Interview Greene - Home | Diakonie Katastrophenhilfe

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Diakonie Katastrophenhilfe
HAITI
Interview mit Charlotte Greene, Programmkoordinatorin
4.12.2014
(seit Feb. 2013 in Haiti, seit Juli 2013 bei der DKH, seit Juni 2014 Programmkoordinatorin; 30 Jahre
alt, aus den USA)
1) Wie ist die Situation in Haiti fünf Jahre nach dem Erdbeben, was hat sich seitdem verändert?
Das ist nicht einfach für mich zu beantworten, da ich erst seit knapp zwei Jahren in Haiti bin. Ich
denke, die größten sichtbaren Veränderungen fanden in den ersten Jahren nach dem Erdbeben statt,
das Aufräumen der Trümmer und so. Meiner Meinung nach hat sich die Haltung (attitude) der
Menschen generell verbessert. Sie sind jetzt wieder hoffnungsvoller als zuvor. Ich denke aber, dass
die haitianische Mentalität so ist, dass die Menschen an Verlust und an Tragödien gewöhnt sind und
sich relativ rasch davon erholen.
[…] Wenn es um spezielle Dinge geht: In den letzten Monaten gab es immer öfter politische Unruhen,
da die Kommunal- und Parlamentswahlen verzögert werden. […]
Die Präsenz von internationalen Hilfsorganisationen hat stark abgenommen, was für die Menschen
schwierig ist, da sie weniger Hilfe erhalten.
2) Gibt es ein verstärktes Engagement des Staates?
Ohne in eine politische Debatte einzusteigen: Ich denke, dass der aktuelle Präsident [Michel
Martelly] viel für den Tourismus tut. Er verschönert die Stadt und repariert viele Dinge. Manche
Leute bezeichnen das als „Make-up“. Viele empfinden das so, andere sind jedoch zufrieden damit –
es gibt beide Ansichten. Der Präsident versucht, mehr Touristen und mehr Geld ins Land zu bringen.
3) Gibt es von staatlicher Seite eine größere Bereitschaft, mit den Hilfsorganisationen
zusammenzuarbeiten?
OCHA (Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) und UNDP (United Nations Development
Programme) haben sehr viel Zeit und Energie aufgewendet, um den Staat in die Lage zu versetzen,
Aufgaben weiterzuführen und Verantwortung zu übernehmen. Zum Beispiel löst sich das „Shelter
Cluster“ Ende 2014 auf und die Verantwortung wird an das Ministerium für Zivilschutz (DPC/Civil
Protection) übergeben. Insgesamt ist viel Geld von internationalen Organisationen und von
ausländischen Regierungen in die staatlichen Strukturen geflossen, um Notfalleinsatzzentralen
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(Emergency operation centers) und solche Dinge zu etablieren. Es wurde viel Zeit und Geld
aufgewendet, um verschiedene Ministerien für diese Aufgaben fit zu machen.
Die Frage ist, ob es einen Langzeiteffekt haben wird, wenn die internationalen Organisationen ihre
Hilfe eingestellt haben werden – man wird sehen. Es hängt auch vom Departement ab. Im Südosten
beispielsweise, wo wir arbeiten, hatten wir eine sehr enge Zusammenarbeit mit dem Zivilschutz auf
Departement-Ebene. Aber die Person, die die vergangenen zehn Jahre dafür verantwortlich war, ist
jetzt nicht mehr da, sodass wir nicht wissen, wie es jetzt werden wird. Aber der Staat ist motiviert,
definitiv. Üblicherweise sagen sie, dass sie keine Mittel haben, aber sie wollen etwas tun. Daher
denke ich, dass sie nach wie vor auf internationale Hilfe angewiesen sind.
4) Wie ist die Situation bei den Projekten der Diakonie Katastrophenhilfe? Die meisten Projekte
sind mittlerweile beendet, welche laufen momentan noch?
