4. Kapitel: Juristisches Lernen kann man lernen 4.1 Worin die Haupttätigkeit des Jurastudenten besteht: Lernen Lernen will gelernt sein. Sie müssen den Mut haben, in der juristischen Lern-Welt sehr schnell zu sich selbst zu finden – durch Ihre eigene persönliche Lern-„Erfahrung“, durch Ihr individuelles bewusstes „Erfahren“ der Lernwege zu einem eigenen „juristischen Menschen“ zu werden. Diese eigene Lernerfahrung machen Sie am Besten, wenn Sie beim Lernen etwas tun. Am meisten lernt man beim Selbermachen und durch Aufrichtigkeit gegen sich selbst. Heraus aus der juristischen Passivität – hin zu noch mehr Aktivität! Sich LernAufgaben und Lern-Tätigkeiten zu suchen, gelingt allerdings nicht jedem: ● Dem Ersten fehlt es an Kraft, sich gegen die süße Versuchung der Trägheit anzustemmen. ● Dem Zweiten gebricht es an der Gelegenheit, die ansprechenden und motivierenden professoralen und literarischen Lernmedien zu finden. ● Dem Dritten mangelt es ganz einfach an Interesse, Lust und Phantasie, wie sie für ein richtiges Lernen von Nöten sind. Stressfreies Jurastudium ist ein Hirngespinst! Lernen ist bei aller Freude immer auch anstrengend. Die Kunst Ihres Lernens muss darin bestehen, die Lernanstrengung nicht in einen übertriebenen Lernstress ausarten zu lassen, der lähmt und die Motivation vernichtet. Wichtig ist es, dass Sie gleich zu Beginn des Weges in die Juristerei die Lust zum Lernen gegen die Last des Lernens ankurbeln. Gelingt Ihnen das, dann sind Sie auch motiviert, und Sie werden aus sich selbst mehr machen als alle Lektionen, Dozenten, Kapitel und Vorlesungen aus Ihnen zu machen imstande sind. Lernen bedeutet nichts anderes als zu bestimmten festgelegten Zeiten bestimmte Wissensgebiete zu erarbeiten, das juristische Wissen durch Wiederholung und Falltraining zu festigen, zu üben, sich selbst zu überprüfen und … besser zu werden (Feed-back-Schleife). Und zwar unabhängig von der eigenen Befindlichkeit, unabhängig davon, wie man „gerade drauf ist“. Es bedeutet ganz schlicht, das „Notwendige“ zu einer bestimmten Zeit sachgerecht, verantwortungsvoll, gut und aufmerksam zu tun. Die „Not“ ist Ihr juristischer Stoff, das „Not-Wendige“ dieses Lernen! Wenn Sie Ihr Juragebiet immer besser beherrschen – und das wird nun einmal nur durch „Lernen“ gehen – macht es Ihnen auch bald Spaß. Das 356 Lernen in der Juristerei wird dann von Ihnen nicht mehr als harte Last empfunden, die verlangt, sich selbst Gewalt anzutun, sondern mehr und mehr als Lust. Wichtig ist, dass Sie schnell Zutrauen zu Ihren eigenen Fähigkeiten, Ihrer Motivation, Ihrem individuellen Lernen, zu Fleiß, Disziplin und Ausdauer finden. Wichtig ist auch, die juristische Welt nicht als Bedrohung, sondern als Stätte Ihres Aufbruchs und Ihrer Erfolgserlebnisse zu begreifen. Die Schicksalsfrage des Jurastudenten scheint zu sein, ob und in welchem Maße es seiner Studentenkultur frühzeitig gelingt, der Störung seines Studiums durch Trägheit, fehlende Lernfähigkeit und Lernbereitschaft und einer widerstrebenden Motivation Herr zu werden. Des Studenten anhänglichstes Haustier ist nicht die Katze, sondern der innere Schweinehund (neben dem beißenden Gewissenswurm). Tja, sieht so aus, als könne man dagegen nichts machen! Sieht aber nur so aus! Man kann vieles ändern im Erlernen der Juristerei – die Tatsache des Lernens selbst allerdings nicht! Die größte Idee des Studiums lässt sich immer auf sechs Buchstaben reduzieren: L.e.r.n.e.n! Das fraglose Entgegennehmen fertiger Erkenntnisse in den Vorlesungen, das bienenfleißige Mitschreiben gerade der Studenten der Anfängersemester, das Herumstochern im Nebel der Gutachten- und Subsumtionstechnik, die Aussage „Ich hab es ja gewusst, aber nicht gewusst, wo und wie und warum ich es in der Klausur unterbringen sollte“, dürfen gar nicht erst aufkommen. Sie werden bald entdecken, dass das „Lernen von Jura“, d.h. die Anhäufung juristischer Erkenntnisse und Fertigkeiten, die zukünftige Haupttätigkeit Ihres studentischen Lebens sein wird. Das „Lernen des juristischen Lernens“ ist dabei die Vorstufe des „Lernens von Jura“. Der Kluge tut deshalb gleich anfangs, was der Träge erst am Ende tut. Alle erfolgreichen Studenten tun dasselbe. Nur in der Zeit liegt der Unterschied. Der eine tut es zur rechten, der andere zur unrechten Zeit. Viele Studenten leben lieber in ihrem bekannten depressiven Unglück des Nichtlernens als zu dem ihnen (noch) unbekannten Glück des erfolgreichen juristischen Lernens aufzubrechen. Im ewigen Kontinuum von Ursache und Wirkung fühlt sich der Jurastudent, wie jeder Mensch, dann besonders unwohl, wenn er nicht mehr wegschauen kann und erkennt: „Das da bin ja ich! Und das ist, was ich tu! Und das ist, was ich nicht tue! Und wenn ich so weitermache, dann ... “. Wahrheiten, die Sie über Ihr Stu357 dium zu sagen versuchen, können allerdings nur das Produkt einer gewissenhaften Selbstprüfung sein. Bevor Sie weiterlesen, sollten Sie zu einer kurzen Bestandsaufnahme folgenden Selbsterkundungsbogen gewissenhaft auszufüllen (keine mehrfachen Ankreuzungen!). 358 Bestandsaufnahme über meine bisherige Ausbildung Punkte 4 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 Ich habe Schwierigkeiten, mit der Nacharbeit in Lehrimmer büchern und Skripten überhaupt zu beginnen Das zeigt sich in Ablenkungen wie Tennisspielen, oft Stadtbummel, Musikhören, Cafébesuchen, Parties Ich erreiche beim Lernen das, was ich mir vorgenie nommen habe In welcher Reihenfolge ich arbeite, überlasse ich dem immer Zufall Der Zeitdruck in Klausuren sehr macht mir zu schaffen Am Tag vor einer Klausur besonders lerne ich intensiv Meine Schwächen in den einzelnen Fächern kenne nicht ich Vor Klausuren habe ich immer Angst In der Klausur habe ich fast Denkblockaden regelmäßig Einen festen (Arbeits)Platz nie, zum Lernen habe ich mal hier, mal dort Meine Mitschriften in der wertlos Vorlesung/Lehrgespräch sind Ich arbeite nach einem nie täglichen Stundenrhythmus Neben dem Studium jobbe regelmäßig ich Zu Bett gehe ich regelmäßig nach 2 Uhr Die erarbeiteten Themen strukturiere ich (gliedere ich) Als „Anschaulichkeitsmacher“ setze ich Baumdiagramme ein 3 2 1 meistens selten nie manchmal kaum fast nie selten häufig meistens meistens selten nie gelegentlich etwas mehr als üblich kaum überhaupt nicht genau wie sonst gezielter ungefähr ziemlich genau ganz genau meistens manchmal ganz selten kommt oft vor gelegentlich kaum manchmal meistens immer kaum lesbar gut lesbar brauchbar sehr selten regelmäßig fast immer häufig gelegentlich nach 24 Uhr nie nach 23 Uhr nach 1 Uhr nie selten regelmäßig immer nie kaum manchmal regelmäßig 359 17 18 19 20 21 22 23 Die 4 Teile eines Wochenallenfalls endes (Samstag 8-12; 14gar nicht vor einer 18; Sonntag 8-12; 14-18) Klausur nutze ich zum Studium Die Wochenenden stehen genau überwiefür Freizeit gend Bei der Erarbeitung des Stoffes erkenne ich das fast nie sehr selten Wesentliche auf Anhieb Ich versuche, Unbekanntes mit Bekanntem zu vernetnie selten zen (mich zu erinnern) Von dem Gelernten habe ich vieles nach einigen Taja oft gen wieder vergessen Ich mache genau festgelegnein gelegentte Pausen beim Lernen lich Nach der Pause wieder anzufangen, fällt mir sehr schwer schwer 24 Ich lerne mit Musik oder immer FS-Untermalung 25 Aus der Vorlesung/dem überhaupt Lehrgespräch lerne ich nicht 26 Ich arbeite mit Kommilitonie nen zusammen 27 Wieviel Spaß ich an einem Fach habe, hängt vom nein jeweiligen Dozenten ab 28 In einem Gericht habe ich noch nie mich aufgehalten 29 Es gibt Studienfächer, für kein einzidie arbeite ich gerne ges 30 Ich bin faul, und darüber ärgere ich mich nein 31 Wenn ich ein Thema vertrotzdem standen habe, macht es mir nicht Spaß 32 Wenn ich ein Thema nicht verstanden habe, bemühe nie ich mich um den Durchblick 33 Eigentlich macht mir Jura nein Spaß 34 Ich weiß, was ich mit Jura nein später anfangen werde Summe der angekreuzten Felder Multiplikationsfaktor x4= Zwischenergebnis Gesamtergebnis 360 zu 2/4 zu 1/4 zur Hälfte jeweils alle 4 Wochen manchmal häufig häufig fast immer nur in einem Fach oft nein immer nicht immer ganz leicht leicht meistens manchmal nie viel häufig kaum ganz selten manchmal häufig sehr stark überhaupt nicht etwas sehr selten manchmal öfter eins zwei mehrere ich bin nicht faul so ist es manchmal manchmal immer so ist es manchmal öfter regelmäßig manchmal na ja stimmt ganz genau so ungefähr x3= x2= fast genau x1= Wenn Sie insgesamt zwischen 34 und 50 Punkten erreicht haben, macht Jura Ihnen Spaß und Freude, haben Sie keine echten Lernschwierigkeiten, und ich kann Ihnen nur raten: Machen Sie weiter, Sie sind auf dem richtigen Weg! Liegt Ihre Gesamtpunktzahl zwischen 115 und 136, können Ihnen meine Lern-Ratschläge kaum noch helfen. Ihr Einstieg in die Juristerei ist nicht gelungen! Sie müssen Ihr Studium von Anbeginn neu konzipieren, Ihr Lernverhalten völlig ändern, sich besser motivieren und vor allem: lernen wollen. Falls Ihr Gesamtergebnis zwischen 51 und 114 Punkten liegt, werden Sie sehr viel Nutzen aus den „Juristischen Entdeckungen“ ziehen können. Wichtig ist, dass Sie beim Ausfüllen des Fragebogens festgestellt haben, wie Sie bisher gelernt haben. Sie haben reflektiert! Dadurch ist Ihnen klar geworden, woran Ihr Studium „krankt“, worin Ihre Unlust, Ihre Fehler, Ihre Fluchttendenzen aus den wahren Lernaktivitäten in die Scheinaktivitäten möglicherweise begründet sind. Die diagnostischen Fragen „Welche Symptome haben Sie?“ und „Wo tut es weh?“ müssen so genau wie möglich beantwortet werden, bevor der Arzt das Übel rasch und wirkungsvoll in einer Therapie beseitigen kann. Genau so geht es beim Lernen. Es nutzt kein allgemeines Lamento; stattdessen die Ihnen durch den Fragebogen anempfohlene genaue Selbstanalyse, das schonungslose Beschreiben Ihrer Fehler und gegebenenfalls ein Umsteuern. Denken Sie daran: Wer A (Jura) sagt, der muss nicht B (Weitermachen) sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war. Jetzt, im Angesicht des Fragebogens, stellt sich spätestens die Frage nach der Optimierung des juristischen Lernens. „Du bist als Examenskandidat, was Du aus der Literatur aufgenommen hast und wem Du in der Lehre begegnet bist! Also schau genau hin, bei wem Du was hörst und von wem Du was liest!“ Viele Studenten halten sich nicht an diese Weisheit und vergeuden zu viel Energie auf Lernvorgänge, die keinen juristischen Lernerfolg bringen. Der Lernprozess zeigt sich am Anfang vorwiegend als ein stressiges, weil eben unkoordiniertes, undifferenziertes und unspezifisches Hin- und Herlaufen zwischen dem Studenten als bedürftigem Lernendem und seinen Lern-Medien, seinen Dozenten, Professoren (Hören), seinen Büchern, Skripten und Zeitschriften (Lesen), durch die er die juristische Tradition kennen lernen will. Lernen kann, gerade anfangs, zu einem äußerst belastenden stressigen Hetzen von Stoff zu Stoff, von Dozent zu Dozent, von Buch zu Buch unter permanentem Zeitdruck werden. Ein Student fühlt sich als Gefäß missbraucht, in das man ständig hineinstopft, statt ihn als Feuer zu begreifen, das entfacht werden will. Der richtige Weg des Lernens ist das Ziel beim Lernen des juristischen Lernens. Dazu gibt es viele Ansätze! Nur eines muss man eben zunächst immer: Anfangen, auf dem Weg zu 361 gehen, und zwar in die richtige Richtung. Deshalb ist ja der erste Schritt so wichtig. Der alte Schülerspruch „Wir wissen nicht, wo’s hingeht, aber wir werden die Ersten sein“, muss ausgedient haben. Nun ist Ihnen dieser zentrale Begriff des Lernens ja nicht ganz fremd. Sie sind als Mensch von der Wiege bis zur Bahre ein Lernwesen, ein sogenannter Homo discens. Der Mensch ist nun einmal aufgrund seiner mangelhaften Instinktausstattung notwendig verdonnert, ständig zu lernen. Er ist das lernbedürftigste, aber eben auch das lernfähigste Wesen in der Natur. Auch ist Ihr Gefühl des Alleingelassenseins beim Lernen nicht einmalig, die Größe Ihres Leidens nicht konkurrenzlos. Selbst wenn die erste Klausur verhauen sein sollte, nehmen Sie doch das „Mangelhaft“ als ein positives Zeichen der „Göttin Justitia“. Die schlechte Klausur ist ihr hinkender Bote! „Ich komme zu spät für die erste missratene Klausur, aber rechtzeitig genug, Dir mitteilen zu können, Deine alten schulischen Lernverhalten zu ändern und nun endlich neu und gewissenhaft mit dem juristischen Lernen anzufangen.“ Das muss die Botschaft des hinkenden Boten eines möglichen „Mangelhaft“ sein. Sie kommt spät, aber nicht zu spät! Aber was muss man als Jurastarter tun? Sein Leben für das Jurastudium ändern, sein Lernverhalten neu justieren. Dazu muss man zunächst drei neue Spielregeln akzeptieren: Spielregel Nr. 1 lautet: Illusionen aufgeben! Wer eine Illusion verliert, gewinnt immer eine Wahrheit hinzu. Die Illusion lautet: „Herrliches Studentenleben!“ Die Wahrheit ist: „Ohne Lernen geht es nicht!“ Fragen Sie mal einige Studenten, die schon vor Ihnen das Jurastudium ergriffen haben. Wie sah es bei ihnen nach dem letzten Semester aus? Noch immer die Scheu vor den Vorlesungen, noch immer die Selbstzweifel, noch immer das nagende Gefühl, nicht genug getan zu haben? Noch immer viel zu lange Nächte, noch immer keine Ahnung vom Sachverhalt, noch immer kein klares Tageslernkonzept entwickelt, wieder nicht in der Vorlesung gewesen, wieder nichts verstanden, wieder alles auf nächste Woche verschoben (zum wievielten Male eigentlich?)? Das ist nicht selten die Rückschau auf das letzte Semester. Da wird die akademische Lehrund Lernfreiheit zum Alptraum. Diese Studenten haben nicht kapiert, dass das Studium zwar keine „Ausbildungsstelle“ ist und sie keine „Azubis“ sind, studentische Freiheit aber nicht die Freiheit von Arbeit bedeutet. Die Gammelei hat keine Zukunft, es sei denn, man wollte scheitern und damit seine Zukunft aufs Spiel setzen - dann natürlich. Auch mit „Ge362 rechtigkeitsspinnerei in der Stammkneipe“, „gemütlicher Lehrbuchlektüre am Abend im Bett“, „Studentenleben á la 19. Jahrhundert“, „Träumereien vom Richterberuf“ ist es nicht getan. Spielregel Nr. 2 lautet: Man muss das juristische Lernen lernen! Niemand kann Ihnen die ureigene Entscheidung zum Lernen abnehmen! Sie tragen für diesen originären Prozess des Lernens in folgenden drei Phasen die alleinige Verantwortung: Für die Aneignungsphase: Das ist die Begegnung mit Jura. – Also: der Erwerb von juristischem Wissen, das Neulernen (Was muss von Jura wie strukturiert ins Gedächtnis?). Für die Behaltensphase: Das ist das Speichern des juristisch Erlernten. – Also: das Bewahren, das Aufheben, das Nichtvergessen (Wie kommt Jura ins Gedächtnis? Wie bleibt Jura im Gedächtnis?). Für die spätere Reproduktionsphase: Das ist das Offenkundigmachen des juristisch Gelernten – Also: die Lernpotentiale bei gegebenem Anlass – z.B. in der Klausur – einsetzen zu können (Wie kommt Jura abrufbereit vom Gedächtnis zum Fall?). Der Mehrwert dieses Lernprozesses ist ein Mehrwert an juristischem Wissen und Können. Der entscheidende Punkt für Sie ist, diese Phasen für sich zu optimieren. Kein Professor der Welt und kein noch so gutes Lehrbuch können Ihnen die Parole ausgeben: „Komm, hör oder lies mich – ich lehre dich schon! Vertraue mir!“, ohne sich dem Vorwurf der Scharlatanerie auszusetzen. Die Wissensvermittlung durch Ihre juristischen Lehrmedien setzt nur den Reiz zum Lernen. Was Sie aus diesem Reiz machen, bestimmen nur Sie selbst! Diese Lernerfahrung müssen Sie selbst leisten, alle Medien können Sie dabei unterstützen, aber sie können diese – Ihre originäre juristische Erfahrung – nicht erzwingen. Diese selbst konstruierte juristische Lerneigenerfahrung in Lerneigenzeiten ist das, was in Ihrem Langzeitgedächtnis am allerbesten zurückbleibt und das am Ende zu Ihrer juristischen Selbstwerdung führt. Nur dann „werden“ Sie nicht mehr Jura studiert, dann studieren Sie Jura! Und scheitern? Das tun nur die Anderen! Spielregel Nr. 3 lautet: Das sekundärtugendgesteuerte Lernen ist die zukünftige Haupttätigkeit jedes Jurastudenten. Einige Studenten neigen leider dazu, Fehler möglichst zwei- oder dreimal zu machen, damit man sie auch sicher beherrscht, indem sie diese Sekundärtugenden des Fleißes, der 363 Selbstdisziplin und der Leistungsbereitschaft, die den größten Einfluss auf ihre juristische Lernleistung haben, am Anfang immer wieder als Kinkerlitzchen zur Seite wischen. Die heutige Studentengeneration lässt sich aber nicht mehr disziplinieren, man muss sie davon überzeugen, dass sie keine Arroganz gegenüber den überlebensnotwendigen Sekundärtugenden Ordnung, Fleiß und vor allem Disziplin entwickeln. Viele wissen nicht, dass diese Sekundärtugendresistenz noch verheerendere Folgen hat als fehlende Intelligenz. Sekundärtugendgesteuerte Studenten sind erfolgreicher als die nur intelligenten. Sich ausschließlich auf seine Intelligenz zu verlassen, ist der verlässlichste Ausgangspunkt des Scheiterns in der Juristerei. Es gibt keine seriöse Untersuchung, die das Gegenteil belegt. „Intelligenz“ ist überwiegend angeboren? Unabänderbar? Änderbar sind aber jedenfalls der Fleiß und das auf Ordnung bedachte Lern-Verhalten und damit die Disziplin! Das größte Talent für Jura sitzt im Hosenboden (Goethe)! Ohne Selbstdisziplin und Selbstinstruktion, Fleiß und Geduld geht nichts im Jurastudium. Nur mit den alten Sekundärtugenden wird die Juristerei die wunderbarste Enttäuschung negativer Erwartungen. Die disziplinierte Ordnung entscheidet durch eine einmalige zeitliche Einrichtung (Studientag/Studienwoche/Semester) und eine sächliche Einrichtung (Arbeitszimmer/Schreibtisch/Aufzeichnungen), wann, wo und wie Jura gelernt wird. Sie schafft eine Art Wiederholungszwang und ermöglicht dem Studenten die beste Ausnutzung seiner Zeit, während sie seine psychischen Kräfte schont, indem sie ihm in jedem gleichen Falle Zögern, Schwanken und Zweifel erspart. Man könnte erwarten, dass sich bei den Studenten von Beginn an die Wohltaten der Disziplin und Ordnung durchsetzen und ist immer wieder erstaunt, dass der Student zu Studienbeginn einen fast natürlichen Hang zur Nachlässigkeit und Unregelmäßigkeit an den leider meist unverfassten Studentenalltag legt und sich erst mühsam an zeitliche und räumliche Ordnung gewöhnt. – Arbeitsplan machen? Arbeitsstunden eintragen? Arbeitsrhythmus konditionieren? Arbeitshaushaltsbücher anlegen? „Juristisches Lernen“ muss jurafachgerecht erfolgen. Es muss also an die Besonderheiten des gesetzlichen Lernstoffes und an die methodischen Anwendungen ebenso angepasst sein wie an die juristischen Formen der Prüfungen in konkreten Klausuren und Hausarbeiten. Juristisches Lernen will gelernt sein! 364 Wie gesagt: Viele Studenten vergeuden zu viel Energie auf Lernvorgänge, die keinen juristischen Lernerfolg bringen. Es ist für einen Jurastudenten eine Frage der reinen Lernökonomie, sich möglichst schnell differenzierte und juristisch spezifische Lernfähigkeiten und -techniken zuzulegen, um sich in knapper Zeit durch möglichst vielen Stoff hindurchzuarbeiten. Die Effizierung, d.h. die Verbesserung Ihrer Wirkkraft, und die Ökonomisierung, d.h. die rationelle Verwendung Ihrer Kräfte, müssen die Wegmarken für dieses „SurvivalTraining“ setzen. Das richtige Lernen ist das Ziel beim Lernen des juristischen Lernens. Entdeckt haben Sie sicherlich, dass schon jetzt das Lernen von Jura, d.h. die Anhäufung juristischer Erkenntnisse, die Haupttätigkeit Ihres studentischen Alltags bedeutet. Dazu muss man das Metalernen, das Lernen des juristischen Lernens, lernen. Es ist die Vorstufe des eigentlichen Lernens von Jura und umfasst alle Ihre Verhaltensänderungen, die durch Selbst- und Fremderfahrungen im Umgang mit der Juristerei zustande kommen und einen nachhaltigen Lernerfolg bei Ihnen sicherstellen. Leider hat das Gehirn keine Löschtaste. Eine möglicherweise schlechte Verhaltensweise aus der Schule werden Sie nur wieder los, wenn Sie sie im Gedächtnis mit einer neuen, besseren überschreiben. In der Schule genügte es häufig, einen Tag vor einer Klausur punktuell zu lernen. Ein solches Lernen reicht in der Hochschule nicht mehr aus. Hier baut alles linear aufeinander auf. Und dann alles auf einmal im Examen: ohne Abschichtungen oder Abwahlmöglichkeiten. Vom ersten Semester an ist man in der Examensvorbereitung. Sie müssen versuchen, speziell für den Erwerb juristischen Wissens erwünschte Lern-Verhaltensweisen zu stiften, alte Schul-Lern-Verhaltensweisen für das juristische Lernen zu verbessern (schülerhafter Lernstil ist unreifer Lernstil) und falsche, unerwünschte Lern-Gewohnheiten, die dem juristischen Lernen im Weg stehen könnten, abzubauen. Also: Was ist zu tun? Tun Sie etwas! Dabei genügt es nicht, irgendetwas zu tun. Bloßer Aktionismus bringt noch nichts. Sie müssen vielmehr das Richtige tun beim Lernen. Und was ist das Richtige? Hier einige Ideen, damit Sie nie mehr allein sind im Paragraphenwald, vielmehr kleine Helfer haben, die Sie ständig begleiten und schützen. Lerntechniken zum effektiven Jurastudieren muss man sich selbst aneignen, dafür gibt es keine Kurse. – Aber es gibt gute Lerntipps: 1. Tipp: Drei Regeln beachten, denen jeder juristische Lernprozess unterliegt 365 Es wird heute viel psychologisiert über die Individualität des Lernens, die unterschiedlichen Lerntypen, die persönliche Lernatmosphäre und eine lernheimelige Umgebung, die spezielle Lernverfassung – alles schön und gut. Aber: Bei aller Liebe zu Eigenarten des Einzelwesens „Student“, gibt es drei Regeln, denen jeder juristische Lernprozess unterliegt: Regel 1: Gehirngerechtes juristisches Lernen heißt wissenspeicherndes Lernen! Juristischer Lernerfolg tritt erst dann ein, wenn das juristische Wissen im Langzeitgedächtnis verankert ist. Das Vergessen ist leider der Regelfall. Was Sie behalten wollen, müssen Sie besonders sichern. Entscheidend hierfür ist: Wiederholen und noch einmal wiederholen, das Gehirn ist kein Scanner Vernetzen des Neuen mit dem Alten um Zentralbegriffe Überblicke vor Einzelwissen schaffen Systematisierung Normalfälle vor Exoten speichern Baumdiagramme im Gedächtnis einstellen Zu jedem Problem einen Fall ins Langzeitgedächtnis überführen Prüfungsprogramme, also Schemata, einspeisen Auf Anschlussfähigkeiten des juristischen Stoffes achten Regel 2: Typgerechtes juristisches Lernen heißt erst sich selbst analysieren und dann erst lernen! Jeder Student ist eine andere Persönlichkeit und damit ein anderer Lerntyp. Individuellen Lerneingangskanal testen und wählen: Hören, Sehen, Tun Fragen: „Was hält mich vom Lernen ab?“ Störquellen abstellen Chaotischen Arbeitsplatz vermeiden oder sich im Chaos einquartieren Ideale Lernzeit herausfinden. Bin ich „Lerche“ oder „Nachtigall“? Spezielle Tagesziele suchen, setzen und kontrollieren Bildtyp? Malen Sie Baumdiagramme Spieltyp? Fertigen Sie sich ein juristisches „Law-Persuit-Quiz“ Motivieren Sie sich ganz persönlich für Ihr „Unternehmen 1. Semester“ Regel 3: Klausurengerechtes juristisches Lernen heißt vom Ende her lernen! 366 Juristisches Wissen bewährt sich immer erst am Fall in der Klausur. Direktes Wissen wird nie abgefragt, immer nur indirekt über Fälle. Enge Bindung ans Gesetz setzt Gesetzeskunde voraus Neben Gesetzeswissen gilt es, das Methodenwissen aufzubauen: Gutachten und Subsumtion Jura ist eine Entscheidungswissenschaft und wird erprobt am zu entscheidenden Fall Alle Klausurenfälle sind normgeleitet, deshalb steht am Anfang immer (!) eine Antwortnorm Im „BGB“ und „StGB“ muss man sich bald zu Hause fühlen Gesetzesketten an den Gesetzestext schreiben, den man dann allerdings so nicht in Klausuren verwendet (sonst: Täuschungsversuch) Gutachten-, Auslegungs-, Argumentations-, Sprachstilkenntnis Definitionsbeherrschung Juristischer Klausuren-Wortschatz Problemschatzkiste (Ordner) anlegen für Fälle, die nur mit dem Gesetz nicht so einfach zu lösen sind. 2. Verlassen Sie ein Lernplateau immer erst dann, wenn Sie es im juristischen Griff haben. Es ist schon deprimierend zu sehen, wie viel des juristisch Gelernten bei den Studenten immer wieder verpufft. Der Hauptfehler des Jurabeginners beim Lernen besteht erfahrungsgemäß darin, dass der Student ein Lernplateau verlässt, obwohl er es als Lernender noch gar nicht begriffen, geschweige denn durchdrungen hat. Wie der juristische Erkenntnisbaum vom innersten Mark „Ring“ für „Ring“ langsam nach außen wachsen musste, um sturmresistente Stabilität zu gewinnen, so muss beim Lernen ein lastendes „WissensPlateau“ auf ein belastbares tragendes „Wissens-Plateau“ geschichtet werden. Anderenfalls fällt alles Erlernte immer wieder jämmerlich in sich zusammen. 367 Übertragen auf die juristische Ausbildung bedeutet das: Jur. Wissen in der jur. Ausbildung 3. Plateau 2. 2. Plateau Plateau 1. 1. 1. Plateau Plateau Plateau Zeit in der jur. Ausbildung Lernplateau 1 (Recht, Rechtsordnung, unsere Jurasprache, unsere Methoden, das Konditionalprogramm und die Systeme der Gesetze) und Lernplateau 2 (Gutachtentechnik in StGB und BGB, Anspruchsgrundlagen §§ 433 II, 985, 812 I BGB, Abstraktionsprinzip) müssen fest gefügt sein, bevor man dieses Lernplateau verlässt, um auf ihm tragend aufzubauen. Viele brechen aber auf Lernplateau 1 oder 2 viel zu früh ab, obwohl sie erst die Vorstufe des Lernplateaus erreicht haben, was sie aber nicht erkennen. Die Folge: Schon auf Lernplateau 3 (AT StGB und AT BGB) bricht das Gebäude mangels Stabilität und Festigkeit der Plateaus 1 oder 2 ein – die 1. Klausur geht daneben! – Das muss nicht sein! Nichts Halb-, Schief- oder gar Nichtverstandenes darf mehr vorhanden sein, die notwendigen methodischen Fertigkeiten müssen eingeübt sein, Sie müssen sich mit „Hand auf’s Herz“ selbst kontrolliert haben, dann, aber auch wirklich erst dann, dürfen Sie auf das dritte Lernplateau. 3. Das Gesetz steht am Anfang und Ende! In der Klausur haben Sie nur das Gesetz zur Hand, und nur, wer schon beim Lernen mit dem Gesetz arbeitet, findet sich auch in der Klausur darin gut zurecht. Bevor Sie ein neues juristisches Rechtsinstitut angehen, abstrahieren Sie es von allen momentan unwichtigen Details und lesen Sie zunächst mit dem Zeigefinger mehrmals nur das Gesetz! Ziehen Sie alles Unwichtige ab! Steigen Sie ein ins Gesetz! Öffnen Sie das Gesetz mit dem „Konditionalprogramm“! Wenn-Dann! Präparieren Sie mit der „Seziertechnik“ die einzelnen Bausteine der Tatbestandsmerkmale heraus! Was will das Gesetz regeln? Was ist sein télos (Zweck)? Was seine Tatbestandsmerkmale? 368 4. Geben Sie Ihrem studentischen Leben ganz schnell eine Verfassung, eine Rahmung! Fangen Sie endlich an mit dem wirkungsvollen Lernen von Jura! Planen und organisieren Sie richtig! Entwickeln Sie ein Gespür für das, was möglich ist, aber auch für das, was unmöglich ist! Teilen Sie den Tag ein! Ein Drittel Arbeit; ein Drittel Freizeit; ein Drittel Schlaf! Lächerlich? Nein! Disziplin! – Abschreckend? Mag sein! Muss aber sein! 5. Disziplinieren Sie sich! Disziplin ist es, was einen guten Jurastudenten von einem schlechten Jurastudenten unterscheidet. Disziplin heißt eine Verabredung mit sich selbst treffen und diese auch einhalten. Konzentrieren Sie sich auf erreichbare Ziele! Die nächste Klausur ist die schwerste analog der Fußballerweisheit: Der nächste Gegner ist immer der schwerste! Dabei müssen Sie kein Musterkind, kein Ordnungsfanatiker und Arbeitswütiger werden; kein Vollkommenheitsapostel. Aber ein bisschen Ordnungssinn, Perfektionismus, Disziplin, Fleiß steckt doch in jedem. Halten Sie diese Tugenden, diese notwendigen Sinnstiftungskomponenten für Ihre juristische Ausbildung aus! Arbeiten Sie mehr, tiefer, ernsthafter, fleißiger und ausgewogener! Und: Wenn der Körper am Schreibtisch ist, dann bitte auch der Kopf. Entweder beide da – oder beide weg. 6. Denken Sie aber auch nicht immer: „Erst wenn alle juristischen Arbeiten erledigt sind, gönne ich mir mein Vergnügen.