Galton-Watson

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Galton-Watson-Bäume
Johannes Cuno
Sommersemester 2005
Im folgenden Dokument wollen wir untersuchen, wie sich die Generationengrößen in einer Population auf lange Sicht entwickeln, wenn jedes Individuum
mit der gleichen Verteilung aber vollkommen unabhängig Nachkommen hervorbringt. In unserem Modell beschränken wir uns auf diskrete Zeit, gehen also
davon aus, dass sich alle Individuen einer Generation zeitgleich fortpflanzen.
Wir beginnen in Generation Null mit einem einzigen Individuum.
1
Vorbereitung
Neben dieser Ausarbeitung stehen die Folien, die ich im Rahmen meiner Präsentation verwendet habe, im Netz zur Verfügung. Mit ihrer Hilfe haben wir uns
gemeinsam überlegt, wie die Bäume in unserem Modell wachsen und wie die
entsprechenden Generationengrößen aussehen. Dem Leser seien an dieser Stelle
die Folien 2 bis 31 besonders ans Herz gelegt.
2
2.1
Der Galton-Watson-Prozess
Definition
P
Seien pk ∈ [0, 1] (wobei k ∈ N0 ) mit
pk = 1 und sei L eine N0 -wertige
Zufallsvariable mit der entsprechenden Verteilung:
Ws ({L = k}) = pk
1
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(n)
Seien (Li )i,n∈N unabhängige Kopien unserer Zufallsvariablen L. Dann wird
der Galton-Watson-Prozess (Zn ) induktiv definiert durch:
Z0 ≡ 1 und Zn+1 =
Zn
X
i=1
Größe der (n+1)-ten Generation
(n+1)
Li
I
@
@
@
Anzahl der Nachkommen des i-ten
Individuums der n-ten Generation.
2.2
Bemerkungen
1. Der Galton-Watson-Prozess (Zn ) ist eine Markovkette.
Begründung. Nach unserer Definition ist die Anzahl der Nachkommen
für jedes Individuum unabhängig und identisch verteilt. Wenn ich nun eine
bestimmte Generationengröße Zn kenne, dann ist es für die Verteilung der
darauffolgenden Generationengröße Zn+1 vollkommen ohne Bedeutung,
auf welchem Wege ich zu meiner ursprünglichen Generationengröße Zn
gekommen bin.
2. Wenn die Generationengröße Zn einmal den Wert 0 angenommen hat, so
wird sie von diesem Zeitpunkt an offensichtlich immer den Wert 0 haben.
Das Ereignis {∃ n ∈ N0 : Zn = 0} nennen wir Aussterben.
3. Auf den folgenden Seiten werden wir mit der Erzeugendenfunktion unserer
Zufallsvariablen L arbeiten. Sie lautet:
f : [0, 1] → [0, 1] mit
∞
X
f (s) = E sL =
pk sk
k=0
2.3
Fragen
Nachdem wir uns ein wenig mit dem Galton-Watson-Prozess vertraut gemacht
haben, stellen sich einige Fragen. Seien p0 , p1 , p2 . . . gegeben.
1. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir irgendwann aussterben?
2. Gehen wir einfach mal davon aus, wir wüssten, dass wir nicht aussterben.
Folgt daraus dann schon Zn → ∞?
Zusatzfrage. Kann man im Falle Zn → ∞ vielleicht sogar schon eine Aussage
darüber machen, wie schnell die Zn wachsen?
3
3.1
Erste Antworten
Antwort auf die zweite Frage
Lemma. Sei p1 6= 1. Dann gilt, gegeben dem Ereignis, dass der Galton-WatsonProzess (Zn ) nicht ausstirbt, Zn → ∞ fast sicher.
Beweis. (Zn ) ist eine Irrfahrt auf den nichtnegativen ganzen Zahlen. Wir zeigen
zunächst, dass alle Zustände außer 0 transient sind. Im Falle p0 = 0 ist das klar.
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Im Falle p0 > 0 besteht die Möglichkeit auszusterben.
Eine notwendige Bedingung dafür, dass unser Galton-Watson-Prozess bei Start
im Zustand n ∈ N0 \{0} nach endlicher Zeit zurückkehrt, ist, dass er nicht sofort
ausstirbt, was mit Wahrscheinlichkeit pn0 passiert. Es gilt also:
Wsn (Rückkehrzeit ist endlich) ≤ 1 − pn0 < 1
Daraus folgt, dass alle Zustände n ∈ N0 \ {0} transient sind. Nun können wir
die Behauptung zeigen, denn hiermit folgt für alle n ∈ N0 \ {0}:
Wsn (Anzahl der Besuche in n ist endlich) = 1
Wenn also (Zn ) nicht ausstirbt, das heißt in 0 absorbiert wird, wird es jedes
k ∈ N fast sicher in endlicher Zeit übertreffen und divergiert somit fast sicher
gegen ∞.
Zeit
6•
In jedem einzelnen Zustand gibt
es nur endlich viele Besuche.
