4. Kapitel: Juristisches Lernen kann man lernen

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4. Kapitel: Juristisches Lernen kann man lernen
4.1 Worin die Haupttätigkeit des Jurastudenten besteht: Lernen
Lernen will gelernt sein. Sie müssen den Mut haben, in der juristischen Lern-Welt sehr
schnell zu sich selbst zu finden – durch Ihre eigene persönliche Lern-„Erfahrung“, durch
Ihr individuelles bewusstes „Erfahren“ der Lernwege zu einem eigenen „juristischen Menschen“ zu werden. Diese eigene Lernerfahrung machen Sie am Besten, wenn Sie beim Lernen etwas tun. Am meisten lernt man beim Selbermachen und durch Aufrichtigkeit gegen
sich selbst. Heraus aus der juristischen Passivität – hin zu noch mehr Aktivität! Sich LernAufgaben und Lern-Tätigkeiten zu suchen, gelingt allerdings nicht jedem:
●
Dem Ersten fehlt es an Kraft, sich gegen die süße Versuchung der Trägheit anzustemmen.
●
Dem Zweiten gebricht es an der Gelegenheit, die ansprechenden und motivierenden
professoralen und literarischen Lernmedien zu finden.
●
Dem Dritten mangelt es ganz einfach an Interesse, Lust und Phantasie, wie sie für ein
richtiges Lernen von Nöten sind.
Stressfreies Jurastudium ist ein Hirngespinst! Lernen ist bei aller Freude immer auch anstrengend. Die Kunst Ihres Lernens muss darin bestehen, die Lernanstrengung nicht in einen übertriebenen Lernstress ausarten zu lassen, der lähmt und die Motivation vernichtet.
Wichtig ist es, dass Sie gleich zu Beginn des Weges in die Juristerei die Lust zum Lernen
gegen die Last des Lernens ankurbeln. Gelingt Ihnen das, dann sind Sie auch motiviert,
und Sie werden aus sich selbst mehr machen als alle Lektionen, Dozenten, Kapitel und
Vorlesungen aus Ihnen zu machen imstande sind.
Lernen bedeutet nichts anderes als zu bestimmten festgelegten Zeiten bestimmte Wissensgebiete zu erarbeiten, das juristische Wissen durch Wiederholung und Falltraining zu festigen, zu üben, sich selbst zu überprüfen und … besser zu werden (Feed-back-Schleife).
Und zwar unabhängig von der eigenen Befindlichkeit, unabhängig davon, wie man „gerade
drauf ist“. Es bedeutet ganz schlicht, das „Notwendige“ zu einer bestimmten Zeit sachgerecht, verantwortungsvoll, gut und aufmerksam zu tun. Die „Not“ ist Ihr juristischer Stoff,
das „Not-Wendige“ dieses Lernen! Wenn Sie Ihr Juragebiet immer besser beherrschen –
und das wird nun einmal nur durch „Lernen“ gehen – macht es Ihnen auch bald Spaß. Das
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Lernen in der Juristerei wird dann von Ihnen nicht mehr als harte Last empfunden, die
verlangt, sich selbst Gewalt anzutun, sondern mehr und mehr als Lust.
Wichtig ist, dass Sie schnell Zutrauen zu Ihren eigenen Fähigkeiten, Ihrer Motivation, Ihrem individuellen Lernen, zu Fleiß, Disziplin und Ausdauer finden. Wichtig ist auch, die
juristische Welt nicht als Bedrohung, sondern als Stätte Ihres Aufbruchs und Ihrer Erfolgserlebnisse zu begreifen.
Die Schicksalsfrage des Jurastudenten scheint zu sein, ob und in welchem Maße es seiner
Studentenkultur frühzeitig gelingt, der Störung seines Studiums durch Trägheit, fehlende
Lernfähigkeit und Lernbereitschaft und einer widerstrebenden Motivation Herr zu werden. Des Studenten anhänglichstes Haustier ist nicht die Katze, sondern der innere
Schweinehund (neben dem beißenden Gewissenswurm). Tja, sieht so aus, als könne man
dagegen nichts machen! Sieht aber nur so aus!
Man kann vieles ändern im Erlernen der Juristerei – die Tatsache des Lernens selbst allerdings nicht! Die größte Idee des Studiums lässt sich immer auf sechs Buchstaben reduzieren: L.e.r.n.e.n! Das fraglose Entgegennehmen fertiger Erkenntnisse in den Vorlesungen,
das bienenfleißige Mitschreiben gerade der Studenten der Anfängersemester, das Herumstochern im Nebel der Gutachten- und Subsumtionstechnik, die Aussage „Ich hab es ja gewusst, aber nicht gewusst, wo und wie und warum ich es in der Klausur unterbringen sollte“, dürfen gar nicht erst aufkommen.
Sie werden bald entdecken, dass das „Lernen von Jura“, d.h. die Anhäufung juristischer
Erkenntnisse und Fertigkeiten, die zukünftige Haupttätigkeit Ihres studentischen Lebens
sein wird. Das „Lernen des juristischen Lernens“ ist dabei die Vorstufe des „Lernens von
Jura“.
Der Kluge tut deshalb gleich anfangs, was der Träge erst am Ende tut. Alle erfolgreichen
Studenten tun dasselbe. Nur in der Zeit liegt der Unterschied. Der eine tut es zur rechten,
der andere zur unrechten Zeit. Viele Studenten leben lieber in ihrem bekannten depressiven Unglück des Nichtlernens als zu dem ihnen (noch) unbekannten Glück des erfolgreichen juristischen Lernens aufzubrechen. Im ewigen Kontinuum von Ursache und Wirkung
fühlt sich der Jurastudent, wie jeder Mensch, dann besonders unwohl, wenn er nicht mehr
wegschauen kann und erkennt: „Das da bin ja ich! Und das ist, was ich tu! Und das ist, was
ich nicht tue! Und wenn ich so weitermache, dann ... “. Wahrheiten, die Sie über Ihr Stu357
dium zu sagen versuchen, können allerdings nur das Produkt einer gewissenhaften Selbstprüfung sein.
Bevor Sie weiterlesen, sollten Sie zu einer kurzen Bestandsaufnahme folgenden Selbsterkundungsbogen gewissenhaft auszufüllen (keine mehrfachen Ankreuzungen!).
