p - Universität Innsbruck

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Eine calvinistische Konzeption
der Vernünftigkeit des Glaubens
Alvin Plantinga und die “Reformierte Erkenntnistheorie”
Prof.Dr.Dr. Winfried Löffler
Universität Innsbruck
Institut für Christliche Philosophie
Karl-Rahner-Platz 1
A-6020 Innsbruck / Austria
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Zwei kleine historische Rückblicke
„Christliche Philosophie“ –
die Optionen
Ein Blick in die (Wissenschafts-)
Soziologie
Das prominenteste Beispiel:
„Reformierte Erkenntnistheorie“
Umrisse einer Kritik
Zum Weiterlesen
1
1. Zwei kleine historische Rückblicke
1.1 Debatte um „Christliche Philosophie“ [CP] in den 1920/30ern
Etienne Gilson: „Christliche Philosophie“ als Epochenbezeichnung.
Erkenntniswege formal getrennt, Offenbarung als Hilfsmittel
Émile Bréhier 1927, 1931: „CP“ absurd wie „christliche Mathematik“
Juvisy-Konferenz 1933; Monographien v. Gilson, Maritain, …; Stellungnahmen
von Heidegger, Brunschvicg, …
Karl Barth: „... war sie philosophia, so war sie nicht christiana, war sie
christiana, so war sie nicht philosophia.“ – Heidegger: „hölzernes Eisen…“
Ein Ertrag: Präzisierung zweier Verständnisse von „CP“ (siehe unten 2.!)
2
1. Zwei kleine historische Rückblicke (Fs.)
1.2 „Analytische“ Religionsphilosophie im 20.Jahrhundert

1920er-50er: „Wiener Kreis“, Logischer Empirismus: Religiöse Rede
ist kognitiv sinnlos (wie Metaphysik); allenfalls emotionaler Sinn

Kritischer Rationalismus (Popper u.a.): nicht kognitiv sinnlos, aber
auch nicht falsifizierbar, kaum kritisierbar

Reaktion vieler Theologen: non-kognitive Umdeutung religiöser Rede

Drei Engpässe dieser Umdeutung

Seit 1960ern: Renaissance metaphysischer und religiöser Fragen in
der analytischen Philosophie, kognitive Wende

seit späten 1970ern explizite „Christian Philosophy“
3
2. „Christliche Philosophie“ – die Optionen
(A) „augustinische“ CP (Augustinus, 354-430):
Entfaltung eines möglichst vollständigen christlichen Weltbildes, einer
Gesamtsicht der Wirklichkeit aus dem Blickwinkel der christlichen
Glaubensgehalte
(„was folgt für Wissensbereich XY, wenn der christliche Glaube wahr ist?“)
(B) „thomistische“ CP (Thomas von Aquin, 1224/5-1274):
(1) soweit als möglich von Prämissen ausgehen, die unabhängig von
religiösen Überzeugungen sind, Rückgriff auf christliche Überzeugungen erst
bei offenen Fragen;
(2) Glaube als Leitstern und Themengeber
(3) Prima-Facie-Widersprüche ReligionWissenschaft gehen auf illegitime
Bereichsüberschreitungen und/oder methodische Fehler zurück
(C) CP als historische Epochenbezeichnung (“CP des Mittelalters”)
(Nota bene: oft unreflektierte Verwendung von „CP“!)
4
3. Ein Blick in die (Wissenschafts-) Soziologie

Institutionen
Society of Christian Philosophers (1977)
Zeitschrift Faith & Philosophy (1983)
Zeitschrift Philosophia Christi (1999)
American Cathol. Philos. Assoc., Evangelical Philosophical Society, etc.

