01999-97.00443.00728.00000.001.L.BK .N.Grundlagen der

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Schmidt, v. d. Osten & Huber
Rechtsanwälte und Notare
Dr. jur. Franz-Josef Dahm
www.soh.de
Grundzüge der Arzthaftung
Haftungsgrundlagen
Dokumentationspflicht
I.
–
Behandlungsfehler
–
Aufklärungsprobleme
-
Sachverhalt
Der nachstehend geschilderte Arzthaftungsfall vermag aber in anschaulicher
Weise anhand eines relativ einfach gelagerten medizinischen Sachverhalts zu
zeigen, wo die typischen Probleme der Arzthaftung in Zusammenhang mit
dem Vorwurf einer Verletzung des Pflichtenkanons liegen.
Ein 54 Jahre alter Patient, 120 kg schwer, kommt im Mai 2003 wegen
zunehmender Beschwerden im Bereich der linken Schulter zur Behandlung
bei einem Facharzt für Orthopädie. Aus der Vorgeschichte ist bekannt, dass
der Kläger beruflich ehemals als Profitaucher und Tauchlehrer tätig war.
Nachdem er an der sogenannten „Caisson“-(Druckluft-)Krankheit gelitten hat,
ist er zu 100 % erwerbsunfähig.
Bekannt sind Vorerkrankungen des Bewegungsapparates mit Spondylose,
instabiler Wirbelsäule, Radikulopathie, Lumboischialgie in Zusammenhang mit
einem erlebten Bandscheibenvorfall.
Wie erwähnt, kam der Kläger im Mai 2003 wegen Beschwerden an der linken
Schulter
in
fachärztliche
Behandlung,
die
sich
durch
Bewegungseinschränkungen
und
Druckschmerzhaftigkeit
bemerkbar
machten. Ein Trauma hat der Kläger nicht angegeben, allerdings gibt es in
den Behandlungsunterlagen einen Hinweis darauf, dass die Beschwerden
praktisch schon vier Jahre alt sind. Diagnostiziert wurde eine Periarthropathia
humeroscapularis.
In den Monaten Juni, Juli, also nahezu in monatlichem Abstand, erhielt der
Klägerin intraartikuläre Injektionen, wobei mehrfach dokumentiert ist: „Kein
Hinweis auf Rötung oder Überwärmung.“
Gegenstand des Vorwurfs ist insbesondere die Behandlung am 26.08.2003,
die in diesem Falle durch einen Assistenzarzt der Praxis (oder einen Vertreter)
erfolgt ist, der aber ebenfalls Facharzt für Orthopädie ist sowie die
nachfolgende Behandlung durch den Praxisinhaber.
Am 26.08.2003 wurde durch den Vertreter des Beklagten eine zunehmende
Schmerzsymptomatik im Sinne eines deutlichen Kapselmusters diagnostiziert,
2
so dass hier – wie auch schon in den Vormonaten – eine intraartikuläre
Injektion eines Schmerzmittels und von Cortison durchgeführt worden sind.
Am 27.08.2003 war – in diesem Falle wieder durch den Praxisinhaber –
festzustellen, dass die linke Schulter nicht mehr beweglich war, eine
Abduktion war nur bis 80 Grad möglich. Dokumentiert sind zunehmender
Druckschmerz, aber kein Hinweis für Rötung oder Überwärmung. Zum
weiteren Procedere ist festgehalten eine Überweisung zum MRT.
Am
01.09.2003
wurde
in
einer
radiologischen
Praxis
eine
Magnetresonanztomographie durchgeführt. Hierbei ergaben sich folgende
Diagnosen:
-
Tendinopathie Supraspinatussehne
-
Zyste am Humeruskopf
-
Kein Hinweis für Ruptur
-
Impingementsyndrom bei tiefstehendem Acromium
Als Procedere ist festhalten eine Therapie mit i.a.-Injektionen, Infusion von
Schmerzmitteln sowie Reizstrom und Krankengymnastik.
Diese Therapie wurde in der Folgezeit bis zum 18.09.2003 nahezu täglich
fortgesetzt, ohne dass letztlich eine Besserung zu verzeichnen war.
Für den 19.09.2003 ist dokumentiert eine stationäre Aufnahme zur
Arthroskopie zum 01.10.2003; bis zur stationären Aufnahme Fortsetzung der
Schmerztherapie je nach Intensität. Zuletzt findet sich eine Eintragung am
26.09.2003 mit „keine Rötung oder Überwärmung im Bereich des
Schultergelenks“.
Vorausgegangen war am 22.09.2003 eine ambulante Aufnahme zur
Aufnahmeuntersuchung
im
Krankenhaus.
In
dem
ausführlichen
Anamnesebogen (sechs Seiten) findet sich kein Hinweis auf Überwärmung
oder Entzündung, obwohl entsprechende Stichworte enthalten, aber nicht
angekreuzt sind.
Am 01.10.2003 findet sich – soweit ersichtlich – erstmals der Hinweis
anlässlich der stationären Aufnahme im späteren Arztbrief, dass der Kläger
seit vier Jahren an Schulterbeschwerden leide. Ferner ist dokumentiert eine
Erhöhung des CRP-Wertes (C-reaktives Protein, normal bis 8,2, ab 50 mg/dl
schwere bakterielle Entzündung) auf 47,8 mg/dl, was ein deutliches
Entzündungsanzeichen darstellt.
Am 02.10.2003 wird dann in Narkose die Arthroskopie durchgeführt. Hierbei
entleerte sich eine „trübe“ Flüssigkeit; festgestellt wurden eine Entzündung der
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Gelenksinnenhaut, ein Defekt von ca. 1,5 cm an der Supraspinatussehne;
dokumentiert ist ferner an der Gelenkpfanne eine „allenfalls geringe“
Erweichung. Bei der darauf folgenden offenen Operation wurde zusätzlich
eine Schleimbeutelentfernung vorgenommen.
Histologisch ergab sich das Bild einer Bursitis subacromialis (hochaktiv
chronisch floride, teils fibrinos eitrig); im Abstrich waren „geringe“ Keimzahlen
von staphylococcus aureus zu finden.
Eine Revisionsoperation wurde am 11.10.2003 durchgeführt. Dabei wurde
festgestellt, dass die Arrosion zwischenzeitlich narbig ausgefüllt war; ein
Abstrich ergab sich geringe Keimzahlen von Bacillus spp mit fraglicher
pathologischer Bedeutung.
Am 28.10.2003 wurde der Patient entlassen. Die MdE wurde mit 100 %
beschrieben. Im Entlassungsbericht heißt es u.a., dass eine Verbindung
zwischen Supraspinatusruptur und Entzündung fraglich sei.
II.
Klageverfahren
Im Dezember 2005 leitete der Kläger ein Klageverfahren ein, in dem eine
Reihe von Vorwürfen gegenüber beiden Behandlern (Praxisinhaber und
Vertreter) erhoben worden sind. Folgende Problembereiche wurden innerhalb
der 20-seitigen Klagebegründung angesprochen:
1.
Das Behandlungsverhältnis („Vertrag“) mit dem Praxisinhaber bzw. dem
Vertreter. Dabei lassen sich anhand des vorliegenden Falles – wie wir noch
sehen werden – anschaulich die unterschiedlichen Haftungsverhältnisse
zwischen dem Praxisinhaber und einem Vertreter oder Assistenzarzt
darstellen (dazu näher Andreas, Arztrecht 2003, 88).
2.
Die Behandlungsrüge, für die typisch der Vorwurf fehlerhafter
Diagnosestellung oder Therapie ist, wurde gestützt auf die Aspekte:
Mangelnde Hygiene (Übergehen von Leitlinien) sowie eine Verletzung der
Befunderhebungs- und Sicherungspflicht.
3.
Bei der – in einem Behandlungsfehlerprozess nicht fehlen dürfenden Aufklärungsrüge wurden folgende Aspekte angesprochen
Grundaufklärung (?), Risikoaufklärung, Verlaufs- bzw. Sicherungsaufklärung,
fehlende
Belehrung
über
Behandlungsalternativen.
Aus
der
Verteidigungssituation ergab sich die Notwendigkeit, zur „hypothetischen“
Aufklärung und zum Alternativverhalten des Klägers Stellung zu nehmen.
4.
Die Dokumentationsrüge bemängelte fehlende Eintragung in der
Behandlungskarte bzw. äußerte den Verdacht einer Fälschung durch
entsprechendes Nachtragen.
5.
Letztlich befasste sich die Klage mit Ausführungen zur Kausalität des
Arzthandelns für die eingetretenen Folgen und bemühte sich, die
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4
Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr durch groben Behandlungsfehler
bei vollbeherrschbarem Risiko nahezulegen.
Zu 1. Behandlungsverhältnis (Dienst-„Vertrag“)
Wir sprechen meist ganz selbstverständlich davon, dass der Arztvertrag
grundsätzlich „Dienstvertrag“ ist, obwohl zwischen Arzt und Patient in aller
Regel gerade kein Vertragsverhältnis besteht. Lediglich im Bereich der
privatärztlichen Behandlung oder bei Wahlarztleistungen im Krankenhaus
liegen die Voraussetzungen für einen „echten“ Vertrag vor. Dies ergibt sich für
den Privatpatienten daraus, dass er gegenüber dem Arzt als
Behandlungspartner gegenübersteht, wobei das Versicherungsverhältnis das
Beziehungsgeflecht zwischen Arzt und Privatpatient nicht berührt. Für den
Krankenhausbereich ist dies eindeutig § 17 KHEntgG zu entnehmen, der
davon spricht, dass Wahlleistungen vor der Erbringung schriftlich zu
vereinbaren sind (wenn diese Vereinbarung auch zwischen Patient und
Krankenhausträger zu treffen ist) und die Besonderheit besteht, dass in der
Regel ein sogenannter „Arzt-Zusatzvertrag“ geschlossen wird.
90 % der Patienten werden allerdings auf der Basis des Sachleistungsprinzips
nach den Vorgaben des SGB V behandelt. Bezeichnenderweise kommt im
SGB V der Begriff des „Vertrages“ beim Verhältnis Patient/Arzt überhaupt
nicht vor.