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Bestandsaufnahme über meine bisherige Ausbildung
Punkte
4
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
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16
Ich habe Schwierigkeiten,
mit der Nacharbeit in Lehrimmer
büchern und Skripten
überhaupt zu beginnen
Das zeigt sich in Ablenkungen wie Tennisspielen,
oft
Stadtbummel, Musikhören,
Cafébesuchen, Parties
Ich erreiche beim Lernen
das, was ich mir vorgenie
nommen habe
In welcher Reihenfolge ich
arbeite, überlasse ich dem
immer
Zufall
Der Zeitdruck in Klausuren
sehr
macht mir zu schaffen
Am Tag vor einer Klausur
besonders
lerne ich
intensiv
Meine Schwächen in den
einzelnen Fächern kenne
nicht
ich
Vor Klausuren habe ich
immer
Angst
In der Klausur habe ich
fast
Denkblockaden
regelmäßig
Einen festen (Arbeits)Platz
nie,
zum Lernen habe ich
mal hier,
mal dort
Meine Mitschriften in der
wertlos
Vorlesung/Lehrgespräch
sind
Ich arbeite nach einem
nie
täglichen Stundenrhythmus
Neben dem Studium jobbe regelmäßig
ich
Zu Bett gehe ich regelmäßig nach 2 Uhr
Die erarbeiteten Themen
strukturiere ich (gliedere
ich)
Als „Anschaulichkeitsmacher“ setze ich Baumdiagramme ein
3
2
1
meistens
selten
nie
manchmal
kaum
fast nie
selten
häufig
meistens
meistens
selten
nie
gelegentlich
etwas mehr
als üblich
kaum
überhaupt
nicht
genau wie
sonst
gezielter
ungefähr
ziemlich
genau
ganz genau
meistens
manchmal
ganz selten
kommt oft
vor
gelegentlich
kaum
manchmal
meistens
immer
kaum
lesbar
gut lesbar
brauchbar
sehr selten
regelmäßig
fast immer
häufig
gelegentlich
nach 24
Uhr
nie
nach 23
Uhr
nach 1 Uhr
nie
selten
regelmäßig
immer
nie
kaum
manchmal
regelmäßig
359
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18
19
20
21
22
23
Die 4 Teile eines Wochenallenfalls
endes (Samstag 8-12; 14gar nicht
vor einer
18; Sonntag 8-12; 14-18)
Klausur
nutze ich zum Studium
Die Wochenenden stehen
genau
überwiefür Freizeit
gend
Bei der Erarbeitung des
Stoffes erkenne ich das
fast nie
sehr selten
Wesentliche auf Anhieb
Ich versuche, Unbekanntes
mit Bekanntem zu vernetnie
selten
zen (mich zu erinnern)
Von dem Gelernten habe
ich vieles nach einigen Taja
oft
gen wieder vergessen
Ich mache genau festgelegnein
gelegentte Pausen beim Lernen
lich
Nach der Pause wieder
anzufangen, fällt mir
sehr schwer
schwer
24
Ich lerne mit Musik oder
immer
FS-Untermalung
25 Aus der Vorlesung/dem
überhaupt
Lehrgespräch lerne ich
nicht
26 Ich arbeite mit Kommilitonie
nen zusammen
27 Wieviel Spaß ich an einem
Fach habe, hängt vom
nein
jeweiligen Dozenten ab
28 In einem Gericht habe ich
noch nie
mich aufgehalten
29 Es gibt Studienfächer, für
kein einzidie arbeite ich gerne
ges
30 Ich bin faul, und darüber
ärgere ich mich
nein
31 Wenn ich ein Thema vertrotzdem
standen habe, macht es mir
nicht
Spaß
32 Wenn ich ein Thema nicht
verstanden habe, bemühe
nie
ich mich um den Durchblick
33 Eigentlich macht mir Jura
nein
Spaß
34 Ich weiß, was ich mit Jura
nein
später anfangen werde
Summe der angekreuzten Felder
Multiplikationsfaktor
x4=
Zwischenergebnis
Gesamtergebnis
360
zu 2/4
zu 1/4
zur Hälfte
jeweils alle
4 Wochen
manchmal
häufig
häufig
fast immer
nur in einem Fach
oft
nein
immer
nicht immer ganz
leicht
leicht
meistens
manchmal
nie
viel
häufig
kaum
ganz selten
manchmal
häufig
sehr stark
überhaupt
nicht
etwas
sehr selten
manchmal
öfter
eins
zwei
mehrere
ich bin
nicht faul
so ist es
manchmal
manchmal
immer
so ist es
manchmal
öfter
regelmäßig
manchmal
na ja
stimmt
ganz genau so ungefähr
x3=
x2=
fast genau
x1=
Wenn Sie insgesamt zwischen 34 und 50 Punkten erreicht haben, macht Jura Ihnen Spaß
und Freude, haben Sie keine echten Lernschwierigkeiten, und ich kann Ihnen nur raten:
Machen Sie weiter, Sie sind auf dem richtigen Weg! Liegt Ihre Gesamtpunktzahl zwischen
115 und 136, können Ihnen meine Lern-Ratschläge kaum noch helfen. Ihr Einstieg in die
Juristerei ist nicht gelungen! Sie müssen Ihr Studium von Anbeginn neu konzipieren, Ihr
Lernverhalten völlig ändern, sich besser motivieren und vor allem: lernen wollen. Falls Ihr
Gesamtergebnis zwischen 51 und 114 Punkten liegt, werden Sie sehr viel Nutzen aus den
„Juristischen Entdeckungen“ ziehen können.
