Ausgabe 27 Mai 2016 - Max Planck Institute for Chemical Ecology

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Foto: Anna Schroll
Public Understanding of Life Sciences / Chemical Ecology
Newsletter Mai 2016
Kooperierende Bakterien isolieren Egoisten
Bakterienarten, die in kooperativer Weise Aminosäuren austauschen, sind in
räumlich strukturierten Umgebungen vor der Ausbeutung durch opportunistische,
nicht-kooperierende Bakterien sicher, weil diesen der Zugang zu den ausgetauschten Aminosäuren verwehrt wird … S. 3
Sexuallockstoff von Parasiten warnt Fliegenmütter
Drosophila-Weibchen meiden bei der Eiablage den Geruch parasitischer Wespen
und verbessern so die Überlebenschancen ihrer Larven. Forscher identifizieren die
auf den Feindesduft spezialisierte Sinneszelle sowie die chemischen Verbindungen
aus dem Körpergeruch der Wespen, die den Fluchtreflex der Fliege auslösen ... S. 4
Löwenzahn schützt sich mit Latex
Latex ist für die pflanzliche Verteidigung gegen Bodenschädlinge von entscheidender Bedeutung: Eine einzige Substanz aus dem bitteren Latexsaft schützt die
Wurzeln des Löwenzahns wirksam gegen gefräßige Maikäferlarven … S. 5
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Newsletter Mai 2016 | Editorial
Internationalität kommt gut an!
Die Leiterin der neuen indischen Part-
Liebe Leserinnen und Leser!
nergruppe am National Institute
of Plant Genome Research (NIPGR),
Jyothilakshmi Vadassery (Mitte), mit
der Jenaer Delegation beim Kick-off
Workshop im Dezember 2015 in Delhi.
Foto: NIPGR, Delhi, Indien
Marcia González Teuber und Wilhelm
Boland feiern die Auftaktveranstaltung zur ersten Max-Planck-Partnergruppe in Chile. Foto: Universidad de
La Serena, Chile
Im Editorial der letzten Ausgabe thematisierte ich
vor dem Hintergrund globaler Krisensituationen
die Bedeutung von Internationalität in der Wissenschaft. Die Gedanken über die Internationalisierung von Forschungsprojekten möchte ich heute noch etwas weiterspinnen. Der Anlass dafür
ist sehr erfreulich: Innerhalb der letzten Monate
wurde die finanzielle Förderung von fünf neuen
Max-Planck-Partnergruppen des MPI-CE genehmigt: in Chile (Marcia González Teuber), Peru
(Alfredo Ibáñez), Indien (Jyothilakshmi Vadassery
und Radhika Venkatesan) und Südafrika (Almuth
Hammerbacher). Die Max-Planck-Gesellschaft hat
es sich auf die Fahnen geschrieben, internationale Zusammenarbeit im Bereich der Grundlagenforschung zu stärken. Spitzenforschung kennt keine
nationalen Grenzen, im Austausch von Wissen
liegt ein gewaltiges Potenzial für Entdeckungen
und Innovationen. Ein wichtiges Instrument zur
Internationalisierung sind die International Max
Planck Research Schools (IMPRS). Unsere 2004
ins Leben gerufene IMPRS „The Exploration of
Ecological Interactions with Molecular and Chemical Techniques“ hat bisher 150 junge Wissenschaftler/innen erfolgreich zur Promotion geführt,
davon kamen etwa die Hälfte aus dem Ausland.
Viele dieser jungen und erfolgreichen Forscher/
innen kehren in ihre Heimatländer zurück, wohin
sie nicht nur ihr wissenschaftliches Know-how
mitbringen, sondern oft auch wichtige Kooperationspartner ihres MPI bleiben. Für die jungen
ausländischen Fachkräfte hat die Max-PlanckGesellschaft ein weiteres Instrument entwickelt:
die Max-Planck-Partnergruppen. Fünf junge Wissenschaftler/innen haben jetzt die Chance erhalten, in ihrer Heimat eine solche Partnergruppe
aufzubauen. Oftmals stehen Fragestellungen zu
einheimischen Organismen im Mittelpunkt der
Kooperation. Marcia González-Teuber von der
Universität in La Serena, Chile, beschäftigt sich
mit der in Chile beheimateten Pflanze Prosopis
chilensis. Seine besondere Trockenheitsresistenz verdankt der Baum endophytischen Pilzen.