“ Das wird nie der Fall sein! Es gibt immer etwas zu vervollkommnen, noch ein Skript, noch ein Lehrbuch, noch eine vorbereitende Klausur, hier glotzt Sie das lange Zeit vernachlässigte BGB - Allgemeiner Teil, dort das Stiefkind Erbrecht an. Nehmen Sie es heiter gelassen. Machen Sie mal Pause! Lernen ist anstrengend! Sie sind nicht nur o.k., wenn Sie perfekt sind. 7. „Heben“ Sie alles in Ihrer „Juristischen Lern-Schichten-Pyramide“ „auf“! Jeder juristische Wissensgewinn bedarf des Vorwissens, jede Lern-Erfahrung bedarf der Vorerfahrung, jede Denk- und Arbeitsmethode baut auf einer Vorgängerin auf, jede Klausuren-Technik fußt auf erprobter Vortechnik. Sie müssen immer bemüht sein, unter keinen Umständen erfahrungsresistent zu werden. Bisher bewährtes erfahrenes juristisches Wissen, bisher bewährtes erfahrenes juristisches Lernverhalten, bisher bewährte erfahrene juristische Methodik und 369 bisher bewährte erfahrene juristische Klausuren-Lösungs-Technik dürfen keinesfalls preisgegeben werden, sondern Wissen, Erfahrung, Methodik, Lernregeln und Technik müssen sämtlich Schicht auf Schicht als Lern- und Entscheidungshilfen für weitere Erkenntnis- und Erfahrungsgewinnung aufgefaltet werden. Sie beginnen evolutionär auf der Entwicklungsstufe eines juristischen Einzellers, doch schnell wird Ihre juristische Evolution zunehmend mehrzellig, raffinierter und komplizierter. Sie führt Sie bald über verschiedene Entwicklungsstufen zum „juristischen Menschen“ nach dem Prinzip: Eins nach dem anderen. 8. Jede Ihrer erfolgreich „beendeten“ 2-Stunden-Lerneinheiten darf niemals in sich selbst zurückkehren. Sie muss immer eine Aufwärtsdrehung enthalten, ihr „Ende“ ist stets der „Anfang“ einer neuen juristischen Ausbildungsschraube, die dem Wissens-, Methoden- und Erfahrungsmehrgewinn entspricht. Das ist der Ratscheneffekt: Es geht nur vorwärts, niemals zurück! Alles wird „aufgehoben“. 9. Haben Sie keine Angst vor sich selbst, keine Angst vorm Alleinsein. „Mir fällt die Decke auf den Kopf“ ist eine ständige Ausrede von Studenten, die schnell raus wollen, weil sie Angst haben, in sich selbst nichts anderes zu finden als ständige beängstigende Unruhe. Diese Studenten tun Dinge den ganzen Tag, die sie eigentlich gar nicht tun wollten. Sie kennen diese Hyperaktivitätsaktionen? Es handelt sich dabei vorwiegend um reine Ablenkungsmanöver und eine Flucht vor der einzig notwendigen Aktivität: arbeiten und studieren. Installieren Sie einen inneren Beobachter, der diesem Drang zur Flucht Paroli bietet! Korrigieren Sie Ihren Drang nach „weg vom Skript“ durch einen Hang „hin zum Skript“! Halten Sie es mit sich selbst aus! Diese Einsicht müssen Sie kauen, um sie zu schmecken. Sie schmeckt anfangs bitter, verwandelt sich aber in Süße, wenn man juristischen Lernerfolg hat. 10. Entwickeln Sie eine Niederlagenkultur. Kein Jura-Student kommt ohne Niederlagen aus. Die Siegertypen gibt es nur im Fernsehen. Es ist kein Fehler, Fehler zu machen, wenn man nur daraus lernt. Man kann jeden Fehler machen, wenn möglich aber nur ein einziges Mal. Denken Sie nicht immer: „Die anderen sind besser, talentierter, begabter.“ Es sieht bei den „anderen“ vielleicht alles leicht und lässig aus. In Wirklichkeit fällt auch ihnen in der Juristerei nichts in den Schoß. Sie arbeiten hart für ihren Erfolg, lassen sich ihre Anstrengungen aber häufig nicht anmer370 ken. Sie sind nicht „begnadeter“, sie sind ganz einfach fleißiger. Auch Sie schaffen das, wenn Sie Ihre Energie konzentriert in das „Projekt Jura“ stecken. Es verwandelt sich nicht alles gleich in Gold, schon gar nicht im Beginn der juristischen Ausbildung. 11. Lernen Sie, „nein“ zu sagen. Dies ist erfahrungsgemäß sehr schwer, aber auch ungemein wichtig für ein erfolgreiches Lernen. Jeder ist ein wenig gefallsüchtig, und mit „Ja“ gefällt man nun einmal (vermeintlich?) mehr als mit „Nein“. In jedem steckt ein kleiner Jesus, ein Helfertyp, ein Nächstenliebender, der immer helfen will, der diesen Typ in sich befriedigen und ruhig stellen will. Im Anfang der Juristerei brauchen Sie überwiegend sich selbst! Ihre Energie und Kraft müssen Sie auf Ihr juristisches Studium konzentrieren! Sie müssen sich jetzt helfen – und helfen lassen! Erkennen Sie Ihren eigenen Wert beim Lernen, schaffen Sie sich Ihre täglichen Lernerfolge, dann brauchen Sie nicht dauernd bestätigt zu werden! 12. „Wie benehme ich mich so, dass niemand bemerkt, dass ich da bin?“ „Ich setze mich in die letzte Reihe des Studiengruppenraums oder Hörsaals, da kann ich sehen, aber nicht gesehen werden.“ Alles Einstellungen, die der Vergangenheit angehören müssen: Setzen Sie sich in die erste Reihe im Hörsaal! Reißen Sie Ihre „SchönfelderBarriere“ ein! Verkriechen Sie sich bei Nichtverstehen von Jura nicht in die Furche. Totstellen nützt jetzt gar nichts. Greifen Sie an! Niemand hat alles gleich verstanden. Wenn Sie nach Hause kommen, entwickeln Sie einen Hang zum Eremiten, zum Stubengelehrten! Mit dem ständigen „Das mach ich gleich“ – ist es vorbei. Gleich ist jetzt! Setzen Sie die Prioritäten anders! „Ich habe keine Zeit zum Lernen von Jura“ gehört ebenfalls der Vergangenheit an. Keine Zeit haben, gibt es nicht. Alles ist eine Frage Ihrer Priorisierungsfähigkeit. 13. Werden Sie zum eigenen Entdecker neuer juristischer Lern-Ideen, werden Sie zum kleinen Forscher, zum Erfinder von Skizzen und Diagrammen! Jedes Skript, jedes Buch, jede Lehrveranstaltung, jeder Fall sind dafür ein weites Feld. 14. Lassen Sie Ihr generelles Misstrauen fahren gegen alles, was „JuraDozent“ heißt! Neigen Sie nicht dazu, in diese Personen Feindschaft, Ablehnung und immer nur negative Gedanken hinein zu projizieren. Dafür gibt es keinen Anlass. 371 15. Werden Sie zum Sammler von juristischem Gedankengut! Ein aktiver Lerner ist wie ein Sammler immer tätig. Er ist niemals fertig und wird auf seinem langen Weg ständig durch eingesammelte Lernerfolge belohnt und durch Lernwiderstände nur angespornt. Funktionieren Sie Ihre frühere kindliche Sammelleidenschaft ganz einfach um! Betreiben Sie Jura mit der gleichen Passion! Sammeln Sie Wissen! Sammeln Sie Methodik! Sammeln Sie Erfahrung! Sammeln Sie Fälle! So werden Sie Ihr eigener Autor! Der Titel Ihres Sammelbandes: „Mein eigenes Skript“. Lehnen Sie diesen Rat nicht gleich als „viel zu mühsam“, „unmöglich zu schaffen“ ab! Sie müssen den neuen Stoff in Ihre bereits geschaffenen, eigenen Denkwaben einfüllen, ihn in Ihre eigene um Einfachheit und Klarheit, also um „Entkomplizierung“ bemühte Sprache übersetzen, ihn dem eigenen Sprachschatz und Wortempfinden anpassen. Sie müssen ihn mit Ihren eigenen optischen Hilfsmitteln, Ihren Kommoden und Baumdiagrammen, aufbereiten, systematisieren, fixieren und ihn mit einem „Beispielsfall auf Normalfallniveau“ unterlegen, ihn an Ihr Vorwissen ankoppeln und ihn in Ihre Strukturen eintäfeln. Wenn Sie diesen Weg zu Ihrer archivierenden Kollektion mitgehen, dann unterliegen Sie nicht mehr der Illusion, den Stoff gelernt zu haben, und ihn nicht mehr zu vergessen, sondern Sie haben ihn gelernt und werden ihn nicht mehr vergessen. Neben dem Lösen von Klausuren ist das die wichtigste Lernaktivität, die man Ihnen mitgeben kann: die „sammelnde“ Erstellung Ihres originären, ureigenen Skripts als Ihr „Grundmedium“. „Erfahrungslernen führt zu Erfahrungswissen“! Neue gesammelte Informationen aus anderen Büchern, der Rechtsprechung oder aus Vorlesungen können Sie zu jeder Zeit in Ihr Grundmedium „Mein eigenes Skript“ übernehmen. 16. „Er“-arbeitung des Stoffes durch seine „Be“-arbeitung am Fall! Klausuren, Klausuren, Klausuren! Ergreifen Sie jede Gelegenheit beim Schopf, in der Ihnen Klausuren zum Schreiben oder Durcharbeiten angeboten werden. Neben dem Hören und Sehen verfügen Sie nämlich über einen dritten Lernkanal, der von den Meisten viel zu wenig genutzt wird: das aktive Handeln! Durch Handeln können Sie die vor einer Informationsüberflutung schützenden Barrieren des Kurzzeitgedächtnisses am Besten überwinden. Eben: Use it, or lose ist! Learning by doing! Was für einen Sportler oder Musiker selbstverständlich ist, nämlich das Lernen durch Training, sollte auch für Sie zur ewigen Regel werden. Es muss Ihnen gelingen, sich selbst von der Vorlesungs- und Lehrbuchlesepassivität zur Fallbearbeitungsaktivität zu führen. Sie müssen juristisch „arbeiten“, indem Sie den Fall juristisch „bearbeiten“, ihn sich durch Aktivität erschließen, „erarbeiten“, aneignen und ihn sich so beherrschbar machen. Wie ein Bildhauer am Rohmaterial Marmor „arbei372 tet“ und es so „bearbeitet“, so arbeiten Sie am Rohmaterial „Fall“. Michelangelo hat einmal gesagt: „Ich habe die Statue nicht geschaffen – sie war schon im Marmorblock drin!“ So ähnlich ist es mit dem Fall: Die Lösung steckt schon im Fall, und sie erschließt sich durch seine Bearbeitung! Man höre die Weisheit der alten Chinesen: Erkläre es mir, und ich vergesse es! Zeig es mir, und ich erinnere es! Lass es mich tun, und ich habe es verstanden! Diesen Nachweis durch die Lernpsychologen der „alten Chinesen“ müssen Sie sich zunutze machen. Tun Sie das Ihnen von fremden Lehrmeistern Erklärte und Gezeigte selbst! Trainieren Sie am Fall! Rezepte und Regeln entstehen aus Erfahrung, d.h. aus erinnerten Ergebnissen über Versuch und Irrtum. Hier eine Erfahrung, die Sie sich immer wieder selbst bestätigen können. Der Versuch: „Ich will eine juristische Vorlesung nach einem Tag rekonstruieren.“ Der Irrtum: „Ich muss leider feststellen, dass sehr wenig hängen geblieben ist.“ Nach einem Tag verfügen Sie nur noch über Erinnerungsinseln. Nach einer Woche? – Nach einem Monat? – Alles weg! Die Vergessenskurve rast dramatisch in den Keller, sie neigt sich gegen Null. – Wie oft noch? – Aus Versuch und Irrtum wird Ihre Erfahrung: „Den Wirkungsgrad kann ich erhöhen, wenn ich den Lernkanal „Hören“ mit dem Lernkanal „Sehen“ kombiniere, also Vorlesung einerseits und Skripten, Lehrbücher sowie meine in der Vorlesung gefertigten Aufzeichnungen andererseits durcharbeite.“ Eine weitere Steigerung erreichen Sie durch aktives Tun, z.B. die eben anempfohlene Erstellung eines eigenen Skripts und ... die Fallbearbeitung. Versuchen Sie es: Sie merken sich 10 % von dem, was Sie hören, 20 % von dem, was Sie lesen, 60 % von dem, was Sie lesen und hören, 70 % von dem, worüber Sie selbst sprechen und 90 % von dem, was Sie selbst ausprobieren und ausführen. Das aktive juristische Lernen durch die Anwendung des Rechtsstoffes auf den praktischen Fall ist unentbehrlich. Sie müssen „problemorientiertes Lernen“ (Theorie) mit „fallorientiertem Falltraining“ kreuzen. Alle Gesetze und Rechtsinstitutionen lassen sich zwar in Vorlesungen oder Lehrbüchern abstrakt erschließen (Erkläre es mir!), werden aber nur unter Zuhilfenahme von konkreten Beispielsfällen in Übungen behalten (Zeig es mir!). Sie verstehen alles erst dann, wenn Sie selbst etwas machen und Fälle lösen (Lass es mich tun!). 17. Übersetzen Sie fremde juristische Texte in Ihre eigene Sprache! Aktives Lernen bedeutet auch, alle einzuspeichernden Informationen möglichst in die eigene Darstellung zu übersetzen. Lehrende und Lernende besitzen verschiedene Begriffswelten. Deshalb sollten Sie von Anfang an den mitgeteilten Stoff aus der fremden Jurawelt 373 in Ihre eigene Sprachwelt übersetzen. Ihre Jurawelt muss entstehen! Denken Sie an Ihre eigene Autorenschaft zum eigenen Skript! 18. Erkennen Sie die Strukturen hinter den Formulierungen! Arbeiten Sie die juristischen Strukturen heraus, die sich hinter allen juristischen Texten verbergen. Mitunter fällt das schwer. Manche Autoren oder Dozenten – ganz zu schweigen vom Gesetzgeber – setzen ihren Ehrgeiz daran, die von ihnen gebildeten Strukturen hinter Worten und Tiraden möglichst zu verstecken. Dann müssen Sie als Student besonders intensiv gegen die Lehrenden und Autoren, besonders aber gegen den Gesetzgeber arbeiten. Finden Sie hinter dem Gesagten in Vorlesung, Buch und Gesetz das Gemeinte! Erkennen Sie die systematischen Strukturen hinter den Formulierungen der juristischen Autoren! Diese Aktivität bringt Ihnen reichen Lohn. Hilfsmittel dazu sind das „Sezieren der Gesetze“ und das „System Baumdiagramm“! Hoffentlich ist das schon Ihr oft genutztes juristisches Handwerkszeug für das Knacken harter juristischer Nüsse!? Jura nur vom Hörensagen darf es nie geben – immer müssen Sie das Gesetz, sein Ziel und das System, in dem es steht, einbeziehen! Immer das „Weshalb und Warum“ des Gesetzes mitdenken, seinen „Geist“ suchen! 19. Bilden Sie sich Ihre eigenen Strukturen! Dieses Stück Überzeugungsarbeit am eigenen Verstand kann Ihnen niemand abnehmen. Angesichts unterschiedlicher Strukturen in verschiedenen juristischen Lernmedien wird Ihnen bald deutlich, dass Sie nicht einfach vorhandene Strukturen blind übernehmen können, sondern eigene bilden müssen. Sie müssen mit Ihren eigenen BaumdiagrammStrukturen arbeiten. Ihr entscheidendes Richtigkeitskriterium ist dabei Ihre Überzeugung von der Stimmigkeit der von Ihnen selbst gebildeten Strukturen. Ihre selbst entworfenen Strukturen können am Anfang ruhig laienhaft, naiv, möglicherweise sogar falsch sein. Das macht nichts! Entscheidend ist, dass Sie etwas haben, was Sie während der Vorlesung oder der Lektüre aktiv gegen den Vortrag des Dozenten oder den Text des Buches halten können. Damit unterscheiden Sie sich von den vielen hundert Kommilitonen, die sich einfach passiv berieseln lassen – und sofort alles wieder vergessen. Sie haben im Unterschied zu Ihren Jura-Kommilitonen ein Zuhör- oder Leseprogramm – Ihr Baumdiagramm. Sie sind ein aktiver, Strukturen bildender Zuhörer oder Leser. Sie sind neugierig, ob Ihre Strukturen stimmen oder ob Sie etwas falsch gemacht haben. Sie haben Spannung – Entdeckerfreude und Neugier an und auf Strukturen. Sie werden die juristische Vorlesung und die Literatur strukturiert optimal ausschöpfen. Sie werden den Wirkungsgrad Ihres Jura374 Lernens durch aktives Lernen und strukturierte „Bearbeitung“ des Jura-Stoffs auf 90 % steigern. 20. Eröffnen Sie sich verschiedene Zugänge zu Ihrem Stoff! Binden Sie sich nicht an einen Autor! Arbeiten Sie bei einer schwierigen juristischen Figur mit mehreren Medien gleichzeitig. Benutzen Sie nicht nur Lehrbücher, sondern auch Kommentare und Skripten. Dann werden Sie sehen, dass verschiedene Autoren oftmals verschiedene Strukturen bilden. Das ist zunächst verwirrend, aber notwendig. Eingespeicherte Informationen sollen vieldimensional miteinander verknüpft werden und dadurch vielseitig abrufbar gemacht werden. 21. Ganz wichtig! Orientieren Sie sich an Normalfällen! Jura sollte zu Beginn des Studiums die Widerspiegelung des Lebens im Normalfall sein und nicht die Widerspiegelung artistischer, juristischer Zirkusnummern. Es scheint am Anfang des Studiums tatsächlich manchmal so, als sei das Leben eine nur zu dem Zweck geschaffene Veranstaltung, darauf zu warten, unter Paragraphen und Rechtsbegriffe subsumiert zu werden – aber es scheint eben nur so. Die Paragraphen sind zunächst als Schlüssel zur ganz normalen Alltagswelt geschaffen. Den Normalfall hat das Gesetz zum Gegenstand, nicht den pathogenen Exoten. Dieser falsche Schein rührt wahrscheinlich daher, dass zwar Jahr für Jahr zwischen 2 und 3 Millionen ganz normale Gerichtsentscheidungen gefällt werden. Aber besprochen werden nur die 500 Oberexoten. Deshalb denkt der Jura-Anfänger: Die ganze Jurawelt bestehe aus Exoten. Problemfälle – und das sind Exoten – bringen immer die Abweichung von der Normalität, weshalb Sie zunächst die Normalität lernen und beherrschen müssen, bevor Sie mit Aussicht auf motivierenden Erfolg Problemfälle angehen können. Lernen Sie am „Normalfall“, dann lösen Sie den „Exoten“ ganz von selbst! Fragen Sie sich bei jedem Gesetz immer nach der zugrundeliegenden Normalität. Denken Sie sich selbst Normalfälle aus. Beschreiben Sie diese nicht in abstrakten Worten, sondern als konkrete Geschichten. Trainieren Sie die Fähigkeit, jedem Problemfall den zugrundeliegenden Normalfall gegenüberzustellen. Der Problemfall schärft den Blick für das Unübliche! Der Normalfall soll aber zunächst Ihr Prägestock für das Übliche sein! Entwickeln Sie zu jedem und allem Ihren eigenen farbigen Fall – mit Ihnen als Hauptdarsteller, Ihren Verwandten, Bekannten und Freunden in den Nebenrollen. Am Anfang muss immer der kleine überschaubare Normalfall des zu erlernenden Rechtsinstituts die juristische Studentenwelt beherrschen! Nicht der Problemfall! Der „kleine 375 Normalfall“ ist übrigens auch der Fall, der bei der Schaffung der Tatbestandsmerkmale der Gesetze durch den Gesetzgeber Pate gestanden hat, nicht der Exot, der an oder auf der Grenze des Gesetzes liegt; liegt er jenseits der Grenze, ist er fast schon der Normalfall des benachbarten Gesetzes. Dieser Grenzgänger regiert nun leider in den Lehrsälen und Lehrbüchern nahezu uneingeschränkt. Er gehört für den juristischen Anfänger aber in den Giftschrank! Erinnern Sie sich an die Sachbeschädigungsfälle zum Einüben des Gutachtenstils? Der mittelmäßige Dozent beginnt, wenn er überhaupt in die Niederungen eines Falles zur Erläuterung des § 303 StGB herabsteigt, mit dem exotischen Problem, ob es sich bei der sprachlichen Umdressur eines fremden Wellensittichs um Sachbeschädigung handelt oder nicht („Wellensittichumdressierungsfall“) – wir mit dem Normalfall „Zerstechen eines Autoreifens“. Erkennen Sie den Unterschied? Ersterenfalls ist fast jedes Merkmal des Tatbestandes höchst pathogen (Vogel = Sache?; Umdressur = beschädigen?), zweitenfalls alles stinknormal. Keinem Medizinstudenten würde es einfallen, das Herz-Kreislauf-System an den Bypassoperationen zu erlernen. Vom Normalfall zum Extremfall geht der Weg – nicht umgekehrt! Wer allerdings das Pech hat, in der Vorlesung gleich mit einem solchen Fall konfrontiert zu werden, in dem der minderjährige blinde Passagier in der Lufthansamaschine nach USA für die Zahlung des Entgelts herhalten muss, sieht die juristische Anfängerwelt mit Problemfällen zugenagelt. Der Normalfall ist Ihre sichere Heimat! Von der können Sie immer ausgehen, um „draußen“ den Ernstfall zu erproben und zu dem können Sie immer wieder zurückfinden. Er ist das Basislager für das Ersteigen der juristischen Achttausender. 22. Denken Sie immer über den Einzelfall hinaus Sie wissen schon im Gegensatz zu anderen: Das eigentliche „Juralernen“ erfasst nie einen singulären Fall oder ein vereinzeltes Problem, sondern immer auch den Grund für die Fälle dieser Art, die Einbettung des Problems in den über-, neben- und untergeordneten Systemzusammenhang (Stichwort: Baumdiagramm). Wofür steht dieser Fall Pate? Abstrahieren Sie die Essenz aus dem Fall, aus dem Problem! Suchen Sie die juristische Verallgemeinerung im Speziellen, das Systematische im Zusammenhanglosen. Fragen Sie sich immer: „Was will mir dieser Fall sagen?“ – „Wie ordne ich die Antworten auf diese Fragen in meine juristischen Landkarten-Baumdiagramme ein?“ Legen Sie die verborgenen gesetzlichen Zusammenhänge frei! In jedem Problem steckt mehr als das real Anwesende! Denken Sie das real abwesende, aber potentiell anwesende systematische Ganze immer mehr oder weniger mit. Das „Mehr oder Weniger“ gibt dabei den Ausschlag, ob Sie ein guter oder 376 schlechter Juraanfänger werden. Das System ist die Hintergrundstrahlung für jedes juristische Problem. Blicken Sie Blicke: Blick nach oben – Blick nach unten – Blick zur Seite! 23. Lernen Sie nichts auswendig! Das Auswendiglernen ist auf wörtliches Reproduzieren gerichtet, das in der juristischen Ausbildung nicht – oder fast nicht – vorkommt. Allenfalls wäre die wortgetreue Wiedergabe einiger grundlegender wichtiger Definitionen im Strafrecht vorstellbar. Studenten, die mit Sätzen wie „Jura ist Pauken von Gesetzen und Paragraphen“, „Juristerei ist mechanisches Auswendiglernen und Wiederkäuen“, „Jurastudenten sind Subsumtionsidioten und Paukmaschinen“ daherschwadronieren, offenbaren nichts anderes als ihr totales Unverständnis über das juristische Lernen. Sinnlos lernt ein Student, wenn er auswendig lernend die Bedeutung des Gelernten nicht begreift. Es darf nie soweit kommen, dass Sie Ihr juristisches Studium ausschließlich als ein memorierendes Gedächtnisphänomen begreifen, statt sich ständig um den Sinngehalt, die Systeme und das Zusammenhangwissen des Juristenstoffes zu bemühen. Das heißt nun nicht, dass Sie kein Einzelwissen lernen müssen. Aber bitte immer vor dem Hintergrund der Frage, wofür Sie die Einzelteile einmal im Ganzen des Systems werden gebrauchen können. Das Hochziel der Gesamtschau ist ohne die Vorbedingung des einzelheitlichen Wissens nicht zu haben. Einzelwissen ist von Ihnen schlicht zu akzeptieren: Die Bausteine des Zustandekommens eines Vertrages müssen Sie ebenso parat haben, wie die Voraussetzungen der Anfechtung, die Elemente der Aufrechnung ebenso abrufen können, wie die Tatbestandsmerkmale des Diebstahls oder der Notwehr. Aber eben nicht in Form eines „Quizwissens“ als reines herausgerissenes Benennungswissen oder Faktenwissen (Wann war der Dreißigjährige Krieg?), sondern immer als Verschränkung zwischen einprägendem und weiterdenkendem Lernen, um aus den Einzelelementen das Gesamtgefüge aufbauen zu können. Es wird niemals in einer gekonnten Aufgabenstellung für Sie lauten: Nennen Sie die Bestandteile eines Vertrages. Oder: Unter welchen Voraussetzungen kann ein Vertragsteil einen Vertrag anfechten? Oder: Was ist ein Verpflichtungsgeschäft? Vielmehr wird von Ihnen erwartet, aus dem Sachverhalt die Notwendigkeit der Prüfung dieser Einzelteile zu erkennen und mit einer geschult formenden Kreativität in methodischem Zuwerkegehen zu einem Ganzen zu verbinden, indem Sie das Gesetz analysieren (sezieren), „knallhart“ subsumieren und alles im Gutachten synthetisieren. Dabei haben Sie gegenüber allen anderen Leidensgenossen in anderen Prüfungen oder Klausuren einen ganz entscheidenden Vorteil: Sie führen Ihren externen Wissensspeicher ganz offiziell immer bei sich und können nachschauen. Niemand kann ihn Ihnen wegnehmen. Es ist das Gesetz! Alle Tatbe377 standsmerkmale und Rechtsfolgen (ich gebe zu, fast alle), die Sie wissen müssen, stehen im Gesetz – wenn Sie mit ihm richtig zu arbeiten gelernt haben. Also: Des „auswendigen“ Lernens sollten Sie sich als Jurastudent schämen! Gerade unsere juristische Ausbildung ist hier etwa der medizinischen weit überlegen. Auf über 220 Knochen oder 2500 Muskeln kann man eben nicht durch Nachdenken kommen – man muss sie schlicht registrierend pauken! Die Aufrechnung gem. § 387 ff. BGB aber in ihre Einzelelemente zerlegen, sie sezieren, ihnen die Zunge lösen – diese Komplexität reduzieren und wieder reproduzieren, das kann man mit Methode und dem Gesetz alleine. Da muss man nichts „auswendig“ lernen. 24. Üben Sie sich früh in der Lernübertragung! Juristisches Lernen ist immer auch Transferlernen (lat.: transferre, hinübertragen). Ein stumpfes Lernen, das auf genaue Reproduktion beschränkt ist, sollte es nicht geben. Ein Lernkonzept, das davon ausgeht, dass ständiges dressierendes Wiederholen allein schon irgendwann zum juristischen Erfolg führen wird, ist falsch. Der gute Jurastudent muss lernen, selbst Beziehungen zwischen den Paragraphen herzustellen sowie Gelerntes immer wieder in unbekanntem Zusammenhang anzuwenden. Er muss eben stets mehr lernen als er lernt: Durch die Übertragung von Wissen, den Lerntransfer, muss er Systemverständnis entwickeln. Dieses erfordert, das vorhandene Wissen ständig neu für sich arbeiten zu lassen. Die Erkenntnis, dass etwas Gelerntes übertragen werden kann, ist sicher nicht neu. Neu ist Ihnen aber vielleicht, dass in der juristischen Ausbildung fast alles nur Transfer ist. Die primäre Lernsituation zielt immer auf die sekundäre Anwendungssituation im Fall. – Und jeder Fall ist eben anders! Deshalb müssen Sie sehr früh erkennen, dass jede Ihrer singulären Lerneinheiten immer über sich hinausweisen muss und auf Anwendung mittels einer Transferleistung für einen anderen Zusammenhang in einem anderen Fall harrt. Derjenige, der nur Wissen ohne Anwendungsbezug speichert oder der nur nachahmend den gleichen Fall in gleicher Weise lösen kann, wird im Examen durchfallen und das zu Recht. Er wartet auf die gepaukten Fälle A, B und C. Und wenn die Fälle A1, B1 und C1 geprüft werden, muss er passen. Der gute Student lernt nicht ziellos vor sich hin, sondern dafür, an einem bestimmten Prüfungstag X das gelernte und an Fällen erprobte Wissen in den Klausuren auf andere, mehr oder weniger ähnliche Fälle übertragen (transferieren) zu können. 378 25. Entwickeln Sie die Jura-Klausurenproblem-Detektoren! Wir hatten schon festgestellt, dass jede Problemlösung zwei Elemente kennt: die Entscheidung und deren Begründung. Nur: Voraussetzung ist natürlich immer, dass Sie das Problem, um dessen Lösung Sie ringen müssen, überhaupt als solches erkennen. Das Problem vieler Klausuranten ist: „Ich kenne das Problem (z.B. Anfechtung), habe im Fall aber nicht erkannt, dass die Erklärung: „Die Sache will ich nicht mehr!“ eine Anfechtungserklärung war.“ Dafür benötigen Sie die „Jura-Klausuren-Problemdetektoren“! Ohne Problem – keine Lösung – irgendwie logisch. Bei dem Vorgang des Erspürens und Freilegens der Fallprobleme hilft Ihnen ungemein die Beherrschung des Gutachtenstils und der Subsumtionstechnik: Schrittchen vor Schrittchen setzen, und Sie stolpern – fast – von selbst über die Probleme. Aber eben nicht immer, nur fast! Wenn nicht, müssen Sie sie aufstöbern. Einen Königsweg für dieses „Findeverfahren“ gibt es nicht – es sei denn, Sie sind der König der Problementdecker. Aber es gibt sie, diese Spürhunde für Probleme, die sofort den Finger auf der Wunde des Falles haben. Die „Hier-liegt-ein-Problem-Typen“ sind aber selten – wir sollten nicht davon ausgehen, dass Sie dieser Crème de la crème der Juristen angehören. Wir sollten vielmehr die Annahme zugrunde legen, dass Sie zu jener Kategorie von Studenten zu zählen sind, die ein solides Repertoire an Begriffen, Methoden, Strategien, Fällen, Wissen und Können aufbauen müssen, aus dem sie zunächst das Problemerkennen und dann das Problemlösen schöpfen können. Dieses Arsenal gilt es, durch „Training am Fall“ aufzurüsten, um es im Ernstfall zu reaktivieren und zu mobilisieren. Gestatten Sie einen Vergleich aus der Tierwelt. In der Retina (Netzhaut) des Frosches sitzen spezielle Detektoren, die auf bewegte schwarze Punkte reagieren. Funktioniert diese Hardware, dann fängt der Frosch Fliegen. Wenn nicht, fängt er keine. Sein Sehsystem passt also entweder gut zur Froschwelt, oder es passt schlecht. Der Sehsinn des Frosches hat sich augenscheinlich entwickeln können, weil er ihm Handlungen erlaubt, die lebensförderlich sind. Provokant formuliert: Der Fliegendetektor bringt die Froschwelt eigentlich erst hervor. Auch Sie müssen als Klausurenschreiber in Ihrer „Gehirn-Retina“ spezielle Detektoren entwickeln, die auf Sachverhaltspunkte in Klausuren reagieren. Funktioniert diese nur durch Training zu erwerbende Hardware (beim Frosch ist sie genetisch erworben, bei Ihnen leider nicht), dann entschlüsseln Sie die verschlüsselten Sachverhaltsvarianten. Wenn nicht, entschlüsseln Sie sie nicht. Ihr Denksystem passt also entweder gut zur Klausurensachverhaltswelt, oder es passt schlecht – Sie „fangen“ die Klausurenfliegen – oder Sie „fangen“ sie nicht. Ihr Klausurantendetektor muss sich entwickeln, weil er Ihnen als Klausurenschreiber Entdeckungen erlaubt, die prädikatsförderlich sind. Auch hier: Ihr Studentendetektor bringt die Klausurenwelt eigentlich erst hervor. Das Heer der 379 „mangelhaft“ und „ausreichend“ benoteten Kandidaten hat diesen „Detektor juristischer Klausurenprobleme“ nicht oder nicht genügend ausgebildet. Dieser „detektivische Entdecker“ kommt nicht von selbst auf Ihre „juristische Netzhaut“. Er muss sich allmählich entwickeln. Wie? Nur durch konditionierendes Training, durch Schreiben und intensives Durchmustern von Alt-Klausuren. Der Klausurenersteller mag seinen Sachverhalt konstruieren wie er will – Ihre trainierten Problem-Piloten entdecken die Konstrukte. 