Standard "Pflege von Senioren mit Verwahrlosungstendenzen

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Standard "Pflege von Senioren mit Verwahrlosungstendenzen"
Definition:
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Grundsätze:
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Die Verwahrlosung (auch "Vermüllungssyndrom", "senile
Verwahrlosung" oder "Diogenes-Syndrom") zählt zu den
Persönlichkeitsstörungen. Erkrankte vernachlässigen
sich selbst und lassen ihre häusliche Umgebung
verkommen. Das Ausmaß der Vernachlässigung geht
über das hinaus, was gesellschaftlich als bloße
"Ungepflegtheit" toleriert wird.
Auslöser für die Erkrankung sind häufig einschneidende
Erlebnisse in der Kindheit oder im späteren
Erwachsenenleben sowie Vereinsamung und mentaler
Stress. Zahlreiche psychische Erkrankungen wie
Schizophrenie, Depressionen oder Suchterkrankungen
können ebenfalls Verwahrlosung zur Folge haben.
Es gibt kein wissenschaftlich anerkanntes
Assessmentinstrument, um die Verwahrlosungsgefahr
oder eine bereits eingetretene Verwahrlosung objektiv zu
erfassen. Es liegt daher an den Pflegekräften und dem
behandelnden Arzt, anhand der eigenen
Lebenserfahrung und Wertmaßstäbe den Zustand des
Patienten einzuordnen.
Die Vermüllung einer Mietwohnung stellt nicht nur ein
hygienisches Problem dar, sondern kann für den
Patienten auch rechtliche Folgen haben. Der Vermieter
kann z.B. nach Beschwerden von Nachbarn den
Mietvertrag kündigen. Der Patient würde dadurch letztlich
obdachlos und müsste stationär versorgt werden.
Wir respektieren das Recht des Patienten auf eine freie
Entfaltung seiner Persönlichkeit. Sofern sein Handeln
weder für ihn selbst noch für Dritte eine Belästigung oder
eine Gefahr darstellt, tolerieren wir seinen Lebensstil.
Wir betrachten Verwahrlosung nicht als selbst gewähltes
oder selbst verschuldetes Schicksal, sondern als
Krankheit. Es ist unsere Aufgabe, das Leiden der
Betroffenen zu lindern.
Für den betroffenen Patienten sind wir oftmals
"unwillkommene Helfer". Unser Bestreben, dem Leben
des Senioren wieder Ordnung und Struktur
zurückzugeben, wird uns früher oder später in eine
Konfliktsituation mit dem Patienten bringen. Wir müssen
uns immer bewusst sein, dass es dann zu beleidigenden
Äußerungen, zu passivem oder aktivem Widerstand
kommen kann. Es zählt zu unserem Verständnis von
professioneller Arbeit, dass wir in solchen
Streitsituationen dem Patienten immer mit Akzeptanz und
Wohlwollen begegnen.
Wir arbeiten eng mit Hausärzten und Selbsthilfegruppen
zusammen.
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Ziele:
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Vorbereitung:
Wenn wir gemeinsam mit dem Patienten Regeln zur
Lebensführung aufstellen, ist Konsequenz wichtig.
Absprachen werden von der Pflegekraft konsequent
eingefordert.
Bei der Betreuung von verwahrlosten Senioren gibt es
eine Belastungsgrenze für Pflegekräfte. Wird diese
dauerhaft überschritten, muss der Pflegeauftrag ggf.
überdacht werden.
Eine Überforderung der Pflegekräfte wird vermieden.
Eine Verwahrlosung wird frühzeitig erkannt.
Die Ursachen der Verwahrlosung werden korrekt
bestimmt und soweit möglich beseitigt oder gemildert.
Eine soziale Isolation wird vermieden.
Hautschädigungen als Folge der mangelnden
Körperpflege werden frühzeitig bemerkt und angemessen
behandelt.
Nachbarn werden nicht durch gesammelten Müll
belästigt. Die Kündigung des Mietverhältnisses durch den
Vermieter wird vermieden.
Eine stationäre Versorgung des Patienten etwa in einer
psychiatrischen Fachklinik wird vermieden.
Der Patient wird in die Lage versetzt, wieder ein
selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben zu
führen. Sein Selbstwertgefühl wird gestärkt.
allgemeine
Maßnahmen
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Selbsteinschätzung
Unser Personal wird regelmäßig
zum Thema Verwahrlosung
fortgebildet.
