update 03-08

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med update
Nr. 03/08
März 2008
-
Allgemeines
„Die Viruslast: wovon reden wir?“
„Die Aussage der Schweizer EKAF“
„Wissenschaftliche Aspekte“
„Psychosoziale Aspekte“
„Mediale Aspekte und Stellungnahmen“
Allgemeines:
Liebe LeserInnen,
In den letzten Wochen hat es einigen Wirbel um die Frage bezüglich des HIVÜbertragungsrisikos bei einer Viruslast unterhalb der Nachweisgrenze gegeben.
Initiiert wurde die Diskussion durch eine Aussage der Schweizer Kommission für
Aidsfragen Ende Januar 2008.
Das med update möchte daher in dieser Ausgabe einen Schwerpunkt auf die Thematik
setzten und versuchen, die Sachlage zu durchleuchten.
Außerdem sende ich Ihnen mit diesem med update das neue Seminarprogramm der
Aids Hilfe Wien zu.
Besonders herzlich möchte ich Sie zu der Veranstaltung „Konferenz-Update“ im
Anschluss an die 12. Münchner AIDS Tage im März 2008 einladen.
Die Informationsveranstaltung wird am Donnerstag, den 20. März 2008 von 13.30 bis
14.30 Uhr im Seminarzentrum der Aids Hilfe Wien stattfinden, um Anmeldung unter
[email protected] wird gebeten.
Selbstverständlich werden Sie als med update LeserInnen ebenfalls über diesen
Kongress informiert werden.
Mit freundlichen Grüßen,
Mag. Birgit Leichsenring
Med. Info / Doku der AIDS-Hilfen Österreichs
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[email protected]
Medieninhaber: Die AIDS-Hilfen Österreichs, c/o Aids Hilfe Wien, Mariahilfer Gürtel 4, 1060 Wien
© Die AIDS-Hilfen Österreichs, 2008
Text: Mag. Birgit Leichsenring
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„ Die Viruslast: wovon reden wir? “
Unter der Viruslast versteht man die tatsächliche Anzahl der freien HI-Viren in
Körperflüssigkeiten HIV-positiver Menschen. Gemessen wird diese Anzahl der
Viren mit einer PCR (Polymerase-Chain-Reaction), ein Verfahren bei dem die Menge
der viralen Erbsubstanz (RNA) bestimmt wird. Angegeben wird der Wert in Anzahl
HIV-RNA-Kopien/ml.
Neben der Anzahl der CD4-Zellen ist die Viruslast zu einem wichtigen Marker
geworden. Sie liefert Hinweise über die Krankheitsprogression, die Notwendigkeit
eines Therapiestarts oder Therapiewechsels und natürlich über den Erfolg einer
Therapie. Je höher die Viruslast ist, desto wahrscheinlicher kommt es zu einem
Abfall der CD4-Zellzahl und zu einem Voranschreiten der Infektion, bzw. zu einer
AIDS-Erkrankung. Eine Messung der Viruslast im Blut gehört deshalb mittlerweile
zu den Standartkontrollen bei HIV-positiven PatientInnen.
Im Allgemeinen spricht man bei Werten von über 100.000 RNA-Kopien/ml von einer
hohen Viruslast, bei unter 10.000 Kopien/ml von einer niedrigen Viruslast. (Zum
Vergleich: vor allem in der Zeit kurz nach dem Infektionsereignis ist die Viruslast
enorm hoch und kann Werte von zig Millionen Kopien/ml erreichen!)
Diese Werte sind natürlich nur Richtwerte und ihre Auswirkungen auf Immunstatus
und Gesundheitszustand der einzelnen PatientInnen sind individuell verschieden.
Mit Hilfe der HIV-Therapie ist es mittlerweile möglich, die Replikation der HI-Viren
derart zu inhibieren, dass die Viruslast unter die sogenannte Nachweisgrenze fällt.