Radhika Venkatesan möchte in ihrer Partnergruppe in Bangalore, Indien, die chemische Ökologie
der vielfältigen Flora und Fauna in den Westghats, einem Gebirge an der Westküste Indiens,
untersuchen. Die Partnergruppen werden maximal fünf Jahre lang gefördert. Jede Gruppe startet mit einem internationalen Workshop und lädt
hierzu auch die Kolleg/innen des jeweiligen MaxPlanck-Instituts ein. Der Name „Max Planck“ ist
dabei ein Türöffner und garantiert die besondere
Wahrnehmung der Veranstaltung in den jeweiligen Ländern, auch von offizieller politischer Seite. Wir hoffen, dass die neuen Gruppen in eine
erfolgreiche Zusammenarbeit starten und dass
unser Institut die internationale Vernetzung stets
weiter ausbauen kann.
Angela Overmeyer
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Research Highlight | Newsletter Mai 2016
Kooperierende Bakterien isolieren Egoisten
Durch den gegenseitigen Austausch von Nährstoffen sparen kooperierende Bakterien kostbare
Ressourcen. Die Arbeitsteilung wirkt sich daher
positiv auf das Bakterienwachstum aus. Eine neue
Studie beschäftigt sich mit der Frage, ob solche
Kooperationen langfristig bestehen können, oder
ob auch nicht-kooperierende Bakterien vom Nährstoffaustausch anderer profitieren. Der evolutionäre Nachteil, der dann für die kooperierenden
Bakterien entstünde, würde zum Zusammenbruch
der Kooperation führen. Die Forschungsgruppe
Experimentelle Ökologie und Evolution unter der
Leitung von Christian Kost hat jetzt zusammen mit
Kollegen der Universität Jena diese Frage experimentell überprüft. Hierzu wurden gentechnisch
„Kooperierer“ zweier Bakterienarten erzeugt, die
erhöhte Mengen bestimmter Aminosäuren in ihre
Umgebung abgaben. Tatsächlich hatten „NichtKooperierer“ in einem gut durchmischten Flüssigmedium einen Wachstumsvorteil gegenüber
Kooperierern, weil sie uneingeschränkten Zugang
zu den Aminosäuren im Medium hatten. Hingegen war das Wachstum von Nicht-Kooperieren
auf einer zweidimensionalen Oberfläche stark
unterdrückt. Eine genaue Analyse zeigte, dass
nicht-kooperierende Bakterien lediglich am Rand
von kooperierenden Bakterienkolonien existieren
konnten. Für ihre Untersuchungen kombinierten
die Forscher verschiedene methodische Ansätze.
Die Grundlage bildete der noch junge Forschungsansatz der „synthetischen Ökologie“: Hier werden
bestimmte Mutationen in bakterielle Genome
eingeführt. Die so erzeugten Bakterienstämme
werden in Experimenten zusammen kultiviert und
ihre ökologischen Wechselwirkungen analysiert.
Parallel wurden Computermodelle erstellt und
mittels chemischer Analytik mit bildgebender
Massenspektrometrie bakterielle Stoffwechselprodukte sichtbar gemacht. Die Wissenschaftler
fanden so heraus, dass eine zweidimensionale
Oberfläche ausreicht, um kooperative Wechselwirkungen zwischen Bakterien zu stabilisieren.
In natürlichen Bakteriengemeinschaften spielt
dieser Effekt eine wichtige Rolle, schließlich
kommen Bakterien fast ausschließlich in sogenannten Biofilmen vor – eine aus vielen Bakterien
bestehende Schleimschicht, mit der sich die Mikroorganismen an Oberflächen anhaften können.
