Kogntives Altern

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Berlin Alexanderplatz. Ein Forum der Berliner Zeitung
gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie,
Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN).
Öffentliche Veranstaltung am Montag, 19.11.2005,
im Verlagshaus der Berliner Zeitung.
Vortrag
Wenn das Gehirn altert:
Seelische Gesundheit im Alter
von Isabella Heuser, Berlin, und Wolfgang Maier, Bonn.
Die Lebenserwartung steigt. Diese Entwicklung ist verhältnismäßig neu und begann erst seit
wenigen Jahrhunderten. Sie ist von der Evolution nicht vorgesehen, denn bis vor kurzem
waren Menschen mit einer deutlich kürzeren Lebenszeit ausgestattet. Erst im 20.
Jahrhundert stieg die Lebenserwartung drastisch an: Konnten zu Beginn des 20.
Jahrhunderts in Deutschland maximal 30% eines Geburtsjahrgangs das 65. Lebensjahr
erreichen, werden es in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts mehr als 90% sein. Diese
Entwicklung
ist
wesentlich
dem
Fortschritt
der
Medizin
in
der
Behandlung
lebensbegrenzender körperlicher Erkrankungen zu verdanken. Damit kann bei vielen
Menschen die körperliche Gesundheit bis in höhere Alter erhalten bleiben. Der
Alterungsprozess von Körper und Gehirn kann aber bis heute nur sehr begrenzt beeinflusst
werden.
Wie steht es aber bei sich ständig verbessernder körperlicher Gesundheit mit der seelischen
Gesundheit im Alter? Auch die emotionalen, geistigen, kognitiven und sozialen Fähigkeiten
und Möglichkeiten des Menschen unterliegen ja der Evolution und haben sich in den
vergangenen Jahrtausenden jeweils in einer deutlich kürzeren mittleren Lebenszeit entfaltet.
Trotz der zunehmenden körperlichen Gesundheit im Alter ist der Alterungsprozess von
Körper und Gehirn bis heute nur begrenzt beeinflussbar. Alle emotionalen, kognitiven und
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sozialen Potentiale des Menschen beruhen auf Funktionen des Gehirns. Mit dem Alter nimmt
allein aus anatomischen Gründen die Leistungsfähigkeit des Gehirns unweigerlich ab; die
Hirnrinde wird dünner, die Zahl der Leitungsbahnen im Gehirn nimmt ab, die Synapsen, also
die Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Nervenzellen verringern sich. Diese Strukturen
sind für kognitive Funktionen wie Gedächtnis, zielgerichtetes überlegtes Handeln,
Ideenentwicklung und Phantasie unerlässlich. Das normale Netzwerk dünnt aus. Wie viel
seelische Gesundheit ist angesichts dieses Alterungsprozesses möglich? Das Gehirn hält für
die Alterung zwar eine Reservekapazität bereit; diese erlaubt für eine begrenzte Zeit Defizite
zu kompensieren. Ist diese aber aufgebraucht, so sind Einschränkungen von Leistungen
und Fähigkeiten die unausweichliche Folge.
Der Alterungsprozess des Gehirns wird durch Erkrankungen teilweise dramatisch
beschleunigt, vor allem durch dementielle Erkrankungen, wie z. B. die Alzheimer`sche
Erkrankung. Epidemiologische Studien zeigen, dass in Deutschland derzeit mehr als eine
Million älterer Menschen und fast die Hälfte der 90-jährigen unter einer Demenz leiden. Dies
hat sehr weitreichende Implikationen für die Betroffenen, denn eine Demenz geht mit dem
zunehmenden Verlust der Selbständigkeit der Lebensführung einher.
Kognitive Funktionen, Motorik und subjektives Wohlbefinden im Alter
Welche Fähigkeiten sind im normalen Altern besonders betroffen? Es findet sich vor allem
eine Abnahme der fluiden Intelligenz, also grundlegende kognitive Funktionen wie dem
logischen
Denken
und
Verarbeitungsressourcen
Lernen.
wie
Ursache
dafür
Arbeitsgedächtnis,
sind
Einschränkungen
Aufmerksamkeit
in
und
Verarbeitungsgeschwindigkeit. Moderne bildgebende Verfahren liefern Hinweise dafür, dass
mit zunehmendem Alter die Lateralisierung der Hirnaktivität bei verschiedenen kognitiven
Aufgaben weniger ausgeprägt ist, d.h. es kommt zu einer vermehrten Aktivierung beider
Hirnhälften. Insbesondere das Frontalhirn zeigt dabei starke altersbedingte Veränderungen.