Einige prominente christliche analytische PhilosophInnen:
W.P. Alston, A. Plantinga, W.L. Craig, R. Swinburne, N. Rescher, P. Van
Inwagen, L. Zagzebski,…

Zum Rollenbild von christlichen PhilosophInnen in Europa und USA

Christliche (kreationistische!) Netzwerke im Umfeld:
Discovery Institute
American Scientific Affiliation
www.factum-magazin.ch
u.a.m.
 Dennett, Dawkins u.a. als Reaktion!
5
4.
Das prominenteste Beispiel: „Reformierte
Erkenntnistheorie“
4.1
Alvin Plantinga – Leben und Werk
*1932, Reformierter Christ, religiöse Erfahrungen, Notre Dame,
führender Erkenntnistheoretiker, Metaphysiker, Religionsphilosoph

Plantingas Grundthese: „Es gibt keine plausible Erkenntnistheorie, die den
Glauben an Gott (Theismus) als irrational ausschließt.“

Dagegen der traditionelle religionskritische Einwand (TRK):
Theistische Überzeugungen sind irrational, denn
(i)
Es gibt keine gerechtfertigten religiösen Überzeugungen
ohne ein stichhaltiges Argument für die Existenz Gottes, aber
(ii)
Es gibt kein solches Argument.

Traditionelle philosophische Theologie (TPT): akzeptiert (i), bestreitet (ii)
Plantingas frühe Werke: bestreiten (ii), auch schon erste Zweifel an (i)
God and Other Minds (1967):
“Paritätsargument”: Vergleich der Argumentgüte
The Nature of Necessity (1974):
Modallogisches “ontologisches Argument” für
6 die
Existenz Gottes

4.1
Alvin Plantinga – Leben und Werk
Plantingas spätere Werke:
bestreiten Prämisse (i)!!
(= gegen TRK ebenso wie gegen TPT!)
Beide: „schlechtes Begründungsdenken“ / evidentialism
„Reformierte Erkenntnistheorie“ [RE]
Reason and Belief in God 1983
Warrant: The Current Debate 1993
Warrant and Proper Function 1993
Warranted Christian Belief 2000
Grundthese der RE: Religiöse Überzeugungen brauchen nicht auf
irgendwelche satzartig formulierbare Gründe (propositional evidence) gestützt
sein, um epistemisch gerechtfertigt zu sein. Sie können berechtigterweise
basale Überzeugungen (properly basic beliefs) sein!
(Dennoch: Keine „Letztbegründung“ !)
7
4.2 Zwei Blicke in die Arbeitsstube des Erkenntnistheoretikers
4.21 Das Gettier-Problem und die Internalismus/Externalismus-Frage
Was ist „Wissen“ und wann liegt es vor?
Traditionelle Lösung (seit Platon): Gerechtfertigter wahrer Glaube, „JTB account“
ABER: Das Gettier-Problem (1963):
Beispiel „Russells Uhr“
Resultat: Wissen scheint mehr zu sein als JTB – nur: was fehlt noch?
2 Lösungstendenzen, „internalistisch“ und „externalistisch“
8

a. Internalismus:
Es gibt Zusatz-Kriterien für Wissen, die von innerhalb des Meinungssystems
zugänglich und zu prüfen sind.

Bsp. a-1: Kohärenztheorien: Wahre Meinung p ist Wissen genau dann, wenn
p mit den sonstigen Überzeugungen der Person „kohäriert“.
Problem: was heißt das genau? […nicht in Widerspruch steht?]
[…in irgendwelchen Folgerungsrelationen steht?]
 Problem: Idealismus-/Relativismusverdacht


Bsp. a-2: Deontologische Theorien: p ist Wissen g.d.w. man dabei seine
„epistemischen Pflichten/Normen“ erfüllt hat. – z.B.
„p beruht auf klarer und distinkter Vorstellung/ Wahrnehmung.“ (Descartes);
„Überzeugungsgrad bezüglich p entspricht den Erfahrungsbelegen.“ (Locke)

Problem: kognitive Fehlfunktionen trotz Pflichtenerfüllung
9

b. Externalismus:
Zusatz-Kriterien für Wissen sind von außerhalb des Meinungssystems
zugänglich und zu prüfen.

