sich mit den Molekülen, die Biologen beschäftigen sich mit
den Synapsen und für den Mediziner ist es wichtig, wie die Moleküle auf die Synapsen einen
Einfluß nehmen. Dadurch, daß die Synapsen die elektrischen Eigenschaften der Membran des
Neurons verändern, kommt es zu einer veränderten Reizweiterleitung. Diese
Reizweiterleitung läßt sich sehr gut durch die Diffusionsgleichung (Hodgkin-Huxley)
beschreiben. Wenn mehrere Neuronen - durch Synapsen verbunden sind - dann spricht man
von einer Gruppe. Diese Gruppe (rund 1000-10.000 Neuronen) ist schon in der Lage einfache
Probleme zu lösen. Auf dieser Ebene ist das Phänomen der Synchronisation von wesentlicher
Bedeutung. Wenn mehrere Gruppen von Neuronen benachbart sind, spricht man von einer
Karte. Eine Karte analysiert Muster einer Sinnes- oder Assoziationsmodalität. Diese Karten
sind für die Sinnes-Physiologie und Psychologie von zentraler Bedeutung. Sie entstehen in
sensiblen Phasen der Entwicklung von den Individuen. Wenn mehrere Karten (Neuronen auf
der Großhirnrinde) mit Kernen (moduliernde Strukturen im Inneren des Gehirns) sich mit
einer Aufgabe beschäftigen, so spricht man von einem System. Das motorische System
umfaßt verschiedene Strukturen: primär motorischer, prämotorischer und supplemäntär
motorischer Cortex, die Basalganglien, Teile des Thalamus, und die Sustantia nigra - ein
modulierender Kern. Alle Systeme gehören dem Zentralnervensystem (ZNS) an. Man sollte
aber nicht vergessen, daß auch das Rückenmark zum Zentralnervensystem gehört. Ein Nerv
des Zentralnervensystems, der durchtrennt wurde, wächst nicht mehr zusammen. Für Nerven
des peripheren Nervensystems (PNS) gilt dies nicht. Im Bereich des peripheren Nervensystem
findet in der Regel auch keine Reizverarbeitung statt. Das Nervensystem dient dazu, rasch
Signale aus der Umwelt und dem Körper zu verarbeiten und in geeigneter Weise zu reagieren.
Ein anderes informationsverarbeitendes System ist das Hormonsystem. Die
Verarbeitungsgeschwindigkeit ist etwas langsamer und die Zielorientierng nicht so präzise.
Aber einzelne Hormone, die als Reaktion auf äußere Einflüße ausgeschüttet werden, wirken
wiederum auf das Gehirn zurück. So können Synapsen durch einzelne Hormone absterben und der Kreis schließt sich wieder.
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Meist sprechen Laien beim Gehirn nur von der Großhirnrinde. Aber die Großhirnrinde ist nur
ein Teil. Unter der Rinde im Zentrum des Schädels befinden sich viele kleine anatomische
Strukturen. Diese Strukturen werden als Kerne bezeichnet. Sie steuern den Informationsfluß,
während die Rinde die Information verarbeitet und speichert.
1.1 Historischer Überblick
Die Medizin beschäftigte sich schon sehr lange mit dem Gehirn, um den Menschen Linderung
von seinen Qualen zu bringen. So sind uns schon Symptome, Diagnosen und Prognosen über
Kopfverletzungen aus dem alten Ägypten überliefert. Im Edwin Smith Surgical Papyrus aus
dem 17. Jahrhundert vor Christus erschienen zum ersten Mal die alten ägyptischen
Hieroglyphen für das Wort »Gehirn«. Im alten Griechenland versuchten die Philosophen
religiöse Definitionen durch wissenschaftliche zu ersetzen:
Anaximenes (585-525 v.Chr):
Heraklith (550-480 v.Chr.):
Die Seele besteht aus Luft.
Die Seele besteht aus Feuer.
Etwas konkreter formulierte Empedokles (490-430 v.Chr.) seine Gedanken: das Herz ist
Zentrum des Denkens, Fühlens und Handelns. Eine gegenteilige Vermutung äußerte
Alkmaion von Kroton (500 v.Chr.), der das Gehirn als zentrales Denkorgan ansah. So wurden
zwei Hypothesen geboren: die Herz- und Hirnhypothese. Aristoteles (384-322 v.Chr.), ein
Anhänger der Herzhypothese, vermutete, daß das Gehirn zur Kühlung des Blutes dient. So
versuchte Aristoteles einen Zusammenhang zwischen der Körpergröße und dem
Gehirngewicht herzustellen. Tatsächlich gibt es diesen Zusammenhang - aber aus anderen
Gründen. Wenn ein Organismus komplex genug wird, benötigt er auch ein besseres
Informationsverarbeitungssystem. Aber aus der Größe oder dem Gewicht des Gehirns läßt
sich nur sehr wenig über die Funktionsfähigkeit beziehungsweise über die Komplexität
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aussagen. Zum Beispiel haben Frauen ein leicht geringeres Gewicht des Gehirns. Man stellte
aber fest, daß die Zahl der Neuronen praktisch gleich sind - nur daß die Neuronen der Frauen
eine Spur kleiner und damit auch leichter sind.
Hirngewicht [g]
104
Elephant
Mensch
Blauwal
103
Australopithecus
Säuger
102
10
Strauß
Alligator
Primaten
Kolibri
Reptilien
1
Aal
Maulwurf
10-3
10-2
10-1
1
10
Körpergewicht
102
103
104 [kg]
Relation zwischen Körpergewicht und Hirngewicht:
In Griechenland glaubte man, daß bei epileptischen Anfällen Götter und Dämonen in den
Körper einfahren. Deshalb betrachtete man diese Krankheit als heilig, denn nur wenige
"Auserwählte" wurden von den Göttern besucht. Auch die Araber verehrten die Betroffenen
von geistigen Erkrankungen, denn sie seien in der Gnade Gottes bevorzugt.
Der berühmte Gladiatorenarzt Galen (129-199 v.Chr.) konnte zeigen, daß die Nerven zum
Gehirn und nicht zum Herzen führen. Er konnte zeigen, daß ein Druck auf bestimmte
Regionen des Gehirns dazu führt, daß Bewegungen reversibel unterbrochen sind. Hingegen
ein Druck auf das Herz führt zwar zu massiven Schmerz, aber es gibt keinen Einfluß auf
willentliches Verhalten. Nur noch in der Literatur und dergleichen ist das Herz, das Zenrum
der Emotionen und des Fühlens und Denkens.
Der Philosoph Rene Descartes (1596-1650) warf ein interessantes Problem auf: Der Körper
ist materiell und hat eindeutig eine begrenzte räumliche Ausdehnung. Er reagiert reflexiv auf
sensorische Reize aufgrund der Aktivität des
Gehirns. Der Geist beziehungsweise die Seele
wirkt auf den Körper und erzeugt so ein
Verhalten. So stellen stellen sich einige Fragen:
Gibt es einen Geist beziehungsweise eine Seele ?
Wie interagiert der Leib und die Seele
miteinander ?
Descartes meinte der Geist sei unteilbar.
Deswegen können auch die Gehirnfunktionen
nicht unterteilt werden und die Analyse des
Körpers kann nicht die Funktionalität des Geistes
erklären.
Nach heutigen Erkenntnissen ergeben sich neue
Aspekte. Unser Gehirn besteht aus zwei
Hirnhälften, die größtenteils symmetrisch
zueinander
sind.
Früher
war
es
bei
Reflex für eine Hitzereiz, der einerseits
Epilepsiepatienten manchmal notwendig, die
ein Zurückziehen des betroffenen
beiden Hirnhälften anatomisch voneinander zu
Körperteils bewirkt und auch die
trennen. Es zeigte sich, daß sich die beiden
Aufmerksamkeit durch die Augen
Hälften nach der Operation individuell
steuert.
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entwickelten. Man kann durchaus von zwei Gehirnen in einem Körper sprechen. Hat der
Mensch nun zwei Seelen ? So ist für Descartes die Zirbeldrüse (Epiphyse) der Sitz der Seele,
denn die Zirbeldrüse ist der einzige Bereich im Gehirn, der nicht bilateral vorhanden ist. Eine
Schädigung der Epiphyse führt aber nicht zu offenkundigen Verhaltensänderungen. Man
vermutet, daß sie für jahreszeitliche Rhythmen verantwortlich ist. Descartes beschäftigte sich
aber auch mit "einfacheren" Problemen. So prägte er den Begriff des Reflexes.
In der aktuellen Forschung beschäftigt man sich mit dem körperlichen Anteil des Erlebens.
Über das scheinbar "geistige" ist es schwierig Aussagen zu treffen. Wäre das Geistige etwas
immaterielles, wie könnte es dann auf materielles einen Einfluß haben. Manche Forscher
setzen den Geist mit dem Gehirn und all den damit verbundenen Aktivitäten gleich.
J.Locke (1632-1704) meinte, daß das Bewußtsein eine leere Tafel (tabula rasa) sei, auf der
unsere Wahrnehmungen ihre Spuren hinterlassen. Damit stellen sich einige interessante
Fragen. Wie starke sind die Gene beziehungsweise die Umwelt an der Intelligenz und dem
Bewußtsein beteiligt. Eine Frage, die bis heute äußerst kontroversiel diskutiert wird.
Interessanterweise hat Locke auf die Entwicklung des Menschen insbesonders des
Nervensystems angesprochen: der Mensch ist noch nicht voll entwickelt, wenn er auf die
Welt kommt, sondern viele seiner Vorlieben, Ekelgefühle und auch die Sprache entstehen
durch die Sozialisation.
Die Wissenschafter Leibniz, Pascal und Schickard versuchten eine Mechanisierung des
Denkens herbeizuführen. Es ging darum intelligente Handlungen durch ein mechanisches
System nachzubilden. Damals wurde das Rechnen mit Zahlen als eine intelligente Handlung
angesehen (wer konnte damals schon rechnen ?). So versuchte man des Rechnen mit Zahlen
durch Maschinen zu bewerkstelligen. Heute bezeichnet man einen guten Schachspieler als
intelligent (zumindest machte man dies solange er nicht von einem Computer geschlagen
wurde). Der Versuch eine Rechenmaschine zu bauen führte zu der Einführung des
Dualsystems. Wenn zwei Zahlen verknüpft werden sollen, dann müssen zuerst die einzelnen
Ziffern verknüpft werden. Betrachten wir die Aufgabe: 15 + 28 = __. Als erstes müssen die
Ziffern 5 und 8 zusammengezählt werden und dann die Ziffern 1 und 2, wobei auf den
Übertrag nicht vergessen werden darf. Also ist es notwendig für alle Ziffern (1; 2; 3; 4; 5; 6;
7; 8; 9; 0) alle Elementaroperationen (Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division) zu
definieren. Dies sind über einige hundert Rechenoperationen. Durch die Einführung des
Dualsystems läßt sich der Rechenaufwand drastisch reduzieren. Die Zahlen, mit denen
gearbeitet werden muß, werden in das Dualsystem umgewandelt und dort gibt es gibt nur
mehr zwei Ziffern (0 und 1) und für die Addition ergeben sich 4 Rechenoperationen:
0+0= 0
0+1= 1
1+0= 1
1 + 1 = 10
Dies führt zu einer drastischen Vereinfachung der Rechnungen. Die ersten Maschinen
konnten dann tatsächlich rechnen, wenngleich die Mechanik ziemlich klobig war. Dem
Nachbau des Gehirns war man aber nur einem kleinen Schritt näher gekommen. Erst durch
die Einführung der Elektronik war es möglich, leistungsfähigere Maschinen zu bauen, mit
denen es sogar gelungen ist, einzelne Bereiche des Gehirns zu simulieren.
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Gregor Reisch, Prior der
Kartause in Freiburg, vermutete
daß die Seele in den 3
Gehirnkammern
(Ventrikel)
ansäßig sei. So soll in der ersten
Kammer der Sitz für den
Gemeinsinn, die Phantasie und
das Imaginationsvermögen sein.
Die 2. Kammer ist für das
Denken und Urteilen wichtig
und die dritte Kammer für das
Erinnern. Zwischen der Kammer
1 und der Kammer 2 befindet
sich eine Schleuse. Dadurch
können die unterschiedlichen "Seelenbereiche" Informationen austauschen.
Beindruckt durch die Pneumatik, der damaligen Spitzentechnologie, entstanden die
Ballontheorien. Das Gehirn ist nichts anderes als ein großer Blasebalg und eine Flüssigkeit
wird über die Neuronen in die Muskeln geblasen. So können Muskeln kontrahieren und
erschlaffen. Diese Theorie war auch von Blutkreislauf motiviert, wo Blut durch den ganzen
Körper strömt. Erst 1677 konnte Francis Glisson mit einem einfachen Experiment zeigen, daß
die Ballontheorie falsch ist. Man braucht nur den Oberarm in Wasser eintauchen und die
Veränderung des Wasserspiegels messen, wenn der Muskel erschlafft beziehungsweise
angespannt ist. Wenn die Pneumatheorie richtig wäre, dann müßte sich der Wasserspiegel
ändern - was er aber nicht tut.
Auch der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) äußerte sich zum Thema der Sensorik:
"Wahrnehmung sei kein passiver Empfang von Sinneseindrücken, sondern es handle sich
dabei um einen aktiven Prozeß, der in spezifischer Weise durch den menschlichen
Wahrnehmungsapparat hergestellt und organisiert wird." Damit wird ein wesentlicher Aspekt
der
menschlichen
Organisation
der
Sensorik
charakterisiert.
Durch
das
Aufmerksamkeitssystem werden die einlangenden Informationen gefiltert und gesteuert. Die
Steuerung scheint durch wesentliche Bereiche der Formatio Reticularis durchgeführt zu
werden.
Während dieser ganzen Zeit wurden Personen mit einer Geisteserkrankung durch fahrende
Chirurgen behandelt. Sie entfernten sogenannte "Narrensteine" aus dem Kopf des
Betroffenen. Praktisch wurde aber nur die Kopfhaut eingeritzt und mit etwas
schauspielerischem Geschick ein Stein hervorgeholt. Geholfen wurde nur dem Chirurgen, für
den diese Operationen eine lukrative Einnahmequelle darstellten.
All die bisher genannten Wissenschafter haben sich "nur" mit Teilsaspekten des menschlichen
Gehirns beschäftigt. Wichtig ist aber eine umfassende Theorie des menschlichen Gehirns.
Diese Theorie wurde von Franz J. Gall (1758-1828) und Johannes C. Spurzheim (1776-1832)
in Wien geschaffen. Beide konnten zeigen, daß das Gehirn aus lebenden Zellen besteht und
daß manche Zellen des Gehirns in das Rückenmark projezieren. Beide stellten fest, daß
Studenten mit gutem Gedächtnis große hervortretende Augen haben. Also - so die neue Idee müsse sich das Gehirn hinter den Augen besonders gut entwickelt haben und drücke nun auf
die Augen. Wenn also manche Gebiete besonders gut entwickelt sind, dann drücken sie auch
auf die Schädeloberfläche und sorgen so für Erhöhungen und Vertiefungen des
Schädelknochens. Damit war die Phrenologie geboren. Diese damalige Idee führt zu einigen
interessanten Schlußfolgerungen. Eine der Wichtigsten war die Lokalisation von
Denkleistungen und daß aus geistigen Denkleistungen biologische Korrelate folgen.
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Durch Vermessung des Schädelknochens glaubte man nun auf bestimmte "geistige"
Denkprozesse rückschliessen zu können.
Münze des Phrenologen F.J. Gall (links) und eine Darstellung der verschiedenen Areale des
Schädelknochens, die mit Denkprozessen verbunden sind (links).
Aber es gab einige Probleme mit dieser Theorie. Zum einen wurden nicht eindeutige Begriffe
für die unterschiedlichen Denkleistungen verwendet. Glaube, Selbstliebe, Verehrung sind nur
sehr schwer meßbar und es gibt keine eindeutigen Definitionen dafür. Zum anderen wurde
auch nicht überprüft, ob die Schädeloberfläche tatsächlich ein Abdruck der Innenseite sei.
Den meisten Spott mußten die beiden aber durch die Annahme, daß es keinen Geist gäbe,
sondern daß alles angeboren sei, hinnehmen. Heute wissen wir, daß sich die Phrenologie als
falsch herausgestellt hat. Aber es war die erste in sich konsistente Theorie und die Annahme,
daß Denken ein naturwissenschaftlicher Prozeß sei, daß es besondere spezifische Gebiete des
Gehirns gibt, war revolutionär. Dadurch, daß die gesamte Theorie massive Mängel aufwies
und in Verruf geriet, hatten nachfolgenden Wissenschaftler die tatsächlich Lokalisationen im
Gehirn (nicht auf der Schädeloberfläche) festgestellt hatten, beträchtliche Probleme.
Pierre Flourens (1794-1867) versuchte die Phrenologie zu demontieren. So entwickelte er die
Läsionstechnik. Tauben wurde der Schädel geöffnet und ein kleines Stück des Gehirns
entfernt. Danach beobachtete man die jewiligen Verhaltensstörungen. So fand er ein Zentrum
für die Atemtätigkeit und stellte fest, daß das Kleinhirn für die Bewegungskoordination
verantwortlich ist. In den Untersuchungen fand man, daß nur rund 10% des Gehirns wichtig
sind. Aber diese Ausssage ist falsch. Man beobachtete die Tiere nicht in einer natürlichen
Umgebung. Man konnte feststellen, ob die Tauben und Hühner in der Lage waren
selbstständig zu fressen und ob sie mit den Flügeln schlagen konnten. Heute wissen wir, daß
jeder Kubikmilimeter Gehirn wichtig sind. Aber manche Areale des Gehirns lassen sich nur
durch ausgefeilte psychologische Tests austesten. So stellte Flourens trotz mangelhafter Tests
folgende Dogmen auf:
1) Der Cortex ist nicht erregbar.
2) Der Cortex spielt keine Rolle bei der Erzeugung von Bewegung.
3) Einzelne Funktionen sind nicht lokalisiert.
Ein besonders Areal konnte Paul Broca (1824-1880) entdecken. Broca interssierte sich für die
Sprechfähigkeit von Menschen. Er fand eine Gruppe von Patienten, die etwas gemeinsam
hatten. Die Patienten hatten zwar ein gutes Wortverständnis und der Stimmapparat war in
Ordnung, trotzdem konnten sie nicht sprechen. So nahm er Autopsien an dieser
Patientengruppe vor. Es zeigte sich, daß praktisch alle Patienten in einer speziellen Region
der Großhirnrinde eine Läsion aufwiesen. Dieses Zentrum ist für die motorische
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Sprachsteuerung notwendig. Mit diesen Befunden wurde Broca in das Eck der Phrenologen
gestellt. Aber spätere Studien bestätigten seine Befunde und das von ihm gefundene Areal
wird ihm zu Ehren als Broca-Areal bezeichnet.
Luigi Galvani (1737-1798) versuchte das Fluidums des Lebens zu ergründen. So entdeckte er,
daß Froschschenkel durch Elektrizität kontrahiert werden können. Also könnte die Elektrizität
für Verhaltensweisen wichtig sein. Gustav T. Fritsch (1838-1929) und Eduard Hitzig (18381907) griffen diesen Gedanken auf und veröffentlichten 1870 eine aufsehenserregende Arbeit
mit dem Titel "Über die elektrische Erregbarkeit des Cerebrum". Damit war die
Elektrophysiologie geboren. Es konnte gezeigt werden, daß elektrische Reizungen des Gehirn
in unterschiedlichen Arealen zu unterschiedlichen Bewegungen und Zuckungen bestimmter
Körperteile verursacht. Somit wurde die Lokalisationstheorie auch von einer anderen Seite
her bestätigt. Damit wurden die 3 Dogmen von Flourens gestürzt.
Trotzdem sprachen sich mehrere Wissenschafter gegen die Lokalisation aus. Zum Beispiel
meinte Friedrich L. Goltz (1834-1902), daß es unterschiedliche Arten des Essens, des Gehens
gäbe. Also kann es nicht ein Gebiet für unterschiedliche Verhaltensweisen geben.
Hughlings und Jackson konnten zeigen, daß das Geirn hierarchisch organisiert ist. Die
Information gelangt über das Rückenmark zum Hirnstamm und dann weiter zur
Großhirnrinde. Im Rückenmark findet ein einfaches Reiz-Reaktions Verhalten statt. Je höher
die Verarbeitungsebene ist, umso komplexer werden die Verhaltensweisen.
Camillo Golgi (1843-1926) entwickelte
eine neue Färbungstechnik (KaliumBichromat-Fixierung mit anschließender
Silber-Imprägnierung), die nur wenige
Nervenzellen in einem mikroskopischen
Feld anfärbte und dadurch die cytologische
Untersuchung von Neuronen wesentlich
erleichterte. So fand man unglaublich
verschlungene Strukturen, Faserzüge und
Kerne. Der Beweis, daß Nervenzellen klar
abgegrenzte Einheiten mit einem rezeptiven
Ende (Dendriten), einem leitenden Teil
Camillo Golgi und Santiago Ramón y Cajal.
(Axon) und einem übertragenden Ende
(Synapse) sind, gelang Ramón y Cajal. Er
zeigte, daß das Nervensystem kein durchgehendes Netzwerk ist, sondern aus einzelnen
Nervenzellen - Neuronen genannt - besteht. Ihm war bewußt, daß eine exakte Kenntnis der
Gehirnstruktur für den Aufbau einer rationalen Psychologie von überragender Bedeutung ist.
Beide bekamen 1906 den Nobelpreis. Mit den heutigen neuen bildgebenden Verfahren ist es
möglich, eine gute Kartographie des menschlichen Gehirns durchzuführen. Mit
physikalischen Meßmethoden (Computertomographie CT, Magnetspintomographie NMR,
Positronen-Emissions-Tomographie PET, Elektroencephalographie EEG) können nicht nur
Verletzungen genau lokalisiert werden, sondern neuerdings ist es auch möglich, dem Gehirn
unmittelbar beim Denken zuzusehen.
Durch die Arbeiten von Golgi und Cajal entstand die Neuronenhypothese. Neuronen sind die
elementarsten Einheiten. Sie können miteinander interagieren und dadurch entsteht die
gesamte Bandbreite menschlichen Verhaltens. So stellen sich 3 Fragen:
1) Wie werden Signale im Nervensystem weitergeleitet ?
2) Wie ist das Nervensystem aufgebaut ?
3) Wie sind die einzelnen Neuronen untereinander und mit der Muskulatur verbunden ?
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Charles S. Sherington (1857-1952) untersucht im Besonderen die Verbindung zwischen dem
Neuron und dem Muskel. So fand er eine wesentliche Untereinheit des Neurons: die Synapse.
1952 veröffentlichten A.L. Hodgkin und
A.F. Huxley eine Arbeit, die die
Reizweiterleitung im Neuron erklärt: "A
quantative description of membrane
curent and its application to conduction
and excition in nerve." Mit dieser
Differentialgleichung ist es möglich die
elektrischen
und
chemischen
Eigenschaften
der Membran
zu
beschreiben. Dadurch konnte erklärt
werden, wie manche Gifte im Körper
wirkten. Für ihre Arbeiten wurden sie
1963
mit
dem
Nobelpreis
ausgezeichnet.
Der Begriff Psychologie leitet sich aus dem Griechischen ab (psyché = Seele) und bedeutet
die Lehre von seelisch-geistigen Erscheinungen. Die Aufgabe der wissenschaftlichen
Psychologie ist es, Gesetzmäßigkeiten des Erlebens und Verhaltens zu erforschen. So wird
zum Beispiel das Lernverhalten von Menschen analysiert. Die Psychologie besitzt zwar einen
weniger naturwissenschaftlichen Zugang zu den Denkprozessen, aber es gibt sehr viele
Modelle für verschiedene geistige Phänomene. 1902 prägte Wundt den Begriff der
Biopsychologie. Er hatte große Problem damit sich durchzusetzen. Allerdings wurden große
Problem in den letzen 20-30 Jahren gelöst und nun hat auch die Psychologie vermehrt
Interesse an den Naturwissenschaften. Auch Simund Freud war ein Anhänger einer
naturwissenschaftlichen Theorie des menschlichen Verhaltens. Er mußte aber bald feststellen,
daß die Naturwissenschaft noch nicht so weit ist, um die geistigen Phänomene erklären zu
können. So schaffte er ein psychologisches Modell vom Verhalten. Er stellte verschiedene
Postulate über das Seelenleben auf:
1) Das Seelenleben ist, ähnlich wie in der
Physik determiniert, auch wenn die
Ursachen nicht immer gleich erkennbar
sind.
2) Große Bereiche des Denkens sind
unbewußt und emotional gesteuert.
3) Konflikte werden in einem eigenem
Bereich (dem Unbewußten) gespeichert. Es
treten Widerstände bei der Bewußtwerdung
auf, die aber im Traum herabgesetzt
Ein Netzwerk, das unterschiedliches Verhalten
werden können.
beschreibt (Handschrift von S.Freud).
4) Ursachen für Konflikte reichen bis in die
Kindheit zurück.
Die Kybernetik ist eine übergreifende Wissenschaftsdisziplin, die sich mit der formalen
mathematischen Beschreibung und modellartigen Erklärung von dynamischen Systemen
beschäftigt. Sie wurde von Norbert Wiener gegründet. Als besonderes Kennzeichen dieser
Disziplin gilt das Prinzip der selbsttätigen Regelung und Steuerung durch Übertragung und
Verarbeitung sowie Rückübertragung von Informationen in wenigstens einem
Rückkopplungssystem. Norbert Wiener ging von Analogien zwischen organischen und
technischen Systemen aus. So eignet sich die Kybernetik hervorragend zur mathematischen
Modellierung von Gehirnprozessen und den damit verbundenen Verhaltensprozessen. Nicht
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die materiellen Eigenschaften stehen im Vordergrund, sondern die Möglichkeit des
Verhaltens. Die Eigenschaften des Systems stehen im Vordergrund.
Um das menschliche Gehirn und das damit verbundene Denken, Wahrnehmen und Lernen
naturwissenschaftlich beschreiben zu können, bedarf es einer mathematisch-physikalischen
Formulierung basierend auf medizinischen, physikalischen, biologischen und chemischen
Grundlagen, um psychologische und psychiatrische Modelle zu überprüfen, zu ergänzen oder
auch neu zu entwickeln.
Wie man sieht gibt es verschiedene Möglichkeiten das Gehirn zu erforschen. Im ersten Teil