Im Moment haben wir zwei Projekte, die aus dem Risikoanalyse-Pilotprojekt (risk analysis)
entstanden sind, das wir mit unseren sechs lokalen Partnerorganisationen durchgeführt haben. Eines
ist im Nordwesten, es umfasst die Aspekte Anpassungsfähigkeit (resilience), Verringerung von
Umweltgefahren, Verteilung von Ziegen, Aufbau eines Frühwarnsystems und Erosionsschutz
(watershed), da eines der Hauptprobleme dort die Gefahr von Überschwemmungen ist. Sie haben
zum Beispiel niedrige Steinmauern gebaut, damit – aufgrund der Entwaldung – bei Regen die Hänge
nicht weggeschwemmt werden. Anfang Dezember haben wir das Projekt besucht: Im Sommer gab es
dort zweimal sehr starke Regenfälle. Der erste Regen führte zu beträchtlichen Überschwemmungen,
beim zweiten Regen, nachdem die Arbeiten abgeschlossen waren, war die Überschwemmung
deutlich geringer. Bereits nach einem Monat zeigte sich also, dass das Projekt positive Auswirkungen
hat.
Das zweite Projekt ist im Südosten, in Marbial, nordöstlich von Jacmel. Es besteht im Wesentlichen
aus den gleichen Komponenten, aber zusätzlich werden noch Häuser repariert. Das heißt, die lokale
Partnerorganisation erneuert zum Beispiel die Holzbalken, die nicht mehr tragfähig sind. Jedes Haus
wurde begutachtet und es wurde festgelegt, was zu tun ist. Dieses Projekt wird noch im Dezember
beginnen. Die Partnerorganisation arbeitet bereits seit langem in Marbial. Jedes Projekt baut auf den
vorhergehenden auf und ergänzt sie.
Die Projektlaufzeit beider Projekte ist bis zum Frühjahr 2015.
5) Welche Projekte, die die Diakonie Katastrophenhilfe seit dem Erdbeben durchgeführt hat, waren
besonders erfolgreich?
Die Nothilfeprojekte direkt nach dem Erdbeben waren erfolgreich. Diese Erfolge sind jetzt nicht mehr
unbedingt sichtbar, da sie unter anderem die Verteilung von Hygienesets und Kochutensilien
umfassten oder das Management der Notunterkünfte. Aber sie halfen, Leben zu retten und waren
daher erfolgreich. Außerdem waren die Wiederaufbauprojekte der Häuser erfolgreich. Bei jedem
Projekt, das wir durchgeführt haben, haben wir dazugelernt, daher haben auch wir uns immer weiter
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verbessert. Auf jeden Fall haben Menschen, die kein Zuhause mehr hatten, jetzt wieder ein Haus. Ich
denke, auch die Projekte der Quellfassungen waren erfolgreich. Eine der gefassten Quellen wurde
zwar kürzlich von einem Erdrutsch verschüttet, aber alle anderen funktionieren noch und sind nach
wie vor sehr wichtig für die Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Wasser. Auch der
Wiederaufbau der Gesundheitsstationen war in großen Teilen erfolgreich. Das Hauptproblem besteht
darin, dass der Staat dafür zuständig ist, die Gesundheitsstationen mit Personal zu besetzen.
6) Welche Projekte haben nicht so gut funktioniert und warum?
Ich habe zu dieser Zeit noch nicht für die Diakonie Katastrophenhilfe gearbeitet, aber nach dem was
ich gehört und gelesen habe, kann ich sagen, dass das Brunnenprojekt in Bainet zwar erfolgreich ist,
aber es besteht das Risiko, dass das Gegenteil eintritt, da der Grundstücksbesitzer im Moment vom
Elektrizitätswerk keinen Strom erhält und somit die Wasserpumpe nicht betrieben werden kann. Bis
vor kurzem allerdings lief das Wasser und das Projekt wurde von der Bevölkerung gut angenommen.