Bsp. b-1: Zuverlässigkeitstheorien, reliabilism: Wahre Meinung p ist
Wissen genau dann, wenn p aus ansonsten verlässlichen
Erkenntnisapparaten stammt.

Problem: Löst das Gettier-Problem nicht. Sind wahre, aber durch „sachlich
irrelevante“ Prozesse erworbene Meinungen Wissen (Uhrenbeispiel!)?
Zufällig wahre Meinungen in ungünstigen Erkenntnisumgebungen?

Bsp. b-2: Theorien der guteingeführten Erkenntnispraxis: p ist Wissen
g.d.w. p aus einer guteingeführten, bisher nicht als unzuverlässig erwiesenen
sozialen Erkenntnispraxis stammt. (z.B. Sinneswahrnehmung, Messen, …
religiöse Praktiken?)

Problem: Gemeinschafts- und Kulturrelativität solcher Praktiken?

Bsp. b-3: Proper Function-Theorien: p ist Wissen g.d.w. p aus bauplangemäß funktionierenden (properly functioning) Erkenntnisapparaten stammt.

Problem: Was sind und wie erkennt man Baupläne? Innere Naturzwecke?
10
4.2 Zwei Blicke in die Arbeitsstube des Erkenntnistheoretikers
4.22 Die Fundationalismus/Antifundationalismus-Frage
Vorbemerkung: „belief“ (Meinung/Überzeugung/Annahme/Denken-dass)
„belief systems“
 Woran hängt so ein belief system letztlich?

Fundationalismus:
(i) In unserem Überzeugungssystem gibt es einige „basale“, nicht mehr
weiter rechtfertigbare Überzeugungen.
(ii) Unsere Überzeugungen sind nur insoweit rational, als sie entweder
selbst basal sind oder auf basale Überzeugungen zurückgeführt
werden können.