dieses Skriptums beschäftigen wir uns mit den mikroskopischen lokalen Effekten. Es wird
erläutert was ein Neuron ist, wie es funktioniert, wie man es nachbauen kann und so weiter.
Diese Phänomene sind die Basis für das weitere Verstehen des Gehirns. Nur wenn man diesen
Bereich wirklich verstanden hat, dann ist man in der Lage die makroskopischen globalen
Phänomene zu verstehen. Alle makroskopschen Effekte können in der Regel direkt an
Patienten beobachtet werden. Meist sind mehrere Subsysteme des Gehirns beteiligt, die das
Betrachten noch verkomplizieren. Eine Trennng in diese beiden Bereiche ist natürlich
willkürlich und die Übergänge sind fließend.
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In den Neurowissenschaften gibt es zwei wesentliche Arbeitshypothesen:
1) Gehirnhypothese: Der Ursprung allen Denkens, Verhaltens und Fühlens liegt im Gehirn
(geht auf die Ägypter zurück)
2) Neuronenhypothese: Das Neuron ist die kleinste funktionelle Einheit des menschlichen
Gehirns. Alle beobachtbaren Phänomene des Verhaltens, Empfindens und Reagierens
lassen sich auf Neuronen zurückführen (Santiago Ramon ý Cajal)
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2.0 Biologische Neuronen
Nervenzellen, auch Neuronen genannt, sind die wesentlichen informationsvermittelnden
Bausteine des Gehirns. Diese Zellen sind nach denselben Grundsätzen aufgebaut wie die
übrigen Zellen im ganzen Körper. Sie zeigen aber einige Besonderheiten wie die Zellform, die
Art der Zellmembran und die Möglichkeiten, chemische wie elektrische Signale zu empfangen,
zu modulieren und weiterzugeben. Der Empfang von solchen Signalen geschieht in der Regel
durch Synapsen, die Modulation durch den Zellkörper, und die Weitergabe von Signalen
wiederum durch Synapsen. Als zweite Besonderheit von Neuronen ist die fehlende Zellteilung
zu erwähnen. Nervenzellen teilen sich nicht mehr nach der embryonalen Entwicklung, das heißt
der bis zur Geburt entstandene Vorrat von Zellen muß ein Leben lang ausreichen.
Die Abbildung zeigt ein Golgi-Präparat (1911) mit Pyramidenzellen (links) und
Purkinjezellen (rechts).
Nervenzellen kann man in drei wesentliche Teile aufgliedern: den Zellkörper, die Dendriten
und die Nervenfaser oder auch Axon.
Der Zellkörper (Perikaryon, Soma), kugelförmig oder auch pyramidenförmig, enthält den
Zellkern und den biochemischen Apparat für die Synthese von Enzymen und anderen
zellnotwendigen Substanzen. Besonders wichtig ist die Synthese von Membranproteinen. Diese
Proteine lassen sich in fünf Gruppen einteilen: Pumpenproteine sorgen unter Energieverbrauch
dafür, daß Ionen und andere Moleküle die Membran entgegen einem Konzentrationsgefälle
passieren können. Kanalproteine ermöglichen es Ionen und Moleküle, die für sie normalerweise
undurchlässige Membran entsprechend einem Konzentrationsgefälle zu passieren.
Rezeptormoleküle reagieren mit Molekülen, wie zum Beispiel mit Neurotransmittern oder
Neuropeptiden, die dann das Verhalten der Zelle beeinflussen. Zellenzyme beschleunigen die
chemischen Reaktionen der Zellmembran und Strukturproteine erhalten die Feinstruktur der
Membran aufrecht. Die Wirkung und der Einfluß von einzelnen Proteinen kann übergreifend
sein.
Die Dendriten sind röhrenförmige Fortsätze des Zellkörpers, die sich vielfach verästeln. Vom
Feinbau her gesehen unterscheiden sich die Dendritenfortsätze eines Neurons nicht vom
Somabereich, außer daß ihnen das rauhe endoplasmatische Reticulum zur eigenen
Proteinsynthese fehlt. Die Dendriten dienen der Vergrößerung der rezeptiven Oberfläche einer
Nervenzelle und sind deshalb mit besonders vielen Synapsen übersät. Über diese Synapsen
nimmt die Nervenzelle ankommende Signale auf und leitet sie über die Dendriten zum
Zellkörper weiter. Dort werden die Signale summiert und bewertet. Zentrale Neuronen haben
oft 20 bis 40 Hauptdendriten, die sich in feinere Zweige aufspalten. Auf jedem Zweig gibt es
zwei Arten von bevorzugten synaptischen Kontaktstellen: den Hauptschaft, wo direkt Synapsen
von anderen Neuronen Informationen übermitteln (meist handelt es sich dabei um hemmende
Signale); weiters die Dornen, die selbst Synapsen sind und sich auf dem Hauptschaft oder sich
meist auf weiteren Verästelungen befinden (Die dort ankommenden Signale sind in der Regel
erregend). Durch die Weiterleitung über die Dendriten kommt es zu einer zusätzlichen
Gewichtung von elektrischen Signalen. Sie werden entweder abgeschwächt oder verstärkt.
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Das Axon (Neurit oder Nervenfaser) ist wie ein Dendrit ein Ausläufer des Zellkörpers. Es dient
zur Informationsweiterleitung zu anderen Neuronen. Die Übermittlung findet meistens über
größere Distanzen statt. Üblicherweise ist das Axon bedeutend länger und dünner als die
Dendriten. Das Neurit verzweigt sich erst dort, wo die Teiläste mit anderen Neuronen über
Synapsen wieder in Verbindung treten. Diese Verästelungen werden Neuritenbaum,
Seitenzweige oder Kollaterale genannt. Schwann-Zellen, eine Sonderform der Gliazellen,
umgeben das Axon mit einer Myelinhülle. Jede Schwannzelle umhüllt der Länge nach jeweils
rund einen Millimeter des Axons. So ist die Myelinhülle ungefähr alle ein bis zwei Millimeter
von einem feinen Spalt, dem Ranvierischen Schnürring, unterbrochen.
Eine Pyramidenzelle mit verästelten Fortsätzen, die mit Tausenden von signalaufnehmenden
Dornen übersät ist. Rechts sieht man eine erregende Synapsenverbindung (oben) und unten eine
hemmende Synapsenverbindung.
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Brain Modelling
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Nervenzellen unterscheiden sich natürlich auch in ihrer Funktion und lassen sich in drei Arten
unterteilen:
sensorische Neuronen,
motorische Neuronen und
Interneuronen.
Sensorische (oder afferente) Neuronen übermitteln dem Nervensystem Information, die der
Wahrnehmung wie auch der motorischen Koordination dienen.
Motorische Neuronen, oder auch Motoneuronen, übermitteln Signale an Muskeln und Drüsen.
Interneuronen bilden die größte Menge an Neuronen im Nervensystem und sind nicht spezifisch
sensorisch oder motorisch. Sie verarbeiten Informationen in lokalen Schaltkreisen oder
vermitteln Signale über weite Entfernungen.
Die Pyramidenzellen, die zur Klasse der Interneuronen zählen, befinden sich in der
Großhirnrinde und besitzen einen apikalen (an der Spitze gelegen, nach oben gerichteten)
Hauptfortsatz des Zellkörpers, der sich in zahlreiche Dendriten verzweigt, und ein Axon.
Weitere Dendriten entspringen dem Pyramidenmantel. Das Axon kann eine Länge von bis zu
einem Meter erreichen.
Sternzellen sind der zweitwichtigste Typ von Neuronen im Gehirn. Ihren Namen haben sie von
der sternförmigen Struktur der Dendriten. Die Ausläufer bleiben in der Regel in der näheren
Umgebung des Zellkörpers. Man unterscheidet zwischen dorntragenden und dornlosen
Sternzellen. Die dornlosen Zellen emitieren meist einen Neurotransmitter, der eine hemmende
Wirkung auf die Pyramidenzellen hat.
Purkinjezellen, wie sie häufig im Kleinhirn vorkommen, sind bipolar gebaute dendritische
Neuronen. An ihrem spitzwärtigen Pol entspringt ein verzweigter Riesendendrit, an der Basis
der Neurit.
a)
b)
c)
d)
Die strukturelle Vielfalt der Nervenzellen trägt dazu bei, daß das Gehirn sowohl Informationen
aufnehmen, filtern, sortieren, interpretieren, speichern, abrufen, nutzen und mitteilen als auch
Gefühle erleben und Bewegungen kontrollieren kann. (a) An einer Stelle, dem Nucleus
reticularis lateralis sind die Dendriten kurz und buschig und enden in signalaufnehmenden
"Sammelstellen". (b) In der Nähe des Nucleus hypoglossi sind die Dendriten lang, leicht
gekrümmt und relativ wenig verzweigt (c) An einer anderen Stelle, dem Nucleus reticularis
gigantocellularis einer neugeborenen Katze, ziehen die Dendriten in alle Richtungen und sind
dicht mit dendritischen Dornen besetzt. (d) Wenn die Katze fünf Monate alt ist, haben die
Dendriten die meisten ihrer Dornen verloren. Die Zellen haben jetzt eine eindrucksvolle Größe.
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Eine dreidimensionale Darstellung eines Neurons, das sechsmal um etwa 10° um die vertikale
weitergedreht wurde. Um das Neuron dreidimensional zu sehen, führt man die Nasenspitze zu
einer Nahtstelle zwischen zwei Bildern. Danach vergrößert man wieder - langsam - den Abstand
und versucht dabei einen imaginären Punkt - weit entfernt - anzuvisieren (viel Glück und es
funktioniert wirklich).
Im Nervensystem werden die Informationen durch elektrische Impulse, worauf wir noch näher
eingehen werden, verarbeitet. Diese Impulse entstehen durch eine elektro-chemische Reizung
der Zellmembran. Es entstehen unterschiedliche Pulsfolgen (Aktivitätsmuster) auf die selbe
Reizung, da die Struktur der Zellmembran variieren kann.
Die Klassifizierung basiert auf drei generellen Variablen:
(1) Die Charakteristik des individuellen Aktionspotentials (eines einzelnen Pulses) und das
unmittelbar folgende elektrische Verhalten (Hyperpolarisation, Depolarisation usw.).
(2) Das Antwortverhalten auf einen intrazellulären Spannungsimpuls in der Größe nahe dem
Schwellwert.
(3) Das wiederholte Antwortverhalten auf einen länger andauernden intrazellulären Reiz.
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3.0 Elektrische Potentiale in biologischen Neuronen
U [mV]
t
Aktionspotential
Schwellwertspannung
Ruhemembranpotential
U [mV]
t
Depolarisation (Anhebung
des Membranpotentials)
Hyperpolarisation (Erniedrigung
des Membranpotentials)
An der Membran eines Neurons
(überall) herrscht ein Ruhemembranpotential. Dies liegt bei -55 bis -90
mV. Der Überträgerstoff aus der
Synapse erzeugt eine Potentialänderung ( 0.04-1 mV) an der
Membran
des
nachgeschaltenen
Neurons.
Das
heißt
das
Ruhemembranpotential kann erhöht
(Depolarisation)
oder
erniedrigt
(Hyperpolarisation) werden. Die
Ströme aus den Synapsen gelangen
über den Dendritenbaum zum
Axonhügel
und
werden
dort
nichtlinear addiert.
Wenn eine gewisse Schwelle (liegt
rund 10-20 mV höher als das
Ruhemembranpotential)
am
Axonhügel überschritten wird, dann
wird ein Aktionspotential ausgelöst,
über das Axon weitergeleitet und am
Neuritenbaum
des
betreffenden
Neuron schütten die Synapsen
wiederum Überträgersubstanz an
andere Neuronen aus. Die Stärke der
Ausschüttung von Überträgersubstanz
kann verändert werden. Wenn ein
Neuron stark gereizt wird, dann feuert
es
öfters.
Es
werden
mehr
Aktionspotentiale ausgelöst.
Aufgrund einer unterschiedlichen Membranbeschaffenheit, beziehungsweise einem
unterschiedlichen Metabolismus im Zellkern ergeben sich unterschiedliche Aktivitätsmuster bei
der Reizung des Neurons: reguläres, schnelles und salvenartiges Aktivitätsmuster.
Reguläre Aktivitätsmuster treten bei vielen Neuronen auf. Das Aktionspotential zeigt eine
ausgeprägte Phase an Hyperpolarisation und Depolarisation nach dem Aktionspotential. Die
Repolarisation findet langsam statt. Bei elektrischer Stimulation des Neurons beim Schwellwert
kommt es zu einem Aktionspotential.
Bei Neuronen, die ein schnelles Aktivitätsmuster zeigen, findet eine geringere Hyperpolarisation
und Depolarisation unmittelbar nach dem Aktionspotential statt. Das Neuron feuert für einige
hundert Millisekunden mit 500-600 Hertz bei einer starken Stimulation. Die temporären
Eigenschaften des Inputs bleiben im Output sehr gut über einen großen Frequenzbereich
erhalten.
Neuronen mit salvenartigen Aktivitätsmustern gibt es relativ selten. Wird ein solches Neuron
durch einen einzelnen Reiz stimuliert, dann antwortet es mit einer Salve von
Aktionspotentialen, deren Amplituden abnehmen. Einzelne Aktionspotentiale zeigen eine
markante Nach-Depolarisation, sind aber ähnlich den regulären Potentialen. Die Salven treten
rhythmisch mit einer Frequenz von 5-15 Hertz auf.
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Brain Modelling
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elektrisches Antwortverhalten
Schwelle
Reizspannung (U10 mV)
t
t
t
Darstellung eines regulären, eines schnellen und eines salvenartigen Aktivitätsmusters.
3.1 Entstehung des Ruhemembranpotentials
Die Membran besteht aus einer Doppelschicht aus Phospholipiden. Sie trennt den
intrazellulären vom extrazellulären Bereich (innen und außen). Die Membran ist von
ionenspezifischen Kanälen durchsetzt. Das heißt es können nur bestimmte Ionen durch diese
Kanäle. Im inneren und äußeren Bereich befinden sich gelöste Ionen: Na+, K+, Cl-. Die
organischen Ionen A- (Aminosäuren) befinden sich nur im Inneren des Neurons.
ionenspezifischer Kanal
außen
Doppellipidschicht
innen
Diese Ionen verteilen sich nun gemäß ihres Konzentrationsgradienten (bis dieser gleich
Null wird) im intra- und extrazellulären Raum. Überall sollte die gleiche Konzentration
vorherrschen. Es muß auch der elektrostatische Gradient ausgeglichen werden.
Wasser
Betrachten wir - als den einfachsten Fall - ein Glas Wasser und geben wir eine lösliche
Substanz dazu. Durch verschiedenste thermodynamische Effekte verteilt sich diese Substanz die Konzentration ist überall gleich groß - der Konzentrationsgradient ist Null. Jedes System
versucht einen Zustand möglichst geringer Energie einzunehmen. Wäre unsere lösliche
Substanz elektrisch geladen, so würde sie sich genauso gleichverteilen - der elektrostatische
Gradient der Ladungsdichte wäre in dem Behälter gleich Null.
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Brain Modelling
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Teilen wir nun den Behälter durch eine semipermeable Membran und nehmen wir zwei
lösliche elektrisch geladene Substanzen. Zum Beispiel stellen die Gliazellen ein so einfaches
System dar. Die Gliazellen umhüllen die Neuronen, versorgen sie mit Nährstoffen und sie
stellen die Blut-Hirnschranke dar. Dieser Zelltyp verfügt nur über K+-Ionenkanäle. K+ kann
durch die Membran diffundieren, während die Aminosäuren A– im Inneren der Zelle bleiben
müssen - sie sind zu groß um durch die Ionenkanäle diffundieren zu können. Die Membran
läßt nur eine Substanz K+ durch. Durch das Konzentrationsgefälle wird das Kalium versuchen
sich sich überall auszubreiten - es diffundiert durch die Membran. Dabei bleiben die negativ
geladenen Aminosäuren zurück. Es ergibt sich ein positiver Ladungsüberschuß auf der
Außenseite und ein negativer innerhalb der Zelle. Der elektrostatische Gradient führt dazu,
daß die Kalium-Ionen außerhalb der Zelle wieder zur Membran getrieben werden. Das
System versucht den elektrischen Gradienten auszugleichen. Das K + strömt also dem
Konzentrationsgefälle folgend so lange nach außen, bis die elektrostatische Anzeihung so
groß ist, daß Rückwanderung und Auswanderung gleich sind und durch den Ausstrom
gestoppt wird. So entsteht ein Gleichgewicht zwischen dem elektrischen Gradienten und dem
Konzentrationsgradienten.
+
+ + +
+
außen
Aufgrund der Ladungsdifferenz wandern
einige Ionen zurück.
+
Doppellipidschicht
innen
+
+
+
+
-
+
- + + +
+
-
+
+ +
-
außen
Doppellipidschicht
- ++
+
innen
- +
+
+
--
-
+
-
+ + + +
+ - - +
+ +
Betrachten wir die K+ Ionen: Da K+ -Ionen im Zellinneren in höherer Konzentration als im
extrazellulären Raum vorliegen, diffundieren sie entlang ihres Konzentrationsgefälles vom
Zellinneren nach außen. An der Außenseite entsteht eine positive Ladung wegen des leichten
Überschusses an positiven Ionen, die Innenseite wird negativer. Weil sich ungleichnamige
Ladungen anziehen, sammeln sich die entsprechenden Ionen an den jeweiligen Seiten der
Membran: Die Positiven außen, die Negativen innen. Die Diffusion der K + Ionen hört auf,
wenn die elektrostatische Kraft und die Kraft aus dem Konzentrationsunterschied sich die
Waage halten. Je mehr K+ ausströmt, desto größer wird die Ladungstrennung und damit auch
die Potentialdifferenz. Die elektrische Kraft, die sich aufgrund dieses Potentials aufbaut, wirkt
der Kraft aus dem Konzentrationsgradienten entgegen. Bei einem bestimmten Potential
(Nernst-Potential) befindet sich der Konzentrationsgradient und der elektrostatische Gradient
im Gleichgewicht:
E k 
R  T K  außen
ln 
zF
K innen
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Brain Modelling
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EK+ ist das K+ -Gleichgewichtspotential, R (=8.314 J.K-1.mol-1) die allgemeine Gaskonstante,
T die absolute Temperatur in Kelvin, z die Wertigkeit von K + (also z=1) und F
(=9.648.104.C.mol-1 ) die Faraday-Konstante. RT/F beträgt bei 25°C rund 25 mV.
-
Na+
Cl
Na+
-
Cl
K
Na+
+
-
A-
Cl
-
Na+
A
K+
K+ A-
K+
K+
A-
Cl
-
Cl
Na+
-
Na+
Cl
-
Na+
-
Cl
Na+
K+
-
Cl
++++
++++
----
----
AK+
K+
A-
K+
K+
AA-
Für die Membran des Neurons ist der Sachverhalt noch etwas komplizierter. Wir haben nicht
nur eine oder zwei sondern mehrere Ionensorten. Das K+-Ion versucht rauszuwandern, das
Na+-Ion versucht reinzuwandern - aufgrund des Konzentrationsgefälles (links). Beide
Ionentypen werden aber aufgrund des elektrostatischen Gradienten daran gehindert.
Wesentlich mehr Chlor befindet sich im Extrazellulärraum, da im Inneren die negativen Ionen
überwiegen (A-). Das Chlor kann sich im wesnetlichen relativ frei durch alle Ionenkanäle
bewegen und so hat das Chlor keinen Einfluß auf das Ruhemembranpotential.
An der Membran bauen sich lokale Wölkchen von
geladenen Teilchen auf. Diese Verteilung wird aber
durch die Thermodynamik gestört. So werden manche
Ionen in den weiteren Extrazellulärraum getrieben.
Damit ist das Gleichgewicht zwischen dem
Konzentrationsgefälle
und
dem
elektrischen
Gradieneten wieder gestört. Deshalb strömt wieder
etwas Kalium in den Extrazellulärraum. Auf Dauer
würden sich das Membranpotential abbauen. Aus
diesem Grund gibt es ein Pumpensystem, daß Kalium
Querschnitt durch einen Dendriten.
in, und Natrium aus der Zelle pumpt. So kann das
Gleichgewicht aufrecht erhalten werden.
Die Ladungsverteilung muß überall gleich groß sein. Mehrere Prozesse versuchen dies zu
verhindern:
1) Die Membran ist undurchlässig für Aminosäuren A-, weil diese zu groß für die Kanäle
sind.
2) Die Membran ist semipermeabel für Na+ und K+. Normalerweise passiert K+ die Membran
leichter als Na+.
3) Die Membran enthält ein Pumpensystem, das intrazelluläres Na+ mit extrazellulärem K+
austauscht.
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Brain Modelling
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Für die unterschiedlichen Ionenarten ergeben sich folgende Werte:
Ionenart
K+
Na+
ClA-
intrazellulär [mM]
400
50
32
385
extrazellulär [mM]
20
440
560
-
Gleichgewichtspot. [mV]
-75 mV
+55 mV
-60 mV
-
Die Natrium-Kalium Pumpen bringen rund 2 K+-Ionen nach innen und 3 Na+-Ionen nach
außen. Dies ist ein aktiver Prozeß, der Energie benötigt.
Die Ionenkanäle arbeiten nicht perfekt. Das heißt es werden auch Ionen einer anderen Art
durchgelassen. Dadurch kommt es zu Leckströmen J L, das heißt die Werte werden sich noch
etwas verändern.
Das Verhalten eines kleinen Stückchens der Membran eines Neurons im unterschwelligen
Spannungsbereich kann man zum Groteil mit einer einfachen Schaltung aus Widerständen,
Kondensatoren und Batterien beschreiben.
+
Jm
Jc
Jk
intrazellulär
JNa
JL
GL
Cm
GK(Vm,t)
VK
+
–
GNa(Vm,t)
VNa
—
–
+
VL
+
–
extrazellulär
Die Membran besitzt eine gewisse Kapazität Cm. Ein Ionenkanal wird durch eine Batterie und
einen Widerstand dargestellt. Der Kanal stellt den Widerstand dar. Die Physiologen geben
aber lieber die Leitfähigkeit G (Kehrwert des Widerstandes) an, da sie ein direktes Maß für
die Effizienz eines Ionenkanals ist. Das dort - durch Diffusion von Ionen - auftretende
Potential - das Nernstpotential - entspricht einer Batterie.
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Brain Modelling
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3.2 Elektrische Eigenschaften der Membran
Im Gegensatz zum Ruhemembranpotential ist das Membranpotential Vm ein allgemeinerer
Begriff, der jede Art von Potential in jedem Augenblick an der Membran folgendermaßen
definiert:
Vm=Vi - Va
wobei Vi das Potential im Inneren und Va das Potential im Zelläußeren ist.
Vaussen
Vinnen
Membran
Ändert sich das Gleichgewicht der Ionen im intra- und extrazellulären Raum durch das Anlegen
einer Spannung - der elektrische Gradient wird verändert - so wird sich das Membranpotential
ändern. Es depolarisiert. Die Größe der Depolarisation, die als Reaktion auf die Strominjektion,
gegeben durch ein Experiment oder chemische Einflüße auf das Axon, entsteht, bestimmt den
Eingangswiderstand R einer Zelle. Nach dem Ohm'schen Gesetz ist die Größe der
Depolarisation U gegeben durch
U = IR
Wenn es bei zwei Neuronen zu identischen synaptischen Reizungen im elektrischen Sinne
kommt, tritt bei der Zelle mit dem größeren Eingangswiderstand eine größere Änderung des
Membranpotentials auf. Bei einer idealisierten kugelförmigen Nervenzelle ohne Ausläufer
hängt der Eingangswiderstand sowohl von der Dichte der Ruhemembrankanäle als auch von der
Größe des Neurons ab. Je größer ein Neuron ist, desto größer ist seine Membranoberfläche und
desto geringer ist sein Eingangswiderstand, weil mehr Ruhemembrankanäle zur Ionenleitung
vorhanden sind. Um die Widerstände von unterschiedlich großen Nervenzellen vergleichen zu
können, sprechen Elektrophysiologen oft vom spezifischen Membranwiderstand Rm, also
dem Widerstand einer Flächeneinheit der Membran, der in Ohm mal Quadratzentimeter
[cm2] angeben wird. Um den Gesamtwiderstand zu berechnen muß der spezifische
Membranwiderstand durch die Membranoberfläche der Zelle dividiert werden und so erhalten
wir für ein kugelförmiges (idealisiertes) Neuron:
R in 
Rm
4a 2
wobei a der Radius des Neurons ist. Im realistischeren Fall eines Neurons mit ausgedehnten
Dendriten und Axonen hängt der Eingangswiderstand sowohl vom Membranwiderstand der
Fortsätze als auch vom Widerstand des Cytoplasmas zwischen dem Zellkörper und seinen
Ausläufern ab. Ein unterschwelliges Spannungssignal an Dendriten und Axonen nimmt mit
zunehmender Entfernung von seinem Entstehungsort ab. Postsynaptische Potentiale, die an
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Brain Modelling
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Dendriten entstehen, werden in Richtung Zellkörper und Axonhügel geleitet. Das Cytoplasma
eines Dendriten setzt dem längsgerichteten Strom einen signifikanten Widerstand entgegen,
weil es eine relativ geringe Querschnittsfläche hat. Je länger ein Dendrit ist, desto größer ist
auch der Widerstand, weil sich die Querschnittswiderstände addieren. Will man darstellen, wie
der Widerstand über die Gesamtlänge eines Dendriten kontinuierlich zunimmt, kann man sich
den Dendriten als eine Reihe von identischen, mit Cytoplasma gefüllten Membranzylindern
vorstellen. Jeder Zylinder hat seine eigene Membrankapazität und seinen cytoplasmatischen
Längswiderstand. Die Membrankapazität entsteht dadurch, daß die Proteine, aus denen sich die
Membran zusammensetzt, einen Isolator darstellen.
In dieser Kapazität können elektrische Ladungen gespeichert werden. Der Axial- oder
Längswiderstand des cytoplasmatischen Innenraums ra, pro Längeneinheit (1 cm) in /cm
angegeben, hängt sowohl vom spezifischen Widerstand  des Cytoplasmas an-gegeben in
cm, als auch von der Querschnittsfläche des Dendriten mit dem Radius a ab:
ra 