Wenn sich der BGH (z.B. Urt. v. 10.3.1981, NJW 1981, 2002) in ständiger
Rechtsprechung des Begriffs des Behandlungsvertrages bedient, hat dies
seine Grundlage darin, dass nach § 39 SGB V Versicherte einen Anspruch auf
vollstationäre Behandlung haben und die Krankenhausbehandlung alle
Leistungen umfasst, die zur Wiederherstellung der Gesundheit erforderlich
sind. Damit korrespondiert „§ 76 Abs. 4 SGB V: Die Übernahme der
Behandlung verpflichtet den Vertragsarzt bzw. an der ambulanten Versorgung
teilnehmende Ärzte und Einrichtungen gegenüber dem Versicherten zur
Sorgfalt nach den Vorschriften des bürgerlichen Vertragsrechts. Die
Übernahme ist also entscheidend.
Dieses Rechtsverhältnis ist dargestellt in der sogenannten „Viererbeziehung“.
Zwischen Kassenärztlicher Vereinigung und Krankenkasse werden
gesamtvertragliche Regelungen getroffen, die unmittelbar verbindlich sind für
den zugelassenen Vertragsarzt als Mitglied der Kassenärztlichen Vereinigung.
Auf der anderen Seite besteht zwischen Krankenkasse und Versichertem ein
Versicherungsverhältnis, aus dem der Versicherte einen Anspruch auf
ärztliche Behandlung als Sachleistung hat. Dabei wird Inhalt und Umfang der
Leistungen in der Regel durch den Gesamtvertrag und das
Sozialversicherungsrecht näher bestimmt. Auf der Ebene Vertragsarzt /Patient
wird der Behandlungs„vertrag“ gewissermaßen durch die Verpflichtung zur
Einhaltung bürgerlich rechtlicher Sorgfalt fingiert.
Neben dieser „vertraglichen oder (besser:) quasi vertraglichen“ Beziehung
zwischen Arzt und Patient kommt im vorliegenden Fall die Rechtsbeziehung
zu dem Vertreter des Vertragsarztes bzw. seinem Assistenten hinzu. Zwischen
Vertreter/Assistent und Versichertem/Patient besteht kein Vertragsverhältnis.
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Das in diesem Falle – echte – Vertragsverhältnis besteht nur zwischen
Vertreter und Geschäftsherr (regelmäßig Leistung von Diensten im
Anstellungsverhältnis oder als freier Mitarbeiter). Dies bedeutet, dass der
Vertreter/Assistent im Innenverhältnis zum Patienten Erfüllungs- bzw.
Verrichtungsgehilfe bezogen auf den Behandlungsvertrag ist. Mangels
vertraglicher Beziehungen zwischen Vertreter/Assistent und Versichertem
haftet dieser nicht aus Vertrag, sondern nur gem. § 823 BGB wegen
sogenannter „unerlaubter Handlung“. Diese Unterscheidung ist nicht ganz
ohne Bedeutung, wie wir nachstehend sehen müssen.
Für unseren Sachverhalt ist daher festzuhalten, dass der Vertragsarzt letztlich
quasi – „vertraglich“ und gesetzlich (nach § 823 BGB) haftet, wohingegen den
Vertreter/Assistent nur kraft Gesetzes (§ 823 BGB) eine Haftung trifft.
Wird der Vertreter allerdings – mit in Anspruch genommen, hat er im
Innenverhältnis
gegen
den
„Geschäftsherrn“
(Vertragsarzt)
einen
Freistellungsanspruch unter dem Aspekt der „gefahrengeneigten Arbeit“. Der
Umfang der Freistellung richtet sich nach dem Grad des Verschuldens,
welches der Vertreter/Assistent an den Tag gelegt hat.
Bei leichter oder einfacher Fahrlässigkeit kommt der Freistellungsanspruch
voll zum Tragen; im Falle grober Fahrlässigkeit besteht der
Freistellungsanspruch nicht mehr, so dass spätestens hieraus die
Notwendigkeit resultiert, sich einer eigenen Haftpflichtversicherung zu
versichern, die aus den geschilderten Gründen auch wesentlich
kostengünstiger ist als die Versicherung des Prinzipals.
Zu 2. Behandlungsrüge
Die Prüfung zivilrechtlicher Ansprüche richtet sich nach einem vergleichsweise
einfachen Schema, das gekennzeichnet ist von den fünf „W“.
Wer (Kläger) will was (Schadenersatz) von wem (Beklagter) woraus
(Anspruchsgrundlage).
Obwohl danach die Anspruchsgrundlage das entscheidende Merkmal der
Betrachtung
darstellt,
findet
man
bei
der
Prüfung
von
Behandlungsfehleransprüchen in Urteilen und der Literatur häufig noch nicht
einmal einen Paragraphen genannt. Dies hat seine Ursache wohl darin, dass
sich Verfahren in Zusammenhang mit Behandlungsfehlern verselbstständigt
haben, so dass etwa die Kommentierung von Jansen (bei Rieger, Lexikon des
Arztrechts, „Behandlungsfehler“) ganz ohne Nennung von Vorschriften des
Zivilrechts auskommt.
2.1
Rechtsgrundlagen der zivilrechtlichen Haftung (SchModG)
Das seit dem 1.1.2002 geltende BGB in der Neufassung des SchModG hat ein
wenig frischen Wind in die Diskussion der zivilrechtlichen Problematik der
Arzthaftung gebracht, die ansonsten geprägt ist durch eine immer
differenzierter – und komplexer – werdende obergerichtliche Rechtsprechung.
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Mangels besonderer Vorschriften über die Arzthaftung gelten die allgemeinen
Vorschriften des Schuldrechts über die dienstvertragliche Haftung einerseits
bzw. die in Anspruchskonkurrenz stehende Haftung aus Deliktsrecht wegen
unerlaubter Handlung (§ 823 ff.) andererseits.
Dienstvertragliche Haftung bedeutet zugleich, dass grundsätzlich der Arzt
nur zur Leistung von Diensten unter Beachtung der im Rechtsverkehr
bestehenden Sorgfaltspflichten verpflichtet ist. Er haftet also nicht nach
werkvertraglichen Grundsätzen, denen die Herbeiführung eines Erfolgs und
damit eine weitergehende Haftung eigentümlich ist. Erkennbar werden die
Unterschiede im zahnheilkundlichen Bereich, wo etwa die Herstellung von
Prothesen werkvertragliche Elemente beinhaltet.
Grundsätzlich gilt, dass der Anspruchsteller beweispflichtig für die
anspruchsbegründenden Tatsachen ist, soweit nicht das Gesetz etwas
anderes vorsieht. Den Unterschied erkennt man an § 280 a. F. und § 280 n. F.
BGB. Konsequenz der Formulierung der a.F., dass die Leistung infolge eines
vom Schuldner zur vertretenden Umstandes unmöglich wird, war die
Beweislast für das Vertretenmüssen beim Anspruchsteller, so dass der Patient
den Beweis für das Verschulden erbringen musste.
Nunmehr braucht der Gläubiger (Patient) nach der n. F. nur noch die
Pflichtverletzung zu beweisen; das nunmehr in S. 2 zum Ausdruck kommende
Regel-Ausnahmeprinzip legt den Beweis für das Nichtvertretenmüssen
dem Schuldner, mithin dem Arzt auf.
Bezogen auf unseren Fall bedeutet dies: Im Verhältnis zum Praxisinhaber ist
der Patient günstiger gestellt, da der Praxisinhaber darlegen und beweisen
muss, dass den für ihn tätigen Vertreter/Assistenten kein Verschulden trifft. Zu
ersetzen sind bei Verletzung vertraglicher Ansprüche zunächst materielle
Schäden (Verdienstausfall, Unterhalt, Vermögensschäden, Haushaltshilfe
usw.). Hinsichtlich des Schmerzensgeldes hat die Neufassung des BGB
ebenfalls wesentliche Verbesserungen zugunsten des Patienten mit sich
gebracht. Nach der a.F. von § 253 BGB konnte ein Schmerzensgeld nur in
gesetzlich bestimmten Fällen gefordert werden, nämlich nach § 847 BGB für
den Fall der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit. § 847 BGB setzte
eine unerlaubte Handlung nach § 823 BGB voraus, insbesondere also
wiederum den Verschuldensnachweis.
Da die Neufassung des § 253 BGB jetzt auch wegen des
Nichtvermögensschadens (Schmerzensgeld) eine billige Entschädigung für
vertragliche Ansprüche bei Verletzung des Körpers und der Gesundheit
zulässt, wird hier der Paradigmenwechsel deutlich: Ein Schmerzensgeld kann
der Patient auch dann beanspruchen, wenn er ein Verschulden des Arztes
nicht nachweisen kann, dem Arzt aber auch nicht die Exkulpation gelingt.
Wir haben also eine Gleichschaltung von vertraglicher und gesetzlicher
Haftung, die einer Gefährdungshaftung gefährlich nahe kommt.
Die Ausnahme besteht wiederum für unseren Vertreter/Assistenten, der nur
nach § 823 BGB wegen unerlaubter Handlung in den Haftungskreis gelangt;
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7
diesem gegenüber muss der Patient also nach wie vor das Verschulden
beweisen.
Gleichwohl muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Unterschiede
eher einem juristischen Glasperlenspiel gleichen. Schließlich muss der Patient
weiterhin beweisen, dass der Schuldner (Arzt) seine Pflichten aus dem
Schuldverhältnis verletzt hat. Ist dieser Nachweis zu erbringen, liegt natürlich
auch die Annahme nahe, dass die Verletzung schuldhaft geschehen ist –
woher sollte sonst die Pflichtverletzung resultieren. Es kommt also zu einer
weitgehenden Übereinstimmung zwischen dem vertraglich geprägten
Pflichtenkreis und der gesetzlich geprägten Haftung für unerlaubte Handlung
im Bereich des Verschuldens, wobei Pflichtenkreis und Verschulden (Verstoß
gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt) letztlich geprägt sind durch die
Einhaltung der „lex artis“ im Sinne der im Rechtsverkehr gebotenen Sorgfalt
(Fahrlässigkeit).
