Oper aktuell, 27.03.11 St.Gallen: ALCINA, 26.03

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Oper aktuell, 27.03.11
St.Gallen: ALCINA, 26.03.2011
(Ballett)-Oper in drei Akten | Musik: Georg Friedrich Händel | Libretto:
unbekannt, basierend auf ISOLA DELLA ALCINA von Riccardo Broschi,
dem Bruder des Kastraten Farinelli | Uraufführung: 16.April 1735 in London |
Aufführungen in St.Gallen: 26.3. | 1.4. | 3.4. | 9.4. | 13.4. | 28.4. | 3.5. | 10.5. |
15.5. | 8.6.2011
copyright: T+T Fotografie, mit freundlicher Genehmigung
Kritik:
Wie in einem Konzert beginnt in St.Gallen diese ALCINA: Zwei Sängerinnen und ein Sänger
treten in schwarzem Abendkleid und Anzug mit dem Klavierauszug in den Händen an die
Seitenrampe, es sind Morgana, Bradamante und Melisso. Das Licht im Zuschauerraum wir
nur wenig gedimmt, die Ouvertüre und die erste Szene der Oper erklingen. Die drei stehen in
gleissenden Kegeln der Scheinwerfer vor dem eisernen Vorhang, dieser hebt sich alsbald und
die drei werden hineingezogen in Alcinas Zauberreich, dieses Zentrum der Lust, welches
nichts anderes ist, als ein hölzerner, zweigeschossiger Rohbau auf der Bühne (Kathrin
Hieronimus), bevölkert mit sich in allerlei erotischen Verschlingungen befindenden Paaren
und Gruppen. Eine Tanzkompanie hat sich über den Kostümfundus hergemacht und tobt sich
lustvoll darin aus. Hier herrscht also die Zauberin Alcina (eine blonde Göttin mit
Walkürenbrassière) und hält den stürmischen Knaben Ruggiero in ihrem mütterlicherotischen Bann gefangen. Aus deren Fängen will ihn seine Verlobte Bradamante als
Ricciardo verkleidet (mit Schlapphut und Mackintosh Regenmantel) nun wieder befreien.
Durch das mit anscheinend grossem Spass verbundene Wühlen im Kostümfundus haben
Regisseur und Choreograph Marco Santi und die Kostümbildnerin Katharina Beth
geschickt die in der Literatur allgegenwärtige Verführerin/Zauberin/Rächerin umkreist, von
der Circe über Medea und Brünhild zu Frauenfiguren aus neueren Fantasy-Romanen und
Comics.
Doch die Aufführung in St.Gallen lebt vor allem durch die gesanglichen und darstellerischen
Leistungen des herausragenden Damenquartetts. Netta Or in der äusserst anspruchsvollen
Titelrolle durchschreitet mit ihrer ausdrucksstarken Stimme in mehreren Arien die gesamte
Bandbreite der Gefühle einer liebenden, dann verlassenen Frau; einer Frau welche zu Beginn
mit schneidender stimmlicher Kraft vor erotischem Selbstvertrauen nur so strotzt – und dann
erkennen muss, wie ihr Sex Appeal schwindet, ihre Verführungskünste verpuffen. Ihre mit
berührender Eindringlichkeit vorgetragenen Lamenti und vor allem das Ombre pallide, diese
furiose Arie, in welcher sie erkennen muss, dass sie betrogen wurde und nun von den Schatten
der Vergangenheit heimgesucht wird, geraten zu vokalen Höhepunkten des Abends. Antigone
Papoulkas ist ein wunderbar heissblütiger, leicht enflammbarer und doch unbeschwerter,
burschikoser Ruggiero. Der Mezzosopranisten gelingt es durch wohleinstudierte und genau
sitzende Posen vergessen zu machen, dass hier eigentlich eine Frau in den Männerkleidern
steckt. So gekonnt hat man noch selten eine Hosenrolle dargestellt erleben dürfen. Ihre dunkel
schattierte Stimme vermag dem schmachtenden Jüngling ebenso wie dem abgefeimten
Betrüger (Mio bel tesoro) spannungsreichen Ausdruck zu verleihen. Ihre Stimme verfügt
sowohl über eine virtuose, schon beinahe martialische, Geläufigkeit (Sta nell'Ircana) als auch
über sentimental-schwärmerischen Ausdruck (Verdi prati). Seine Verlobte Bradamante wird
von Delphine Galou mit Leidenschaft (und leichtem Augenzwinkern wenn sie die Avancen
Morganas zur Kenntnis nehmen muss) verkörpert. Wunderbar gestaltet sie die grosse Arie
All'alma fedel, in welcher sie den hässlichen Regenmantel ausziehen und das weisse
Brautkleid sowie den Schleier anlegen kann und endlich wieder ganz Frau sein darf. Daneban
kann sie aber in ihrem engagierten Kampf um Ruggiero auch Klänge voll rasender Eifersucht
mit perfekt sitzenden Verzierungen von sich geben (Vorrei vendicarmi) – das ist
Barockgesang vom Feinsten. Morgana, die sympathische Schwester Alcinas, welche leider
zum Schluss quasi in Sippenhaft genommen und mit Alcina zusammen in der mit Gift- und
Drogengewächsen bestückten gläsernen Vitrine eingesperrt wird, findet in der quirligen
Andrea Lang eine exzellente Interpretin. Ihre glockenrein vorgetragenen Koloraturen
(Tornami a vagheggiar) begeistern dabei ebenso wie ihr erfrischendes Spiel (herrlich, wie sie
vom stummen Oberto dazu auf dem Requisitenwagen über die Bühne bugsiert wird)! Neben