a 2
Der Membranwiderstand rm hängt sowohl vom spezifischen Widerstand einer Flächeneinheit
der Membran Rm als auch vom Umfang des Dendriten ab und wird pro Längeneinheit des
Zylinders in .cm angegeben.
rm 
Rm
2a
Wie ändert sich nun das Membranpotential entlang des Dendriten mit der Entfernung, wenn
man an einer Stelle Strom injiziert ? Sei vorausgesetzt, der kapazitive Strom sei Null und das
Membranpotential hat ein konstantes Niveau erreicht, dann hängt die Potentialveränderung
durch eine Strominjizierung ausschließlich von den relativen Werten von rm und ra ab.
rm
cm
rm
ra
cm
rm
ra
cm
rm
ra
cm
cm
rm
ra
cm
rm
ra
ra
Der injizierte Strom fließt in den aufeinanderfolgenden Membranzylindern auf mehreren Wegen
durch die Membran nach außen. Jeder dieser Strompfade besteht aus zwei Widerständen in
Serie: Den Gesamtlängswiderstand rx und dem Membranwiderstand rm eines
Membranzylinders. Weil sich Widerstände in Serie summieren, gilt rx = rax, wobei x die
Entfernung in cm entlang des Dendriten vom Injektionsort ist. Durch die Membran eines
Zylinders in der Nähe der Injektionsstelle fließt mehr Strom als an entfernteren Orten, (weil
Strom immer den Weg des geringsten Widerstands folgt) und der Gesamtlängswiderstand rx,
mit zunehmender Entfernung vom Injektionsort zunimmt. Wegen Um = Imrm wird die
Änderung des Membranpotentials Um(x), die der Strom durch die Membran erzeugt, kleiner,
wenn man sich auf dem Denriten von der Stromelektrode entfernt. Die Abnahme mit
wachsender Entfernung erfolgt exponentiell und wird durch folgende Gleichung ausgedrückt:
U m x   U 0e  x 
wobei  die Längskonstante der Membran, x die Entfernung von der Strominjektionsstelle und
U0 die Änderung des Membranpotentials ist, die vom Strom am Ort der Stromelektrode (x=0)
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Brain Modelling
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hervorgerufen wird. Die Längskonstante ist die Entfernung von der Strominjektionsstelle zu
dem Ort auf dem Dendriten, an dem Um auf 1/e oder auf 37% seines Ursprungswertes
abgenommen hat. Sie wird folgendermaßen berechnet:

rm
ra
Je besser die Isolierung der Membran ist - je größer rm ist - und je besser die
Leitungseigenschaften des Dendriteninneren sind - je niedriger ra ist - desto größer ist die
Längskonstante des Dendriten. Weil rm in umgekehrtem Verhältnis zum Radius steht, wogegen
ra indirekt proportional zum Quadrat des Radius ist, ist die Längskonstante proportional zur
Quadratwurzel des Radius. Deswegen haben Axone mit größerem Durchmesser eine größere
Längskonstante als dünne Axone. Eine Myelinisierung führt ebenso zu einer größeren
Längskonstante.
3.3 Entstehung eines Aktionspotentials
Es existieren nicht nur spannungsunabhängige Ionenkanäle. Es gibt auch spannungsabhängige Ionenkanäle. Diese Kanäle öffnen sich ab einer gewissen Spannung. Die Na+ spannunggesteuerten Kanäle arbeiten wesentlich schneller als die K+ -spannungs-gesteuerten
Kanäle. Bei der Signalweiterleitung im Axon werden Natrium- und Kalium-Kanäle primär
durch die Membranspannung gesteuert. Diese Kanäle werden nach dem "Alles oder Nichts"Prinzip ein oder ausgeschaltet.
Mg2+
Im linken Bereich sehen wir einen offenen Ionenkanal. Mitte Links gibt es eine lokale
Konformationsänderung. Mitte rechts gibt es eine Änderung der Struktur. Rechts ist ein ganz
spezifischer Ionenkanal dargestellt. Ein Teilchen blockiert den Ionenkanal und nur durch
einen speziellen Mechanismus kann dieses Teilchen den Ionenkanal öffnen.
Glaspipette
I (Strom durch einen einzelnen Ionenkanal)
geschlossen
2 pA
offen
0
20
40
60
Zellmembran
t [ms]
Ionenkanal
Der Strom durch einen einzelnen Ionenkanal kann mir der Patch-Clamp-Technik gemessen
werden. An eine Mikropipette (1 m Durchmesser) die mit der Membranoberfläche Kontakt
hat, wird ein Unterdruck erzeugt. So wird der Ionenkanal elektrisch von der Umgebung
separiert. Im Inneren der Pipette ist eine Salzlösung, die in etwa den elektrischen
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Brain Modelling
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Eigenschaften der extrazellulären Flüssigkeit entspricht. Mit dieser Methode konnten 3
verschiedenen Typen von Ionenkanälen identifiziert werden: spannungs-, transmitter- und
mechanisch gesteuerte Kanäle. Die Signale, die den Kanal steuern, kontrollieren die
Wahrscheinlichkeit mit der ein Kanal offen oder geschlossen ist. Es ist nicht so, daß ein Kanal
die ganze Zeit ununterbrochen offen bleibt, wenn ein geeignetes Signal auf den Ionenkanal
wirkt. Das Öffnen und Schließen erfolgt fast augenblicklich.
Na+ und K+ Ionenkanäle
Betrachten wir die spannungsabhängigen
Ionenkanäle. Wird die Membran lokal
50
vorüber-gehend auf etwa -50 mV
Aktionspotential
depolarisiert, dann ist der Schwellwert
überschritten und es werden die schnellen
spannungsgesteuerten
Kanäle
für
0
Natrium-Ionen geöffnet und diese Ionen
Natriumleitfähigkeit
können in die Zelle einströmen. Aufgrund
der
so
vergröerten
Kaliumleitfähigkeit
Membranpermeabilität
für
Na+
+
-50
überschreitet der Na -Einstrom den K+ Ausstrom.
Der
resultierende
Nettoeinstrom
positiver
Ladungen
verursacht eine weitere Depolarisation
und als Ergebnis kommt es zu einer totalen Depolarisation der Membran. Dieser positive
Rückkopplungs-mechanismus entwickelt sich explosionsartig. Das Potential bewegt sich in
Richtung +55 mV.
Membranpotential (mV)
U
t
U
t
U
t
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Brain Modelling
24
Danach schalten sich die Na+ -Kanäle langsam ab und die langsameren K+ -Kanäle werden
aktiviert. Nach einem gewissem Zeitpunkt kehrt das System wieder in den Ruhezustand zurück.
Die Depolarisation der Membran, das Ungleichgewicht der Ladungsverteilung, ist nicht lokal
begrenzt. Wenn es zu einer Depolarisation kommt, dann werden auch die benachbarten
Membranareale davon beinflußt. Meist wird ein Aktionspotential am Axonhügel ausgelöst. Von
dort bewegt sich die Depolarisation in zwei Richtungen: entlang des Axons und entlang der
Dendriten.
Es können mehrere Ersatzschaltkreise miteinander gekoppelt werden. Damit ist es möglich die
Ausbreitung eines Aktionspotentials beziehungsweise eine Strominjektion in den Dendriten zu
beschreiben (Achtung: Die Membran ist überall gleich gebaut. Es existiert kein Unterschied
zwischen einer "Axon-" oder "Dendritenmembran").
Das Hodgkin Huxley Modell
Das Hodgkin-Huxley Modell bringt die Membranstromdichte und die Membranspannung in
einen Zusammenhang (siehe das Ersatzschaltbild). Die J's sind Stromdichten [A/cm2], die V's
sind Spannungen oder auch Potentiale [V]; Cm ist die Kapazität der Membran pro
Flächeneinheit [F/cm2] und die G's bezeichnen die spezifischen Ionenleitfähigkeiten [S/cm2].
Es gibt vier Zweige im Schaltplan (siehe oben), aus denen sich der resultierende Gesamtstrom
ergibt. Einer davon berücksichtigt die Kapazität der Membran, während die anderen drei die
Ionenströme (spannungsabhängige Natrium- und Kaliumströme und die Leckströme,
verursacht durch die spannungsunabhängigen Kanäle, aus denen auch das Ruhepotential
resultiert) beschreiben. Der Natrium- und Kaliumzweig ist repräsentiert durch einen
Widerstand in Serie mit einem Nernst-Gleichgewichtspotential (Batterie) für das jeweilige
Ion. Wichtig in diesem Modell ist, daß die Natrium- und Kaliumleitfähigkeiten vom
Membranpotential und der Zeit abhängen. Das Leckpotential beziehungsweise die damit
verbundene Leitfähigkeit wird als konstant betrachtet. Unter Anwendung der Kirchhoff'schen
Regeln und dem Ersatzschaltbild ergibt sich:
J m  J C  Jion
1.1
und die Stromdichten für die verschiedenen Ionen
J ion  J K  J Na  J L
1.2
was geschrieben werden kann als:
J m  J C  J K  J Na  J L
1.3
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Brain Modelling
25
Durch Anwendung des Ohm'schen Gesetzes (I=U/R=UG) und (I= Q , Q=C∙U) erhalten wir:
J m  Cm
Vm
 G K (Vm , t )  (Vm  VK )  G Na (Vm , t )  (Vm  VNa )  G L  (Vm  VL ) 1.4
t
VNa und VK stellen das Nernst'sche Gleichgewichtspotential für Natrium und Kalium dar,
definiert durch
VNa 
ce
RT
log iNa
F
c Na
und VK 
ce
RT
log iK
F
cK
1.5
wobei R die molare Gaskonstante, T die absolute Temperatur und F die Faradaykonstante
(F=9.6487104 Cmol-1) darstellen. Die molaren Konzentrationen für intrazelluläre
beziehungsweise extrazelluläre Natriumionen und Kaliumionen ist durch c iNa , c eNa , c iK und c eK
gegeben.
Für den Zusammenhang von Strom und Spannung entlang eines Zylinders, das heißt in
Richtung z, ergibt sich mit a als Radius der Querschnittsfläche eines Axons und r a als
axoplasmatischer Längswiderstand. Man kann zeigen, daß gilt:
 2 Vm
z 2
 2  a  ra  J m
1.6
Unter Verwendung von 1.4 und 1.6 ergibt sich
1  2 Vm
V
 Cm m  G K (Vm , t )  (Vm  VK )
2
2ara z
t
 G Na (Vm , t )  (Vm  VNa )  G L (Vm  VL )
1.7
Diese Gleichung beschreibt die Ausbreitung des elektrischen Potentials entlang einer
Axonmembran. Das Membranpotential, gegeben durch Gl. 1.7 kann nun berechnet werden,
wenn die Funktionen GK(Vm,t) und GNa(Vm,t) bekannt sind.
Um diese Leitfähigkeiten bestimmen zu können, muß das Membranpotential systematisch
variiert werden, wobei man gleichzeitig die resultierenden Veränderungen der Na +- und K+Leitfähigkeiten mißt. Das ist experimentell schwierig durchzuführen, weil das
Membranpotential und das Öffnungsverhalten der Na+- und K+- Kanäle stark voneinander
abhängen. Im Jahr 1949 entwickelte Cole eine Technik, die als Spannungsklemme (voltage
clamp) bezeichnet wird. Mit Hilfe dieser Apparatur lassen sich die Leitfähigkeiten
bestimmen.
Strommeßgerät
Stromelektrode
Spannungsklemme
Strom
Stromelektrode
Axon
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
26
Wenn das Membranpotential eines Axons "geklemmt" wird, dann öffnen oder schließen sich
aufgrund der aufgezwungenen Potentialänderungen hin zwar immer noch die
spannungsgesteuerten Ionenkanäle; die Spannungsklemme verhindert jedoch wirkungsvoll,
daß die dabei entstehenden Ströme durch die Membran das vorgegebene Membranpotential
beinflussen. Auf diese Weise kann man die Veränderungen der Membranleitfähigkeit für
einzelne Ionenarten bei verschiedenen Membranpotentialen messen. Die Apparatur besteht
aus einer Stromquelle, die mit zwei Elektroden, jeweils für den intra- beziehungsweise
extrazellulären Bereich, verbunden ist. Man kann das Membranpotential schnell auf einen
vorbestimmtem Depolarisationswert springen lassen, indem man Spannung an der Membran
anlegt.
Damit die gemessene Strom-Spannungs-Beziehung der Membran auswertbar ist, muß das
Membranpotential über der gesamten Membranoberfläche konstant sein. Man kann diese
Bedingung dadurch erhalten, daß ein sehr gut leitender strominjizierender Draht den
axoplasmatischen Widerstand kurzschließt und daher den Längswiderstand auf Null reduziert.
Aufgrund der vorgegebenen Depolarisation öffnen sich die Na+- und K+-Kanäle . Die so
entstehenden Na+- und K+-Ströme würden normalerweise das Membranpotential verändern,
aber die Spannungsklemme hält es auf dem vorgegebenen Wert fest. Wenn sich die Na +Kanäle nach einem mäßig depolarisierenden Spannungsprung öffnen, entwickelt sich
normalerweise ein Einwärtsstrom, weil Na+-Ionen, angetrieben von der elektrochemischen
Potentialdifferenz, durch diese Kanäle in die Zelle fließen. Dieser Na +-Einstrom depolarisiert
die Membran, indem er die positive Ladung an der Membraninnenseite erhöht und die an der
Außenseite erniedrigt. Die Spannungsklemme greift hier ein, indem sie gleichzeitig positive
Ladungen aus der Zelle in die externe Lösung pumpt. Der Voltage-Clamp-Stromkreis erzeugt
also einen gleich großen, aber entgegengerichteten Strom und steuert so automatisch jedem
Strom durch die Membran entgegen, die zu einer Abweichung des Membranpotentials vom
vorgegebenen Wert führen würde. Im Endergebnis findet keine Nettoänderung der
Ladungsmenge über der Membran statt und damit auch keine signifikante Verschiebung des
Membranpotentials.
Betrachten wir jetzt den kapazitiven Strom. Das Membranpotential V m ist zu jeder Zeit
proportional zur Ladung Qm des Membrankondensators. Wenn sich Vm nicht ändert, ist die
Ladung Qm konstant und es fließt kein kapazitiver Strom. Wenn auf die Sollspannung ein
Rechteckimpuls gelegt wird, fließt nur am Anfang und am Ende dieses Impulses ein
kapazitiver Strom. Dieser Strom ist sehr kurzlebig und er unterscheidet sich deutlich vom
ionischen Strom. Damit läßt sich der Ionenstrom isolieren und entsprechen analysieren.
Wenn man nun ein um zehn Millivolt depolarisierendes Potential (Sollspannung) anlegt,
beobachtet man zuerst, daß ein sehr kurzer Auswärtsstrom den Membrankondensator
augenblicklich mit der Strommenge entlädt, die für eine Depolarisation um 10 Millivolt
notwendig ist. Diesem kapazitiven Strom JC folgt ein kleiner Ionenausstrom, der für die Dauer
des Spannungssprungs anhält. Am Ende des Spannungssprungs beobachtet man einen kurzen,
einwärts gerichteten kapazitiven, Strom und der gesamte Membranstrom kehrt zu Null zurück
(Figur 3.3 links). Der ionische Gleichgewichtsstrom, den man während der Dauer der
Reizung messen kann, fließt durch die Ruhemembrankanäle und wird als Leckstrom J L
bezeichnet. Diese Ruhemembrankanäle, die immer geöffnet bleiben, sind für den Aufbau des
Ruhemembranpotentials verantwortlich.
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Brain Modelling
27
Vm
[mV]
Vm
[mV]
0
-50
t
-60
Jm
t
-60
Jm
JC
JC
JL
JL
auswärts
0
einwärts
t
0
t
JC
Messungen mit der Spannungsklemme am Riesenaxon des Tintenfisches. In der linken
Darstellung wird die Schwelle für das Aktionspotential im Gegensatz zur rechten Darstellung
nicht ausgelöst.
Wenn man eine größere depolarisierende Sollspannung anlegt, werden die Stromkurven
komplizierter. Die Amplituden der kapazitiven Ströme und der Leckströme steigen an.
Außerdem entstehen kurz nach dem Ende des kapazitiven Stroms und nach dem Beginn des
Leckstroms ein Einwärtsstrom. Dieser erreicht innerhalb weniger Millisekunden sein
Maximum, fällt dann wieder ab und wird durch einen Auswärtsstrom ersetzt. Dieser
Auswärtsstrom erreicht ein Plateau, das für die Dauer des Spannungsprungs bestehen bleibt.
Diese Ergebnisse lassen sich am einfachsten so erklären, daß die depolarisierende Spannung
nacheinander Kanäle für zwei unterschiedliche Ionen aktiviert: Einen Kanaltyp für den
einwärts und einen Kanaltyp für den auswärts gerichteten Strom. Weil sich diese
entgegengerichteten Ströme teilweise zeitlich überlappen, ist die schwierigste Aufgabe bei der
Analyse solcher Voltage-Clamp-Experimente, die einzelnen Zeitverläufe getrennt
voneinander zu bestimmen.
Wenn man die K+-Kanäle mit TEA (Tetraethylammonium) in der Axonmembran blockiert,
besteht der Membrangesamtstrom J m aus dem kapazitiven Strom, dem Leckstrom und dem
Natriumstrom (JC, JL, JNa). Die Leckleitfähigkeit ist konstant; sie variiert praktisch nicht mit
dem Membranpotential oder mit der Zeit. Daher kann JL leicht bestimmt werden und vom
Membrangesamtstrom abgezogen werden, wodurch JNa und JC übrigbleiben. Der Strom
verursacht durch die Membrankapazitäten tritt nur kurz am Anfang und am Ende des Pulses
auf, man kann ihn leicht erkennen und eliminieren. So bleibt der reine Natriumstrom JNa
übrig. Um den Strom durch die spannungsgesteuerten Na+-Kanäle zu messen, injiziert man
mehrere verschiedene Ladungsmengen und klemmt das Membranpotential dadurch auf
verschiedene Werte. In ähnlicher Weise kann man den Kaliumstrom JK messen, wenn man die
Na+-Kanäle durch TTX (Tetrodotoxin) blockiert.
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Brain Modelling
28
Jm
[mA/cm2]
Jm
[mA/cm2]
Kalium
0.4
Natrium
2.5
0
0
-0.4
0
5
10
Zeit [ms]
15
0
5
10
Zeit [ms]
15
20
Verschiedene Messungen von Kalium- und Natriumströmen unter Voltage-ClampBedingungen. Das Ruhepotential wurde auf -70 mV eingestellt und für Kalium wurde das
Potential von -60 bis +40 mV, für Natrium von -40 bis +80 mV mit Schritten von 10 mV
variiert. Die Temperatur betrug 4-5 °C.
Um die Leitfähigkeiten aus den Voltage-Clamp-Strömen zu berechnen, wird das
Ersatzschaltbild herangezogen. Aus dem Ohmschen Gesetz kann man den Strom durch jede
Klasse der spannungsgesteuerten Kanäle errechnen.
J K Vm , t   G K (Vm , t )  Vm  VK  und J Na Vm , t   G Na (Vm , t )  Vm  VNa 
1.8
Die Umformung und Auflösung nach G ergibt zwei Gleichungen, nach denen sich die
Leitfähigkeiten berechnen lassen:
J (V , t )
J (V , t )
1.9
G K (Vm , t )  k m
und G Na (Vm , t )  Na m
Vm  VK
Vm  VNa
Um diese Gleichungen zu lösen, muß man Vm, VK, VNa, JK und JNa kennen. Die unabhängige
Variable Vm wird durch das Experiment festgelegt. Die abhängigen Variablen J K und JNa
können aus den Messungen der Voltage-Clamp-Experimente abgeleitet werden. Die
verbleibenden Konstanten VK und VNa können bei bekannten Ionenkonzentrationen nach der
Nernst-Gleichung berechnet werden.
Hodgkin und Huxley haben die Kaliumleitfähigkeit durch folgende Gleichungen beschrieben:
G K (Vm , t )  G K n 4 (Vm , t)
1.10
dn
  n (1  n)   n n
dt
1.11
dabei ist G K der konstante maximale Leitwert und n ist spannungs- und zeitabhängig. Die
Formulierung geht von der Annahme aus, daß die Fähigkeit der K+-Ionen, durch die Membran
zu fließen, vom Zustand oder der Position von geladenen Molekülen in der Membran
abhängt. Im Zustand  können die K+-Ionen passieren, während sie im Zustand  für K+
undurchlässig ist. Die Funktion n beschreibt dann den Anteil der Moleküle, die sich im
Zustand  befinden, und 1-n ist der Anteil im Zustand . Die Reaktionsgeschwindigkeit des
Überganges vom Zustand  in den Zustand  wird mit n bezeichnet und die des Übergangs
von    mit n. Die beiden Parameter n und  n sind potential- aber nicht zeitabhängig.
Beim Ruhepotential ist n groß und n klein. Bei der Depolarisation wächst n
potentialabhängig, und  n fällt, folglich steigt n und damit GK. Nach ausreichend langer
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Brain Modelling
29
Depolarisation ist n größer als  n und das Gleichgewicht stellt sich so ein, daß die meisten
Moleküle im Zustand  sind. Die Leitfähigkeit GK hat somit einen hohen Wert und behält ihn
solange die Depolarisation andauert. Die Funktion n erhielt die vierte Potenz, weil nur so der
verzögerte, aber dann steile Anstieg der Kaliumleitfähigkeit nachgebildet werden konnte.
Die Natriumleitfähigkeit der Membran wird durch ein ähnliches Gleichungssystem
beschrieben. Es muß aber der Komplikation Rechnung getragen werden, daß GNa nach einer
Depolarisation der Membran nach rund einer Millisekunde wieder auf den Ruhewert abfällt.
Kurz gesagt, das Natriumsystem wird nach einer Depolarisation deaktiviert. Der Anstieg der
Na+-Leitfähigkeit wird durch die Variable m beschrieben, die sich ähnlich wie n bei der
Natriumleitfähigkeit verhält, und zusätzlich wird die Variable h eingeführt, die die
Inaktivierung beschreibt.
G Na (Vm , t )  G Na  m 3 (Vm , t)  h (Vm , t)
1.12
dm
  m (1  m)   m m
dt
1.13
dh
  h (1  h)   h h
dt
1.14
Hier ist analog zum Kaliumsystem G Na der konstante maximale Natriumleitwert und m und h
beschreiben zwei Mechanismen, die die Natriumleitfähigkeit regulieren, wobei die Reaktionsgeschwindigkeiten m,  m, h und  h nur potentialabhängig sind. Die Funktionen m und  m
zeigen qualitativ dieselbe Potentialbahängigkeit wie n und  n , das heißt sie beschreiben
einen Prozeß, der bei der Depolarisation die Membran für Na+-Ionen öffnet. Dagegen haben
h und  h eine spiegelbildlich verkehrte Potentialabhängigkeit, sind aber absolut kleiner als
m und  m. Bei Depolarisation nimmt deshalb h langsamer ab, als m zunimmt. Folglich steigt
die Leitfähigkeit schnell an, inaktiviert aber nach kurzer Zeit die Membrandurchläßigkeit. Die
numerischen Werte für m,  m, h und  h könne aus den Zeitverläufen von GNa bestimmt
werden.
Zeitverlauf für n, n4, m, m3, h und m3h während eines Depolarisierungspulses von -70 bis 0
mV für die Dauer von 3 ms. Die Funktionen n und m folgen dem (1-e-t/) Verlauf, im
Gegensatz zu h, das den e-t/ Verlauf nimmt.
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Brain Modelling
30
Hodgkin und Huxley bestimmten die Geschwindigkeitskonstanten in Abhängigkeit des
Membranpotentials und paßten die analytische Ausdrücke an:
n 
m 
0.01(Vm  50)
e
0.1( Vm 50)
1
0.1Vm  35 
e 0.1Vm 35  1
 h  0.07e (Vm 60) / 20
 n  0.125 e -(Vm 60)/80
1.15
 m  4e (Vm 60) / 18
1.16
h 
1
e
0.1( Vm 30)
1
1.17
Das Hodgkin Huxley Modell umfaßt die Gleichungen 1.7 und 1.10-1.17 mit folgenden
numerischen Parametern:
c eNa = 491
mmol/L
36 mS/cm2
c iNa = 50
mmol/L
G L = 0.3 mS/cm2
c eK = 20
mmol/L
VL = -49 mV
c iK = 400
mmol/L
G Na = 120 mS/cm2
GK =
Cm =
1 F/cm2
Diese Daten gelten bei 6.3 °C.
Unter Anwendung obiger Formeln ist es nun möglich, die Weiterleitung von Signalen nichtmyelinisierter Axone hervorragend zu beschreiben.
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Brain Modelling
31
4.0 Die chemische Übertragung zwischen zwei Neuronen
Ein biologisches Neuron empfängt Informationen von anderen Nervenzellen über synaptische
Verbindungsstellen und überträgt sie, zum Beispiel in der Großhirnrinde, an Tausende andere
Neuronen weiter. Die Synapse verstärkt oder schwächt ein Signal ab, das von einem Neuron
zu einem anderen übertragen wird.
Die meisten Nervenzellen besitzen zwischen tausend und zehntausend Synapsen. Man
unterscheidet drei verschiedene Synapsentypen:
a) Effektorsynapsen regen mit den Kollateralen verschiedene Drüsen oder Muskelzellen an.
b) Rezeptorsynapsen dienen der sensiblen Innervation.
c) Interneuronale Synapsen stellen den Kontakt zwischen Nervenzellen auf unterschiedlichste
Weise her. Dieser Typ ist am häufigsten in unserem Gehirn vorhanden.
Die 1 bis 2 m groen Synapsen sind vergleichbar mit kleinen Dornen (Endknöpfchen), die auf
den Dendriten oder am Ende des Axons sitzen. Erreicht ein Nervensignal die Synapse am
Axonende (=Neurit), dann wird eine Überträgersubstanz in den Spalt zwischen den einzelnen
Synapsen ausgeschüttet, durchquert ihn und wird von den Rezeptoren der Synapse des Dendrits
gebunden. Dadurch kommt es zu einer Änderung des elektrischen Zustandes der
nachgeschaltenen Nervenzelle. Es gibt zwei häufige morphologische Synapsentypen im Gehirn,
Gray-Typ I und Gray-Typ II. Synapsen vom Typ I sind erregend (99% von ihnen arbeiten mit
Glutamat), während Synapsen vom Typ II hemmend (oft GABAerg) sind. In der Gesamtzahl
der synaptischen Stärke sind beide gleich häufig vertreten.
Die interneuralen Synapsen können wiederum unterteilt werden. Axosomatische Synapsen
verbinden die Kollaterale mit einer Postsynapse, die direkt am Zellkörper einer
nachgeschaltenen Nervenzelle liegt. Axodendritische Synapsen münden mit den
Axonendigungen an einem Dendriten, wo sie einen Dornfortsatz umgreifen können.
Axoaxonale Synapsen stellen den Kontakt zwischen einer Präsynapse und dem Nachbarneurit
her. Dendrodendritische Synapsen koppeln zwei unterschiedliche Dendriten. Die 1 bis 2 mm
großen Synapsen sind vergleichbar mit kleinen Dornen (Endknöpfchen), die auf den Dendriten
oder am Ende des Axon sitzen. Diese Dornen enthalten kleine Bläschen, auch synaptische
Vesikel genannt, in denen eine Überträgersubstanz gespeichert ist. Erreicht ein Nervensignal die
Synapse im Axonende, wird die Überträgersubstanz in den Spalt zwischen den einzelnen
Synapsen ausgeschüttet, durchquert ihn und wird von den Rezeptoren der Synapse des Dendrits
gebunden. Dadurch kommt es zu einer Änderung des chemischen beziehungsweise elektrischen
Zustandes der nachgeschalteten Nervenzelle.
Es gibt zwei häufige morphologische Synapsentypen im Gehirn: Gray-Typ I und Gray-Typ II.
Synapsen vom Typ I sind oft glutamerg und, wie wir noch in Kapitel 1.5 sehen werden, daher
erregend, während Synapsen vom Typ II oft GABAerg und somit hemmend sind. Bei Synapsen
vom Typ I ist der synaptische Spalt leicht erweitert auf 30 nm, und die präsynaptische aktive
Zone hat eine Fläche von 1 - 2 m2. Bei Synapsen vom Typ II hat der Spalt eine Breite von 20
nm. Somit ist die aktive Zone etwas kleiner.
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Brain Modelling
32
Die
Synapse
ist
eine
spezialisierte Struktur, die der
Kommunikation zwischen zwei
Neuronen
beziehungsweise
zwischen einem Neuron und
Vesikel
einer Muskelzelle dient. Beide
Rezeptor gesteuerVesikelZellen
sind
durch
den
ter Na+-Ionenkanal
depot
sogenannten synaptischen Spalt
voneinander getrennt. Das
präsynaptische Neuron schüttet
einen Neurotransmitter aus, der
an Rezeptoren auf dem
Freisetzungsstellen
Rezeptor
postsynaptischen
Neuron
gebunden wird. Dadurch wird
synaptischer Spalt
das nachgeschalten Neuron in
U [mV]
~20 - 40 nm breit
den elektrischen Eigenschaften
beinflußt.
Die
chemische
0.4
Signalübertragung
lät
sich in
EPSP
zwei Schritte unterteilen: einen
Transmitter-Schritt, bei dem die
präsynaptische Zelle einen
t [ms]
Botenstoff freisetzt, und einen
Rezeptor-Schritt, bei dem der
IPSP
Transmitter an den Rezeptoren
der postsynaptischen Zelle
Die Werte können stark variieren.
gebunden wird. Trifft ein
ausreichend starkes elektrisches Signal auf die Präsynapse, dann werden spannungsgesteuerte
Calciumkanäle geöffnet. Der Anstieg der Calcium-Ionen-Konzentration bewirkt eine
Verschmelzung der synaptischen Bläschen (Vesikel) mit der Membran und der
Neurotransmitter kann aus den Bläschen durch den synaptischen Spalt zu den Rezeptoren der
Postsynapse diffundieren. Bei einem Aktionspotential werden rund 1-10 Vesikel verschmolzen.
Ein Vesikel enthält rund 2000 Moleküle (bezieht sich auf ACTH). Die Transmittermoleküle
reagieren mit den Rezeptoren der postsynaptischen Membran. Diese Rezeptoren veranlassen
daraufhin Ionenkanäle dazu, sich zu öffnen oder zu schlieen was eine Änderung des
Membranpotentials des nachgeschaltenen Neurons zur Folge hat. An der Postsynapse entsteht
ein Potential, wenn ein Neurotransmittermolekül an einem Rezeptor bindet.
Präsynapse
Postsynapse
ausgeschütteter
Neurotransmitter
Man unterscheidet zwei verschiedene Arten von postsynaptischen Potentialen. Zum einen kann
eine der Neurotransmitter verbunden mit dem Rezeptor eine Depolarisation der Membran des
nachgeschaltenen Neurons bewirken. Dies führt zu einem Excitatorischen PostSynaptischen
Potential (EPSP). Wird die Membran hyperpolarisiert, dann spricht man von einem
Inhibitorischem PostSynaptischem Potential (IPSP). Die Signalzeitverzögerung zwischen dem
Eintreffen des Aktionspotentials an der Präsynapse und dem postsynaptischen Potential
beträgt mindestens 0.3 ms, normalerweise aber 1-5 ms.
Es gibt einen speziellen Typ von Synapsen - die NMDA-Synapsen (eigentlich Rezeptoren). Die
Signale werden genauso übertragen, wie oben beschrieben. Dies geschieht durch die
gewöhnlichen Glutamatrezeptoren (AMPA - -amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazolepropionate). Die Ionenkanäle steuern direkt das Membranpotential. Die NMDA-Rezeptoren
(N-methyl-D-aspartate), die genauso auf Glutamat ansprechen, müssen durch einen eigenen
Mechanismus geöffnet werden (Tetanisierung). Sie steuern nur indirekt das Membranpotential.
Wenn sie aktiviert werden, beginnt im inneren der Synapse eine molekulare Kaskade (second
messenger), die unter anderem einen Einfluß auf das Membranpotential hat. Eine Aktivierung
von NMDA-Rezeptoren kann zu einer langanhaltenden Modifikation der Effizienz von
glutamergen Synapsen führen.
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Brain Modelling
33
Bei der Signalübertragung an der Synapse können mehrere Schritte unterschieden werden:
1. Synthese: Der Neurotransmitter wird entweder im Zellkörper hergestellt oder Vor-stufen
des Neurotransmitter werden zur Synapse über das Axon transportiert und in der Synapse
selbst hergestellt.
2. Speicherung: Der Neurotransmitter wird meist in Vesikel gespeichert, in denen er für die
Ausschüttung zur Verfügung steht.
3. Ausschüttung: Beim Feuern des Neurons verschmelzen die Vesikeln mit der präsynaptischen Membran und der Neurotransmitter wird in den synaptischen Spalt abgegeben.
4. Rezeption: Der Neurotransmitter diffundiert durch den Spalt und bindet sich schwach an
den Rezeptoren an der postsynaptischen Membran. Es kommt zu einer Depolarisation oder
Hyperpolarisation des nachgeschaltenen Neurons.
5. Inaktivierung: Bei manchen Synapsen wird der Neurotransmitter im synaptischen Spalt
inaktivert.
6. Wiederaufnahme: Bei anderen Synapsen wird der Neurotransmitter wieder in das
präsynaptische Neuron aufgenommen. Es kann sowohl zur Inaktivierung als auch zur
Wiederaufnahme kommen.
7. Abbau: Der freie Neurotransmitter innerhalb der Endigung kann abgebaut werden, um die
Transmitterkonzentration im Neuron zu regulieren.
Jedes Neuron empfängt ständig die synaptischen Signale andere Neuronen. Einige sind
excitatorisch, einige inhibitorisch, einige effektiver, andere weniger effektiv. Manche Synapsen
liegen auf den Spitzen der apikalen Dendriten, einige auf dem Dendritenschaft andere auf den
Dendritendornen. Die verschiedenen Inputs können einander verstärken oder auch auslöschen.
Die Potentiale die von einem einzelnen postsynaptischen Neuron erzeugt werden sind klein und
nicht in der Lage eine postsynaptische Zelle so stark zu depolarisieren, da die Schwelle für das
Aktionspotential erreicht wird.
Der Nettoeffekt der Inputs an jeder excitatorischen oder inhibitorischen Synapse hängt daher
von verschiedenen Faktoren ab: Vom Ort der Synapse, von ihrer Gröe und Form, sowie von
der Nähe und relativen Stärke anderer erregenden oder hemmenden Synapsen. Die Effektivität
von chemischen Synapsen kann für kürzere oder auch längere Zeit verändert werden.
Die Regulierbarkeit oder synaptische Plastizität wird von zwei Arten von Vorgängen gesteuert:
1) Vorgänge innerhalb des Neurons, wie Änderung des Membranpotentials oder das Abfeuern
von Aktionspotentialen.
2) Extrinsische Prozesse wie die synaptischen Eingänge von anderen Neuronen.
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Brain Modelling
34
Für einen Neurotransmitter müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:
1. Er muß im Neuron synthetisiert werden.
2. Er muß in den präsynaptischen Endigungen vorhanden sein.
3. Exogen verabreicht, wird die selbe Wirkung erzielt.
4. Es ist ein spezifischer Mechanismus vorhanden, um den Transmitter abzubauen.
Ob ein Neurotransmitter erregend oder hemmend wirkt, ist von den Rezeptoren der Postsynapse
abhängig. Praktisch gesehen ist Glutamat meist bei erregenden (Erhöhung der
Membranspannung) und GABA (-Aminobuttersäure) bei hemmenden (Erniedrigung der
Membranspannung) Prozessen beteiligt.
Wir unterscheiden zwischen Neurotransmitter, die praktisch nur der Signalweiterleitung
dienen und Transmitter, die verschiedene Prozesse im Neuron oder an der Synapse
modulieren.
Signalweiterleitung:
Glutamat:
meist erregend, dient der Informationsweitergabe, sehr häufig
GABA:
meist hemmend, 25-40% der Synapsen
Modulierende Wirkung:
Insgesamt mit nur ein paar Prozent im Gehirn vorhanden:
Acetylcholin:
Steuerungsaufgaben im Vorderhirn, Hippocampus, Septum
Catecholamine: Dopamin, Noradrenalin, Adrenalin; modulierende Aufgaben
Serotonin:
Modulierend im Vorderhirn, Cerebellum und Rückenmark
Die letztgenannten Neurotransmitter finden sich im gesamten Gehirn. Von einzelnen zentralen
Schaltstationen (für jeden Neurotransmitter gibt es in ein bis drei Kernen) ziehen Faserstränge
in verschiedenste Gebiete des Gehirns und modulieren dort verschiedenste Prozesse.
Die Neurotransmitter Serotonin,
Dopamin und Noradrenalin
haben häufig bei wichtigen
geistigen und neurologischen
Fehlfunktionen eine wesentliche
Bedeutung, wie sie zum Beispiel
bei Depression, Schizophrenie,
Autismus, Rauschgiftsucht und
bei der Parkinson-Krankheit
auftreten.
Die Prozesse im Inneren einer
Synapse
können
durchaus
kompliziert werden. Zum Teil
können
aber
auch
Neurotransmitter
auf
die
regulativen Prozesse einen
Einfluß haben.
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Brain Modelling
35
Überblick zwischen verschiedenen Signalen, die an Neuronen auftreten können, und den
damit verbundenen Ionenkanälen:
Ionenkanäle
Signal
Typ
Mechanismus
Signaleigenschaften
Ruhepotential
meist K+- und Cl-- überwiegend
Leck- variiert in verschiedenen
Kanäle einige Na+- kanäle (auch span- Zellen zwischen -45
Kanäle
nungsgesteuerte
K+- und -90 [mV]
Kanäle)
Aktionspotential
separate Na+und K+-Kanäle
spannungsgesteuerte
Alles oder Nichts Prinzip
Kanäle, Na+- und K+- Amplitude:  100 [mV]
Kanäle werden nach- Dauer: 1-10 [ms]
einander aktiviert
Rezeptorpotential unspezifischer
sensorischer Reiz
Kationen-kanal für
Na+- und K+-Ionen
graduiert, schnell,
Dauer: mehrere Millisek.
Amplitude: einige [mV]
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Brain Modelling
36
5.0 Technische neuronale Netzwerke
Es gibt eine Vielzahl von unterschiedlichen Modellen, die die Aktivitäten von Neuronen
beschreiben. Hodgkin und Huxley waren die ersten, die mit Hilfe einer Differentialgleichung
die elektrische Erregung in einem Neuron über den Natrium- und Kaliumhaushalt sinnvoll
beschrieben haben. Dieses Modell war nur der Beginn einer langen Reihe von verschiedenen
mathematischen Beschreibungsweisen. So ist das Bonhoeffer-Van der Pol als auch das FitzHugh Nagumo Modell als Weiterentwicklung zu erwähnen. Dadurch ist es gelungen, die
Wirkungsweise von Medikamenten und Nervengiften wesentlich besser verstehen zu können.
So ist es wichtig, nicht nur die chemischen Eigenschaften von Neuronen, sondern auch das
mathematische Konstrukt zur Beschreibung der biochemischen Eigenheiten zu kennen.
Dieses Kapitel liefert eine kurze Einführung in die Modellbildung und physikalische
Beschreibungsweise von einzelnen Neuronen.
5.1 Formale Neuronen
U [mV]
0
Schw elle
t
Entladungsfrequenz des Neurons
t
Entladungsfrequenz [Hz]
20
Im
Unterschied
zur
Biologie
beziehungsweise Neurologie können
auch andere Modelle benutzt werden,
bei denen nicht alle Aspekte eines
Neurons exakt beschrieben werden.
Stattdessen wird ein Modell verwendet,
daß eine sehr grobe Verallgemeinerung
darstellt. Die sich ergebenden Netze
sind somit keine Neuronen-Netze,
sondern
nur
"neuronale"
(neuronenähnliche) Netze. In Hinkunft
werden
alle
neuronenähnliche
Verarbeitungseinheiten, als formale
oder technische Neuronen bezeichnet.
Beschäftigen wir uns einmal mit der
Kodierung
der
Information
in
technischen neuronalen Netzen und
deren biologischer Begründung.
Wie vorher dargelegt, muß eine
elektrische Schwelle überschritten
15
werden, damit es zur Auslösung eines
Aktionspotentials kommt. Steigt die
10 b
Reizstromstärke weiter an, so feuert das
b2
1
Neuron
öfters.
Obwohl
das
5
resultierende Axonsignal von Natur aus
binär ist (feuern oder nicht feuern), läßt
sich scheinbar diese binäre Information
1 2 3 4 5 6 7 8
in eine nicht-binäre Form übertragen,
Reizstromintensität (log.Einheiten)
wenn man die Feuerfrequenz eines
Neurons betrachtet. Wie wir sehen können ist die Feuerfrequenz in weiten Grenzen in guter
Näherung stückweise linear bezogen auf den Logarithmus der Stärke des angelegten Reizes.
Bei hohen Reizstärken geht die Zellaktivität in eine Sättigung über, die durch eine mindestens
1 ms lange Regenerationszeit nach einem Aktionspotential bestimmt wird. Damit ist die
maximale Taktfrequenz der Neuronen auf einen relativ niedrigen Wert von 1 kHz beschränkt.
Sättigung
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
37
Das Grundmodell eines technischen Neurons stützt sich im wesentlichen auf die
Vereinfachungen von McCulloch und Pitts, die ein Neuron als eine Art Addierer mit
Schwellwert betrachteten.
Die Synapsen eines Neurons nehmen Aktivierungen xi, vergleichbar den EPSP's, mit
bestimmten Stärken wi (Gewichtungen, synaptischen Stärken) von anderen Neuronen auf,
summieren diese und lassen dann am Ausgang y des Neurons (entspricht in der Biologie dem
Axonhügel) eine Aktivität entstehen, sofern die Summe vorher einen Schwellwert b
überschritten hat.
Ein technisches (formales) Neuron:
x1
w1
x2
w2
xi
wi
xn
wn
Aktivierung
Synapse
Eingabe Gewichtung
Ausgabe y
z
Schwellwert b
Axonhügel
Summation
Axon
Ausgabe
x1w1 + x2w2 +...+ xiwi +...+ xnwn = z
McCulloch und Pitts zeigten, daß mit diesen einfachen Elementen jeder finite logische
Ausdruck berechnet werden kann. Fassen wir die Eingabeaktivitäten x1, ... , xn zum