Anti-Fundationalismus: Mindestens (ii) ist falsch.
11
4.3 Zwei wesentliche Bausteine der Reformierten Erkenntnistheorie
4.31 Ein Argument gegen den Klass. Erkenntnistheor. Fundationalismus
Plantinga: Fast alle bisherigen Religionsphilosophen waren KEF´-isten!
KEF-(i) Überzeugungen (beliefs) sind rational für eine Person S genau
dann, wenn sie „properly basic beliefs“ sind oder wenn sie sich voll auf
„properly basic beliefs“ zurückführen lassen (=“inferential beliefs“).
KEF-(ii) Überzeugungen sind „properly basic beliefs“ (PBB’s) genau dann,
wenn sie selbst-evident für S oder unkorrigierbar für S oder für die
Sinneswahrnehmung von S evident sind.
Aber der KEF ist falsch, denn
(i)
Der KEF genügt seinen eigenen Rationalitätsstandards nicht
(z.B. ist KEF-(ii) weder basic noch inferential !).
(ii) Es gibt beliefs, die offensichtlich PBB´s sind, aber die engen Kriterien von
KEF nicht erfüllen. (Emma ist zornig. Ich habe heute gefrühstückt. … )
(iii) Viele wichtige und offenkundig rationale beliefs wären im KEF nie zu
rechtfertigen. (Es gibt materielle Objekte. Es gibt andere Bewusstseine. …)
12
4.3 Zwei wesentliche Bausteine der Reformierten Erkenntnistheorie
4.32 „Properly Basic Beliefs“ im Sinne Plantingas
Hinführung: Meinungen aus Erinnerung, Wahrnehmung, problemfreier
Mitteilung anderer, selbstverständlicher Einsicht
Einige Klarstellungen:
(i)
PBB‘s sind nicht grundlos
(ii)
PBB‘s sind weder unkorrigierbar noch irrtumsresistent
(iii)
PBB‘s können durch defeaters erschüttert werden
(iv)
PBB‘s können zu abgeleiteten Überzeugungen werden u.u.;
„Proper basicality“ ist zeit- und personenrelativ
(v)
„Proper basicality“ ist keine bloße psychologische Qualität, sondern
eine erkenntnistheoretische
(vi)
PBB‘s machen den Großteil unserer Überzeugungen aus
(vii)
Religiöse PBB‘s : nicht einfach Gott existiert, sondern
„manifestation beliefs“: Gott spricht jetzt zu mir etc.
%
13
Manifestation beliefs implizieren die Existenz Gottes, vgl.:
manifestation belief als PBB
inferential belief
Gott spricht jetzt zu mir
Gott existiert
Gott hat all das geschaffen
Gott existiert
Gott missbilligt, was ich tue
Gott existiert
Gott soll gelobt werden
Gott existiert
“Calvin holds that God ‘reveals and daily discloses himself in the whole
workmanship of the universe,’ and the divine art ‘reveals itself in the
innumerable and yet distinct and well-ordered varieties of the heavenly host.’
God has so created us that we have a tendency or disposition to believe
propositions of the sort this flower was created by God or this vast and intricate
universe was created by God when we contemplate the flower or behold the
starry heavens or think about the vast reaches of the universe. [...]
There are [...] many conditions and circumstances that call forth belief in God:
guilt, gratitude, danger, a sense of God’s presence, a sense that he speaks,
perceptions of various parts of the universe.”
(Reason and Belief in God (1983), 80f.)
14
4.4 Die ältere, schwächere Version der RE
THESE: Es ist erkenntnistheoretisch möglich, dass man religiöse
Überzeugungen als PBB im Überzeugungssystem hat und dabei rational ist.
Argumente:
(1) Kritik am KEF
(2) Paritätsargument: „manifestation beliefs“ sind ebenso (ir-)rational wie z.B.
„Es gibt bewusstseinsbegabte Wesen außer mir selbst“
„Die Welt besteht bereits länger als 10 Minuten“
„Materielle Objekte bestehen weiter, auch wenn niemand hinschaut“ , ...
(3) Induktive „bottom-up“-Erkenntnistheorie – und die Gemeinschaftsrelativität
aller Rationalitätsansprüche
“There is no reason to assume, in advance, that everyone will agree on the
examples [„Examples“ sind geordnete Paare <Erfahrungssituation, dabei
hervorgerufener religiöser PBB> W.L.]. The Christian will of course suppose that
belief in God is entirely proper and rational; if he does not accept this belief on the
basis of other propositions, he will conclude that it is basic for him and quite
properly so. Followers of Bertrand Russell or Madelyn Murray O’Hare may
disagree; but how is this relevant? Must my criteria, or those of the Christian
community, conform to their examples? Surely not. The Christian community is
responsible to its set of examples, not to theirs.” (Reason and Belief in God, 77) 15
4.5 Jüngere, stärkere Version der RE:
„Warrant“ und die beiden „Aquinas/Calvin-Models“

Ältere RE war i.W. internalistisch.

Einwände: Relativismus? Abweisung seltsamer PBB’s?
(„Great Pumpkin Objection“)
DAHER
(1) Stärkerer Einbau externalistischer Elemente
(2) Suche nach einer „Qualitätseigenschaft“,
- die wahre Meinungen zu Wissen macht und
- die basale und abgeleitete Meinungen auszeichnet: warrant!
(3) Rechtfertigung (justification) ist nur ein Spezialfall eines
allgemeineren „positiven epistemischen Status“ / warrant
RESULTAT, NEUE THESE:
Viele Gläubige haben religiöse
PBB‘s, die faktisch warranted sind.
16
Plantingas Definition von „warrant“ (2000)
Eine Meinung M hat warrant für die Person P dann und nur dann, wenn
(1) die beteiligten Segmente von P’s Erkenntniseinrichtungen bauplangemäß
funktionieren,
(2) dies in einer kognitiven Umgebung stattfindet, die hinreichend ähnlich
jener ist, für die P’s Erkenntniseinrichtungen geplant wurden,
(3) auch die kognitive Mini-Umgebung passend ist,
(4) die Module des Bauplans, die die Erzeugung von M leiten, auf Wahrheit
ausgerichtet sind und
(5) so funktionieren, dass eine Meinung, die in Übereinstimmung mit diesen
Modulen in dieser Art von kognitiver Umgebung erzeugt wird, mit hoher
objektiver Wahrscheinlichkeit wahr ist (zuverlässig / reliable).
Und je fester P an M glaubt, umso stärkeren warrant hat M für P.“
Notabene:
– „warrant“ lässt Grade zu, ist zeit- und personenrelativ
– „warrant“ als wissens-erzeugende und idealer Weise mit
Wahrheit gekoppelte Eigenschaft
– für basale ebenso wie abgeleitete Meinungen
– „warrant“ kann durch defeaters geschwächt werden, auch
wenn die Meinung selbst wahr sein mag.
17
Die beiden „Aquinas/Calvin-Models“ für warranted belief