Wichtig ist, dass Sie beim Ausfüllen des Fragebogens festgestellt haben, wie Sie bisher gelernt haben. Sie haben reflektiert! Dadurch ist Ihnen klar geworden, woran Ihr Studium
„krankt“, worin Ihre Unlust, Ihre Fehler, Ihre Fluchttendenzen aus den wahren Lernaktivitäten in die Scheinaktivitäten möglicherweise begründet sind. Die diagnostischen Fragen
„Welche Symptome haben Sie?“ und „Wo tut es weh?“ müssen so genau wie möglich beantwortet werden, bevor der Arzt das Übel rasch und wirkungsvoll in einer Therapie beseitigen kann. Genau so geht es beim Lernen. Es nutzt kein allgemeines Lamento; stattdessen
die Ihnen durch den Fragebogen anempfohlene genaue Selbstanalyse, das schonungslose
Beschreiben Ihrer Fehler und gegebenenfalls ein Umsteuern. Denken Sie daran: Wer A
(Jura) sagt, der muss nicht B (Weitermachen) sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch
war.
Jetzt, im Angesicht des Fragebogens, stellt sich spätestens die Frage nach der Optimierung
des juristischen Lernens.
„Du bist als Examenskandidat, was Du aus der Literatur aufgenommen hast und wem
Du in der Lehre begegnet bist! Also schau genau hin, bei wem Du was hörst und von wem
Du was liest!“
Viele Studenten halten sich nicht an diese Weisheit und vergeuden zu viel Energie auf
Lernvorgänge, die keinen juristischen Lernerfolg bringen. Der Lernprozess zeigt sich am
Anfang vorwiegend als ein stressiges, weil eben unkoordiniertes, undifferenziertes und
unspezifisches Hin- und Herlaufen zwischen dem Studenten als bedürftigem Lernendem
und seinen Lern-Medien, seinen Dozenten, Professoren (Hören), seinen Büchern, Skripten
und Zeitschriften (Lesen), durch die er die juristische Tradition kennen lernen will. Lernen
kann, gerade anfangs, zu einem äußerst belastenden stressigen Hetzen von Stoff zu Stoff,
von Dozent zu Dozent, von Buch zu Buch unter permanentem Zeitdruck werden. Ein Student fühlt sich als Gefäß missbraucht, in das man ständig hineinstopft, statt ihn als Feuer
zu begreifen, das entfacht werden will.
Der richtige Weg des Lernens ist das Ziel beim Lernen des juristischen Lernens. Dazu gibt
es viele Ansätze! Nur eines muss man eben zunächst immer: Anfangen, auf dem Weg zu
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gehen, und zwar in die richtige Richtung. Deshalb ist ja der erste Schritt so wichtig. Der
alte Schülerspruch „Wir wissen nicht, wo’s hingeht, aber wir werden die Ersten sein“, muss
ausgedient haben.
Nun ist Ihnen dieser zentrale Begriff des Lernens ja nicht ganz fremd. Sie sind als Mensch
von der Wiege bis zur Bahre ein Lernwesen, ein sogenannter Homo discens. Der Mensch
ist nun einmal aufgrund seiner mangelhaften Instinktausstattung notwendig verdonnert,
ständig zu lernen. Er ist das lernbedürftigste, aber eben auch das lernfähigste Wesen in der
Natur. Auch ist Ihr Gefühl des Alleingelassenseins beim Lernen nicht einmalig, die Größe
Ihres Leidens nicht konkurrenzlos. Selbst wenn die erste Klausur verhauen sein sollte,
nehmen Sie doch das „Mangelhaft“ als ein positives Zeichen der „Göttin Justitia“. Die
schlechte Klausur ist ihr hinkender Bote! „Ich komme zu spät für die erste missratene
Klausur, aber rechtzeitig genug, Dir mitteilen zu können, Deine alten schulischen Lernverhalten zu ändern und nun endlich neu und gewissenhaft mit dem juristischen Lernen anzufangen.“ Das muss die Botschaft des hinkenden Boten eines möglichen „Mangelhaft“
sein. Sie kommt spät, aber nicht zu spät!
Aber was muss man als Jurastarter tun? Sein Leben für das Jurastudium ändern, sein Lernverhalten neu justieren. Dazu muss man zunächst drei neue
Spielregeln akzeptieren:
Spielregel Nr. 1 lautet: Illusionen aufgeben!
Wer eine Illusion verliert, gewinnt immer eine Wahrheit hinzu. Die Illusion lautet: „Herrliches Studentenleben!“ Die Wahrheit ist: „Ohne Lernen geht es nicht!“ Fragen Sie mal einige Studenten, die schon vor Ihnen das Jurastudium ergriffen haben. Wie sah es bei ihnen
nach dem letzten Semester aus? Noch immer die Scheu vor den Vorlesungen, noch immer
die Selbstzweifel, noch immer das nagende Gefühl, nicht genug getan zu haben? Noch immer viel zu lange Nächte, noch immer keine Ahnung vom Sachverhalt, noch immer kein
klares Tageslernkonzept entwickelt, wieder nicht in der Vorlesung gewesen, wieder nichts
verstanden, wieder alles auf nächste Woche verschoben (zum wievielten Male eigentlich?)?
Das ist nicht selten die Rückschau auf das letzte Semester. Da wird die akademische Lehrund Lernfreiheit zum Alptraum. Diese Studenten haben nicht kapiert, dass das Studium
zwar keine „Ausbildungsstelle“ ist und sie keine „Azubis“ sind, studentische Freiheit aber
nicht die Freiheit von Arbeit bedeutet. Die Gammelei hat keine Zukunft, es sei denn, man
wollte scheitern und damit seine Zukunft aufs Spiel setzen - dann natürlich. Auch mit „Ge362
rechtigkeitsspinnerei in der Stammkneipe“, „gemütlicher Lehrbuchlektüre am Abend im
Bett“, „Studentenleben á la 19. Jahrhundert“, „Träumereien vom Richterberuf“ ist es nicht
getan.
Spielregel Nr. 2 lautet: Man muss das juristische Lernen lernen!
Niemand kann Ihnen die ureigene Entscheidung zum Lernen abnehmen! Sie tragen für
diesen originären Prozess des Lernens in folgenden drei Phasen die alleinige Verantwortung:
Für die Aneignungsphase: Das ist die Begegnung mit Jura. – Also: der Erwerb von juristischem Wissen, das Neulernen (Was muss von Jura wie strukturiert ins Gedächtnis?).
Für die Behaltensphase: Das ist das Speichern des juristisch Erlernten. – Also: das Bewahren, das Aufheben, das Nichtvergessen (Wie kommt Jura ins Gedächtnis? Wie bleibt
Jura im Gedächtnis?).