Der Umgang mit verwahrlosten
Patienten wird regelmäßig in
Rollenspielen geübt.
Zwei Pflegefachkräfte unserer
Einrichtung verfügen über eine
Weiterbildung zur
gerontopsychiatrischen
Fachkraft.
Wir erweitern unsere Bibliothek
regelmäßig um aktuelle
Fachbücher zu diesem Thema.
Wir ermuntern unsere
Pflegekräfte, diese Bücher zu
lesen.
Es gibt keine wissenschaftliche
Abgrenzung zwischen einem
"alternativen Lebensstil" und
Verwahrlosung. Daher sollten
Pflegekräfte zuerst ihre eigenen
Gedanken reflektieren, bevor sie
andere Menschen als "verwahrlost"
betrachten. Folgende Fragen sollte
jeder für sich selbst beantworten:
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Anforderungen an die
Pflegekräfte
Die Versorgung von Senioren mit
Verwahrlosungstendenzen zählt zu
den herausforderndsten Aufgaben in
der Altenpflege.
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Durchführung:
Einschätzung der
Verwahrlosung
Wann ist eine Wohnung nur
unordentlich und ab wann
vermüllt?
Wann wird Sammeln zum
krankhaften Sammeln?
Welches Maß an Körperpflege
ist normal? Ab wann kann
mangelnde Körperpflege nicht
mehr toleriert werden?
Darf ein Mensch in einer selbst
gewählten Isolation leben?
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Die Pflegekraft muss in der
Lage sein, Ekelgefühle zu
unterdrücken. Vor allem
infizierte oder von Maden
befallene Wunden sind selbst
für Pflegeprofis ein fast
unerträglicher Anblick.
Die Pflegekraft muss in der
Lage sein, die richtige Balance
aus Durchsetzungsvermögen
und zwischenmenschlicher
Wärme zu finden.
Die Pflegekraft sollte Erfahrung
als Bezugspflegekraft haben.
Berufseinsteiger sollten
zunächst keine Senioren mit
Verwahrlosungstendenzen
versorgen.
Wir versuchen abzuschätzen,
welches Maß die
Verwahrlosung angenommen
hat. Unsere Beobachtungen
sind z.B. später relevant bei der
Frage, ob der Patient einen
Betreuer benötigt.
Im Anfangsstadium kann die
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Verwahrlosung nur in
Teilbereichen auftreten. Der
Patient selbst kann also einen
gepflegten Eindruck machen,
während sein Wohnraum
zusehends vermüllt.
Häufig ist aber auch bereits ein
starker Schweißgeruch
feststellbar. Das Haar ist fettig.
Die Kleidung ist verschmutzt.
Bei einer fortgeschrittenen
Verwahrlosung sind mehrere dieser
Punkte vollständig erfüllt:
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Verwahrlosung des
Wohnbereiches: Die Zimmer
sind mit Staub, Unrat und ggf.
mit Kot verdreckt. Es gibt
Ungeziefer. Ein stechender
Geruch ist wahrzunehmen. Die
Beleuchtung und die sanitären
Anlagen funktionieren nicht. Die
Nahrungsmittel in der Küche
sind verdorben.
Verwahrlosung des Körpers:
Die Haare, Fuß- und
Fingernägel sowie die Haut sind
ungepflegt. Die Zähne sind
stark von Karies befallen. Die
Kleidung ist ungewaschen und
in einem schlechten Zustand.
Es sind häufig chronische
Wunden, Hautkrankheiten oder
Parasiten zu finden. Der Patient
ist fehl- oder mangelernährt.
Der Patient lebt allein, etwa weil
der Lebenspartner verstorben
ist oder sich scheiden ließ. Der
Kontakt zu Verwandten ist
abgebrochen. Hilfsangebote
von Bekannten, Freunden oder
Nachbarn lehnt der Erkrankte
ab. Der Betroffene meidet
komplett den Kontakt mit
anderen Menschen.
Der Patient sammelt
verschiedene Gegenstände in
einem überbordenden Maß.
Schränke, Regale und Truhen
können die Mengen nicht mehr
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aufnehmen. Die Gegenstände
stapeln sich bis unter die Decke
und reduzieren die Wohnfläche
auf enge Korridore.
