Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Institut für Werkstoffwissenschaften 6 / AlN Martensstr. 7, 91058 Erlangen Vorlesung Grundlagen der WET I Dr.-Ing. Matthias Bickermann, Prof. Dr. A. Winnacker C. PHONONEN UND SPEZIFISCHE WÄRME 1. Lineare einatomige Kette Phononen sind harmonische Gitterschwingungen der an die Gleichgewichtslage elastisch gebundenen Atome in Kristallen. Die rücktreibende Kraft K ist proportional zur Auslenkung. Wir betrachten longitudinale Auslenkungen eine eindimensionalen Kette: K = α ⋅ (a ′ − a ) = α ⋅ u mit der "Federkonstante" α, dem Gleichgewichtsabstand a und dem Abstand zum Nachbarn a' während der Auslenkung u = a'–a. [Bild 1] Die zeitliche Variation der Auslenkung wird beschrieben durch 0 0 u n (t ) = u n ⋅ sin(kna − ω t ) . Hier sind un die Amplitude, k die Wellenzahl, x = na die örtliche Auslenkung (der n-ten harmonischen Schwingung) und ω die Kreisfrequenz. 2π 2π (Wellenlänge) und nach der Zeit T = (Periodendauer) wiederk ω holt sich die Amplitude: k (x + λ ) = kx + 2π und ω (t + T ) = ω t + 2π . Es gilt: 0 0 0 u n (t ) = u n ⋅ sin(kna − ωt ) = u n ⋅ sin(kna − ωt + 2πn ) = u n ⋅ sin((k + 2aπ )na − ωt ) . Der Kehr1 ω wert der Periodendauer ist die Frequenz der Schwingung ν = = . [Bild 2] 2π T Im Abstand λ = 2. Dispersionsbeziehung d 2 u n (t ) dt2 (Masse mal Beschleunigung). Die Lösung dieser Differentialgleichung führt auf die ka α π 1 α sin sin a bzw. ω = 2π ν = 2 . Damit sind Frequenz Bedingung: ν = m 2 π m λ und Wellenlänge (bzw. Kreisfrequenz und Wellenzahl) miteinander verknüpft, man spricht von einer Dispersionsbeziehung ω(k). Weiter folgt: Die Frequenzen der GitterDie Kraft K hängt von der Trägheit (Masse) der Atome ab: K = α ⋅ u n (t ) = m ⋅ schwingungen haben eine Obergrenze! ωmax = 2 α m . Und: Zwei elastische Wellen 2π haben die gleiche Frequenz ω(k), es ist also die Beschreibung der gleia chen Welle (siehe oben)! Somit reicht es aus, die Dispersionsfunktion im Bereich ⎤ π π⎤ ⎥ − a ;+ a ⎥ zu kennen; das ist die "1. Brillouinzone". ωmax wird genau an den Zonen⎦ ⎦ π ka = 1 ⇔ k = ± . [Bild 3] grenzen erreicht, denn aus sin 2 a mit Δk = 3. Akustische Wellen (Kontinuumsnäherung) ka π a α ka α πa =2 = << 1, man darf sin(x) ≈ x nähern: ω ≈ 2 . 2 λ m 2 m λ Man erhält eine lineare Beziehung ω = c ⋅ k mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit α a2 c = λ ⋅ν = . Diese ist aus der Elastizitätstheorie wohlbekannt (Wasser- und m E 2π 2π E Schallwellen), wo gilt: c = , also ω = c= mit dem Elastizitätsmodul E Für λ >> a gilt ρ λ λ ρ und der Dichte ρ. Mit der Näherung oben ergibt sich durch Koeffizientenvergleich: 2 E α E E ⋅m ; α= und schließlich ωmax = . a= 2 a ρ ρ m ρ ⋅a Die maximalen Frequenzen νmax liegen typischerweise im Bereich 1012…1013 Hz, das ist infrarote Strahlung. Phononen werden daher mittels IR-Spektroskopie untersucht. 