Für die spätere Reproduktionsphase: Das ist das Offenkundigmachen des juristisch Gelernten – Also: die Lernpotentiale bei gegebenem Anlass – z.B. in der Klausur – einsetzen zu können (Wie kommt Jura abrufbereit vom Gedächtnis zum Fall?).
Der Mehrwert dieses Lernprozesses ist ein Mehrwert an juristischem Wissen und Können.
Der entscheidende Punkt für Sie ist, diese Phasen für sich zu optimieren. Kein Professor
der Welt und kein noch so gutes Lehrbuch können Ihnen die Parole ausgeben: „Komm, hör
oder lies mich – ich lehre dich schon! Vertraue mir!“, ohne sich dem Vorwurf der Scharlatanerie auszusetzen. Die Wissensvermittlung durch Ihre juristischen Lehrmedien setzt nur
den Reiz zum Lernen. Was Sie aus diesem Reiz machen, bestimmen nur Sie selbst! Diese
Lernerfahrung müssen Sie selbst leisten, alle Medien können Sie dabei unterstützen, aber
sie können diese – Ihre originäre juristische Erfahrung – nicht erzwingen. Diese selbst
konstruierte juristische Lerneigenerfahrung in Lerneigenzeiten ist das, was in Ihrem Langzeitgedächtnis am allerbesten zurückbleibt und das am Ende zu Ihrer juristischen Selbstwerdung führt. Nur dann „werden“ Sie nicht mehr Jura studiert, dann studieren Sie Jura!
Und scheitern? Das tun nur die Anderen!
Spielregel Nr. 3 lautet: Das sekundärtugendgesteuerte Lernen ist die zukünftige Haupttätigkeit jedes Jurastudenten.
Einige Studenten neigen leider dazu, Fehler möglichst zwei- oder dreimal zu machen, damit man sie auch sicher beherrscht, indem sie diese Sekundärtugenden des Fleißes, der
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Selbstdisziplin und der Leistungsbereitschaft, die den größten Einfluss auf ihre juristische
Lernleistung haben, am Anfang immer wieder als Kinkerlitzchen zur Seite wischen.
Die heutige Studentengeneration lässt sich aber nicht mehr disziplinieren, man muss sie
davon überzeugen, dass sie keine Arroganz gegenüber den überlebensnotwendigen Sekundärtugenden Ordnung, Fleiß und vor allem Disziplin entwickeln. Viele wissen nicht, dass
diese Sekundärtugendresistenz noch verheerendere Folgen hat als fehlende Intelligenz.
Sekundärtugendgesteuerte Studenten sind erfolgreicher als die nur intelligenten. Sich ausschließlich auf seine Intelligenz zu verlassen, ist der verlässlichste Ausgangspunkt des
Scheiterns in der Juristerei. Es gibt keine seriöse Untersuchung, die das Gegenteil belegt.
„Intelligenz“ ist überwiegend angeboren? Unabänderbar? Änderbar sind aber jedenfalls
der Fleiß und das auf Ordnung bedachte Lern-Verhalten und damit die Disziplin! Das
größte Talent für Jura sitzt im Hosenboden (Goethe)! Ohne Selbstdisziplin und Selbstinstruktion, Fleiß und Geduld geht nichts im Jurastudium.
Nur mit den alten Sekundärtugenden wird die Juristerei die wunderbarste Enttäuschung
negativer Erwartungen. Die disziplinierte Ordnung entscheidet durch eine einmalige zeitliche Einrichtung (Studientag/Studienwoche/Semester) und eine sächliche Einrichtung
(Arbeitszimmer/Schreibtisch/Aufzeichnungen), wann, wo und wie Jura gelernt wird. Sie
schafft eine Art Wiederholungszwang und ermöglicht dem Studenten die beste Ausnutzung
seiner Zeit, während sie seine psychischen Kräfte schont, indem sie ihm in jedem gleichen
Falle Zögern, Schwanken und Zweifel erspart.
Man könnte erwarten, dass sich bei den Studenten von Beginn an die Wohltaten der Disziplin und Ordnung durchsetzen und ist immer wieder erstaunt, dass der Student zu Studienbeginn einen fast natürlichen Hang zur Nachlässigkeit und Unregelmäßigkeit an den
leider meist unverfassten Studentenalltag legt und sich erst mühsam an zeitliche und
räumliche Ordnung gewöhnt. – Arbeitsplan machen? Arbeitsstunden eintragen? Arbeitsrhythmus konditionieren? Arbeitshaushaltsbücher anlegen?
„Juristisches Lernen“ muss jurafachgerecht erfolgen. Es muss also an die Besonderheiten
des gesetzlichen Lernstoffes und an die methodischen Anwendungen ebenso angepasst
sein wie an die juristischen Formen der Prüfungen in konkreten Klausuren und Hausarbeiten. Juristisches Lernen will gelernt sein!
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Wie gesagt: Viele Studenten vergeuden zu viel Energie auf Lernvorgänge, die keinen juristischen Lernerfolg bringen. Es ist für einen Jurastudenten eine Frage der reinen Lernökonomie, sich möglichst schnell differenzierte und juristisch spezifische Lernfähigkeiten und
-techniken zuzulegen, um sich in knapper Zeit durch möglichst vielen Stoff hindurchzuarbeiten. Die Effizierung, d.h. die Verbesserung Ihrer Wirkkraft, und die Ökonomisierung,
d.h. die rationelle Verwendung Ihrer Kräfte, müssen die Wegmarken für dieses „SurvivalTraining“ setzen. Das richtige Lernen ist das Ziel beim Lernen des juristischen Lernens.
Entdeckt haben Sie sicherlich, dass schon jetzt das Lernen von Jura, d.h. die Anhäufung
juristischer Erkenntnisse, die Haupttätigkeit Ihres studentischen Alltags bedeutet. Dazu
muss man das Metalernen, das Lernen des juristischen Lernens, lernen. Es ist die Vorstufe
des eigentlichen Lernens von Jura und umfasst alle Ihre Verhaltensänderungen, die durch
Selbst- und Fremderfahrungen im Umgang mit der Juristerei zustande kommen und einen
nachhaltigen Lernerfolg bei Ihnen sicherstellen. Leider hat das Gehirn keine Löschtaste.