Die Gegenstände stammen von
der Straße und sind
offensichtlich wertlos.
Der Patient verweigert sich allen
Hilfsangeboten.
Der Patient reagiert panisch
oder aggressiv, sobald die
Pflegekraft den Müll wegräumen
will. Der Patient befürchtet, dass
dabei "etwas Wertvolles"
entsorgt werden könnte.
Informationssammlung Wir sammeln weitere Informationen,
die für die Einschätzung wichtig sein
können. Etwa:
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Handeln bei
vorliegender
Vernachlässigung
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Gibt es biografische Hinweise
auf eine Vernachlässigung in
der Kindheit?
Gibt es biografische Hinweise
auf traumatisierende
Lebenserfahrungen, wie z.B.
Vertreibung, Kriegserlebnisse
oder sexuellen Missbrauch?
Macht der Patient relevante
Angaben zur
Selbsteinschätzung? Äußert er,
dass er mit der Lebensführung
überfordert ist?
Leidet der Patient unter
Demenz?
Zeigte der Patient in den letzten
Monaten Anzeichen einer
Depression?
Besteht eine Alkohol-, Drogenoder Medikamentensucht?
Leidet der Patient unter
Bewegungseinschränkungen
oder chronischen Schmerzen?
Ist das Schmerzempfinden
herabgesetzt?
Wir suchen den Kontakt zu dem
Patienten. Nur wenn ein
Vertrauensverhältnis besteht,
kann die Pflegekraft das wahre
Ausmaß der Verwahrlosung
abschätzen.
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Bei zwanghaftem Sammeln
lassen wir uns z.B. erklären,
welche Beziehung der Patient
zu den jeweiligen
Gegenständen hat.
Wir versuchen Absprachen mit
dem Patienten zu treffen. Diese
können umfassen:
o regelmäßige
Körperpflege, also etwa
einen festen Badetermin
in der Woche
o regelmäßiger Wechsel
von Kleidung, die von der
Pflegekraft bereitgelegt
wird
o angemessene Ernährung
o Aufräumen des Zimmers
und der Schränke
o Entsorgen von Müll und
Auflösung von
Sammellagern
Falls eine Fehlernährung
vorliegt, prüfen wir die
Notwendigkeit der externen
Speisenversorgung ("Essen auf
Rädern").
Wir suchen den Kontakt zu den
Angehörigen. Oftmals haben
diese den Umgang mit dem
verwahrlosten Senioren schon
vor Jahren auf ein Minimum
reduziert. Gleichwohl haben sie
noch am ehesten Einfluss auf
den Patienten. Wir nutzen die
noch vorhandene Bindung, um
Vereinbarungen und
Absprachen durchzusetzen.
Wir prüfen, ob der Patient
andere Autoritätspersonen
akzeptiert, mit deren Hilfe wir
auf eine Verhaltensanpassung
drängen können. Dieses kann
etwa der behandelnde Arzt sein
oder bei religiösen Menschen
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Pflegemaßnahmen
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ein Geistlicher.
Wir prüfen, ob die
Nachbarschaftshilfe oder
ähnliche Vereine unterstützend
eingreifen können.
Wir kontaktieren den Vermieter.
Häufig ist es sinnvoll, die
Wohnung komplett zu
entrümpeln, zu renovieren und
auf diese Weise einen klaren
Schnitt zu machen. Es ist
jedoch damit zu rechnen, dass
das Vertrauensverhältnis
zwischen Pflegekraft und
Patient damit nachhaltig gestört
seit wird.
Wir prüfen, ob die Einleitung
eines Betreuungsverfahrens
sinnvoll ist.
Bei unhaltbaren hygienischen
Zuständen dokumentieren wie
dies und informieren schriftlich
den Patienten, ggf. den Partner,
Angehörige, den behandelnden
Hausarzt, die Kostenträger
sowie das Gesundheitsamt.
Damit sichern wir uns gegen
etwaige Vorhaltungen ab.
Die Überprüfung des
Hautzustandes ist besonders
wichtig. Es ist mit Hautdefekten
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und mit lokalen Infektionen zu
rechnen, die ggf. mit Salben
behandelt werden müssen. Wir
beachten die entsprechenden
Standards, etwa "Pflege von
Senioren mit Mykosen
(Pilzerkrankungen)" oder
"Intertrigoprophylaxe und behandlung".