4. Lineare zweiatomige Kette Die Dispersionsbeziehung ⎛ 1 1 ⎞ ⎟⎟ ± α ω = α ⎜⎜ + ⎝ M1 M 2 ⎠ 2 einer linearen zweiatomigen Kette lautet: 2 ⎛ 1 1 ⎞ 4 sin 2 (k ⋅ a ) ⎜⎜ ⎟⎟ − . [Bild 4] + M1 M 2 ⎝ M1 M 2 ⎠ Die quadratische Lösung hat zwei Zweige, den optischen Zweig ω+ und den akustischen Zweig ω–. Ihren Namen haben Sie nach der üblichen Anregungsart: Optische Schwingungen werden durch elektromagnetische Felder (Licht), akustische durch mechanische Krafteinwirkung hervorgerufen. [Bild 5] ⎛ 1 1 + Für k → 0 kommt man auf ω + (0 ) = 2α ⎜⎜ ⎝ M1 M 2 louinzone ist ω + ( 2πa ) = ⎞ ⎟⎟; ω − (0 ) = 0 . Am Rand der Bril⎠ 2α 2α ; ω− ( 2πa ) = . In jedem Fall wird ω+ >ω–, d.h. die DisM1 M2 persionszweige schneiden sich nicht. Es entsteht eine sog. "phononische Bandlücke". Mit Frequenzen zwischen ω − ( 2πa ) und ω + ( 2πa ) können keine Gitterschwingungen angeregt werden, Licht in diesem Wellenlängenbereich wird nicht absorbiert (Reststrahlenband in der IR-Spektroskopie). [Bild 6] 5. Dreidimensionale Betrachtung Ein dreidimensionales monoatomares Gitter erzeugt unabhängige Dispersionsbeziehungen für eine longitudinale (in Ausbreitungsrichtung) und zwei transversale (senkrecht zur Ausbreitungsrichtung) Wellen. Ein biatomares Gitter hat entsprechend drei akustische und drei optische Zweige. In Kristallen hoher Symmetrie können die zwei transversalen Wellen jeweils entartet sein, d.h. ihre Dispersionskurven sind gleich. Für k = 0 treffen die drei akustischen Zweige (bei ω = 0) sowie die drei optischen Zweige (bei ω ≠ 0, siehe oben) zusammen. Ansonsten haben die longitudinalen Wellen in der gesamten Brillouinzone jeweils größere Kreisfrequenzen ω als die transversalen. [Bild 7] 7. Spezifische Wärme nach Dulong-Petit Bei einer endlichen Temperatur bewegen sich die Atome im Gitter. In einem Kristall schwingen N Teilchen harmonisch in drei Raumrichtungen, man muss also 3N gekoppelte Oszillatoren betrachten. Nach der statistischen Mechanik hat die mittlere Energie (UOsz = Ekin + Epot) eines harmonischen Oszillators den Wert UOsz = kT (Boltzmann-Verteilung). Besteht der Kristall aus einem Mol (= NA) Teilchen, dann ist seine molare innere Energie bei der Temperatur T: U = 3 N A k T = 3 R T (NA ist die Avogadrozahl, 6,022 1023 mol–1, R ist die allgemeine Gaskonstante, 8,315 J/(mol K). ⎛ ∂U ⎞ Die spezifische Wärme bei konstantem Volumen ist definiert als CV = ⎜ ⎟ . Nach ⎝ ∂T ⎠V obiger Betrachtung wäre sie temperaturunabhängig: CV = 3 R = 25 J/(mol K). Das ist das Dulong-Petit'sche Gesetz. Es stellt aber nur bei hohen Temperaturen und großen Atomgewichten die Realität zufriedenstellend dar. Insbesondere beobachtet man CV → 0 für T → 0, was sich mit obigem Gesetz nicht erklären läst. [Bild 8] 8. Spezifische Wärme nach Einstein Nach Planck ist die Energie eines Oszillators gequantelt. Die Quantelung der Energien ist En = n h ω. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Oszillator die Energie En hat, ist − n hω P (n ) ~ e kT . Die Besetzung der Energieniveaus ist Boltzmann-verteilt, die Proportionalität wird normiert, indem jeder Oszillator eine Energie haben muss. Die mittlere hω ≠ kT (Übungsaufgabe). Energie ist nunmehr U Osz = h ω e kT − 1 Einstein entwirft 1905 ein Modell, nach dem alle Teilchen auf derselben Frequenz ω hω . Für kleine T gilt damit CV → 0, für große T schwingen, so dass gilt: U = 3N h ω e kT − 1 nähert sich die Formel dem Dulong-Petit'schen Gesetz an (Näherung für kleine x: ex → 1 + x). Das Modell beschreibt den Verlauf von CV(T) besser. Aber die Annahme, dass alle Teilchen auf derselben Frequenz schwingen, bildet nicht die Realität