Beispiele sind kariesverursachende Bakterien im
Zahnbelag oder zur Abwasserreinigung genutzte
Bakteriengemeinschaften in Kläranlagen. Darüber hinaus sind Biofilme für die medizinische
Forschung äußerst relevant: Sie sind bei vielen Infektionskrankheiten von großer Bedeutung, da sie
bakterielle Krankheitserreger vor der Immunantwort des erkrankten Organismus oder Antibiotika
schützen. Darüber hinaus stellt die Besiedlung
medizinischer Implantate durch bakterielle Biofilme ein ernsthaftes Problem dar. Ein besseres
Verständnis der Dynamik bakterieller Gemeinschaften könnte dazu beitragen, schädliche Bakterien effizienter zu bekämpfen und vorteilhafte
Bakterien besser zu nutzen. [CK/AO]
Oben: Übereinstimmung zwischen
Experiment (Bakterienkolonie, linker
Bereich) und Computermodell (rechter
Bereich): Opportunistische Bakterien
(grün) sind lediglich am Rand von kooperierenden Bakterienkolonien (rot)
zu finden. Bild: Samay Pande, MPI-CE,
Stefan Lang, Abteilung Bioinformatik,
FSU Jena
Unten links: Experimentelle Ökologie:
Christian Kost erläutert die Planung
und Auswertung der Experimente mit
Bakterien, die in Kokultur Nährstoffe
austauschen. Foto: Anna Schroll
Originalveröffentlichung:
Pande, S., Kaftan, F., Lang, S., Svatoš,
A., Germerodt, S., Kost, C. (2015).
Privatization of cooperative benefits
stabilizes mutualistic cross-feeding
interactions in spatially structured
environments. The ISME Journal. doi:
10.1038/ismej.2015.212
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Newsletter Mai 2016 | Research Highlight
Parasitenpheromon warnt Fliegenmütter
Eine parasitische Wespe (Leptopilina
boulardi) legt ihre Eier in Larven der
Schwarzbäuchigen Taufliege Drosophila melanogaster.
Foto: Markus Knaden, MPI-CE
Rechts unten: Shimaa Ebrahim, die
Erstautorin der Studie, kommt aus
Ägypten und ist seit 2013 Doktorandin
am MPI. Sie erforscht das duftgesteuerte Verhalten von Taufliegen.
Foto: Anna Schroll
Originalveröffentlichung:
Ebrahim, S. A. M., Dweck, H. K. M.,
Stökl, J., Hofferberth, J. E., Trona,
F., Weniger, K., Rybak, J., Seki, Y.,
Stensmyr, M. C., Sachse, S., Hansson,
B. S., Knaden, M. (2015). Drosophila
avoids parasitoids by sensing their
semiochemicals via a dedicated
olfactory circuit. PLOS Biology 13(12):
e1002318.
Wissenschaftler der Abteilung Evolutionäre Neuroethologie um Bill Hansson und Markus Knaden haben jetzt zusammen mit internationalen
Partnern entdeckt, dass die Taufliege Drosophila
melanogaster über eine Sinneszelle verfügt, die
ausschließlich auf das Aufspüren des Sexuallockstoffs von parasitischen Wespen spezialisiert ist.
Entscheidend für die Ergebnisse war eine Kombination aus gas-chromatografischen und elektrophysiologischen Untersuchungen sowie Verhaltensstudien mit Fliegen und Larven. Damit haben
die Wissenschaftler herausgefunden, welche
Wespendüfte von welchen Geruchsrezeptoren
der Fliegen wahrgenommen werden und dass sich
diese Wahrnehmung auf das Verhalten der Fliegen auswirkt: Sowohl die erwachsenen Fliegen
also auch ihre Larven meiden aktiv den Wespengeruch. Drei Bestandteile des Wespendufts aktivierten eine einzige Sinneszelle auf den Antennen
von ausgewachsenen Drosophila-Fliegen. Chemische Analysen ergaben, dass es sich bei den drei
Substanzen um Actinidin, Nepatalactol und Iridomyrmecin handelt. Erstaunlicherweise ist Iridomyrmecin der Sexuallockstoff der Wespenweibchen. Während ausgewachsene Fliegen zwei
Geruchsrezeptoren haben, die alle drei Substanzen aus dem Wespenduft wahrnehmen können,
fehlt bei den Larven einer der beiden Rezeptoren.