Eine möglicherweise schlechte Verhaltensweise aus der Schule werden Sie nur wieder los,
wenn Sie sie im Gedächtnis mit einer neuen, besseren überschreiben. In der Schule genügte es häufig, einen Tag vor einer Klausur punktuell zu lernen. Ein solches Lernen reicht in
der Hochschule nicht mehr aus. Hier baut alles linear aufeinander auf. Und dann alles auf
einmal im Examen: ohne Abschichtungen oder Abwahlmöglichkeiten. Vom ersten Semester an ist man in der Examensvorbereitung. Sie müssen versuchen,
speziell für den Erwerb juristischen Wissens erwünschte Lern-Verhaltensweisen zu stiften,
alte Schul-Lern-Verhaltensweisen für das juristische Lernen zu verbessern (schülerhafter Lernstil ist unreifer Lernstil) und
falsche, unerwünschte Lern-Gewohnheiten, die dem juristischen Lernen im Weg stehen
könnten, abzubauen.
Also: Was ist zu tun? Tun Sie etwas! Dabei genügt es nicht, irgendetwas zu tun. Bloßer
Aktionismus bringt noch nichts. Sie müssen vielmehr das Richtige tun beim Lernen. Und
was ist das Richtige? Hier einige Ideen, damit Sie nie mehr allein sind im Paragraphenwald, vielmehr kleine Helfer haben, die Sie ständig begleiten und schützen.
Lerntechniken zum effektiven Jurastudieren muss man sich selbst aneignen,
dafür gibt es keine Kurse. – Aber es gibt gute Lerntipps:
1. Tipp: Drei Regeln beachten, denen jeder juristische Lernprozess unterliegt
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Es wird heute viel psychologisiert über die Individualität des Lernens, die unterschiedlichen Lerntypen, die persönliche Lernatmosphäre und eine lernheimelige Umgebung, die
spezielle Lernverfassung – alles schön und gut. Aber: Bei aller Liebe zu Eigenarten des
Einzelwesens „Student“, gibt es drei Regeln, denen jeder juristische Lernprozess unterliegt:
Regel 1: Gehirngerechtes juristisches Lernen heißt wissenspeicherndes Lernen!
Juristischer Lernerfolg tritt erst dann ein, wenn das juristische Wissen im Langzeitgedächtnis verankert ist. Das Vergessen ist leider der Regelfall. Was Sie behalten wollen, müssen
Sie besonders sichern. Entscheidend hierfür ist:
Wiederholen und noch einmal wiederholen, das Gehirn ist kein Scanner
Vernetzen des Neuen mit dem Alten um Zentralbegriffe
Überblicke vor Einzelwissen schaffen Systematisierung
Normalfälle vor Exoten speichern
Baumdiagramme im Gedächtnis einstellen
Zu jedem Problem einen Fall ins Langzeitgedächtnis überführen
Prüfungsprogramme, also Schemata, einspeisen
Auf Anschlussfähigkeiten des juristischen Stoffes achten
Regel 2: Typgerechtes juristisches Lernen heißt erst sich selbst analysieren und dann
erst lernen!
Jeder Student ist eine andere Persönlichkeit und damit ein anderer Lerntyp.
Individuellen Lerneingangskanal testen und wählen: Hören, Sehen, Tun
Fragen: „Was hält mich vom Lernen ab?“ Störquellen abstellen
Chaotischen Arbeitsplatz vermeiden oder sich im Chaos einquartieren
Ideale Lernzeit herausfinden. Bin ich „Lerche“ oder „Nachtigall“?
Spezielle Tagesziele suchen, setzen und kontrollieren
Bildtyp? Malen Sie Baumdiagramme
Spieltyp? Fertigen Sie sich ein juristisches „Law-Persuit-Quiz“
Motivieren Sie sich ganz persönlich für Ihr „Unternehmen 1. Semester“
Regel 3: Klausurengerechtes juristisches Lernen heißt vom Ende her lernen!
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Juristisches Wissen bewährt sich immer erst am Fall in der Klausur. Direktes Wissen wird
nie abgefragt, immer nur indirekt über Fälle.
Enge Bindung ans Gesetz setzt Gesetzeskunde voraus
Neben Gesetzeswissen gilt es, das Methodenwissen aufzubauen: Gutachten und Subsumtion
Jura ist eine Entscheidungswissenschaft und wird erprobt am zu entscheidenden Fall
Alle Klausurenfälle sind normgeleitet, deshalb steht am Anfang immer (!) eine Antwortnorm
Im „BGB“ und „StGB“ muss man sich bald zu Hause fühlen
Gesetzesketten an den Gesetzestext schreiben, den man dann allerdings so nicht in
Klausuren verwendet (sonst: Täuschungsversuch)
Gutachten-, Auslegungs-, Argumentations-, Sprachstilkenntnis
Definitionsbeherrschung
Juristischer Klausuren-Wortschatz
Problemschatzkiste (Ordner) anlegen für Fälle, die nur mit dem Gesetz nicht so einfach
zu lösen sind.
2. Verlassen Sie ein Lernplateau immer erst dann, wenn Sie es im juristischen Griff haben.
Es ist schon deprimierend zu sehen, wie viel des juristisch Gelernten bei den Studenten
immer wieder verpufft. Der Hauptfehler des Jurabeginners beim Lernen besteht erfahrungsgemäß darin, dass der Student ein Lernplateau verlässt, obwohl er es als Lernender
noch gar nicht begriffen, geschweige denn durchdrungen hat. Wie der juristische Erkenntnisbaum vom innersten Mark „Ring“ für „Ring“ langsam nach außen wachsen musste, um
sturmresistente Stabilität zu gewinnen, so muss beim Lernen ein lastendes „WissensPlateau“ auf ein belastbares tragendes „Wissens-Plateau“ geschichtet werden. Anderenfalls
fällt alles Erlernte immer wieder jämmerlich in sich zusammen.
367
Übertragen auf die juristische Ausbildung bedeutet das:
Jur. Wissen in der jur. Ausbildung
3.
Plateau
2.
2.
Plateau
Plateau
1.
1.
1.