ab. 9. Spezifische Wärme nach Debye Nach Debye sind die Schwingungen der Teilchen über ein Frequenzspektrum verteilt. Die Kopplung der Oszillatoren führt wie bei Federpendeln zu Eigenschwingungen. Nach der klassischen Mechanik hat das System 3N Eigenfrequenzen, die entweder gleich- oder gegenphasige erzwungene Schwingungen auslösen. Aus der Überlegung, dass die zulässigen k-Vektoren ein Punktgitter bilden, und Kugeloberflächen in diesem (dreidimensionalen) Punktgitter Zustände gleicher Energie beinhalten (Übungsaufgabe), kann die Zustandsdichte D(ω), d.h. die Zahl der Zustände im infini3 ω2 ⋅ ⋅ V tesimalen Frequenzintervall [ω; ω+dω], beschrieben werden als D(ω ) = 2π 2 v 03 mit v 0 = ω als Schallgeschwindigkeit und V als Kristallvolumen. Da nur 3N Eigenk schwingungen möglich sind, existiert eine die Maximalfrequenz ωmax, bei der die Funktion D(ω) "abgeschnitten" wird. ωmax ∫ D(ω )dω = 3N berechnen zu ωmax = 3 0 Sie lässt 6π N v V 2 Für die mittlere innere Energie heißt das: U = 3 0 sowie die Debye-Temperatur θ = ωmax ∫ D(ω ) 3Vh k 3T 3 kT 2π 2v 03 h 3 h hω max k aus der Normierung . [Bild 9] 0 Umformen und Substitution zu U = sich hωmax kT ∫ 0 hω e hω kT dω . Man kommt durch −1 x3 dx . Hier führt man ωmax ex −1 ein, ersetzt N durch NA (molare innere 3 θ θ 3 9Vk 4T 4 N A T x 3 ⎛T ⎞ T x RT = 9 Energie) und erhält schließlich: U = dx ⎜ ⎟ ∫ x dx . Für 3 Vh 3 ∫0 e x − 1 ωmax ⎝ θ ⎠ 0 e −1 hohe Temperaturen nähert sich auch diese Formel dem Dulong-Petit'schen Gesetz, ∞ x3 π4 θ → ∞ wird das Integral ∫ x und man erfür niedrige Temperaturen dx = T 15 0 e −1 ( ) 3 3 12 4 ⎛ T ⎞ 3 ⎛T ⎞ ⎛ ∂U ⎞ hält U = π 4 RT ⎜ ⎟ ; CV = ⎜ π R ⎜ ⎟ ~ T 3 . Setzt man die Zah⎟ wird dann 5 5 ⎝ ∂T ⎠V ⎝θ ⎠ ⎝θ ⎠ 3 ⎛T ⎞ lenwerte ein, so erhält man für tiefe Temperaturen CV = 464,3 J mol ⋅ K ⎜ ⎟ . ⎝θ ⎠ Es ist bemerkenswert, dass in den Formeln für U und CV schlussendlich nur noch ein materialabhängiger Parameter auftritt, nämlich θ (bzw. θ/T). Somit ist eine Auftragung von CV N über T für alle Materialien gleich! [Bild 10] [Tab. 1] θ 3V k Da θ ~ ωmax = 2 α (siehe Abschnitt 2) ist die Debye-Temperatur θ groß bei kleiner m Atommasse m und großer Federkonstante α (d.h. hoher Schmelzpunkt). Diese Debye-Theorie besticht durch die Beschreibung der Wärmeleitfähigkeit unterschiedlicher Materialien, ist aber immer noch nicht realitätsgetreu: Wir wissen bereits aus den Abschnitten 2 und 3, dass die Schallgeschwindigkeit v0 nicht linear mit k skaliert, sondern als Funktion v0(k) aufgefasst werden muss (Dispersionsbeziehung!). 10. Spezifische Wärme von Metallen Auch freie Elektronen haben eine spezifische Wärme: CV = CVphonon + CVelektron . Allerdings kommen nut in Metallen freie Elektronen in hoher Konzentration vor. Und auch hier tragen nur diejenigen Elektronen zur spezifischen Wärme bei, die von einem auf einen anderen Zustand wechseln können. Das ist nur in einem Bereich von ca. 3kT um die Fermi-Energie EF herum möglich (hier sind zwischen 20% und 80% der Zustände besetzt, siehe Halbleiter-Skript). Somit ist der Anteil der Elektronen, die zur 3 kT 3 kT spezifischen Wärme beitragen, (vgl. Dulong-Petit). , und CVelektron = 3 R 2 EF 2 EF Eine genaue Integralrechnung liefert CVelektron = π2 2 R kT . Der Anteil