Urban Agriculture
Das Projekt zur städtischen Landwirtschaft (urban agriculture) lief auch nicht sehr gut. Bei diesem
Projekt gab es eine Komponente, bei der landwirtschaftliche Produkte zu Sirup, Marmelade oder
Likör verarbeitet wurden. Meiner Meinung nach war dieser Ansatz vielversprechend, aber eventuell
haben wir die Frauen nicht intensiv genug betreut, denn sie kannten sich mit den administrativen
Dingen nicht gut aus, die nötig waren, um das Projekt fortzusetzen. Es lag also nicht daran, dass sie
die Produkte nicht herstellen konnten – das hat gut geklappt und sie haben sie auch vermarktet –,
sondern weil sie die administrative Seite nicht kannten. Das Projekt war also nur teilweise
erfolgreich. Wir haben daraus gelernt, dass wir die Menschen längerfristig betreuen müssen, wenn
wir noch einmal so ein Projekt starten, damit sie wissen, wie sie mit den Rechnungen und all diesen
Dingen umgehen müssen, die sie aus ihrem täglichen Leben nicht kennen. Grundsätzlich ist die
Projektidee, Obst, zum Beispiel aus dem Garten, zu verarbeiten und die Produkte zu verkaufen, nicht
schlecht, da sie den Menschen eine langfristige Einkommensmöglichkeit schafft.
Das Projekt lief ungefähr eineinhalb Jahre. Die teilnehmenden Frauen erhielten eine Schulung und
die nötige Ausstattung, die sie brauchten. Ein Jahr lang wurde ihr Gehalt aus den Projektmitteln
bezahlt, danach sollten sie ihr eigenes Einkommen erwirtschaften. Es war vorgesehen, das
Projektgeld in zwei Teilbeträgen auszubezahlen. Den ersten erhielten sie, um die Ausgangsprodukte
zu kaufen und die Produktion zu starten. Um die zweite Auszahlung zu erhalten, hätten sie
nachweisen müssen, dass sie das Geld korrekt verwendet hatten. Dies war ihnen jedoch anscheinend
nicht bewusst, sodass sie die korrekte Verwendung des Geldes nur zum Teil nachweisen konnten und
ihnen der zweite Teilbetrag nicht ausbezahlt wurde. Daher konnten sie das Projekt nicht fortsetzen.
Die Ausstattung ist noch da, aber sie haben kein Geld, um die Miete für den Raum zu bezahlen.
Hühnerzucht
Auch die Projekte zur Hühnerzucht waren insgesamt nicht sehr erfolgreich. Die Probleme hierbei sind
vielfältig. Da die Diakonie Katastrophenhilfe humanitäre Nothilfe leistet, haben wir versucht, den
Menschen Hühner zu geben, die schnell Eier legen, damit sie etwas zu essen haben. Aber diese
Hühnerrasse ist nicht so widerstandsfähig und sie braucht mehr und teureres Futter. Langfristig
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konnten die Familien diese Hühner nicht versorgen, aber kurzfristig haben sie von ihnen mehr Eier
erhalten. Es hängt also davon ab, aus welchem Blickwinkel man das Projekt betrachtet: Ob es um den
unmittelbaren Aspekt der lebensrettenden Nahrung geht oder ob man eine längerfristige Wirkung
erzielen möchte. Wir haben verschiedene Hühnerrassen und Haltungsformen ausprobiert: die
traditionelle Rasse und sogenannte Hybrid-Hühner, gemeinschaftliche und individuelle
Hühnerhaltung. Ich bin sicher, dass es eine nachhaltige Lösung gibt. Aber im Allgemeinen ist die
Verteilung von Hühnern nicht so erfolgreich gewesen wie die von Ziegen oder – was wir auch
vereinzelt gemacht haben – von Schafen.