Eingabevektor x =(x1, ... , xn)T und die Gewichte w1, ... , wn zum Gewichtsvektor w =(w1, ... ,
T
wn) zusammen, so läßt sich die resultierende interne Aktivität z formal als Skalarprodukt
beider Vektoren schreiben:
 
 
z( x , w )   w j  x j  w T x
3.19
j
Die biologische Aktivitätsfunktion "sammelt" die Ladungen der dendritischen Eingänge zu
einem elektrischen Potential und wird deshalb auch als "Potentialfunktion" bezeichnet. Sehr
oft muß die Aktivität erst eine Schwelle b (bias) überschreiten, bevor es zu einer Aktivität am
Ausgang kommt. Dies läßt sich durch die Minderung der Aktivität um einen Schwellwert
modellieren:
 
 
z( x , w )  w T x  b
3.20
Den zusätzlichen Term b kann man allerdings in der Notation wieder zum Verschwinden

bringen, indem man eine Erweiterung der Vektoren um eine Zusatzkomponente x =(x1, ... ,

T
T
xn, 1) und w =(w1, ... , wn, -b) vornimmt. Die Aktivität y am Neuronenausgang wird durch
die Ausgabefunktion S(z), abhängig von der internen Aktivität z, beschrieben:
y=S(z)
3.21
Der Wertebereich der verwendeten Variablen ist je nach Modellvariante und
Anwendungsbereich unterschiedlich. Meist ist xi zwischen Null und Eins definiert, manchmal
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
38
sind aber andere normierungen notwendig und sinnvoll. Man kann folgende Klassifizierung
für die Ausgabefunktionen treffen:
Binäre Ausgabefunktion:
Die Werte für den Input xi und dem Output y sind binär
(aktiv oder nicht aktiv). Die Gewichte wi können aber
reell sein. Eine positive Aktivität y ergibt sich erst nach
dem Überschreiten einer Schwelle:
1
y  S BIN (z)  
0
z0
3.22
z0
Anstelle vom Wert "1" kann für spezielle Anwendungen
auch eine beliebige andere Zahl verwendet werden.
Begrenzt-lineare Ausgabefunktion: Wie oben ersichtlich, ist die Entladungsfrequenz in
weiten Bereichen stückweise linear bezogen auf den
Logarithmus der Stärke des angelegten Reizes
(Reizstromstärke). Dieser Sachverhalt läßt sich durch
eine begrenzt-lineare Ausgabefunktion modellieren.
Damit ist es möglich die Frequenzmodulation zu
berücksichtigen.
Aus dieser Graphik geht hervor, daß es zwei wichtige
Werte für die Eingabeaktivität gibt: der untere
Schwellwert b1, der überschritten werden muß, um die
Membran zu depolarisieren, und den Wert b2, nach
dessen Überschreitung es zu einer Sättigung kommt. So
erfolgt die Ausgabe zwischen den zwei Schwellwerten
und dem Sättigungswert ymax:

0
 y max
z  b1 
y  S LIN (z)  
 b 2  b1

y max
y
1
0
z  b1
b1  z  b 2 3.23
b2  z
y
Zmax
SBIN(z)
SLIN(z)
b1
z
0
b2
z
Darstellung einer binären (links) und einer begrenzt-linearen Ausgabefunktion (rechts).
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
39
Sigmoide Ausgabefunktion:
Bei der analytischen Verwendung der Ausgabefunktion
ist es manchmal nötig, auch die Ableitung der Funktion
selbst zu kennen. Somit sollte diese Funktion glatt sein
im Gegensatz zu den bisher besprochenen
Ausgabefunktionen. Die als sigmoiden Funktionen
bekannten Ausgabe-funktionen sind dabei praktischer als
obige Stufenfunktionen. Meist wird die Fermi-Funktion
verwendet:
y  S Fermi (z) 
1
3.24
1  e  kz
y
SFermi(z)
1
z
0
Darstellung der Fermi-Funktion als Ausgabefunktion.
Im Unterschied zu biologischen Neuronen ist es aber bei formalen Neuronen möglich, völlig
beliebige und für eine bestimmte Problemlösung günstige Neuronen neu zu definieren.
 
Beispielsweise kann die Aktivität auch über den Abstand definiert sein: z  x  w , sodaß S(z)

dann eine Bewertungsfunktion der Eingabe x bezüglich des Abstandes vom Punkt

w darstellt.
x2Körpergröße
Neuron
1
alternative
Neuronen
x1Körpergewicht
d
x1
1
w1

x2
w2
b
y
Formale Neuronen lassen sich sehr
effektiv
beim
Problem
der
Mustererkennung verwenden. Mehrere
ähnliche Muster sollen zu einer Gruppe
zugeordnet werden. Man spricht dann von
Musterklassen. Betrachten wir dabei zwei
Musterklassen
"Übergewicht"
und
"Untergewicht". Jedes Muster hat (in
diesem Beispiel) zwei Eigenschaften x1
(Körpergewicht) und x2 (Körpergröße),
und jede Eigenschaft kann einen Wert
zwischen 0 und 1 annehmen. Somit läßt
sich jedes Muster in einer Ebene als

Punkt mit x =(x1, x2) darstellen. Aufgabe
einer Klassifizierung ist es, zwischen den
beiden Klassen eine Trennungsline zu
finden, die die beiden Mengen trennt. Für
die Beurteilung eines neuen unbekannten
Musters reicht es dann aus, die Lage
bezüglich der Klassengrenze (diesseits
oder jenseits) zu bestimmen.
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
40
Betrachten wir ein formales Neuron:
x1w1 + x2w2 + x3w3 = 0
Im Term x3w3 ist der Schwellwert versteckt, x3 = –b und w3 = 1:
x1w1 + x2w2 – b = 0
Führen wir ein paar Umformungen durch:
x2w2 = –x1w1 + b
und
 w   b 

x 2  x 1   1   
 w2   w2 
Durch Neubezeichnung der Terme (–w1/w2) = k und (b/w2) = d ergibt sich:
x2 = x1 k + d
Diese Gleichung ist gerade die Geradengleichung: y = k x + d. Das heißt ein Neuron trennt
über eine Gerade die beiden Muster. Die Geradengleichung beschreibt die Menge aller Punkte
die die Gleichung erfüllen. Was passiert, wenn Punkte, die oberhalb oder unterhalb der
Gleichung liegen, eingesetzt werden.
Der Term x1w1 + x2w2 + x3w3 wird jetzt nicht Null gesetzt, sondern das Ergebnis berechnet:
x1w1 + x2w2 + x3w3 = E
x2Körpergröße
Neuron
1.0
E>0
E<0
x1Körpergewicht
Das Ergebnis E entspricht dem
Normalabstand des jeweiligen Punktes zur
Geraden.
Liegt ein Punkt, also eine Person mit
geringem Körpergewicht und eher großer
Körpergröße oberhalb der Geraden, dann
gilt E > 0. Hat eine Person ein großes
Körpergewicht und ist von kleiner Statur,
so liegt der Punkt unterhalb der Geraden
und es gilt E < 0.
1.0
Ein solchermaßen definiertes formales Neuron stellt also einen linearen Klassifikator dar.
Jedes Muster wird in eine durch die Gewichte und den Schwellwert definierten Klasse
eingeordnet.
Bei zwei Eingängen kann man das Problem ganz leicht graphisch darstellen. Wenn ein
technisches Neuron über mehrere Eingänge verfügt, dann trennt nicht eine Gerade, sondern
eine Hyperebene den Raum.
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Brain Modelling
41
Natürlich können auch mehrere Geraden - technische Neuronen - zur Mustertrennung
herangezogen werden.
x2
g3
x2
g1
g2
g1
x1
x1

x1
x1
y1
x2

y1

y2

y2
x2
5.2 Das Perzeptron
Dieses Modell löste unter den damaligen Gehirnforschern großen Enthusiasmus aus. Endlich
schien ein Modell vorhanden zu sein, das nicht nur bestimmte Reize lernen und
wiedererkennen konnte, sondern auch von den ursprünglichen Eingabedaten leicht
abweichende Reize richtig zuordnen konnte.
Informationsfluß
w1
w2
wn-1