diesen vokalen Feuerwerken aus Frauenkehlen haben die zwei Männer natürlich einen
schweren Stand: Beide sind von der Regie etwas vernachlässigt und stehen oft ziemlich steif
und verloren auf der Bühne. Immerhin bewältigt Arthur Espiritu die Partie des Oronte mit
mühelosen Höhen und Wade Kernot singt einen kernigen Melisso. Ganz wunderbar setzt
sich das Sinfonieorchester unter der federnd leichten und präzisen Stabführung von Robert
Howarth in Szene, geht die orchestralen Vor- und Nachspiele mit Impetus, Virtuosität und
Klangschönheit an und bildet ein transparentes, ausgewogenes Fundament für die vokalen
Entfaltungen. (Herrlich der aparte Klang der Blockflöten, wunderbar präzise die
Streicherfiguren!) Gespielt wurde eine leicht gekürzte Fassung, viele Rezitative waren
gestrichen sowie die gesamte Partie des Oberto, welche Händel erst kurz vor der Premiere für
einen viel versprechenden Knabensopran eingefügt hatte. In St. Gallen übertrug man diese
Rolle einem Tänzer – und hier setzt auch das Problematische dieser Produktion ein: Weder
wurde Obertos Intention schlüssig dargestellt (ein Junkie auf Entzug?, ein
Grossstadtindianer?) noch führen die dauernden Tänze – vor allem im ersten Teil – zu
szenischen Erhellungen. Die Verdoppelung des Spiels durch Tänzer lenkt von der Musik ab
und erzeugt eine unnötige Hektik, ja beinahe eine Hysterie von pausenloser Metrosexualität.
Wir hätten's auch ohne Tanz verstanden, worum es im Stück geht.
Theater auf dem Theater – ein altbewährter Kniff, auf den gerne zurückgegriffen wird, wenn
man der Handlung oder dem Stück nicht ganz traut. Doch der Trick verpufft hier ebenso wie
die aus dem Parkett kaum sichtbaren Projektionen auf der Rückwand. Lobenswert erwähnen
darf man hingegen das subtile Lichtdesign von Guido Petzold.
Inhalt :
Bradamante hat ihren Geliebten Ruggiero verloren und macht sich in der Verkleidung ihres
Bruders Ricciardo auf die Suche nach ihm. Auf einer Zauberinsel gewahrt sie ihn an der Seite
der Zauberin Alcina. Er will von Bradamante nichts mehr wissen. Dafür verguckt sich
Morgana, die Schwester Alcinas, in den vermeintlichen Ricciardo. Ruggiero wird gewarnt,
dass Alcina ehemalige Liebhaber in wilde Tiere verzaubert.
Ruggiero erhält von seinem ehemaligen Lehrer einen Ring mit unglaublichen Kräften. Als er
ihn ansteckt, erinnert er sich an sein früheres Leben und an Bradamante. Er sagt sich von
Alcina los, indem er ihr trotz allem ewige Treue gelobt. Er will aber das Zauberreich Alcinas
so schnell wie möglich verlassen. Doch Alcina will dies verhindern, muss jedoch feststellen,
dass ihre Zauberkräfte schwinden. Ruggiero und Bradamante zerschmettern die Urne der
magischen Kräfte, das Zauberreich verwandelt sich in eine öde Küste. Aus den wilden Tieren
werden wieder Menschen, die so Befreiten jubeln Ruggiero und Bradamante zu.
Werk:
ALCINA bildet zusammen mit ARIODANTE und ORLANDO quasi eine Trilogie über
Ariosts Orlando furioso, eine literarische Quelle, aus welcher diverse Komponisten der
Barockzeit schöpften. Sie spielt in einem Zauberland zur Zeit der Kreuzzüge.
In ALCINA spielt Händel geschickt mit den Verschlingungen der Liebe, da weite Teile des
Stücks in Folge des Crossdressings und der Besetzung (Männer werden von
Frauenstimmen/Kastraten gesungen, Frauen verkleiden sich als Männer) zu erotischen
Variationen Anlass geben. Zudem stand Händel in seinem neuen Theater eine
Ballettkomagnie zur Verfügung. So komponierte er ausgedehnte Tanzeinlagen für die
Tänzerin Marie Sallé. Die Partie der Alcina gibt einer Sängerin die Gelegenheit, eine
verzweifelte Frau darzustellen, welche in ihrem Kampf um den Geliebten zum Äussersten
geht.
Das Werk geriet nach 1740 in Vergessenheit und wurde erst ab 1960 (als Dame Joan
Sutherland in einer Inszenierung von Franco Zeffirelli die Titelrolle sang) wieder dem
Dornröschenschlaf entrissen. Heute sind Renée Fleming und Anja Harteros bedeutende
Interpretinnen der Alcina.
Musikalische Höhepunkte:
Di', cor mio, Alcina, Akt I
La bocca vaga, Ruggiero, Akt I
Tornami a vagheggiar, Morgana, Akt I
Vorrei vendicarmi, Bradamante, Akt II
Pensa a chi geme d'amor, Melisso Akt II
Tra speme e timore, Oberto, Akt II (in St.Gallen gestrichen)
Ah! mio cor!. Alcina, Akt II
Verdi prati, Ruggiero, Akt II
Ombre pallide, Alcina, Akt II
Sta nell'Ircana, Ruggiero, Akt III
Mi restano le lagrime, Alcina, Akt III
Barbara!, Oberto, Akt III (in St.Gallen gestrichen)
All'alma fedel, Bradamante, Akt III
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