Gartenprojekte
Auch bei den Gartenprojekten gab es Probleme. Ich denke, wenn man jemandem einfach einen
Garten gibt und nichts weiter, funktioniert das nicht, denn ein Garten ist sehr zeitintensiv und
braucht viel Pflege. Unser lokaler Projektpartner Concert Action zum Beispiel baut seine Projekte
aufeinander auf. Das nächste Projekt, das wir mit ihnen zusammen durchführen, richtet sich an
Hilfsempfänger, mit denen sie schon vorher zusammengearbeitet haben. Diese Menschen haben
bereits erdbeben- und hurrikanresistente Häuser und Dächer erhalten und sie haben eine
funktionierende Wasserversorgung. Wenn sie eine gute Quelle in ihrer Nähe haben, ist es einfacher
für die Menschen, sich erfolgreich um ihren Garten zu kümmern. Wenn sie diese Voraussetzungen
nicht haben ist es risikoreicher, denn wenn eine Trockenperiode kommt, verlieren sie eventuell alles.
Und wenn es in ihrem Dorf auch einen Saatgutspeicher gibt, ist das sogar noch besser.
Nur ein Garten allein ist dagegen ein Risiko, da man auf den Zugang zu Wasser und auf das richtige
Wetter angewiesen ist. Ich denke, Gartenprojekte können erfolgreich sein, aber wie wir bei einigen
Hilfsempfängern gesehen haben, erfordert die Gartenpflege viel Motivation und Kenntnisse, zum
Beispiel über die Jahreszeiten und die Saatgutvermehrung, gerade in trockenen Gebieten.
7) Wie reagiert die Diakonie Katastrophenhilfe wenn sie merkt, dass ein Projekt nicht wie geplant
läuft?
Ich denke, es besteht die Gefahr, dass man Dinge, die nicht so gut liefen übersieht und eventuell
Fehler wiederholt. Unter anderem aus diesem Grund haben wir eine Analyse unserer Projekte (sector
analysis) durchführen lassen, um sie zu vergleichen und um zu sehen was hier funktioniert hat und
was dort nicht, was in dieser Region und was in jener nicht, welche Projekte auf kommunaler Ebene
erfolgreich waren und welche auf individueller. Das war die Idee hinter dieser Analyse und diesem
Vergleich. Bei den Projekten, die nicht funktioniert haben, wollten wir wissen, warum sie nicht
funktioniert haben und ob wir dort ergänzende Maßnahmen durchführen sollen oder es lieber ganz
bleiben lassen und uns auf das konzentrieren, was erfolgreich war. Ich denke, eine Analyse ist sehr
wichtig, denn wenn man einen Fehler gemacht hat, sollte man ihn das nächste Mal nicht
wiederholen.
Bei den Projekten, die wir durchgeführt haben seit ich bei der Diakonie Katastrophenhilfe arbeite,
gibt es nichts, bei dem wir sagen müssten, das können wir in Zukunft nicht mehr so machen. Bei
älteren Projekten gibt es jedoch Aspekte bei denen wir sagen, das würden wir das nächste Mal nicht
mehr oder anders machen.
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Vergangene Woche haben wir zum Beispiel ein Projekt zum Erosionsschutz besucht. An zwei
verschiedenen Berghängen, einem mit trockener Erde und einem mit feuchter Erde, wurden Mauern
(mechanic structures) gebaut und Pflanzen gepflanzt, damit ihre Wurzeln den Boden befestigen. Auf
der trockenen Seite war unserer Meinung nach nicht genug Kompost, damit die Pflanzen gut
anwachsen können. Glücklicherweise ist das Projekt noch nicht abgeschlossen, sodass die
Verantwortlichen nachbessern können und das Projekt erfolgreich zu Ende geführt werden kann. Das
sind diese kleinen Dinge, die ich meine, die man leicht übersieht, aber denen man Beachtung
schenken muss. Das ist natürlich nicht immer so einfach, da wir die Projekte in der Regel nicht selbst
durchführen, sondern mit lokalen Partnern zusammenarbeiten. Wir müssen uns auf ihre Kenntnisse
verlassen, da wir nicht jede Woche selbst vor Ort sind.