Die Basis von kognitivem Abbau im Alter liegt wahrscheinlich in dem Verlust von Synapsen,
Neuronen, neurochemischen Inputs und neuronalen Netzwerken begründet. Vom klinischen
Standpunkt her lassen sich drei Arten kognitiven Abbaus im Alter unterscheiden. So spricht
man
von
Age-Associated
Memory
Impairment
bei
Vorliegen
von
subjektiven
Gedächtnisbeschwerden bei ansonsten kognitiv unauffälligen älteren Personen. Mild
Cognitive Impairment beschreibt Gedächtniseinschränkungen im Vergleich zur Altersnorm,
die aber normale Alltagsaktivitäten nicht beeinträchtigen. Mit Demenz werden progressive
globale kognitive Einschränkungen mit Alltagsbewältigungsdefiziten bezeichnet.
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Einen besonderen Stellenwert im Rahmen altersabhängiger Veränderungen stellen
motorische Einbußen dar. Insbesondere mangelnde Balance ist häufig die Ursache von
Stürzen und Knochenbrüchen bei älteren Menschen, die nicht selten zu überdauernden
Schmerzen, funktionalen Einschränkungen, Behinderung und auch Tod führen können. Es
konnte in diesem Zusammenhang gezeigt werden, dass im höheren Alter motorische
Prozesse eine größere kognitive Kontrolle erfordern als im jungen Alter. So ergaben sich bei
älteren Menschen deutliche Einbußen beim Ausführen einer Gedächtnisaufgabe im Gehen.
Generelle Mobilitätseinbußen im Alter betreffen vor allem die Ausübung anstrengender
Aktivitäten wie schnelles Laufen und schweres Heben, das Ausmaß der Beweglichkeit beim
Beugen, Knien und Bücken sowie das selbstständige Baden und Anziehen.
Es ist sehr wichtig hervorzuheben, dass das Gehirn auch im Alter noch fähig bleibt, sich an
neue Stimuli anzupassen, indem z.B. bestimmte kognitive Funktionen den Abbau anderer
kompensieren. Einige kognitive Funktionen, wie die Größe des Wortschatzes, verbessern
sich sogar im Alter, denn im Alter bleibt die kristalline Intelligenz, also das Allgemeinwissen,
Sprachverständnis etc., weitgehend erhalten. Neuere Befunde sprechen können sogar
dahingehend interpretiert werden, dass auch das erwachsene Gehirn neue synaptische
Verschaltungen, ja vielleicht sogar neue Neurone bilden kann, also zur Plastizität und
Neurogenese fähig ist. Es lässt sich somit keineswegs ein einseitig negatives Bild vom
kognitiven Altern zeichnen. Viele Beispiele von älteren Menschen belegen, dass kognitive
Vitalität bis in das hohe Alter erhalten bleiben kann.
Auch im subjektiven Wohlbefinden zeichnet sich ein durchaus positives Bild für ältere
Menschen ab. So äußern sich die meisten älteren Menschen positiv zu ihrem subjektiven
Wohlbefinden und berichten von großer Zufriedenheit über ihr Leben insgesamt mit
optimistischem Ausblick in die Zukunft. Ein positives Wohlbefinden im Alter erfordert
natürlich
kontinuierliche
Anpassungsprozesse,
um
Ziele,
Wünsche
und
Bewertungsmaßstäbe mit der aktuellen Lebenssituation zu vereinbaren. Die hohe
Zufriedenheit unter älteren Menschen ist insbesondere bemerkenswert, da in der zweiten
Lebenshälfte gesundheitliche Einbußen und soziale Verluste zunehmen. Daher spricht man
in diesem Zusammenhang auch vom „Zufriedenheitsparadox“. Natürlich gibt es im hohen
Alter aber nicht nur Verluste, sondern auch Gewinne, z.B. Zuwachs an Freiheit durch
Eintreten in den aktiven Ruhestand mit der Möglichkeit sich zB intensiver Hobbies zu
widmen oder neue Aufgaben durch Geburt der Enkelkinder zu übernehmen.