Sie nehmen daher nur einen der Wespendüfte wahr, das Sexualpheromon Iridomyrmecin.
Die Ergebnisse zeigen erneut, wie hochspezifisch
einzelne Duftrezeptoren in Drosophila sein können. Düfte, die besonders wichtig sind, werden
nicht über das generelle System wahrgenommen
und verrechnet, sondern haben jeweils einen
eigenen Kanal. Das scheint zu bewirken, dass
Feindabwehr, Erkennung von gefährlichen Bak-
terien (Geosmin), oder die besten Eiablageplätze
(Limonen) nicht durch weitere Umgebungsdüfte
gestört werden. Die Stärke dieser Studie liegt
darin, dass sie mehrere Beweisführungslinien
miteinander kombiniert, die auf chemischen und
physiologischen Analysen sowie Verhaltensexperimenten mit Fliegen und Larven beruhen. So
konnten die Wissenschaftler zeigen, dass Taufliegen im Laufe der Evolution gelernt haben, den
Duft der Parasiten zu ihrem Vorteil zu nutzen und
sich so besser schützen können. Dies ist umso
bedeutsamer, als es sich um ein angeborenes
Merkmal handelt, denn die getesteten Fliegen
waren vorher nie in der Nähe parasitischer Wespen gewesen und kannten ihren Duft nicht. Vier
weitere Drosophila-Arten zeigten das gleiche
Vermeidungsverhalten gegenüber dem Wespenduft. Dass die Taufliegen ihre Feinde an deren Sexuallockstoff erkennen, ist ein besonderer evolutionärer Schachzug, der Drosophila einen Vorteil
verschafft, auf den die Wespen nicht so leicht in
einer Gegenanpassung reagieren können, denn
die Abgabe dieses Duftstoffes ist für ihre Fortpflanzung unverzichtbar. [AO]
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Research Highlight | Newsletter Mai 2016
Latex schützt
die Wurzeln
Der Maikäfer (Melolontha melolontha) verbringt
die ersten drei Lebensjahre unter der Erde, wo er
sich als Larve oder Engerling von Pflanzenwurzeln
ernährt. Seine Lieblingsspeise sind die Wurzeln
des Löwenzahns (Taraxacum officinale). Wie viele
andere Pflanzen produziert der Löwenzahn sekundäre Abwehrstoffe, die ihn vor Insektenfraß
schützen, darunter Bitterstoffe, die vor allem in
dem milchigen Pflanzensaft zu finden sind: dem
Latex. Diesen Löwenzahn-Latex haben jetzt Forscher der Abteilung Biochemie zusammen mit
ihren Kollegen von der Universität Bern genauer
untersucht. Sie fanden die höchsten Konzentrationen des bitteren Latex in den Löwenzahn-Wurzeln. Die Wurzeln sind für die Pflanze als Hauptspeicherorgan für Nährstoffe besonders wichtig
und schützenswert, weil sie schon früh im Jahr
die Blütenbildung ermöglichen. Die Wissenschaftler testeten zunächst, ob sich die Latexverbindungen des Löwenzahns negativ auf die Entwicklung
der Maikäfer-Larven auswirken und umgekehrt
den Gesundheitszustand und die Vermehrung der
Pflanze unter gleichzeitigem Engerlingsbefall verbessern. Die Analyse der Einzelkomponenten des
Löwenzahnlatex ergab, dass eine einzelne Substanz das Larvenwachstum negativ beeinflusst:
das Sesquiterpenlacton Taraxinsäure-Beta-DGlycopyranosyl-Ester (TA-G). Wurde die gereinigte Substanz in ökologisch relevanten Mengen
einer künstlichen Larvennahrung beigemengt,
fraßen die Engerlinge weniger. Den Forschern gelang es zudem, das Enzym zu identifizieren, das
den ersten Schritt zur TA-G-Biosynthese katalysiert. Wurzeln von genetisch veränderten Pflanzen
ohne das Enzym und damit ohne den Abwehrstoff
wurden deutlich häufiger von Larven gefressen.