8) Nach dem Erdbeben hat die Diakonie Katastrophenhilfe rund 2.000 Häuser repariert oder neu
gebaut, sodass sie erdbeben- und hurrikanresistent sind. Ebenso wurden fünf Notunterkünfte
gebaut, in denen die Menschen bei einer Naturkatastrophe Zuflucht suchen können. Wie haben
sich die Häuser und Notunterkünfte während der beiden letzten großen Hurrikane im Jahr 2012
bewährt?
Wir haben im November 2014 einige der Häuser besucht, die wir in La Vallée gemeinsam mit dem
Canadian Red Cross gebaut haben. Die Bewohner erzählten uns, dass ihre Häuser die Hurrikane gut
überstanden hätten, keines wurde beschädigt. Auch die Notunterkünfte haben ohne Probleme
standgehalten. Allein in der Notunterkunft in Bahot haben über 100 Personen während der
Hurrikane Schutz gefunden.
9) Die 19,4 Millionen Euro Spenden, die die Diakonie Katastrophenhilfe nach dem Erdbeben
erhalten hat, sind nahezu aufgebraucht. Wird die Diakonie Katastrophenhilfe trotzdem weiterhin
in Haiti präsent sein?
Ja, die Spendengelder vom Erdbeben sind weitgehend aufgebraucht. Wir haben natürlich ein kleines
eigenes Budget, aber wir bemühen uns hauptsächlich um Projektgelder von Drittmittelgebern (back
donor funding), zum Beispiel von der Europäischen Union (ECHO) oder der UN (OCHA). Im Vergleich
zu vorher haben wir viel weniger Geld zur Verfügung.
10) Welche Projekte sind als nächstes geplant?
Ein neues Projekt ist bereits bewilligt, weitere sind in Planung. In der zweiten Dezemberwoche
startet ein Projekt zur Ernährungssicherung in Côtes-de-Fer, das von der Diakonie Katastrophenhilfe
und vom BMZ finanziert wird. Dieses Projekt führt unsere lokale Partnerorganisation Concert Action
durch, es hat eine Laufzeit von 18 Monaten. Es umfasst den Bau von Zisternen für rund 100 Familien
und Gemüsegärten für 60 Frauen dieser Familien. Weitere Aspekte sind Wiederaufforstung und
Umweltschutz. Jede Familie wird eine Kombination aus kleinem Obstgarten und kleinem Wald auf
ihrem Grundstück pflanzen. Außerdem werden Informationskampagnen (awareness raising) mit
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Schulkindern durchgeführt. 1000 von ihnen werden jeweils fünf Setzlinge mit nach Hause nehmen
und in ihrem Garten pflanzen. Das Projekt dreht sich also hauptsächlich um Umweltschutz. Die
Gemüsegärten erhalten nur die Familien, die auch Zisternen bekommen, sodass sie Wasser haben,
um die Pflanzen zu gießen. Von Vorteil ist, dass Concert Action die Projektteilnehmerinnen und teilnehmer sehr gut schult und dass die Organisation immer in der Region präsent ist, selbst wenn sie
gerade keine Projekte durchführt. Sie bietet also eine sehr gute, langfristige Betreuung. Sehr gut und
erfolgreich ist auch, dass sie sogenannte Austauschbesuche (exchange visits) durchführt. Das heißt,
sie besucht mit einer bestimmten Anzahl von Personen aus dem Projekt ein anderes Projekt, um
ihnen die Erfolge zu zeigen. Die Menschen in Haiti, aber auch Menschen generell, neigen dazu, dass
sie Dinge so machen wollen, wie sie sie schon immer gemacht haben. Auch wenn sie eine neue
Technik kennenlernen und diese ausprobieren, sind sie nicht unbedingt davon überzeugt. Also bringt
Concert Action die Projektteilnehmer oft in eine andere Gegend, um ihnen zu zeigen, wie erfolgreich
die Menschen dort diese Methode angewendet haben. Wenn sie das sehen, sind sie viel motivierter,
das auch selbst umzusetzen. Concert Action macht zum Beispiel viel Agroforstwirtschaft, das ist eine
Kombination von Land- und Forstwirtschaft. Die Menschen in Haiti roden meist einen kompletten
Berghang und dann erodiert der Boden. Concert Action pflanzt Bäume und dazwischen Getreide. Sie
fahren also mit den Projektteilnehmern in die Gebiete, in denen sie Agroforstwirtschaft betreiben
und dort sehen die Teilnehmer, dass der Boden feucht ist und das Wasser besser zurückhält und dass
die Pflanzen besser wachsen. Wenn die Menschen das mit eigenen Augen sehen und den feuchten
Boden fühlen, hat das eine viel größere Wirkung auf sie und sie machen das in ihrem Projekt
genauso.