y
wn
Eingabeschicht
vorverarbeitende
Einheiten
Ausgabeneuron
Ein Perzeptron besteht in der Regel aus einer endlichen gitterartigen Eingabeschicht, die in
einzelne Zellen unterteilt ist. Weiters gibt es eine Vielzahl vorverarbeitender Einheiten, die
nur einen Teilausschnitt des Gitters beobachten können. Sie werden gewöhnlich als lokale
Detektoren bezeichnet. Diese Detektoren sind nicht vergleichbar mit den formalen Neuronen
aus dem vorigen Kapitel. Sie werden zwischen der Eingabeschicht und der Neuronenschicht
eingefügt. Diese ersten Schritte der Bild-Vorverarbeitung werden oft als low-level oder early
vision bezeichnet. Es findet auf dieser Ebene noch keine eigentliche Erkennung statt. Die
Abbildung von der Eingabeschicht zur Vorverarbeitungsschicht wird mit  bezeichnet. Diese
vorverarbeitenden Einheiten schicken dann ihre Daten an die eigentliche Neuronenschicht.
Dort wird dann eine Entscheidung über das "gesehene" Objekt getroffen.
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
42
Jedes dieser vorverarbeitenden Einheiten untersucht eine bestimmte Teilmenge der
Eingabeschicht und teilt das Ergebnis den Neuronen, kompetenteren Entscheidungsträgern
mit. In diesem Fall beschränken wir uns nur auf ein Neuron in der Neuronenschicht
(o.B.d.A.). Jede vorverarbeitende Einheit führt einen Vergleich von intern gespeicherten
Werten (Mustern) mit der zu beobachtenden Teilmenge durch. Sobald eines der gespeicherten
Muster ident ist mit dem zu untersuchenden Bereich, dann sendet diese Einheiten ein Signal
an das Neuron. Dieses Neuron ist ident mit den zuvor im Kapitel beschriebenen formalen
Neuronen. Sonst verhält es sich still. Das
Indizien
Neuron multipliziert jedes erhaltene Signal mit
die für das
einer Zahl (Gewichtung) und bildet schließlich
Vorliegen
die Summe über alle so erhaltenen Zahlen.
einer Treppe
Wenn die Summe einen gewissen Schwellwert
sprechen :
übersteigt, antwortet das finale Neuron mit
1,sonst mit 0.
Betrachten wir in der linken Abbildung eine
Eingabeschicht und die dazugehörigen
Indizien, die auf eine Treppe hinweisen.
Wesentlich ist, daß die 44 Felder die
beobachtet werden, überlappen.
Ein wesentlich kompliziertere Aufgabe kann das nachfolgende Perzeptron lösen. Als Beispiel
sei hier ein Perzeptron vorgestellt, das erkennen kann ob sich in seinem Blickfeld Rechtecke
(Null inbegriffen) beliebiger Form und Größe befinden, oder ob sich Rechtecke an Seiten
oder Kanten berühren.
vorverarbeitene
Einheit
Indizien, die für das Vorliegen mehrerer
getrennter Rechtecke sprechen:
Indizien, die gegen das Vorliegen mehrerer
getrennter Rechtecke sprechen:
Eingabeschicht (links) und interne Muster (Gewichte) für die Vorverarbeitung (rechts). Für
die Mustererkennung kann man entweder die Indizien die für beziehungsweise die Indizien
die gegen das Vorliegen von Rechtecken sprechen in den vorverarbeitenden Einheiten
abspeichern.
Zu jedem 22-Quadrat im Eingabebereich wird eine Einheit positioniert. Weiters werden
dann die Muster, die für das Vorliegen von Rechtecken sprechen, in alle diese
vorverarbeitenden Einheiten übertragen (intern gespeicherte Werte). Schließlich erhalten alle
Gewichte des eigentlichen Neurons den Wert +1 und der Schwellwert wird auf d, die Anzahl
aller vorverarbeitenden Einheiten gesetzt.
Wenn also alle Einheiten einen positiven Vergleich zwischen den intern gespeicherten
Repräsentationen und dem zu beobachtenden Bereich machen, schicken sie alle ein Signal
zum beurteilenden Neuron, die Summe ist d und das Neuron setzt den internen Wert auf "1".
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Brain Modelling
43
Das Perzeptron hat erkannt, daß nur voneinander getrennte Rechtecke in der gitterartigen
Eingabeschicht vorliegen. Stimmt mindestens ein zu beobachtender Teilbereich nicht mit den
internen Werten überein, dann bleibt mindestens eine Einheit stumm und die Schwelle wird
nicht erreicht. Folglich bleibt das Neuron im Zustand "0".
Für eine 22 Teilmenge auf einer nn Matrix gilt:
Da es (n-1)2 lokale Einheiten gibt lautet der Schwellwert: T=(n-1)2-1
Wenn alle lokalen Einheiten ein Indiz entdeckt haben, daß für die Rechtecke spricht, dann
wird als Summe (n-1)2 herauskommen; also (n-1)2 > T = (n-1)2 - 1.
Wenn nur eine einzige lokale Einheit kein positives Signal weiterleitet, dann gilt:
(n-1)2 -1 > T  falsche Aussage.  Also werden keine Rechtecke gesehen.
Mit diesen Perzeptronen konnten tolle Dinge durchgeführt werde. Man glaubte, daß man das
Rätsel Gehirn gelöst hatte. Ein Neuron wurde nach dem Vorbild der Natur nachgebildet und
es konnte "scheinbar" komplizierte Strukturen erkennen. Doch dann kamen die
Neurowissenschafter Papert und Minsky. Sie zeigten in einem einfachen und eindrucksvollen
Beweis, daß einfache Perzeptrone nicht in der Lage sind komplizierte Dinge zu erkennen.
Betrachten wir ein Perzeptron, das erkennen soll, ob eine Figur zusammenhängend ist oder
nicht. Trennen wir die Eingabeschicht in drei Bereiche, den Linken L, den Mittleren A und
den Rechten.
L
A
R
Graphik A
Graphik B
Graphik C
Graphik D
Indirekt angenommen, das Perzeptron erkennt die erste Graphik (A) als durchgehende Linie,
dann wäre es schon gescheitert. Also muß der Schwellwert kleiner als 3 - da es drei
Teilbereiche gibt - sein. Bei der zweiten Graphik (B) müssen alle drei Bereiche den
Schwellwert erreichen. Praktisch ist aber nur der linke Bereich unterschiedlich zur Graphik A.
Dasselbe gilt natürlich auch für Graphik C - nur ist diesmal der rechte Bereich unterschiedlich
zur Graphik A - aber auch hier muß wieder der Schwellwert erreicht werden. Bekommt das
Perzeptron die Graphik D vorgesetzt, dann kommen der linke Bereich von Graphik B und der
rechte Bereich von Graphik C zum Tragen - daraus setzt sich die Graphik D zusammen.
Damit würde der Schwellwert überschritten und auch Graphik D würde aus einer
zusammenhängenden Figur bestehen, was falsch ist:
Graphik AL + A + R < 3
Graphik BL´+ A + R = 3
Graphik CL + A + R´= 3
Graphik DL´+ A + R´< 3
(0.5+1.0+0.5 < 3)
(1.5+1.0+0.5 = 3)
(0.5+1.0+1.5 = 3)
(1.5+1.0+1.5 = 4 < 3) WID.
Damit wäre gezeigt, daß ein Perzeptron gewisse Muster nicht sinnvoll erkennen kann. Dies
führte zu einer schlimmen Krise innerhalb der Neurowissenschaften. Viele Wissenschafter
suchten sich andere Arbeitsgebiete. Der Glaube an eine naturwissenschaftliche Erklärung des
Gehirns war erschüttert.
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
44
Aber versuchen Sie doch selbst einmal mit einem raschen Blick zu erkennen, welche der
nachfolgenden Graphiken zusammenhängend sind. Mit einem sehr kurzen Blick werden Sie
es wahrscheinlich nicht schaffen. Erkennen ist ein sehr komplexes Verhalten - dabei sind
viele Neuronen beteiligt - nicht nur ein einziges, wie beim Neuron.
Erst einige Jahre später erkannte man, daß sich mit mehr Neuronen praktisch alle
mathematischen beziehungsweise formalisierbaren Probleme lösen lassen. Dafür gibt es auch
einen Beweis.
5.3 Mehrschichtnetzwerke
Wenn wir unsere Klasse (Gewicht zu Größe) in drei Gruppen unterteilen wollen,
übergewichtig, normalgewichtig und untergewichtig, benötigen wir 2 Neuronen in der
Hidden-Layer. Diese Neuronen
unterteilen die Gruppe.
x2Körpergröße
Diese Problem entspricht dem
Untergewicht
1.0
XOR-Problem.
XOR-Problem:
x1
0
0
1
1
x2
0
1
0
1
Ausgabe
 0
 1
 1
 0
x1Körpergewicht
Natürlich müssen die beiden
Neuronen ihre Information über
den jeweiligen Abstand zu
Muster gemeinsam an ein anderes
Muster weitergeben. Dieses
Neuron entscheidet dann über
den Output.
Diese Gruppierung von Neuronen
werden
als
Netzwerke
bezeichnet.
Da
die
Informationsrichtung eindeutig vorgegeben ist, bezeichnet man diesen Typ als "feed-forwardNetzwerk". Das Netz besitzt 3 Schichten, allerdings ist die Bezeichnung der Schichten in der
Literatur nicht immer eindeutig.
Idealgewicht
x1
Übergewicht 1.0
3-Schicht feed-forward Netzwerk
b1
w1
w5
w2
b3
w3
x2
1.Schicht
Eingabeschicht
Eingabeschicht
w4
w6
b2
2.Schicht
1.Schicht
Hidden-Layer
3.Schicht
2.Schicht
Ausgabeschicht
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
45
Damit das Netzwerk obiges Problem (XOR beziehungsweise das Gewichtsproblem) lösen
kann, müssen die Gewichte wi und Schwellwerte bi folgendermaßen gesetzt werden:
w1=w4=w5=w6=0.5
w2=w3=-0.5
b1=b2=b3=0.3
Durch entsprechende Algorithmen lassen sich auch in komplizierteren Fällen die
Koeffizienten wi und damit die Klassengrenzen berechnen.
Rechnen wir ein gesamtes Netzwerk durch. Für die einzelnen Neuronen in der jeweiligen
Schicht ergeben sich für vier verschiedene Input's ( 0-0 / 0-1 / 1-0 / 1-1 ) folgende Werte:
1.Neuron-2.Schicht:
1.0
00
01
10
00
1.0
1.0
2.Neuron-2.Schicht:
00
01
10
00
1.0
1.0
y1 < 0  0
y1 > 0  1
y1 < 0  0
y1 < 0  0
y1 > 0  1
y1 > 0  1
y1 < 0  0
y1 > 0  1
1.Neuron-3.Schicht:
0001
0111
1000
0001
y1 > 0  1
y1 < 0  0
y1 < 0  0
y1 > 0  1
Mit der Anwendung von mehreren Neuronen auf ein Problem ist eine neue Idee geboren.
Jedes Neuron der 2.Schicht (Hidden-Layer) - natürlich auch jedes Neuron der 3.Schicht beschäftigt sich mit einem kleinen Teilproblem. Es wird nicht das Muster als Ganzes (ein
Symbol) betrachtet, sondern es werden kleine Strukturen betrachtet (Sub-Symbole).
Wodurch ist ein Elefant definiert ? Ein Elefant ist durch einen Rüssel, große Schlappohren
und vier große Beine definiert. Diese Sub-Symbole stellen in ihrer Gesamtheit ein Symbol
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
46
dar: den Elefant. Wenn manche Sub-Symbole verändert werden (zum Beispiel die Füße), oder
neue Sub-Symbole hinzugefügt werden, dann entsteht ein Phantasiewesen, das mit dem
ursprünglichen Symbol nur mehr sehr wenig zu tun hat.
Die Grundidee der sub-symbolischen Informationsverarbeitung ist das Auflösen der Symbole
zur Beschreibung der Anwendungswelt in Mikrostrukturen auf der Basis primitiver
Verarbeitungseinheiten. Dies können z.B. Neuronen sein.
Damit stellt sich die Frage nach der Bestimmung der Gewichte.
5.4 Bestimmung der Gewichte
Es gibt verschiedene Möglichkeiten die Gewichte der einzelnen Neuronen zu bestimmen. Das
jeweilige Verfahren hängt sehr stark vom Problem ab.
Raten
gutes Raten
Gradientenverfahren
genetische Algorithmen
Hybride
(Trial and Error)
(Sukzessive Approximierung)
(Backpropagation)
Gutes Raten (sukzessive Approximation):
0
12
25
50
100
6...gesuchte Zahl
Am Anfang eines Lernalgorithmuses steht eine geeignete Definition des Ziels, welches
erreicht werden soll. Dies kann eine Minimierung des Fehlers, den das Netzwerk beim
"Erlernen" macht, sein. Der Fehler entsteht als Differenz zwischen der tatsächlichen Ausgabe
und der gewünschten Ausgabe (Lehrervorgabe).
y
Endwerte
Energie
x
Startwerte
Diese Energielandschaft ist von zwei Variablen, x und y, abhängig: In Abhängigkeit vom
Startwert findet das Gradientenverfahren unterschiedliche Lösungen (in diesem Fall).
Gradientenverfahren: Man bestimmt den Gradienten [k = f '(x*)] einer Funktion f(x) an der
Stelle x*. Die Steigung k gibt an, ob die Differenz zwischen gewünschtem und tatsächlichem
Wert besser oder schlechter wird, wenn x* erhöht oder erniedrigt wird. Der Wert x* wird
proportional zu Steigung erhöht oder erniedrigt (je nachdem was besser ist). Das heißt der
aktuelle Fehler wird kleiner. In der neuen Position wird wiederum der Gradient bestimmt.
Und so weiter ...
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
47
ACHTUNG: Dieses Verfahren liefert nicht immer den besten möglichen Wert da es lokale
Minima geben kann !
f(x)
f(x)
a)
f(x)
b)
c)
Steigung k
x*
x
x
x
Die Steigung bestimmt die Schrittweite, zusätzlich kann die Schrittweite über den Lernfaktor
 eingestellt werden.
Ist der Lernfaktor  zu groß kann das Optimum meist nicht erreicht werden (Abb. b).
Ist der Lernfaktor  zu klein, dann dauert es sehr lange bis das Optimum oder ein lokales
Extremum erreicht wird (Abb. c).

(2) 
(1)
(1)
(1)
w ij(1) ( x )       (2)
k  w ki   (1  S Fermi ( z i ))  S Fermi (z i )  x j
k

(2)
(2)
w ij(2) ( x )     ( y i(2)  L i )  (1  S Fermi (z i(2) ))  S Fermi (z i(2) )  x (2)
j    i  x j
Eingabe
1.Schicht
x(1)
2.Schicht
y(1) = x(2)
hidden
units
Ausgabe
y(2)
Ausgabeeinheiten
(1)
(2)
x(1) ...Eingabevektor, y(2) ...Ausgabevektor
Beim Gradientenverfahren bestimmt
Gewichtsveränderung zurück ((1),(2)).
man
den
Fehler,
und
rechnet
auf
die
genetischer Algorithmus:
Die Gewichte aller Neuronen werden als Gencode betrachtet. Das heißt:
Gen1:=(1w1, 1w2, 1w3,..., 1wn)
Gen2:=(2w1, 2w2, 2w3,..., 2wn)
usw.
y
Energie
x
Mit genetische Algorithmen werden unterschiedliche Bereiche (dunkle Kreise) der
Energielandschaft betrachtet. Die Bereiche, die gut sind, dürfen überleben und können sich
vermehren. Dabei verringert sich meistens der Abstand zum globalen Maximum.
Nach Bestimmung der jeweiligen Fitness (Fehler den das Netz macht), treten folgende
Operationen auf:
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
48
Überkreuzung: Zwei Tupel werden an einer Stelle auseinandergeschnitten und überkreuzt
zusammengesetzt (Crossing-over):
Gen1=(1w1, 1w2, 1w3,..., 1wn)
Gen2=(2w1, 2w2, 2w3,..., 2wn)


Gen1=(2w1, 2w2, 2w3, 1w4,..., 1wn)
Gen2=(1w1, 1w2, 1w3 ,2w4,.., 2wn)
Invertierung (Inversion): Ein Tupel wird in der Reihenfolge der Gene
invertiert.
Genk=(kw1, kw2, kw3,..., kwn)
Mutation:

Genk=(kw3, kw2, kw1,..., kwn)
Einige Gene (Gewichte) werden zufällig geändert.
Genk=(kw1, 0.134, kw3,..., kwn) Genk=(kw1, 0.671, kw3,..., kwn)Backpropagation:
Nach Durchlaufen (propagation) des Eingabesignals x durch die Netzschichten wird der
Fehler :=y(x)-L(x) des Ausgabesignals y bezüglich der gewünschten Ausgabe L ermittelt
und mit Hilfe eines Gradientenverfahrens durch alle Schichten zurückgeführt (error backpropagation).
6.0 Lernen - synaptische Plastizität
Implizites Gedächtnis: Inhalt wird nicht bewußt als Information verarbeitet. Oft-maliges
Üben führt zu einer Verbesserung (motorisches Lernen).
Explizites Gedächtnis: Tatsachen, Ereignisse, Vorstellungen
Alle Lernvorgänge können auf die Veränderung von synaptischen Stärken zurückgeführt
werden.
Die Zeichnung von Dendriten von hippocampalen Neuronen in einer
Phase hoher (links) und geringer (rechts) Östrogenkonzentration. Auch
beim Lernen verändern sich die Dornen (spines) auf den Dendriten in
der Größe.
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
49
Priming: Es wird ein Reiz (das Wort "Kerze") präsentiert. Nach einer kurzen Zeit-spanne
wird ein Teil des ursprünglichen Reizes ("Ker") präsentiert und das Wort kann vervollständigt
werden (funktioniert auch bei Personen die sich nichts mehr merken können).
Nicht assoziatives Lernen:
Es wird etwas über die Eigenschaft eines EINZELNEN Reizes gelernt. Meist geschieht dies
über Wiederholungen. Auf synaptischer Ebene entspricht dies der Habituation und
Sensibilisierung.
Assoziatives Lernen:
Klassische Konditionierung: Es werden 2 unabhängige Reize verknüpft.
Operante Konditionierung: Es wird ein Reiz und ein Verhalten verknüpft.
Mantelrand
Atemröhre
Siphon
Kieme
Die meisten Experimente zur synaptischen Plastizität - dem Lernen auf zellulärem Niveau wurden an Aplysia californica (kalifornischer Seehase) durchgeführt. Bei dieser Schnecke
sind die Neuronen genetisch determiniert und leicht zugänglich.
Habituation: Die Reaktion auf einen harmlosen Reiz schwächt sich ab, bis der Reiz
vollständig ignoriert wird. Dies geschieht durch monotone Wiederholung.
visuelle
Fixierung
Herzschlagfrequenz
Atemfrequenz
Bei Aplysia führt eine 10 malige Reizung des Siphons (normalerweise wird die Kieme dann
zurückgezogen) zu einer Vermeidung des Reflexes für rund 10-15 Minuten. Die synaptische
Verbindung wird geschwächt, es sind weniger Vesikel an der Präsynapse angedockt.
(Kurzzeithabituierung)
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
50
An der Synapse sind weniger
Vesikel angedockt. Die Zahl der
Rezeptoren ändert sich bei der
Synapse nicht. Dadurch, daß
weniger Vesikel angedockt sind,
wird das EPSP kleiner.
Vesikel
Vesikeldepot
U [mV]
ursprüngliches EPSP
t [ms]
habituiertes EPSP
Bei mehreren Reizungen über mehrere Tage lang, wird der Reflex bis zu 3 Wochen lang
vermieden. (Langzeithabituation). Die Zahl der Synapsen nimmt ab (von 1300 auf 840).
Was nicht benötigt wird, wird abgebaut.
Sensitivierung: Bei der Sensitivierung wird etwas über einen schädlichen Reiz gelernt. Zum
Beispiel wird der Kiemenrückziehreflex durch Sensitivierung deutlich ge-stärkt.
Sensitivierung moduliert die Synapse über folgende Schritte: Ein Schwanz-schock aktiviert
sensorische Neuronen im Schwanz der Aplysia. Diese Neuronen akti-vieren ihrerseits
modulatorische Interneuronen. Diese Interneuronen steuern die Transmitterfreisetzung im
Kiemenrückziehschaltkreis. Der modulierender Neuro-transmitter (Serotonin) der
Interneuronen erhöht die Vesikelanzahl.
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Brain Modelling
51
Präsynapse des Interneurons aus
der Schwanzregion
modulierender
Neurotransmitter
"informationsübertragender"
Neurotransmitter
Erhöhung von cAMP
Präsynapse des
Siphonneurons
Postsynapse des
Kiemenneurons
Die
Wirkungsweise
einer
kurzfristigen
Sensibilisierung
beruht auf der Veränderung des
Calciumstroms
durch
die
Membrane der Synapsen. Die
Konzentration freier CalciumIonen
bestimmt,
wieviele
Vesikel mit der präsynaptischen
Membran
ver-schmelzen.
Serotonin
aktiviert
die
Adenylat-Cyclase. Dies führt
zur Bildung von cyclischem
Adenosinmonophosphat(cAMP)
worauf unter anderem mehr
Calciumkanäle gebildet werden.
Veränderungen an der Synapse im Überblick:
Klassische Konditionierung: In der Regel kann klassische Konditionierung die
Antwortbereitschaft eines Reflexes effektiver verstärken als eine Senstitivierung. Der
ursprüngliche Reiz (unbedingte), der angeboren ist (Speichelfluß beim Fressen) wird in
Verbindung mit einem neutralen (zu konditionierenden) Reiz gebracht (Pfleger mit Futter). Es
müssen 2 elementare Regeln erfüllt sein:
1. zeitliche Nähe
2. Es muß eine hohe Wahrscheinlichkeitsbeziehung zwischen dem neutralen Reiz und dem
unbedingten Reiz geben (Vorhersagbarkeit der Umwelt).
Der neutrale Reiz muß kurz vor dem unbedingten Reiz angeboten werden, beide sollten aber
zur gleichen Zeit enden. Der Unterschied zur Sensitivierung besteht in der Zeitabhängigkeit.
Aufgund der besseren Zeitabstimmung können die chemischen Mechanismen der
modulierenden Interneuronen viel nachhaltiger wirken.
Langzeitpotenzierung (LTP)
Sie verursacht eine längerfristige Änderung der Effizienz von Synapsen.
Donald O. Hebb sagte bereits 1949 voraus, daß es auf dem Niveau von Synapsen eine einfache
Lernregel gibt: "Wenn die Aktivität eines präsynaptischen Neurons wiederholt mit der
Entladung eines postsynaptischen Neurons verbunden ist, wenn also beide Neuronen
gleichzeitig feuern, dann wird die Effizienz zwischen der Prä- und Postsynapse erhöht."
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Brain Modelling
52
w AB (t )  w AB (t  1)  w  x A  y B
w (t )  (t )  x  y
 (t)...Lernrate
Ein paar Jahre später wurde eine länger andauernde Erhöhung der synaptischen Stärke nach
wiederholten Aktivierungen von exzitatorischen Synapsen im Hippocampus beobachtet. Diese
exzitatorischen Synapsen arbeiten mit Glutamat als Transmitter, welches von zwei
verschiedenen Rezeptortypen - AMPA und NMDA -, die in den einzelnen Synapsen
gleichzeitig vorhanden sind, erkannt wird.
Die LTP kann entweder durch gleichzeitiges Feuern des prä- und des post-synaptischen
Neurons, als auch durch Aktivierung der Synapse mit hoher Frequenz ausgelöst werden.
Wesentlich dabei ist aber, daß die postsynaptische Membran depolarisiert ist, während neue
EPSP's das Neuron erreichen.
Eine übliche Voraussetzung für das Zustandekommen von LTP ist das gleichzeitige Feuern von
mehreren innervierenden Fasern. Wenn zwei unterschiedliche erregende Signale - ein
schwaches und ein starkes - im gleichen Bereich eines Dendriten einer Pyramidenzelle
ankommen, wird der schwache Impuls nur dann verstärkt, wenn er in Assoziation mit dem
starken Impuls eintrifft. LTP bedarf also einer simultanen Erregung von prä- und
postsynaptischem Neuron. Bei der normalen synaptischen Signalübertragung dominieren die
AMPA-Rezeptoren, da die Membrankanäle der NMDA-Rezeptoren durch Mg2+-Ionen blockiert
werden. Die Blockade wird nur dann aufgehoben - das heißt die NMDA-Kanäle werden nur
dann aktiviert - wenn die postsynaptische Zelle gleichzeitig von anderen starken
Aktionspotentialen vieler präsynaptischer Neuronen depolarisiert wird. Diese multiple
Depolarisation bewirkt, daß sich die positiv geladenen Mg2+-Ionen vom Eingang der NMDAKanäle lösen und damit den Einstrom von Na+-Ionen und besonders Ca2+-Ionen in die Zelle
ermöglichen. Der Ca2+-Einstrom ist dann das Signal zur Induktion zur Langzeitpotenzierung.
Für die Änderung der Membranleitfähigkeit durch NMDA-Rezeptoren gibt es zwei
Bedingungen: Glutamat muß am Rezeptor gebunden und die Membran muß gleichzeitig
depolarisiert sein.
Zwischen diesen beiden Bedingungen dürfen maximal 100 Millisekunden an Zeit vergehen,
damit es zu einer LTP kommt.
Die entscheidende Depolarisierung wird normalerweise durch die Aktivierung zahlreicher
AMPA-Rezeptoren aufgrund der Aktionspotentiale zahlreicher präsynaptischer Neuronen
erzeugt. Dadurch kommt es zu einem vermehrten Ca2+-Einstrom durch die nun freien NMDARezeptoren. Dies initiiert eine anhaltende Verstärkung der synaptischen Signalübertragung,
indem es zwei calciumabhängige Serin-Theonin-Proteinkinasen - die Ca2+/Calmodulin-Kinase
und die Proteinkinase C - sowie eine Tyrosinkinase aktiviert.
Nicht assoziative LTP: Zustand der Postsynapse spielt keine Rolle !!!
1)
Tetanische Reizung der Präsynapse.
2)
Dadurch kommt es zu einem massiven Ca2+-Einstrom in der Präsynapse.
3)
Calmodulin-Ca2+-Komplex bindet an Enzym Adenylatcyclase (Typ I).
3)
cAMP-Spiegel steigt.
4)
cAMP-Proteinkinase wird aktiviert.
5)
Mehr Vesikel werden gebildet !!!
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Brain Modelling
53
assoziative LTP:
1) AMPA, -Amino-3-hydro-5-methyl-4- isoazolpropionsäure-Rezeptor (nonNMDA).
2) NMDA, N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor.
NMDA-Rezeptoren werden aktiviert durch eine starke Depolarisation der postsynaptischen
Membran durch:
a) Tetanus bzw.
b) Glutamat aus Präsynapse und Aktionspotential aus Postsynapse treffen zusammen.
Dadurch wird die Blockade der Mg2+-Ionen inaktiviert:
 starker Einstrom von Ca2+-Ionen
  a) Calcium-Calmodulin-Proteinkinase II,
  b) Proteinkinase C,
  c) Tyrosinkinase
Dadurch wird der retrograde Messenger NO zur Postsynapse geleitet:
 mehr Transmitterausschüttung !
LERNEN
t=0
assoziatives Lernen
Konditionierung
t ungenau
Habituierung
Sensibilisierung
nicht assoziatives Lernen
LTP
assoziative LTP
nicht assoziative LTP
Tetanische
Reizung
t ungenau
mod ulierender
Neurotransmitter
Es existieren 2 prinzipielle Lernmechanismen:
1. Hebbsche Lernregel:"Wenn die Aktivität eines prä-synaptischen Neurons wiederholt mit
der Entladung eines postsynaptischen Neurons verbunden ist, wenn also beide Neuronen
gleichzeitig feuern, dann wird die Effizienz zwischen der Prä- und Postsynapse erhöht."
2. Aktivitätsabhängige Bahnung: "Koinzidenz zwi-schen vorgeschaltetem und
modulatorischem Neuron."
modulierendes
Neuron
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Brain Modelling
54
7.0 Repräsentation von Objekten
Wie werden die Informationen schließlich gespeichert und bei einer späteren Assoziation
wieder vervollständigt (rekombiniert) ?
Wie kommt es überhaupt zur Trennung (Segmentierung) eines Objekts vom Hintergrund oder
von anderen Objekten ?
Man unterscheidet zwischen der lokalen und der verteilten Repräsentation. Bei der lokalen
Repräsentation wird eine Einzeleigenschaft oder eine gesamte Wahrnehmung durch ein
einzelnes Neuron dargestellt, das zum Beispiel durch eine erhöhte Aktivität deren
Vorhandensein anzeigt. Im Gegensatz dazu werden Eigenschaften bei einer verteilten
Repräsentation stets durch viele Neuronen angezeigt, wobei das Aktivitätsmuster als Ganzes
ein Perzept darstellt. Ein anderes Aktivitätsmuster der gleichen Neuronen kann für eine
andere Eigenschaft stehen.
Barlow hat hierzu den Begriff der Großmutterzelle geprägt, die Zelle, die genau dann feuert,
wenn eine Großmutter in das visuelle Aufmerksamkeitszentrum trifft. Die immense Zahl von
Neuronen des menschlichen Gehirns reicht nicht aus, um für alle relevanten Kombinationen
von Reizeigenschaften, die sich für natürliche Objekte ergeben, ein eigenes Neuron zur
Verfügung zu stellen.
Es kommt zu einer kombinatorischen Explosion der Neuronenanzahl, wenn man alle
möglichen Reize betrachtet, die gespeichert werden sollen. Was passiert wenn sich ein
gespeicherter Reiz sich verändert ? Was passiert, wenn das Neuron, das meine Großmutter
repräsentiert, abstirbt - verliere ich die Erinnerung an meine Großmutter ? Zusätzlich müßten
Neuronen reserviert werden für mögliche neue Reizkombinationen.
(a)
o u
o
u
Neuron ist aktiv
Leinwand
(b)
o
Neuron ist passiv
o u
u
Rosenblatt's Bindungsmaschine: Vier Neuronen detektieren unterschiedliche Eigenschaften
von Mustern, die auf eine Leinwand projeziert werden. Die ersten beiden reagieren auf den
Ort des Musters (oben oder unten), die anderen beiden auf dessen Form (Quadrat oder
Dreieck). Tritt nun ein Muster auf (a), so kann anhand des Aktivitätsmusters die Situation auf
der Leinwand eindeutig dargestellt werden. Werden zwei Muster gleichzeitig auf der
Leinwand dargestellt (b), so lassen sich Ort und Form nicht mehr eindeutig zuordnen - die
Maschine ist mit dem Bindungsproblem beschäftigt.
Die Zusammengehörigkeit der durch neuronale Aktivität
repräsentierten Merkmale zu bestimmten Objekten soll
durch wiederholtes, synchrones Feuern der jeweiligen
Neuronen zum Ausdruck gebracht werden, während
Merkmale, die zu anderen gleichzeitig darzustellenden
Objekten gehören, mit einer anderen Frequenz
beziehungsweise um eine Phase verschoben feuern.
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Brain Modelling
55
Aktionspotentiale
o
o
u
u
t
Bindung wird also über die zeitliche Korrelation neuronaler Antworten dargestellt. Dadurch
können die Vorteile der Assemble-Codierung wie Robustheit und sparsamer Umgang mit den
vorhandenen Neuronen beibehalten werden. Gleichzeitig ist es möglich, in hierarchischer Art
und Weise den strukturellen Aufbau eines Objektes oder eines gesamten Bildes darzustellen,
da Assembles nun auch in einem Hirnareal koexistieren können.
Die Kreise symbolisieren veschiedene Neuronen. Es kann zu unterschiedlichen und dennoch
gleichzeitigen Aktivierungen kommen.
Die Aktivierungen sind als Stern, Quadrat, bemalter Kreis dargestellt.
Die Verwendung einer Zeitstruktur ermöglicht es, ein Assemble von konstituierenden
Neuronen über die Synchronisation zu definieren. Durch subtile Änderung der zeitlichen
Relationen können Neuronen schnell zwischen verschiedenen Assembles umschalten.
Neuronen sind Koinzidenzdetektoren !
Einige wenige Spikes von verschiedenen Neuronen können kaum ein nachgeschaltenes
Neuron erregen, es sei denn, sie kommen gleichzeitig (Gleichzeitigkeit als Bindemittel).
Ursache für eine Synchronisation können gemeinsame Stimuli sein, oder aber starke
synaptische Kopplungen. Zur Vermeidung des nutzlosen und trivialen Zustandes totaler
Synchronisation dienen inhibitorische Subsysteme. Wiederholen sich die synchronen
Zustände in regelmäßigen Abständen, so ergeben sich Oszillationen. Solch ein rythmisches
Feuerverhalten kennt man auch schon von einzelnen Neuronen.
In diesem Sinne kann man folgende Vorteile von Oszillationen vermuten:
1. Durch die Periodizität sollte sich auch bei langen Verbindungswegen (wie Kopplungen
zwischen den Hemisphären) sukzessive eine verschwindende Phasendifferenz einstellen.
2. Über intermediäre Oszillatoren können auch nicht direkt gekoppelte Oszillatoren
synchronisieren. Dies ist wichtig beim Binden verschiedener, nicht a priori verschalteter,
sensorischer Modalitäten (Hören-Sehen).
3. Auch bei stark gestreuten Übertragungszeiten, hervorgerufen durch axonale und
synaptische Delays, können Oszillatoren zuverlässig mit verschwindender Phasendifferenz
synchronisieren.
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Brain Modelling
56
Modell eines "integrate and fire neurons"
Zur Definition eines "integrate-and-fire"-Oszillators: Der Hauptteil des Modell-Neurons, der
sogenannte "integrator", beschreibt im unterschwelligen Bereich, in dem noch kein
Aktionspotential ausgelöst wird, die Eigenschaften der Zellmembran eines Neurons. Eine
solche Membran, die ein nichtidealer Isolator zwischen zwei elektrisch leitfähigen
Flüssigkeiten ist, wird durch die Parallelschaltung eines Kondensators C ("integrator") und
eines Widerstandes R repräsentiert. In dieser Anordnung stellen die beiden Bauelemente
einen einfachen Tiefpaß-Filter (RC-Glied) dar.
Über den Eingang, den Synapsen, dargestellt durch Widerstände werden die EPSP's mit der
jeweiligen Höhe  an der Zellmembran integriert. Wenn am RC-Glied eine ausreichende
Spannung anliegt, dann wird am Axonhügel eine Schwelle überschritten und ein elektrischer
Impuls ausgelöst. Dieser Impuls kann ein Dirac'scher -Impuls sein. Mit einem zusätzlichen
RCAP-Glied ist es möglich, den -Impuls in ein realistischeres Aktionspotential umzuformen.
Wenn die Aktivierungsvariable x eines puls-gekoppelten Oszillators den Schwell-wert K
erreicht, dann wird ein Aktionspotential ausgelöst und, und die Variable x wird auf Null
zurückgesetzt. Die Zeit, die die Aktivierung benötigt, um von Null zum Schwellwert zu
kommen, ist die Periode P. Die Frequenz des nichtlinearen Oszillators ist definiert durch P-1.
Aktionspotential
x(t)
Schwelle
t
0
T
Zeitverlauf eines "integrate-and-fire"-Oszillators mit konstanter externer Erregung.
x
Kj
Ki
xj=f(j(t))
xi=f(i(t))

Tj
Ti
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Brain Modelling
57
Die Oszillatoren interagieren nur durch eine einfache Form der Impulskopplung. Wenn der ite Oszillator zum Zeitpunkt ti feuert, dann werden die Aktivierungen der anderen Oszillatoren
j um einen Betrag  angehoben. Die Kopplungskonstanten  sind vergleichbar mit den
EPSP's, >0, beziehungsweise den IPSP's, <0. Die Phase  gibt die aktuelle Aktivierung den Zustand des Neurons, an. Das heißt:
 x (t  )  0
xi (t i )  K i   i i 

 x j (t i )  min( K j , x j (t i )   )
j  i
Die Oszillatoren haben haben individuelle Schwellwerte Ki (auf der y-Achse)
beziehungsweise Ti (auf der x-Achse). Erreicht oder überschreitet eine Aktivierung xi den
Schwellwert, dann wird seine Aktivierung infintesimal später auf Null gesetzt und alle
anderen Aktivierungen werden um ein  angehoben.
Verhalten von zwei puls-gekoppelten "integrate and fire"-Neuronen:
a) Zum Zeitpunkt t0+ gilt: Oszillator 1 hat gerade gefeuert: 1(t0+) = 0.
Die Phase von Oszillator 2 liegt innerhalb der zwei zu bestimmenden Return-Grenzen 
und :
0 <  < 2(t0+) <  < T2.
b) Als nächstes wird zum Zeitpunkt t1- Oszillator 2 den Schwellwert T2 erreichen:
2(t1-)=T2. Da sich Oszillator 1 ebenfalls gleichmäßig bewegt (für beide Oszillatoren
vergeht gleich viel Zeit) ergibt sich 1(t1-) = T2 - 2(t0+).
c) Infinitesimal später feuert Oszillator 2, da er seine Schwelle erreicht hat: 2(t1+)=0.
Durch das Feuern wird Oszillator 1 um ein  angehoben. Daraus folgt:
1(t1+) = g(+f(T2 - 2(t0+))).
Es hätte passieren können, daß Oszillator 1 während der Bewegung (also zwischen den
Zeitpunkten t0+ und t1-) von Oszillator 2, beziehungsweise durch das Feuern von Oszillator
2, also zu t1+, selbst über die eigene Schwelle T1 gehoben worden wäre. Das heißt beide
Oszillatoren würden daraufhin gemeinsam feuern. Dies steht im Widerspruch zu den
Anfangsbedingungen. Also muß gelten: 1(t1+) = g(+f(T2 - 2(t0+))) < T1.
Um zu bestimmen wie groß 2(t0+) beim Start des Zyklus sein mußte, damit es zu keiner
Synchronisation in diesem Schritt kommt, muß man die Ungleichung g(+f(T2-2(t0+))) <
T1 nach 2(t0+) auflösen (Umkehrfunktion) und man erhält:
  T2- g[f(T1) - ] < 2(t0+)
Damit haben wir die untere Grenze für 2(t0+) gefunden.
d) Der Oszillator 1 wird als nächstes feuern (er hat ja seine Schwelle zum Zeitpunkt t 1+ noch
nicht erreicht) Also ergibt sich für die Phase von Oszillator 1: 1(t2-) = T1.
Da sich Oszillator 2 ebenfalls bewegt, lautet seine Phase dann: 2(t2-) = T1 - g(+f(T2 2(t0+))).
e) Oszillator 1 feuert, seine Phase springt somit auf Null zurück und die Aktivität von
Oszillator 2 wird um ein  angehoben. Also gilt: 1(t2+) = 0 und 2(t2+) = g( + f(T1 g(+f(T2 - 2(t0+))))).
Der Zyklus ist beendet.
Aber wiederum wäre es möglich, daß diesmal Oszillator 2 über seine eigene Schwelle, durch
das Feuern von Oszillator 1 angeregt, gehoben wird und es somit zum gleichzeitigen Feuern
kommt. Damit dies nicht geschieht muß folgendes gelten: 2(t2+)=g(+f(T1-g(+f(T2-2(t0+)))))
< T2. Durch Auflösung dieser Ungleichung nach dem Startwert 2(t0+) erhalten wir:
2(t0+) < T2 - gf(T1 - g[f(T2) - ]) -   
Mit diesem Zyklus ist es möglich zu zeigen unter welchen Bedingungen sich 2 Neuronen
synchronisieren.
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Brain Modelling
58
K1
K2
a)
Os.2
Os.2
b)
Os.1
1(t0+ t -)=
T2-2(t0)
2(t0)
Os.1
T1
Frequenzbedingung:
g[f(T2)-] + g() < T1
T1
T2
Os.1
c)
mit T1<T2
T2