26. Können Sie gleichzeitig lachend und wütend aussehen? Das können Sie nicht! Reaktionsweisen, die gleichzeitig ausgelöst werden und miteinander unvereinbar sind, schwächen, ja hemmen sich gegenseitig. Dabei setzt sich die stärkere Reaktion brutal durch – entweder man lacht oder man ist böse, je nachdem, welches Gefühl die Oberhand behält. Wissenschaftler sprechen hier vom Prinzip der reziproken Hemmung. Die unterlegene Reaktion wird von dem Kurzzeitgedächtnis geblockt und hat keine Chance, ins Langzeitgedächtnis zu gelangen. Für das juristische Lernen heißt das, dass jede Art starker emotionaler Erregung, aber auch fehlende Abwechslung im Stoff, die biochemischen Prozesse des Lernens im Gehirn stört und dadurch die für das Lernen notwendige Speicherung des Jurastoffes im Gedächtnis verhindert, ihn sich nicht einlagern lässt. Sie werden also überhaupt keinen Lernerfolg erzielen, wenn Sie unmittelbar nach einem Ärger mit Ihrer Familie, Ihrem Freund, Ihrem Dozenten mit dem Lernen beginnen, weil Ihr Gedächtnis verbarrikadiert ist. Die Barrikade heißt: starke Emotion. Sie lassen den Ärger am besten erst abklingen, um die Lernhemmungen, die ein Behalten beeinträchtigen und eine Blockade bewirken, auszuschalten. Ein dumpfes, depressives Brüten, das Sie immer missmutiger werden lässt, wäre die notwendige Konsequenz und brächte Sie nicht weiter! Ihre Kurzzeit- und Ultrakurzzeitgedächtnisfilter lassen nichts zum Langzeitgedächtnis durch. Hier ist es um der Effektivität des juristischen Lernerfolges willen wichtig, Ihre Arbeitszeitpläne flexibel zu handhaben. Setzen Sie den Stoff einfach vom Tageslernplan ab und verschieben Sie ihn auf freie Kapazitäten am Wochenende. (Aber: Suchen Sie sich nicht ständig Ausreden!) Auch eine direkt nach Ihrem Lernprozess auftretende starke Erregung kann die endgültige Verdrahtung im Langzeitgedächtnis verhindern und eine noch nicht fest verankerte Information sogar wieder löschen. Haben Sie Ihr Pensum gut gelernt, in der Pause aber mit Ihrem Freund eine schwere Auseinandersetzung abgewettert, so kann das zum teilweisen Vergessen des vor dem Krach Gelernten führen. Die sog. retrograde Amnesie, das vollständige Vergessen von Ereignissen, die einem Schock, wie z.B. durch einen Unfall, vorausge380 gangen sind, stellt dieses Phänomen in extremster Form dar. Die Konsequenz? – Lernen Sie nie bei Liebeskummer! Interessant für das juristische Lernen ist nun, dass solche hemmenden Blockaden nicht nur bei affektiven Einflüssen entstehen, sondern besonders auch dann, wenn die hintereinander geschalteten Lerninhalte ähnlich strukturiert und die Lernmethoden gleich sind. Man spricht hier von sog. „Ähnlichkeitshemmungen“. Haben Sie sich also stundenlang mit dem BGB-AT beschäftigt, so müssen Sie abbrechen, eine Pause einlegen und mit dem Sachenrecht beginnen. Haben Sie stundenlang theoretischen Stoff des StGB „gefressen“, müssen Sie abbrechen, eine Pause einlegen und mit einem praktischen Fall beginnen. Sie müssen sich Abwechslungen in Ihrem Lernprogramm schaffen, indem Sie von der Theorie auf den praktischen Fall, vom Schuldrecht auf das Familienrecht, vom StGB auf das Sachenrecht wechseln. Tun Sie das nicht, dann werden nachfolgende Lernprozesse durch vorausgehende behindert, ähnlich strukturierter Lernstoff überlagert sich oder löscht sich gar aus. Je ähnlicher die Lerninhalte A und B sind, je gleichförmiger Ihre Lernformen und Lehrmeister daherkommen und je geringer der zeitliche Abstand zwischen den Lerneinheiten ist, desto stärker ist die Hemmung. Achten Sie darauf, die verschiedenen Gebiete des Lernstoffes auf Ihre Lernzeit so zu verteilen, dass Stoffstrukturen und Konzentrationsgrad variieren! Wechseln Sie die Lernmethode: lesen, wiederholen, Karteikarten, schreiben am eigenen Skript, üben am Fall! Die Römer wussten: Varietas delectat – Abwechslung erfreut! 27. Aufschieberitis ist die Krankheit, die Studenten hindert, endlich anzufangen. An ihr leidet auch die Mehrheit der Jurastudenten. Besonders gefährdet sind gerade Studenten des Anfangs, weil ihnen ihr Studium grundsätzlich viele Freiheiten lässt. Das ist das Spiel „Die Schöne und das Biest“. Die „Schöne“ ist die akademische Freiheit, das „Biest“ ist das ständig schlechte Gewissen während der aufschiebenden Tätigkeit, denn „eigentlich müsste ich ja noch ...“ Die Symptome sind: Die Wochen- und Tagespläne trudeln. Die Selbstachtung sinkt, weil man ständig gegen die eigenen Lern-Vorsätze verstößt. Man fühlt sich mehr und mehr von den Kommilitonen abgekoppelt. Der Stoff türmt sich zu unüberwindbaren Bergen. Das alles lässt die Lerninhalte als noch höhere Klippen erscheinen und ist eben die Folter für die bummelnden Studenten: der nagende Gewissenswurm. Beruhigungsstrategien helfen nicht weiter. Sie trösten zwar Ihr Ego, bringen Sie aber keinen Zentimeter voran. Akademische studentische Freiheit setzt immer voraus, dass man zur Freiheit fähig ist. Und Freiheit bedeutet, Freiheit zur Entscheidung! Nutzen Sie Ihre Freiheit und entscheiden Sie sich möglichst schnell für ei381 nen „verfassten und disziplinierten studentischen Lernalltag“! Keine „Aufschieberitis“! Gegen „Aufschieberitis“ hilft ausschließlich: Disziplin und Pünktlichkeit beim Einhalten des „Tagesplans“. Das Gefühl, in der Zeit zu sein, bildet die mächtigste Barriere gegen Aufschiebetendenzen. Und dieses Gefühl wird gespeist von der Medizin der Wochen- und Arbeitstagstruktur. Statt mit viel Mühe nichts zu schaffen, sollte man schnell den Umgang mit sich beim Lernen lernen. Anders geht es leider nicht! Am Anfang hilft schon die Erkenntnis, dass man sich nur kurz überwinden muss, um mit der Arbeit zu beginnen. Ansonsten droht schnell das Scheitern im Erstsemester. 28. Werfen Sie die juristische Flinte nicht zu früh ins Korn! Geben Sie nicht zu früh auf! Eine Eingewöhnungsphase in die fremde Juristerei von einigen Monaten ist durchweg normal. Eine Studienkrise, ein Motivationsloch hat jeder einmal. 29. Der alte schulische A.D.A.M. (alles durch Anweisung machen) ist tot! Es lebe die akademisch mündige E.V.A. (eigen-verantwortliches Aneignen). Werden Sie der aktive Anpacker Ihrer juristischen Ausbildung. Zum Schluss dieser Tipps zum Lernen zwei gute Ratschläge: Erstens: Grübeln Sie nicht lange darüber nach, ob Sie ein Morgenmensch oder ein Abendmensch sind. Das ist alles Quatsch. Stehen Sie immer zur gleichen Zeit auf, es ist ganz einfach ein Gewöhnungsprozess. Das Aufstehen fällt immer schwer: Die Tag-NachtWippe lädt immer zum Weiterschlafen ein. Zweitens: Vermeiden Sie den Gedanken: „Es wird schon klappen!“ Von alleine klappt es nicht im Jurastudium, sondern lernen Sie ernsthaft zu lernen! 4.2 Wie man feststellt, was für ein Lerntyp man ist Suchen Sie Ihren individuellen Lerntyp in sich selbst und die entsprechende juristische Passung außerhalb Ihrer selbst. Sie werden Ihr Lernen optimieren, wenn der Ihnen eigene Lehrmeister in Form von Dozent und Lehrbuch auf das Ihnen eigene Lernmuster trifft. 382 Der Studienerfolg hängt auch von der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung Ihrer Lernmethoden mit Ihrem Lerntyp ab. Für jeden Studenten ist jede Art des Lernens möglich, doch die Fähigkeiten zu den einzelnen Arten sind verschieden stark ausgebildet. Die für die Lernwelt des Jurastudenten maßgeblichen Lernwege Hören (Vorlesung), Sehen durch Lesen (Lehrbuch/Skript), aktives Tun (Fallstudien) und die daraus resultierenden Lerntypen kommen in reiner Form nie vor. In jedem Studenten sind immer alle drei Anlagen vorhanden. Sicher wissen Sie von der Schule her, zu welchem Lerntyp Sie neigen, welche Lernkanäle Sie am liebsten benutzen und welche Lernarten Ihnen den größten Erfolg gebracht haben. Aber gilt das auch für die Uni? Der Jurastudent (wie jeder Student) lernt immer von einem „Partner“, sei es vom „vorlesenden“ Professor, sei es vom geschriebenen Text, sei es vom erklärenden Kommilitonen, sei es vom Repetitor, sei es von Softwareprogrammen. Immer dann lernen Sie am besten, wenn Sie in diesem „Partner“ sich selbst wiedererkennen, sich in ihm spiegeln können. Ganz einfach: Wenn Ihr Lernweg mit dem Lernweg des „Lern-Partners“ kompatibel ist. Sind Sie der mehr optisch-visuelle Jurafallbeispiellerntyp, dann werden Sie die Seiten über das „Abstraktionsprinzip“ (siehe Bd. II – BGB) leicht erfasst haben. Der gleiche Informationsinhalt kann bei Ihnen aber ungeahnte Lernprobleme auslösen, wenn er Ihnen abstrakt/verbal/ formelhaft dargeboten wird. Der Lerninhalt kann also ganz unabhängig von seinem Schwierigkeitsgrad je nach der Art seines Lernangebotsmusters auf Ihr persönlichindividuelles Lernannahmemuster passen - oder eben nicht. Ihr Lernschlüssel passt auf das Lernschloss - oder nicht. Wie jemand lernt, wird bestimmt durch seine Persönlichkeit: Denn Lernen findet immer im Rahmen der Persönlichkeit des Studenten statt. Die Art seines individuellen Wahrnehmens, Denkens, Fühlens, Wollens und Handelns, seiner Sekundärtugenden sowie seiner Bindungs- und Kommunikationsfähigkeit bildet den Maßstab. Doch wie bestimmt man seine Persönlichkeit als Student innerhalb dieses Rahmens? Drei Lehren werden zum Wesen der Persönlichkeit angeboten: 1. Die alte Lehre von den vier Temperamenten, welche seit dem Altertum die Einteilung in vier Grundpersönlichkeiten vornimmt, kennt den aufbrausenden Choleriker, 383 den trübsinnigen Melancholiker, den trägen Phlegmatiker, den lebhaften Sanguiniker. 2. Die Lehre vom Mosaik vieler einzelner Persönlichkeitsmerkmale begreift das Wesen der Persönlichkeit nicht anhand starrer Typen, sondern anhand von „Mehr-oder-WenigerGrößen“. Menschen unterscheiden sich dann im individuellen Ausprägungsgrad relevanter Persönlichkeitsmerkmale. Der Student muss sich also fragen: „Bin ich jemand, der mehr oder weniger von etwas hat oder ist?“ Mehr oder weniger an: Extraversion (auf die Außenwelt gerichtetes Denken, Handeln und Fühlen): mehr gesprächig, bestimmt, aktiv, energisch, offen, dominant, enthusiastisch, sozial, abenteuerlustig, gesellig oder mehr still, scheu, reserviert, zurückgezogen, eben „introvertiert“ Verträglichkeit: mehr mitfühlend, nett, bewundernd, herzlich, weichherzig, warm, großzügig, vertrauensvoll, hilfsbereit, nachsichtig, freundlich, kooperativ, feinfühlig oder mehr kalt, unfreundlich, streitsüchtig, hartherzig, grausam, undankbar, geizig Gewissenhaftigkeit: mehr organisiert, sorgfältig, planend, effektiv, verantwortungsvoll, zuverlässig, genau, praktisch, vorsichtig, überlegt oder mehr: sorglos, unordentlich, leichtsinnig, unverantwortlich, oberflächlich, vergesslich, unzuverlässig Offenheit: mehr breit interessiert, einfallsreich, phantasievoll, intelligent (!), originell, wissbegierig, intellektuell, künstlerisch, gescheit, erfinderisch, geistreich, ein bisschen weise oder mehr gewöhnlich, einseitig interessiert, einfach, ohne Tiefgang, einfallslos 3. Nach der modernen Lehre von den weitgehend genetisch determinierten Temperamenten werden drei Typen unterschieden: Erlebnishungertypus: Dieser Studententyp ist charakterisiert durch ein ständiges Bedürfnis nach Abwechslung, nach neuen und neuartigen Erlebnissen und die Bereitschaft, zu deren Erlangung Risiken einzugehen, sowie durch mangelnde Ausdauer, zu frühes Aufgeben, wenn der Erfolg sich nicht schnell einstellt. Frustrationsvermeidungstypus: Dieses Temperament ist verbunden mit großer Angst vor Misserfolgen und dem Ausbleiben von belohnendem Erfolg sowie mit einer Abneigung gegenüber neuartigen Dingen. Belohnungsabhängigkeitstypus: Er ist bestimmt durch eine hohe Empfänglichkeit für bzw. Abhängigkeit von Belohnungen und durch eine starke Resistenz dieses Verhaltens gegen Misserfolge, ihm fehlt ein entsprechend hohes Durchhaltevermögen, er zeigt eine hohe Emotionalität und ein hohes Bedürfnis nach Gesellschaft. 384 Erkennen Sie Ihre eigene Persönlichkeit? Erkennen Sie Ihre persönlichen Stärken und Schwächen? Den nur positiven Typ gibt es so wenig wie den nur negativen Typ. Auf die individuelle Mischung kommt es an, auch für das juristische Studium. Leider sind die meisten der Vorlesungen und Lehrbücher auf den Studenten zugeschnitten, der abstrakt/ verbal den Inhalt am ehesten erfasst. Die Frage ist nur: Gibt es diesen Studenten überhaupt in Reinkultur? Auf alle Fälle ist er nicht der Regelfall. Deshalb sind die meisten der existierenden Lehrbücher und Vorlesungen an nicht existierenden Grundmustern des Lernens orientiert und sind damit letztlich desorientiert. Geht nun der Student, der das Verstehen mehr in Kommunikation, im Austausch von Argument und Gegenargument, im Fallbeispiel, in graphischen Darstellungen und Skizzen, im Anfassen und Fühlen von Baumdiagrammen sucht, in eine auf höchstem Sprachniveau mit höchster Abstraktion gespickte Vorlesung oder liest er ein entsprechendes Buch, so tritt folgendes ein: Er ist verwirrt, fühlt sich als Dummer, glaubt, dass er unbegabt und unfähig ist, hat Angst, Frust und Depressionen - er verzweifelt an sich - Endstation: Studienabbruch. Falsch! Machen Sie sich dagegen folgendes klar: Treffen Sie auf ein Lehrbuch, das Ihnen unverständlich ist, stellen Sie es in das Regal zurück! Erschließen Sie sich den Inhalt mit einem anderen Schlüssel! Treffen Sie auf eine Vorlesung, die abstrakt, monoton, ohne erkennbare Führung, hochkompliziert daherflaniert – verlassen Sie den Hörsaal! Schauen Sie einmal bei einem Repetitor vorbei! Wenn Sie die Sprache oder der Text verwirren, muss es nicht an Ihnen liegen. Die Unfähigkeit des Autors oder Vortragenden, sich verständlich auszudrücken, einfach und unkompliziert zu formulieren, lebendig darzustellen, kann die Ursache sein. Nicht Sie müssen der Dumme sein, sondern es kann an dem Medium liegen. Auch hier gilt: Erkennen Sie sich selbst! Versuchen Sie möglichst schnell herauszufinden, was Sie für ein Lerntyp sind und was bei Ihnen speziell einen guten Lernerfolg erzeugt und was nicht. Laufen Sie nicht der Masse hinterher. Was für die einen richtig ist, kann für Sie lernbehindernd sein. Suchen Sie sich am Anfang Ihrer Ausbildung Texte und Dozenten, die veranschaulichen, die sich am Fall orientieren (am Normalfall!), die die Gesetzesinhalte nicht abstrahieren, sondern in Aktion beschreiben, die strukturieren, Ihre Sprache spre385 chen, die Sie zum echten Gesprächspartner machen. Suchen Sie Dozenten, die in Ihnen Neugier, Staunen und Begeisterung für die Juristerei wecken, suchen Sie nach einem Lehrbuch, das eine Beziehung zum Leben herstellt, möglichst viele Lernkanäle anzapft und Ihre wichtigsten Gehirn- und Hormonfunktionen anspricht. 4.3 Wie man seinen Studienalltag planen sollte Sie erinnern sich: Man will wieder anfangen zu joggen, besorgt sich neue Laufschuhe, kann es kaum erwarten, endlich loszulegen. Die Strecke, die man sich vornimmt, ist jedoch viel zu lang, man will mit einem Lauf gleich hundert versäumte Läufe wieder gutmachen. Man bekommt Seitenstechen, beißt die Zähne zusammen, muss sich Meter für Meter ins Ziel quälen. Endlich! Statt sich über einen kleinen Erfolg freuen zu können, denkt man mit Verdruss an das nächste „Jogging“ und sucht bald nach einer plausiblen Ausrede, warum es besser ist, auf die Joggerei gleich ganz zu verzichten. Die Neigung zum Nichtstun wird, wie die Psychologen sagen, „rationalisiert“, d.h. es wird mit „guten Gründen“ erklärt, warum man nicht joggt und damit werden vor sich selbst und anderen die wahren Ursachen verborgen. Die Ursachen sind klar: falsche Selbsteinschätzung, Überforderung, zu hoch gesteckte Ziele. Setzen Sie statt „joggen“ „lernen“ ein und Sie erkennen die Parallelität. Wie Sie Ihren Arbeitsplatz gestalten, ist eine Frage Ihres persönlichen Geschmacks. Wie Sie Ihre Arbeitsplanung vornehmen und Ihre Arbeitszeit einteilen nicht: Dafür gibt es Regeln und Rezepte. Die Schicksalsfrage des Jurastudenten scheint zu sein, ob und in welchem Maße es seiner Studentenkultur möglichst frühzeitig gelingt, der Störung seines Studienalltags durch fehlende Planung, Struktur und Lernbereitschaft sowie träge Sekundärtugendresistenz Herr zu werden. Sich zu organisieren ist nicht immer einfach. Denn im Jurastudium gibt es nur wenige feste Strukturen. Man muss sie selbst schaffen durch Selbstorganisation: Vorlesungsoptimierung, Vor- und Nachbereitung, Studienpläne, Lehrphasen, Lernphasen, Klausurentraining, Hausarbeit. Irgendwann kommt jeder erfolgreiche Student zu der Einsicht, dass zum richtigen Studieren neben den Prozessen der juristischen Informationsverarbeitung und -gewinnung in den Lehrsälen und aus den Lehrbüchern auch so profane Dinge gehören wie: Strukturierung des Arbeitstages und des eigenen Studierbetriebes sowie Disziplin und Ordnung bei der Einteilung und Einhaltung der Arbeitszeit. 386 Wischen Sie diese disziplinären Bedingungen, die großen Einfluss auf Ihre juristischen Studienleistungen haben, nicht gleich zur Seite. Patentrezepte gibt es nicht, aber es gibt ein Prinzip und das heißt: verantwortliches Studieren. Die disziplinierte Ordnung entscheidet durch eine einmalige zeitliche Einrichtung (Studientag/Studienwoche/Semester) wann, wo und wie Jura gelehrt und gelernt wird. Sie ist eine Art Wiederholungszwang und ermöglicht Ihnen die beste Ausnutzung Ihrer Zeit, während sie Ihre psychischen Kräfte schont, indem sie Ihnen in jedem gleichen Falle Zögern, Schwanken und Zweifeln erspart. Man könnte erwarten, dass sich bei den Jurastudenten von Beginn an die Wohltaten der Disziplin und Ordnung durchsetzen und ist immer wieder erstaunt, dass der Student einen fast natürlichen Hang zur Nachlässigkeit, Unordnung und Unregelmäßigkeit an den leider meist unverfassten Studentenalltag legt und sich erst mühsam an eine zeitliche Tagesordnung gewöhnt. Da der kluge Jurastudent weiß, dass er nicht über unbegrenzte Quantitäten psychischer Energie verfügt, folgt er dem Zwang der energieökonomischen Notwendigkeit: Er erledigt seine Studienaufgaben durch zweckmäßige Verteilung seiner Energien. Er plant Handlungsabläufe deshalb strategischer als bisher, geht Bündnisse mit seinen Lern- und Lehrmedien ein und gibt seinem Arbeitsalltag mehr und mehr eine Ordnung, hochtrabend: eine Verfassung! Der Arbeitstag muss eine Struktur bekommen, eine Rahmung, keine Beliebigkeit, heute dies und morgen das, mal so und mal anders. Der Alltag wird von Routinen getragen. Das notwendige aufmerksame Lernen ist eine Frage des Einübens. Und: Es ist eine enorme Anstrengung, es muss zeitlich begrenzt und durch Pausen entlastet werden. Wenn Sie sich für eine bestimmte Studienplanung entschieden haben, müssen Sie diese dann konsequent einüben. Bis Ihnen Ihr täglicher Lernrhythmus zur Gewohnheit wird, müssen Sie mit einer längeren Trainingszeit rechnen. Das Bedürfnis nach dem Lernen darf nicht nur wie ein Gast auftreten, der plötzlich bei einem erscheint und nach seiner Abreise lange nichts mehr von sich hören lässt, sondern muss sich als Dauermieter bei Ihnen einquartieren. Das ist hart – aber nicht zu ändern. Der gute Vorsatz, die schnelle Begeisterung enden leider zu häufig in einem Strohfeuer. Sie müssen sich Handlungsstrategien schaffen, die Ihre Lernstimmung und Lernhaltung für das Juralernen stimulieren. 387 Lernstörungen liegt oft ein Teufelskreis zugrunde: Fehlplanung Verdrängung Ablenkung Frust Selbstzweifel Selbstbestrafung durch strengere und noch unrealistischere (Fehl-)Neuplanung (immer wieder!) Versagensängste Vermeidung Stillstand Studienabbruch Scheitern! Dagegen hilft: P.O.K.E.R ! Und Sie sind König in Ihrem Lernreich! Planen Sie Organisieren Sie Kontrollieren Sie Ihr juristisches Lernen! Entlohnen Sie sich für Rhythmisieren Sie „Pokern“ Sie mit! Dann bekommen Sie auch kein juristisches Seitenstechen und brauchen nicht irrationale Rechtfertigungen zu suchen, warum es besser sei, auf das Lernen gleich ganz zu verzichten. Um bei der juristischen Stoffmenge nicht zu resignieren, muss man sich die Arbeit in Fernziele, Nahziele und Feinziele aufteilen, kurz-, mittel- und langfristig denken und planen. Kein Radprofi käme auf die Idee, die „Tour de France“ in einem Stück abzufahren. Fernziel ist das Bestehen der Prüfung: Die ist noch weit, weit weg. Nahziele sind Ihre begleitenden Semesterleistungskontrollen: Die sind schon näher. Feinziele sind Ihre Tagesetappen: Die sind die jetzt entscheidenden Zeiteinheiten. Auf diese Tagesetappen kommt es entscheidend an. Sie müssen sich überlegen, wie sich Ihr Tagespensum (lat.: pensum, das Abgewogene) in sinnvolle und überschaubare Portionen einteilen lässt. Abwägen und gewichten müssen Sie Ihren Tageslernstoff, das bringt Erfolg und damit motivierende Freude. Ein solches portioniertes Lernen wirkt wie ein Verstärker, denn Ihr Lernen wird nicht nur erfreulicher, sondern auch wirksamer, weil es aus einer Kette von Erfolgserlebnissen besteht. Jeder Tagesetappensieg belohnt Sie innerlich. Kein Student darf am Abend so ins Bett gehen, wie er am Morgen aufgestanden ist – er muss schlauer geworden sein. Lernerfolge erhöhen die Lust an der Juristerei am meisten und heben die Stimmung; sie sind die größten Motivatoren. So entsteht gleichsam von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag eine Kettenreaktion von Erfolg zu Erfolg, bei der sich Ihr Lernen von selbst belohnt. Klar, auch Misserfolge werden sich einstellen: Das Pensum war zu schwer, das Etappenziel zu weit entfernt. Unter keinen Umständen verbohren Sie sich aber in Ihren Misserfolg. 388 Solch ein Verhalten senkt die Motivation auf den Gefrierpunkt und vermiest Ihnen den ganzen restlichen Tag. Weglegen! Mut zur Lücke im Tagespensum! Am nächsten Tag mit neuer Kraft (und vielleicht neuem Medium?) zu neuen Taten. Mit den verdaulichen Tagesportionen nehmen Sie Ihrem Tagesablauf etwas von seinem „Wurschtel-Charakter“. Schenken Sie sich im Übrigen reinen Wein ein: Sie müssen es ganz einfach einsehen, dass eine verfasste Tageseinteilung richtig, sinnvoll und nützlich ist – und: kleine Erfolge für Sie bereithält. „Ich habe in der von mir selbst gesetzten Lerneinheit etwas gelernt.“ „Ich kann jetzt mehr als vorher“. Die Menge Ihrer investierten Studier-Zeit und Energie muss in einer bestmöglichen Relation zum erzielten Studienerfolg stehen. Zeitpläne sind Hilfsmittel zur Strukturierung des effektiven Studierens. Sie müssen lernzielorientiert und nachprüfbar sein. Zeit verrinnt unwiederbringlich. Optimales Lernen gelingt nur im optimalen Umgang mit der Zeit. Unverständliche Vorlesungen abzusitzen, die nichts bringen, außer dem Scheingefühl, etwas getan zu haben, 30 Lehrbuchseiten, die nicht über den Arbeitsspeicher im Gehirn hinauskommen, aber das falsche Gefühl geben, gelernt zu haben, sind kein effektiver Umgang mit der Zeit. Die über einem Jurastudenten zu Beginn hereinbrechende Informationsflut besteht, wie gesagt, im Wesentlichen aus vier Rechtsgebieten, nämlich dem Privatrecht (BGB), dem Strafrecht (StGB), dem Öffentlichen Recht (Verf.R) und ... dem Rest. Diese Vierteilung bestimmt die Ausbildung und das Denken der Juristen und will im Tagesrhythmus unter den studentischen Hut gebracht werden. Es empfehlen sich für Ihr Zeitmanagement die folgenden Grobplanungen, die Sie beliebig ausfüllen können. Haken Sie die erledigten Gebiete und durchlaufenen Stunden ab. Das bringt Erfolgserlebnisse! Jeder Studientag sollte als eine Einheit inszeniert werden. Sie müssen Ihre Pläne zu Ihren eigenen Instrumenten machen! 389 Tagesplanziel Fach Stunde 8 – 10 BGB StGB REST Thema/Lehrbuch Thema/Lehrbuch Thema/Lehrbuch 10 – 12 12 – 14 14 – 16 16 – 18 18 – 20 Kontrolle: Ist-Soll-Vergleich Ist-Soll-Vergleich Ist-Soll-Vergleich Wochenplanziel Fach Tag BGB StGB REST Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Samstag Sonntag Kontrolle: Minimum ¼ Wochenende Ist-Soll-Vergleich Ist-Soll-Vergleich Ist-Soll-Vergleich Das Wochenende darf nicht ausschließlich Freizeit sein. Zerlegen Sie Ihr Wochenende in vier Einheiten: Samstag Vormittag, Samstag Nachmittag, Sonntag Vormittag, Sonntag Nachmittag. Ein Viertel dieser Wochenendzeit müssen Sie mindestens (Minimum) für die Arbeit zur Verfügung stellen. Nutzen Sie sie als Pufferzeit zur Nachholung von Lernausfallzeiten in der Woche. So vermeiden Sie Unlustgefühle, die auftauchen, weil Sie Ihren Wochenplan nicht eingehalten und Ihre Lernziele nicht erreicht haben. Den „Idealplan“ kann man eben nicht einhalten. Wohl aber von vornherein einen „Realplan“. Sollte sich auch dieser Realplan einmal als undurchführbar erweisen, so verlegen Sie das Lernen des ausgefallenen Stoffes auf die Wochenendeinheit. Im Übrigen dient das „Minimum 1/4“ der Wiederholung. Je weiter Ihr Lernprozess fortschreitet, desto mehr „Viertele“ werden Sie opfern müssen. 390 Entwickeln Sie für sich ein „Studienalltag-Optimierungs-Programm“! Der Tagesplan soll Ihnen den entscheidenden Erfolg für die allmähliche Entwicklung Ihres individuellen Lernverhaltens ermöglichen. Der Wochenplan soll Ihnen helfen, die juristischen Tätigkeitsschwerpunkte für die fünfeinhalb Tage festzulegen, zu planen und zu kontrollieren. Beide „Pläne“ müssen mit Ihren Freizeitinteressen und anderweitigen Verpflichtungen abgestimmt und realistisch gewichtet werden. Der beste Masterplan taugt allerdings nichts, wenn er in der Schreibtischschublade verschwindet. Streben Sie eine Rhythmisierung an! Aus einer Regelmäßigkeit entwickelt sich eine günstige Lerngewohnheit (Automatisierung). Haben Sie Ihr Soll einmal nicht erreicht, sind Sie noch lange kein Versager, sondern ein „Nächstes-Mal-mach-ich-es-besser-Typ“. Entwickeln Sie eine Art von „Jobmentalität“! Sie sollten sich mehr als Manager Ihres kleinen „Unternehmens Jura“ mit Projekten und festen Arbeitszeiten verstehen. Machen Sie sich keine Illusionen! Man soll seine Vorausplanungen und Präparationen nicht überschätzen. Rechnen Sie eher mit einem Minimum an verfügbarer Zeit (Zeitfresser lauern überall)! Rechnen Sie eher mit einer abgeschwächten Motivation Ihrerseits (alles andere ist ja dringender)! Rechnen Sie eher mit einer schmalen Palette verfügbaren, behaltenen Wissens (alles schon wieder vergessen)! Der Kampf gegen das Vergessen ist noch nicht gewonnen! Rechnen Sie eher mit weniger pädagogischer und didaktischer Kompetenz Ihrer Lehrmeister (versteh ich nicht)! Machen Sie keine Sonntagsplanung, sondern eine Alltagsplanung! Eine realistische Arbeitseinteilung schafft motivierende Erfolgserlebnisse. Eine unrealistische Arbeitseinteilung verfehlt die überzogenen Ziele und ist damit demotivierend und entmutigend. Im Gegensatz zu manch einem studentischen Vorurteil: Zeitpläne schaffen Freiräume und verstopfen sie nicht. Sie sollten Ihre Zeitpläne in ein Ringbuch heften. Das bringt Ihnen die notwendige Kontrolle. 391 Sie müssen Ihre Planvorgaben abschließen! Immer wieder neu anzufangen, bringt nichts. Die Pläne sollten Sie an Ihren Lerntyp anpassen: Tagmensch – Nachtarbeiter, Lerche oder Eule Wichtig ist, dass Sie Ihren Studienalltag diszipliniert ausfüllen und ihn in Lerneinheiten einteilen. Das unterscheidet Ihren erfolgreichen Lern-Tag vom erfolglosen zufälligen Lernen. 4.4. Was das wichtigste Kapital des Studenten ist: Sein Erinnerungsvermögen Der Kampf ums Lernen ist immer gleichzeitig ein Kampf ums Speichern von „Etwas“. Und ein Kampf gegen das Vergessen. Und ein Kampf für das Erinnerungsvermögen! Zur effektiven Speicherung von Informationen haben Sie als Student neben Ihren externen Speichern der Gesetzestexte im „Schönfelder“, in Büchern, Kommentaren und Mitschriften – wie jeder andere Organismus auch – zwei interne Informationsspeicher, nämlich Ihr Genom und Ihr Gedächtnis. Ihr Genom können wir hier vernachlässigen, es ist angeboren und verkörpert die Ihnen durch Vererbung mitgegebenen Informationen: Dazu gehört Jura sicher nicht! Ihr Gedächtnis dagegen entsteht im Laufe Ihrer Individualgeschichte. Es ist Ihr Erinnerungsvermögen, Ihr ganz spezielles Denken an früher Geschehenes und Erfahrungen in Ihrem Leben: Man spricht von – Lernen. Beim Menschen gibt es Lernen durch das Sammeln eigener Erkenntnisse und durch die Übernahme fremder Erkenntnisse: Dazu gehört nun Jura sehr wohl! Da juristische Kenntnisse und Fähigkeiten beim Menschen nun einmal nicht vererbt werden, muss das richtige Lernverhalten zum Lernen von Jura und juristischer Klausurentechnik in jedem Studentenleben neu erworben, das heißt gelernt werden. Jurastudenten sind Gedankensammler! Schon das „Lesen“, diese Uraktivität des Studenten, ist eine Art Sammeln. Beide Wörter, „Lesen“ und „Sammeln“ bedeuten ursprünglich ohnehin dasselbe, nämlich das Heraussortieren von Dingen, die es wert sind, aufbewahrt zu werden. Noch heute wird von der „Weinlese“ gesprochen. Und eine Art juristischer Weinlese ist auch das Sammeln der Gedanken eines Lehrbuches oder einer Vorlesung. Der Student 392 wandert durch die Worte des Dozenten oder die Zeilen eines Lehrbuches wie durch einen Weinberg und sammelt hier und da unterwegs geistige Früchte: juristische Gedanken. Für den Studenten gibt es im Laufe des Jurastudiums zwei Arten von Gedankensammlungen: Die Gedanken, die er sammelt, weil er sie durch eigenes Nachdenken erschlossen hat. Die Gedanken, die er sammelt, weil sie ihm fremde Autoritäten gesagt haben. Seit langer Zeit genießen die Gedanken der ersten Sorte ein besonders hohes Prestige. Leonardo da Vincis kühnem Satz, der die Rechtfertigung für alles freie Denken enthält, kann man sich hörbar seufzend nur anschließen: „Wer im Streite der (juristischen) Meinungen sich auf die (juristische) Autorität beruft, der arbeitet mit seinem Gedächtnis anstatt mit seinem Verstand.