•
•
•
•
•
•
•
•
0 1 2 3 4
k+1
- N
0
3.2
Antwort auf die erste Frage
Satz. Es gilt:
E sZn = f ◦ . . . ◦ f (s) =: f (n) (s)
| {z }
n mal
Beweis. Rechnen wir nach:
h h PZn−1 ii
E s Zn
= E E s i=1 Li Zn−1
bedingte Erwartung
E[X] = E[E[X | Y ]]
Li sind unabhängig
und identisch verteilt
ZQ
n−1
i=1
= E
Unabhängigkeit der
Zufallsvariablen
##
= E E
sLi Zn−1
i=1
#
"
ZQ
n−1
L E s i Zn−1
= E
" "
"
ZQ
n−1
i=1
E s Li
#
i
h Zn−1
= E E s Li
= E f (s)Zn−1
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Nun können wir beobachten:
E s Zn
= E f (s)Zn−1 = E f (2) (s)Zn−2
= . . . = E f (n) (s)Z0 = E f (n) (s) = f (n) (s)
Corollar. Es gilt:
Ws(Aussterben) = lim f (n) (0) =: q
n→∞
Beweis. Beobachte zunächst:
Aussterben bis zur Zeit n
= {Zn = 0} =
n
S
{Zk = 0} ↑
k=1
Mit der σ-Stetigkeit folgt:
Ws(Aussterben)
∞
S
{Zk = 0} = Aussterben
k=1
= lim Ws ({Zn = 0}) = lim E I{Zn =0}
n→∞
n→∞
= lim E 0Zn = lim f (n) (0)
n→∞
n→∞
Diese Aussage ist auf den ersten Blick ziemlich überraschend: Wir können die
Wahrscheinlichkeit, dass unser Galton-Watson-Prozess (Zn ) ausstirbt, annähern,
indem wir von der Stelle 0 ausgehen und nun die Abbildung f : [0, 1] → [0, 1]
mehrfach hintereinander ausführen. Der folgende Satz verrät, wie wir diesen
Grenzwert ganz einfach ausrechnen können. Zuvor empfehle ich jedoch, einen
Blick auf die Folien 32 bis 58 der Präsention zu werfen.
Satz. Sei p1 6= 1. Dann gelten die folgenden Aussagen:
(i) q ist der kleinste Fixpunkt von f .
(ii) q = 1 ⇔ f 0 (1) ≤ 1
Beweis. Die Erzeugendenfunktion f ist stetig und streng monoton wachsend.
Aus der Stetigkeit von f folgt:
f (q) = f lim f (n) (0) = lim f (n+1) (0) = lim f (n) (0) = q
n→∞
n→∞
n→∞
Wir wissen also, dass q Fixpunkt der Erzeugendenfunktion f ist. Noch zu zeigen
ist, dass q auch der kleinste Fixpunkt ist. Sei nun o.B.d.A. p0 = f (0) > 0. Dann
folgt aus der strengen Monotonie von f :
0 < f (0) < f (2) (0) < f (3) (0) < . . .
Angenommen, es gibt einen Fixpunkt s ∈ [0, 1] mit f (n) (0) ≤ s < f (n+1) (0).
Dann gilt jedoch:
f (n) (0) ≤ s und f (f (n) (0)) > f (s)
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Dies steht im Widerspruch zur Monotonie von f . Es folgt, dass es kein solches
s geben kann, also dass q der kleinste Fixpunkt von f ist.
Die zweite Aussage folgt unmittelbar aus der Tatsache, dass f konvex und p 1 6= 1
ist. An dieser Stelle sei noch einmal auf die Folien 32 bis 58 der Präsentation
verwiesen.
Hinweis. Mit f 0 (1) bezeichnen wir die linksseitige Ableitung der Funktion f an
der Stelle 1. Man kann sie wie folgt berechnen:
f 0 (1) = lim
h↓0
= lim f 0 (s)
s↑1
= lim
Mittelwertsatz
f (1)−f (1−h)
h
∞
P
s↑1 k=0
=
Lemma von der
∞
P
pk · ksk−1
lim pk · ksk−1
k=0 s↑1
= E [L] =: m
monotonen
Konvergenz
Sprechweise. Wir nennen unseren Galton-Watson-Prozess:
subkritisch
kritisch
superkritisch
3.3
wenn m < 1
wenn m = 1
wenn m > 1
Antwort auf die Zusatzfrage
Um unsere Zusatzfrage, ob man im Falle Zn → ∞ vielleicht sogar schon eine
Aussage darüber machen kann, wie schnell die Zn wachsen, zu beantworten,
stellen wir zunächst folgende Beobachtung an.
Satz. Wenn 0 < m < ∞ ist, dann ist (Zn /mn ) ein Martingal.