Die chemische Zusammensetzung des Latex
variiert zwischen natürlichen Löwenzahn-Linien
Ein gewöhnliches Gartenexperiment mit Löwenzahn-Pflanzen unterschiedlicher Linien ergab,
dass Pflanzen, die viel TA-G produzierten, im
Vergleich zu anderen Pflanzen gesünder sind und
sich stärker vermehren, auch wenn sie von wurzelfressenden Engerlingen attackiert werden.
Dass nur eine chemische Verbindung ausreicht,
um die Pflanze gegen den Engerling zu schützen,
hat die Forscher erstaunt, denn der Latex von Löwenzahn und anderen Pflanzen enthält so viele
unterschiedliche Substanzen, dass es eher unwahrscheinlich erschien, dass eine davon allein
eine so herausragende Rolle bei der Insektenabwehr spielen kann. In weiteren Experimenten
wollen sich die Wissenschaftler der Co-Evolution
von Löwenzahn-Pflanzen und ihren Wurzelschädlingen widmen und herausfinden, ob die Anwesenheit solcher Fraßfeinde die Pflanzenchemie
im Laufe der Evolution verändert hat und ob sich
wurzelfressende Insekten an die bitteren Latexverbindungen angepasst haben. [AO]
Oben: Der Löwenzahn wehrt sich mit
Latex aus gegen Engerlinge. Grafik:
Kimberly Falk, Moves Like Nature
Meret Huber erforscht die Verteidigung des Löwenzahns gegen Wurzelschädlinge. Foto: Anna Schroll
Originalveröffentlichung:
Huber, M., Epping, J., Schulze Gronover, C., Fricke, J., Aziz, Z., Brillatz, T.,
Swyers, M., Köllner, T. G., Vogel, H.,
Hammerbacher, A., Triebwasser-Freese, D., Robert, C. A. M., Verhoeven,
K., Preite, V. Gershenzon, J., Erb, M.
(2016). A latex metabolite benefits
plant fitness under root herbivore
attack. PLOS Biology 14(1): e1002332.
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Newsletter Mai 2016 | News
Der Duft der Steine
Was passiert, wenn man Kieselalgen
ein Körnchen Silikat-Mineral vorsetzt?
Die winzigen Einzeller bewegen sich
im Zickzack-Kurs auf die Silikatquelle
in der Bildmitte zu und „fressen“ sie
förmlich auf. Rund zwei Mikrometer
pro Sekunde legen die Algen dabei
zurück. Auszug aus einem Video: Karen
Grace Bondoc, Institut für Anorganische und Analytische Chemie, FSU
Kieselalgen, wissenschaftlich Diatomeen, sind in
vielen Gewässern heimisch. Als Hauptbestandteil
des marinen Phytoplanktons bilden sie die Nahrungsgrundlage für eine Vielzahl von Meeresbewohnern. Zudem produzieren sie rund ein Fünftel
des Sauerstoffs in der Erdatmosphäre und sind
damit ein zentraler Faktor für das Weltklima. Die
einzelligen, nur wenige Mikrometer winzigen
Kieselalgen, besitzen aber noch weitere erstaunliche Fähigkeiten: sie können Stein „riechen“.