Zur Zeit liegt diese Nachweisgrenze bei ca. 50 HIV-RNA-Kopien/ml. Dieser
Grenzwert ist schlicht durch die verfügbaren Methoden zur Viruslast-Bestimmung
bedingt.
Die Viruslast ist nicht in allen Körperflüssigkeiten gleich hoch. Sie korrelieren
durchaus, sind aber nicht immer ident. Hier spielt unter anderem die Menge der
antiretroviralen Medikamente im Körper eine Rolle. Die Konzentrationen der
Wirkstoffe weisen in Blut, Genitalflüssigkeit oder z.B. Hirn- und
Rückenmarksflüssigkeit
deutliche
Unterschiede
auf.
Zudem
sind
geschlechtsspezifische Unterschiede der Medikamentenkonzentration in den
verschiedenen Flüssigkeiten zu beobachten. Somit ergeben sich auch
unterschiedliche Auswirkungen auf die Menge der HI-Viren.
Die Vorraussetzung für eine Übertragung der Viren ist jedoch nicht nur auf die reine
Viruslast in der infektiösen Körperflüssigkeit zu beschränken. Auch die Art der
Exposition und natürlich die Empfänglichkeit der HIV-negativen Person spielen eine
Rolle.
So kann z.B. die Menge an Virus, die im Regelfall für eine sexuelle Übertragung nicht
ausreicht, bei einer Übertragung durch direktes Einbringen in die Blutbahn (Injektion
mit kontaminierten Spritzen) trotzdem ausreichend sein.
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Oder die Virusmenge kann für eine Infektion ausreichen, sollten die HIV-negativen
SexualpartnerInnen eine erhöhte Empfänglichkeit aufweisen. Hervorgerufen wird
eine höhere Empfindlichkeit z.B. durch Läsionen (Verletzung/Schädigung) der
Genital- oder Anal-Schleimhaut. Sie begünstigen das Eindringen von HI-Viren und
machen damit eine Infektion wahrscheinlicher. Solche Läsionen treten z.B. bei einer
Syphilis oder einem Tripper auf.
Aber auch bei HIV-positiven SexualpartnerInnen spielen zusätzliche Infektionen eine
große Rolle. Sie können die Viruslast kurzfristig erhöhen und damit die Infektiösität
steigern.
Wenn also andere sexuell übertragbare Krankheiten vorliegen, wird das HI-Virus
leichter übertragen.
„ Aussage der Schweizer EKAF “
Ende Januar 2008 formulierte die Schweizer Eidgenössische Kommission für AIDSFragen (EKAF) einen Beschluss, der zu einigen Diskussionen führt. Formuliert
wurden bestimmte Rahmenbedingungen, unter welchen es möglich wäre, in einer
diskordanten Partnerschaft (ein/e PartnerIn HIV-positiv und ein/e PartnerIn HIVnegativ) auf die Verwendung des Kondoms als Schutzmaßnahmen vor HIV zu
verzichten.
Folgende 3 Kriterien müssen laut EKAF erfüllt werden, damit das HI-Virus sexuell
nicht weitergegeben werden kann:
•
•
•
Es muss sich um eine feste Partnerschaft handeln.
Der/die HIV-positive PartnerIn muss die antiretrovirale Therapie konsequent
einhalten und seit 6 Monaten muss die Viruslast stetig unter der Nachweisgrenze
liegen.
Es dürfen keine anderen sexuell übertragbaren Krankheiten vorliegen.
Sollte dieses Szenario eintreffen, kann von den behandelnden ÄrztInnen die Aussage
getroffen werden, das Paar könne nun auf das Kondom verzichten, da kein
Infektionsrisiko vorliegen würde.
Nicht nur die wissenschaftliche Basis, auch psychosoziale Aspekte und natürlich der
Umgang der Medien mit diesem Beschluss der EKAF sind einen kritischen Blick
wert.