[Welche weiteren Projekte hat die Diakonie Katastrophenhilfe geplant?
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Ein Projektantrag für Bainet mit einem lokalen Partner; Katastrophenvorsorge (desaster
preparedness), Frühwarnsystem, Schulung des Partners in Bezug auf Nothilfe; soll im
Dezember oder Januar starten
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Ansonsten ECHO- und UN-Anträge
Wie lange wird das Büro in Port-au-Prince weiterbestehen?
Ich denke, drei bis vier Jahre; wir arbeiten an einer Strategie für die nächsten vier Jahre;
strategisches Büro, wir bleiben bis wir nicht mehr gebraucht werden, aber im Moment ist Haiti
immer noch Krisengebiet.
Momentan 21 MitarbeiterInnen, höchste Zahl nach dem Beben: über 300[?]
Kooperationen mit anderen internationalen Hilfsorganisationen?
Koordination auf der Ebene des Departements, nicht auf nationaler Ebene; ECHO-Projekt
gemeinsam mit Christian Aid (GB); wir sprechen uns mit Organisationen ab: wer arbeitet wo und
macht welche Projekte, können wir die Projekte ergänzen;
Wir haben im Südosten an den monatlichen Sitzungen mit dem Zivilschutz (DPC) teilgenommen,
aber diese Treffen wurden vor vier Monaten eingestellt; jetzt nehmen wir an den Sitzungen auf
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nationaler Ebene teil, aber diese finden nicht so oft statt; wir nehmen am Shelter Cluster teil, an
der Preparedness and Response Group (OCHA), an EMER, die multi-sector-analysis durchführen,
und am nationalen Forum für Katastrophenvorsorge (DRR).]
11) Welche Reaktion erhält die Diakonie Katastrophenhilfe von den Menschen, denen sie hilft?
Im Allgemeinen sind die Menschen sehr, sehr glücklich über die Hilfe, die sie erhalten. Oft wollen sie
auch wissen, ob weitere Projekte folgen. Ich habe den Eindruck, dass sie mehr an
Entwicklungshilfeprojekte gewöhnt sind, die öfter erneuert werden oder drei, sechs, neun Jahre
andauern. Es gibt viel, was den Menschen fehlt. Generell sind sie sehr glücklich und dankbar. Eine
alleinstehende Frau, deren Haus von der Diakonie Katastrophenhilfe repariert wurde und die einen
Garten erhalten hatte, hat einmal ein Lied für einige der Ingenieure geschrieben. Als wir
vorbeikamen tanzte sie für uns und sang es uns vor. Es handelte davon, wie sehr sie sich über die
Hilfe freut, die sie erhalten hat, dass sie ohne unsere Hilfe nicht überlebt hätte und wie sie Gott jeden
Tag dafür dankt. Die Menschen sind sehr froh über die Hilfe.
