How politics becomes news and news becomes politics

Werbung
Cover Page
The handle http://hdl.handle.net/1887/44701 holds various files of this Leiden University
dissertation.
Author: Helfer, L.
Title: How politics becomes news and news becomes politics. A comparative
experimental study of the politics-media relationship
Issue Date: 2016-12-09
Deutschsprachige
Zusammenfassung
Die Verflechtungen zwischen Medien und Politik sind eng und nicht selten auch geprägt
von Spannungen. So wird etwa PolitikerInnen vorgeworfen, sie liessen sich von kurzlebigen Medienaktualitäten leiten und verlören dadurch das Gesamtinteresse aus den Augen.
Den Medien andererseits wird der Vorwurf gemacht, sie seien vor allem auf Sensationen
und Konflikte aus, und diese Art der politischen Berichterstattung sei schädlich für Politik und Gesellschaft. Wie weit sind diese Vorwürfe berechtigt? Welche Kriterien sind für
Journalistinnen und Journalisten bei der Themensetzung massgebend? Wovon hängt es
auf der anderen Seite ab, ob Politikerinnen und Politiker aufgrund eines Medienberichts
aktiv werden? Untersucht werden diese Fragen in der Schweiz und den Niederlanden mit
Hilfe von zwei Experimenten: Einem Experiment mit politischen Journalisten und einem
zweiten mit Politikern.
Studien zeigen, dass sich PolitikerInnen in Debatten oft auf Medienberichte berufen.
Doch daraus einen Einfluss der Medien auf die Politik abzuleiten wäre zumindest verkürzt.
Denn PolitikerInnen sind eine wichtige Informationsquelle für JournalistInnen, und daher ist es nicht ausgeschlossen, dass sie die Berichte, auf die sie Bezug nehmen, selber
angestossen haben. Um in diesem komplexen Zusammenspiel Ursache und Wirkung auseinanderhalten zu können, wurde für die vorliegende Studie ein experimenteller Ansatz
gewählt. In einem so genannten "factorial survey experiment" wurden JournalistInnen
und PolitikerInnen frei erfundene aber realistisch formulierte Medienmitteilungen und
Zeitungsartikel vorgelegt. Die Hypothese dabei lautete: Der Entscheid, ob eine Nachricht
weiter verfolgt wird, ist abhängig vom Absender der Nachricht (Partei oder Zeitung), von
Nachricht selber, sowie vom Empfänger (JournalistIn oder PolitikerIn).
Journalistische Selektion: Wie aus Politik Nachrichten werden Welche Kriterien geben in den Niederlanden bzw. in der Schweiz den Ausschlag, wenn JournalistInnen
entscheiden, ob sie eine Medienmitteilung für ihre Berichterstattung berücksichtigen?
Es gibt zwar eine umfangreiche Literatur zum Nachrichtenwert, dh. zu den Kriterien,
die JournalistInnen als so genannte „gate keeper“ grundsätzlich bei der Auswahl von
Nachrichten anwenden. Diese Theorien sind jedoch noch kaum mit Experimenten über-
191
prüft worden. Zudem ist wenig darüber bekannt, wie weit Nachrichtenwerte für die
politische Berichterstattung relevant sind. Berücksichtig wurden für dieses Experiment
JournalistInnen, die regelmässig über die Volkskammer berichten, die „Tweede Kamer“
in Den Haag (n=67) bzw. den Nationalrat in Bern (n=84). Vorgelegt wurden ihnen fiktive Medienmitteilungen von politischen Parteien. Die Resultate zeigen, welch zentrale
Rolle bei der journalistischen Selektion dem Absender und dem Inhalt der Medienmitteilung zukommt. Wenn eine Partei zu einem Thema kommuniziert, das nicht zum
Kern ihres Programms gehört, sind JournalistInnen interessiert als wenn die Partei über
das „eigene“ Thema kommuniziert. Eher überraschend ist, dass es keine Rolle spielt,
ob in der Mitteilung ein Mitglied der Parteileitung oder ein Ratsmitglied ohne weitere
Funktionen zitiert wird. Nicht zuletzt zeigt die Untersuchung, dass das politische System, insbesondere die Machtverteilung in der Politik, eine Rolle spielt. Parteien mit
mehr politischer Macht haben unabhängig vom Inhalt der Nachricht bessere Chancen
berücksichtigt zu werden. Nebst dem Absender der Nachricht beeinflussen auch einige
Aspekte des Inhalts der Medienmitteilung die Selektionschance. So fällt die politische
Aktion, die angekündigt wird, ins Gewicht: Eine einfache parlamentarische Frage, die
oft keine grossen politischen Konsequenzen hat, generiert viel weniger Aufmerksamkeit
als ein parlamentarischer Vorstoss. Entgegen den Erwartungen erhöht Kritik an der
Regierung dagegen das Interesse der JournalistInnen kaum, selbst dann nicht, wenn sie
durch eine Regierungspartei geäussert wird. Dies ist vor allem im holländischen Kontext
mit Mehrheitsregierungen bemerkenswert. Die Ergebnisse zeigen ferner, dass die persönliche Einstellung der JournalistInnen eine Rolle spielt: Mitteilungen zu Themen, die
ein/e JournalistIn als relevanter betrachtet, werden eher berücksichtig. Ein Einfluss der
politischen Zugehörigkeit der JournalistInnen ist nur in der Schweiz feststellbar: Je näher
ein/e JournalistIn einer Partei steht, desto eher wird deren Mitteilung selektiert. Insgesamt zeigt das Experiment, dass für JournalistInnen politische Aspekte bei der Selektion
im Vordergrund stehen.