“ Für einen jungen Jurastudenten ist es aber entgegen dem großen Leonardo sehr vernünftig, wenn er zunächst fremde Gedanken von Autoritäten sammelt und diese juristische Gedankenernte als Jurawissen in die Scheuer seines Gedächtnisses einfährt. Beginnen müsste deshalb alles mit den Fragen: Was ist ein Gedächtnis? – Wie arbeitet ein Gedächtnis? – Wie kommt Jura in dieses Gedächtnis? – Was muss von Jura in dieses Gedächtnis? – Und enden müsste alles mit der wichtigsten aller Fragen: Wie bleibt Jura in diesem Gedächtnis? In Ihr Gedächtnis führen zwei Eingänge für das juristische Lernen. Die Lerntheoretiker unterscheiden zwischen den Lernkanälen Hören und Sehen. Sie lernen also über die Sinne „Ohr“ – Vorlesung – und „Auge“ – Lehrbuch – nach gehörten oder geschriebenen Worten und Bildern. Die weiteren drei Sinne Fühlen, Riechen und Schmecken spielen nur atmosphärische Helferrollen beim Lernen, der „sechste“ Sinn hilft manchmal vor der Klausur als der berühmte „richtige Riecher“ ihres Inhalts. Ihr Ziel muss es nunmehr sein, das, was Sie an Informationen über Ihr Vorlesungs-Ohr und Ihr Lehrbuch-Auge aufnehmen, so schnell wie möglich in Ihr Gedächtnis zu transportieren und in Ihrem „Jura-Langzeitgedächtnis“ so dauerhaft wie möglich derart zu verankern, dass es Ihnen im entscheidenden Moment der Klausur jederzeit einsprungbereit und abrufbar zur Verfügung steht. „Fix“ (dauerhaft) und „fertig“ (abrufbereit) muss Jura in Ihr Gedächtnis! 393 Trotz Computerdateien und Computerdokumentationen gibt es Situationen, in denen juristische Informationen zu einem Zeitpunkt abgerufen werden müssen, zu dem eben keine Möglichkeit externer Speicherabrufung nutzbar zur Verfügung steht, für Sie als Jurastudent die naheliegendsten: Klausuren und Examen! Hier müssen Sie sich ausschließlich auf Ihr Gedächtnis verlassen – Ihren internen Jura-Speicher. Wissen „so mir nichts dir nichts“ abzurufen per Mouseklick aus externem Speicher – wäre zwar schön, aber klappt in der Klausur eben nicht. Sie haben, wie jeder Mensch, drei Gedächtnisstufen zum Speichern. Bevor eine der wichtigen juristischen Informationen (ein Vertrag kommt zustande durch ...; Notwehr setzt voraus ...) in Ihrem Langzeitgedächtnis abgespeichert werden kann, trifft sie zunächst auf Ihr Ultrakurzzeitgedächtnis (UKZG). Dieser Gedächtnisteil hat nur eine einzige Funktion: Er entscheidet darüber, ob die Nachricht für Sie wichtig oder unwichtig ist. Kommt er zu dem Ergebnis „wichtig“, leitet er sie weiter an Ihr Kurzzeitgedächtnis, wo sie erneut abgeprüft wird, bevor sie an den beiden Türstehern vorbei endgültig ins Langzeitgedächtnis gelangt. Kommen Ihre Kurzzeitgedächtnisse als Wächter zu dem Ergebnis „unwichtig“, dann wird die Information respektlos gelöscht, sie kommt nicht ins Langzeitgedächtnis. Die Folge ist, dass Sie sich nie mehr an diese vielleicht doch „wichtige“ Nachricht (Vertrag; Notwehr) erinnern können. Beide Kurzzeitgedächtnisse müssen von Ihnen nun überwunden werden, wenn Sie beim Lernen des „Zustandekommens eines Vertrages“ oder der „Notwehr“ Erfolg haben wollen. Was kann man nun dafür tun, dass das Kurzzeitgedächtnis nichts Wichtiges wegfiltert und nicht blockiert, die Barrieren vor dem Langzeitgedächtnis überwunden werden? Die Kurzzeitgedächtnisse arbeiten unerbittlich, um als Filter und Barriere Ihr Gehirn vor einer Informationsüberflutung zu schützen. Wenn Sie jede Information, die Sie z.B. als Autofahrer benötigen, um unfallfrei zur Hochschule zu gelangen (Auto von rechts, Auto von links, Ampel auf Rot, Fußgänger von vorn) nicht sofort nach Gebrauch wieder löschen würden, wäre Ihr Gehirn mit einem Ballast nunmehr nutzloser Informationen zugemauert. Sie führen gegen den nächstbesten Baum! Das Löschen und Rausschmeißen haben die Funktion, Ihre begrenzten Speicherkapazitäten wieder freizumachen. Ihr Kurzzeitgedächtnis (KZG) hat nämlich nur ein sehr begrenztes Fassungsvermögen. 394 KZG KZG KZG weg Wahrnehmung tritt ein Wahrnehmung: „unwichtig“ Wahrnehmung wird gelöscht Das so überlebensnotwendige löschende Vergessen ist nun für Sie als lernender Jurastudent leider sehr nachteilig. Die beschränkte Aufnahmekapazität der Kurzzeitgedächtnisse drängt nämlich respektlos auch auf das Vergessen des juristisch Gelernten in der „Absicht“, durch das Rausschmeißen der Voraussetzungen des „Zustandekommens eines Vertrages“ oder der „Notwehr“ Platz zu schaffen für die „Anfechtung dieses Vertrages“ oder den „Notstand“. Sie sehen: Was Sie als Lebewesen davor bewahrt, gegen den Baum zu fahren, führt bei Ihnen als Student genau dazu, dass Sie gegen den Baum fahren: Der Baum heißt in unserem Zusammenhang Misserfolg in Klausur und Examen durch Vergessen! Das Kurzzeitgedächtnis braucht nun Zeit, um zu prüfen, ob z.B. die lichtvollen Ausführungen Ihres Dozenten in der Vorlesung wichtig, also weiterleitungswürdig sind, oder ob sie unterbelichtet bleiben und ewigem Vergessen anheim fallen sollen. Von einer festen und dauerhaften Fixierung im Langzeitgedächtnis kann während dieser Prüfungsphase keine Rede sein. Der Dozent redet ganz einfach am Gedächtnis seiner Studenten vorbei! Hüten Sie sich also vor dozentischen „Schnellfeuergewehren“, bei denen immer der nächste Satz den vorherigen auffrisst. Das Langzeitgedächtnis stellt den letzten Baustein im dreistufigen Speichervorgang dar; es ist der Festplatte eines Computers vergleichbar. Es sorgt erst dafür, dass die Erinnerung fest verankert und vor dem Vergessen bewahrt wird, also zu Ihrem „Vermögen“ wird. „Wie schafft es das LZG, bestimmte Inhalte („Zustandekommen eines Vertrages“) zu speichern und später in bestimmten Situationen – z.B. in den Klausuren – als identische Inhalte („Zustandekommen eines Vertrages“) immer wieder auf den Schreibtisch Ihres Arbeitsspeichers, Ihres Kurzzeitgedächtnisses, zu zaubern? Gewissermaßen als Buch, in dem man blättern kann?“ Diese Frage provoziert bei mir ein ganz bestimmtes Bild der Gedächtnisfunktion – ein Bild, das in etwa einem großen Kaufhaus voller Waren entspricht. Das Langzeitgedächtnis ist auch wie ein solches Kaufhaus auf der grünen Wiese organisiert. Die Gedächtnisinhalte spielen dabei die Rolle der Waren. In einem solchen Kaufhaus muss 395 Ordnung herrschen, sonst findet der Kunde nämlich nichts. Wir nehmen mal an, unser Kaufhaus verfüge über ein Warenangebot von einer Million Artikel, die unsystematisch wild verstreut über die Verkaufsfläche verteilt sind. Da der gewünschte Artikel überall und nirgends stehen kann, ist es theoretisch möglich, dass unser Kunde 999.999 Artikel durchmustern muss, ehe er ihn findet. Da dies nicht so ist, muss das Kaufhaus etwas mit Ordnung zu tun haben. Welche Arten von Ordnung hat ein Kaufhaus? Systematische (Artikelgruppen), hierarchische (Abteilungen) und assoziative Ordnungsprinzipien (der Kauf eines Artikels löst den Kauf eines assoziierten anderen aus). Eine solche Ordnung braucht das Gedächtnis auch dringend zu Ihrem Juralernen, anderenfalls alles durcheinander purzeln würde. Ich darf kurz rekapitulieren! Eine erste Antwort auf die Frage „Wie kommt Jura ins Gedächtnis?“ lautet: Die Infos müssen aus den Tiefen des Ultrakurzzeitgedächtnisses über das Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis kommen, indem sie ausgewählt, das heißt mit aktueller Aufmerksamkeit bedacht und nicht von vornherein „weggefiltert“ werden. Im Langzeitgedächtnis braucht sich das neue Jurawissen aber nicht ganz allein und einsam zu fühlen. Es findet hier bereits drei andere Wissensarten vor, die im Laufe Ihres Lebens gespeicherte Verarbeitungskapazitäten für Sie nun zum Lernen von Jura bereit halten: ● Die erste Wissensart ist das episodisches Wissen im episodischen Gedächtnis. Es enthält die Ihre Identität begründenden Einzelheiten und Episoden Ihres Lebens von der Wiege an. Das episodische Wissen begründet also im Wesentlichen Ihre persönliche, biografische, als „Selbst“ erlebte innere Einheit und Ihre individuelle Beziehung zu Ihrer Umwelt. ● Die zweite Wissensart ist das allgemeines Weltwissen im Weltwissensgedächtnis. Es enthält das Schul-Wissen um Begriffe, Abläufe, Strukturen und Relationen, das keinen Bezug an jeweils konkrete individuelle Episoden und biografische Ereignisse aufweist: Wie funktioniert was? Aus was besteht das? Wie unterscheidet sich das von dem? Was war wann? Was folgt woraus? ● Die dritte Wissensart ist das Können-Wissen im Verhaltensprogrammgedächtnis. Es enthält Verhaltensprogramme, mit deren Hilfe man Geschehensabläufe automatisiert. Diese Programme (Wie fahre ich Auto?) bilden ein Repertoire von Aktionsund Handlungsanweisungen, letztlich Fertigkeiten, die man sehr gut beherrscht und die im LZG langfristig zur Verfügung stehen. Das Können-Wissen entsteht, wenn in vielen individuellen Situationen, die jeweils zunächst in das episodische Gedächtnis eingegangen 396 sind, Gemeinsamkeiten ausgefällt werden. Es entsteht ein Schema! Nachdem es durch 1000 Anwendungssituationen „gelaufen“ ist, hat es keine Bindung mehr zu einer Episode. Diese „Schemata zu ...“ weisen leere Schubladen auf, die sich je nach Situation bewusst oder unbewusst individuell durch Sie füllen lassen. Mal ist die Klausur so und mal eben so, läuft aber immer mit derselben Technik und Taktik ab. ● Jetzt wird es spannend, denn es gilt, das Jura-Wissen im Jurawissensge- dächtnis aufzufüllen. Es ist ein durch Verbindung mit den drei bereits vorhandenen Gedächtnissen neu entstehender Gedächtnisteil. Gemeinsam stehen dem aufzubauenden Jurawissensgedächtnis das Episoden-, Weltwissen- und Verhaltensprogrammgedächtnis als Einheiten zur Verfügung, die Fassungs- und Arbeitsvermögen für den Studenten bereit halten. So gesehen sind die ersten drei Gedächtnisteile als Grundlagen von äußerster Wichtigkeit für die Jurawelt-Repräsentation. Langzeitgedächtnis 1. Episodisches Gedächtnis 2. WeltwissensGedächtnis 3. Verhaltensprogramm- Gedächtnis 4. Jura(welt)wissensGedächtnis Das bisher vom Gedächtnis vorgestellte Modell reicht noch nicht ganz aus, um ein verständliches Bild des Gedächtnisses zu liefern. Zwischen den Filterspeichern der Kurzzeitgedächtnisse und dem Endspeicher (LZG), auf den es im Examen ausschließlich ankommt, durchläuft die juristische Information nämlich noch den Arbeitsspeicher. Um in unserem Bild des Kaufhauses zu bleiben, ist der Arbeitsspeicher gewissermaßen die Hand, auf die man die Ware prüfend und gewichtend legt, um damit den Kaufvorgang vorzubereiten. Wenn man die Ware in der Hand hält, versammelt man darauf Daten von außen wie z.B. Größe, Farbe, Gewicht und Preis sowie Daten von innen wie z.B. die Frage, ob man die Ware wirklich mag, ob man sie tatsächlich benötigt, ob der Preis das Budget sprengt und ob das Preis-Leistungsverhältnis stimmt. 397 Genauso verhält es sich mit dem Arbeitsgedächtnis: Es gibt Daten von außen – man erhält sie über das UKZG aus Hörsaal oder Lehrbuch zugespielt – und es gibt Daten von innen – das, was man aus den Tiefen seines Langzeitspeicher im LZG als Gedächtnisinhalte zum Andocken für die eintreffenden Informationen aktualisieren kann. Nehmen wir an, Sie hörten in der Vorlesung das Wort „Vertrag“ (Datum von außen) und erinnern sich, dass Sie vor vier Wochen im Urlaub „Juristische Entdeckungen Bd. II – BGB“ gelesen haben (Ihr „Episodengedächtnis“ ist aktiviert), die Voraussetzungen und Strukturen der vertraglichen 6-Säulen-Theorie gelernt (Ihr „Jurawelt-Wissensgedächtnis“ meldet sich) und in einer Falllösung schematisiert hatten (Ihr Klausurenprogrammgedächtnis schaltet sich ein). Das Datum von außen trifft also auf Daten von innen! Folgen? Findet das in der Vorlesung gehörte und nunmehr in Ihrem Arbeitsspeicher zur Prüfung liegende externe Datum „Vertrag“ (quasi auf Ihrer Gedächtnishand) innere Daten, mit denen es sich koppeln kann, so wird es durch den Bestand der langfristigen Erinnerungen aktualisiert. Eselsbrücke für Sie: „Man hört nur, was man weiß!“ Findet das in Ihrem Arbeitsspeicher zur Prüfung bereitliegende externe Datum „Vertrag“ Ihre aktuelle Aufmerksamkeit nicht, dann wird es von anderen Inhalten verdrängt, die neu zum Arbeitsspeicher Zugang finden, nachdem sie am Wächter „UKZG“ vorbeigesegelt sind. Es wird nicht weiter im LZG gespeichert. – Es fand hier keine interne „Gegenliebe“, es ist nach spätestens einer halben Stunde nicht mehr verfügbar – und zwar für immer. All das müssen Sie sich nunmehr für das Juralernen nutzbar machen. Doch zuvor noch ein kleines Beispiel für die gnadenlose Selektion Ihres Kurzzeitgedächtnisses: Schauen Sie jetzt nicht auf Ihren „Schönfelderdeckel“ und beantworten nur die Frage: Was steht auf dem Einbanddeckel? Haben Sie Schwierigkeiten mit der Beantwortung der Frage, obwohl Sie schon hundertmal darauf geschaut haben? Inzwischen haben Sie sicherlich nachgeschaut, wie der Einbanddeckel gestaltet ist. Noch eine Frage – wieder ohne hinzuschauen: Wie viele Farben prangen auf dem Umschlag? Möglicherweise haben Sie bei dem Blick nach der Beschriftung die Farben des Einbanddeckels nicht registriert. „Du bemerkst nur, was dich aktuell interessiert“. Ja! Gnadenlos, dieses UKZG!! 398 Man kann viel dafür tun, dass das Kurzzeitgedächtnis nichts Wichtiges wegfiltert und nicht blockiert, die Barrieren vor dem Langzeitgedächtnis überwunden werden, der Arbeitsspeicher ordnungsgemäß weiterleitet, Ihre Gedächtniszeitspeicher als Team optimal zusammenspielen und wichtige Informationen nicht dem ewigen Vergessen anheim fallen? Der Kampf um das Lernen ist eben immer ein Kampf gegen das Vergessen und für das richtige Lernen des juristischen Lernen. 4.5 Was als Gegengift gegen das Vergessen wirkt: Das Wiederholen Ein richtig gutes Gegengift gegen das Gift des Vergessens gelernten juristischen Wissens ist das Wiederholen. Es gibt kein besseres! Wiederholen heißt hier nichts anderes als etwas „wieder“ hervor„holen“, sich etwas wieder zurückholen. Dazu muss allerdings etwas da sein, was hervor- bzw. zurückgeholt werden kann. Vergessen beschreibt die unbestreitbare Tatsache, dass gelernte juristische Inhalte bei dem Versuch des Wiedererinnerns entweder fehlerhaft, unvollständig oder aber gar nicht mehr reproduziert werden können. Der Hauptverlust fällt auf den Zeitraum unmittelbar nach der Informationsaufnahme. Im Verlaufe von maximal zwei Tagen wird nur noch ein Fünftel behalten. Einzige wirksame Gegenmittel im permanenten Kampf gegen das Vergessen sind: die Wiederholung des Erlernten, und das so oft wie möglich, das Baumdiagramm als systematisierendes Entkomplizierungsmittel (Kapitel 40) und das assoziative Lernen als vernetzender Zusammenschluss juristischer Inhalte (Kapitel 39). Nur das, was man ständig wiederholt, mit Bäumen der Erkenntnis fest verankert (40) und in juristischer Gesellschaft verknüpft (39), wird nicht vergessen. Am besten lernen die Studenten, die sich mit der Einsamkeit des Wiederholens schnell und problemlos abfinden. Letztlich führt am Wiederholen nämlich kein Weg vorbei. Nur so bleibt Jura dauerhaft im Gedächtnis! Ein einmaliges Verstehen und Können bei der Neudurchnahme juristischen Stoffes, auch bei den besten didaktischen Lehrmeistern, selbst mit den besten Lernmethoden der Assoziationsketten und Wissensbrücken, genügt 399 nur Genies. Lernen ist im Wesentlichen eben ein Behaltensphänomen; immer ein Bewahren, ein „Aufheben“, ein Speichern – kurz: ein Nichtvergessenwollen ist beabsichtigt. Das entscheidende Mittel für die Verhinderung jedweden Lernerfolges ist es, den Stoff nur einmal aufzunehmen. Es hilft allen Studenten nur eines zum nachhaltigen Erfolg: Lernen – Wiederholen – Üben! Lernen – Wiederholen – Üben! Besser werden! Wer richtig wiederholt, verbessert die Disposition und Schnelligkeit für die nächste Wiederholung. Das schafft Kondition für die lange Wegstrecke bis hin zum Examen. Beim Wiederholen kommt Ihnen eine wichtige Tatsache zu Hilfe: Die rasant in den Keller rasende Vergessenskurve bezieht sich nämlich ausschließlich auf all die tausend wuselnden Einzelheiten, nicht auf das Ganze. Der Vertrag mit den sechs Säulen: Angebot, Zugang, Annahme, Zugang, inhaltliche und zeitliche Deckungsgleichheit – das Ganze also, ob im Baumdiagramm oder in der assoziativen Vernetzung abgespeichert und eingeprägt, wird so schnell nicht vergessen. Dass Angebot und Annahme nur wirksam werden durch Zugang (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB), sitzt; die unterschiedlichen Detail-Zugänge bei Abwesenden und Anwesenden, verkörperter und nichtverkörperter Art, geschweige denn das Schicksal einer solchen bei Widerruf oder zwischenzeitlichem Tod des Erklärenden (§ 130 Abs. 1 S. 2 BGB), sind verschüttet. Aber es ist nicht unbedingt ein Trost, dass das Sechs-SäulenSystem des Vertrages als Gesamtwerk haftet, denn in der Klausur muss man das Gelernte meist genauer, eben auch in seinen Winzigkeiten wiedergeben. Und doch! Wenn Sie sich an den lernmethodisch so effektiven Baumdiagrammen und Assoziationsketten entlanghangeln, die richtig beschrifteten Schubladen aufziehen, können Sie sich viel schneller die Einzelheiten „wieder-holen“, sie „wieder hervorholen“. Ihnen fällt das Einzelne anhand Ihrer Abrufreize und Schubladenbeschriftungen viel schneller wieder ein. Unsere Erinnerung ist so angelegt: Ein Teil der Erinnerung reaktiviert die ganze Erinnerung. Denn: Weg ist der Stoff nicht. Erinnerungen sind zwar nicht statisch, sie sind dynamisch, werden ständig redaktionell überarbeitet und überlagert, sind aber da und abrufbar durch Reize. 400 Einige Tipps zum Wiederholen: 1. Da das Vergessen innerhalb der ersten 12 Stunden nach dem Lernen am stärksten ist, sollte die erste Wiederholung möglichst früh stattfinden. Faustregel: Wiederholen Sie am Abend den Tagesstoff in einer übergreifenden Zusammenfassung! Wiederholen Sie an den reservierten Wochenendvierteln (Min.: 1/4) den Wochenstoff! Wiederholen Sie nach einem Monat an einem ganzen Wochenendtag den Monatsstoff! Wiederholen Sie in den Semesterferien den Semesterstoff! Ihre Abwehr nehme ich vorweg: „Da komme ich ja aus dem Wiederholen nie heraus!“ Dem ist eben nicht so! Eine hoffnungsfrohe Lernerfahrung besagt, dass die für das Wiederholen benötigte Zeit im Verlaufe der Wiederholungen immer mehr abnimmt. Sehr bald genügt ein einzelnes Stichwort über das Zustandekommen eines Vertrages, und alles ist wieder präsent. Ein Teil entfacht das Ganze! 2. Man muss nicht alles wiederholen. Sie bemerken sehr schnell, was für Sie persönlich schwierig und schwer merkbar ist und was recht flott von der Hand geht. Zum Beispiel die Anfechtung oder das Abstraktionsprinzip oder der § 812 ff. BGB sitzen bei Ihnen überhaupt nicht? Dann müssen Sie hier eben öfter ran. Dagegen können Sie das Zustandekommen eines Vertrages zwischenzeitlich im Schlaf? Also weglassen! 3. Zum Wiederholungslernen eignet sich die Lernkartei sehr gut. Der Lernstoff, die Kommoden mit ihren Schubladen, die Puzzlesteine werden in Frage-Antwort-Form auf Karteikarten übertragen – auf die Vorderseite kommt die Frage, auf die Rückseite die Antwort. Der Wanderweg der Lernkärtchen kann beginnen. Am Anfang sollten Sie möglichst schriftlich antworten – denken Sie an Ihre verschiedenen Lernkanäle. Glauben Sie nicht, dass das Beschriften der Karten eine sinnlose Tätigkeit sei: Sie müssen sich nämlich durch die stringente Formulierung der juristischen Frage mit dem Lernstoff auseinandersetzen – und dabei lernen Sie. 401 Lernkarte 1 Vorderseite (Datei 1) Rückseite (Datei 2) Anfechtungserkl.: § 143 Abs. 1 BGB Wirksamwerden: § 130 Abs. 1 BGB Richtiger Adressat: § 143 Abs. 2, Abs. 3 BGB Anfechtungsgrund: §§ 119, 120, 123 BGB Anfechtungsfrist: §§ 121, 124 BGB Rechtsfolge: § 142 Abs. 1 BGB – Nichtigkeit ex-tunc Voraussetzungen der Anfechtung und ihre Rechtsfolge ? Lernkarte 2 Vorderseite (Datei 1) Rückseite (Datei 2) Zulässigkeit der Vertretung Eigene Willenserklärung (kein Bote) Handeln in fremdem Namen Mit Vertretungsmacht Innerhalb der Vertretungsmacht Kein Fall von § 181 BGB Rechtsfolge: Willenserklärungen wirken für und gegen den Vertretenen gem. § 164 Abs. 1, Abs. 3 BGB Voraussetzungen der Vertretung und ihre Rechtsfolge ? Sehr gut bewährt hat sich bei vielen auch ein sog. Flipchart. Auf den großen Blättern dieses Mediums kann man wichtige, für das weitere Lernen notwendige, memorierungswürdige Grundschemata, Pakete, Puzzlesteine, Baumdiagramme, Schubladen – farbig markiert – auftragen, die man dann bei der Wiederholung zu jedwedem Anlass aufblättern kann. Ein Flipchart, das ist so etwas wie ein ewiges Gedächtnis. Mit der Lernkartei und dem Flipchart schlagen Sie drei Fliegen mit einer Klappe: Fliege 1: Sie lernen bereits beim klaren, übersichtlichen, präzisen, vollständigen und einfachen Auftragen der Frage- und Antwort-Strukturierungen (schreiben). Fliege 2: Sie gewinnen einen treuen Begleiter, der Fixiertes fix, zuverlässig und insbe- sondere einprägsam aus der Erinnerung hervorholt (Wiederholung). Fliege 3: Sie können ein Ihnen nur schwer zugängliches Paket eine Zeit lang vor Ihrem Auge stehen lassen. Steter Tropfen höhlt den Stein. 402 Flipchart und Lernkarten sind kein unnützer und zu teurer Aufwand, sondern ein Aufwand von hohem Lernertrag. Denken Sie nun nicht, das Wiederholungslernen sei nur mit der Lernkartei und dem Flipchart möglich. Wenn Sie alten Lehrstoff aus Ihren Aufzeichnungen, Skripten oder Lehrbüchern lesend wiederholen, erzielen Sie dieselbe Wirkung. Wichtig ist nur, dass Sie es tun! 4. Auch die Partnerarbeit eignet sich gut zu juristischen Wiederholungen – und beugt so ganz nebenbei der Isolation beim Lernen vor. Lernen vereinsamt nun einmal! Gegen die Einsamkeit des Lernens gründet man eine gesellige Lern-AG. Eine solche Partnerarbeit kommt nicht für neuen Wissenserwerb und auch nicht als Dauerform in Betracht, sondern lediglich als willkommene Abwechslung und Zwischenstufe des Lernens. Sie und Ihr Freund sprechen sich ab: „10 Minuten Zeit! Erlöschen durch Erfüllung! §§ 362 Abs. 1, 2, 364 Abs. 1 BGB, Abgrenzung zu § 364 Abs. 2 BGB.“ Gesetz raus, und Sie schreiben stichwortartig untereinander, was Ihnen beiden dazu einfällt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Es entsteht ein gewisser Wettbewerb, es gestaltet sich alles mehr als ein Spiel (Spaß!), zweien fällt mehr ein als einem; im dialogischen Gespräch tauchen neue (alte) Erinnerungen auf. Als weitere Möglichkeiten für die Partnerarbeit seien erwähnt: das wechselseitige Vorlesen kleiner, in sich geschlossener Kapitel (langsam lesen!); das gemeinsame Lösen von Fällen als Denksportaufgaben; das gegenseitige Erklären (wichtig!) von Problemen; das freie Vortragen der Falllösungen; das „Ich-unterrichte-dich – Du-unter-richtest-mich-Spiel“ frei nach dem römischen Motto: Docendo discimus: beim Lehren lernen wir; Formulierungsübungen; das wechselseitige Abrufen gespeicherten Wissens; Jura-Quiz. Partnerarbeit macht einfach mehr Spaß als das isolierte Brüten, birgt aber auch die große Gefahr oberflächlichen Zeitvertreibs und blödelnder Ablenkung. 5. Der beste Lernerfolg ist keineswegs dadurch zu erzielen, dass man die zur Verfügung stehende tägliche oder wöchentliche Gesamtwiederholungszeit nur einseitig durch reine Wiederholung in Form erneuten „Durcharbeitens“ nutzt. 403 Die „stumpfe“ Wiederholung führt nicht zur bestmöglichen, längerfristigen Einprägung und ist auf Dauer langweilig. Besser ist es, wenn Sie die Gesamtwiederholungszeit im fliegenden Wechsel in die angeführten alternativen „Vergissmeinnicht-Möglichkeiten“ aufteilen: Karteikarten Partnerarbeit Ich-unterrichte-dich–du-unterrichtest-mich-Spiel Quiz Flipchart-Arbeit Erneutes Durcharbeiten Selbstprüfung im Selbstgespräch Dadurch verhindern Sie am wirkungsvollsten, dass sich Lernhemmungen aufbauen und dass Sie dem ewigen Vergessen hilflos ausgeliefert sind. Durch abwechslungsreiche Wiederholungen sind Sie es eben gerade nicht! 6. Wiederholungen haben nicht nur den unbestreitbaren Sinn, Sie im Abwehrkampf gegen das Vergessen zu unterstützen, vielmehr auch den, Sie sowohl in Ihrem Wissen zu bestätigen (Belohnungseffekt), Sie aber auch mit Ihrem Nichtwissen zu konfrontieren (Bestrafungseffekt) und Sie dadurch zu einem lernstrategischen Umdenken und vielleicht neuen Lernansatz zu animieren. 7. Ein letzter Tipp zum Wiederholen: Teilen Sie das Wiederholungsprogramm so ein und grenzen Sie es zeitlich so ab, dass es nicht zu stark mit den anderen Phasen des Lernens in Konflikt gerät. Wichtig ist die Wiederholung, wichtiger die Eroberung neuen Stoffes, noch wichtiger, dass man das, was man wiederholt, verstanden hat. Man kann nämlich nur wiederholen, wieder hervorholen, was man sich angeeignet und bewahrt hat. Aber trennen Sie die Phasen scharf voneinander ab, damit nicht alles zerfließt. Ohne neue Begegnung mit Jura (Aneignungsphase) – kein Aufheben des Erlernten (Bewahrungsphase). Ohne Aneignung und Bewahren – kein Wiederhervorholen (Wiederholungsphase). Ohne gezielte Wiederholung – kein kompetenter Einsatz der erworbenen Lernpotentiale „am Fall“ in der Klausur (Reproduktionsphase). 404 8. Am wichtigsten ist das Training am Fall! Jura ohne Fall, Gesetz ohne Sachverhalt darf es in Ihrem Wiederholungs-Lernen eigentlich nicht geben! 9. Eine kleine, hoffentlich hilfreiche Lebensweisheit zum ewigen Wiederholen für Sie: Begehre nicht nur das, was du nicht weißt! Genieße öfter das, was du schon weißt! Das ist Balsam für die geschundene Juraanfängerseele. Also wiederholen Sie öfter das Alte! 4.6 Welche spezifische juristische Lerntechnik man können muss: die assoziative Verknüpfung Ihr juristisches Lernen ist ein kontinuierlicher Prozess. Sie erweitern Ihren Wissensbestand ständig, aber nicht nur durch additives Hinzufügen (das auch!), sondern vornehmlich durch einsichtsvolle, verständige, kognitive Verknüpfungen Ihres systematisch geordneten juristischen Altbestandes mit dem juristischen Neubestand. Gelerntes begegnet Ungelerntem, durchdringt und verändert sich. Sie gehen vor wie die Evolution: Was sie einmal als gut erkannt und was sich im harten Selektionsprozess bewährt hat, behält sie bei und nimmt es mit. Sie baut darauf auf und hebt das Erreichte durch mutierende Veränderung auf eine neue, bessere Systemstufe. Deshalb sind die Grundlagen ja so unendlich wichtig! Sie lernen nicht ziellos ein Gesangbuch auswendig oder rezitieren Schillers „Glocke“, sondern erlernen den Gutachtenstil und die Subsumtionstechnik, das Zustandekommen eines Vertrages und die Merkmale der Anfechtung, den Deliktsaufbau im StGB sowie die Tatbestandsmerkmale der Notwehr, ziel- und zweckgerichtet, also final, um diese Institute zu begreifen, sie als Einzelteile „greifen“ zu können, um sie Ihrer bisherigen LernStruktur assoziativ (als „Gefährten“) einzugliedern. Zu einem künftigen Zeitpunkt in der Klausur stehen sie Ihnen „griffbereit“ für die Reproduktion oder auch für ganz neue juristische Problemlösungen zur Verfügung. Wenn K erklärt, er werde den Anspruch des V aus § 433 Abs. 2 BGB nicht erfüllen, weil dieser ihn betrogen habe, so werden Sie mit einer rein mechanischen Verknüpfung von „Vertrag“ und „Betrug“ den Lorbeerkranz nicht erringen. Sie müssen in der Lage sein, die Einzelelemente in der Rechtsfolge der Nichtigkeit des Vertrages durch Anfechtung (vgl. §§ 123, 142 BGB) und damit die Verneinung der Anspruchsgrundlage aus § 433 Abs. 2 BGB mit ihren Voraussetzungen des Zustandekommens eines Kaufvertrages im methodischen Gutachtenstil zu verarbeiten. Methode und Wissen reichen sich die Hand: 405 ● Methode: die drei zentralen methodischen Kategorien dafür sind: „Gutachtenstil“, „Subsumtionstechnik“ und „Gesetzestechnik“, ● Wissen: die Wissenselemente sind „Wie kommt ein Vertrag zustande?“ und „Was sind die Voraussetzungen einer Anfechtung wegen Täuschung?“. Das wichtigste Mittel für das dauerhafte Behalten im Langzeitgedächtnis, die Antwort auf die zentrale Frage „Wie bleibt Jura im Gedächtnis?