12) Wie ist Ihr persönliches Fazit: Auf was sind Sie besonders stolz beziehungsweise wo müsste
Ihrer Meinung nach noch mehr getan werden?
Die meisten Projekte wurden durchgeführt, bevor ich für die Diakonie Katastrophenhilfe gearbeitet
habe, daher kann ich nicht sagen, dass ich stolz auf sie bin. Aber ich bin stolz auf die Projekte, die im
Moment laufen. Ich denke, dass sie sehr erfolgreich sind und dass die Menschen sehr glücklich
darüber sind. Und man sieht bereits jetzt ihre positive Wirkung, was am wichtigsten ist.
Bei zukünftigen Projekten werden wir den Fokus mehr auf die Katastrophenvorsorge (disaster
preparedness and response) legen. Natürlich werden wir auch in den anderen Bereichen
weiterarbeiten, aber ich denke, dass das unsere eigentliche Aufgabe ist. Es gibt hier in Haiti viele
weitere Organisationen, die sich um Ernährungssicherheit und langfristige Entwicklung kümmern,
aber nicht so viele, die nach wie vor humanitäre Hilfe leisten. Meiner Meinung nach gibt es also
einen großen Bedarf für diese Art von Arbeit und wir sind in der Lage dazu, sie zu tun. Ich denke
daher, dass wir uns darauf konzentrieren sollten. […] Das heißt, wir sollten über unsere
Partnerorganisationen dafür sorgen, dass dort, wo es sie noch nicht gibt, lokale
Katastrophenschutzkomitees eingerichtet werden, die wir dann ausbilden. Es gibt oft keine
Frühwarnsysteme und die Menschen wissen zum Beispiel nicht, was sie tun sollen, wenn jemand
verschüttet oder eingeklemmt ist. Ebenso sollten wir herausfinden, was die Menschen wirklich
brauchen und haben möchten, um ihnen spezifische Hilfe geben zu können. Etwas, das sie dann auch
wirklich benutzen und von dem sie nicht nur sagen „das ist schön, aber eigentlich brauche ich …“. Die
Idee ist, innerhalb kurzer Zeit sehr spezifische Hilfe anzubieten.
Ich denke auch, dass es wichtig ist, dass wir weiterhin im Südosten des Landes präsent sind, denn es
ist die Gegend, die am meisten von Hurrikanen betroffen ist. Und Hurrikane sind die Katastrophe, die
in Haiti am häufigsten eintritt. Es gibt noch ein paar weitere Organisationen, die in dieser Gegend
arbeiten, aber wir sind schon sehr lange dort und die Menschen vertrauen auf die Diakonie
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Katastrophenhilfe. Ich würde sagen, auf eine bestimmte Weise sind sie von unserer Hilfe abhängig,
daher ist es wichtig, dass wir weiterhin dort arbeiten und auch einen Vorrat an Material haben, das
dort benötigt wird.
Das ganze Team freut sich auf diese Arbeit. Es ist der Beginn einer neuen Phase, denn viele Projekte
haben zur gleichen Zeit geendet und wir arbeiten an einer neuen Strategie, passen sie an die
Aufgaben der kommenden Jahre an. Ich denke, wir sind ein sehr dynamisches Team, das sich auf die
kommenden Aufgaben freut. Die Strategie ändert sich auch dahingehend, dass wir nicht mehr selbst
Projekte durchführen, wie teilweise nach dem Erdbeben, sondern ausschließlich mit unseren lokalen
Partnern, die auch sehr motiviert sind.
13) Soll die Diakonie Katastrophenhilfe ihre Hilfe in Haiti fortsetzen?