2.2
Vorwurf mangelnder Hygiene
2.2.1 Sachverhaltsergänzung
Zunächst ist zum Sachverhalt zu ergänzen, dass der Vorwurf der Klage dahin
geht, der Vertreter/Assistent habe am 26.08.2003 ohne Mundschutz, ohne
sterile Handschuhe und ohne ausreichende Desinfektion „gearbeitet“.
Demgegenüber lässt sich der Beklagte damit verteidigen, die
Handdesinfektion sei mit üblichen Mitteln für mindestens eine Minute erfolgt
und nach der sogenannten „no-touch-Methode“ durchgeführt worden.
Der Patient kann sich ausweislich des Klagevorgehens zwar an die
Handdesinfektion nicht mehr unmittelbar erinnern, Frage ist jedoch, warum er
sich Jahre danach an die anderen Vorfälle erinnern kann, obwohl wir – z. B.
im Hinblick auf die Aufklärungsproblematik – aus den Untersuchungen von
Gostomczik schon aus den 70er Jahren wissen, dass die durchschnittliche
Halbwertszeit der Erinnerung eines Patienten – etwa über ihm zuteil
gewordene Aufklärung – nur einige Tage oder Wochen reicht.
Inzwischen werden auf der Klägerseite immer häufiger Fachanwälte für
Medizinrecht tätig, die gewohnt sind, ärztliches Handeln nach strengeren
Kriterien zu hinterfragen, um zum Erfolg zu kommen. Darauf wird der Arzt sich
künftig einstellen müssen.
Im vorliegenden Fall ist es naheliegend, dass die Klägervorwürfe ausgerichtet
worden sind an den Leitlinien der AWMF und Behauptungen aufgestellt
werden, welche ärztlicherseits nur schwer widerlegt werden können.
Erinnern wir uns aber an die obige Betrachtung zu § 280 n. F. BGB. Danach
obliegt dem Gläubiger (Patient) nach wie vor der Nachweis der
Pflichtverletzung; erst der Beweis für das Nichtvertretenmüssen liegt beim
Arzt.
Im vorliegenden Fall ist jedenfalls unstreitig, dass „ohne Mundschutz“
gearbeitet worden ist. Aber: Allein das Auftreten einer Infektion lässt noch
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keinen Rückschluss auf fehlerhaftes Vorgehen zu und begründet keinen
Anscheinsbeweis (OLG Hamm, Urt. v. 30.11.2005 – 3 U 61/05, MedR 2006,
288).
2.2.2 Leitlinien der AWMF, Nr. 029/06
Bei der AWMF handelt es sich um eine Arbeitsgemeinschaft der
Wissenschaftlich-Medizinischen Fachgesellschaften, welche regelmäßig zu
medico legalen Problemen Tagungen abhält, die dem interdisziplinären
Austausch dienen. Schon früh hat sich die AWMF der Aufgabe verschrieben,
mit Hilfe von Leitlinien zu Behandlungsstandards oder –schemata zu kommen.
Leitlinien haben daher den Vorteil, dass sie einerseits – zudem, wenn sie
evidenzbasiert sind – Vorlagen für eine bestmögliche Behandlung geben,
andererseits zwingen sie den Arzt bei Nichtbeachtung ganz natürlich in einen
Erklärungsnotstand.
Vorliegend sehen die Leitlinien für intraartikuläre Injektionen u.a. Folgendes
vor:
-
Die Desinfektion der Hände mit einem Antiseptikum bei einer
Einwirkungszeit von mindestens einer Minute
-
Nach vorausgehender hygienischer Handdesinfektion sind sterile
Handschuhe zu verwenden.
-
Bei einer Gelenkpunktion mit Spritzenwechsel hat der Arzt eine
Gesichtsmaske zu tragen.
Daneben existieren weitere Hinweise, von denen jeder weiß, dass sie in der
Praxis nicht zwingend beachtet werden (z. B. nur die Anwesenheit zweier
Personen, was Patient oder Arzt – je nach dem, wo die Beweislast liegt – in
zusätzlichen Erklärungs- bzw. Beweisnotstand bringen kann).
2.2.3 Formelle Bedeutung der Leitlinien
Wie schon zuvor angesprochen, erschöpft sich die Bedeutung von Leitlinien
nicht in sich. Richtigerweise werden sogenannte „Leitlinien“ als
Empfehlungen zur Unterstützung bei der Entscheidung über angemessene
Maßnahmen (z. B. Diagnostik, Therapie, Nachsorge) angesehen, wie sie die
AWMF selbst definiert. Besser spricht man daher von Therapieempfehlung,
weil dies anders als der Begriff der „Leitlinie“ in sprachlicher Hinsicht nicht so
stringent besetzt ist.
Leitlinien haben sogar in das SGB V zu Beginn des Jahres 2000 und in
Einklang mit der dort herrschenden Reform-Euphorie Eingang gefunden, als
man geglaubt hat, allein durch Begrifflichkeiten die Qualität des
Gesundheitswesens zu verbessern. Allerdings ist der in § 137e Abs. 3 SGB V
(i.d.F. GKV-Reformgesetz 2000) enthaltene Hinweis auf „evidenzbasierte
Leitlinien“ zugunsten der „Richtlinien-Kompetenz“ des Gemeinsamen
Bundesausschusses (GBA) entfallen; der Begriff der evidenzbasierten
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Leitlinien findet sich nur noch in § 137f SGB V für die sog. DiseaseManagement-Programme (DMP).
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Die
eigentliche
Bedeutung der Leitlinien
lässt
sich für die
„Chronikerprogramme“ an § 137f Abs. 2 S. 2 Nr. 1 SGB V dahin festmachen,
dass die Behandlungen nach dem aktuellen Stand der medizinischen
Wissenschaft unter Berücksichtigung von evidenzbasierten Leitlinien oder
nach der jeweils besten, verfügbaren Evidenz sowie unter Berücksichtigung
des jeweiligen Versorgungssektors erfolgt. Leitlinien sind also nicht zwingend
behandlungsimmanent, sie sind aber zu berücksichtigen. Dies gilt natürlich
in erster Linie, soweit der GBA Richtlinien unter Verwendung evidenzbasierter
Leitlinien erlassen hat; im Übrigen ist die materielle Bedeutung – insbesondere
im Hinblick auf die den Arzt zukommende Therapiefreiheit - nicht
abschließend geklärt. Leitlinien haben bislang in der Entscheidungspraxis des
BGH keine Rolle gespielt; lediglich in dem u.a. von Dressler herausgegebenen
RWS-Skript zum Arzthaftungsrecht finden sie am Rande Erwähnung. Folgt
man allerdings Seminarhinweisen von Dressler (Mitteilung von Danner, MedR
1999, 242), werden sich für die Zukunft Auswirkungen bei der Beurteilung
ärztlicher Verhaltenspflichten, der Beweislastverteilung, im Rahmen der
Feststellung der Schadensursächlichkeit nicht ausschließen lassen können.
Empfehlenswert ist in Anlehnung an Dressler eine ausdrückliche
Dokumentation für das Abweichen von einer Leitlinie, die Angabe einer
Begründung und die Dokumentation der Aufklärung hierüber unter dem
Aspekt, dass zur Verfügung stehende Behandlungsalternativen mit dem
Patienten erörtert worden sind, soweit sie ernsthaft in Betracht kommen.
Immerhin ist noch anerkannt, dass es bei ärztlichem Handeln nicht um die
Beachtung von DIN-Normen oder technischen Automatismen geht, sondern
um weit komplexere Geschehnisse.
Die gegenwärtige Haltung der Instanzgerichte ist noch von Distanz
gekennzeichnet; so hat das OLG Naumburg im Urteil vom 19.12.2001 (MedR
2002, 471) ausgeführt, die Leitlinien der AWMF hätten derzeit lediglich
„Informationscharakter“ für die Ärzte selbst und würden keine verbindliche
Handlungsanleitung für praktizierende Ärzte darstellen. Dies gilt allerdings
nach Auffassung des OLG nur angesichts der anhaltenden Diskussion um die
Legitimität der Leitlinien. In einem weiteren Urteil hat das OLG Stuttgart am
22.2.2001 (ArztR 2003, 135) ausgeführt, dass die Nichtbeachtung der
Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie hinsichtlich einer
Thrombozytenkontrolle nicht zwingend als unverständlicher Fehler im Sinne
der Rechtsprechung des BGH zur Beweislastumkehr zu beurteilen ist. Allein
die Aufnahme einer Behandlungsregel in eine Leitlinie bedeutet nicht, dass die
Behandlungsmaßnahme zum elementaren medizinischen Standard gehört.
Die gegen dieses Urteil eingelegte Revision ist vom BGH mit Beschluss vom
18.12.2001 (IV ZR 108/01) nicht angenommen worden. Allein diese, die
Wirkungen einer Leitlinie noch beschränkenden Entscheidungen vermögen
nicht darüber hinwegzutäuschen, dass ein „gefährlicher Kreislauf“ in Gang
gesetzt worden ist (so schon Ulsenheimer, Protokoll Arbeitskreis „Ärzte und
Juristen“ der AWMF vom 17./18.11.2000, S. 10; vgl. auch Weidinger, Leitlinien
in der Medizin – Risikopotential für die Haftpflicht von Ärzten?,
Vortragsmanuskript).
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2.2.4 Materielle Bedeutung
Die in den Leitlinien beschriebene Vorgehensweise ist zunächst auch für den
Nichtmediziner durchaus einsichtig. Mittels der Hautdesinfektion wird eine
Minderung der Keimzahl erreicht. Voraussetzung ist allerdings, dass die sterile
Kanüle ohne Handberührung in das Gelenk eingeführt wird. Sterile
Handschuhe erhöhen den Schutz vor einer Kontamination (sofern sie
tatsächlich steril sind). Ob allerdings eine Gesichtsmaske diesen Schutz
nachhaltig verbessert, wird sachverständiger Beurteilung bedürfen; jedenfalls
wird das Tragen einer Gesichtsmaske nur dann als zwingend angesehen,
wenn ein Spritzenwechsel (Dekonnektion) erforderlich wird, etwa indem die
zur Therapie notwendige Menge nicht mit einer Spritze verabreicht werden
kann.