“, ist die Herstellung von Assoziationen(lat.: ad, zu; sozius, Gefährte, Verbindendes, Verknüpfendes). Assoziation bedeutet die Verknüpfung neuer juristischer Inhalte mit bereits vorhandenem Jurawissen. Zu einem neuen juristischen Bewusstseinsinhalt wird spontan ein schon vorhandener Bewusstseinsinhalt aus dem assoziativen Gedächtnis reproduziert. Altes und neues Wissen werden zu „Gefährten“. Dazu müssen Sie für den neu zu lernenden Stoff Querverbindungen und Ankopplungsmöglichkeiten in diesem Gedächtnisteil schaffen, was wiederum nur gelingt, wenn man vorher klare und einfache Anknüpfungspunkte entwickelt hat. Ihr Gehirn produziert aus den juristischen Informationen, die Sie von außen bekommen, Ihr persönliches juristisches Wissen, indem es die neuen Informationen mit den bereits früher gespeicherten alten Inhalten verknüpft. Die neuen Infos müssen auf „gedächtnisinterne Gegenliebe“ stoßen. Die Lern-Technik der assoziativen Verbindungen beruht auf der Alltagserfahrung, dass man sich leichter an Informationen erinnern kann, wenn sie mit bekannten Infos verknüpft sind. Dem Jura lernenden Menschen ist, wie jedem anderen Menschen auch, am Wiedererkennen gelegen. Auch er ist ein kognitiver Faulenzer. Er möchte das juristisch Alte im juristisch Neuen wiederfinden und das Generelle im Individuellen. Darauf beruht die „Vertraulichkeit“, das „Heimischwerden“ im juristischen Lernen. Durch das Alte legitimiert sich das Neue, weist sich als echt, als richtig aus – als richtig im Sinne des „Wie ich es schon gelernt habe“. Beim „Assoziationslernen“ gilt: Das Neue dockt immer am Alten an. Je besser nun das Netzwerk geknüpft, die Grobstruktur gebaut, Ihr „Jurististan“ durch Ihre „Jura-maps“ kartografiert, die Baumdiagramme als Erkenntnisbäume gepflanzt, die Ankopplungsadressaten gefächert, 406 das Jurawissen systematisiert ist, desto leichter wird Ihnen der Katalogisierungsprozess gelingen. Dann fügt sich juristisch Neues an juristisch Altes, Nichtwissen an Wissen, Nichtkönnen an Können, Ungelerntes an Gelerntes, Unfertigkeit an Fertigkeit, Unsystematisches an Systematisches. Den so entstehenden Wissensspeicher können Sie sich wie eine Sammlung von großen Kommoden mit vielen Schubladen vorstellen. Deren einprägsame Aufschriften (auf den Kommoden wie auf den Schubladen) geben jeweils darüber Auskunft, was in sie eingeordnet werden darf. Je mehr Sie schon wissen, desto mehr Schubladen haben Ihre Speicherkommoden und desto besser können Sie weitere Informationen sinnvoll einordnen. Für das Behalten und damit das Nichtvergessen ist es nun äußerst wichtig, dass die Informationen aufeinander bezogen sind, d.h., dass sie eine Netz-Struktur bekommen. Diese Technik ermöglicht es über die Herstellung solcher Assoziationsketten mit Hilfe von Gedächtniskommoden mit ihren Schubladen, die Elemente exakt in der vorgegebenen Reihenfolge zu reproduzieren. Wird die neue juristische Wahrnehmung als wichtig erkannt und mit einer bereits vorhandenen, im Langzeitgedächtnis kreisenden juristischen Information gekoppelt (assoziiert), ist sie verankert und erinnerbar. In vier Schritten wird juristisches Wissen in diesen Gedächtniskommoden verpackt, d.h. assoziativ gelernt: Erster Schritt: Die neue Information strömt in das Kurzzeitgedächtnis. Z.B.: „Anfechtungserklärung“ gem. § 143 Abs. 1 BGB. Zweiter Schritt: Die neue externe Information trifft im Arbeitsspeicher auf eine alte interne Information aus dem Langzeitgedächtnis: Die neue „Anfechtungserklärung“ begegnet im Kurzzeitarbeitsspeicher der alten „Genehmigungserklärung“ gem. § 184 Abs. 1 BGB, der „Einwilligungserklärung“ gem. § 183 BGB, dem „Widerruf“ gem. § 109 Abs. 1 BGB trifft also auf andere einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärungen. Deren Struktur ist schon gespeichert: eine entsprechende Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB, 407 das Wirksamwerden dieser Willenserklärung gem. § 130 Abs. 1 BGB, gegenüber dem richtigen Adressaten, § 182 BGB, vom Berechtigten, z.B. §§ 108 Abs. 1, 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 S. 1 BGB. Dritter Schritt: Die neue Information dockt an die alte Info an. Die neue „Anfechtungserklärung“ begegnet den „Einseitigen Willenserklärungen“, die in der Kommodenschublade mit der Aufschrift „Empfangsbedürftige einseitige Willenserklärungen“ abgelegt sind (§§ 183, 184, 109 BGB). Neue Verknüpfung: Die Anfechtungserklärung gem. § 143 Abs. 1 BGB muss ausgelegt werden, sie muss wirksam werden gem. § 130 Abs. 1 BGB, und zwar dem richtigen Adressaten gegenüber gem. § 143 Abs. 2 BGB und muss vom Berechtigten herrühren, was der Fall ist, wenn ein Anfechtungsgrund vorliegt gem. §§ 119, 123 BGB. Alles wie gehabt bei den „alten“, schon gespeicherten einseitigen Willenserklärungen auch. Vierter Schritt: Nach dem Lernen entsteht eine Assoziationskette, in der die Erinnerung (Reproduktion) eines Elements automatisch die Erinnerung an die anderen Elemente hervorruft. In der Assoziationskette stellt das vorausgehende Element im Kurzzeitgedächtnis (z.B. Anfechtungserklärung) den „Suchhinweis“ für das folgende im Langzeitgedächtnis dar (Schublade: „Einseitige Willenserklärungen, Kommode: „Rechtsgeschäft“). Eine Ausnahme ist notgedrungen das allererste Element, das deshalb naturgemäß nicht vergessen werden darf. Wenn der erste Begriff nicht reproduziert werden kann, steht er auch als interner Abrufadressat im assoziativen Gedächtnis für den zweiten, den externen Abrufreiz, nicht zur Verfügung. Logisch! Also muss die erste „Einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung“, der Sie begegnen, fest „fixiert“ werden, wahrscheinlich ist es die „Genehmigung“ gem. §§ 184, 183, 182 BGB. Beispiel 1: Die in Ihrem Kurzzeitgedächtnis anlandende externe Information „Vertrag“ würde nach wenigen Sekunden verlöschen, wenn sie nicht sehr schnell auf eine in Ihrem assoziativen Langzeitgedächtnis kreisende interne Information stoßen würde. Der „Vertrag“ muss als Suchhinweis im KZG für etwas Folgendes im LZG den Reflex darstellen. Diese folgenden – alten – Informationen, die nunmehr auf den Abrufreiz „Vertrag“ reagieren, müssten die Informationen „Rechtsgeschäft“ und „Einseitige Willenserklärung“ sein. Diese Begriffe müssen als erste Elemente „fest gemauert“ im LZG verankert sein, um als Urglieder für Ihre Assoziationskette dienen zu können. Das Urglied muss immer sofort reproduzierbar sein. Im BGB beginnt die Assoziationskette „Vertrag“ mit dem ersten Glied: „Rechtsgeschäft“. Mit irgend einem Abrufadressaten muss man beginnen, da hilft Ihnen niemand! Zentraler Ausgangspunkt sind also die Kommode „Rechtsgeschäft“ und die Schublade „Einseitige Willenserklärung“. 408 Also: Der Suchhinweis „Vertrag“ im KZG reizt die im LZG bereits vorhandenen Assoziationsglieder und koppelt an: Rechtsgeschäft? – Ein Rechtsgeschäft ist ein Tatbestand aus einer oder mehreren Willenserklärungen, an den die Rechtsordnung einen bestimmten Rechtserfolg knüpft, weil er so gewollt ist. Zweck des Rechtsgeschäftes? – Es soll ein Rechtserfolg herbeigeführt werden. Mittel, das den Rechtserfolg herbeiführt? Es ist die Willenserklärung. Sie verwandelt den Willen in Recht. Willenserklärung? – Es ist die Entäußerung eines rechtsgeschäftlichen Willens, eine Rechtsfolge auslösen zu wollen. Aha! Vertrag ist also ein aus zwei Willenserklärungen bestehendes Rechtsgeschäft, das einen bestimmten Rechtserfolg herbeiführen soll. Die neue Info „Vertrag“ ist auf Gegenliebe gestoßen und hat an die Infos „Rechtsgeschäft“ und „Willenserklärung“ angedockt. Sie ist verankert! KZG LZG LZG KZG „Vertrag“ tritt ein KZG „Vertrag“ trifft auf bekannte Infos „Vertrag“ wird angekoppelt Beispiel 2: Im BGB spielt die Übertragung von Rechten immer wieder eine wichtige Rolle – etwa beim Eigentum an beweglichen (§ 929 BGB) und unbeweglichen Sachen (§§ 873 Abs. 1, 925 Abs. 1 BGB) sowie bei der Inhaberschaft von Forderungen und anderen Rechten (§§ 398, 413 BGB). Die Aufschrift über Ihrer zu bauenden Kommode lautet also: „Übertragung von Rechten“. Nunmehr wird die erste Schublade beschriftet und beschickt: „Übereignung beweglicher Sachen (Waren)“ – mit irgendeiner Schublade muss man den Lernvorgang eben beginnen. Sie füllen diese Schublade mit den dem Text des § 929 S. 1 BGB entnommenen Strukturelementen: Einigung (Willensmoment) 409 Übergabe (Vollzugsmoment) Einigsein zum Zeitpunkt der Übergabe Berechtigung, d.h. der Übereignende muss verfügungsbefugter Eigentümer sein § 929 S. 1 BGB ist ab jetzt Ihr Abrufadressat für die nachfolgenden Abrufreize Ihrer Assoziationsketten. § 929 S. 1 BGB muss deshalb sitzen! Beispiel 3: Gelangen Sie im Stoff nunmehr zu den neuen externen AbrufreizInformationen der §§ 873, 925 BGB, also zu der Übereignung einer unbeweglichen Sache, so fahnden Sie in Ihrem Langzeitgedächtnis nach internen Abrufadressaten, nämlich nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu den alten Informationen. Sie stoßen auf die Kommode „Übertragung von Rechten“, öffnen die erste Schublade „Übereignung beweglicher Sachen gem. § 929 S. 1 BGB“ und nehmen die Einzelteile in die Hand, legen sie also auf Ihren Arbeitsspeicher. Nach kürzester Zeit haben Sie dem Gesetzestext des § 873 Abs. 1 BGB die Ankoppelungsmöglichkeiten in Form der Gemeinsamkeiten des Willensmomentes (Einigung), des Einigseins und der Berechtigung entnommen und haben in Form der Unterschiede, nämlich beim Vollzugsmoment statt „Übergabe“ „Eintragung“ im Grundbuch, das zusätzliche Erfordernis der Einigung vor einem Notar, § 925 BGB (sogenannte „Auflassung“) entdeckt. Jetzt können Sie die zweite Schublade beschriften: „Übereignung einer unbeweglichen Sache“. Sie füllen diese Schublade mit den dem Text der §§ 873 Abs. 1, 925 BGB entnommenen Bausteinen: Einigung in Form der Auflassung (Willensmoment) Eintragung im Grundbuch (Vollzugsmoment) Einigsein (vgl. § 873 Abs. 2 BGB) Berechtigung, d.h. der Übereignende muss verfügungsbefugter Eigentümer sein Haben Sie es bemerkt? Sie haben sich Querverbindungen und Ankopplungen geschaffen, die viel besser im Langzeitgedächtnis (LZG) haften als Einzelvermittlungen. Schnell haben Sie dann auch den entsprechenden Baukasten Ihrer Kommode „Übertragung von Rechten“ auf ein Papier skizziert, der die Parallelen und Unterschiede verdeutlicht: 410 Kommode: Übertragung von Rechten Schublade 1 Schublade 2 „Bewegliche Sachen“ Einigung „Unbewegliche Sachen“ Auflassung Übergabe Eintragung Einigsein Einigsein Berechtigung Berechtigung Beispiel 4: Kommen Sie nunmehr im Laufe Ihres weiteren Lernens zu § 398 S. 1 BGB, also der externen Information „Übereignung einer Forderung“, die man traditionell nun einmal „Übertragung einer Forderung“ nennt, so koppeln Sie wiederum an intern Bekanntes an. Sie beschriften die dritte Schublade: „Übertragung von Forderungen“ Ihrer Kommode „Übertragung von Rechten“. Das ist Ihr Suchhinweis. Dann kramen Sie zunächst in Ihren vertrauten abgespeicherten Schubladen zu § 929 BGB und §§ 873 I, 925 BGB im LZG und zerlegen jetzt § 398 S. 1 BGB in seine Tatbestandselemente. Deuten Sie das Wort „Vertrag“ in „Einigung“ um und schon schaffen Sie sich die Querverbindungen und Ankoppelungsmöglichkeiten. Sie machen sich klar, dass es bei Forderungen als vergeistigten abstrakten Gebilden kein Vollzugsmoment in Form einer Übergabe geben kann, und der Gesetzgeber, Gott sei Dank auf ein „Forderungsbuch“ (analog Grundbuch) verzichtet hat. Weiter stellen Sie fest, dass das Merkmal „Berechtigung“ im Wort „Gläubiger“ versteckt ist. Ihre detektivische Suche hatte Erfolg. Die neue Information „Übertragung von Forderungen“ trifft auf die alten Schubladen-Informationen der §§ 929, 873 Abs. 1, 925 BGB im LZG. Es bildet sich eine Assoziationskette, die die Erinnerung an Schublade 1: § 929 BGB, die Erinnerung an Schublade 2: §§ 873 Abs. 1, 925 BGB und dann die Erinnerung an Schublade 3: § 398 BGB hervorruft. Sie füllen die dritte Schublade auf mit den Tatbestandselementen des § 398 S. 1 BGB: Einigung (Vertrag) Berechtigung (Gläubiger) Die Assoziationskette mit den Gliedern 1, 2 und 3 oder die Kommode „Übertragung von Rechten“ mit den Schubladen 1, 2 und 3 werden Sie nie mehr vergessen – sie stehen unverrückbar in Ihrem LZG. 411 Kommode: Übertragung von Rechten Schublade 1: „Bewegliche Sachen“ § 929 S. 1 BGB Schublade 2: „Unbewegliche Sachen“ §§ 873 Abs. 1, 925 BGB Einigung Auflassung Übergabe Eintragung Einigsein Einigsein Berechtigung Berechtigung Schublade 3: „Forderungen“ § 398 S. 1 BGB Einigung Berechtigung Jetzt stellen die einzelnen gesetzlichen Bauelemente der „Übertragung von Rechten“ in den §§ 929, 873 I, 925, 398 S. 1 BGB keine ungeordnete Menge von Einzelmerkmalen mehr dar. Sie sind vielmehr ein aufeinander bezogenes Assoziationssystem mit Aufschriften, wie die einzelnen Glieder oder Schubladen miteinander verbunden sind. Sie haben bald eine Art Kommodenplan im Kopf, wo etwas aufbewahrt ist und aufgefunden werden kann. Kommt nun neues externes Wissen hinzu (z.B. gibt es bei der Übertragung von Rechten und Forderungen ein letztes Merkmal, nämlich das „Nichtvorliegen von Abtretungsverboten“, vgl. § 399 BGB), so legen Sie dieses Merkmal nicht irgendwo unsystematisch ab, sondern betten die neue Information in Ihren vorhandenen Speicherschrank. Also: Kommode „Übertragung von Rechten“ (s. §§ 929; 873 Abs. 1, 925; 398 BGB) anklicken! Hier: „Übertragung von Forderungen“. Schublade 3 öffnen! Neue Info: „kein Abtretungsverbot (s. § 399 BGB)“! Schublade 3 beschicken: „kein Abtretungsverbot!!“ Neuer Inhalt Schublade 3: „Einigung – Berechtigung – kein Abtretungsverbot“ Schublade schließen! Fixiert! Je stabiler Ihre Kommode gebaut, Ihre Assoziationskette geknüpft ist, je präziser Ihre Aufschriften und Glieder lauten, je systematischer die Schubladen gefüllt und die Kettenglieder gefädelt sind, desto sicherer ist die Aussicht, die abgelegten Informationen im assoziativen Langzeitgedächtnis wiederzufinden. Umgekehrt geraten sie in Vergessenheit. 412 Genauso verfahren Sie mit dem gutgläubigen Erwerb beweglicher und unbeweglicher Sachen (das Merkmal „Berechtigung“ wird entweder mit § 932 BGB oder mit § 892 BGB unterlegt), mit dem „Zustandekommen von Verträgen“, ihren Anfechtungsmöglichkeiten und ihren Erfüllungstatbeständen, mit den Schubladen Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld, mit Diebstahl, Betrug, Mord und Totschlag. Mit Ihrer Fantasie und neuen Ideen werden Sie hunderte von eingespeicherten Informationen miteinander vernetzen, Kommoden bauen, Netzpläne anlegen, Schubladen beschriften und beschicken, diese auftürmen zu Kommodenstapeln und deren Inhalte somit vieldimensional für sich abrufbar machen. Das blitzschnelle Anklicken der Inhalte von Schubladen und Kommoden fällt Ihnen umso leichter, je besser Sie darin trainiert sind. Die detektivische Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden, Querverbindungen und Ankopplungen lohnt sich – Sie behalten besser! Bald wird jedes Tatbestandsmerkmal bei Ihnen Assoziationen freisetzen, die wiederum neue Gedankenketten gebären. So bleibt Jura im Gedächtnis! Die Lerntechnik der assoziativen Verbindung ist die große Chance, sich schon ganz am Anfang seines Studiums ein grundsätzliches, für das gesamte juristische Studium geltendes Erleben zu erwerben: Es ist die angesprochene Reduktion der Komplexität auf einfache Elemente aus dem Gesetz, mit deren Hilfe dann die Reproduktion von Komplexität beginnt. Die Kenntnis der „Verknüpfenden Ordnung“ der gesetzlichen Gesamt- und Einzelbaupläne mit ihren Tatbestands-Bauelementen, die nie einzeln stehen, sondern immer in funktionelle Wechselabhängigkeiten treten, sich vernetzen, ankoppeln oder andocken, muss dem Studenten zwangsläufig die entscheidenden Vorteile in seinem Lernen bringen. Und wird, wie zu erwarten, die Verflechtung dieser Bauplan-Wechselwirkungen, der Assoziationsketten und Kommodensysteme sehr umfangreich, dann wird auch die Aussicht auf Entflechtung ohne Kenntnis des flechtenden Netzwerkes, des Kommodengesamtplans, verschwindend gering. Für das Lernen ist das Anlegen solcher vernetzter Ordnungen und Assoziations-Systeme unumgänglich. Und noch eins: In unseren Wahrnehmungen erleben wir die Welt nicht als eine Summe von Einzeleindrücken, sondern in geordneten Ganzheiten. Den in dieser Aussage festgelegten Gedanken lesen wir schon bei Platon und Aristoteles, dass nämlich das Ganze vor den Teilen ist und 413 mehr ist als die Summe der Teile. Eine Melodie ist eben mehr als die Summe der Töne. Woran das liegt? Die Ganzheiten haben eine Gestalt. Infolge dieser Tatsache, dass die Einzeleindrücke (Töne) ein Formganzes (Melodie) darstellen, können sie transportiert werden. Das müssen Sie sich zunutze machen! Juristische Ganzheiten prägen sich Ihrem Gedächtnis noch merkbarer ein als juristische Einzelteile. Die Methode nenne ich eben „Assoziationskettenknüpfen“ oder „Kommodenbauen“: Aus den Elementen wird das Ganze reproduziert! Wenn Sie dann neben den Einzelteilen (Schubladen) und neben dem Einprägungswert des Ganzen (der Kommode) nun auch noch jeweils den Sinn und Zweck des Ganzen (der Kommode) – des Rechtsinstitutes – ins Spiel bringen (die Anfechtung soll z.B. eine Willenserklärung „vernichten“), es also verstehen, haben Sie das Rechtsinstitut endgültig im Gedächtnis. Sie haben es sich in Einzelteilen, ganzer Gestalt und funktionalem Sinn eingeprägt. Diese drei Faktoren bewirken das Behalten und verhindern das Vergessen. So bleibt Jura im Gedächtnis! Es funktioniert immer! Mit dieser Assoziationstechnik bauen Sie sich nach und nach ein in Ihrem Kopf verdrahtetes, schon bald perfektes Expertenwissen auf. Die Gedanken Ihrer in dieser Technik nicht geübten Kommilitonen verheddern sich dagegen in unzähligen (999.999) Einzelschritten. Sie aber jonglieren mit vorgefertigten „Rechtsinstitutspaketen“, „Tatbestandskommoden“, „Paragraphenassoziationsketten“, „Gesetzespuzzlespielen“, die Sie gebündelt und verschaltet in Ihrem Gedächtnis haben. Beim Lernen muss man viele Bälle gleichzeitig in der Luft halten. Zwar kann nun nicht die gesamte Rechtswissenschaft in solche assoziative Kommoden und Wissensspeicher eingespeist und das Neue immer im Alten, das Spezielle immer im Generellen gefunden werden. Dazu sind die Wirklichkeit und das Gesetz, die wir in der Juristerei immer wieder sich paarend zusammenbringen müssen, zu kompliziert. Aber für das Lernen ist das Anlegen solcher vernetzten Ordnungen und Assoziations-Systeme unumgänglich. Das blitzschnelle Anklicken der Inhalte von Schubladen und Kommoden fällt Ihnen umso leichter, je besser Sie darin trainiert sind. Die detektivische Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden, Querverbindungen und Ankopplungen lohnt sich – Sie behalten besser! Bald wird jedes Tatbestandsmerkmal bei Ihnen Assoziationen freiset414 zen, die wiederum neue Gedankenketten gebären. So bleibt Jura im Gedächtnis! – So errichten Sie „assoziierend“ Ihr juristisches Können! Je mehr Sie an Zusammenhängen begreifen, sie für sich entdecken und durch Verständnis in „Besitz“ nehmen, desto stärker wird auch Ihre Lernmotivation, Ihr Interesse, desto kreativer können Sie werden, desto mehr Freude werden Sie am Lernen von Jura finden. Aber dieses Vergnügen kann Ihnen niemand zum Nulltarif servieren. Gründliche Kenntnisse und solides Können im materiellen und formellen Recht, ganz besonders in unserer Methodik, sind die unerlässlichen Voraussetzungen dafür, dem ständig lauernden kognitiven Faulenzer in uns durch Einsicht, Verständnis und Kreativität Beine zu machen. Überdenken Sie mal das Verpacken von juristischem Wissen in Gedächtniskommoden – aber werden Sie nicht gleich zum Jura-Junkie! 4.7 Was ein Baumdiagramm ist und wozu es verhilft Das Baumdiagramm ist ein Entkomplizierungsmittel und damit ein juristischer „LernStar“. Es ist ein Kunstgriff, der das intelligente, strukturierte, nach Einfachheit strebende juristische Lernen entscheidend fördern kann. Das eigentliche „Juralernen“ erfasst nie einen singulären Fall oder ein vereinzeltes Problem, sondern immer auch den Grund für den Fall dieser Art und die Einbettung des Problems in den über-, neben- und untergeordneten Systemzusammenhang. Wofür steht dieser Fall, dieses Gesetz, dieses Problem Pate? Abstrahieren Sie die Essenz aus dem Fall, aus dem Gesetz, aus dem Problem! Suchen Sie die juristische Verallgemeinerung im Speziellen, das Systematische im Zusammenhanglosen, das Abstrakte im Konkreten. Fragen Sie sich immer: „Was will mir dieses Gesetz, dieses Problem, dieser Fall über sich selbst hinaus sagen?“ – „Wie ordne ich die Antworten auf diese Fragen in meine juristischen Gesamtzusammenhänge ein?“ Potente juristische Studentengehirne stärken sich nicht nur durch Lesen und Hören, sondern mehr noch durch die Systematisierung des Gelesenen und Gehörten. Als Eselsbrücke könnte der Merkspruch dienen: „Dem System Jura ist das System systemimmanent.“ Diese „Systematik“ erlaubt es, ursprungsverwandte Gesetze, Paragraphen und Rechtsinstitute das Ganze will die Rechtsordnung gestalten- trotz ihrer Abwandlungen in Sprache, Aufbau, Funktion und Stellung zu identifizieren. 415 Stellen Sie sich noch einmal unseren riesengroßen Supermarkt auf der grünen Wiese vor. In einem solchen Einkaufsmarkt musste ein Ordnungssystem herrschen, sonst ginge er Pleite, weil der Kunde nichts fände und verschreckt den Laden verließe. Wir hatten angenommen, unser Supermarkt verfügte über ein Warenangebot von 10.000 Artikeln, die unsystematisch wild verstreut über die Verkaufsfläche verteilt wären und uns gefragt was geschehen würde. Da der gewünschte Artikel überall und nirgends stehen könnte, wäre es rein theoretisch möglich, dass der Kunde 9.999 Artikel durchmustern müsste, ehe er seine gesuchte Ware gefunden hätte. Was der Jurastudent schon im ersten Semester an „juristischen Informationen“ im Kopf hat, überschreitet bei Weitem die Zahl von 10.000 Jura„Waren“. Würden diese „Informationswaren Jura“ unsystematisch, rein zufällig im Studentengedächtnis gespeichert, würde der Student beim Denken, Suchen und Erinnern wahnsinnig – so wie der Supermarkt bankrott ginge. Da dies nun nicht so ist, müssen Jura und Supermarkt etwas mit System und Ordnung zu tun haben. Ja, System brachten Ordnung in das Ganze! Im Supermarkt bringen zwei Ordnungen Ordnung ins System: ● die Ordnung nebeneinander nach Sachgebieten – Sachgebietsprinzip (Lebensmittel – Textilien – Musik – Haushalt) ● und die Ordnung untereinander nach Rangfolgen – Hierarchieprinzip (z.B. Lebensmittel unterteilt in: Käsetheke – Wursttheke – Weine – Obst – Gemüse; Gemüse wiederum unterteilt in Kästen mit Bohnen, Möhren, Paprika; Textilien unterteilt in: Herrenmode – Damenmode – usw.). Ein Betriebsgeheimnis der Juristerei vorweg: Die Fähigkeit des guten Juristen besteht darin, mit einer großen, aber doch endlichen Zahl von Gesetzen unter Zuhilfenahme weniger methodischer Regeln eine unendliche Zahl von Fällen systematisch zu lösen. Die einzelnen methodischen Teile („Puzzlesteine“) der Juristerei erhalten ihren Wert, ihre Bedeutung einzig und allein durch ihr systematisches Zusammenwirken im „System Jura“. Das Wort „System“ bedeutete ursprünglich etwas eher Konkretes: Ein aus mehreren Teilen zusammengesetztes und gegliedertes Ganzes. Ein reales „Puzzle“. Auf den Hochschulen versteht man unter System heute eher etwas Abstraktes: Eine geordnete Verbindung zusammengehöriger Denkbestimmungen (z.B. juristische Inhalte) zu einem relativ geschlossenen Ganzen. Ein geistiges „Puzzle“. Die Juristerei stellt sich als ein solches geschlossenes, parallel und hierarchisch gegliedertes Ganzes dar. Sie ist ein solches reales und geistiges Puzzle, ein Inbegriff von Begriffen, ein Ganzes von Gesetzen, Regeln, Prinzipien, Sätzen und Methoden, die durch eine gemeinsame Methodik innerlich verbunden sind. Sie erscheint als ein vereinigender Aufbau 416 aus einfachen, sich nach oben fortgesetzt komplizierenden Elementen, wie Etagen und Stockwerke, die sich neben- und übereinander lagern. Die Juristerei gliedert sich nach ihren parallelen Rechtsbereichen: Öffentliches Recht, StGB, BGB und dem „Rest“ immer von oben nach unten in einer hierarchisch abgestuften Begriffsfolge, der organischen Einheit des juristischen Rechtsbereichs entsprechend. Durchweg werden die Teilungen und Unterteilungen, Stockwerke und Etagen, Räume und Kammern dieses System-Gebäudes durch Definitionen abgegrenzt, festgelegt und durch juristische Methodik verbunden. Jede dieser Definitionen und Methoden ist mit Rücksicht auf die übrigen formuliert und entwickelt worden. In ihrer systematischen Gesamtheit sichern sie die Identität der zusammengesetzten Denkinhalte (Gesetze) und Methoden ihrer Anwendung mit nur einem einzigen Ziel: Gesetz und Sachverhalt für eine gerechte Falllösung zusammenzubringen. Das riesige Gewimmel der für Sie neuen bürgerlich-rechtlichen oder strafrechtlichen Paragraphen können Sie, wie den Supermarkt auch, nur sach-systematisch und systematischhierarchisch von oben nach unten und von links nach rechts, denken, so wie andere „Gewimmel“ auch. Der Übergang vom schulischen zum juristischen Denken erfordert das Erfassen des „Systems Jura“ und die Erkenntnis, dass man Zusammenhänge nur dann begreifen kann, wenn gewusste juristische Dinge da sind, zwischen denen man einen systematischen Zusammenhang herstellen kann. Sie müssen begreifen, dass alles keine Zauberei und kein kunterbuntes Paragraphengewimmel in „Recht und Gesetz“ ist, sondern dass immer (fast immer) Systeme dahinter stecken. Möglichst schnell sollten Sie sich ein nach Systematisierung strebendes juristisches Denken angewöhnen. Das kann man lernen! Die systematische Methodik der Juristerei nimmt wie jede andere wissenschaftliche Methode auch das Merkmal der Allgemeingültigkeit für sich in Anspruch. So wie es in den Naturwissenschaften Grundgesetze gibt, so gibt es auch Allgemeingeltendes für den Umgang mit Gesetzen, so verschieden der Zusammenprall von Gesetz und Sachverhalt auch nach Zeit und Ort und Inhalt sein mag. Auch dort, wo die Gesetze auf moderne individuelle Menschen und moderne Gesellschaften mit ihren soziologisch unterschiedlichsten Gruppen treffen, begeben sich die Systematik und Methodik auch in der Juristerei nicht ihres Anspruchs auf Allgemeingültigkeit. Dieser Anspruch hat den Sinn, dass unter gleichen Verhältnissen überall das Gleiche gilt. Das Baumdiagramm legt diese verborgenen systematischen gesetzlichen Zusammenhänge frei! In jedem Problem, Fall und Gesetz steckt mehr als das real Anwesende! Denken Sie das real abwesende, aber potentiell anwesende System immer mehr oder weniger mit. Das schult das juristische Verständnis. Das „Mehr oder Weniger“ gibt dabei den Ausschlag da417 für, ob Sie ein guter oder schlechter Jurabeginner werden. Das System ist die Hintergrundstrahlung für jedes juristische Problem. Signalisieren lässt sich diese Erkenntnis in den Merksprüchen: Wichtiger als das Jura-Wissen selbst ist der Weg zum Jura-Wissen! Der beste Weg führt über das System Baumdiagramm! Nicht nur das Produkt, sondern mehr noch der Prozess ist für das Verstehen maßgebend! Das Baumdiagramm ist das erkenntnisgewinnende prozesshafte Zu-WerkeGehen zum Produkt „Juristisches Verständnis“! Für jedes Jura-Programm gibt es ein Jura-Baumdiagramm! Das Baumdiagramm ist der juristische Lerndietrich für die juristischen Tresore! Ihre juristische Erkenntnis reift am juristischen Baum der Erkenntnis! Wie funktioniert nun so ein Baumdiagramm? Seine Theorie heißt vor allem: Bäume pflanzen, Äste, Zweige und Blätter beschriften! Die Struktur eines Baumdiagramms kann mit der Ansicht eines Baumes aus der Froschperspektive verglichen werden. Während der „Stamm“ mit dem Thema bezeichnet wird, markieren die „Äste“ zugehörige Hauptpunkte, die „Zweige“ Unterpunkte und die „Blätter“ Feinpunkte. Die Technik können Sie schnell erlernen. Die nachfolgenden vier Schritte sollen Sie zu einem ersten Verständnis führen. 1. Schritt: Nehmen Sie einen DIN-A4-Bogen im Querformat und etikettieren Sie oben in die Mitte des Blattes das zentrale Thema. 2. Schritt: Von Ihrem Zentrum (dem „Stamm“ Ihres Baumes) gehen Hauptäste aus, die Ihr Thema in einzelne Bereiche – Hauptpunkte – aufsplitten. Sie gewinnen eine Grobstruktur. Die Hauptäste etikettieren Sie als Hauptpunkte mit prägnanten Stichwörtern. 3. Schritt: An die Hauptäste können weitere Zweige und Blätter angefügt werden. Sie stellen einzelne Ideen oder Ideengruppen dar. Nun werden Sie es zu schätzen wissen, ein DINA-Blatt im Querformat gewählt zu haben. Einzelne Stichwörter als etikettierende Bezeichnungen der Zweige genügen als Assoziation für Ihr Gedächtnis und Gehirn. Doch sollten die Etiketten von Ihnen mit Pfiff individuell und vor allem merkfähig gewählt sein. 4. Schritt: Nachdem Sie das Baumdiagramm erstellt haben, können Sie durch Nummerierungen Prioritäten setzen oder Bearbeitungsreihenfolgen festlegen. 