Politische Selektion: Wie aus Nachrichten Politik wird Wählen PolitikerInnen
ähnlich aus wie JournalistInnen wenn sie entscheiden, ob sie auf Grundlage eines Medienberichts politisch aktiv werden? Um diese Frage zu klären, wurde ein zweites Experiment
durchgeführt. Im Rahmen dieser Studie wurden aktive nationale PolitikerInnen in der
Schweiz (n=50) und in den Niederlanden (n=30) befragt. Ihnen wurde eine Anzahl realistisch formulierter fiktiver Zeitungsartikel vorgelegt, und sie hatten zwei Fragen zu
beantworten. Erstens: Würden Sie den Artikel zur Sprache bringen, wenn am Tag des
Erscheinens eine Fraktionssitzung stattfände? Zweitens: Würden Sie auf Grundlage der
Informationen aus dem Artikel einen politischen Vorstoss lancieren? Wiederum wurden Einflüsse des Absenders der Nachricht, der Nachricht selber und des Empfängers
unterschieden. Zuerst zum Absender: Ob eine Information von einem Boulevardblatt
192
wie der Blick oder von der seriösen Neue Zürcher Zeitung verbreitet wird, hat keinen
Einfluss darauf, ob sie vom Politiker in den politischen Prozess eingespiesen wird. Der
Inhalt des Zeitungsartikels ist wichtiger. Die Ergebnisse zeigen, dass PolitikerInnen auf
eine Berichterstattung über negative Entwicklungen eher reagieren, als wenn Positives
dargestellt wird. Sehr interessant ist Einfluss der Thematik eines Artikels. Das Experiment zeigt, dass Politiker hinter verschlossenen Türen an einer Fraktionssitzung andere
Berichte zur Sprache bringen als dass sie für die Öffentlichkeit sichtbar einen politischen
Vorstoss lancieren. Je nach dem fällt ins Gewicht, ob ein Thema zu den Kernthemen
der Partei gehört, ob es ein Spezialgebiet des Politikers betrifft, oder ob sie es momentan
als politisch relevant einschätzt wird. Systembedingte Unterschiede zwischen den beiden berücksichtigten Ländern können klar nachgewiesen werden. Zu einem politischen
Vorstoss lassen sich niederländische PolitikerInnen in erster Linie durch einen Medienbericht bewegen, der ein Thema behandelt, auf das sie spezialisiert sind, zum Beispiel
aufgrund ihrer Kommissionsmitgliedschaft. Im Kontext in einer Fraktionssitzung ist für
sie jedoch wichtig ob das Thema zu den Kernthemen der Partei gehört und ob sie es momentan als politisch wichtig erachten. Bei den schweizerischen PolitikerInnen lässt sich
keine Differenzierung zwischen einer Reaktion in der Öffentlichkeit und einer Reaktion
in der Fraktion feststellen. Massgebend für eine Reaktion ist für sie der Stellenwert eines
Themas für die Partei und ob sie das Thema als politisch bedeutend einschätzen. Diese
Unterschiede zwischen den beiden Ländern sind wahrscheinlich auf das politische System zurückzuführen: Da die PolitikerInnen in der Schweiz in relativ kleinen Wahlkreisen
(Kanton) gewählt werden und Parteien kaum Einfluss haben darauf, welche Kandidaten
gewählt werden, wollen PolitikerInnen für ihre Wähler sichtbar in Aktion treten. Es geht
darum, vom Profil der Partei zu profitieren und zu zeigen, dass sie an den Themen dran
sind, welche die Öffentlichkeit (Medien) beschäftigen. Im den Niederlanden dagegen hat
die Partei einen sehr viel grösseren Einfluss darauf, welche Politiker gewählt werden da
Vorzugsstimmen keine bedeutende Rolle spielen. In diesem System ist es daher für PolitikerInnen wichtig, sich an die Aufgabenteilung innerhalb der Partei zu halten und in der
Öffentlichkeit vor allem ein Profil zu den eigenen Kernthemen aufzubauen. Alles in allem
zeigt das Experiment mit den PolitikerInnen, wie sehr sich diese strategisch verhalten
und dabei den institutionellen Kontext berücksichtigen.
Bedeutung der Studie Zusammenfassend hat das komplexe Forschungsdesign der
Experimente wichtige Einblicke in das Zusammenspiel zwischen PolitikerInnen und JournalistInnen möglich gemacht. Der Ländervergleich zeigt, wie wichtig der institutionelle
Rahmen ist. Auch wenn die PolitikerInnen die Medienberichterstattung sehr genau verfolgen, von einem reflexartigen Reagieren darauf kann nicht die Rede sein. Auch wenn
Politik als gesamtes vielleicht der Medienberichtgebung zu folgen scheint zeigen die vorliegenden Resultate, dass jeweils andere PolitikerInnen auf Medienberichte reagieren.
193
Dies tun sie auf Basis strategischer Überlegungen. Dies gilt auch für die JournalistInnen. Der durch das parallele Untersuchungsdesign möglich gemachte direkte Vergleich
der Selektionsmechanismen zeigt zudem, dass einzelne Kriterien im Zusammenspiel zwischen JournalistInnen und PolitikerInnen eine aufschaukelnde Wirkung entfalten können,
während andere Kriterien eher ausgleichend wirken.
Auch aus methodischer Sicht ergänzt das vorliegende Projekt die bestehende Literatur entscheidend. Experimentelle Studiendesigns mit Eliten sind selten. Das in dieser
Studie verwendete faktorielle Fragebogenexperiment erlaubte unter sehr realitätsnahen
Voraussetzungen experimentell zu forschen.
194
Herunterladen