Eine Voraussetzung für Zufriedenheit und andere positive Gefühle ist der Erhalt
zugrundeliegender emotionaler Netzwerke im Gehirn. Hierfür ist vor allem die Amygdala, der
Mandelkern verantwortlich, der von der Alterung des Gehirns erst später erfasst wird, als die
für die Kognition zuständigen Bereiche im Frontalhirn und im Hippokampus. Das alternde
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Gehirn reagiert auf angenehme, positive Situationen und Anregungen sogar verhältnismäßig
stärker als auf negative – ganz im Gegensatz zu jüngeren Lebensjahren. Glückliches Leben
ist daher – bei Abwesenheit von Demen und anderen Abbau-Erkrankungen des Gehirns –
länger möglich als leistungsorientiertes Leben.
Welche Faktoren bedingen die seelische Gesundheit im Alter
Eine Vielzahl verschiedener miteinander verwobener Faktoren können das seelische Wohl
älterer Menschen belasten. Hierzu zählen zunehmend häufige Verlusterfahrungen, wie z.B.
gesundheitliche Einbußen oder soziale Verluste (Quelle: Alterssurvey des Deutschen
Zentrums für Altersfragen). Zwar ist nicht jede ältere Person krank, jedoch verschlechtert
sich die Gesundheit mit steigendem Alter. Chronische Erkrankungen und Multimorbiditäten
(z.B. Herz- Kreislauferkrankungen, Krebs, Diabetes, Schlaganfälle) stellen substanzielle
Belastungsfaktoren dar.
Nicht selten verschlechtern sich auch die Gedächtnisleistungen mit zunehmendem Alter, es
kommt zu kognitiven Einschränkungen im Allgemeinen und zu dementiellen Prozessen im
Speziellen. Hinzu kommen Altersdepressionen und diverse pharmakogene und toxische
Einflüsse (Polymedikation, Nebenwirkungen, Tranquilizer, Alkohol). 92% der 70-100-jährigen
nehmen mindestens ein Medikament regelmäßig ein, 24% benötigen mindestens 5
verschiedene Medikamente (Quelle: Berliner Altersstudie).
Besonders gravierend im Alter ist der Verlust sozialer Netzwerke und des Gefühls
„dazuzugehören“. Gesellschaftliche Veränderungen wie die zunehmende Individualisierung
in den Industrienationen, Werteverschiebungen (z.B. veränderter Stellenwert der Familie,
„Jugendwahn“) führen oft dazu, dass ältere Menschen isoliert leben und zunehmend durch
stetigen Kontaktverlust (z.B. Tod des Partners und von Freunden, Wegzug der Kinder etc.)
vereinsamen.
Haushalte haben im letzten Jahrhundert einen tiefgreifenden Wandel erfahren. Lebten 1900
noch durchschnittlich 4,5 Personen in einem Haushalt, so hatte sich deren Anzahl bis zum
Jahr 2000 auf 2,2 Personen halbiert (Quelle: statistisches Bundesamt). Mit ansteigendem
Alter sinkt die Anzahl der Personen, die in einem Haushalt lebt. So beträgt die
durchschnittliche Haushaltsgröße der 40-54-jährigen noch 2,94 Personen bei den 70-85jährigen nur 1,67 Personen. Im Extremfall fühlen sich ältere Menschen vollkommen
entwurzelt, da sie mangels Betreuungsmöglichkeiten in ihrer gewohnten Umgebung in einem
Seniorenheim untergebracht werden müssen.
Rollenverluste (z.B. durch Berentung) können zu Gefühlen von subjektiver Nutzlosigkeit
führen. Viele ältere Menschen müssen sich auch mit finanziellen Problemen und einer damit
einhergehenden eingeschränkten Lebensgestaltung arrangieren.Leider mangelt es oft an
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Kompensationsfaktoren (wie z.B. an Ausgleich verschaffenden Freizeitaktivitäten nach der
Berentung).