De iure Frage: können religiöse Meinungen in diesem Rahmen warranted
sein? Und wie?
De facto-Frage: Sind sie faktisch warranted?
a. Das „Aquinas/Calvin Model“ und der Sensus Divinitatis: Kleine göttliche
Änderung unseres Bauplans, Wahrnehmungsvermögen für theistische
Manifestationsmeinungen, vgl. Thomas von Aquin, Summa Theol. I,q.2,a.1
Resultat: Warrant-Definition erfüllbar, warranted theistic belief ist möglich

b. Der Heilige Geist und das „Extended A/C Model“
Problem: Erbsünde hat den Sensus Divinitatis beschädigt.
Funktionen des Heiligen Geistes: (a) Reparatur des Sensus Divinitatis;
(b) Theoretische Zustimmung zu spezifisch christlichen Wahrheiten
(Dreifaltigkeit, Gottessohnschaft, Erlösung, Auferstehung etc.) insbesondere
beim Hören auf die Heilige Schrift;
(c) Freudige, engagierte Glaubenszustimmung. („A firm and certain
knowledge of God’s benevolence towards us, founded upon the truth of the
freely given promise in Christ, both revealed to our minds and sealed upon
our hearts through the Holy Spirit“, J. Calvin)
Resultat: warranted Christian belief ist möglich!
18
4.6 Zwei religionsphilosophische Konsequenzen
(i)
Einwände vom Typ „die christliche Lehre mag ja vielleicht wahr
sein, ist aber sicher nicht warranted“ sind unhaltbar.
„If Christian faith is true, it’s also warranted.”
(ii)
Kontraposition: If it’s not warranted, it’s also not true. – D.h., wer
warrant des Glaubens ausschließen wollte, müsste auch die
Falschheit der christlichen Lehre erweisen.

Anwendung auf den „Freud & Marx Complaint“ (alle Religion sei
Ergebnis psychischer / gesellschaftlicher Mechanismen und daher
falsch):


Projektion, Wunschdenken u.a. sind möglich, aber für den Christen
nicht die Erklärung erster Wahl.
Vor allem: F&M setzen die Falschheit des Christentums voraus,
zirkulär!
19
4.7 Drei Verdeutlichungen zur Rolle der RE:

RE ist keine Religionsbegründung durch religiöse
Erfahrung (wie William P. Alston); eher ein christliches
Modell, warum religiöser Erfahrung zu trauen ist.

RE ist kein Schluss auf den Theismus als beste Erklärung
(wie Swinburne), der Theismus ist primär gar keine
Erklärung für irgendetwas, PBB’s sind kein Explanandum
etc.

Religiöse Meinungen können natürlich auch abgeleitet (und
dabei warranted) sein, aber sie müssen es eben nicht.
20
4.8 Ist die de facto - Frage eigentlich gelöst?

Fazit: Bejahende Antwort auf die de iure - Frage: Christliche
Überzeugungen können warranted sein

De facto - Frage: Ist der christliche Glaube warranted?
Keine abschließende Antwort („here we pass beyond the
competence of philosophy“, WCB 499).

(D.h. auch keine “Letztbegründung” ad extra!)