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„ Wissenschaftliche Aspekte “
Es ist selbsterklärend, dass eine niedrige Viruslast auch eine geringere Infektiösität
der HIV-positiven Person bedeutet. Aber in wie weit ist damit die
Wahrscheinlichkeit einer Übertragung des HI-Virus reduziert? Sind Übertragungen
unterhalb einer gewissen Viruslast im Blut noch wahrscheinlich und wenn ja, in
welchem Ausmaß? Kann dieses Risiko abgeschätzt oder gar bewiesen werden?
Zur Zeit läuft eine große internationale Studie, in der das Übertragungsrisiko
innerhalb einer Partnerschaft untersucht wird. Es werden heterosexuelle diskordante
feste Partnerschaften, bei denen HIV-positive PartnerInnen unter Therapie stehen,
mit Paaren ohne Therapie verglichen. Ergebnisse sollten 2009/2010 zu erwarten sein.
Ein derartiger Studienaufbau für gleichgeschlechtliche Paare ist bislang nicht
geplant.
In kleineren Studien (TeilnehmerInnenzahl bis ca. 400) konnte bislang kein Fall einer
HIV-Übertragung bei einer Viruslast unter der Nachweisgrenze beobachtet werden.
Aber Achtung: auch hier wurden nur diskordante heterosexuelle und monogame
Paare beobachtet. Und dies in einem statistisch nicht wirklich relevanten Ausmaß.
Ebenfalls zitiert wird das Schweizer Programm „License to Love“. Hier haben
diskordante heterosexuelle Paare zu bestimmten Zeitpunkten ungeschützten
Geschlechtsverkehr, um so auf natürliche Weise ein Kind zu zeugen. Der Erfolg ist
gut, es kam bislang keine HIV-Übertragung vor, allerdings sind auch hier die Zahlen
zu gering, um eine weitergreifende Aussage zu treffen.
Es gibt allerdings keine Studien in Bezug auf das Übertragungsrisiko unter Therapie
außerhalb des Kontextes einer festen monogamen Beziehung. Wie sollte man auch
die Infektionsrisiken von wechselnden Partnern evaluieren?
Generelle Beobachtungen zeigen in Ländern mit Zugang zu HIV-Therapie eine
verminderte Übertragungsrate in Bezug auf die Gesamtpopulation. Inwieweit dies
auf die Therapie (und damit auch die Viruslast) an sich zurück zuführen ist, ist
schwierig zu bestimmen. Kann ein Effekt, der auf eine Gesamtbevölkerung bezogen
ist, auf die individuelle Basis umgelegt werden?
Insgesamt kann man sagen, dass die Grundlage wissenschaftlich eigentlich nicht
fundiert genug ist, um die generelle Aussage zu treffen: „Bei einer Viruslast unter
der Nachweisgrenzen, wird HIV sexuell nicht übertragen.“
Bislang ist zwar noch kein dokumentierter Fall im deutschsprachigen Raum bekannt,
bei dem es zu einer Übertragung kam, aber reicht ein fehlender Beleg aus, um das
Gegenteil zu beweisen?
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Zusätzlich zu der Viruslast werden andere sexuell übertragbaren Krankheiten
erwähnt. Es ist ebenfalls selbsterklärend, dass eine zusätzliche Infektion das
Übertragungsrisiko erhöht. Denn durch eine Syphilis oder ein Tripper z.B. kann die
Viruslast der HIV-positiven PartnerInnen steigen. Umgekehrt sind HIV-negative
Personen empfindlicher gegenüber einer HIV-Exposition.
Doch was bedeutet das in der Praxis? Wie wird das Screening auf solche weiteren
Krankheiten umgesetzt? In welchem Maße ist eine ständige Kontrolle beider
PartnerInnen sinnvoll und vor allem durchführbar?
„ Psychosoziale Aspekte “
Betrachtet man den Beschluss der EKAF auf psychosozialer Ebene, stellen sich
ebenfalls viele Fragen.