Ja, ich denke wir sollten nicht aufhören, in Haiti zu arbeiten. Einer der Hauptgründe, warum wir nicht
aufhören sollten, ist, dass der Staat nicht stark genug ist, um den Menschen zu helfen. Im Moment
gibt es viel politische Unruhe. Erst gestern hat wieder jemand zu uns gesagt: „Der Staat kommt nicht
hierher bis zu uns, um uns zu helfen.“ Die Menschen können sich also nicht auf staatliche Hilfe
verlassen. Die Menschen hier sind nicht faul, sie wollen sich selbst helfen, aber sie brauchen die
Mittel dazu. Sie sagen oft: „Wir können das machen, wir wissen wie das geht, wir wollen das lernen
...“ Aber sie brauchen Hilfe, um es umzusetzen. Daher denke ich, dass es extrem wichtig ist, dass wir
hierbleiben.
14) Für die Spendenden ist es manchmal schwer zu verstehen, warum es zum Teil länger dauert,
bis die Projekte umgesetzt sind. Können Sie erklären, warum das in Haiti so ist?
Wenn es um Nothilfe geht, dann ist der Grund dafür, dass wir bis auf wenige Ausnahmen, zum
Beispiel Jacmel, nicht in Städten arbeiten. Im Allgemeinen arbeiten wir in extrem abgelegenen
Gebieten, die schwer zu erreichen sind. Nicht immer gibt es Straßen, um zu diesen Orten zu
gelangen, manchmal ist das Flussbett die Straße. Und wenn der Fluss viel Wasser führt, kann man
nicht dorthin gelangen. Das braucht viel Zeit. Eine andere Sache ist, dass die Straßen oft unpassierbar
sind. Wenn man Hilfsgüter oder Material (supplies) braucht, ist es oft schwierig, die Sachen dorthin
zu transportieren.
Aber auch generell, wenn es nicht um Nothilfe geht, liegt es vor allem daran, dass es lange dauert, bis
man die abgelegenen Regionen erreicht. Manchmal muss man das Material auf einer Ziege[?]
transportieren oder man muss warten, bis der Flusspegel gesunken ist. Das dauert. Von unserem
Mitarbeiter Djery, der viele Bauprojekte betreut hat, die oft am schwierigsten durchzuführen sind,
weiß ich, dass fast immer der Zugang zum Gebiet das Problem ist. Aber es sind nicht nur
Umwelteinflüsse wie Stürme, die den Zugang erschweren, es gibt auch viele politische Unruhen.
Speziell der Südosten ist ein politisch sehr aktives Departement. Manchmal blockieren die Menschen
die Straßen, um ihren politischen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Wir versuchen, das von uns
benötigte Material so weit wie möglich vor Ort einzukaufen. Manchmal ist es uns passiert, dass die
Leute sagten: „Wir blockieren diese Straße, denn wir wollen, dass ihr das Material bei uns kauft und
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nicht dort.“ Oder eine Gruppe von Personen unterbricht weiter oben am Berg die Wasserzufuhr, die
wir für unsere Baumaßnahmen brauchen. Eine Zeitverzögerung kann also verschiedene Ursachen
haben. Unsere Projektgebiete sind einfach sehr ländlich und abgelegen. Aber andererseits ist es
wichtig, dass wir dort sind, denn kaum sonst jemand arbeitet in diesen Gegenden. Diese Menschen
würden keine Hilfe erhalten, wenn sich jede Organisation auf Jacmel, Port-au-Prince und die anderen
großen Städte konzentrieren würde. Es kann auch sein, dass etwas, das wir brauchen, gerade nicht
erhältlich ist oder dass die Qualität nicht gut genug ist, sodass wir länger suchen müssen, bis wir die
entsprechende Qualität finden, um zum Beispiel ein Gebäude stabiler zu bauen, sodass es länger
hält. Im Fall von Nothilfe ist Zeit ein wesentlicher Faktor, aber ich denke, ansonsten ist es besser, eine
gute Qualität zu haben, auch wenn es etwas länger dauert.
Interview & Übersetzung: Cornelia Geidel
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