Genauer gesagt, sind die Algen in der Lage,
gelöstes Silikat-Mineral zu orten. Wie Georg
Pohnert, Lehrstuhlinhaber für Instrumentelle
Analytik/Bioorganische Analytik an der FriedrichSchiller-Universität und Leiter der neuen MaxPlanck-Fellow-Gruppe, mit seinem Team nachweisen konnte, spüren die Kieselalgen nicht nur
Silikate im Wasser auf. Sie bewegen sich aktiv
an die Stellen, an denen der Silikatgehalt besonders hoch ist. Die Wissenschaftler konnten zei-
gen, dass sich die Kieselalgen ausschließlich vom
„Duft“ von Silikaten angezogen fühlen. Ersetzten
die Forscher das Mineral gegen strukturell sehr
ähnliche, Germanium haltige Salze, die für die Algen giftig sind, bewegen sie sich von der Mineralquelle weg. Die Jenaer Chemiker sehen durchaus
Möglichkeiten, ihre Erkenntnisse langfristig auch
praktisch zu nutzen. Versteht man die Prozesse,
die die Algen dazu bringen sich an einer Stelle anzusiedeln oder bestimmte Orte zu meiden, könnte
man Oberflächen und Materialien gezielt so gestalten, dass sie algenfrei bleiben. Das ließe sich
etwa an Schiffsrümpfen oder Wasserleitungen
nutzen, an denen es durch Algenbewuchs häufig
zu Schäden kommt. Ute Schönfelder
Originalveröffentlichung:
Bondoc, K. G., Heuschele, J., Gillard, J., Vyverman, W.,
Pohnert, G. (2016). Selective silica-directed motility in
diatoms. Nature Communications 7:10540
Terpen-Synthase-Gen steuert Massenauftreten von Kohl-Erdflöhen
Zwei Kohl-Erdflöhe (Phyllotreta striolata) auf dem Blatt eines Chinakohls
mit typischem Fraßschaden. Die Käfer
nutzen sogenannte Aggregationspheromone (hier das Sesquiterpen
(6R,7S)-Himachala-9,11-dien), um ihre
Artgenossen anzulocken. Dies führt
zum Massenangriff auf die Wirtspflanze. Foto: Anna Schroll
Wissenschaftlern der Forschungsgruppe Sequestrierung und Entgiftung in Insekten und der
Abteilung Biochemie ist es gelungen, eine neue
Familie von Terpen-Synthase-Enzymen in Insekten zu identifizieren. Terpene spielen eine wichtige Rolle bei der chemischen Kommunikation von
Insekten. Kohl-Erdflöhe produzieren zum Beispiel
einen Duftstoff, das Sesquiterpen (6R,7S)-Himachala-9,11-dien, um hungrigen Artgenossen den
Weg zu ihren Wirtspflanzen zu weisen. Dies führt
zum Massenauftreten des Schädlings im Kohlanbau im nordamerikanischen und asiatischen
Raum. Bisher sind die Enzyme, die an der Herstellung dieser wichtigen Signalmoleküle in Insekten
beteiligt sind, unbekannt. Die Forscher konnten
nun ein Enzym identifizieren, welches die Bildung
des Duftstoffes (6R,7S)-Himachala-9,11-dien
im Kohl-Erdfloh Phyllotreta striolata vermittelt.
Grundlegende Erkenntnisse darüber, wie die
Schädlinge mithilfe von Lockstoffen ihre Artgenossen zum Massenangriff sammeln, könnten
wertvolle Hinweise auf neue Möglichkeiten in der
Bekämpfung dieser Schädlinge liefern. [AO/FB]
Originalveröffentlichung:
Beran, F., Rahfeld, P., Luck, K., Nagel, R., Vogel, H.,
Wielsch, N., Irmisch, S., Ramasamy, S., Gershenzon, J.,
Heckel, D. G., Köllner, T. G. (2016). Novel family of terpene
synthases evolved from trans-isoprenyl diphosphate synthases in a flea beetle. PNAS, 113(11), 2922-2927.
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News | Newsletter Mai 2016
Gespenstschrecken können mit multifunktionalen Cellulasen
schwerverdauliches Pflanzenmaterial verspeisen
Pflanzliche Zellwände bestehen aus vielen komplexen Polymeren, für deren vollständigen Abbau
eine Vielzahl verschiedener Enzyme erforderlich
ist. Dazu zählen Cellulase für den Abbau von
Cellulose und Xylanase für den Abbau von Xylan.