Plateau
Plateau
Plateau
Zeit in der
jur. Ausbildung
Lernplateau 1 (Recht, Rechtsordnung, unsere Jurasprache, unsere Methoden, das Konditionalprogramm und die Systeme der Gesetze) und Lernplateau 2 (Gutachtentechnik in
StGB und BGB, Anspruchsgrundlagen §§ 433 II, 985, 812 I BGB, Abstraktionsprinzip)
müssen fest gefügt sein, bevor man dieses Lernplateau verlässt, um auf ihm tragend aufzubauen. Viele brechen aber auf Lernplateau 1 oder 2 viel zu früh ab, obwohl sie erst die Vorstufe des Lernplateaus erreicht haben, was sie aber nicht erkennen. Die Folge: Schon auf
Lernplateau 3 (AT StGB und AT BGB) bricht das Gebäude mangels Stabilität und Festigkeit der Plateaus 1 oder 2 ein – die 1. Klausur geht daneben! – Das muss nicht sein! Nichts
Halb-, Schief- oder gar Nichtverstandenes darf mehr vorhanden sein, die notwendigen methodischen Fertigkeiten müssen eingeübt sein, Sie müssen sich mit „Hand auf’s Herz“
selbst kontrolliert haben, dann, aber auch wirklich erst dann, dürfen Sie auf das dritte
Lernplateau.
3. Das Gesetz steht am Anfang und Ende!
In der Klausur haben Sie nur das Gesetz zur Hand, und nur, wer schon beim Lernen mit
dem Gesetz arbeitet, findet sich auch in der Klausur darin gut zurecht. Bevor Sie ein neues
juristisches Rechtsinstitut angehen, abstrahieren Sie es von allen momentan unwichtigen
Details und lesen Sie zunächst mit dem Zeigefinger mehrmals nur das Gesetz! Ziehen Sie
alles Unwichtige ab! Steigen Sie ein ins Gesetz! Öffnen Sie das Gesetz mit dem „Konditionalprogramm“! Wenn-Dann! Präparieren Sie mit der „Seziertechnik“ die einzelnen Bausteine der Tatbestandsmerkmale heraus! Was will das Gesetz regeln? Was ist sein télos
(Zweck)? Was seine Tatbestandsmerkmale?
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4. Geben Sie Ihrem studentischen Leben ganz schnell eine Verfassung, eine
Rahmung!
Fangen Sie endlich an mit dem wirkungsvollen Lernen von Jura! Planen und organisieren
Sie richtig! Entwickeln Sie ein Gespür für das, was möglich ist, aber auch für das, was unmöglich ist! Teilen Sie den Tag ein! Ein Drittel Arbeit; ein Drittel Freizeit; ein Drittel
Schlaf! Lächerlich? Nein! Disziplin! – Abschreckend? Mag sein! Muss aber sein!
5. Disziplinieren Sie sich!
Disziplin ist es, was einen guten Jurastudenten von einem schlechten Jurastudenten unterscheidet. Disziplin heißt eine Verabredung mit sich selbst treffen und diese auch einhalten.
Konzentrieren Sie sich auf erreichbare Ziele! Die nächste Klausur ist die schwerste analog
der Fußballerweisheit: Der nächste Gegner ist immer der schwerste! Dabei müssen Sie
kein Musterkind, kein Ordnungsfanatiker und Arbeitswütiger werden; kein Vollkommenheitsapostel. Aber ein bisschen Ordnungssinn, Perfektionismus, Disziplin, Fleiß steckt
doch in jedem. Halten Sie diese Tugenden, diese notwendigen Sinnstiftungskomponenten
für Ihre juristische Ausbildung aus! Arbeiten Sie mehr, tiefer, ernsthafter, fleißiger und
ausgewogener! Und: Wenn der Körper am Schreibtisch ist, dann bitte auch der Kopf. Entweder beide da – oder beide weg.
6. Denken Sie aber auch nicht immer: „Erst wenn alle juristischen Arbeiten
erledigt sind, gönne ich mir mein Vergnügen.“ Das wird nie der Fall sein!
Es gibt immer etwas zu vervollkommnen, noch ein Skript, noch ein Lehrbuch, noch eine
vorbereitende Klausur, hier glotzt Sie das lange Zeit vernachlässigte BGB - Allgemeiner
Teil, dort das Stiefkind Erbrecht an. Nehmen Sie es heiter gelassen. Machen Sie mal Pause!
Lernen ist anstrengend! Sie sind nicht nur o.k., wenn Sie perfekt sind.
7. „Heben“ Sie alles in Ihrer „Juristischen Lern-Schichten-Pyramide“ „auf“!
Jeder juristische Wissensgewinn bedarf des Vorwissens, jede Lern-Erfahrung bedarf der
Vorerfahrung, jede Denk- und Arbeitsmethode baut auf einer Vorgängerin auf, jede Klausuren-Technik fußt auf erprobter Vortechnik. Sie müssen immer bemüht sein, unter keinen Umständen erfahrungsresistent zu werden.
Bisher bewährtes erfahrenes juristisches Wissen,
bisher bewährtes erfahrenes juristisches Lernverhalten,
bisher bewährte erfahrene juristische Methodik und
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bisher bewährte erfahrene juristische Klausuren-Lösungs-Technik
dürfen keinesfalls preisgegeben werden, sondern Wissen, Erfahrung, Methodik, Lernregeln und Technik müssen sämtlich Schicht auf Schicht als Lern- und Entscheidungshilfen
für weitere Erkenntnis- und Erfahrungsgewinnung aufgefaltet werden. Sie beginnen evolutionär auf der Entwicklungsstufe eines juristischen Einzellers, doch schnell wird Ihre juristische Evolution zunehmend mehrzellig, raffinierter und komplizierter. Sie führt Sie bald
über verschiedene Entwicklungsstufen zum „juristischen Menschen“ nach dem Prinzip:
Eins nach dem anderen.
8. Jede Ihrer erfolgreich „beendeten“ 2-Stunden-Lerneinheiten darf niemals
in sich selbst zurückkehren.
Sie muss immer eine Aufwärtsdrehung enthalten, ihr „Ende“ ist stets der „Anfang“ einer
neuen juristischen Ausbildungsschraube, die dem Wissens-, Methoden- und Erfahrungsmehrgewinn entspricht. Das ist der Ratscheneffekt: Es geht nur vorwärts, niemals zurück!