Daraus ergibt sich die Frage wie man seelische Gesundheit im Alter unterstützen kann
1. Die Alterung des Gehirns ist eng mit den Funktionseinschränkungen von Herz und
Kreislauf verbunden. Die regenerativen und kompensatorischen Fähigkeiten des Gehirns
arbeiten bei Menschen einer hohen „kardiovaskulären Fitness“ effizienter und bleiben
länger erhalten. So wirkt sich maßvolles körperliches Training (z. B. Aerobic, Nordic
Walking) bei körperlich gesunden und älteren Menschen auch auf Hirnfunktionen aus und
erhöht z. B. die Aufmerksamkeitsleistungen.
2. Die Alterung des Gehirns, vor allem in den für kognitive Funktionen zuständigen
Hirnregionen und Netzwerken kann durch gesundes Essen günstig beeinflusst werden.
Schon länger ist bekannt, dass in Ländern, in denen der Fettgehalt der Nahrung vor
allem durch Fisch oder Oliven bereitgestellt wird, Demenzerkrankungen weniger häufig
sind. Ähnliches gilt für den begrenzten und regelmäßigen Konsum von Rotwein.
Neuerdings wird offenkundig, dass durch die Begrenzung von Kalorien bei gleichzeitiger
Sicherung einer hinreichenden Menge spezifischer Nahrungsbestandteile wie Vitamin B6,
B12, E und Folsäure Gedächtnisleistungen verbessert werden können.
3. Dem geistigen Verfall kann durch stimulierende kognitive Aktivität entgegengewirkt
werden. So ist bekannt, dass bei lebenslang überdurchschnittlicher geistiger Aktivität die
kognitive
Alterung
später
einsetzt.
Es
hat
sich
offenbar
eine
verstärkter
„Reservekapazität“ aufgebaut, die dem biologischen Hirnabbau länger wirksam
kompensieren kann.
Aber auch kognitive Aktivitäten im Alter wirken ähnlich, z. B. tägliches Kreuzworträtsel
lösen, eine neue Fremdsprache lernen, im Internet surfen oder ein Computerprogram
lernen, Tanzen und ins Museum gehen sein. Lawrence C. Katz, Professor für
Neurobiologie und Manning Rubin, kreativer Schreiber, empfehlen in ihrem Buch „Keep
Your
Brain
Alive“
(dt.
Titel:“Neurobics
(http://www.keepyourbrainalive.com)
wissenschaftlich
fundierten
Übungen
sogenannte
die
den
–
Fit
neurobic
Folgen
des
im
Kopf“
-
activities.
Diese
mentalen
Alterns
entgegenwirken sollen, können wie folgt aussehen: einen völlig neuen Weg zur Arbeit/ zu
einem anderen Ort einschlagen, sich die Zähne mit der ungewohnten Hand putzen, neue
Sinne in gewohnte Aufgaben einbeziehen, wie z.B. sich mit geschlossenen Augen
anziehen usw.
4. Die emotionale Gesundheit kann v.a. durch sinnstiftende Aktivitäten erhalten bleiben, wie
z.B. einer ehrenamtliche Tätigkeit oder politischem Engagement, Gartenpflege,
Engagement in der Kirchengemeinde usw. Wichtig ist es auch für ältere Menschen ihren
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Tagesablauf wieder neu zu planen, Interessen und Hobbys fortzusetzen, zu reaktivieren,
und neu zu entdecken. Solche Tätigkeiten können Gefühlen der subjektiven Nutzlosigkeit
entgegenwirken und zu neuen sozialen Kontakten führen.
Durch eine soziale Vernetzung können ältere Menschen wieder Geborgenheit, Trost,
Entspannung und Freude erfahren. Deshalb ist es wichtig den Kontakt zu Kindern,
Enkelkindern, Bekannten und Freunden aktiv zu pflegen. Martin Seligman, „Vater der
positiven Psychologie“ hat herausgefunden, dass soziale Kontakte mit Abstand am
längsten anhaltend glücklich machen , nicht aber Geld und Status.
Die Autoren:
Prof. Dr. med. Wolfgang Maier ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und
Psychotherapie Bonn am Klinikum der Universität Bonn und Mitglied im Vorstand der
Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde
(DGPPN).
Prof. Dr. med. Isabella Heuser ist Ärztliche Direktorin der Klinik für Psychiatrie und
Psychotherapie an der Charité, Campus Benjamin-Franklin in Berlin und Mitglied der
Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde
(DGPPN)
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