Immerhin existiert im vorliegenden Fall ein Urteil des LG Waldshut vom
30.1.2004 – 2 O 2/04 – nach einem Gutachten des Mikrobiologischen Instituts
der Universität Tübingen. Hiernach ist das Risiko bei Anwendung der „no
touch-Methode“ nicht wesentlich erhöht und sind Anforderungen an eine
Schutzbekleidung nicht wie sonst bei operativen Eingriffen geboten (vgl. auch
LG Essen, Urt. v. 18.10.2006 – 1 O 56/04: fehlender Mundschutz allein erhöht
nicht zwingend das Infektionsrisiko; anders für die Lipomentfernung OLG
Hamm, Ur. V. 11.10.2005, MedR 2006, 215)
.
2.2.5 Organisationsfehler
In rechtlicher Beziehung muss hervorgehoben werden, dass die Verletzung
von Hygieneregeln zu den Fehlern gehören, die im vollbeherrschbaren
Bereich von Arzt und Krankenhaus liegen und damit Organisationsfehler
darstellen. Bei dieser Konstellation nimmt die Rechtsprechung keine Rücksicht
darauf, dass personelle oder sachliche Engpässe bisweilen eine
ordnungsgemäße Organisation verhindern können. Den Verantwortlichen
(Arzt oder Krankenhausträger) obliegt es, die Betriebssicherheit der
medizinisch-technischen Einrichtungen zu gewährleisten. Organisationsfehler
im vollbeherrschbaren Bereich führen daher in aller Regel zu einer Umkehr
der Beweislast.
Bezogen auf unseren Fall sieht man daher, welche praktische Bedeutung die
Leitlinien haben können, zumal sich die Leitliniengläubigkeit insbesondere
unter den jüngeren Sachverständigen zu verfestigen scheint.
Was nicht problematisiert worden war, ist die Tatsache, dass es letztlich für
die Einhaltung des Sorgfaltsmaßstabs möglicherweise darauf ankommt, ob
infolge eines Spritzenwechsels das Tragen einer Gesichtsmaske als
notwendig anzusehen ist oder nicht (Der Sachverhalt gibt darüber keine
Auskunft). Dabei muss man allerdings nicht schon Jurist sein, um sich fragen
zu dürfen, warum nur der Arzt eine Gesichtsmaske tragen muss und nicht
auch der Patient, der in aller Regel gewohnt ist, dem Arzt beim
Spritzenwechsel interessiert zuzusehen und damit das Kontaminationsrisiko
gleichermaßen erhöht.
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2.2.6 Vorwurf der Verletzung der Befunderhebungspflicht
Zunächst darf auch hier noch einmal vorab auf den Sachverhalt rekurriert
werden.
Am 26.08.2003 erfolgte die Injektion durch den Vertreter/Assistenten.
Am 27.08.2003 wurde die Überweisung zum MRT erteilt.
Am 01.09.2003 erfolgte eine weitergehende Behandlung mit Infusionen, i.a.Injektionen und Krankengymnastik.
Am 19.09.2003 erfolgte die Vorstellung im Krankenhaus.
Ob eine Verletzung der Befunderhebungspflicht vorliegt, die ebenfalls zur
Beweiserleichterungen bis zur Umkehr der Beweislast führen kann (BGH, Urt.
v. 6.7.1999, NJW 1999, 3408; Ratzel in Dahm/Möller/Ratzel, MVZ-Handbuch,
S. 226, Fn. 16 m.w.N.), bedarf letztlich sachverständiger Beurteilung.
Hierbei wird es auf die Beurteilung der Magnetresonanztomographie (MRT)
ankommen. In dem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die Befundung
des MRT ausschließlich Sache des Radiologen nach den Vorgaben der
Weiterbildungsordnung ist, wohingegen dem Orthopäden lediglich eine
Befundbewertung in dem Sinne obliegt, dass er den mitgeteilten Befund bei
der späteren Behandlung berücksichtigt. Eventuell ist auch daran zu denken,
ob eine Sonographie hätte weiterführend sein können bzw. ob dem Arzt im
Sinne der behaupteten Entzündung das Unterlassen einer Labordiagnostik
vorwerfbar ist. Hier streiten beide Seiten – dazu noch im Folgenden -, ob es
Anzeichen für eine Entzündung gegeben hat und ob die entgegenstehende
Dokumentation in der Behandlungskarte stichhaltig ist.
Die Verletzung der Befunderhebungspflicht muss auf der anderen Seite
abgegrenzt werden zum sogenannten „Diagnosefehler“. Diagnosefehler
(soweit sie nicht gleichzeitig Befunderhebungsfehler sind) beurteilt die
Rechtsprechung nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler (vgl.
Quaas/Zuck, Medizinrecht, S. 268). Irrtümer bei der Diagnosestellung sind
insofern eher verzeihbar, als zu Beginn einer Erkrankung Symptome nicht
immer eindeutig sind und verschiedenste Ursachen haben können. Der Arzt
ist allerdings verpflichtet, eine „Arbeitshypothese“ stets kritisch zu prüfen,
solange die endgültige Diagnose nicht getroffen ist (vgl. BGH, Urt. v. 8.7.2003,
GesR 2003, 352).
2.2.7 Weitere Behandlungspflichten
Unabhängig von unserer Fallbetrachtung sind aus dem Kanon der
Behandlungspflichten folgende Einzelaspekte erwähnenswert:
-
Die notwendige Wahrung medizinischer Standards, unabhängig von
der Diskussion um die Bedeutung der Leitlinien.
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13
-
-
Die Beachtung gesetzlicher Vorschriften beim Geräteeinsatz (zum
Teil Organisationsbereich) wie
-
Medizinproduktegesetz
-
Medizinproduktebetreiberverordnung
-
Röntgenverordnung
-
Strahlenschutzverordnung
Die Vermeidung eines Organisationsverschuldens im weiteren Sinne,
wie dies geprägt ist durch die Begriffe:
-
Horizontale
Arbeitsteilung
(Zusammenarbeit
der
verschiedenen Facharztgebiete untereinander auf gleicher
Ebene, insbesondere zwischen Anästhesist und Chirurg;
Angehörige unterschiedlicher Fachgebiete dürfen sich auf das
jeweils
andere
Fachgebiet
verlassen,
soweit
nicht
offensichtliches Versagen erkennbar wird).
-
Vertikale Arbeitsteilung (Verteilung der Verantwortlichkeiten
innerhalb der Entscheidungshierarchie im Krankenhaus von
Assistenzarzt zu Chefarzt).
-
Delegation von Leistungen unter Beachtung des jeweiligen
Kenntnis- und Wissensstandes
-
Einhaltung des Facharztstandards; nicht der Facharzt muss
zwingend tätig werden – erfolgt die ärztliche Betreuung aber
nicht durch einen Facharzt, ist der Arzt bzw. das Krankenhaus
für die Wahrung des Facharztstandards beweisbelastet. In
unserem Fall wäre dies sicherlich problematisiert worden, wenn
der Assistent/Vertreter sich noch in der Weiterbildung zum
Facharzt für Orthopädie befunden hätte, was indes nicht der Fall
gewesen ist. Übrigens bedeutet dies nicht, dass der
Weiterbildungsassistent nur „unter enger Aufsicht“ in der
Weiterbildungszeit tätig werden könnte. Vielmehr kommt es auf
den jeweiligen Ausbildungsstand an, so dass gegen Ende der
Weiterbildungszeit der Assistent natürlich in weitgehend
größerem Umfang allein tätig werden kann, als etwa zu Beginn
der Weiterbildungszeit (Möller, MedR 1998, 62; Dahm in Rieger,
Lexikon des Arztrechts, 2001, „Assistent“, Rn. 18).
-
Eine besondere Variante des Organisationsverschuldens ist
das bei einem Zusammenspiel von vertikaler Arbeitsteilung,
Delegationsversagen und Nichteinhalt des Facharztstandards
mögliche Übernahmeverschulden. Dies liegt darin begründet,
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14
dass der Arzt, an den bestimmte Aufgaben delegiert werden,
weiß, dass er für die Durchführung fachlich noch nicht
hinreichend befähigt ist. Die Rechtsprechung – insbesondere im
strafrechtlichen Bereich – verlangt hier von dem Arzt eine
Remonstration bishin zur Verweigerung bei der Mitwirkung.
Insofern sind bemerkenswert Ausführungen des OLG Hamm in
einem kürzlich ergangenen Beschluss vom 8.6.2005 (3 Ws 473476/04, MedR 2006, 358), die wörtlich zitiert werden sollen:
„Aber auch von dem operierenden Assistenzarzt ist die
Einhaltung von Sorgfaltspflichten zu verlangen. Zwar darf
der noch in der Weiterbildung stehende Arzt grundsätzlich
darauf vertrauen, dass die für seinen Einsatz und dessen
Organisation Verantwortlichen für den Fall von möglichen
Komplikationen, zu deren Beherrschung, wie sie wissen
müssen, seine Fähigkeiten nicht ausreichen, die gebotene
Vorsorge tragen (Laufs, NJW 1995, 1590, 1597); diesem
Anspruch ist durch die Anwesenheit und Beteiligung des
fachärztlichen Oberarztes vorliegend auch genüge getan
worden. Gewisse Qualifikationsanforderungen sind indes
nach Auffassung des Senats – in Übereinstimmung mit
der Auffassung des OLG Koblenz (vgl. OLG Koblenz,
NJW 1991, 2967) – auch an einen Assistenzarzt zu
stellen, der unter Aufsicht eines qualifizierten Facharztes
operiert. Selbst ein assistierender Fachart ist nämlich nicht
in der Lage, jeden „anfängerbedingten“ Fehler des
Operateurs zu verhindern oder die möglicherweise
erheblichen Folgen für den Patienten, auch wenn er den
Fehler sofort erkennt, in jedem Falle zu beheben.