Alles wird „aufgehoben“.
9. Haben Sie keine Angst vor sich selbst, keine Angst vorm Alleinsein.
„Mir fällt die Decke auf den Kopf“ ist eine ständige Ausrede von Studenten, die schnell
raus wollen, weil sie Angst haben, in sich selbst nichts anderes zu finden als ständige beängstigende Unruhe. Diese Studenten tun Dinge den ganzen Tag, die sie eigentlich gar
nicht tun wollten. Sie kennen diese Hyperaktivitätsaktionen? Es handelt sich dabei vorwiegend um reine Ablenkungsmanöver und eine Flucht vor der einzig notwendigen Aktivität: arbeiten und studieren. Installieren Sie einen inneren Beobachter, der diesem Drang
zur Flucht Paroli bietet! Korrigieren Sie Ihren Drang nach „weg vom Skript“ durch einen
Hang „hin zum Skript“! Halten Sie es mit sich selbst aus! Diese Einsicht müssen Sie kauen,
um sie zu schmecken. Sie schmeckt anfangs bitter, verwandelt sich aber in Süße, wenn
man juristischen Lernerfolg hat.
10. Entwickeln Sie eine Niederlagenkultur.
Kein Jura-Student kommt ohne Niederlagen aus. Die Siegertypen gibt es nur im Fernsehen. Es ist kein Fehler, Fehler zu machen, wenn man nur daraus lernt. Man kann jeden
Fehler machen, wenn möglich aber nur ein einziges Mal. Denken Sie nicht immer: „Die
anderen sind besser, talentierter, begabter.“ Es sieht bei den „anderen“ vielleicht alles
leicht und lässig aus. In Wirklichkeit fällt auch ihnen in der Juristerei nichts in den Schoß.
Sie arbeiten hart für ihren Erfolg, lassen sich ihre Anstrengungen aber häufig nicht anmer370
ken. Sie sind nicht „begnadeter“, sie sind ganz einfach fleißiger. Auch Sie schaffen das,
wenn Sie Ihre Energie konzentriert in das „Projekt Jura“ stecken. Es verwandelt sich nicht
alles gleich in Gold, schon gar nicht im Beginn der juristischen Ausbildung.
11.
Lernen Sie, „nein“ zu sagen.
Dies ist erfahrungsgemäß sehr schwer, aber auch ungemein wichtig für ein erfolgreiches
Lernen. Jeder ist ein wenig gefallsüchtig, und mit „Ja“ gefällt man nun einmal (vermeintlich?) mehr als mit „Nein“. In jedem steckt ein kleiner Jesus, ein Helfertyp, ein Nächstenliebender, der immer helfen will, der diesen Typ in sich befriedigen und ruhig stellen will.
Im Anfang der Juristerei brauchen Sie überwiegend sich selbst! Ihre Energie und Kraft
müssen Sie auf Ihr juristisches Studium konzentrieren! Sie müssen sich jetzt helfen – und
helfen lassen! Erkennen Sie Ihren eigenen Wert beim Lernen, schaffen Sie sich Ihre täglichen Lernerfolge, dann brauchen Sie nicht dauernd bestätigt zu werden!
12. „Wie benehme ich mich so, dass niemand bemerkt, dass ich da bin?“
„Ich setze mich in die letzte Reihe des Studiengruppenraums oder Hörsaals, da kann ich
sehen, aber nicht gesehen werden.“ Alles Einstellungen, die der Vergangenheit angehören
müssen: Setzen Sie sich in die erste Reihe im Hörsaal! Reißen Sie Ihre „SchönfelderBarriere“ ein! Verkriechen Sie sich bei Nichtverstehen von Jura nicht in die Furche. Totstellen nützt jetzt gar nichts. Greifen Sie an! Niemand hat alles gleich verstanden. Wenn Sie
nach Hause kommen, entwickeln Sie einen Hang zum Eremiten, zum Stubengelehrten!
Mit dem ständigen „Das mach ich gleich“ – ist es vorbei. Gleich ist jetzt! Setzen Sie die
Prioritäten anders! „Ich habe keine Zeit zum Lernen von Jura“ gehört ebenfalls der Vergangenheit an. Keine Zeit haben, gibt es nicht. Alles ist eine Frage Ihrer Priorisierungsfähigkeit.
13. Werden Sie zum eigenen Entdecker neuer juristischer Lern-Ideen, werden
Sie zum kleinen Forscher, zum Erfinder von Skizzen und Diagrammen! Jedes Skript, jedes
Buch, jede Lehrveranstaltung, jeder Fall sind dafür ein weites Feld.
14. Lassen Sie Ihr generelles Misstrauen fahren gegen alles, was „JuraDozent“ heißt!
Neigen Sie nicht dazu, in diese Personen Feindschaft, Ablehnung und immer nur negative
Gedanken hinein zu projizieren. Dafür gibt es keinen Anlass.
371
15. Werden Sie zum Sammler von juristischem Gedankengut!
Ein aktiver Lerner ist wie ein Sammler immer tätig. Er ist niemals fertig und wird auf seinem langen Weg ständig durch eingesammelte Lernerfolge belohnt und durch Lernwiderstände nur angespornt. Funktionieren Sie Ihre frühere kindliche Sammelleidenschaft ganz
einfach um! Betreiben Sie Jura mit der gleichen Passion! Sammeln Sie Wissen! Sammeln
Sie Methodik! Sammeln Sie Erfahrung! Sammeln Sie Fälle! So werden Sie Ihr eigener Autor! Der Titel Ihres Sammelbandes: „Mein eigenes Skript“. Lehnen Sie diesen Rat nicht
gleich als „viel zu mühsam“, „unmöglich zu schaffen“ ab! Sie müssen den neuen Stoff in
Ihre bereits geschaffenen, eigenen Denkwaben einfüllen, ihn in Ihre eigene um Einfachheit
und Klarheit, also um „Entkomplizierung“ bemühte Sprache übersetzen, ihn dem eigenen
Sprachschatz und Wortempfinden anpassen. Sie müssen ihn mit Ihren eigenen optischen
Hilfsmitteln, Ihren Kommoden und Baumdiagrammen, aufbereiten, systematisieren, fixieren und ihn mit einem „Beispielsfall auf Normalfallniveau“ unterlegen, ihn an Ihr Vorwissen ankoppeln und ihn in Ihre Strukturen eintäfeln. Wenn Sie diesen Weg zu Ihrer archivierenden Kollektion mitgehen, dann unterliegen Sie nicht mehr der Illusion, den Stoff
gelernt zu haben, und ihn nicht mehr zu vergessen, sondern Sie haben ihn gelernt und
werden ihn nicht mehr vergessen. Neben dem Lösen von Klausuren ist das die wichtigste
Lernaktivität, die man Ihnen mitgeben kann: die „sammelnde“ Erstellung Ihres originären,
ureigenen Skripts als Ihr „Grundmedium“. „Erfahrungslernen führt zu Erfahrungswissen“!