Jahrzehntelang gingen Wissenschaftler davon
aus, dass nur Mikroorganismen Cellulase-Enzyme
produzieren können, bis Cellulase-Gene in holzverspeisenden Insekten gefunden wurden. Wissenschaftler der Abteilung Entomologie haben
nun eine weitere Theorie außer Kraft gesetzt:
Die Forscher entdeckten, dass Gespenstschrecken (Phasmatodea) Cellulasen produzieren, die
unterschiedliche Zellwandpolymere gleichermaßen abbauen können. Die Fähigkeit, verschiedene
Polymere mit dem gleichen Enzym abzubauen,
bedeutet, dass Gespenstschrecken eine ungewöhnlich effektive Verdauung haben. Zusammen
mit anderen Darmenzymen, wie Cellobiasen und
Xylobiasen, kann die Darmflora dieser Insekten
nahezu die komplette pflanzliche Zellwand in ihre
Zuckerbestandteile zerlegen. Daher können sich
Gespenstschrecken von der gleichen Blattnahrung besser ernähren als andere pflanzenfressende Tiere. Theoretisch könnten sie sogar Holz
verdauen. [MS/AO]
Eine junge Australische Gespenstschrecke (Extatosoma tiaratum)
hängt an der Blattunterseite einer
Zimmerpflanze im Max-Planck-Institut
Originalveröffentlichung:
für chemische Ökologie.
Shelomi, M., Heckel, D. G., and Pauchet, Y. (2016). Ances-
Foto: Matan Shelomi, MPI-CE
tral Gene Duplication Enabled the Evolution of Multifunctional Cellulases in Stick Insects (Phasmatodea). Insect
Biochemistry and Molecular Biology 71, 1-11.
Stefan Pentzold erhält ein Marie Skłodowska-Curie Fellowship
Stefan Pentzold, Postdoc in der Forschungsgruppe Chemische Verteidigung von Blattkäfern
(unter der Leitung von Antje Burse), erhält ein
Marie Skłodowska-Curie Individual Fellowship
und wird für die nächsten zwei Jahre im Rahmen
des Programms Horizon 2020 von der EU gefördert. Sei Projekt heißt „Chemosense - Elucidating the Mechanisms of Insect’s Chemical Taste
to Understand Specific Host-Plant Selection”.
Er untersucht den Pappelblattkäfer (Chrysomela
populi), insbesondere seine Geschmacksrezeptoren, sowie Pappeln mit Hilfe von Transkriptomsequenzierung, RNAi, heterologer Expression,
LC-MS und andere Analyseverfahren, um herauszufinden, wie und warum diese pflanzenfressenden Insekten ihre Wirtspflanzen auswählen. [AO]
Stefan Pentzold. Foto: privat
Feodor Lynen-Forschungsstipendium für Hassan Salem
Hassan Salem, Postdoc in der Max-PlanckForschungsgruppe Insektensymbiosen, wird mit
einem Feodor Lynen-Forschungsstipendium der
Alexander von Humboldt-Stiftung ausgezeichnet.
Das Stipendium finanziert einen zweijährigen Forschungsaufenthalt im Labor von Nicole Gerardo
an der Emory University in Atlanta, Georgia, USA.