Aber eine indirekte Antwort über die Widerlegung von 5
gängigen defeaters für die christliche Lehre.
(%)
21
4.8 Ist die de facto - Frage eigentlich gelöst?

(Defeater 1) Freud, Marx u.a. Projektionstheorien: Dahinter falsches
erkenntnistheoretisches Prinzip: Wenn x nicht die einzige/beste
Erklärung für religiöse Meinungen ist, dann hat der Glaube an x keinen
warrant.
Dagegen Plantinga: wir haben viele Meinungen, die keinerlei Erklärung
für irgendetwas sind, aber dennoch warrant haben.

(Defeater 2) Historisch-kritische Bibelwissenschaft: Präferenz für
traditionelle Bibelkommentierung
Stärkere HKBW (die göttliche Eingriffe a priori ausschließt): ist petitio
principii, kümmert den Christen nicht
Schwächere HKBW (völlig voraussetzungslos, ob es göttliche Eingriffe
gibt): Hilft dem traditionellen Glaubenden zwar nicht, kann aber auch
das Gegenteil nicht beweisen.
Wenig konsensuelle Resultate, Prinzip schrumpfender
Wahrscheinlichkeiten:


Ws(A & B) = Ws(A) x Ws(B)
(bei unabhängigen A, B)
22
4.8 Ist die de facto - Frage eigentlich gelöst?

(Defeater 3) Postmodernismus, Konstruktivismus, historischer
Perspektivismus u.a. Relativismen:
(i) In praxi einheitlicher, traditioneller Wahrheitsbegriff;
(ii) Riskante epistemische Situationen gehören zur conditio humana;
Postmodernisten u.a. werfen Nerven zu schnell weg;
(iii) Verwechslung: wir erzeugen vielleicht Wahrheiten, aber wir können
nicht Sätze wahr machen.

(Defeater 4) Religiöser Pluralismus:
(i) Abstinenter Pluralismus wäre selbstwiderlegend:
„wenn ich weiß, dass andere p nicht glauben,
sollte auch ich p nicht glauben“;
(ii) Es gibt warranted beliefs gegen allen äußeren Anschein;
(iii) wer gegen äußere Widersprüche warranted true beliefs hat, ist
deshalb noch nicht arrogant;
(iv) nach dem extended A/C-Model sind christliche Gläubige eben in
einer besseren epistemischen Situation.
23
4.8 Ist die de facto - Frage eigentlich gelöst?

(Defeater 5) Leid und Übel, Theodizeeproblem: Beweist nicht, dass das
Christentum logisch widersprüchlich ist. Seine Stärke als
Wahrscheinlichkeitsargument können wir auch nicht abschätzen.

Freilich: Erfahrungen von Grausamkeit u.a. können defeaters sein.

Allerdings: Bei vollständiger proper function wäre das Übel kein
defeater. Zum göttlichen Bauplan gehört es, angesichts des Übels den
Glauben nicht aufzugeben.
24
5. Umrisse einer Kritik
5.1 Naheliegende kritische Einwände gegen die RE

Stille Voraussetzungen: Theol. Begrifflichkeit, Anschluss an traditionelle
Erkenntnispraxis ( Grenze des individualistischen Bildes!)

Haben religiöse Meinungen heute (200 Jahre Religionskritik!) wirklich
noch warrant? „Epistemisch unfreundliche Umgebung“?

Auch wenn man die defeaters widerlegen kann – raubt das religiösen
Meinungen nicht ihre Basalität? ( Unverzichtbarkeit der trad.
philosophischen Theologie!)

RE als christliches Modell der spontanen religiösen Gewissheit – aber
wie entsteht reflexive, nach außen verantwortete?

