Forscher erfinden lebende Geheimschrift

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Forscher erfinden lebende Geheimschrift
Von Nadine Poniewaß
Geheime Depeschen gibt es nicht nur bei WikiLeaks: US-Forscher
haben eine unsichtbare Tinte aus gentechnisch veränderten
Bakterien entwickelt. Die kleinen Geheimnisträger geben ihre
Botschaft erst auf Kommando preis - und die Nachrichten sollen
sich sogar selbst zerstören können.
Schon von Jahrtausenden wurden Botschaften heimlich übermittelt. Sie
wurden mit Wachs überzogen, mit Pfeilen verschossen, in Lederriemen
geritzt oder unter die Haare tätowiert. Eine der berühmtesten Methoden
stammt aber aus dem 5. Jahrhundert. Damals entdeckten Gelehrte etwas,
das viele Kinder bis heute prägt: unsichtbare Tinte. Die Geheimtinte, die
oft aus Zitronensaft besteht, verfärbt sich erst durch Wärme oder
chemische Stoffe bräunlich - und wird so sichtbar.
Seit Beginn des digitalen Zeitalters werden derartige Methoden zum
Verschlüsseln und Verbergen durch komplizierte Codes ersetzt. Doch nun
haben Forscher der Tufts University in Medford, Massachusetts, die
Geheimtinte neu erfunden.
Im Fachmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences"
berichten die Wissenschaftler um den Chemiker David Walt, dass sie
Bakterienstämme erzeugt haben, die in sieben verschiedenen Farben
leuchten - und sensible Informationen transportieren können.
Dafür haben sich die US-Chemiker gewöhnliche Escherichia-coli-Bakterien
zunutze gemacht. Indem sie das Erbgut der Mikroben änderten,
produzierten diese fluoreszierenden Proteine, die erst unter UV-Licht
leuchten. Die Leuchtgene, die dafür in die DNA der Darmbakterien
eingeschleust werden, stammen ursprünglich meist von bestimmten
Quallen. Jeder der sieben Bakterienstämme leuchtet dabei in einer
eigenen Farbe und wird so zur lebenden Tinte, mit der geheime
Botschaften geschrieben werden können.
SPAM durch leuchtende Bakterienstämme
Mit diesen sieben Farben lassen sich sensible Informationen verschlüsseln.
Dazu entwickelten die Forscher ein eigenes Kodierungssystem: Darin setzt
sich jeder Buchstabe aus zwei Farben zusammen. So stehen rot und grün
beispielsweise für den Buchstaben "S", zweimal gelb für ein "T". Auf diese
Weise lassen sich 49 verschiedene Kombinationsmöglichkeiten generieren
- das reicht für das Alphabet, die Zahlen von Null bis Neun und ein paar
Symbole.
Die Forscher um Walt ließen die Bakterien beispielsweise den Satz "this is
a bioencoded message from the walt lab at tufts university 2011" (Dies ist
eine biologisch verschlüsselte Nachricht aus dem Walt-Labor der Tufts
Universität 2011) schreiben. Ihr Projekt nannten sie "SPAM":
"Steganography by Printed Arrays of Microbes", das Verbergen von
Botschaften durch eine bestimmte Anordnung der Mikroben.
Um mit farbig leuchtenden Bakterien ganze Sätze schreiben zu können,
lässt man diese punktförmig in winzigen Schalen mit Nährboden wachsen,
die auf einer größeren Platte hintereinander angeordnet sind. So entsteht
ein Muster, das anschließend auf einen nährstoffreichen Nitrozellulosefilm
gestempelt wird, bevor es der Empfänger erhält. Zu sehen ist auf dem
dünnen Papier zunächst einmal: nichts.
Wie bei "Mission Impossible"
Die Folie bleibt so lange leer, bis die Nachricht durch einen Stoff namens
Isopropyl-ß-D-thiogalactopyranosid (IPTG) aktiviert wird. Damit werden
die Bakterien angeregt, die leuchtenden Proteine zu produzieren, was eine
Weile dauert. Wenn der Empfänger dann die geheime Botschaft unter
Fluoreszenz-Licht hält und den Code kennt, kann er das Pünktchen-Muster
auf der Platte entschlüsseln.
Doch das genetische Verändern der Bakterienstämme bestimmt nicht nur
ihre Farbe, sondern auch auf welchem Nährboden sie am besten wachsen.
Dadurch kann die Nachricht noch sicherer verschlüsselt werden - zum
Beispiel mit Bakterien, die gegen ein bestimmtes Antibiotikum resistent
sind. Ist dieses Antibiotikum beispielsweise Ampicillin, leuchtet die
geheime Botschaft erst auf, wenn die Schrift auf diese Chemikalie trifft.
Laut Walt sei es auch möglich, dass die Bakterienstämme im Fall des
falschen Nährbodens eine Fehlernachricht anzeigen: "Sie haben den
falschen Code verwendet." Außerdem könne er sich vorstellen, E.-coliStämme genetisch so zu verändern, dass sie ihre Leuchteigenschaften im
Laufe der Zeit verlieren. So ließe sich eine weitere Sicherheitsstufe
einbauen, weil sich die Nachrichten wie im Film "Mission Impossible"
selbst zerstören, schreiben die Forscher. Das ist aber noch absolute
Grundlagenforschung.
Ähnliche Ansätze mit Hilfe von Gentechnik gibt es bereits: Bereits seit
etlichen Jahren werden Botschaften direkt in DNA-Sequenzen geschrieben,
zum Beispiel um gentechnisch veränderte Organismen mit einem
Wasserzeichen vor Konkurrenten zu schützen.
Dafür ist die Methode von Walt und seinen Kollegen besonders einfach zu
nutzen. Man braucht kein Sequenzierungsgerät, nur FluoreszenzMikroskope. Jedes Labor sei somit theoretisch dazu in der Lage, auf diese
Weise geheime Nachrichten zu schreiben.
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