418 Hauptstruktur Problem: Institut I. Begriff Problem Gesetz 1. 2. 3. Hauptpunkte Unterstruktur Institut Problem I. 1. a. b. 2. c. a. b. 3. c. a. b. Hauptpunkte c. Unterpunkte Einige Grundregeln zu diesem „Baum der Erkenntnis“. Er ist ein zentraler Helfer im Kampf gegen das Vergessen! Schreiben Sie immer in Druckbuchstaben! Die Begriffe werden vom Auge besser wahrgenommen. Nehmen Sie kurze, prägnante, individuelle, griffige Begriffe! Sie werden als Bild von Ihnen aufgenommen und besser gemerkt. Etikett und Bild ergänzen sich! 419 Benutzen Sie für Stamm, Ast, Zweig und Blatt vertikal (Begriff, Hauptpunkt, Unterpunkt, Feinpunkt) oder horizontal (alle Haupt-, Unter- und Feinpunkte), wenn möglich, unterschiedliche Farben! Benutzen Sie immer dieselben Farben! „Rot“ für Stämme; „Gelb“ für Äste, etc. ... So lassen sich Zusammenhänge im Geäst besser verdeutlichen. Setzen Sie nicht viel mehr als 4 Ebenen ein! Ihr Gehirn weigert sich sonst mitzumachen und versenkt Ihr gesamtes System in den Orkus ewigen Vergessens. Lassen Sie Platz in jeder „Etage“! Denn: Was Ihnen später noch einfällt, lässt sich dann unschwer noch einhängen. Es gibt keinen (!) juristischen Lernbereich, in dem Sie das „Kreativitätswerkzeug Baumdiagramm“ nicht einsetzen können! Es gibt kein Problem oder Stoffgebiet, welches Sie nicht in der Systemdiagrammform strukturiert darstellen und sich einprägen können. Sie müssen sich nur darum bemühen und sich im Systemdiagrammdenken und Strukturieren trainieren! Jede juristische Information haftet ganz anders in Ihrem Langzeitgedächtnis, wenn sie von einem Baumdiagramm huckepack genommen worden ist. Dieser juristische Lern-und-Verständnis-Aufbereiter ist von allergrößter Bedeutung für Ihr juristisches Verstehen, Lernen und Behalten sowie Garant dafür zu verhindern, dass Informationen von Ihrem Kurzzeitgedächtnis bewusst oder unbewusst nicht ins Langzeitgedächtnis transportiert oder von diesem wieder vergessen werden. Den Einsatz dieser Baum- oder Systemdiagramme beherrschen nur wenige Studenten. Und doch liegen diese System-Bäume wie Gitternetze aller juristischen Komplexität, allen juristischen Denkvorgängen und Tätigkeiten zugrunde. Sie müssen lernen, in Form solcher Systembäume die Juristerei, Ihren zu erarbeitenden Stoff, das Rechtsgebiet, das Rechtsinstitut, den Fall, das Gesetz, schlicht: alles Juristische zu systematisieren und so systematisch-horizontal und systematisch-vertikal durchdringbar zu machen. Zunächst müssen Sie die juristischen Problemfelder überhaupt erkennen, klar. Dann müssen Sie das Problem analysieren und strukturieren und optisch in Bäumen darstellen! Denken Sie daran: Der Mensch ist ein Augentier. Über das Sehen ist es leichter, zu speichern und zu denken. Diese Aufnahmebereitschaft des Auges müssen Sie ausnutzen. Um sich Wissensgebiete begreiflich zu machen, sollten Sie mehr zum inneren Auge reden. Das Mittel: der juristische Baum der Erkenntnis! Wenn Sie das Problemfeld erkannt, analysiert und systematisiert haben, müssen Sie ein Viertes tun: Sie müssen Vorrangigkeiten und Nachrangigkeiten für Ihre Haupt-, Neben- und Unterpunkte im Baumdiagramm festlegen. Das nennt man priorisieren. Nicht alles ist gleich wichtig! 420 Diese „Bäume“ erlauben es, ursprungsverwandte Bereiche z.B. des BGB, seine Gesetze und Rechtsinstitute (z.B. Stellvertreter) trotz ihrer Abwandlungen in Sprache, Aufbau, Funktion und Stellung zu vernetzen. „Die Hierarchiesysteme“ bilden die Grundlagen der vergleichenden und aufbauenden juristischen Systematik und damit die Erkenntnis von Systemverwandtschaft und von methodischem Aufbau der Juristerei. Wissen reicht in der Juristerei nicht, man muss „verstehen“. „Verständnis“ bedeutet eine zumindest vorläufige stabile Deutung von Zusammenhängen. In der Juristerei heißt das konkret das Erkennen und Begreifen von Zusammenhängen zwischen juristischem Wissen und übergreifenden Methoden. Wie funktioniert „verstehen“? Neben anderen Phänomenen wie Methodenkompetenz, Systemkenntnis, entkomplizierende Vereinfachung (Kapitel 14), Prägnanz, Sinnfälligkeit und Ordnung, eben durch Baumdiagramme. Diese „Bäume“ sind die Instrumente, das juristische Verständnis zu lernen! Wird nun bei Ihnen diese Erkenntnis sehr früh geweckt und fest auf Ihrer Gedächtnisfestplatte verankert, dann wird auch die Gefahr, sich im „System Jura“ zu verlaufen, geringer. Bei der Suche nach „Verständnis“ wird mit Hilfe der Baumdiagramme aus leidender Passion des Anfängers bald passionierte Leidenschaft. Mit solchen Systemen lernen Sie allmählich das Recht „beherrschen“ in seinen Hierarchien, seinen Tiefen, Breiten und Höhen und mit seinen vielen Verästelungen. Mit solchen Systemen hat man anfangs noch grobmaschige, allmählich immer feinmaschigere juristische Landkarten im Kopf und kann sich immer besser orientieren. Egal was an juristischen Problemen, Paragraphen oder Instituten auf Sie zukommt, und das werden gerade am Anfang nicht wenige sein. Sie können sich selbst immer wieder mit Ihren Baumdiagramm-System-Wegweisern in die Gesetzessystematik hineinfinden. Sie können Ihre neue Erkenntnis an die alten Erkenntnisse besser ankoppeln und Neues wie Altes in die Systeme eintäfeln. Einem solchen „System-Baum“ liegt immer ein „Ordnung-in-Ordnung-Prinzip“ zugrunde: 421 Das „Ordnung-in-Ordnung-Prinzip“ der Juristerei Problem Hauptpunkte Unterpunkte Feinpunkte Konkretes Beispiel eines Baumdiagramms für StGB und BGB (Vertrag) Rechtsordnung Öffentl. Recht Strafrecht Allg. T. Unrecht Schuld Privatrecht Rest Bürgerliches Recht Rest Bes. T. Allg. T. Bes. T. Diebstahl Betrug Vertrag TB RW Schuldfäh. Schuldformen Entsch.gr. Unr.bew. 422 Vertretung 6 Säulen des Vertrages Schuldrecht Sachenrecht Sie sehen, dass jeder beliebige Punkt innerhalb eines solchen systematischen Strukturbaums durch eine dreifache Blickrichtung seine Prägung erhält: Blick nach oben höhere, abstraktere Begriffe Blick nach unten niedrigere, konkretere Begriffe Blick zur Seite parallele, gleichgelagerte Begriffe Schon sind Sie drin – im hierarchischen System! Es ist eine Matroschka-Technik wie bei den russischen Püppchen, orientiert am Enthaltensein von Etwas in Etwas, vom kleinen „In“-halt bis zur Vereinigung aller kleineren Behälter im Großbehälter der Rechtordnung. Sie werden bald selbst erkennen, warum die wichtigste Ebene der Systemhierarchie für das Verstehen nicht die unterste, sondern die oberste ist; warum Sie, je höher Sie in den Ebenen emporklettern, desto mehr vereinfachen; warum ein immer wieder erneutes Abfahren der Strukturen mit dem Zeigefinger nach oben, nach unten und links und rechts nicht umständlich und „typisch schulmäßig“ ist, sondern die Sicherheit bringt, die später die Abkürzungen ermöglicht, direkt zu den Problemen auf der untersten Ebene zu gelangen, ohne sich zu verfahren; warum nur über die Baumdiagramme die das Ganze überblickenden Überblicke und damit das Verständnis gewonnen werden können, warum Baumdiagramme beim Juralernen das A und O sind. Sie können auch den allgemeinen Teil des StGB im Hinblick auf die Straftat (ohne den Rechtsfolgenteil) einmal strukturieren: Allgemeiner Teil des StGB als Baumdiagramm Straftat abstrakt Allgemeine Erscheinungsform Tatbestand Rechtswidrigkeit Schuld Besondere Erscheinungsformen Täterschaft und Teilnahme 423 Versuch Unterlassen Irrtum Jeden dieser Unterpunkte kann man jetzt fokussieren und weiter auffächern. Viel mehr steht nicht im Allgemeinen Teil des StGB. Egal, wo und wann ein Strafrichter in deutschen Gerichtssälen zu Gericht sitzt, er hat es materiell immer mit Tatbestand, Rechtswidrigkeit oder Schuld, mit Täterschaft und Teilnahme, Versuch, Unterlassen oder Irrtum – jeweils kombiniert mit einem oder mehreren Tatbeständen des StGB-BT – zu tun, was er formell mit strafprozessualen Mitteln zu erhellen versucht. Systemdenken in Baumdiagrammen ist ein methodischer Zaubertrank für das kreative juristische Verstehen. Die Rechtsordnung ist nämlich ein festgefügter Regelraum mit immanenten Hierarchien, Gliederungen und Strukturen, letztlich ein durch logisch erschließbare juristische Baumdiagramm-Systeme gebändigtes Gesetzeschaos. Viele Dozenten, die meisten Lehrbücher und insbesondere die Kommentare favorisieren nicht die Baumdiagrammtechnik, sondern das punktuell-lineare Denken. Dabei werden Gesetz für Gesetz, Tatbestandsmerkmal für Tatbestandsmerkmal, Anspruchsvoraussetzung für Anspruchsvoraussetzung, Punkt für Punkt jeweils getrennt voneinander angegangen. Diese werden dann geradlinig-linear nach unten ohne systemknüpfende Seiten- oder Auf-Blicke abgehandelt, also ohne immer wieder (!) den Weg über die darüber oder daneben gelagerten Baumstrukturen zu nehmen. Der Student ahnt zwar, dass irgendeine höhere Systematik dahinterstecken muss, verbleibt aber bei seinem vereinsamten Einzelmerkmal mit sich allein gelassen in der meist unbegründeten Hoffnung, diese Systematik eines fernen Tages auch einmal zu durchschauen. Merkmal für Merkmal wird vom Dozenten oder Lehrbuch mit Mühe und Fleiß jeweils als Solitär gepflanzt, ohne dass sich diese isolierten und zusammenhanglosen Einzelstämme im Langzeitgedächtnis zu einem stattlichen Wald zusammenfügen. Hier passt das Sprichwort: Der Student sieht vor lauter Bäumen (Einzelheiten) den Wald (Gesamtwerk) nicht mehr. 4.8 Warum und wie man die Komplexität der Gesetze reduziert Wie alle Präzisionshandwerke hat auch die Juristerei ihre könnerhafte Meisterschaft. Es ist diese meisterliche Kunst, in die Komplexität der wirklichen Welt einerseits (Lebenssachverhalte) und die Komplexität der künstlichen Welt andererseits (Gesetze) Klarheit und Einfachheit zu bringen. Diese hohe Kunst setzt die messerscharfe Fähigkeit voraus, die 424 entscheidenden Punkte für Ihr erkennendes Lernen zu sichten und sichtbar zu machen und zunächst alles Überflüssige und Unwichtige wegzulassen. Diese Kunst kann man auch „Analysefähigkeit“ und „Systematisierungsfähigkeit“ nennen. Man braucht dafür den Blick für das Wesentliche und Vorrangige und Übung, um dieses Unterscheidungsvermögen zu erwerben und für sein Lernen souverän nutzbar zu machen. Der geistige Zugriff muss auf das Wesentliche ausgerichtet sein. Folglich muss eine gewaltige Datenreduktion stattfinden. Komplizierte Details müssen am Anfang weggelassen werden. Damit Sie als Student nicht in der Flut von Details ertrinken, muss Ihr Bemühen darauf gerichtet sein, die verschiedenen Welten zu vereinfachen. Bringen Sie Einfachheit in die Komplexität, damit Ihre „Lernstunden“ zu „Sternstunden“ werden! Einfachheit ist im Anfang des Studiums der einzige Weg, Jura dauerhaft im Gedächtnis zu verdrahten, der Weg jenseits von Komplexität. Der Weg der Einfachheit hat wenig zu tun mit den herkömmlichen Lehrmethoden vieler juristischer Dozenten. Einfach heißt keinesfalls leicht! Denn Änderungen hin zur Einfachheit im erfolgreichen Lernen erfordern verdammt viel Anstrengungen. Es ist als Dozent viel leichter, juristische Institute kompliziert darzustellen und sich hinter Wortverhauen zu verstecken als sie einfach zu lehren. Die juristischen Lehr-Rituale, überwiegend verschachtelte Antworten zu präsentieren, müssen Sie durchschauen. Was das Verständnis für einfaches Lehren in der Juristerei allerdings erschwert, ist der Aberglaube, juristische Dinge könne man nun mal nicht einfach ausdrücken: das wirke zu trivial, zu simpel. Die meisten Menschen verstehen keine komplizierten Probleme, sie verstehen nur einfache. Also sollten Sie die Probleme für sich so aufschließen, dass sie eine Reihe von einfachen juristischen Gedanken ergeben. Das geht tatsächlich! Wenn Ihnen die Reduzierung der Komplexität auf einfache Elemente gelingt (siehe assoziatives Lernen), werden Sie Lernerfolg haben. Ihnen wird es dann auch gelingen, aus diesen heruntergebrochenen einfachen Einzelteilen immer wieder und vor allem immer wieder neu, die Komplexität zu reproduzieren. Es ist gar nicht so kompliziert, Ihr Lernen einfach zu machen. Es ist fast immer das „Viele“, das „Alles“ und das „Alles gleichzeitig“, was schlechte Studenten wollen. Komplexität kann aber nur reduziert werden, indem Sie weniger machen und die Dinge hintereinander „einfach“ lernen. – Warum? Weil der normale Student die Einfachheit braucht, wenn die Komplexität um ihn herum zunimmt. Der gute Student sucht nach der Einfachheit, nach der Einheit in der Vielheit, nach Übersicht, Ordnung und Struktur – er sucht das intelligente juristische Lernen. Intelligentes Lernen ist 425 einfaches Lernen. Wenn Ihnen die Reduktion der Komplexität bei Ihrem Lernen gelingt, dann gelingt Ihnen die Beherrschung der Komplexität, ganz einfach: Wenn ..., dann ...! Der gute Student hat das begriffen, der schlechte nie! Sie müssen lernen, Einfachheit gegen Komplexität zu stellen! Das A und O des juristischen Lernens. Unser Gehirn hat nämlich ein großes Problem: Es ist von der Evolution nicht für komplexe Gegenstände gerüstet worden, sondern für einfache. Das Recht ist jedoch ein höchst komplexer Gegenstand. Sie können aber, wie jeder andere Mensch auch, nur einfache Strukturen in Ihrem Langzeitgedächtnis einspeichern! Das „Komplexitätsproblem“ muss gelöst werden. Trainieren Sie deshalb die Fähigkeit, einfache eigene Strukturen zu formen und diese dann untereinander mit Hilfe geeigneter Strukturverwaltungsprogramme (Baumdiagramme) zu verknüpfen, damit Sie so auch komplizierte Aufgaben bewältigen können. Werden Sie Ihr Experte für die erfolgreiche Vereinfachung der juristischen Komplexität. Es ist nicht einfach, guter juristischer Lehre in Buch oder Hörsaal zu begegnen, aber es ist für Sie einfach, sie zu erkennen: an Einfachheit und Klarheit! Einfachheit und Klarheit in die Komplexität der Juristerei zu bringen, das ist des wahren Studenten (und Dozenten!) Kunst und eine weitere staunenswerte Fähigkeit des exzellenten Juristen. Einfache Strukturen haften im Gedächtnis, komplexe sind flüchtig! Was „komplex“ ist? „Komplex“ bedeutet zusammenhängend, vielschichtig, umfassend, ineinander gefügt. – „Kompliziert“ sind also die Dinge, wenn sie verwickelt, umständlich, schwierig und beziehungsreich sind. – „Komplexität“ ist dann die Gesamtheit aller Merkmale und Möglichkeiten eines Begriffs oder eines Zustandes, ihre Vielschichtigkeit. Als „einfach“ dagegen wird bezeichnet, was leicht verständlich, eingängig, problemlos, unschwer, ohne Umschweife verstehbar ist. Man kann nun die Juristerei durchaus als „komplex“ beschreiben, den Umgang mit diesem „System Jura“ als „kompliziert“. Kein Zweifel: Die Juristerei ist ein komplexes System. Sie weist nahezu unfassbare viele Einzelelemente in Form von Rechtsgebieten, Gesetzesbündeln, Gesetzen, Rechtsinstituten, Tatbestandsmerkmalen, Definitionen auf. Die Zahl der möglichen Beziehungen und Verknüpfungen zwischen diesen Elementen ist nahezu unendlich groß; Die Art der Beziehungen zwischen den Elementen ist keineswegs immer gleich, sondern in unterschiedlichen Rechtsgebieten in hohem Maße verschiedenartig. 426 Die Zahl der Einzelelemente, die Zahl der Beziehungen und die Verschiedenartigkeit der Beziehungen verändert sich und wächst im Zeitablauf durch den überquellenden Gesetzgeber und die wuchernde Rechtsprechung ständig. Die Komplexitätskurve zeigt, was bei einer zunehmenden Zahl von Gesetzen mit ihren Tatbestandsmerkmalen und ihren Beziehungen untereinander passiert: die Komplexität steigt progressiv. Komplexität Anzahl der Gesetze und ihrer Beziehungen Um gegenzusteuern, müssen Sie zur Vermeidung steigender Komplexität die Komplexität reduzieren. Das entscheidende juristisch-didaktische Mittel, der Erfolgsfaktor für die Komplexitätsbeherrschung, ist die Reduktion der juristischen Komplexität auf juristisch einfache methodische und systematische Elemente des Gesetzes zur immer wieder neuen und anderen juristischen Reproduktion der Komplexität, der Vielheit und Vielschichtigkeit. Eine weitere staunenswerte Fähigkeit des exzellenten Juristen. Das klingt so furchtbar „kompliziert“ und ist doch so „einfach“ zu übersetzen: die Zurückführung (Reduktion) der Vielschichtigkeit (Komplexität) auf die aus dem Gesetz gewonnenen Bestandteile (Elemente), mit denen Sie dann jederzeit in anderem Zusammenhang (bei einem anderen Fall!) die Wiedererzeugung (Reproduktion) der Gesamtheit der Merkmale (Komplexität) beginnen können. Diese Weisheit müssen Sie jeden Tag neu für Ihre juristische Lern-Wanderstrecke als ständige Wegzehrung in den Rucksack packen. Wer diese „Reduktion- und ReproduktionFormel“ beherrscht, wird die Juristerei beherrschen und Lernerfolg haben. Manche Jura-Dozenten neigen neben der Illusion aller Menschen, dass das, was ihnen klar ist, auch anderen klar sei, gerne dazu, die Juristerei allzu sehr als einen gewaltigen, unend427 lich komplizierten und komplexen geistigen Apparat zu betrachten. Dieser könne nur durch außergewöhnlich scharfsinnige Geister, nämlich sie, wahre Akrobaten des juristischen Denkens, beherrscht werden. Sie dozieren gerade so, als hätten sie sich verschworen, in olympische Regionen der Welt vorzudringen, in die ihnen kein studentischer Sterblicher nachfolgen könnte. So betrachtet und gelehrt, muss die Juristerei den Studenten in der Tat als etwas Fernes und Unerreichbares erscheinen, als etwas, das das studentische Fassungsvermögen übersteigt und in ihrer Komplexität jenseits des Begreifbaren liegt: Ein Reservat nur für eingeweihte juristische Götter. Alle wissenschaftliche Arbeit strebt nach Vereinfachung ohne Vergewaltigung der Tatsachen, nur die Juristerei nicht. Sie scheint es nach Komplizierung und Vergewaltigung der Gesetze zu drängen. Komplex wird es für Sie als Jurastudent beim Jurastudium immer dann: Wenn Sie mehrere und zudem nicht klar definierte Lernziele verfolgen. An dieser Bedingung scheitern viele gutgemeinten Lernstunden. Wenn das Ziel nicht klar ist, bleibt der Erfolg mangels Übersichtlichkeit aus. Wenn Sie nicht in der Lage sind, die Kurzfassung einer 2-stündigen Lerneinheit auf einer einzigen Karteikarte in Großbuchstaben unterzubringen. Wenn Sie das wichtigste Hilfsmittel der Vereinfachung nicht mobilisieren können: den Mut zum Baumdiagramm. Wenn für Sie unklar bleibt, was wesentlich ist. Wenn Sie die Tatbestandsmerkmale nicht erkennen. Wenn Sie auf Alternativen und noch mehr Alternativen nicht verzichten können. Wenn Sie immer mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen versuchen. Nur diese eine Lernfliege ist jetzt wichtig. Danach erst die nächste Fliege. Wenn Sie nicht wissen, wann Sie genug gelernt haben. Wenn Sie die Hoffnung haben, dass sich die Komplexität irgendwie und irgendwann und irgendwo von selbst löst. Wenn Sie sich schon im Anfang von dem „Komplexitätstreiber“ Wissenschaftlichkeit verlocken lassen und ihn nicht für spätere Hausarbeiten zurückhalten. Wenn Sie immer in der Angst leben, sich dumm zu machen beim Außerachtlassen der 5. Alternative bei § 812 Abs. 1 BGB (nur als Beispiel). Wenn Sie gelobt werden wollen, weil Sie alles „gelernt haben“. 428 Wenn Sie nicht bemerken, dass der unverständlich kompliziert lehrende „dozentische Kaiser“ nicht nur didaktisch nackt, sondern gar kein Kaiser ist. Wenn Sie das Wesentliche einer 2-stündigen Lerneinheit Ihrer Tante oder Ihrem Opa nicht in einer Minute erklären können. Wenn Sie immer nach juristischen Hindernissen suchen, obwohl vielleicht gar keines da ist. Wenn Sie nicht die Leitlinien der Einfachheit und Klarheit ständig im Kopf haben. Wenn Sie nicht erkennen, dass ein großes Hindernis für den Lernerfolg darin liegt, dass Sie nicht zur stofflichen Lücke bereit sind. Wenn Sie ständig Reparaturarbeiten vornehmen, obwohl das Werk, an dem repariert werden soll, noch gar nicht errichtet ist. Was am Anfang nicht gebaut worden ist, kann später nicht repariert werden. Wenn Sie nicht in Erwägung ziehen, dass Ihre studentische Fähigkeit zur Aufnahme die knappste Ressource Ihrer Lernheinheit ist. Wenn Sie nicht mehr in der Lage sind, sich in die Lage der Dozenten zu versetzen. Wie würden Sie denn den zu lehrenden Stoff „einfach“ darstellen? 4.9 Wie man erfolgreich den Gewinn aus den Vorlesungen steigert Kein Jurastudent braucht eine Anfängervorlesung, die kein Abiturient versteht. Der gymnasiale Schüler-Motor läuft auf Hochtouren, aber kaum ein Professor legt den 1. Gang ein. Schade! Unverständnis in den Vorlesungen verzehrt jedes lodernde Anfangsfeuer. Sie rauschen an den Studenten im Regelfall unverstanden vorbei. So einfach, so schlimm, so bekannt! Warum schildern Studenten oft ihr Gefühl, am Anfang die juristische Ausbildung gewonnen zu haben, am Ende, ihr entronnen zu sein? Dem Dozenten wird vor allem die Funktion zugeschrieben, seine Studenten in Vorlesungen zu unterrichten, zu informieren und strukturiert zu unterweisen. Der Informationsund Instruktionswert wird aber dadurch beeinträchtigt, dass die durch Dozenten vermittelten Informationen nicht selten geradezu an den Studenten in den Vorlesungen „vorbeifliegen“ und man ihnen nicht genügend Zeit lässt, sich intensiv mit dem Stoff und dem Nachlesen im Gesetz auseinander zu setzen. Als Konsequenz stützen und ergänzen die Do429 zenten die Informationsvermittlung deshalb durch Printmedien in Form von Skripten oder empfohlenen Lehrbüchern – es wird ein Medienverbund zum Lernen realisiert. Medium, d.h. „Mittler“, des Wissens über die Gesetze sind Dozent, Skript und Lehrbuch. Ein Eckpfeiler dieses Verbundes ist auch die Ihnen anempfohlene Mitschrift. Welches Medium ist in diesem Medienverbund eigentlich tragend in dem Sinne, dass es die wesentlichen Informationen transmittiert und am wirkungsvollsten den Prozess des Wissenserwerbs unterstützt? Es ist der Dozent! Er ist das alles entscheidende Medium. Die Skripten und Lehrbücher – auch die Gesetze – sind wie bemalte Fensterscheiben: Sie leuchten nur, wenn sie angestrahlt werden, angestrahlt durch des Dozenten lebendiges Wort. Anderenfalls sind sie fad, dunkel und wenig einladend. Wenn der Dozent nicht mehr bringt als ein Lehrbuch, ist er eigentlich überflüssig. Lesen kann man besser alleine im gemütlichen Kämmerlein, dazu benötigt man keinen Lehrenden. Und die skizzenhaften Hand-outs, die man Ihnen am Ende manchmal in die Hand drückt, haben nicht selten Alibifunktion: Aus denen wird man niemals mehr klug, wenn man es nicht schon in der Vorlesung verstanden hat. Sie beruhigen nur das Gewissen der Dozenten. Leider wird im Anfang der juristischen Ausbildung eine systematische Einführung in die Kunst der Optimierung einer Vorlesung nicht geliefert. Motto: „Friss Vogel oder stirb! Sieh wie du klar kommst, Studentlein!“ Das Spiel ist partytauglich. Spielen Sie es einmal: Zwei sitzen mit dem Rücken zueinander. Der eine hat Papier und Bleistift. Der andere bekommt die Abbildung einer komplizierten geometrischen Figur aus Rechtecken, Vier- und Dreiecken. Die beschreibt er so präzise wie möglich seinem Mitspieler. Der wiederum muss, allein den Wörtern folgend, die Figur nachzeichnen. Was nachher auf dem Blatt zu sehen ist, entspricht manchmal den Notizen, die Studenten sich während einer Vorlesung machen. Viele Studenten sagen: „Eine von allen Studenten gemachte schlechte Lernerfahrung ist in der häufig am Ohr vorbeirauschenden Vorlesung gegeben.“ „Katastrophale Vorlesung“, „Chaos“, „Verlorene Zeit“, „Da liest man besser gleich das Lehrbuch“. – Wirklich? Nein! Die Vorlesung ist kein „Narkotikum für das Gewissen“; und auch kein „Friendly-fire“ der Dozenten zur Behinderung des juristischen Lernfortschritts. Man muss sie nur zu optimieren wissen. Die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden wird von altersher von zwei scheinbar unumstößlichen Glaubensbekenntnissen zusammengehalten. Dozenten glauben: Studenten sind dumm, und die Studenten glauben: Dozenten halten schlechte Vorlesungen. Beide Glaubensbekenntnisse beruhen aber auf unausrottbaren Vorurteilen. 430 Die juristischen Lehrveranstaltungen „Vorlesung“ leiden in der Tat nach anfänglichem Strohfeuer manchmal an ihrer fehlenden Attraktivität. Da wird teils gepredigt, wie man es nicht anders von der juristischen Gedanken Blässe, von des honorigen Dozenten Bedächtigkeit erwarten darf. Erkenntnisse werden gestelzt übermittelt, die nicht Fall um Fall dem spannenden juristischen Alltagsleben der Studenten abgelauscht, sondern als theoretische Wissenschaftsweisheiten überliefert sind. Dass die Erfüllung der Gesetze sich im Leser und Anwender des jeweiligen Zeitgeistes vollzieht, wird Ihnen Ihr Dozent bei der sog. „historischen Auslegungsmethode“ erläutern. Die Erkenntnis aber, dass die Lehre der Gesetze sich auch im modernen Verständnis der jungen, von Fernsehinfotainment geprägten Generation bricht, fällt in der klassischen juristischen Lehre schwer. Natürlich ist die Vorlesung keine Plauderei, aber auch kein Grabgesang. Auch ist es eine Fehlannahme, dass Gedanken umso gescheiter sind, je umständlicher sie formuliert sind. Manche Dozenten scheinen sich erst dann wohl zu fühlen, wenn sie das Gefühl haben, zu weit gegangen zu sein, die Studenten verzweifelt zurückgelassen zu haben. Im Regelfall kann man sich darauf verlassen, dass alles, was der Professor in der Vorlesung sagt, schon irgendwo gedruckt steht. Deshalb ist im Grunde die traditionelle Vorlesung seit Gutenbergs Erfindung der Buchdruckkunst im Jahre 1465 überflüssig. Bevor Bücher gedruckt werden konnten, musste sich jeder Student durch die Mitschrift der Lesung, bei der der Professor sein Buch „vorlas“, sein eigenes Lehrbuch erstellen. Wer ein Buch besitzen wollte, musste sich selbst eines schreiben. Die Zeiten sind längst vorbei – man muss kein neues Lehrbuch anhand der Vorlesung mehr erstellen. Und dennoch ist es in der juristischen Vorlesung leider auch heute oftmals noch so, dass die Bücher des Professors durch zwei Köpfe hindurch zu Büchern des Studenten werden. Vom Lehrbuch weg durch den ablesenden Dozentenkopf hin zum Studentenkopf, aufgeschrieben in Ringbüchern. Die Vorlesung muss mehr bringen als ein Lehrbuch! Das tut sie aber nur dann, wenn man die Vorlesung nicht gedankenverloren, zur Passivität verdammt, sondern aktiv beteiligt besucht, wenn man die Passivität zur Aktivität ummünzt. Nur lieb lächeln, wenn man nichts versteht, ist nicht die effektivste Nutzung der Vorlesung. Aufmerksames Zuhören kann aktivere Arbeit sein als aktives Reden. Bienenfleißiges Mitpinnen oder umtriebiges Notizendurchwühlen ist eben keine Aktivität, sondern Scheinaktivität. Vorlesungen bringen den Effekt einer wirkungslosen Zuckerpille, eines Placebos, wenn man sie nicht für sich optimiert. Und schlimmer: Ein diffuses Gefühl des Nichtverstehens und eine daraus resultierende Angst bleiben meist zurück. Wie ein leichter Kopfschmerz ist es immer da, wenn man nur zuhört und wenig versteht. 431 Klar! Die besten Vorlesungen sind die, bei denen jeder Jurastudent glaubt, er hätte sie auch selbst halten können. Sternstunden für jeden – aber kaum zu finden. Zu finden sind eher weniger gelungene Vorlesungen: Didaktische und rhetorische Autodidakten tragen im Vor-Lese-Stil vor, im Wesentlichen resistent gegen moderne Kenntnisse über Lehren und Lernen, in der Eindimensionalität des Lernkanals Ohr („Hörsaal“!!). Sie werden im ersten Semester vor einer großen Masse von Studenten in Großhörsälen abgehalten, ohne Interaktionen, sind abstrakt, meist hoch komplex, mit Details überfrachtet, die von Studenten nicht eingeordnet werden können. Dennoch erfasst gerade die juristischen Studienbeginner ein lemminghafter Drang, in diese Art der Lehrveranstaltung zu rennen. Sie stürzen sich mit blindem Enthusiasmus über die Anfängervorlesungsklippen! Warum die Jurastudenten so kritiklos rennen? – Es scheint an dem Glauben an die „Hypothese vom anscheinend Wahren“ zu liegen. Diese enthält die Erwartung, dass ähnliche Ereignisse unter ähnlichen Bedingungen wiederkehren würden, sich daher wiedererwarten und vorhersehen ließen. Der Jurastudent kennt auf seinem bisherigen Ausbildungsweg die Schule mit den dazugehörigen Lehrern und erwartet, dass sich – da er ja immerhin in diesem „Lernsystem Schule“ erfolgreich sein Abitur bestanden hat – ein ähnlicher Erfolg im „Lernsystem Hochschule“ wiederholen werde. Er schließt bei seiner Metamorphose vom Schüler zum Jurastudenten von der sich bestätigt habenden Prognose „In diesem Gymnasium habe ich bei dem Lehrangebot ‚Unterricht’ mit diesen Lehrern mein Abitur gemacht“ auf die Wahrscheinlichkeit der Folgeprognose „In dieser Hochschule mache ich bei dem Lehrangebot ‚Vorlesung’ mit diesen Professoren und Dozenten meinen juristischen Abschluss.