Demgemäß hat der operierende Assistenzarzt vor Setzen
eines endgültigen Schnittes im Gewebe und der
Heranführung einer thermischen Hakenelektrode an das
Gewebe sicherzustellen, dass die anatomischen
Verhältnisse nicht verkannt werden und eine eindeutige
Identifizierung der betroffenen Strukturen .... stattfindet.
Dabei handelt es sich um einen so elementaren
Grundsatz, dass die Einhaltung auch ohne weiteres von
einem Assistenzarzt, mithin einem Arzt in der
Weiterbildung zum Facharzt, auch wenn er sich noch am
Beginn der Facharztausbildung befindet, zu verlangen ist.“
Zu 3. Aufklärungsrüge
Vorwegzuschicken ist eine Bemerkung des ehemaligen Vorsitzenden des
Arzthaftungssenats beim Bundesgerichtshof, Dr. Steffen, in MedR 2004, 501:
„Immer noch ist die Aufklärung des Patienten (umstandsbezogen) über
die Risiken der Behandlung (artenbezogen) Streitpunkt Nr. 1 in der
Arthaftung.“
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15
3.1
Grundlagen der Aufklärungspflicht
Die Verpflichtung des Arztes zur Aufklärung des Patienten hat verschiedene
rechtliche Grundlagen, die letztlich vom verfassungsrechtlich begründeten
Recht des Patienten auf Selbstbestimmung (Art. 1, 2 GG) getragen werden.
Insoweit dient die Aufklärung dem Schutz der Würde und
Entscheidungsfreiheit des Einzelnen. Hinter dieser allgemeinen Herleitung
treten die eigentlichen zivilrechtlichen bzw. strafrechtlichen Aspekte der
Aufklärungsverpflichtung immer mehr in den Hintergrund, obwohl die
verfassungsrechtliche Komponente nur bedeutsam ist, wenn man auch eine
„Drittwirkung der Grundrechte“ in den Behandlungsvertrag akzeptiert.
Zivilrechtlich hat die Aufklärungspflicht jedenfalls ihren Ursprung im Inhalt
des Behandlungsvertrages (s.o. § 280 n. F. BGB: „Verletzt der Schuldner eine
Pflicht aus dem Schuldverhältnis“). Die strafrechtliche Komponente der
Aufklärungsverpflichtung wird geprägt dadurch, dass körperliche Eingriffe
grundsätzlich nur mit Einwilligung des Betroffenen zulässig sind; diese
Einwilligung wiederum ist nur wirksam, wenn die dazu notwendige
Einsichtsfähigkeit vorliegt, die wiederum von dem herbeizuführen ist, der den
Eingriff vornimmt. Zuletzt hat die Verpflichtung zur Aufklärung Eingang in die
Berufsordnung und verschiedene Einzelgesetze gefunden; von letzteren
sind erwähnenswert die gesetzlichen Bestimmungen zur Durchführung von
Kastrationen, Transfusionen, Transplantationen und im Arzneimittelgesetz bei
Durchführung von Arzneimittelversuchen. Die Beweislast für die Erfüllung der
Aufklärungspflicht liegt grundsätzlich beim Arzt.
3.2
Aufklärungsarten (nach Laufs)
Je nach Ziel- und Zweckrichtung unterscheidet man unterschiedliche
Aufklärungsarten und -formen. Ihnen allen ist gemein, dass entweder
besondere Pflichten konkretisiert werden, um Schaden von dem Patienten
abzuwenden oder besondere Ziele verfolgt werden, die auch drittschützende
Wirkung
haben
können
(z.
B.
Schutz
der
Angehörigen
–
Kontaktpoliomyelitisfall).
Leider ist die Terminologie nicht einheitlich; zum Teil verwahrt sie sich auch
gegen eine abschließende Erfassung, weil immer wieder eine Überschneidung
in Grenzbereichen vorkommt. Dies wird an den nachfolgenden
Aufklärungsarten ohne weiteres deutlich, da die jeweilige Modalität je nach
Vorgriff auch Gegenstand einer anderen Betrachtung sein kann.
Die nachstehende Betrachtung folgt einer Übersicht von Laufs (in Rieger,
Lexikon des Arztrechts, 2. Aufl. 2001 „Aufklärungspflicht“).
Danach können grob getrennt werden die Selbstbestimmungsaufklärung,
welche durch den Verlauf der ärztlichen Behandlung geprägt ist und die
Sicherungsaufklärung, welche sich eher mit den Folgeerscheinungen einer
ärztlichen Behandlung – auch gegenüber Dritten – befasst.
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16
a)
Unter
dem
Stichwort
„Selbstbestimmungsaufklärung“
erwähnenswert folgendes Aspekte:
sind
3.2.1 Die Grundaufklärung verlangt eine Unterrichtung des Patienten „im
Großen und Ganzen“ dergestalt, dass dem Patienten ein allgemeiner
Eindruck von der Schwere des Eingriffs und der Art der Belastungen
bewusst wird, die möglicherweise für seine künftige Lebensführung zu
befürchten sind (z. B. OLG Brandenburg, NJW-RR 2000, 24).
3.2.2 Die Diagnoseaufklärung beinhaltet eine Information des Patienten
über den medizinischen Befund; hier ist immer die Frage zu
beantworten, ob bei besonders schweren Krankheitsbildern und
infauster Prognose dem Patienten entsprechende Aufklärung zuteil
werden muss. Dabei ist der Arzt in eine hohe Verantwortung gestellt,
die sich am ehesten noch mit dem Wort von Schlegel erfassen lässt:
„Aufklären, aber auch hoffen lassen“. Einer von Laufs gegebenen
Empfehlung zur Nichtaufklärung (a.a.O. Rn. 3) vermag ich nicht zu
folgen; dies gilt jedenfalls dann, wenn eine infauste Prognose Anlass
dafür ist, ärztlich gebotene Maßnahmen vorzunehmen oder nicht
gebotene zu unterlassen.
3.2.3 Die Verlaufsaufklärung gibt Auskunft über Art, Umfang und
Durchführung eines Eingriffs und ist weitgehend identisch mit der
„Grundaufklärung“; hierzu zählt auch die Information über solche
Folgen, die sicher zu erwarten sind (z. B. Operationsnarben,
Unfruchtbarkeit als Folge einer Gebärmutterentfernung); daraus wird
auch der Unterschied zur Risikoaufklärung deutlich.
3.2.4 Die Risikoaufklärung vermittelt Informationen über die Gefahren eines
ärztlichen Eingriffs, d.h. über mögliche dauernde oder vorübergehende
Nebenfolgen, die sich auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt
nicht mit Sicherheit ausschließen lassen.
Aufzuklären ist über die typischen Risiken und Gefahren des Eingriffs
(aber auch seine Unterlassung). Es kann nicht genug betont werden,
dass es auf die Typizität und nicht in erster Linie auf die
Risikohäufigkeit ankommt, da das Bestreben des Arztes ja dahin geht,
typische Risiken mit Erfolg zu vermeiden. Hinzu kommt, dass
Häufigkeitsstatistiken durchaus ihre eigene Problematik aufweisen.
Die Risikoaufklärung umfasst folgende Aspekte:
4.1
Art und Umfang des Eingriffs
4.2
Eventuelle Behandlungsalternativen (konservativ/invasiv); vgl.
BGH, Urt. v. 15.03.2005 – VI ZR 313/03, MedR 2005, 599.
4.3
Reine Diagnoseeingriffe (Erforderlichkeit)
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17
4.4
Schönheitsoperationen (unmissverständlich und schonungslos);
vgl. auch zur Blutspende BGH, Urt. v. 14.03.2006 – VI ZR 79/04,
MedR 2006, 244
Besonderheiten gelten für die mutmaßliche Einwilligung beim
Einwilligungsunfähigen
3.2.5 Die wirtschaftliche Aufklärung ist zunächst eine rein zivilrechtliche
Verpflichtung, die man richtigerweise eher der Sicherungsaufklärung
zurechnen sollte, da sie nicht durch das Selbstbestimmungsrecht
geprägt ist, sondern gewissermaßen Ausdruck der Verpflichtung des
Arztes zur Mitteilung besserer Kenntnisse über die materiellen Folgen
des Behandlungsverhältnisses (z. B. Wahlleistungsvereinbarung,
Erstattungsfähigkeit von Leistungen; Kostentragungspflicht bei NichtGKV-Leistungen).
b)
Die Sicherungsaufklärung (auch „therapeutische“ Aufklärung, BGH,
VersR 2005, 228) verfolgt das Ziel, den Patienten vor weitergehenden
Schäden zu bewahren, die nicht in erster Linie durch Auswirkungen auf
die körperliche Integrität geprägt sind:
3.2.6 Aufklärung über allgemeine Umstände, die für die Lebensführung
bedeutsam sind (z.B. bei Ablehnung eines gebotenen diagnostischen
oder therapeutischen Eingriffs). Dazu gehört auch die Belehrung
darüber, bei Verstärkung oder Sistieren von Problemen erneut einen
Arzt aufzusuchen (BGH, Urt. v. 16.11.2004, VersR 2005, 228).
3.2.7 Information über die Diagnose, soweit diese nicht Gegenstand der
Selbstbestimmungsaufklärung ist. Hierbei geht es insbesondere um
eventuelle Nachteile für Dritte, z. B. bei ansteckenden Erkrankungen
wie HIV, Hepatitis B oder auch bei der Möglichkeit des Auftretens einer
Kontaktpoliomyelitis durch Impfung mit Lebendviren.
3.2.8 Aufklärung über die Medikation, insbesondere hinsichtlich Risiken und
Nebenwirkungen. Typisches Beispiel ist das Auftreten eines Ulkus nach
Verabreichung von Antiphlogistika, insbesondere wenn bei
magenempfindlichen Patienten fehlende Sicherungsmaßnahmen
hinzukommen.
Auf den Beipackzettel und das Lesen desselben sollte sich der Arzt
eher nicht verlassen, auch wenn das LG Dortmund (MedR 2000, 331)
zumindest das Lesen des Beipackzettels zu den originären
Patientenpflichten gerechnet hat (a.A. BGH, Urt. v. 15.03.2005, VersR
2005, 834).