Auffallend ist z.B. die Formulierung einer festen Partnerschaft. Erscheint nicht das
monogame traditionelle Partnerschaftsmodell eher überholt? Inwieweit ist dieses
Modell heutzutage noch realistisch?
Ein weiterer Punkt betrifft die medizinische Überwachung der Viruslast und des
Status bezüglich anderer sexuell übertragbarer Krankheiten. Ab welchem Punkt sind
beide PartnerInnen stetig in die Befunde des/der Anderen involviert? Entsteht
daraus eine Art Verpflichtung, die PartnerInnen immer und ohne Ausnahme in den
eigenen Gesundheitszustand einzuweihen? Wie würde sich eine Veränderung des
Status auf eine Beziehung auswirken?
Auch muss man sich fragen, inwiefern sich der emotionale Druck in einer
diskordanten Beziehung verschiebt. Sollte der/die HIV-negative Partner/in sich trotz
dieser Kriterien nicht dem Risiko aussetzten wollen, welche Folgen hat das für das
Vertrauensverhältnis der Beziehung? Ist der Verzicht auf das Kondom in diesem
Setting als „Liebesbeweis“ zu werten und dementsprechend ein Bestehen auf das
Kondom als Ablehnung?
Ist eine ständige komplexe Kommunikation zwischen den PartnerInnen und den
MedizinerInnen nachhaltig durchführbar? Wie schaut es mit begleitender
psychologischer Betreuung aus und könnten behandelnde ÄrztInnen genügend
individuelle Zeit aufbringen, um alle Fragen zu diskutieren?
Auch die juristische Lage ist vollkommen unklar. Welchen rechtlichen Bestand hätte
eine solche interne Übereinkunft zwischen PartnerInnen und ÄrztInnen in
Anbetracht der österreichischen Rechtslage (§178,179 StGB)?
Allein diese beispielhaft aufgeworfenen Fragen zeigen sehr deutlich, dass es sich um
eine extrem komplexe Situation handelt, die hier angerissen wird.
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„ Mediale Aspekte und Stellungnahmen“
Dass die korrekte Kommunikation dieser Aussage der EKAF schwierig ist, hat sich
bereits gezeigt.
Es wurden durchaus Artikel veröffentlicht, in denen überwiegend Schlagwörter
verwendet wurden, eine genauere Auseinandersetzung mit dem Thema jedoch nicht
(oder nur auszugsweise) stattfand. Wie kann gesteuert werden, dass mediale
Verarbeitung des Themas wichtige Aspekte nicht außer Acht lässt? Dass sowohl die
einzelnen Rahmenbedingungen, als auch die exakte Zielgruppe korrekt
kommuniziert wird?
Es muss auf jeden Fall verhindert werden, dass sich in die Medien Schlagzeilen wie
“ohne Kondom – kein Risiko mehr“ finden und damit Menschen falsche Hoffnungen
gemacht werden, bzw. sie dazu verleitet werden, von sicheren Safer Sex Praktiken
Abstand zu nehmen!
Dieser sehr offensichtliche Einwand hat inzwischen nicht nur auf nationaler Ebene
zu Reaktionen geführt. So distanzierte sich z.B. der nationale Aidsrat Frankreichs
klar von den Einschätzungen der Schweizer Kommission.
Auch der EU-Gesundheitskommissar ging auf Distanz und merkte an, man müsse
vorsichtig sein um nicht falsche Botschaften zu verbreiten.
Ebenso kam Kritik von der WHO: „Es gebe keine 100%ige Sicherheit. Die WHO
werde ihre Empfehlungen nicht ändern. Die Verwendung von Kondomen biete
immer noch den besten Schutz vor HIV/AIDS“.
Auch die AIDS-Hilfen Österreichs sehen die Grundaussage der HIV-Prävention nicht
durch diese Diskussion beeinflusst: Konsequenter Kondomgebrauch als Safer Sex
Praktik ist nach wie vor der sicherste Weg zur Vermeidung einer Infektion mit dem
HI-Virus.
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