der spezifischen EF Wärme, der durch Elektronen vermittelt wird steigt also (für niedrige Temperaturen) linear mit T, derjenige der Phononen mit T³. Rechnungen zeigen, dass nur für sehr geringe Temperaturen (unterhalb 1–3 K) der elektronische Anteil dominiert. [Bild 11] 11. Wärmeleitfähigkeit Die Wärmeleitung in Nichtmetallen erfolgt über Gitterschwingungen, also "Stöße mit den nächsten Nachbarn". Photonen können dabei als "Teilchen" mit Energie und Impuls aufgefasst werden, die mit anderen Teilchen kollidieren. Je größer die freie Weglänge der Photonen, desto höher die Wärmeleitfähigkeit λ. Die freie Weglänge Λ wird bei tiefen Temperaturen vorwiegend durch Stöße an Störstellen, bei hohen Temperaturen durch Stöße an anderen Phononen begrenzt. So entsteht typischerweise ein Maximum der Wärmeleitfähigkeit im Bereich 30–300 K und ein Verlauf mit λ ~ T–1 bei hohen Temperaturen. Eine starke Schädigung des Gitters oder eine hohe Störstellenkonzentration bewirkt einen drastischen Abfall der Wärmeleitfähigkeit auch bei hohen Temperaturen. Auch die Isotopenreinheit spielt eine Rolle. [Bild 12] In Metallen ist die Wärmeenergie ebenfalls in Gitterschwingungen gespeichert. Bei nicht zu tiefen Temperaturen wechselwirken die freien Elektronen mit den Phononen; das Elektronengas wird aufgeheizt. Die Wärmeleitung erfolgt damit hauptsächlich über Elektronen. Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der freien Weglänge der Elektronen (und damit der elektrischen Leitfähigkeit, siehe Skript) und der Wärmeleitfähigkeit. Dies kommt im Wiedemann-Franz-Gesetz zum Ausdruck: 2 λ π 2k 2 −8 V = L ⋅ T mit L = = 2 , 45 ⋅ 10 (Lorenzzahl). σ 3e2 K2 12. Bilder a’ a Bild 1: Einatomige Kette mit longitudinaler Anregung der Wellenlänge λ = 10a. Bild 2: Zwei Wellen mit Δλ = 2na beschreiben die gleiche Auslenkung. Bild 4: Lineare zweiatomige Kette. Bild 3: Dispersionsfunktion ω(k) der einatomigen linearen Kette. Bild 5: Optische und akustische Anregungen. Bild 6: Dispersionsfunktion ω(k) der zweiatomigen linearen Kette. Bild 7: Dispersionsfunktionen von Phononen in Silizium entlang verschiedener Ausbreitungsrichtungen k. Die Richtungen lassen sich im reziproken Raum an der Brillouinzone des Diamantgitters (links) verfolgen. Si besitzt auch optische Zweige, da die Elementarzelle mehr als ein Atom enthält; die transversalen Wellen sind entartet. Bild 8: Temperaturabhängiger verlauf der Spezifischen Wärme von Si und Ge. Bild 9: Tatsächliche Zustandsdichte der Phononen in Si und Vergleich mit dem Debye-Modell. Kristall Cs Hg Pb In Au KCl Ag Pt Nb ZnS NaCl Cu Li Ge θ [K] 38 72 105 108 165 235 226 240 275 315 321 343 344 370 Kristall W Mg Graphit LiCl Al Mo Ni Fe Cr Si LiF AlN Be Diamant Bild 10: Debye-Plot. Alle Kristalle haben den gleichen Verlauf von CV(T), nur die Werte für θ unterscheiden sich. θ [K] 400 405 420 422 428 450 450 467 630 640 732 950 1440 2230 Tab. 1: Debye-Temperaturen θ verschiedener Werkstoffe. Bild 11: Elektronische und phononische AnTeile an der spez. Wärme von Metallen. Bild 12: Temperaturabhängigkeit der Wärmeleitfähigkeit für Silizium und Germanium. Bei Silizium ist außerdem der Einfluss der Gitterdefekte, bei Germanium der Einfluss der Isotopenreinheit dargestellt.