Die 4 Szenarien und die Religionen

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Die 4 Szenarien von swissfuture und die Religionen
Szenario 1: Ego
Kirche und Staat sind nach amerikanischem Vorbild radikal getrennt worden. Es gibt keine
Landeskirchen mehr und der Staat treibt auch keine Kirchensteuern mehr ein. Es gibt nur
noch Freikirchen, die in einem sehr kompetitiven Umfeld um zu rettende Seelen kämpfen.
Religion gilt (wieder) als Privatangelegenheit, in ihren politisierten Spielformen ist sie auch im
globalen Umfeld marginalisiert. Die Religion wird auch nicht mehr als Problem empfunden,
sondern als eine subjektive Weitsicht und individuelle Wahl. Die Kirchenaustritte haben
durch diese Entwicklung zugenommen, zugleich haben die Kirchen an Profil gewonnen. Die
einzelnen Freikirchen stehen für ganz bestimmte Werte - und das gibt ihnen in dieser
hochindividualisierten Gesellschaft ein Potential für Identifikation. Im Zuge der hohen
Individualisierung in diesem Szenario nehmen die «Belonger» ab, während die «Believers»
zunehmen, die sich synkretistische Religionen aus unterschiedlich inspirierten
Versatzstücken basteln. Besonders Vertreter der älteren Generation, die materiell viel
erreicht haben, suchen im Alter spirituelle und transzendente Formen der
Selbstverwirklichung, der Einsicht folgend, dass sich nicht alles kaufen lässt. Sie meditieren
mit einem persönlichen Guru - natürlich gegen gutes Geld.
Szenario 2: Clash
Die Landeskirchen existieren in diesem Szenario noch, aber sie vermögen keine Werte mehr
zu vermitteln, ihre Mitgliederzahlen nehmen linear ab. Viele Menschen werden
konfessionslos, die religiösen Enthusiasten wechseln zu oftmals evangelikalen Freikirchen.
Die Mitglieder dieser Kirchen erfahren dort Zugehörigkeit und Wärme - eine Kontrastfolie zur
gesellschaftlichen Wirklichkeit. Den evangelikalen Freikirchen begegnet die Öffentlichkeit
eher misstrauisch, obwohl sie deren Deutung des Schweizer Kreuzes als explizit christIiches
Symbol mehrheitlich gutheisst, wie Studien gezeigt haben. Viele dieser Gruppierungen
transformieren religiöse in politische Weltbilder, indem sie auf die Universalität ihrer Werte
aufmerksam machen, denen sich auch die Politik unterzuordnen hat. Andere Gruppierungen
wenden sich radikal vom politischen Geschehen ab und interpretieren dieses eschatologisch,
als Zeichen der nahenden Apokalypse. Die islamischen Gemeinschaften sind aufgrund der
hohen Geburtenrate in ihrem Milieu gewachsen. Sie betreiben eigene Schulen, in denen teils
fundamentalistische Weltbilder vermittelt werden, die nicht mit der Schweizer Rechtsordnung
vereinbar sind. Islamische Parteien sind seit der von der EU erzwungenen Einführung des
Ausländerstimmrechts in der Politik präsent; das Spektrum reicht von sehr moderaten,
liberalen Auslegungen des Islam bis hin bis zum fundamentalistischen Extremismus. Als
Problem gilt auch, dass radikale religiöse Aktivisten in Parallelgesellschaften unter
Kleinkriminellen missionieren. Man befürchtet, dass diese Konvertiten zu Terroristen
ausgebildet werden könnten. Die religiöse Beschreibung des Fremden («der Islam»), hat in
der Gesellschaft zu einer religiösen Selbstbeschreibung geführt, in der Begriffe wie
«christliche» oder «abendländische» Werte betont werden, die mit anderen religiösen und
kulturellen Werten unvereinbar sind.
Szenario 3: Balance
Seitdem die Kirchensteuern schweizweit auf der Steuerrechnung ausgewiesen werden,
haben die Kirchenaustritte weiter zugenommen. Gut ein Drittel der Gesellschaft ist
inzwischen konfessionslos. Die religiösen Gemeinden sind durchaus engagiert im
mikrosozialen Umfeld, was dort auch geschätzt wird. Das System ist darauf angelegt, Vielfalt
nicht zu integrieren (also: gleichzumachen), sondern sie partizipieren zu lassen - aber mit der
Möglichkeit, kulturell anders zu bleiben. So sind auch jüdische, islamische, hinduistische,
buddhistische Religionen als offizielle Kirchen anerkannt, und sie dürfen ihre Beiträge in
Zusammenarbeit mit den Steuerämtern eintreiben. Diejenigen Religionen, die dies nicht
möchten, zum Beispiel die Freikirchen mit dem biblisch festgelegten Kirchenzehnten, bleiben
autonom. Schamanen, Hexen, Homöopathen. brasilianische Macumba-Anhänger und sogar
eine Vereinigung von Atheisten haben Anträge auf die offizielle Anerkennung ihrer
«Religion» eingereicht, um so ihre Finanzierung sichern zu können. Dies führt auf der
normativen Ebene dazu, dass ständig darüber reflektiert werden muss, was Religion ist und
was nicht. Die Gefahr, dass für die Beantwortung dieser Fragen ein bürokratischer
Wasserkopf entsteht, ist hoch.
Szenario 4: Bio Control
Die Religion hat in diesem Szenario keine tragende Bedeutung. Die drei Landeskirchen
(evangelisch-reformiert, katholisch und christkathoIisch) verlieren weiter Mitglieder, auch
wenn besonders die reformierten - dank den Traditionen von Zwingli und Calvin - den
Anschluss an die gesellschaftliche Tendenz der Bio-Politik ganz gut schaffen. Ein
renommierter Philosophieprofessor hat die These formuliert, dieses politische System selbst
sei Religion. Das Individuum müsse durch SeIbstdisziplinierung eine Selbsttransformation
erreichen, was eine säkuIare Spielform eines calvinistischen Ideals sei. Die Kompensation
gegenüber dieser harten Disziplinierungsmassnahme wird ebenfalls mit religiösen Mitteln
geleistet, mit einer Verklärung alles «Natürlichen» des «Ursprünglichen», was die
Normierungs- und Disziplinarmacht verneble». Die Öffentlichkeit reagierte heftig auf diese
Theorie, dementsprechend wurde der Professor nach Erscheinung seiner konspirativen
These gemassregelt.
© Georges T. Roos et al.: Wertewandel in der Schweiz 2030 – Vier Szenarien. Verlag
Schweizerische Vereinigung für Zukunftsforschung swissfuture. ISBN 978-3-9523839-0-2
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