“ Man sei gewarnt: Wer sich am Anfang nur auf die Vorlesung verlässt, ist verlassen! Die Vorlesung ist nur 10 % der Antwort auf das Jurastarterproblem. Die Verantwortung in der Vorlesung für das richtige Lernen ruht allerdings nicht einseitig auf den Professorenschultern, sondern liegt auch bei Ihnen. Diese Verantwortung kann Ihnen niemand abnehmen. Zum Lernen in der Vorlesung gehören eben immer zwei: der Dozent, der die Information liefert und der Student, der sich aktiv einschaltet und aus den Informationen für sich persönlich seine eigene Erfahrung und Erkenntnis ableitet, der seine eigenen, selbstgesteuerten Lernpfade pilgert. Betrachten Sie die Vorlesung als eine „Zeitgenossenschaft“ mit Ihrem Professor. Ohne diese Umsetzung von fremdgesteuerter Vorlesung in selbstgesteuerte juristische Erfahrungs- und Wissensbildung ist die Vorle432 sung für die Katz! Das eigentliche Lernen findet in Ihnen statt. Sie leisten immer die Hauptarbeit. Der Professor sollte allerdings für die notwendigen systematischen Verknüpfungen und Einbettungen sorgen, so dass Sie den neuen Stoff unschwer in Ihr bestehendes Wissensnetz einweben können. Tut er das nicht, müssen Sie es aktiv selber tun! Was also tun? – „Etwas tun!“ – Vielleicht der wichtigste Grundsatz für einen erfolgreichen Vorlesungsstart! Begnügen Sie sich nicht mit der Rolle des passiven Zuhörers, sondern bringen Sie sich aktiv in die Vorlesung ein. Betrachten Sie die Vorlesung als eine „Zeitgenossenschaft“ mit Ihrem Professor. Das rein passive Zuhören in Jura-Vorlesungen ist die ineffektivste Art, Jura zu lernen. Wenn es aber denn sein muss, hier einige wichtige Vorschläge zur Vorlesungsoptimierung: 1. Bemühen Sie sich von Beginn der Vorlesung an um die Frage, die Ihnen der Dozent konkret beantworten soll. Sie müssen von Anfang an die Probleme deutlich vor Augen sehen, um deren Lösung in der Vorlesung gerungen wird. Sie müssen wissen, wohin die Reise gehen wird, sonst kommt das Thema in Ihrer Kurzzeitgedächtnis-Erkenntniswelt gar nicht erst an; die Kurzzeitgedächtnisse arbeiten brutal. Wenn Sie nach einer Vorlesung auf die Frage Ihrer schwänzenden Kollegen „Worüber hat der Professor denn heute geredet?“ verdrießlich antworten müssen: „Das hat er gar nicht gesagt!“, ist die Vorlesung eine Fahrt ins Blaue gewesen – vertane Zeit. Sie wussten gar nicht, wohin Ihr Professor unterwegs war. (Man sollte an den Unis zugeben, dass so manche juristische Vorlesung im Vorlesungsverzeichnis Sirenengesängen gleicht und es leider nicht genügend Mastbäume gibt, die Jurastudenten daran festzubinden.) Deshalb müssen Sie die Vorlesung optimieren! Eine Vorlesung ist nur mit Vor- und Nachbereitung fruchtbar, sonst sitzt man nur Zeit ab. Sie müssen eine Reiseroute haben! 2. In Vorlesungen ist das einfachste Mittel für Ihr aktives Lernen das Mitschreiben. Das sollten Sie aber sinnvoll tun: nicht Satz für Satz, sondern strukturiert. Wenn Sie viel mitschreiben, tragen Sie viel Papier nach Hause. Sie haben das Gefühl, etwas geleistet zu haben. Es ist ja so verführerisch, Seite um Seite vollzukritzeln und sich zu belügen: „Zu Hause, zu Hause – da werde ich alles lernen“. Man tut es nicht! Die studentische Weisheit: „Pinn ich – dann bin ich“ taugt für Sie nicht. Die Vorlesung ist kein passives 433 Rumhocken und kein simples Festhalten der gesprochenen Sätze des Dozenten. Nicht sammeln, stapeln und abheften heißt die Devise, sondern gewichten, wägen, sortieren und zuordnen. Es will geduldig geübt werden. Lernen besteht nicht nur aus Neugierde! Es verlangt auch Ausdauer, Übung und handfeste Arbeit! Da ist Routine notwendig, Rhythmisierung unvermeidbar und hilfreich! Alle Menschen haben eine Vorliebe für Rituale, sie verleihen ihnen Sicherheit. Die wiederkehrende, festgelegte Ordnung Ihrer Mitschriften ist ein solches Ritual. Es hilft Ihnen, sich zurechtzufinden. Auf die räumliche Ordnung Ihrer Aufzeichnungen müssen Sie sich verlassen können, soll Ihre juristische Anfängerwelt nicht ins Wanken geraten. Haben Sie die Vorlesungsinfos irgendwo extern gespeichert, ohne sie wiederzufinden, entlasten Sie die Mitschriften überhaupt nicht. Gewöhnen Sie sich deshalb von Anfang an eine einheitliche Mitschrift an, bei der das Datum ebenso seinen festen Platz hat wie der Name des Dozenten und die Überschrift seiner Thematik. Also die Frage, um die es hier und heute konkret geht, um das Ziel, zu dem man unterwegs ist. Bemühen Sie sich, auch wenn es schwer fällt, groß und deutlich zu schreiben. Freilich, nicht jeder hat eine Schönschreibschrift, aber das ist auch gar nicht nötig. Zumindest jedoch müssen Ihre Aufzeichnungen für Sie ohne Lupe lesbar sein, damit Ihre Schrift Ihnen nicht selber Rätsel aufgibt. Anderenfalls können Sie das hektische Mitschreiben gleich ganz sein lassen. Weiterhin müssen Sie die Notizzettelmethode aufgeben und für jede Vorlesungsreihe einen gesonderten Sammelordner anlegen. Unübersichtliche Zettelwirtschaft und Mitschriften auf dem nächstbesten Papier sind nutzlos. Derartige Notizen haben die Eigenschaft, sich zu verflüchtigen, denn oft sind sie spurlos verschwunden. Und sollten sie zufällig doch wieder auftauchen, kann man sich überhaupt nicht mehr daran erinnern, in welchen Zusammenhang sie gehören. Damit Ihnen das nicht passiert, probieren Sie doch einmal folgende Methode aus: Fertigen Sie sich nach eigenem Gutdünken Spezialbögen an, auf denen Sie mit System und Pfiff ein Gerüst zu dem besprochenen Stoff aufbauen. Gut notiert ist halb gelernt! Das hat nach einer gewissen Eingewöhnungsphase drei ganz wichtige, unschätzbare Vorteile, nämlich erstens, dass Sie besser mitdenken können, zweitens, dass Sie in Ihrem Kopf ein immer gleiches Abbild schaffen, und drittens, dass Ihnen dieses Gerüst beim Nacharbeiten zu Hause wertvolle Hilfe leistet. 434 Folgende Vorlesungsmitschrift könnte Ihr Vorlesungslernen rhythmisieren: Datum S e i t e Thema Prof Inhaltsverzeichnis Gliederung der Vorlesung Roter Faden Zusammenfassungen Verdichtungen Inhalt Hauptaussagen in Stichwörtern Fachausdrücke markieren Definitionen notieren Skizzen, Fälle, Schaubilder Argument 1, 2, 3 Gegenargument 1, 2, 3 Also: Ordnung und Struktur Also: Verknappte, dennoch übersichtliche Widerspiegelung des Vorlesungsinhalts Eigene Erkenntnisse und Ergänzungen Offene Fragen – Was muss ich nachschlagen? Die Ziffern bis dienen der selbstverständlichen Feststellung: Wer hat wann über was gesprochen? – Wenn Ihnen zum ersten Mal alle Ihre Zettel bei einer Vollbremsung gänzlich durcheinander geraten sind, wissen Sie, wie wichtig Ziffer ist. Ziffer ist nicht ohne Probleme: Jede Vorlesung weist eine innere Struktur auf; diese gilt es zu finden, auch wenn es manchmal sehr schwer fällt! Gelingt es Ihnen nicht, den roten Faden in der Vorlesung zu entdecken, müssen Sie ihn in der Nacharbeit suchen. Orientieren Sie sich dabei an der Gesetzessystematik, an den Paragraphen und an Tatbestandsmerkmalen. Gleichzeitig zwingen Sie sich dabei, Ihre Notizen auch wirklich anzuschauen, wodurch Sie sich eine bestmögliche Wiederholung sichern. Diese Kolumne muss zum Inhaltsverzeichnis Ihrer Vorlesung werden! Ihr Motto lautet: Ordnung und Struktur. Auch ist das Gebot der Verknappung ganz wichtig. Denn je mehr Nebensächliches Sie hier festhalten, desto schwerer fällt es Ihnen, die wirklich wichtigen Punkte klar vor dem geistigen Auge zu sehen. In Ziffer müssen die Punkte auf den Punkt gebracht werden! Ziffer weist das größte Problem auf: Was soll ich mitschreiben? Zunächst gilt: Die Kunst, alle zu langweilen, besteht darin, alles zu sagen. Das gilt für Ihren Professor! Die Kunst, nichts zu begreifen, besteht darin, alles mitzuschreiben. Das gilt für Sie als Studenten! Das liegt ganz einfach daran, dass Sie Ihr Gedächtnis und insgesamt Ihr Gehirn beim Niederpinseln total ausschalten und sich zum tumben Stenographen, zum Federhalter Ihres Profs degradieren. 435 Die Wissenschaft hat festgestellt, dass bei der wortprotokollarischen Aufzeichnung 90 % der Wörter für Ihre Erinnerungszwecke unnötig sind. Sie brauchen sie einfach nicht! Die satzförmigen Notizen haben nur zur Folge, dass Sie wertvolle Zeit damit vergeuden, ins gedankliche Stolpern geraten und bald entnervt vom Hinterherhecheln aufgeben. Es ist ganz einfach sinnlos, Wörter niederzupinseln, die keinen Wert für Ihr Langzeitgedächtnis haben! Es ist noch sinnloser, dieselben unnötigen Wörter wiederzusuchen und zu lesen! Es ist absolut sinnlos, ständig mühsam nach denjenigen Wörtern, die Schlüsselfunktionen für Sie haben, im Wirrwarr Ihrer Aufzeichnungen zu fahnden. Zuviel Mitschreiben verhindert das Mitdenken. Nicht wahllos Wort für Wort, sondern nur Wesentliches ist zu notieren. Diesen Blick für die Scheidung von unwesentlich und wesentlich müssen Sie schulen, Sie brauchen ihn für Ihr gesamtes juristisches Leben. Wer gut unterscheidet, lernt auch gut! Das Stichwort für Ziffer lautet: Inhalt. – Ziffer dient der Sammlung eigener Erkenntnisse und Ergänzungen sowie offen gebliebener Fragen: Wo steht das besprochene Thema in meinem Begleitlehrbuch? (Skriptum gilt auch!) ordne ich es in die Gesamtstruktur ein? der Anfang und das Ende der Juristerei!) ditionalprogramm, Seziertechnik!) Wie Was findet sich dazu im Gesetz? (Das Gesetz ist Wie ist dieses Gesetz aufgebaut? (Modell Kon- Gelingt mir die einwandfreie Subsumtion oder kom- me ich (wo?) ins Stolpern? Welche Rechtsprechung gibt es dazu? Was interessiert mich daran am meisten? Ist das Thema einer Vertiefung in der Literatur wert? Kleiner Übungsfall im Gutachtenstil gefällig? 3. Achten Sie in der Vorlesung auf Gliederungen des Professors! Wenn er sagt: „Die Frage lässt sich in drei Unterpunkte unterteilen“, notieren Sie unter Ziffer Ihres Mitschriftbogens „1., 2., 3.“ mit genügend großem Abstand und fügen dann die Kernaussagen stichwortartig ein! 4. Stimmen Sie sich auf die Vorlesung ein, indem Sie den durchzunehmenden Stoff schon einmal grob vorbereiten! Je intensiver Ihre Vorbereitung, desto besser blicken Sie durch. Sie sollten ganz einfach wissen, was in der nächsten Vorlesung auf dem Programm steht und sich im Lehrbuch einarbeiten. Schon sind Sie aktiv! Hauptsache, Sie haben einen roten Faden an der Hand, 436 Sie haben sich motiviert, Sie sind gespannt, empfangsbereit. Wo kommt „er“ her – Wo will „er“ hin? In deutschen Juravorlesungen hält man die Vorbereitung leider für Luxus. Ganz anders in den USA. 300 Seiten Text vorher (!) lesen zu müssen, ist für den Studenten dort keine Seltenheit. Und wer den Text nicht beherrscht (Aufrufen und Drannehmen sind die Regel) fliegt! „Zumutung“ und „Eingriff in die akademische Freiheit“ schallt es da von deutschen Hörsaalbänken. Wer so denkt, denkt falsch! Die Vorbereitung ist wichtiger als die Nachbereitung. Vordenken ermöglicht Mitdenken, Vorverständnis schafft Verständnis. Nur diese „Planung“ ist gewinnbringend für die Vorlesung. 5. Hören Sie richtig zu! Versuchen Sie von Beginn an, Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen! Auch Professoren sagen manchmal Unwesentliches. Konzentrieren Sie sich auf Strukturen – nicht auf schöne Formulierungen. Die Vorlesung muss im Moment verstanden werden – es gibt kein Zurückblättern mehr, nur das Nachblättern zu Hause. 6. Fragen Sie stets: „Was ist gefragt?“! Und: „Was will er mir damit sagen?“ 7. Ihre Vorlesungsmitschrift sollten Sie grundsätzlich noch am selben Tage, spätestens am Folgetage, überdenken, nachbereiten und in Reinschrift übertragen, denn dies bedeutet den notwendigen Wiederholungs- und Einprägeeffekt. Hier haben Sie noch die Chance zu rekonstruieren, in wenigen Tagen ist das Gehörte für immer verloren, weg, ganz einfach weg. Die Verankerung der Lerninhalte im Langzeitgedächtnis ist eben umso intensiver, je mehr Wahrnehmungskanäle Sie aktivieren. Beschriebene Blätter in Ihrem Ordner nützen gar nichts – der Inhalt muss ins Langzeitgedächtnis. Mitschreiben und in Reinschrift übertragen öffnen bei Ihnen drei Eingangskanäle: Hören, Schreiben und Sehen des Geschriebenen! Mitschreiben – lochen – abheften ist nicht Ihr Stil. 8. Setzen Sie auch in der Vorlesung Baumdiagramme ein! Jedes Gelernte besteht nun einmal aus vorhandenen Kenntnissen und dem neuen, bisher fremden Material. Wichtig ist die Verknüpfung. Übersetzen Sie die komplizierten Strukturen Ihres Professors in Ihre eigene Struktur! 437 9. Benutzen Sie Kurzzeichen für die Vorlesungsmitschrift! Etwa so: Def. = Definition; Sub. = Subsumtion; Rspr. = Rechtsprechung; h.M. = herrschende Meinung; Prof. = eigene Meinung des Professors; z.B. = Beispielsfall; K = Kernaussage; Up = Unterpunkt; Arg. = Argument; ? = unklar, fraglich; ! = super, leuchtet ein; § = s. im Gesetz nach; P = Problem. 10. Als äußere Form empfiehlt sich die Loseblattsammlung per Ordner oder Ringbuch. Diesen Tipp müssen Sie mit dem vorgeschlagenen, besonders übersichtlich angelegten Modell einer optimalen Vorlesungsmitschrift paaren. Vorlesungsbogen hinter Vorlesungsbogen heften und nummerieren! 11. Reihen Sie einmal die jeweils ersten Teile der folgenden Gegensatzpaare aneinander, und Sie werden sehen: Genau so muss Ihre Mitschrift sein – die komplementären Begriffe überlassen Sie den Professoren! Kurze Sätze – lange Schachtelsätze; bekannte Wörter – unbekannte Wendungen, Fremdwörter; Umgangssprache – Gelehrtensprache; Verständlichkeit – Kompliziertheit; Anschaulichkeit – Abstraktheit; Struktur – Zusammenhanglosigkeit, Unübersichtlichkeit; Normalfall – Exot; Gesamtgliederung mit Unterteilungen – Wirrwarr; wesentlich, wichtig – nebensächlich, unwichtige Einzelheiten; Kürze, Prägnanz – Weitschweifigkeit, abirrende Darlegungen; lebensnahe Beispiele – unpersönliche Nüchternheit; erfrischende Passagen – Trockenheit. 12. Neue Begriffe müssen Sie immer notieren. Zu Hause können Sie diese dann anhand Ihrer Nachschlagewerke klären. Gerade in der Anfängervorlesung werden Sie damit überhäuft. 13. Suchen Sie nach der Struktur in der Vorlesung! Selbst die Vorlesung des schlechtesten Professors muss eine Struktur haben – diese gilt es zu entdecken. Vorlesungen sind manchmal Veranstaltungen, die in der Abstraktion der Begrifflichkeit verharren. Deshalb müssen Sie nicht selten Detektiv spielen, was konkret gemeint ist. Je 438 intensiver Ihre Suche, desto ertragreicher ist der Besuch der Vorlesung für Sie. Drei Fragen an den Professor sollten Sie deshalb unbeirrbar von Anfang an in jeder Vorlesung bewegen: Woran knüpft „er“ das Thema an? Wohin geht „er“?! – Zu welchem Ziel wird das Thema fortgeführt? Wo steht „er“ jetzt?! – Welchen Platz nehmen die Einzelheiten im Gesamtbild („System“) der juristischen Materie ein? Die Beantwortung dieser drei Fragen ist wichtig für Sie, damit Sie nicht irgendwo im Nirgendwo auf dem zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Vorlesungsozean herumlavieren und verloren gehen. An irgendeinem Punkt steht „der Prof“, von irgendeinem Punkt kommt „der Prof“ und zu irgendeinem Punkt will „der Prof“ hin! Diese Antworten müssen Sie der Vorlesung abtrotzen. Abschließende Frage: „Wie kann ich nun hinderliche Vorlesungsgewohnheiten abbauen und mich an neue Vorschläge heranwagen?“ – Sagen Sie sich ganz einfach: „Ich probiere das mit dem Vorlesungsmitschriftbogen erst einmal zwei Wochen lang aus! Mal sehen, wie das ist!“ „Ich versuche, in jeder Vorlesung die ihr eingeborene Gliederung und Struktur zu erkennen – und mag sie noch so versteckt sein!“ „Ich orientiere mich an den 3 Fragen: Woher kommt „er“, wo steht „er“, wohin geht „er“ anhand meiner aufgelisteten kartographischen Erfassungsmittel!“ Alles ist schwer, bevor es leicht wird! 4.10 Wie man die Informationslawine der Literatur bändigen kann Es gibt eine juristische Welt jenseits der Hörsäle. Jura ist eine Bücherwissenschaft. Beim Jurastudium handelt es sich um ein Lesestudium, der jurastudentische Studienalltag besteht zu einem Großteil aus Lektüre. Kein Jurastudent kommt ohne Bücher aus. Die juris439 tische Gesetzes- und Literaturfabrik hat einen gewaltigen Ausstoß. Über alles wird nachgedacht und geschrieben. Und immer wird wieder von neuem geschrieben und Recht gesetzt werden, jedes Mal mit dem Ziel, dass nicht mehr geschrieben und Recht gesetzt zu werden braucht. Und doch hat jedes Gesetz, jeder Kommentar und jedes neue Buch den Tod vor sich, wie die Eintagsfliege die Nacht. Deshalb der dringende Rat: Augen auf beim Bücherkauf! Der Student sehnt sich am Anfang seines Studiums nach Literatur, die das gesetzgeberische Wissen locker erschließt, für ihn übersichtlich sichtet und sichtbar macht und dann schnell das Gesetz am Normal-Fall anwendet. Er sehnt sich nicht nach solcher Literatur, die das Wissen umständlich begründet. Er sucht Lektüre, die den gesetzlichen Knoten aufknüpft, dessen Auflösung er erstrebt, nicht solche, die ihn noch fester zurrt. Er verlangt verständlichen, guten und vor allem handfesten Bescheid, nicht solchen, der ihn allein und traurig über seine Dummheit zurücklässt. Er will Bücher, die ins Mark der Gesetze treffen, die keine endlose juristische Anstrengung auferlegen, derer er im Anfang unfähig ist. Solche, die keiner großen Überwindung bedürfen, um sich daranzumachen. Das wäre seine rechte Literatur-Weide! Er will zum jurastudentischen Lustleser werden, nicht als Frustleser verkümmern. Stattdessen trottet er der Schafsherde auf die unbekömmliche LehrbuchWeide hinterher. Wissen Sie, zwischen Himmel und Erde gibt es viel, was nicht in naturwissenschaftlichen Lehrbüchern steht. In juristischen Lehrbüchern steht aber viel, was es zwischen Himmel und Erde gar nicht gibt. Manche Bücher bezwecken nur eins: das unbedingt Neusein-Wollen. Eine Börse des Geschäfts und der Eitelkeit! Der Markt – insbesondere für Anfänger – birst schier, nicht selten ein editorischer Grabenkrieg. Die juristische Literaturmaschine lässt das Recht über die Ufer treten! Manche Bücher lassen den Anfänger im Eingang stehen – drei Seiten gelesen, Nichts verstanden, weggelegt. Sie wimmeln von Fachtermini, suhlen sich in der „Juristensprache“ und sind für Einsteiger oft ungenießbar. Die Fülle der juristischen Ausbildungsliteratur kann Ihnen am Anfang Ihres Studiums schon den Blick verstellen. Der Hauptstrom, der die juristische Literatur von alters her speist, ist die juristische Literatur. Sie erinnert an ein Biotop, das alles selbst produziert, was es zu seiner Fortexistenz benötigt. Die Literatur ist der Dünger für neue Literatur – ein selbstregulierender und selbstgenügsamer Kreislauf. Von dem Professor, der unter seinem wahren Namen schreibt, unter einem Pseudonym repliziert, wiederum in seinem Namen 440 antwortet, um sich unter neuem Pseudonym erneut zu widerlegen, wird oft berichtet. Sein letzter Erguss ist dann schon fast von der „abwegigen Mindermeinung“ über die „Mindermeinung“ und die „überwiegende Meinung“ zur „herrschenden Meinung“ mutiert, dieser letzten Sprosse vor dem göttlichen Thron der „allgemeinen Meinung“. Diese vorgeblich so harmlosen Druckerzeugnisse kosten neben viel Geld auch viel Zeit – Ihre unwiederbringlich verlorene Zeit. Lassen Sie sich von Ihrem Dozenten auch kein schlechtes Gewissen einreden. Hören Sie nicht auf ihn, wenn er „sein Werk“ oder das seines „lieben Kollegen“ als „unabdingbar“ für das erfolgreiche Examen hochjubelt. Der endlose Bücherzug hinterlässt eine Staubwolke von Theorien, an denen gerade für Sie als Beginner meist nur Verwirrendes ist. Man spricht auch von einer juristischen Informationslawine. Nachdem das StGB im Jahre 1871 und das BGB im Jahre 1900 geschaffen waren, dachte man, man habe das vorher so vielstimmige Recht endgültig festgehalten, begründet, zum Stillstand gebracht und in Erschöpfung sämtlicher juristischen Probleme auf alle strafrechtlichen und zivilrechtlichen Fragen Antworten gefunden. Irrtum! Was nach der Installation dieser Gesetze folgte, sind Bücher über Bücher und Entscheidungen über Entscheidungen, die wieder zu Büchern werden. Die Literatur und die Rechtsprechung können durchaus spannend sein. Allerdings muss vor dieser „Gesamtheit des Schrifttums“ immer erst die Hauptliteratur, nämlich das Gesetz stehen. Nicht von der Literatur zum Gesetz, sondern vom Gesetz zur Literatur muss Ihr Ausbildungsweg fortschreiten. Am Anfang hat immer das Gesetz zu stehen! Der jenseits der Gesetze nur Bücher wälzende, punktuell lernende, studentische Anfänger dürfen Sie nie werden. Wälzt er nicht, so denkt er nicht! Er antwortet nur noch auf Einzelreize, auf herausgerissene Gedanken, wenn er lernt – er reagiert zuletzt nur noch ängstlich, weil immer wieder etwas Neues anlandet, das er keinem festen System zuordnen kann. Er liest und liest und verliert sich im Lesen. Das ist ein Beispiel für pathologisches Lernen. Begabte, reich und frei angelegte junge Jurastudenten können sich schon nach zwei Semestern „zuschanden“ gelesen haben: Nichts begriffen! Erst muss die große Krise ausbrechen, ehe etwas Durchgreifendes passiert. Man hält die Bücher irgendwann einfach nicht mehr aus, weil der Schmerz des Nichtverstehens zu groß wird. Nein! Lassen Sie vor der „BücherKrise“ Durchgreifendes passieren – dann passiert die Krise nicht! Die unkompliziertes Verständnis erzeugende Treffsicherheit von erschöpfenden juristischen StandardLehrbüchern ist gering – die wissenschaftliche dagegen sehr hoch. Doch die komplizierte wissenschaftliche Jura-Literatur hat noch keine Ziele in den Köpfen der jungen Jurastudenten, da ihnen ganz einfach die Methoden zur Eintäfelung der Einzelfragen fehlen. Aus441 gesetzt in Vorlesungen, in Anfängerübungen, in denen nichts zum Üben vorhanden ist, Bibliotheken oder Datenautobahnen gehen sie allein verloren. Das vorausgeschickt nunmehr zum „Umgang mit der Literatur“. Beim Literaturlernen geht es im Gegensatz zum „Hören“ in der Vorlesung immer um das „Sehen“ juristischer Fachtexte, um einen Vorgang der Informationsaufnahme mittels des Lernkanals „Auge“. Einig ist man sich zunächst in der Feststellung, dass der Lernkanal „juristisches Auge“ beim Lesen wirksamer ist als der Lernkanal „juristisches Ohr“ in der Vorlesung. Beim Lesen besteht der große Vorteil, dass Sie das Tempo selbst bestimmen, vor- und vor allem zurückblättern können, „Zeigefingerlesen“ praktizieren, bei Übermüdung unterbrechen und länger und konzentrierter an einem Satz stehen bleiben und nachdenken können. Bei einer Vorlesung können Sie das alles nicht. Faden verloren, Vorlesung verloren! Die Literatur ist unverzichtbar, ihre Vorteile sind unschlagbar! Die Rechtslektüre im Sinne von „Lesestoff“ gliedert sich in Gesetze, Rechtsprechung, Kommentare, Hand- und Lehrbücher, Fallbücher, Nachschlagewerke, Skripten, Internetdatenbanken, Ausbildungs- und Fachzeitschriften. 1. Gesetze Vor der „Gesamtheit des Schrifttums“ - so bezeichnet der Jurist die Literatur - muss immer erst die Primärlektüre stehen: das Gesetz. Nicht von der Literatur zum Gesetz, sondern vom Gesetz zur Literatur muss Ihr Ausbildungsweg fortschreiten. Am Anfang hat immer das Gesetz zu stehen! „Juristerei aus dem Lehrbuch“, die Gesetzeslektüre vernachlässigt, schadet. Das Gesetz ist im Übrigen auch die einzige Literatur, die Ihnen von den Anfängerklausuren bis hin zum Examen zur Verfügung steht. Allein deshalb muss man sich an Gesetzesbände gewöhnen. Im ersten Semester werden BGB-, StGB- und Grundgesetztexte benötigt. Die aber bitte in Druckversion, nicht in digitaler Form! Erstens können Sie Randbemerkungen oder Tatbestandsmerkmalnummerierungen vornehmen, zweitens gewöhnen Sie sich so an den Umgang, da Sie in Klausuren kein Notebook verwenden dürfen. Es genügt zwar die Anschaffung einer Paperbackausgabe, besser ist aber der Kauf eines Schönfelders, Loseblattsammlung. 442 2. Lehrbücher Sie haben überragende Bedeutung für das Verstehen von Gesetzen, juristischen Systemen und Zusammenhängen. Ohne sie kommt kein Student aus. Lehrbücher erheben in der Regel nicht den Anspruch, die Rechtslagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. Sie wollen vielmehr den Leser in ein Rechtsgebiet einführen und ihm dieses in systematischer Weise vermitteln. Aus didaktischen Gründen wird die Rechtsprechung nur exemplarisch wiedergegeben. Bei der Auswahl der richtigen Lehrbücher wird es schwieriger. Bei juristischen Lesewerken gibt es drei Kategorien: Die Einen enthalten zuwenig neue Informationen – das Buch ist langweilig. Die Anderen enthalten zuviel neue Informationen – das Buch wirkt entmutigend. Ideal ist die dritte Kategorie. Das Werk enthält ein angemessenes Mittel von solchen Mitteilungen, die über das schon Bekannte hinausgehen. Das Buch ist richtig! Vor diesem Hintergrund leuchtet ein, weshalb niemals alle Juristen gleich über eine Lerninformationsquelle urteilen: der eine ist Profi, das Buch ist langweilig, der andere ist Newcomer, das Buch ist entmutigend. Es ist schier ausgeschlossen, dass für alle Leser das ideale Maß an Informationen getroffen wird. Das ist die große Gefahr für den Anfänger! Lehrbuchmotto muss immer sein: Klarheit in die juristische Komplexität zu bringen. Das muss für Sie der einzige Gradmesser für Literatur sein! Daran müssen Sie Ihre schriftliche Lehrmeister sämtlich messen! Testen Sie den Autor: Wählen Sie ein kniffliges Rechtsproblem aus Ihrer Vorlesung und lesen Sie in mehreren Lehrbüchern speziell zu diesem Problem nach. Fragen Sie sich, welches der Bücher Ihnen das Problem am besten erklärt hat. Haben Sie das Gefühl, Sie könnten es in einer Klausur aktiv wiedergeben, dann ist das das richtige Lehrbuch für Sie! Lassen Sie möglichst die Finger von Kurzlehrbüchern, die den Stoff in viel zu verdichteter und komprimierter Art und Weise verknappen. Man bekommt ihn einfach „verpasst“. Gerade am Anfang des Studiums ist ein solcher Kauf eine sichere Fehlinvestition. Diese Art von Büchern präsentieren, genau so wie schlechte summarische Skripten, ihre Informationen überwiegend in Form von fertigen Überlegungen. Wichtig ist aber, sie für den Neuankömmling als Ableitungen aus dem Gesetz vor dem Hintergrund ihrer Funktion im 443 Rechtsgefüge und ihrer Stellung im „System Jura“ zu präsentieren. Genau das benötigen Sie zum Verständnis im Anfang! Solche Kurzfassungen verkürzen nicht; sie verlängern. Sie ermüden und verhundertfachen die Mühe. Sie zeigen keine erfassbare Methode und heben einseitig auf ein robustes Memorieren ab. Empfehlenswert ist die Anschaffung je eines eingeführten Lehrbuches für die Gebiete: BGB - Allgemeiner Teil, Schuldrecht, Sachenrecht und Strafrecht – Allgemeiner Teil. Solche Lehrbücher ermöglichen viel besser als die Kurzlehrbücher, langsam mit den schwierigen Fragen des jeweiligen Teilgebietes vertraut zu machen. Das in Vorlesungen oder Skripten manchmal nur grob Gezeichnete wird hier verfeinert und ermöglicht den raschen Zugriff auf die Systematik und auf die Gestaltungsprobleme des interessierenden Teilbereichs. Hier wird kein Missbrauch mit Ihrer Zeit betrieben! Viel öfter als bisher wird sich bei Ihnen ein „Aha-Erlebnis“ einstellen, Zusammenhänge werden deutlich hervortreten. Das Verständnis wird sprunghaft wachsen. Diese Standard-Lehrbücher sind so zuverlässig wie nur irgend möglich geeignet, die Augen für die Jurawelt zu öffnen, die Wahrheit über ein offenes Problemfeld und das Verständnis dafür zu erfahren. Zugegeben, in ihren Abschweifungen, ihrer Zitierwut und allgemeinen Betrachtungen gibt es manche Passagen, die sich darin gefallen, nichts ungesagt und unzitiert zu lassen. Zugegeben auch, sie sind manchmal verdammt kompliziert, dick und teuer und schrecken deshalb ab. Dennoch! Derartige Lehrbücher muss man nur effektiv genug zu nutzen gelernt haben. Nehmen wir ein Beispiel: Sie lernen gerade im Liegenschaftsrecht den „Erwerb vom Nichtberechtigten bei Grundstücken“. Nehmen Sie sich dazu in der Seminarbibliothek einmal den Klassiker „Baur, Lehrbuch des Sachenrechts“ vor. 13 Seiten Inhaltsverzeichnis! Panik? Nein! – Machen Sie bitte jetzt ganz einfach einmal mit! Zunächst gilt es, sich durch einen systematischen Überblick seinen Standort im „Sachenrecht“ zu verschaffen. Dazu müssen Sie das Inhaltsverzeichnis durcharbeiten, indem Sie selbst die Grobgliederung des Buches schaubildlich in einem Baumdiagramm darstellen: 444 Sachenrecht Bewegliche Sachen Unbewegliche Sachen Erwerb vom Berechtigten §§ 873 Abs. 1, 925 Abs. 1 BGB Belastungen vom Nichtberechtigten §§ 873 Abs. 1, 925 Abs. 1, 892 Abs. 1 S. 1 BGB Um Ihre Motivation zu erhöhen, formulieren Sie jetzt Fragen. Eine sehr einfache Methode zur Erlangung von Fragen besteht darin, die Überschriften umzuformulieren: „Welche Arten von Sachen gibt es?