Wir prüfen, ob ein
Parasitenbefall vorliegt. In
diesem Fall müssen die
entsprechenden Standards
umgesetzt werden, also etwa
"Pflege von Senioren mit
Läusebefall" oder "Umgang mit
Scabies (Krätze)".
Nabelstein muss vorsichtig
entfernt werden.
Aufgrund der mangelhaften
Intimhygiene ist mit vermehrt
auftretenden
Harnwegsinfektionen zu
rechnen.
Die Hände müssen von zu
langen Fingernägeln befreit
werden. Diese wachsen bei
entsprechender Länge nach
unten und bilden Krallen aus.
Die Fußnägel werden ebenfalls
geschnitten. Wir prüfen, ob es
an den Zehen zu Schädigungen
gekommen ist. Oft zeigen sich
hier Entzündungen.
Sehr wichtig ist eine
Beseitigung der gravierendsten
Kariesschäden. Senioren mit
einem schlechten Zahnstatus
verzichten wegen der
Schmerzen oft auf jede
Mundpflege. Auch
Fehlernährungen sind häufig
auf Zahnschmerzen beim Essen
zurückzuführen.
Wir bleiben im Umgang mit dem
Patienten stets taktvoll.
Vorhaltungen etwa zum
Zustand der Kleidung, zur
Raumhygiene oder zur
Körperpflege könnten den
Betroffenen beleidigen. Es ist
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Eigenschutz
Unsere Möglichkeiten zur Betreuung
von Verwahrlosten sind begrenzt.
Zudem steht die Sicherheit unserer
Mitarbeiter an erster Stelle. Wir werden
daher unverzüglich die Einweisung in
eine stationäre psychiatrische
Einrichtung einleiten, wenn der Patient
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Nachbereitung:
Prognose
besser, ihm stattdessen
Angebote zu machen. So kann
dem Betroffenen ein Vollbad
angeboten werden mit der
Begründung, dass dieses ihn
entspannen würde. Gleichzeitig
dient ein solches Bad natürlich
auch der Körperpflege. Zudem
kann die Pflegekraft dabei den
Hautstatus erfassen.
Wir prüfen, ob die
Verwahrlosung die Folge einer
psychischen Erkrankung ist, die
auf eine medikamentöse
Therapie anspricht.
Antidepressiva können bei
Depressionen oder bei
Zwangskrankheiten auch die
Verwahrlosungstendenzen
mildern.
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Gewalt glaubhaft androht oder
tatsächlich gewalttätig wird
Personen tätlich sexuell
belästigt
fortgesetzt Drogen oder große
Mengen Alkohol einnimmt.
In rund 50 Prozent aller Fälle
akzeptieren Betroffene die
Notwendigkeit einer
Psychotherapie. In der Folge
zeigen sich zumeist kleinere
Verbesserungen im Verhalten,
wenngleich eine vollständige
Heilung die Ausnahme bleibt.
Die andere Hälfte verweigert
sich jeder Hilfe. Da eine
Psychotherapie ohne
Kooperation sinnlos ist, bleiben
als letzte Möglichkeit
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weitere Maßnahmen
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Dokumente:
Pflegedokumentation
Verantwortlichkeit alle Mitarbeiter
/ Qualifikation:
Zwangsmaßnahmen wie die
Einweisung in eine stationäre
psychiatrische Einrichtung.
Unterbleibt auch diese, drohen
weitere Verwahrlosung,
Krankheit und Tod.
Die zwangsweise Säuberung
einer Wohnung hat i.d.R. nur
einen temporären Effekt. Wenn
dem Sammeln von Unrat nicht
von Beginn an konsequent
entgegengetreten wird, ist mit
erneuter Vermüllung zu
rechnen.
Wir bieten unseren
Pflegekräften regelmäßig
Supervision an, um die
mentalen Belastungen im
Umgang mit verwahrlosten
Patienten zu verarbeiten.
Etwaig aufgetretene Probleme
werden im Qualitätszirkel
thematisiert.
Alle Beobachtungen werden
genau dokumentiert. Die
Beschreibung erfolgt wertfrei.
Wir achten insbesondere auf
Veränderungen im Verhalten
des Patienten.
Die Pflegeplanung wird
regelmäßig an die aktuellen
Gegebenheiten angepasst.
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