Voraussetzung einer theologischen Anthropologie?
Antwort Plantingas: wäre das so schlimm?
25
5.2
Der Philosophiebegriff im Hintergrund: Plantingas
„Advice to Christian Philosophers“ (1983)
(1)
„Informierte Autonomie“ von sonstiger Philosophie; Funktion für die
christliche Gemeinschaft; mehr Selbst- und Gottvertrauen.
(2)
„It is also perfectly proper to start from what we know as Christians.“
- „Was folgt für Bereich XY, falls der Glaube wahr ist?”
- Keine fruchtlosen Vermittlungsprojekte „in terms of ...“
(3)
Christliche Grundoption bestimmt inhaltliche Präferenzen für bestimmte
philosophische Projekte: Willensfreiheit, agent causation, Realismus in Ethik
und Erkenntnistheorie, ...
(4)
Was ist daran „Reformed“? –
Theologische Akzentuierungen; die Erkenntnistheorie; der Philosophiebegriff!
%
26
5.2 Plantingas „Advice to Christian Philosophers“ (1983)
(4)
Eine deklariert „Augustinische“ Christliche Philosophie:
„Der Augustinische (und protestantische) Philosoph mag Fragen stellen wie
diese: Was impliziert der christliche Glaube bezüglich der menschlichen
Natur, des Wissens, des Guten, der Kausalität, der Naturgesetze, der
Moral, bezüglich Universalien, Propositionen, Mengen, möglicher Welten,
und tausend anderer Themen? Angenommen, ich komme zu einer
bestimmten philosophischen Meinung durch ein Argument, bei dem eine
essentielle Prämisse aus dem Glauben stammt. Daraus folgt nicht, sagt
der Augustinist, dass meine Konklusion mehr Theologie als Philosophie ist.
Man kann das berechtigt als Philosophie ansehen, weil es eben eine
Antwort auf eine der Fragen ist, die Philosophen stellen und beantworten –
auch wenn meine Antwort wesentlich vom Glauben abhängt.“
Kommentar zu „Fides et Ratio“ (1999)
(5)
Plantinga zum Katholischen Standardmodell (Thomas v. Aquin, Fides
et Ratio): Harmonie von Glaube und Vernunft, Unterschätzung des
Einflusses der Erbsünde. Fragwürdige Grundannahme, durch eigene
Vernunft Eingesehenes sei irgendwie besseres Wissen als das von außen,
durch Zeugnis und Autorität Vermittelte.
27
5.3
Warum ich dennoch lieber „Thomist“ bliebe

„Augustinische“ CP macht auch vor Einzelwissenschaften nicht Halt, siehe
etwa Plantingas Stellung zur Evolutionsdebatte

Richtig an augustinischer CP: Unmöglichkeit „voraussetzungsloser“
Philosophie und „wissenschaftlicher Weltanschauung“; positive / negative
Interpretationstendenzen bezüglich verschiedener Strömungen nie völlig
ausklammerbar

Richtig auch die Kritik von van Inwagen u.a.: seltsame öffentliche
Doppelstandards der Toleranz für weltanschauliche Voraussetzungen

Vom Reiz christlicher „Parallelargumentation“ (vgl. Plantingas Advice, (3)):
ex ante heuristische Präferenz für Antinaturalismus, Agenskausalität, etc.,
vielleicht auch aus dem Glauben. Aber dann argumentative Begründung
rein philosophisch. (Thomistisch!)

Insgesamt also: aus Dialogperspektive Präferenz für thomistische
Konzeption von CP
28
6. Zum Weiterlesen

Virtual Library of Christian Philosophy: http://www.calvin.edu/
academic/philosophy/virtual_library/

The Epistemology Research Guide:
http://www.ucs.louisiana.edu/~kak7409/EpistemologicalResearch.htm

Plantingas spirituelle Autobiographie:
http://www.calvin.edu/125th/wolterst/p_bio.pdf

Website: Alvin Plantinga - The Analytic Theist:
http://www.homestead.com/philofreligion/Plantingapage.html

Kelly J. Clark (Hg.), Philosophers who believe. The spiritual journeys of
11 leading thinkers. Downers Grove 1993.

Thomas V. Morris (Hg.), God and the philosophers: the reconciliation of
faith and reason. Oxford u.a. 1995.

Winfried Löffler, Einführung in die Religionsphilosophie. Darmstadt
2006.
29
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