Beweis. Rechne nach:
i
h
Zn+1 E m
n+1 Zn
= E
=
=
=
1
mn+1
1
mn+1 E
1
mn+1
1
mn+1
Zn
P
i=1
Z
n
P
Zn
P
i=1
Zn
P
i=1
i=1
(n+1) Li
(n+1)
Li
Zn
Zn
i
h
(n+1) E Li
Zn
m =
Zn ·m
mn+1
=
Zn
mn
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Corollar. Es gilt:
E [Zn ] = mn
Beweis. Wir wissen, dass (Zn /mn ) ein Martingal ist. Also gilt:
Zn
Z0
n
n
E [Zn ] = m · E
=m ·E
= mn · E [1] = mn
mn
m0
n
Bemerkung. Unser Martingal (Zn /m ) ist nichtnegativ, also konvergiert es
nach dem Konvergenzsatz für Martingale fast sicher gegen eine endliche Zufallsvariable W . Das heißt:
Zn
→ W fast sicher mit 0 ≤ W < ∞
mn
Wir unterscheiden nun zwei Fälle: Wenn W > 0 ist, wächst die Folge (Zn )
bis auf einen zufälligen Faktor wie (mn ). Wenn aber W = 0 ist, konvergiert
der Quotient Zn /mn gegen 0, was nichts anderes heißt, als dass die Folge (Zn )
langsamer wächst als (mn ).
Im Moment können wir allerdings noch nicht absehen, wie die Zufallsvariable W
verteilt sein wird, wann sie echt positive Werte annimmt und wann sie den Wert
0 annimmt. Im nächsten Abschnitt kümmern wir uns genau um diese Frage.
4
Untersuchung der Zufallsvariablen W
Vereinbarung. Von nun an sei stets p1 6= 1.
4.1
Erbliche Eigenschaften
Definition. Sei T ein Galton-Watson Baum und seien T (1) , T (2) , . . . , T (Z1 ) die
Nachkommenbäume der Individuen der ersten Generation. Eine Eigenschaft des
Galton-Watson-Baumes T heißt erblich, wenn gilt:
(i) T hat diese Eigenschaft ⇒ T (1) , T (2) , . . . , T (Z1 ) haben diese Eigenschaft.
(ii) Alle endlichen Bäume haben diese Eigenschaft.
Lemma. Jede erbliche Eigenschaft hat entweder Wahrscheinlichkeit 0 oder
Wahrscheinlichkeit 1, gegeben dem Ereignis, dass der entsprechende Baum nicht
ausstirbt.
Beweis. Betrachte eine beliebige erbliche Eigenschaft und definiere:
A := {Bäume mit dieser Eigenschaft}
Es gilt:
Ws ({T ∈ A}) = E [Ws ({T ∈ A} | Z1 )]
≤ E Ws T (1) ∈ A, . . . , T (Z1 ) ∈ A | Z1
Satz von der totalen
Wahrscheinlichkeit
= E Ws T (1) ∈ A | Z1 · · · Ws T (Z1 ) ∈ A | Z1
h
i
= E Ws ({T ∈ A})Z1 = f (Ws ({T ∈ A}))
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Zu Anfang dieses Abschnittes haben wir vereinbart, dass p1 6= 1. Wir wissen also,
dass die Erzeugendenfunktion f strikt konvex ist mit f (q) = q und f (1) = 1.
Anhand des Graphen von f kann man erkennen:
Ws ({T ∈ A}) ∈ [0, q] ∪ {1}
Andererseits gilt, da alle endlichen Bäume zu A gehören:
Ws ({T ∈ A}) ≥ q
Es folgt die Behauptung.
Sätzchen. Sei 0 < m < ∞. Dann gilt, gegeben dem Ereignis, dass (Zn ) nicht
ausstirbt, entweder W = 0 fast sicher oder W > 0 fast sicher.
Beweis. Das Ereignis {W = 0} ist offensichtlich erblich, die Behauptung folgt
unmittelbar aus dem eben bewiesenen Lemma.
Nun sind wir schon ein Stückchen klüger. Wir wissen, dass W entweder fast
sicher echt positiv oder fast sicher 0 ist. Dies gibt Anlass zur Hoffnung, dass wir
unsere Frage vom Ende des dritten Abschnitts doch noch beantworten können.
4.2
Ausblick
Kesten-Stigum-Theorem (1966). Sei 0 < m < ∞. Dann sind die folgenden
Aussagen äquivalent:
(a) Ws({W = 0}) = q
(b) E[W ] = 1
(c) E[L log+ L] < ∞
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Besonderes Augenmerk sollten wir auf die Folgerung (c) ⇒ (a) legen. Wenn ein
Galton-Watson-Prozess (Zn ) mit 0 < m < ∞ die Bedingung E[L log+ L] < ∞
erfüllt und wir einmal davon ausgehen, dass er nicht ausstirbt, dann wissen wir
bereits, dass er fast sicher bis auf einen zufälligen Faktor so wächst wie (mn ).
Doch selbst für Galton-Watson-Prozesse, die dieser schwachen Bedingung nicht
genügen, gilt eine ähnliche Aussage.
Seneta-Heyde-Theorem. Sei 0 < m < ∞. Dann gibt es Konstanten cn sodass
gilt:
(a) lim Zn /cn existiert fast sicher in [0, ∞)
(b) Ws({lim Zn /cn = 0}) = q
(c) cn+1 /cn → m
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