Zuletzt ist in dem Zusammenhang erwähnenswert die Verpflichtung zur
Aufklärung über mögliche Gefahren, die sich aus der Benutzung eines
Fahrzeuges im Anschluss an eine Behandlung ergeben können; dabei
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18
handelt es sich natürlich nur um ein Beispiel, denn entsprechende
Folgen können auch mit sonstigen beruflichen Tätigkeiten eines
Patienten verbunden sein, wenn und soweit der Arzt diese im Rahmen
der Anamnese erfragt hat.
3.3
Fallprobleme:
a)
Grundaufklärung
Im vorliegenden Fall wurde eine mangelnde Grundaufklärung
nicht gerügt. Die Aufklärung „im Großen und Ganzen“ beinhaltet
Folgeerscheinungen mit
-
seltenen, aber spezifischen Begleitrisiken,
-
die mit gravierenden Belastungen für den Patienten
-
oder seine Lebensführung verbunden sind
Hier liegt es nahe, als einen solch gravierenden Umstand die
Schulterversteifung anzusehen, nachdem der Patient im
Folgenden geltend gemacht hat, durch den Eintritt an der
Ausübung der Segelei gehindert zu werden. Man muss sich in
dem Zusammenhang ohnehin damit abfinden, dass in
Schmerzensgeldklagen immer mehr Freizeitbeschäftigungen in
den Vordergrund treten – insbesondere wenn Patienten über
eine lange Leidensgeschichte verfügen und in der
Erwerbsfähigkeit, nicht jedoch in der Freizeitgestaltung
gemindert sind.
In besonderem Maße sollte bei Injektionen im Wirbelbereich
zwei möglichen Folgen Aufmerksamkeit gewidmet werden, die
zuletzt noch in der Publikation der Ärztekammer Nordrhein aus
der
Arbeit
der
Gutachterkommission
für
ärztliche
Behandlungsfehler als vermeidbare Fehler bei therapeutischen
Infiltrationen geschrieben worden sind (S. 41).
Als unbedingt aufklärungsbedürftig sind anzusehen das mögliche
Auftreten eines Pneumothorax als Folge einer Verletzung der
Lunge und das Auftreten zentral-nervöser Reaktionen sowie
allergischer bzw. vargovasaler Reaktionen bishin zum
anaphylaktischen Schock oder zum Herzstillstand. Beides sind
keine theoretischen Probleme, sondern solche, mit denen sich
die Gerichte zu befassen haben.
Zur Erfüllung dieser Grundaufklärung reicht z. B. folgender Satz
vollständig aus, wie er in einem Aufklärungsmerkblatt
nachzulesen ist:
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19
„Schwerwiegende Komplikationen im Bereich lebenswichtiger
Funktionen und bleibende Schäden sind sehr selten, aber nie
auszuschließen.“
b)
(Eigentliche) Risikoaufklärung
Die eigentliche Risikoaufklärung dient dazu, dem Patienten die
Entscheidungsgrundlagen zu geben, ob er auch angesichts der
Verwirklichung möglicher Risiken in die Behandlung einwilligen
will.
Dabei kommt der Risikohäufigkeit nur relative Bedeutung zu, wie
eingangs dargelegt. Selbst Risiken in der Größenordnung von 1 :
4,5 Millionen wie bei der Kontaktpoliomyelitis sind trotz ihrer
Seltenheit eben und gerade als typisch und damit
aufklärungsbedürftig anzusehen.
Natürlich kann andererseits ein hohes Risiko im Promillebereich
(das Infektionsrisiko bei intraartikulären Injektionen wie hier liegt
bei 1 : 10.000 bis 30.000) die statistische Risikohäufigkeit einen
Rückschluss auf die Typizität zulassen; umgekehrt gilt dies aber
nicht.
Grund für diese Art der Differenzierung ist der Umstand, dass
Grundlage dieser Betrachtung eine rechtsbezogene Prüfung ist,
bei der die Rechtsprechung nicht dem Zwang unterliegt,
Häufigkeitsstatistiken
auf
deren
Sachgerechtigkeit
zu
hinterfragen. Dass im vorliegenden Fall die mögliche Entwicklung
einer
Schulterentzündung
als
typische
Folge
aufklärungsbedürftig war, dürfte außer Zweifel stehen – ist
übrigens auch Gegenstand der rechtlichen Hinweise in den
AWMF-Richtlinien.
c)
Sicherungsaufklärung
Unter das Stichwort „Sicherungsaufklärung“ hat der BGH (Urt. v.
16.11.2004, VersR 2005, 228) auch eine Sachverhaltsgestaltung
subsummiert, die auch der Verlaufsaufklärung hätte zugerechnet
werden können (sog. „therapeutische“ Aufklärung).
Es ging dabei um einen Patienten, der am 6.1.2000 abends
Lichtblitze am Auge festgestellt und sich noch am selben Tag
dem Bereitschaftsdienst vorgestellt hatte. Dieser konnte keine
auffälligen Befunde erheben (Augeninnendruck, Gesichtsfeld,
Augenhintergrund). Am 11.1. trat bei dem Patienten eine
massive Netzhautablösung auf, die trotz zweier OP’s eine
erhebliche Beeinträchtigung der Sehfähigkeit nach sich zog.
Den fehlenden Hinweis auf notwendige Kontrolluntersuchungen
(Empfehlung: Bei Sistieren sofort einen Arzt konsultieren!) hat
der BGH als grobe Verletzung der therapeutischen
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20
Sicherungsaufklärung angesehen, weil nicht auszuschließen
war, dass ein Facharzt nicht bemerkte, aber für einen Facharzt
erkennbare Anzeichen der Netzhautablösung erkannt und eine
erfolgreiche Therapie durchgeführt hätte.
Der vom BGH angenommene grobe Behandlungsfehler führte
zwangsläufig zur Umkehr der Beweislast.
d)
Behandlungsalternativen
Weiterer Vorwurf – insbesondere nach operativen Eingriffen – ist
immer wieder, dass dem Patient keine Entscheidungsfreiheit
zwischen einem noch möglichen konservativen Vorgehen und
einem (mit Risikoeintritt verbundenen) operativ-invasiven
Vorgehen geblieben ist. Typisch für den Vorwurf der Aufklärung
über Behandlungsalternativen ist gerade der orthopädische und
chirurgische Bereich. Im vorliegenden Fall hätte er sich darauf
beziehen können, dass der Arzt statt einer Injektion (Reagieren)
Krankengymnastik hätte verordnen können, um zunächst die
weitere Entwicklung und ggf. eine Besserung abzuwarten.
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass eine echte
Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Behandlungsmethoden
besteht. In diesem Falle hat der Patient die Entscheidungshoheit
und besteht kein therapeutischer Vorrang für die Wahl einer
bestimmten Methode durch den Arzt. Dies ist vorrangig eine
durch Sachverständige zu beantwortende Frage. Dabei muss
man trennen für die Zeit bis zum 26.08.2003 (von der Klage
vorrangig gesehenes Initialereignis) und die Zeit ab 26.08.2003.
Auffällig ist jedenfalls anhand der Behandlungsunterlagen, dass
bis zum 26.08.2003 nur eine Schmerztherapie durch
intraartikuläre Injektionen erfolgt ist, während in der Zeit ab
26.08.2003 auch physikalisch medizinische Maßnahmen
ergriffen wurden und Krankengymnastik zusätzlich zur
Anwendung kam. Dies hat natürlich im Wesentlichen seinen
Grund darin, dass die physikalische Therapie und die
Krankengymnastik vorzugsweise nicht auf die Vermeidung von
Entzündungserscheinungen ausgerichtet sind, sondern auf die
Vermeidung einer Schulterversteifung als mögliche Folge.
Weitgehend ungelöst sind in dem Zusammenhang die durch
Budgetierungen im kassenärztlichen Bereich ausgelösten
Probleme (vgl. Dahm in Rieger, Lexikon des Arztrechts, 2. Aufl.
2004, „Wirtschaftlichkeitsprüfung“, Rn. 23).
3.4
Exkurs
3.4.1 Umstände der Aufklärung
Grundsätzlich obliegt die Aufklärung dem behandelnden Arzt;
erfolgt die Aufklärung durch einen von diesem beauftragten Arzt
– wie im klinischen Alltag durch Befassung von Assistenzärzten
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21
üblich -, trägt der verantwortliche Behandler das Risiko
fehlerhafter Aufklärung. Dies gilt auch im Verhältnis zum
Nachbehandler.
Die Art der Aufklärung ist grundsätzlich so zu gestalten, dass
diese
(auch
wegen
des
therapeutischen
Effektes)
gesprächsweise zu erfolgen hat; eine Aufklärung allein durch
Übergabe von Formularen (z. B. eines Beipackzettels) hält der
BGH für nicht ausreichend. Formulare sind insoweit nur hilfreich
hinsichtlich der Dokumentation, weil sie im Sinne der
Rechtsprechung des BGH „einigen Beweis“ für eine erfolgte
Aufklärung liefern können und damit die Möglichkeit für eine
Parteivernehmung des Arztes als Beweismittel über die erfolgte
Aufklärung ermöglichen.
Ausländer sind grundsätzlich in ihrer Heimatsprache
aufzuklären; die zivilrechtliche Rechtsprechung macht sich über
die damit verbundenen Kosten indes keine Gedanken –
insbesondere wenn dies die Mitbefassung eines Dolmetschers
erfordert; das BSG (NJW 1996, 806), hat solche
Dolmetscherkosten jedenfalls nicht als erstattungsfähig
angesehen.
Für den Zeitpunkt der Aufklärung ist von Folgendem
auszugehen:
-
Bei Routineeingriffen ist die Aufklärung am Vormittag
ausreichend. Im Regelfall ist jedoch die Aufklärung
während des Vortages durchzuführen, um den Patienten
hinreichende Überlegungszeit zu geben, um nicht unter
Entscheidungsdruck zu kommen.
-
Bei geringfügigeren Eingriffen (z. B. KarpaltunnelOperation) kann auch die Einwilligung am Operationstag
genügen.