Der Forschungsschwerpunkt wird dabei auf den
genomischen und metabolischen Faktoren liegen, die bei der Spezialisierung von Parasiten in
pilzanbauenden Ameisenkolonien eine wichtige
Rolle spielen. [AO]
Hassan Salem. Foto: privat
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Newsletter Mai 2016 | News & Veranstaltungen
Ayufu Yilamujiang mit dem Stipendienpreis der
Uigurischen Autonomen Region Xinjiang ausgezeichnet
Das Bildungsdepartment der Uigurischen Autonomen Region Xinjiang, China, hat Ayufu
Yilamujiang, Doktorand in der Projektgruppe
Pflanzliche Abwehrphysiologie der Abteilung für
Bioorganische Chemie, einen Stipendienpreis für
Studierende im Ausland verliehen. Er wird damit
für seine herausragenden Leistungen während
seines Studiums in Deutschland seit 2008 und für
seine Forschung am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie geehrt. [AO]
Ayufu Yilamujiang (links) bei der
Preisübergabe. Foto: privat
Veranstaltungstipps:
Stefan H. E. Kaufmann. Foto: MaxPlanck-Institut für Infektionsbiologie
Ebola, AIDS, Tuberkulose, Grippe – die großen Seuchen versetzen die Welt nicht nur in Angst und
Schrecken, sondern ziehen ganz vielfältige Auswirkungen für die Gesellschaft nach sich. Gleichzeitig
bietet unser Körper Lebensraum für das Mikrobiom, mit dem wir nicht nur in einem symbiontischen
Verhältnis stehen, sondern von dem wir sogar abhängen. Tatsächlich übersteigt die Zahl der mikrobiellen Zellen in unserem Körper die unserer eigenen Zellen um das Tausendfache. Was zur Eindämmung der Seuchen geschehen muss und wie unser Mikrobiom nicht übertragbare Krankheiten beeinflusst, wird der renommierte Infektionsbiologe Prof. Dr. Dr. h.c. Stefan H. E. Kaufmann, Direktor
am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin, in seinem Vortrag „Mensch und Mikrobe:
Feind und Freund“ im Rahmen der öffentlichen Vortragsreihe „Noble Gespräche“ am Beutenberg Campus in Jena erläutern. Die Veranstaltung, zu der die Öffentlichkeit ganz herzlich eingeladen ist, findet am Donnerstag, den 12. Mai 2016, um 17:00 Uhr im Hörsaal des Abbe-Zentrum
am Beutenberg, Hans-Knöll-Straße 1, 07745 Jena, statt. Der Eintritt ist frei.
http://www.beutenberg.de/de/noble_gespraeche.html
Die Stadt Jena verdankt ihren heutigen Status als Wissenschafts- und Hochtechnologiestandort unter anderem der Person, deren Namen eng mit dem Namen der Stadt verbunden ist: Carl Zeiss,
dem Gründer des gleichnamigen Unternehmens für feinmechanisch-optische Industrie. Seine enge
Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Jenaer Universität, wie dem Physiker Ernst Abbe und dem
Botaniker Matthias Schleiden, ermöglichte die stetige Weiterentwicklung von Mikroskopen, ohne
deren Hilfe bahnbrechende Erkenntnisse, wie die Entdeckung des Tuberkuloseerregers durch Robert
Koch, nicht möglich gewesen wäre. Auch das Max-Planck-Institut für chemische Ökologie nutzt moderne Hochleistungs-Mikroskopie in der Forschung. Zum Carl-Zeiss-Tag, einem Familienfest zum 200.
Geburtstag von Carl Zeiss am Sonntag, den 11. September 2016, wird das Institut unter dem Motto „Mikrokosmos Pflanzen und Insekten - Faszinierende Detailaufnahmen von Taufliegen,
Tabakpflanzen und anderen Modellorganismen“ von 10:00 bis 17:00 Uhr mit einem Stand in der
Jenaer Innenstadt vertreten sein.
www.zeiss.de/carlzeiss200
www.ice.mpg.de
Impressum: PULS/CE erscheint zweimal jährlich auf der Homepage des MPI für chemische Ökologie und kann auch kostenlos
abonniert werden. Die Verteilung erfolgt elektronisch als PDF, auf Wunsch werden gedruckte Exemplare verschickt.
Herausgeber: MPI-CE, Jena. Geschäftsführender Direktor: Prof. Dr. David G. Heckel (viSdP).
Redaktion: Angela Overmeyer M.A., Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
ISSN: 2191-7507 (Print), 2191-7639 (Online)
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