1(t0+ t -)=
T2-2(t0)
Os.2
T1
T2
1(t0+ t+)=g(+f(T2-2(t0)))
Was ist Synchronisation ?
Phase-locking:
Die Oszillatoren feuern zu unterschiedlichen Zeiten, aber die
Phasendifferenz bleibt konstant, ist in der Regel aber nicht Null.
Synchronisation:
Die Oszillatoren feuern gleichzeitig, der Phasenunterschied ist nur
beim Feuern Null.
Supersynchronisation: Die Oszillatoren feuern gleichzeitig, der Phasenunterschied ist immer
Null.
Von was hängt Synchronisation ab ?
a) Die Schwellwertfunktion muß nichtlinear sein.
b) Die Frequenzen sollten in der selben Größenordnung sein. Das heißt die Schwellwerte
sollten ungefähr gleich groß sein.
c) Die EPSP´s müssen positiv sein.
Wie kann man Synchronisation biologisch relevant beinflussen ?
a) Eine Anhebung des Ruhemembranpotentials führt zu einem geringeren Schwellwert. Es
erhöht sich die Frequenz,es kann schneller zu Synchronisation kommen.
b) Wenn die EPSP´s erhöht werden, ist der Einfluß von einem Neuron auf andere Neuronen
stärker. Es kann leichter zur Synchronisation kommen.
Assemble 1
U
Assemble 2
t
a)
b)
Beispiel einer visuellen Szene (a). Die Bindung von Objektmerkmalen erfolgt durch zeitliche
Korrelationen zwischen den neuronalen Antworten (b). Im hier gezeigten Fall - durch
schwarze und weiße Kreise angedeutet - würden die beiden Personen durch jeweils ein
unterschiedliches neuronales Assemble dargestellt. Die grauen Kreise stellen unkorrelierte
Neuronen dar.
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Brain Modelling
59
Ein typisches Experiment, in dem zwei
Mikroelektroden aus dem visuellen
Kortex eines Versuchstieres elek-trische
Signale ableiten (a). Die Neuronen
können nun mit verschiedenen Reizkonfigurationen aktiviert werden. Bietet
man ein ein-ziges kohärentes Objekt an,
in diesem Fall ein durchgehender
vertikaler Lichtbalken, der über die
rezeptiven Felder bewegt wird (b), so
sind die Zellen an den beiden
Ableiteorten synchron aktiv. Stimuliert
man die gleichen Neuronen hingegen
mit verschiedenen Objekten, etwa zwei
klei-neren balkenförmigen Licht-reizen,
die sich in verschiedene Richtungen bewegen (c), so sind die neuralen Impulse
nicht mehr synchronisiert.
a)
1
2
b)
U
t
c)
U
t
Hemmung von Assemblies:
Hemmung durch
Körnerzellen:
Hemmung durch
modulierende Neuronen:
Muster
erregende
Neuronen
hemmende
Neuronen
Verknüpfung von 2 Assemblies:
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Brain Modelling
60
Das Liebesleben der Glühwürmchen
Männliche Glühwürmchen blinken um Weibchen anzulocken - ein kurzer Lichtimpuls gefolgt
von ein paar Sekunden der Dunkelheit. In den Weiten des Amazonas hat es ein einziges
männliches Glühwürmchen schwer ein Weibchen
anzulocken, zumal diese rund 50-100 Meter über dem
Boden fliegen. Also versammeln sich die Männchen auf
einem Baum. Damit haben es die Weibchen leichter das
schwache Licht zu sehen. Aber die Glühwürmchen dürfen
nicht durcheinander blinken. Die Weibchen reagieren nur
auf ein regelmäßiges Blinken. Also müssen alle
Glühwürmchen gleichmäßig blinken. Den ersten Berichten
nach, die von diesem Phänomen berichteten, glaubte man
an eine optische Täuschung. Man konnte sich nicht
vorstellen, wie tausende und abertausende Glühwürmchen
gleichzeitig blinkten. Zuerst glaubte man, daß es ein
sogenanntes Chef-Glühwürmchen gibt, daß den Rhythmus
vorgibt. Diese Annahme stellte sich als falsch heraus. Im
Prinzip läßt sich dieses Problem durch Demokratie lösen.
Zwei Würmchen entscheiden sich für eine Frequenz.
Wenn ein neues hinzukommt, dann paßt sich das eine an
den Rhythmus der anderen beiden an und umgekehrt und
so weiter. Dieses Problem ist mit dem obigen Problem der
Synchronisation verwandt, wenn nicht sogar ident. Die
Ein Baum voller Glühwürmchen.
mathematische Formel, mit der die optische Aktivierung
beschrieben werden kann, ist ident mit der Gleichung, die
die elektrische Aktivität im unterschwelligen Bereich eines Neurons beschreibt. Kein
Glühwürmchen ist wichtiger, als die anderen. Der einzige Unterschied besteht darin, daß
jedes Glühwürmchen mit jedem anderen Glühwürmchen die Information austauschen kann.
Bei den Neuronen ist dies nicht gegeben, da die Anzahl der Synapsen begrenzt ist. Über die
synaptische Stärke entsteht dann ein geometrisches Muster, das mit dem einlangenden Signal
in irgendeiner Form korreliert.
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Brain Modelling
61
8.0 Gestaltspsychologie
"Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile,
auf gut Deutsch: das System ist nichtlinear."
Eine Anwendung der Synchronisation (Figur-Hintergrund Trennung): Aus einem schlechten
Bild wird das Muster vervollständigt. Es werden nur wenige Neuronen angeregt (die den
Hund darstellen). Durch Synchronisation werden zusätzliche Neuronen angeregt, bis das Bild
eines Hundes entsteht.
Beim Kaniza-Dreieck (links) entsteht ein Dreieck vor dem geistigen Auge. Das Gehirn
erkennt einige Strukturen und versucht diese zu vervollständigen. Am Beispiel des RubinPokals läßt sich das Umkippen aus einem Bild (Darstellung eines Pokals) in ein anderes (2
Gesichter sehen sich an) wiedergeben.
Gruppierungsgesetze:
räumliche Nähe
Ähnlichkeit
abgeschlossener Umriß
gute Fortsetzung
gemeinsamer Bereich
Zusammenhang
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Brain Modelling
62
Es kommt zu einer Konstruktion der Wahrnehmung (Scheinbewegung beim Zug).
Wenn wir zewnig Information haben, dann fügen wir die am einfachsten erscheinenden Teile
hinzu. Man vermutet, daß es sich ein Kreissegment hinter der Abdeckung befindet (links),
aber es handelt sich um eine estwas verworrene Figur.
Ein Rätsel aus der Gestaltspsychologie: Verbinden Sie die 9 Punkte durch 4 (3) Linien ohne
abzusetzen.
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Brain Modelling
63
9.0 Entwicklung des Nervensystems
Verschiedene Stadien bei der Entwicklung des Nervensystems:
[1] Induktion der Neuralplatte.
[2] Vermehrung von Zellen in bestimmten Regionen (Die Vermehrungsrate ist nicht überall
gleich groß. Daraus folgt das Relief der Hirnstrukturen).
[3] Wanderung der Zellen vom Ort ihrer Entstehung zu den Stellen, an denen sie
schließlich bleiben.
[4] Bildung anatomisch identifizierbarer Zellverbände.
[5] Ausreifung der einzelnen Nervenzellen.
[6] Bildung von Verbindungen zwischen den Nervenzellen.
[7] Selektiver Tod einzelner Nervenzellen (rund 50% sterben ab).
[8] Umstrukturierung und Stabilisierung (Lebenslanges LERNEN !).
ad 7) Bei den Nervenzellen werden offenbar alle diejenigen wieder eliminiert, die während
der Ausdifferenzierung [ad 6] keinen Kontakt zu anderen Neuronen oder Erfolgsorganen
bekamen.
Somit ist eine ausreichende Reizlage während der frühen Entwicklung eines Menschen
notwendig, um bestmögliche Innervierung frühzeitig zu gewährleisten.
Nervenwachstumsfaktor
unreifes
Neuron
Zellen des
Zielgewebes
Wachstumszone
Nervenfaser (Axon)
Innervierung
des Zielgewebes
Durchtrennung
des Axon
Im linken Bereich wirkt kein
Nervenwachstumsfaktor auf das
neurale Gewebe - im Gegensatz
zur rechten Abbildung.
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Brain Modelling
64
Topologische Abbildung des
Großhirnrinde:
somatosensorischen
und motorischen Bereiches
der
Wie gelingt es dem Gehirn eine exakte Abbildung von der Körperoberfläche auf dem
somatosensorischen Cortex durchzuführen ?
Es müssen nachbarschaftserhaltende Beziehungen hergestellt werden. Es werden mehr
Neuronen zur Verfügung gestellt als notwendig. Wenn nun zwei Neuronen gleichzeitig
aktivert sind, wenn die beiden benachbarten (z.B. Haut-, Retina-) Areale aktiviert sind, dann
ist zwischen den beiden Neuronen im (z.B. somatosensorischen, primären visuellen) Cortex
eine nachbarschaftliche Beziehung hergestellt und diese Neuronen werden weiter benötigt.
Sie sterben nicht ab. Es sterben nur die Neuronen ab, denen es nicht gelungen ist an der
nachbarschaftserhaltenden Abbildung teilzunehmen.
Die richtige Verschaltung (Bildung/Entstehung) setzt eine bestimmte Stimulierung des
Gehirns voraus. Die einzelnen Gebiete müssen zeitlich-räumlich korrekt aktiviert werden.
Dies geschieht in sensiblen Phasen während der Gehirnreifung.
Wenn die Grobverschaltung abgeschloßen ist, müssen externe Reize aus der Umwelt die
Feinabstimmung vornehmen. Damit kann sich das Gehirn auf die gegebene Umwelt optimal
anpassen.
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Brain Modelling
65
Entstehung der nachbarschaftserhaltenden Beziehungen (Topologie):
t=2
t=3
t=1
t=4
t=5
t=6
t=7
t=8
t=9
Die spontane elektrische Aktivität in der sich
entwickelnden Netzhaut ist lokal synchronisiert. In
jedem Diagramm ist die Verteilung der
Aktionspotential-Salven einzelner Ganglienzellen in
der Retina eingetragen. Die Signale werden über
den Thalamus zum primären visuellen Cortex
weitergeleitet. Dort entstehen Signale die räumlich
und zeitlich koordiniert sind.
Retina
Thalamus
Gehirnrinde
R
Von der rechten Hälfte der Retina des
rechten Auges innervieren Neuronen
das rechte primäre visuelle Rindenfeld.
Zwischen
diesen
Zielgebieten
innervieren die Neuronen, kommend
aus dem rechten Teil der Retina des
linken Auges die Großhirnrinde. Es gibt
ein Konkurenzverhalten. Damit beide
Augen gleich stark vertreten sind,
bedarf es eines externen Stimulus. Zum
Zeitpunkt der Geburt überlappen die
Neuronen im Zielgebiet
LR
L
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Brain Modelling
66
Nach einer gewissen Zeit entstehen
sog.
Augendominanzsäulen
im
primären visuellen Areal. Die Säulen
sind die kleinen weißen Rechtecke
vom rechten Auge (untere Graphik).
Dazwischen sind schwarze Säulen
von linken Auge. In der oberen
Graphik ist die Trennung noch nicht
vollzogen. Die Schichtung des
Cortex ist gut zu beobachten.
Großhirnrinde
Man kann sehr schön sehen, wie sich die Säulen
durch die einzelnen Neuronen ausbilden.
L R
L
R Thalamus
von der Retina
Wenn von einem Auge (in der linken unteren Graphik das linke Auge) keine Signale mehr an
die Großhirnrinde weitergeleitet wird, dann verkümmern die dazugehörigen Neuronen. Wenn
die Signale nicht koordiniert sind, dann wuchern sie und es bilden sich keine
Augendominanzsäulen aus (rechte untere Graphik).
Großhirnrinde
L
Großhirnrinde
R
L
R
Thalamus
von der Retina
L
R L
R
Thalamus
von der Retina
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
67
Training führt zu einer Ausdehnung solcher Flächen des Cortex, in denen sensorische
Afferenzen eintreffen. Ein Affe wurde trainiert eine Aufgabe durchzuführen, bei der er häufig
die Spitzen des zweiten und dritten, gelegentlich auch des vierten, Fingers einsetzen mußte.
Die Repräsentation der Fingerspitzen vor Trainingsbeginn im Vergleich zur Phase nach der
starker Stimulation.
Die Entwicklung des menschlichen Gehirns ist erst nach der Pupertät abgeschlossen. Manche
Gebiete werden erst sehr spät in das Netzwerk Gehirn integriert. Zum Beispiel der
Hippocampus. Diese Struktur ist für unser deklaratives Lernen verantwortlich. Die meisten
Menschen erinnern sich praktisch kaum an erlebte Fakten vor dem 3. Lebensjahr - der
Hippocampus wird erst zu diesem Zeitpunkt angeschlossen. Die Myelinisierung der Axone
gibt über den Entwicklungsstand der einzelnen Rindenareale Auskunft. Die dunklen Areale
werden früh, die hellgrauen später und die weißen sehr spät (bis in die Pupertät hinein)
myelinisiert:
Synapsenwachstum im visuellen Cortex
Synapsenwachstum im Stirnlappen
0
2
4
6
7
10
Zeit in Jahren
20
Entwicklung der Großhirnrinde auf zellulären Niveau:
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
68
Prägung:Als Prägung wird ein artspezifisch bedeutsamer Informationserwerb während
sensibler Entwicklungsphasen bezeichnet, der irreversible Veränderungen bedingt.
Die Prägung befähigt ein Individuum zum dauerhaften Wiedererkennen der gleichen
Merkmalsgestaltung, die später immer gleichartige Verhaltensreaktionen auslöst.
(Hospitalismus)
10.0 Das visuelle System
Das menschliche Auge ist nicht einfach mit einer Videokamera oder einem Fotoapparat zu
vergleichen. So betrachtet das Auge einzelne Ausschnitte des Gesichtsfeldes öfters als andere.
Lederhaut
Netzhaut
Aderhaut
Hornhaut
Sehgrube
Sehnerv
Iris
Linse
Bipolarzelle
Zäpfchen
Darstellung des Auges (oben)
und der neuralen Verschaltungen
in der Retina.
Licht
Rückseite
des
Augapfels
retinale
Ganglienzelle
Stäbchen
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Brain Modelling
69
Es gibt zwei Arten von Photorezeptoren: Stäbchen und Zapfen.
Die Stäbchen können sehr schwaches Licht detektieren. Dies liegt vorallem an der neuralen
Nachverarbeitung, die für eine sehr gute Verstärkung sorgt. Sie dienen der Schwarz-Weiß
Verarbeitung eines Bildes. Der Konvergenzgrad auf die nachgeschaltenen Bipolarzellen ist
sehr groß. Die Zapfen dienen dem Farbsehen.Durch sie sehen wir schärfer und dieser
Rezeptortyp besitzt eine bessere zeitliche Auflösung.
Die drei Zapfen der menschlichen Retina
antworten bevorzugt , aber nicht ausschliesslich auf die jeweilige Wellen-länge, wie hier
durch die Absorptionsspektren der Photopigmente aller drei Zapfentypen dargestellt
ist. Die Kurve mit dem Maximum bei 496 nm
zeigt das Absorptionsspektrum von Stäbchen.
Es gibt ungefähr 20 mal mehr Stäbchen als Zapfen. Zwischen den Photorezeptoren und den
Ganglienzellen liegen drei Klassen von Interneuronen: Bipolar-, Horizontal- und
Amakrinzellen. Sie kombinieren die Signale von mehreren Photorezeptoren, so daß die
Antwort der Ganglienzellen stark von räumlichen und zeitlichen Lichtmustern abhängt. Die
Axone dieser Zellen bilden den Sehnerv.
Ganglienzellen besitzen ein rezeptives Feld, das einen bestimmten Retinabereich überwacht.
Zwei wesentliche Merkmale einer Ganglienzelle:
1) Das rezeptive Feld ist kreisförmig.
2) Das rezeptive Feld teilt sich in zwei Bereiche:
a) einer kreisförmigen Zone im Inneren und
b) dem Umfeld
Ganglienzelle mit ON-Zentrum
Ganglienzelle mit OFF-Zentrum
ON-Bereich
OFF-Bereich
OFF-Bereich
ON-Bereich
Lichtpunkt auf das Zentrum
Lichtpunkt auf das Zentrum
Lichtpunkt in das Umfeld
Lichtpunkt in das Umfeld
Beleuchtung des gesamten
Zentrums
Beleuchtung des gesamten
Zentrums
Beleuchtung des gesamten
Umfelds
Beleuchtung des gesamten
Umfelds
diffuse Beleuchtung
diffuse Beleuchtung
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Brain Modelling
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Farbwahrnehmung:
Farbantagonismus: Bestimmte Farben können nie in Kombination gesehen werden. Es
existiert kein rötliches Grün oder bläuliches Gelb.
Farbsimultankontrast: Dieser Effekt tritt dann auf, wenn Gegenfarben von räumlich
benachbarten Stellen ausgehen. So hebt sich ein grünes Objekt besser von einem roten
Hintergrund besser ab, als vor einem blauen.
Farbkonstanz: Die Farbe eines Objektes bleibt relativ konstant, obwohl enorme
Schwankungen in der Spektralverteilung der Umgebungsbeleuchtung auftreten.
Farbe wird in der Retina und im seitlichen Kniehöcker des Thalamus durch Gegenfarbzellen
codiert.
G+;R+
G-;R-
G-;R-
G+;R+
G+
G-
R-
R+
konzentrische
Breitbandzellen
konzentrische einfache
Gegenfarbenzellen
R+
R-
G-
G+
B+
G-;R-
BG+;R+
coextensive einfache
Gegenfarbenzellen
Konzentrische Breitbandzelle: Die Ein-gangssignale von den G- und R-Zapfen wer-den im
rezeptiven Feld unabhängig vonein-ander aufsummiert. Sie reagieren auf den
Helligkeitskontrast innerhalb ihres Feldes und leisten keinen Beitrag zum Farbsehen.
Konzentrische einfache Gegenfarbzellen: Ein Zapfentyp (R oder G) überwiegt im Zentum
des rezeptiven Feldes und führt zu einer Reaktion, die zu der des im Umfeld überwiegenden
Zapfentyps entgegengesetzt ist.
Coextensive einfache Gegenfarbzellen: Sie besitzen ein undifferenziertes rezeptives Feld in
dem die Wirkung der B-Zapfen der kombinierten Wirkung von G- und R-Zapfen
gegenübersteht.
tatsächliche
Intensität
Machbänder
beobachtete
Intensität
Durch die laterale Hemmung in der Retina werden Kanten mit einer anderen
Helligkeit gesehen, als es tatsächlich ist. Dadurch wird der Kontrast erhöht.
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intensives Licht
schwaches Licht
Das rechte (linke) Halbbild der Retina beider
Augen wird über den Sehnerv zum rechten
(linken) seitlichen Kniehöcker (Teil des
Thalamus - Corpus geniculatum laterale)
abgebildet.
Der seitliche Kniekörper liefert eine
vollständige Repräsentation der jeweiligen
Gesichtshälften.
Er
besitzt
sechs
Zellkörperschichten. Die Fasern von der
kontra-lateralen Retinahälfte enden in den
Schichten 1, 4 und 6, die von der ipsilateralen
Hälfte in den Schichten 2, 3 und 5. Die
Schichten 1 und 2 stellen die magno-zelluläre
Bahn dar, im Gegensatz zu den Schichten 3 bis
6 die die parvozelluläre Bahn repräsentieren.
Beide Bahnen projezieren zum primären
visuellen Cortex. Aus diesen Bahnen entstehen
die 3 Hauptkanäle für die Wahr-nehmung von
Form, Farbe und Bewegung.
Von den Ganglienzellen der Netzhäute ziehen ausgedehnte Nervenfasern (Sehnerv) zu den
äußeren Kniekörpern, deren Zellen ihrer-seits durch Nervenfasern unmittelbar mit den Zellen
des primären Sehfeldes ver-bunden sind. Die sechs Schichten der Kniekörper sind durch je
eine Nervenzelle angedeutet und es läßt sich erkennen, daß diese Schichten jeweils nur mit
Signalen entweder vom linken oder vom rechten Auge versorgt werden.
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Brain Modelling
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Durch eine spezielle Färbetechnik (Cytochron-Oxidase) zeigen sich charakteristische
Zellsäulen in der V1 Region, die von der Oberfläche der grauen Hirnrinde bis zur weißen
Substanz - den darunterliegenden Nervenfasern - verlaufen. Auf einem Schnitt parallel zur
Oberfläche erscheinen sie als stark angefärbte Flecken, die nach dem entsprechenden
englischen Wort als Blobs bezeichnet werden; dazwischen liegen weniger stark gefärbte
Interblobregionen.
1)
Streifen in A18
2)
Blobs
in A17
V2
V1
Es existieren 3 verschiedene Bahnen für das Wahrnehmen von Bildern.
1) Parvo-Blob Bahn: parvozelluläre Schicht des seitlichen Kniehöckers

Blob-Region von V1

Gebiet der dünnen Streifen in V2

Cortexareal V4 (Wahrnehmung von Farbe)
2) Parvo-Interblob Bahn: parvozelluläre Schicht des seitlichen Kniehöckers

Interblobregion von V1

Gebiet mit blassen Streifen in V2

Cortexareal V4 (Wahrnehmung von Formen und Farbe)
3) Magno-Interblob Bahn:
magnozelluläre Schichten des seitlichen Kniehöckers

Interblobregion von V1

Gebiet mit dicken Streifen von V2

Cortexareal V5 und V3 (Wahrnehmung von Tiefe und
Bewegung)
Die Neuronen im visuellen Cortex können (funktionell) in zwei Klassen unterteilt werden:
einfache Zellen und komplexe Zellen.
In V2, ein dem primären visuellen Cortex benachbartes Areal, bilden die stark färbenden
Regionen zwei Typen von dunklen Streifen - dicke und dünne, die durch blasse InterstreifenRegionen voneinander getrennt sind.
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Brain Modelling
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Einfache Zellen:Ihre rezeptiven Felder erhalten mehr Input als die Ganglienzellen. Sie sind
auch nicht kreisrund, sondern länglich, meist sogar fast rechteckig. Das rezeptive Feld gesteht
aus einer rechteckigen On-Zone mit einer eindeutig orientierten Längsachse, flankiert mit
Off-Zonen von beiden Seiten. Um optimal wirksam zu sein, muß der Stimulus genau die
gleiche Orientierung haben, wie das rezeptive Feld der Zelle. Es können Reize mit einem
Orientierungs bereich von rund 10° erkannt werden. Der Reiz darf nur die excitatorische
Region des rezeptiven Feldes bedecken und nicht in die inhibitorische Region hineinreichen.
Komplexe Zellen:Auch sie besitzen rezeptive Felder mit bestimmter Orientierung. Ihre
rezeptiven Felder sind jedoch größer als die der einfachen Zellen und sie besitzen keine klar
umgrenzten On- und Off-Zonen.
Neben Kontrasten und schnellen Belichtungsänderungen analysiert unser Sehsystem auch andere Aspekte, wie Farbe,
Form und Bewegung: Die Neuronen des
primären visuellen Cortex haben lineare rezeptive Felder mit diskreten excitatorischen
und inhibitorischen Bereichen.
rezeptives Feld:
OFF-Bereich
Eine einfache
Zelle antwortet auf einen
Lichtbalken
einer Orientierung, die
zur Orientierungsachse
ihres rezeptiven
Feldes
paßt.
ON-Bereich
Augendominanzsäule:
Blobs
I
II
III
IV
V
VI
vom
rechten
- linken
Auge
Ein Modul aus unterschiedlichen funktionalen Kolumnen im visuellen Cortex enthält alle
neuralen Strukturen, die zur Analyse einer diskreten Region des gesichtsfeldes benötigt wird.
Jedes Modul, das auch Hyperkolumne genannt wird, enthält ein vollständiges Set an
Orientierungssäulen, die 360° repräsentieren, eine linke und eine rechte Augendominanzsäule
und mehrere Blobs (wichtig für die Farbverarbeitung). Das gesamte Gesichtsfeld ist im
Cortex durch ein regelmäßiges Muster aus Hyperkolumnen repräsentiert.
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Brain Modelling
74
Modell für die visuelle Informationsverarbeitung:
Verschaltungen im visuellen System:
Das Geheimnis der visuellen Wahrnehmung liegt in der komplizierten Arbeitsteilung
verborgen. Anatomisch zeigt sich darin, daß bestimmte Regionen und Teilregionen der
Hirnrinde auf einzelne visuelle Funktionen spezialisiert sind.
Anatomischer Schnitt durch die Sehrinde von einem Makaken. Auf dem Querschnitt ist ein
Teil der primären Sehrinde (V1) und einige Areale im prästriären visuellen Cortex (V2-V5)
markiert.
Die Areale V1 und V2, fungieren als eine Art Postamt um die verschiedenen Signale auf die
richtigen Areale zu verteilen. Diese beiden Gebiete analysieren stückweise das Gesichtsfeld.
Es wurde herausgefunden, daß in den Blobs von V1 farb- und in den Interblob-Regionen
formspezifische Zellen konzentriert sind. Besonders stark ausgeprägt sind die Zellsäulen in
der zweiten und dritten Schicht von V1, deren Input von den parvozellulären Schichten des
seitlichen Kniehöckers stammen. Die Zellen in diesen Kniehöcker-Schichten reagieren mit
einer hohen, lang anhaltenden Aktivität auf visuelle Reize und sind größtenteils
farbempfindlich.
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Brain Modelling
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parietale
Areale
Bewegung
V5
V3
V4
Farbe
V1
V2
Form
temporale
Areale
In dieser Seitenansicht sind die wichtigsten Verbindungen eingetragen. Die Information wird
aber nicht nur von einem Areal zum nächsten Areal vorwärtsvermittelt, sondern es gibt auch
starke Rückwärtsverbindungen. Ein Areal vergleicht seine neu gebildetes neurales Assemble
mit den ursprünglichen Informationen. Dies kann zum Beispiel zu einer Kontrastverstärkung
führen (Rückverbindung von V1 und CGL - corpus geniculatum laterale - seitlicher
Kniehöcker). Stark vereinfachend sind hier die drei Objektmerkmale Form, Farbe und
Bewegung einzelnen Arealen zugeordnet.
Auf jeder Verarbeitungsstufe hat jede Zelle eine höhere Abstraktionsfähigkeit als die Zellen
der vorangegangenen Stufen.
Sehen erfordert Aufmerksamkeit !
Welche Merkmale sorgen dafür, daß ein Objekt aus dem Hintergrund hervortritt ?
Deutlich wahrnehmbare Objektgrenzen beruhen auf elementaren visuellen Eigen-schaften wie
Helligkeit, Farbe und Orientierung von Linien.
Wo ist das
Gebiet mit
den T´s ?
Folgerung: Es existieren zwei (un)abhängige Wege der Verarbeitung von visueller
Information.
[1] Ein schnell ablaufender nicht aufmerksamkeitsgesteuerter Prozeß, der nur für das
Erkennen der wichtigsten Umrisse eines Objektes sorgt (Hauptmerkmale wie globale
Textur eines Objekts).
[2] Der aufmerksamkeitsgesteuerte Prozeß führt zu einer Fokussierung auf feinere Merkmale
eines Objektes. Hierbei werden Merkmale ausgewählt und hervorgehoben, die in
verschiedenen Merkmalskarten (nachgeschalteten Cortexbereichen) verzeichnet sind (the
winner takes it all).
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Neokognitron:
Das Neokognitron versucht stark deformierte Buchstaben wiederzuerkennen. In diesem
Netzwerk gibt es keine vollständige Translations-, Rotations- und Skalierungsinvarianz,
sondern nur die Fähigkeit, begrenzte Veränderungen der gelernten Muster zu tolerieren.
Wie man sieht, nimmt jedes Neuron der Schicht 1 nur die Ausgabe einer lokal begrenzten
Menge von Neuronen der Schicht 0 wahr. An jeder Stelle der Schicht 1 antworten nur
diejenigen Neuronen besonders stark, deren rezeptive Felder in ihrer Orientierung mit der
lokalen Orientierung der Striche des "A" übereinstimmen. In der nächsten Schicht werden
schon komplexere Merkmale erkannt (Ecken, Enden).
Beispiele für deformierte mit dem Neocognitron richtig erkannte Zahlen.
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