-
Weit aus stringenter ist die Rechtsprechung allerdings bei
planbaren Eingriffen; hier hat die (Erst-)Aufklärung
bereits zu dem Zeitpunkt zu erfolgen, zu dem die
Entscheidung über die Durchführung des Eingriffs erfolgt
und der Termin zur Durchführung vereinbart wird.
Grundsätzlich ist ein Verzicht auf die Aufklärung durch
den Patienten möglich („volenti non fit iniuria“).
Darüber hinaus kann eine Aufklärung dann entbehrlich
sein, wenn es sich um einen „voraufgeklärten“ Patienten
handelt. Es muss also nicht vor jeder Injektion neu
aufgeklärt werden, wenn die Aufklärung zu einem früheren
Zeitpunkt – ggf. auch in Zusammenhang mit einer anderen
Behandlung – stattgefunden hat.
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22
3.4.2 Erklärungsmängel
Erklärungsmängel finden sich vorzugsweise dann, wenn die
Einwilligung
durch
Willensmängel
beeinträchtigt
wird
(insbesondere durch unrichtige oder unzutreffende Aufklärung),
oder wenn sich die Frage nach der Einwilligungsfähigkeit eines
Patienten stellt. Dabei kommt es nicht zwingend darauf an, ob
ein Patient volljährig ist; auch der Minderjährige ist aufzuklären
und kann wirksam Träger der Einwilligungserklärung sein, sofern
er hinreichend einsichtsfähig ist in Art und Umstände sowie
Folgen der Behandlung. Eine einheitliche Betrachtung ist daher
nicht möglich; sie richtet sich vielmehr nach dem konkret
beabsichtigten Eingriff und der Aufnahmefähigkeit des Patienten.
Volljährige Personen können sich der Durchführung einer
Behandlung selbst im Falle der Notwendigkeit vollständig
versagen; typisches Beispiel ist die Verwendung von
Blutprodukten in Zusammenhang mit der Behandlung von
Angehörigen der „Zeugen Jehovas“.
Ist der Patient einsichtsunfähig, ist für ihn ggf. ein Pfleger zu
bestellen, der die notwendigen Entscheidungen für den Patenten
treffen kann; dabei ist in der praktischen Durchführung häufig im
Verhältnis zu den dafür zuständigen Amtsgerichten streitig, ob
eine Pflegerbestellung auch dann geboten ist, wenn sich die
notwendige
Entscheidung
nach
den
Kriterien
der
„mutmaßlichen Einwilligung“ treffen lässt. Auch die
mutmaßliche Einwilligung erfolgt beim einsichtsunfähigen
Patienten ohne eigentliche Aufklärung (Angehörige können
insoweit behilflich sein, sind aber nicht eigentliche
Entscheidungsträger); maßgeblich ist das, was der konkrete
Patient in seiner Situation für sich als richtig entscheiden würde,
was nicht zwingend mit dem Willen und Wollen Dritter (auch
nicht des Arztes) in Einklang stehen muss.
Bei nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen ist die Aufklärung
und Einwilligung beider Elternteile erforderlich, wenn es sich um
einen Eingriff mit weitreichenden Folgen handelt.
3.5
Vermeidung von Haftungsfolgen bei der Aufklärung
3.5.1 Wesentliches Moment des „Risk-Managements“ ist natürlich die
Aufklärung über die Grundlagen zur Wahrung der
Entscheidungshoheit des Patienten.
3.5.2 Dokumentation
Wie ausgeführt, erfordert die Aufklärung ein persönliches
Gespräch; in den üblicherweise verwendeten Aufklärungsbögen
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23
sollten die wesentlichen Aspekte handschriftlich eingetragen
werden. Bei echten Behandlungsalternativen sollten auch das
konkret geplante Vorgehen beschrieben werden und die zur
Verfügung stehenden Alternativen Erwähnung finden.
Zumindest sollte sich der Arzt angewöhnen, bei erfolgter
Aufklärung diese durch ein entsprechendes Kürzel in den
Behandlungsunterlagen zu dokumentieren, was auch im
praktischen Praxisalltag geschehen kann (beispielsweise durch
ein „A“. Solche Kürzel sind zwar in der Literatur (z. B. RumlerDetzel) kritisch gesehen worden, können aber gleichwohl –
jedenfalls im Sinne der
3.5.3 „Immer-so“-Rechtsprechung
(OLG Karlsruhe, MedR 2003, 229)
beweisrechtlich gewertet werden.
Die „Immer-so“-Rechtsprechung erkennt an, dass sich Zeugen in
aller Regel Jahre nach dem schadensstiftenden Ereignis
natürlich an Art und Umstände des Aufklärungsgesprächs im
Einzelfall nicht mehr erinnern können – alles andere wäre
eigentlich ein Grund dafür, die Zeugen als unglaubwürdig
erscheinen zu lassen.
Um so wichtiger ist es, Grundlagen einer solchen „Immer-so“Rechtsprechung zu bilden und in regelmäßigen Abständen
nachgeordnetes Personal (Arzthelferinnen) hinzuziehen, damit
man im Bedarfsfalle über Zeugen verfügt, die bestätigen können,
dass ein bestimmter Aufklärungsinhalt typischer Gegenstand des
Arzt-Patientengesprächs ist.
3.5.4 Sollte auch dies nicht helfen, kann die Dokumentation im Sinne
der Rechtsprechung zum „einigen Beweis“ (BGH, NJW 1985,
1399) weiter helfen, wonach jedenfalls dann, wenn einiger
Beweis (durch Dokumentation) für die Aufklärung erbracht ist,
dem Arzt im Zweifel geglaubt werden kann, dass sich die
Aufklärung in einer bestimmten Form vollzogen hat. Das LG
Essen (Urt. v. 18.10.2006 – 1 O 56/04) spricht insoweit zu recht
von einem „Vertrauensvorschuss“ für den behandelnden Arzt.
3.5.5 Letztlich darf hier – wie zum Behandlungsfehler allgemein –
angemerkt werden, dass man sich zunächst voreiliger
Äußerungen ohne sachkundige Beratung enthalten soll und auch
bei den Begrifflichkeiten Zurückhaltung wahren sollte.
So reicht es oft aus, statt von „äußerst“ unwahrscheinlich, von
„eher“ unwahrscheinlich zu sprechen, um die notwendige
Relativierung herbeizuführen.
4.
Dokumentationsrüge
Error! AutoText entry not defined.
24
Von besonderer Bedeutung im Arzthaftungsprozess ist die
sogenannte
„Dokumentationsrüge“,
auch
wenn
Dokumentationsversäumnisse grundsätzlich keine eigenständige
Haftung begründen. Verletzungen der Dokumentationspflicht
lösen aber ggf. für den Patienten Beweiserleichterungen bis zur
Beweislastumkehr aus und haben daher ihre eigenständige
Bedeutung.
Sachverhaltshinweis:
Erinnern
wir
uns
an
die
eingangs
gegebene
Sachverhaltsdarstellung, derzufolge in der elektronisch geführten
Patientenkarte beim Behandler Folgendes gleich an mehreren
Tage dokumentiert ist:
„Kein Hinweis für Rötung oder Überwärmung“ (1.7.2003;
27.8.2003; 3.9.2003; 29.9.2003).
Demgegenüber sind anlässlich der Krankenhausbehandlung des
Patienten dokumentiert:
„Erhöhte Entzündungsparameter“ (am 1.10.2003)
Keine Hinweise hierauf befinden sich bei der ambulanten
Vorstellung zur Vorbereitung der stationären Aufnahme im
Anamnesebogen vom 22.9.2003.
Demgegenüber ist in den Behandlungsunterlagen dokumentiert
für den 19.9.2003 folgender Hinweis:
„Stationäre Aufnahme zur Arthroskopie für den 1.1.2003
vorgesehen“.
Hier bliebe ggf. die Frage zu klären, woher der Behandler dies
bereits am 19.9.2003 – vor Durchführung der ambulanten
Eingangsuntersuchung im Krankenhaus gewusst hat. Die
wahrscheinlichste Erklärung ist, dass der Behandler hierüber mit
dem Krankenhaus im Vorfeld gesprochen und eine
entsprechende Festlegung getroffen hat – was möglicherweise
klärungsbedürftig ist.
4.1
Dokumentationspflicht
4.1.1 Rechtsgrundlage der Dokumentationspflicht ist der Umstand,
dass den Arzt im Behandlungsverhältnis Nebenpflichten treffen,
die ihre Ursache in der „Schadensminderungspflicht“ haben und
bezwecken, Ärzte und Pflegepersonal über den Verlauf der
Behandlung zu informieren.
4.1.2 In diesem Sinne ist die sachgerechte Dokumentation zunächst
Gedächtnisstütze für den Arzt, soll aber auch im
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25
Patienteninteresse das Behandlungsgeschehen absichern und
abbilden.
Rechtsgrundlage ist einmal der Arzt-Patienten-Vertrag;
weitergehende Vorgaben finden sich in der Berufsordnung (§
10), wonach über die in Ausübung des Berufs gemachten
Feststellungen und getroffenen Maßnahmen die erforderlichen
Aufzeichnungen zu machen sind. Eine Reihe von
Spezialgesetzen
sehen
besondere
Dokumentationsverpflichtungen
vor,
wie
die
Strahlenschutzverordnung und die Röntgenverordnung; § 30
HeilBG-NW
besagt
zudem
ausdrücklich,
dass
die
Kammerangehörigen insbesondere auch die Pflicht haben, über
die in Ausübung ihres Berufs gemachten Feststellungen und
getroffenen Maßnahmen Aufzeichnungen zu fertigen (§ 30 Nr.
3).
4.1.3 Inhaltlich muss die Dokumentation darauf ausgerichtet sein, Zeit
und Ort des jeweiligen Behandlungsgeschehens festzuhalten,
sowie Aufzeichnungen hinsichtlich Anamnese und Diagnostik
vorzusehen, die grundlegenden Therapieschritte festzuhalten;
sie sollte sich darüber hinaus – schon im Eigeninteresse – auf
Umfang und Inhalt einer erfolgten Aufklärung beziehen.