“ – „Was kann man mit unbeweglichen Sachen alles machen?“ – „Wie kann man unbewegliche Sachen erwerben?“ – „Wie vollzieht sich der Erwerb eines Grundstücks vom Nichtberechtigten?“ Durch die Fragen rücken Sie ein Problem in den Brennpunkt des Lernens, womit jeder Denkprozess (Problemlösungsprozess) bekanntlich beginnt. Sie merken, dass Ihre Motivation wächst, weil Sie ein überschaubares Problem in Angriff nehmen und nicht mehr den ganzen Lehrbuchberg vor sich herschieben. Nunmehr beginnt der Weg der Informationsaufnahme, das eigentliche Lesen. Sein Motto: Vom Buch in den Kopf. Sie suchen die Antwort auf Ihre zuvor gestellte Frage, richten sich nur an ihr aus. „Wie vollzieht sich der Erwerb eines Grundstücks vom Nichtberechtigten?“ Diese Frage und der die Antwort bergende § 892 BGB sind Ihre einzigen Leitsterne. Sie stellen fest: Ich benötige Vorwissen, nämlich über den Grundstückserwerb vom Berechtigten. Die neuen Mitteilungen (Informationen) knüpfen an bekannten an: das Neue im Alten, das Alte im Neuen! Also: Wiederholung der alten Tatbestandsmerkmale der §§ 873 Abs. 1, 925 Abs. 1 BGB an einem Normalfall. Dann formen Sie den Text in ein Schaubild um. Sie sehen, dass sich Text und Baumdiagramm gegenseitig ergänzen und verstärken. Bitte schlagen Sie im „Baur“ keines der vielen Zitate nach. Sie kämen nicht durch! Anschließend klappen Sie das Lehrbuch zu und versuchen, das Gelesene in Erinnerung zu rufen. Das Gesetz bleibt mit seinem § 892 BGB offen neben Ihnen liegen. Ist die Frage „Wie vollzieht sich der Erwerb eines Grundstücks vom Nichtberechtigten?“ beantwortet? 445 Schreiben Sie die Antwort in Stichworten auf ein Blatt Papier, möglichst in Ihrem eigenen Sprachstil. Das Übersetzen in Ihre Sprache ist wichtig. Die Wiederholung der von juristischen Größen geäußerten Worte führt nicht zum dauerhaften Behalten. Gelingt Ihnen die Übersetzung, so haben Sie den Text verstanden – gelingt sie Ihnen nicht, besteht ein Anreiz, die offen gebliebene Frage neu zu klären. Zum Abschluss nehmen Sie eine Rückkoppelung zu Ihren Aufzeichnungen oder Ihrem Liegenschaftsrechtsskript vor. Erneut steigen Sie in das Gebiet ein, das Sie zu dem „Baur“ verleitet hat und stellen hoffentlich befriedigt fest: Theoretisch kapiert! Die Krönung des Ganzen wäre jetzt die Anwendung des „Grundstückserwerbs vom Nichtberechtigten“ auf einen praktischen Fall: Praktisch kapiert! 3. Skripten Kaufen Sie sich möglichst bald gute Skripten der für Sie einschlägigen Rechtsgebiete. Gute, aus der Lehr- und Lernerfahrung „klug“ gewordene Skripten führen Sie erst behutsam und stoßen Sie dann voran! In diesen Skripten werden Ihnen oft Dinge begegnen, die von den zünftigen Meistern des juristischen Metiers in Lehrbüchern gründlicher behandelt werden – aber nicht besser! Bei dem, was gute Skripten zusammentragen, hat man unter lang erprobten didaktischen Gesichtspunkten darauf geachtet, was den juristischen Gedanken ins rechte Licht rückt. Sie suchen keine Ehre im Zitatenreichtum, zählen nicht die juristischen Lehrmeinungen, verlieren sich nicht in „Zitatologie“, gehen nicht auf Gelehrsamkeit aus, lieben nicht die grammatikalischen Spitzfindigkeiten und kunstreichen Fügungen der Worte und Schlüsse. Gute Skripten besitzen die Meisterschaft, das Wissenswerte auszuwählen und sich zwischen vielen Meinungen für die prüfungsrelevante und klausurenkompatible zu entscheiden. Die Verfasser haben Recht, wenn sie sich aufgrund ihrer jahrzehntelangen Erfahrung mit Tausenden von Studenten und mit Hunderten von Examina die Befugnis herausnehmen, Sie wissen zu lassen, was ihnen wissenswert erscheint. 4. Fallbücher Wissen muss man anwenden können. Angewendet wird das Wissen in der Klausur. Also muss man klausurrelevantes Anwendungswissen erlernen. Dafür gibt es Fallbücher, Klausurenfibeln und anderes Trainingsgerät in Form von Büchern und Skripten. 446 5. Kommentare Kommentare sind mit Anmerkungen und kritischen Erläuterungen versehene Zusatzwerke zu einem Gesetzeswerk, in denen Gerichtsentscheidungen und die wissenschaftliche Rechtsliteratur in der Regel umfassend ausgewertet werden. Sie bilden in Deutschland die wichtigste Gattung der juristischen Sekundärliteratur, weil sie in hervorragender Weise geeignet sind, dem Leser einen breiten Überblick über die Auslegung und Anwendung der Gesetze zu verschaffen. Je nach Tiefe und Breite wird zwischen verschiedenen Kommentaren unterschieden. Gemeinsam ist allen, dass sie Erläuterungen zu den einzelnen Paragrafen eines Gesetzes enthalten, eben die Gesetze „kommentieren“. Jede Einzelnorm wird erörtert. Sie unterscheiden sich nach ihrer Detaillierung in: Studienkommentare: Sie enthalten das prüfungsrelevante Wissen. Kurzkommentare: Sie sind recht praxisorientiert, überwiegend anhand der Rechtsprechung strukturiert. Die bekanntesten Kurzkommentare stellen der „Palandt“ für das BGB und der „Schönke-Schröder“ für das StGB dar. Sie umfassen jeweils nur einen Band. Großkommentare: Sie behandeln jeden Paragraphen mit äußerst wissenschaftlicher Tiefe, umfassen mehrere Bände (Leipziger Kommentar – StGB: 13 Bände; Münchner Kommentar – BGB: 11 Bände; Staudinger – BGB: 80 (!) Bände). Wegen der Gefahr des Verlaufens sollten sie vor der ersten Hausarbeit unbedingt gemieden werden. Es empfiehlt sich, schon früh mit den Standardkommentaren „Palandt“ und „Schönke/Schröder“ zu arbeiten. Sie gehören auf die Liste Ihrer 10 wichtigsten Bücher. Diese Kommentare haben es nicht mehr nötig, irgend jemandem irgend etwas zu beweisen. Sie haben ihre Geburtswehen längst überstanden und ihr inneres Gleichgewicht gefunden, weil sich durch ihre Daseins-Dauer ihre überragende Tauglichkeit und Anwendungsfähigkeit erwiesen haben. Sie sind zum Rechtszustand geworden. Die die Gesetze tragenden, von Beginn an wichtigen Systeme und Strukturen, sind nirgendwo besser herausgearbeitet als in diesen beiden Kommentaren. Die kommentierten Gesetze sind so säuberlich nach dem Wenn/Dann-Konditionalmodell aufgebaut, dass man regelmäßig den Ziffern 1, 2, 3 ff. die Tatbestands-Bausteine 1, 2, 3 ff. der Normen und ihre Rechtsfolgen mühelos entnehmen kann. Wenn Sie diese in eine Baum-Struktur eintragen, gewinnen Sie für jeden behandelten Paragraphen ein bestechendes System. Gewöhnen Sie sich an diesen Umgang, auch wenn es anfangs wegen der Abkürzungssprache sehr schwer fällt. Je früher Sie sich 447 darin üben, desto sicherer wird Ihr „handling“ mit den „Dicken“. Auch die Einführungen zu einzelnen Rechtsgebieten und Rechtsinstituten oder speziellen Paragraphen sind aufgrund der Erfahrungen, welche die bedeutenden Kommentatoren besitzen, angetan, ihnen mit wachsender Entdeckerfreude zu folgen. Wichtig ist bei Kommentaren auch die stringente Verbindung zwischen kommentierendem Text und kommentiertem Gesetzestext. Das Gesetz ist immer die Überschrift, die Kommentierung die Erläuterung, so dass das lernende Auge im ungezwungen Augenkontakt immer zwischen beiden hin- und herwandern kann. 6. Nachschlagewerke Wenn Sie über Begriffe, Institute oder Spezialwortgut der Juristerei stolpern, wenn Sie in den Definitionen, Konnotationen und Denotationen der einzelnen Tatbestandsmerkmale unsicher sind, sind sie doch unerlässlich. Schlagen Sie nach in einem Fremdwörterlexikon, einem etymologischen oder einem juristischen Lexikon. Gleiches gilt bei schwankender Kompetenz in Rechtschreibung und Grammatik für die Duden-Bände. 7. Rechtsprechung Sie umfasst alle Angelegenheiten, die nach der Rechtsordnung persönlich und sachlich unabhängigen Richtern zur Erledigung zugewiesen sind. Sie erfolgt zur Wahrung der Rechtsordnung und des Rechts und zur Gewährung von Rechtsschutz. Nach Art. 92 GG ist die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut. Sie wird durch das Bundesverfassungsgericht, die Bundesgerichte BGH, BSG, BAG, BVerwG, BFH und durch die Gerichte der Länder (AG, LG, OLG; VG, OVG; ArbG, LAG; SG, LSG; FG) ausgeübt. Die Rechtsprechung manifestiert sich, soweit es den Studenten interessiert, in einem Urteil (alt. Beschluss), der häufigsten Form gerichtlicher Entscheidungen. Im Strafprozess geht es um die Entscheidung des Strafgerichts über die Strafbarkeit und die Bestrafung des Angeklagten, im Zivilprozess um die des Prozessgerichts über den Klageanspruch des Klägers. Jeder einzelnen Rechtsprechung liegt Rechtsanwendung und ein Rechtsfindungsprozess zugrunde. Ein Teil der Rechtswissenschaft geht dabei davon aus, dass das Gesetz stets nur eine einzige richtige Entscheidung für den konkreten Fall liefern könne und die Richtigkeit dieser einzig möglichen Entscheidung im Gesetz selbst begründet sei. Es handele sich um einen intellektuellen Akt des Klärens ausschließlich durch den Verstand des rechtsanwendenden Organs. Der Rechtsanwendungs- und Rechtsfindungsvorgang sind jedoch ein 448 komplexerer Prozess, bei dem das Gesetz keine vollständige Vorbestimmung für die Entscheidung bietet. Es fließen unterschiedliche Aspekte mit verschiedener Gewichtung in die Rechtsfindung ein: Neben der bewähren Rechtslehre sicherlich auch unterschiedliche Vorverständnisse, Wertvorstellungen und Persönlichkeitsstrukturen bei der Auslegung der Gesetze durch die Richter. Für den Studenten ist wichtig, wo er die Entscheidungen der Rechtsprechung finden kann. Offizielle Entscheidungssammlungen bilden in Deutschland nur das Bundesgesetzblatt (BGBl.), in dem gem. Art. 31 BVerfGG Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts abgedruckt werden, ferner das BStBl. für Entscheidungen des Bundesfinanzhofes. Ansonsten sind die Sammlungen nicht offiziell, weil sie von privaten Verlagen vertrieben werden. Allerdings werden die Entscheidungen, die in der Sammlung veröffentlicht werden, von Mitgliedern des Gerichts ausgesucht. Entscheidungssammlungen bestehen für das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE, Mohr), den Bundesgerichtshof (Heymanns) in Zivilsachen und Strafsachen (BGHZ und BGHSt), das BVerwG (BVerwGE, Heymanns) sowie für das Bundesarbeitsgericht (BAGE, de Gruyter), das Bundessozialgericht (BSG, Heymanns) und den Bundesfinanzhof (BFHE, Stollfuss). Darüber hinaus haben die Oberlandesgerichte und Oberverwaltungsgerichte eigene Entscheidungsreihen. BGHZ und BGHSt sind inzwischen auf CD-ROM verfügbar. Entscheidungen lassen sich über Datum und Aktenzeichen feststellen, nicht dagegen über die Parteinamen, da diese in Deutschland üblicherweise nicht genannt werden. Nicht nur Gesetze, sondern auch Entscheidungssammlungen werden darüber hinaus als inoffizielle Entscheidungssammlungen von privaten Verlagen herausgegeben. Das hat den Vorteil, dass diese Sammlungen die Entscheidungen nicht nur chronologisch, sondern auch durch Stichwörter alphabetisch und systematisch nach Paragraphen erfassen. Mit über 15.000 Seiten am umfangreichsten ist die „Deutsche Rechtsprechung. Entscheidungsauszüge und Aufsatzhinweise für die juristische Praxis (DRspr. Deutscher Rechtsprechungs Verlag GmbH)“. Sie enthält eine kurze Wiedergabe der Entscheidung in Schlagworten und Hinweise, wo sie an anderer Stelle veröffentlicht ist. Ähnlich umfassend ist die Sammlung von „Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs (LM, C.H. Beck)“. Schließlich gibt es Entscheidungssammlungen, die sich auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisieren, wie das „Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NBVerfG, Decker). Von der Praxis weitgehend benutzt werden allerdings die ausführlicher wiedergegebenen Entscheidungen in den juristischen Zeitschriften. Zu nennen sind hier vor allem die „Neue 449 Juristische Wochenschrift (NJW)“, die „Juristenzeitung (JZ)“, aber auch die „Monatsschrift des deutschen Rechts (MDR)“. Bei JURIS finden sich alle Entscheidungen der amtlichen Sammlung im Volltext, zahlreiche andere dagegen nur auszugsweise. Von JURIS gibt es die höchstrichterliche Rechtsprechung auf CD-ROM (Juris data discs Nr. 1-5). Eine Auswahl von BGH- bzw. BVerfGEntscheidungen auf CD-ROM findet man bei BGH-DAT (Heymanns) sowie als NJWhöchstrichterliche Entscheidungen-CD und BVerfG-CD (C.H. Beck). Die Veröffentlichung einer Gerichtsentscheidung dauert oft Monate, zumindest aber Wochen. Deshalb sollte man wissen, dass man Gerichtsentscheidungen mit Nennung von Datum und Rechtssache direkt beim Gericht anfordern kann. Entsprechende Eildienste bieten auch der Boorberg Verlag und die ZIP (Verlag Kommunikationsforum Recht, Wirtschaft, Steuern). Vorabdrucke finden sich auch in den Umschlagseiten juristischer Zeitschriften wie NJW und JZ. 8. Fachzeitschriften Juristische Zeitschriften informieren in Aufsätzen und Entscheidungsrezensionen über einzelne Rechtsgebiete, geben aktuelle Rechtsprechungsübersichten oder zeigen Entwicklungen auf. Sie enthalten entweder nur Aufsätze oder sind janusköpfig, weil sie Urteil und wissenschaftliche Aufbereitung miteinander verbinden. Solche Entscheidungsbesprechungen, genannt Urteilsanmerkungen, bewerten ein Urteil. Dazu wird das Urteil in seinen Kontext eingeordnet, also früheren Entscheidungen und vor allem der Literaturansicht gegenübergestellt. Sie zu lesen, erscheint sinnvoll, da sie permanent die neueste Rechtsprechung sowie die Entwicklung in Theorie und Praxis verfolgen. Es gibt drei Arten: Zum einen diejenigen, die alle Rechtsgebiete umfassen (NJW; JZ; MDR), zum anderen Fachzeitschriften für einzelne Rechtsgebiete wie ArbR, WirtschR, StrR und schließlich Ausbildungszeitschriften für das Studium wie JuS, JA. Es gibt heute kein Fachgebiet ohne Fachzeitschrift, selbst das Medienrecht oder das Internetrecht verfügen über eigene Zeitschriften. 9. Ausbildungszeitschriften Häufig wird Studierenden geraten, bereits während der ersten Semester die aktuellen Entwicklungen in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft durch die Lektüre einer Ausbildungszeitschrift zu verfolgen. Dieser Rat muss zumindest stark eingeschränkt werden: 450 Gerade am Anfang des Studiums kommt es nämlich keineswegs darauf an, immer die neuesten Entscheidungen des BGH zu kennen. Vorrangig ist, das Gesetz und das dahinter steckende System zu verstehen und beides mit Methode zu erarbeiten. Hinzu kommt, dass es derzeit keine Ausbildungszeitschrift auf dem Markt gibt, die sich in ihren Beiträgen auf den tatsächlich für die Studienanfänger relevanten Stoff beschränkt. Zwar wird in praktisch allen Artikeln von Zeitschriften wie beispielsweise JuS, JA und Jura behauptet, es handle sich bei der gerade behandelten Thematik um anfängerrelevanten Stoff. Dies stimmt jedoch nur in einem Teil der Fälle. Daneben findet sich eine Fülle von viel zu schweren, auch gar nicht prüfungsrelevanten Artikeln, von immerhin ansprechenden Beiträgen zur juristischen Allgemeinbildung („Einführung ins Bankrecht“) bis hin zu zwar interessanten, aber eher entlegenen Themen („Kirchenrecht in Erlangen“, so ein Aufsatzthema in der JuS vor einigen Jahren). Gerade für den Anfänger liegt hierin eine große Gefahr, da er noch nicht den Überblick besitzt, die tatsächliche von der nur behaupteten Klausurenrelevanz zu unterscheiden. So lernt man nicht nur viel Überflüssiges, zurück bleibt häufig auch ein Gefühl der Überforderung, das durch den perfektionistischen Stil der Beiträge, die Zitierwut sowie die epischen Musterlösungen abgedruckter Klausuren noch verstärkt wird. Daher gilt für den Anfang: Das Abonnement einer Ausbildungszeitschrift kann auch noch auf später verschoben werden! 10. Internetdatenbanken Die umfangreichste juristische Online-Datenbank ist „juris“, abrufbar unter www.juris.de. Hier findet man fast alles an Lektüre, was die Juristerei zu bieten hat. Die zweitumfangreichste ist „beck-online“, abrufbar unter www.beck-online.de. Über Campus-Lizenzen Ihrer Heimatuniversitäten ist der Zugang in der Regel kostenfrei möglich. Man sollte zur optimalen Nutzung für Recherchen allerdings von der Universität angebotene Kurse besuchen. Alles kaufen? Nein! Man kann Bibliotheken und Datenbanken nutzen. Aber einiges muss einfach sein. Auf oder an Ihren Arbeitsplatz gehören ständig: Schönfelder – Deutsche Gesetze, die Kommentare Palandt und Schönke/Schröder, für jedes Gebiet nur ein (!) Lehrbuch, Ihre Skripten, ein Fremdwörterlexikon, ein etymologisches Lexikon und ein juristisches Lexikon. Zu teuer? Es handelt sich bei diesen Anschaffungen um Ihre Arbeitsgeräte, um Investitionen in Ihren Beruf und Ihre Zukunft. Keine Angst davor, dass die Auflagen veral451 ten – sie genügen grundsätzlich den Ansprüchen bis zu Ihrem Examen. Das muss Ihre Hand- und Hausbibliothek sein! Über die „Ziegelsteine“ Schönfelder und Sartorius sollte zwischen uns Einverständnis herrschen: Sie sind unabdingbar. Gleiches gilt für die von mir Ihnen anempfohlenen Lexika, auch diese sind unverzichtbar. Es ist eben auch nicht peinlich, mit einem Schönfelder in der Vorlesung zu erscheinen, vielmehr klug, weil man jedem professoralen Ausflug in ein zitiertes Gesetz folgen kann. Es ist eben auch nicht schick, mit einer Paperbackausgabe des BGB aufzulaufen, vielmehr dumm. 4.11 Wie eine jurastudentische Lerneinheit aussieht Unter einer juristischen Lerneinheit versteht man eine abgeschlossene zweistündige Lernphase. Sie liefert die Kriterien für die zieladäquate Verlaufsform Ihrer Wochenplanziele und Ihrer Tagesplanziele. Durch deutlich hervortretende Zäsuren in der Abfolge „portionierter“ Lerneinheiten gewinnt der Studienalltag seine Kontur. Machen Sie sich dabei eine wichtige Erfahrung zunutze: Das „Streben nach Abgeschlossenheit des Vorgenommenen“ ist ein auch im studentischen Gedächtnis tätiges Grundprinzip menschlichen Handelns: Man will Leistungen zum Abschluss bringen. Gerade eine Zwei-Stunden-Lerneinheit ist ein solches nach Abgeschlossenheit strebendes Ziel. Das macht sie so wertvoll. Setzen Sie sich solche effektiven, aber erreichbaren Ziele! Vor einiger Zeit las ich einen Bericht über ein 9-jähriges Mädchen, das als Einzige einen Schiffsuntergang überlebte, indem es schwimmend eine Zehnmeilenstrecke überwunden hatte. Am Ufer wurde es entkräftet, aber gesund gefunden. Niemand konnte sich erklären, wie das Mädchen es fertig brachte, diese Mammutstrecke aus eigener Kraft zurückzuschwimmen. „Ganz einfach“, sagte das Mädchen den verblüfften Reportern, „Ich wusste die Richtung, und dann bin ich einfach losgeschwommen. Immer habe ich gedacht: Jetzt noch einen Schwimmzug und dann wieder einen. Ich habe immer nur an den nächsten Schwimmzug gedacht und dann wieder an den nächsten Zug. Und auf einmal war ich an Land.“ Also: Ihre Richtung ist klar – erfolgreiche juristische Ausbildung; und jetzt – Lerneinheit um Lerneinheit! Und auf einmal sind Sie am Ziel. Ihr Agieren an Ihrem Arbeitsplatz muss in einer solchen Zwei-Stunden-Lern-„Portion“ eine innere Bewegtheit, eine Spannung, eine gewisse Dramatik für Sie entwickeln. 452 1. Zuerst die motivierende Eröffnung mit ihren anregenden Momenten. In dieser öffnenden Phase geht es um Ihre Aktivierung. Sie sollten sich in dieser Zeit in eine Erwartungshaltung versetzen, die kurz, konzentriert und logisch zwingend zum Stoff ist, ohne wesentlichen Kraft- und Zeitverbrauch mit sich zu bringen. Stellen Sie dazu die folgenden vier Fragen: Was weiß ich schon über dieses von mir zu bearbeitende juristische Gebiet? In welchem rechtlichen, systematischen Zusammenhang steht es? Was interessiert mich daran besonders? Was weiß ich von dem Umfeld? Beispiel: Sie wollen das „Zustandekommen eines Vertrages“ lernen. „Was weiß ich über das Gebiet des Vertragsrechts?“ Verträge, Verträge ...? Schon oft gehört! Kaufvertrag, Mietvertrag, Erbvertrag, Übereignungsvertrag! – Gesellschaftsvertrag! – Ehevertrag! Scheidungsvertrag! Der Vertrag scheint ein wichtiges Steuerungs- und Gestaltungsmittel des Privatrechts zu sein. Aber wie kommt er genau zustande? Der Zweck eines Kaufvertrages mit einem Verkäufer V ist es, einen Rechtserfolg herbeizuführen, nämlich dem Käufer den Anspruch auf Eigentumsverschaffung aus § 433 Abs. 1 BGB und V den Anspruch auf den vereinbarten Kaufpreis zu verschaffen, § 433 Abs. 2 BGB. Dieser Rechtserfolg tritt ein, weil er von beiden so gewollt ist und weil die Rechtsordnung diesen Rechtserfolg in § 433 BGB anerkennt. Die Handlungen, die diesen Rechts-erfolg herbeiführen, sind die Willenserklärungen: Angebot und Annahme, die Achse des Vertrages. „In welchem rechtlichen Zusammenhang steht der Vertrag?“ Er steht generell im allgemeinen Teil des BGB (§ 145 ff. BGB)! Dieser enthält die gemeinsamen Grundlagen für alle privatrechtlichen Lebens-(Rechts-)Verhältnisse, das BasisWissen, also die vor die Klammer des Privatrechts gezogenen Zankäpfel. Er gilt damit für alle folgenden vier (mit HGB fünf) (mit Arbeitsrecht sechs) Bücher. „Was interessiert mich am Vertrag besonders?“ 453 Wenn das BGB die Regeln über das Zustandekommen eines Vertrages vor die Klammer zieht und diese um den Begriff des Rechtsgeschäfts in § 145 ff. BGB gruppiert, dann gelten diese Regeln ja für jeden Vertrag – egal ob im Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht oder im Erbrecht. Alle Verträge kommen auf die gleiche Art und Weise zustande? Das müssen ja tolle Regeln sein, die den Vertrag und damit das „Vertragen“ im Recht hervorbringen. „Was weiß ich schon von dem Umfeld des Vertrages?“ Habe ich schon Assoziationsglieder, Pakete oder Kommoden, an die ich anknüpfen, andocken könnte? Welche Schubladen sind schon aufgefüllt, welche Pakete gepackt? Jetzt folgt die Einordnung. Tipps zur Aktivierung für Ihre Eröffnung: Konzentrieren Sie sich! Stimmen Sie sich ein! „Ich will jetzt etwas Neues lernen.“ Inhaltsverzeichnis des Lehrbuchs/ Skripts aufschlagen und das Gebiet dort aufsuchen! Nehmen Sie die Konfrontation mit dem neuen Gegenstand vor! Um was soll es gehen? Zwei Kapitel davor – zwei Kapitel dahinter nur in den Überschriften lesen! In welchem systematischen Zusammenhang steht das Neue? Lerneinheit in Ihre „Jura-map“ einpassen! Was hat „das Neue“ für einen Platz in meinem „Jura-System-Diagramm“? Blick nach oben, Blick nach unten, Blick zur Seite! Unbedingt Gesetz aufschlagen (sollte aufgeschlagen neben Ihnen liegen bleiben)! Wo steht es? Einschlägige Paragraphen vorweg genau mit dem Zeigefinger lesen und auseinandernehmen Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolge herausarbeiten! Wenn was vorliegt, tritt was ein? In welchem Abschnitt und Titel des Gesetzes stehen die neuen Paragraphen? (Gesetzliche Systematik!) Fragen Sie schon mal ganz leise nach dem Grund des neuen Lernstoffes. Was soll das bringen? 2. Nun folgt die Anspannungsphase. 454 Es kommt der Höhepunkt der Lerneinheit, auf dem man mit dem neuen Lehrstoff durch das „Bekanntschaftsarrangement“ seines Lehrbuchs/ Skripts zusammenkommt – mal besser geführt, mal schlechter. In diesem Moment der Anspannungsphase muss man sich mit den neuen Lehrinhalten vertraut machen. Dabei genügt eine oberflächliche Behandlung nicht. Wenn man hier nicht ehrlich und verantwortlich sich selbst gegenüber vorgeht, ist die Chance für eine ergiebige Sachbegegnung verpasst. Es geht nicht ohne Verweilen, ohne Abziehen der Gedanken von allem anderen, zumindest für eine Zeit lang. Ohne ein konzentriertes Versenken in die neue Materie klappt es nicht! Tipps für die Begegnung mit dem Neuen: Höchste Konzentrationsphase! (Tunnelblick!) Lehrbuch oder Skript langsam lesen, Zeile um Zeile ohne Eile, Wort um Wort; am besten mit begleitendem, öfter verweilendem Zeigefinger! (Zeigefingerlernen) Markierungen farblich vornehmen! (Buntstiftlernen) Jedes unbekannte Fremd- oder Fachwort im Duden nachschlagen! (Lexikalernen.) Auch deutsche Wörter, die Tatbestandsmerkmale sind, im etymologischen Lexikon suchen! Aber immer nur das eine Wort, nicht etwa noch zehn weitere. Von Interesse ist nur Ihr Pensum! Das „Etymologische“ ist wichtig, um sämtliche begrifflichen Komponenten des Tatbestandsmerkmals zu erfassen, seinen Wortkern und seinen Worthof. (Herkunft der TBMe) Sämtliche erwähnten Paragraphen lesen! („Den kenn ich ja“, gibt es nicht.) Ständig den Blick zum Gesetzestext halten und den Lehrbuchtext am Gesetzestext messen und kontrollieren! Das Gesetz ist als Zentralgestirn, um das alles Lernen kreist, immer der Mittelpunkt Ihrer Lerneinheit – Sie sein ständiger Begleiter. Was Sie aus dem Gesetz nehmen können, das nehmen Sie; das „Unsichtbare“ und „Ewige“ nehmen Sie aus der Methode! Eindringliche Auseinandersetzung mit dem Zweck des zu lernenden Rechtsinstitutes. „Was soll das?“; „Wozu ist das gut?“; „Hätte ich das als Gesetzgeber auch so gemacht?“ (Ratio des Gesetzes) Schwierige Sätze dreimal lesen! (Verweilen statt eilen.) Nach einem Abschnitt innehalten und reflektieren! Grund: Der Lehrinhalt des Abschnitts soll sich zur allgemeinen Erkenntnis verdichten, sich setzen, sich vertiefen. Machen Sie mal die Augen zu! (Stillphase) 455 Wiederholen Sie das Gelesene im Selbstgespräch zur Ergebnissicherung! Hierbei entdecken Sie Verständnisschwierigkeiten, hier werden Sie veranlasst, Verdeutlichungsversuche zu starten. Fragen Sie sich selbst ab! (Lerndialog) Erstellen Sie eine eigene Gliederung - nicht etwa ein Protokoll - des Gelesenen unter Zuhilfenahme des Lerntextes. (Rahmen Sie alles in ein Schema!) Zwingen Sie sich zur Anlegung eines System-Baumdiagramms. Bestimmt, es geht immer! Lassen Sie einen Erkenntnisbaum wachsen! (Baumdiagramm) Rekapitulieren Sie die Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen mit ihren begrifflichen Inhalten! (Wiederholung) Überhöhen Sie das Gelernte durch einen Merkspruch, eine Eselsbrücke. (Langzeitgedächtnis!) Vergleichen Sie das Gelernte mit Bekanntem, Ähnlichem! Nehmen Sie bewusst Vergleiche vor! (Parallelen suchen) Stellen Sie die Rechtsfolge der Norm noch einmal klar heraus! (Blick auf das „Dann“) 3. Zum Schluss steht der Lernabschluss – der Abschwung Hier überragt die Kontrollfrage: „Kann ich jetzt über das in der Anspannungsphase juristisch Gelernte frei verfügen?“ „Ist der Nebel über diesem Paragraphenfeld klarer geworden?“ Hier müssen Sie vor sich selbst ganz ehrlich Rechenschaft ablegen, ob Sie sich den juristischen Lerngegenstand zu „eigen“ gemacht haben, ob er wirklich Ihrem Langzeitgedächtnis „gehört“, so dass Sie zukünftig frei darüber verfügen können. Lesen Sie noch einmal die durchgenommenen Paragraphen nach, lassen Sie sie auf der Zunge zergehen. Vielleicht sind Sie motiviert für eine weiterführende Entdeckungsreise. Wenn ja, dann nehmen Sie jetzt den grauen „Palandt“-Kommentar oder den rosaroten „SchönkeSchröder“ zur Hand und stöbern ein bisschen über das Gelernte darin herum. 4. Eine Pause haben Sie sich jetzt verdient. Zwei Stunden sind vorbei – eine Lerneinheit ist beendet. Nicht nur effektives Lernen will gelernt sein, sondern auch effektives Pausenmachen. Je strikter man die Pausen einhält, desto mehr nimmt die Zahl der unbewussten Pausen – kurzes Abschalten lässt sich eben nie vermeiden – ab. Zum anderen kommt bei genauer Pausenplanung eine gewisse Endspurtmentalität vor der Pause hinzu, die Sie beim Lernabschluss noch einmal auf 456 Höchstleistung bringt. Am Anfang jeder Pause machen Sie sich dann klar, dass Sie einen Teil Ihres Jura-Tages-Lernprogramms hinter sich gebracht haben. Bei jeder weiteren Pause wird dieser Teil größer, der vor Ihnen liegende immer kleiner. Diese kleinen Erfolgserlebnisse helfen sowohl bei der genüsslichen Entspannung während, als auch beim erneuten Lerneinstieg nach der Pause. Lassen Sie sich keinesfalls durch die Menge der noch auf dem Tagesplan stehenden Aufgaben aus der Ruhe bringen – wichtig ist nur, dass Sie einen Teil des juristischen Tagespensums planmäßig erledigt haben und im Rhythmus sind. Da Sie den Sinn der Pause kennen, brauchen Sie kein schlechtes Gewissen zu haben. Denn: Arbeitszeit ist Lernzeit plus Pause! Es bringt überhaupt gar nichts, die Lerneinheiten krampfhaft zu verlängern, indem Sie Pausen streichen. Massiertes Lernen bis zur Erschöpfung („Der Tag hat 24 Stunden, und wenn das nicht reicht, nimm die Nacht dazu“) ist ineffektiv. Denken Sie aber auch daran, dass sehr angenehme Pausenaktivitäten die Gefahr in sich bergen, die juristische Arbeit nicht wieder aufzunehmen! 457