4.1.4 Immer wieder gibt es Auseinandersetzungen darüber, wann der
Dokumentationspflicht zu genügen ist. Grundsätzlich haben
Eintragungen in die Behandlungsunterlagen „zeitnah“ zu
erfolgen; dies schließt nachträgliche Eintragungen nicht aus,
solange der Arzt nicht die Änderungsbefugnis verloren hat.
Hierbei ist darauf zu achten, dass keinerlei Irrtum über die
Person des Ausstellers (bzw. des Eintragenden) erfolgt, da
ärztliche
Behandlungsunterlagen
grundsätzlich
den
Urkundsbegriff im Sinne des Strafgesetzbuches erfüllen und
nachträgliche Veränderungen mit einer Täuschung über die
Person des Ausstellers eine Urkundenfälschung darstellen
können (§ 267 StGB). Der Zeitpunkt der Vornahme von
Veränderungen ist daher zu dokumentieren.
4.1.5 Ergänzt
wird
die
Dokumentationspflicht
durch
die
Aufbewahrungspflicht, die in aller Regel 10 Jahre beträgt (so §
10 Abs. 3 BO, § 57 Abs. 2 BMV-Ä, § 28 RöV), soweit das Gesetz
nicht ausdrücklich längere Aufbewahrungsfristen fordert (bei der
Strahlentherapie 30 Jahre, nach § 14 Transfusionsgesetz 15
Jahre, nach § 11 Transfusionsgesetz 20 Jahre für die
Spenderdokumentation.
4.2
Befundsicherungspflicht und Beweiserleichterung
Ein anschauliches Beispiel für die Verletzung der
Dokumentationspflicht gibt das Urteil des BGH vom 13.2.1996,
NJW
1996, 1589 – „EKG“). Die Verletzung der
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26
Befundsicherungspflicht
(Organisationsaufgabe
der
Behandlerseite) hat für den Patienten Beweiserleichterungen
bis zur Umkehr der Beweislast bzw. zur Umkehr der konkreten
Beweisführungslast zur Folge (vgl. auch BGH, VersR 2001,
1030).
In dem Fall des BGH ging es darum, dass der Patient vormittags
über Schmerzen im Brustbereich klagte, was der Arzt zum
Anlass nahm, ein EKG zu erstellen und auszuwerten. Für den
Nachmittag hatte der Arzt weitere Untersuchungen eingeplant
und den Patienten zunächst nach Hause entlassen. Mittags erlitt
der
Patient
einen
Herzinfarkt;
im
anschließenden
Behandlungsfehlerprozess war aus den Behandlungsunterlagen
nur noch ersichtlich, dass ein EKG durchgeführt worden ist; auch
lag noch die schriftliche Auswertung vor, das EKG selbst konnte
nicht mehr aufgefunden werden.
4.2.1 Bei seiner Entscheidung konnte der BGH – sachverständig
beraten – davon ausgehen, dass die Thoraxschmerzen einen
positiven EKG-Befund hinreichend wahrscheinlich erscheinen
ließen und dass für diesen Fall sich die vorläufige Entlassung
des Patienten als fehlerhaft dargestellt hätte, da der Patient
entweder unter ärztlicher Aufsicht (bis zum Nachmittag) hätte
bleiben müssen oder eine notfallmäßige Einweisung ins
Krankenhaus erforderlich gewesen wäre.
4.2.2 Der
BGH
hat
dem
Patienten
zunächst
eine
Beweiserleichterung dahin gewährt, dass den Patienten nicht
mehr die Beweislast dafür treffen soll, dass tatsächlich ein
beginnendes Infarktgeschehen vorgelegen hat, auch wenn dies
noch nicht zu einer vollständigen Umkehr der Beweislast führen
musste.
Ausdrücklich betont der BGH die Verpflichtung zur
Befundsicherung als Organisationspflicht (BGH, NJW 1996,
780), was nunmehr auch aus § 280 n. F. BGB hergeleitet werden
kann.
4.2.3 Dass die schriftliche Auswertung des EKG-Befundes vorgelegt
werden konnte, hat der BGH nicht als ausreichend erachtet, weil
vorliegend nicht die Durchführung des EKG als solches in Frage
stand, sondern gerade die Richtigkeit des EKG. Der Kläger
musste also nicht mehr beweisen, dass das EKG einen Infarkt
erkennen ließ.
4.2.4 Damit war der Beweis für die Ursächlichkeit – auch diese muss
der Patient beweisen – für den später eingetretenen Tod noch
nicht erbracht. Hier half der BGH dem Patienten damit weiter,
dass die zunächst gewährte Beweiserleichterung bis zur Umkehr
der Beweislast erstreckt wurde.
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4.2.5 Ausgehend von der These, dass eine fehlerhafte Auswertung
des EKG einen fundamentalen Diagnoseirrtum beinhaltet hätte
oder die Nichterhebung eines EKG einen eklatanten Verstoß
gegen die Befunderhebungspflicht dargestellt hätte, konnte von
einem groben Behandlungsfehler ausgegangen werden (vgl.
BGH, Urt. v. 29.5.2001, ArztR 2001, 343). Diese Bewertung
wurde allerdings nicht etwa aus der „hohlen Hand“ getroffen,
sondern unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der
Sachverständige eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für
einen gravierenden Befund (größer als 90 %) unterstellt hatte.
Hinzu kam, dass bei dem Patienten zusätzlich Bluthochdruck
bestand, eine Herzvergrößerung gegeben war und der Patient
über Thoraxschmerzen geklagt hatte. Unter Berücksichtigung
aller Umstände, auch der angesprochenen Indizien wäre eine
Verkennung des EKG-Befundes grob fehlerhaft gewesen.
4.2.6 Die Wertung, ob ein grober Behandlungsfehler vorliegt oder
nicht, ist Rechtsfrage, die notwendigerweise vom Gericht zu
beantworten ist, für die aber eine sachverständige Begutachtung
unerlässlich ist. Kritisch bewertet hat der BGH im vorliegenden
Fall die erkennbar von großer Zurückhaltung geprägten
Ausführungen des Sachverständigen (Hinweis: Auch die
Verletzung der Aufklärungspflicht kann unter bestimmten
Umständen als grober Behandlungsfehler bewertet werden,
BGH, Urt. v. 16.11.2004, VersR 2005, 228).
4.2.7 Derartige Beweiserleichterungen beruhen im Ergebnis auf
Billigkeitserwägungen zur Abhilfe von Beweisnot für den
Patienten unter Abwägung des Umstandes, dass der Arzt
derjenige ist, der über das bessere Wissen verfügt. Auch wenn
die Dokumentation nicht dazu dient, dem Patienten Beweise für
einen späteren Arzthaftungsprozess zu verschaffen oder zu
sichern, ergeben sich aus der Nichtwahrnehmung der
Dokumentationspflicht
nachteilige
Folgen
bei
der
Rechtsverteidigung.
4.3
Vermeidungsstrategien
Die in der Praxis bedeutsame Frage ist, in welcher Weise der
Arzt mit der Verpflichtung zur Dokumentation vernünftigerweise
umzugehen hat.
4.3.1 Festgehalten werden muss zunächst, dass die vielfach – oft zu
recht – geführte Klage über den Umfang der Dokumentation
nicht dem Arzt, sondern allenfalls dem Kläger hilft.
4.3.2 Es führt kein Weg an der Folgerung vorbei, dass die
Dokumentation eher mehr als weniger beinhalten sollte.
Natürlich ist nicht zu übersehen, dass eine ansonsten sorgfältige
Dokumentation, die einen später als entscheidend aus der expost-Betrachtung angesehenen Gesichtspunkt nicht enthält, eher
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schädlich als nützlich ist; aus der späteren Betrachtung ließe sich
folgern, dass Nicht-Dokumentiertes eben auch nicht geschehen
ist. Dabei handelt es sich insofern aber um ein Scheinproblem,
als dieser Umkehrschluss stets einer fehlenden Dokumentation
vorgehalten werden kann.
4.3.3 Wesentlich
ist
auch,
dass
keine
nachträglichen
Veränderungen
ohne
entsprechende
Kenntlichmachung
vorgenommen werden dürfen; dabei dürfte es eine
Selbstverständlichkeit sein, dass nachträgliche Eintragungen
oder Veränderungen der Behandlungsunterlagen das Datum der
Vornahme erkennbar werden lassen und ersichtlich wird, welche
Person die Änderungen vorgenommen hat. Ansonsten droht der
Verlust an Glaubwürdigkeit, aber auch der Verlust des
Versicherungsschutzes – abgesehen davon, dass auch hier eine
Umkehr der Beweislast nahe liegt.
4.3.4 Dies führt zu der Empfehlung, möglichst zeitnah zu
dokumentieren und eine abschließende Prüfung der
Behandlungsunterlagen spätestens bei Beendigung des
Behandlungsfalles vorzunehmen – ggf. auch eine Epikrise
anzulegen.
4.3.5 Als empfehlenswert ist die Dokumentation folgender ärztlicher
Maßnahmen
anzusehen:
Diagnose,
Untersuchungen,
Funktionsbefunde, Medikation, besondere Anweisungen, ggf.
Gründe für ein Abweichen vom Standard.
Hinsichtlich des Verlaufs der Erkrankung empfiehlt sich das
Festhalten der Aufklärung, selbstverständlich der OP-Berichte,
des Narkose-Protokolls, Auftreten von Zwischenfällen, Wechsel
des Operateurs, sorgfältige Kontrolle bei „Anfänger-Behandlung“
und der Intensivpflege.
Im
Übrigen
obliegt
natürlich
die
Anfertigung
der
Pflegeprotokolle dem betreffenden Pflegepersonal. Auch hier
ist meines Erachtens der Arzt der Kontrolle der Pflegeberichte
nicht enthoben, zumal diese häufig Hinweise auf Beobachtungen
des Pflegepersonals enthalten, die oftmals für die ärztlichen
Entscheidungen und ihre Überprüfung bedeutsam sind.
Dr. jur. Franz-Josef Dahm,
Rechtsanwalt und Notar
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
und Medizinrecht
Sozietät Schmidt, von der Osten & Huber
Haumannplatz 28-30
45130 Essen
www.soh.de
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