Neue gesammelte Informationen aus anderen Büchern, der Rechtsprechung oder aus Vorlesungen können Sie zu jeder Zeit in Ihr Grundmedium „Mein eigenes Skript“ übernehmen.
16. „Er“-arbeitung des Stoffes durch seine „Be“-arbeitung am Fall!
Klausuren, Klausuren, Klausuren! Ergreifen Sie jede Gelegenheit beim Schopf, in der Ihnen Klausuren zum Schreiben oder Durcharbeiten angeboten werden. Neben dem Hören
und Sehen verfügen Sie nämlich über einen dritten Lernkanal, der von den Meisten viel zu
wenig genutzt wird: das aktive Handeln! Durch Handeln können Sie die vor einer Informationsüberflutung schützenden Barrieren des Kurzzeitgedächtnisses am Besten überwinden.
Eben: Use it, or lose ist! Learning by doing! Was für einen Sportler oder Musiker selbstverständlich ist, nämlich das Lernen durch Training, sollte auch für Sie zur ewigen Regel werden. Es muss Ihnen gelingen, sich selbst von der Vorlesungs- und Lehrbuchlesepassivität
zur Fallbearbeitungsaktivität zu führen. Sie müssen juristisch „arbeiten“, indem Sie den
Fall juristisch „bearbeiten“, ihn sich durch Aktivität erschließen, „erarbeiten“, aneignen
und ihn sich so beherrschbar machen. Wie ein Bildhauer am Rohmaterial Marmor „arbei372
tet“ und es so „bearbeitet“, so arbeiten Sie am Rohmaterial „Fall“. Michelangelo hat einmal
gesagt: „Ich habe die Statue nicht geschaffen – sie war schon im Marmorblock drin!“ So
ähnlich ist es mit dem Fall: Die Lösung steckt schon im Fall, und sie erschließt sich durch
seine Bearbeitung! Man höre die Weisheit der alten Chinesen:
Erkläre es mir, und ich vergesse es! Zeig es mir, und ich erinnere es! Lass es mich tun,
und ich habe es verstanden!
Diesen Nachweis durch die Lernpsychologen der „alten Chinesen“ müssen Sie sich zunutze
machen. Tun Sie das Ihnen von fremden Lehrmeistern Erklärte und Gezeigte selbst! Trainieren Sie am Fall! Rezepte und Regeln entstehen aus Erfahrung, d.h. aus erinnerten Ergebnissen über Versuch und Irrtum. Hier eine Erfahrung, die Sie sich immer wieder selbst
bestätigen können. Der Versuch: „Ich will eine juristische Vorlesung nach einem Tag rekonstruieren.“ Der Irrtum: „Ich muss leider feststellen, dass sehr wenig hängen geblieben
ist.“ Nach einem Tag verfügen Sie nur noch über Erinnerungsinseln. Nach einer Woche? –
Nach einem Monat? – Alles weg! Die Vergessenskurve rast dramatisch in den Keller, sie
neigt sich gegen Null. – Wie oft noch? – Aus Versuch und Irrtum wird Ihre Erfahrung:
„Den Wirkungsgrad kann ich erhöhen, wenn ich den Lernkanal „Hören“ mit dem Lernkanal „Sehen“ kombiniere, also Vorlesung einerseits und Skripten, Lehrbücher sowie meine
in der Vorlesung gefertigten Aufzeichnungen andererseits durcharbeite.“
Eine weitere Steigerung erreichen Sie durch aktives Tun, z.B. die eben anempfohlene Erstellung eines eigenen Skripts und ... die Fallbearbeitung. Versuchen Sie es: Sie merken sich
10 % von dem, was Sie hören, 20 % von dem, was Sie lesen, 60 % von dem, was Sie lesen
und hören, 70 % von dem, worüber Sie selbst sprechen und 90 % von dem, was Sie selbst
ausprobieren und ausführen. Das aktive juristische Lernen durch die Anwendung des
Rechtsstoffes auf den praktischen Fall ist unentbehrlich. Sie müssen „problemorientiertes
Lernen“ (Theorie) mit „fallorientiertem Falltraining“ kreuzen. Alle Gesetze und Rechtsinstitutionen lassen sich zwar in Vorlesungen oder Lehrbüchern abstrakt erschließen (Erkläre es mir!), werden aber nur unter Zuhilfenahme von konkreten Beispielsfällen in Übungen
behalten (Zeig es mir!). Sie verstehen alles erst dann, wenn Sie selbst etwas machen und
Fälle lösen (Lass es mich tun!).
17. Übersetzen Sie fremde juristische Texte in Ihre eigene Sprache!
Aktives Lernen bedeutet auch, alle einzuspeichernden Informationen möglichst in die eigene Darstellung zu übersetzen. Lehrende und Lernende besitzen verschiedene Begriffswelten. Deshalb sollten Sie von Anfang an den mitgeteilten Stoff aus der fremden Jurawelt
373
in Ihre eigene Sprachwelt übersetzen. Ihre Jurawelt muss entstehen! Denken Sie an Ihre
eigene Autorenschaft zum eigenen Skript!
18. Erkennen Sie die Strukturen hinter den Formulierungen!
Arbeiten Sie die juristischen Strukturen heraus, die sich hinter allen juristischen Texten
verbergen. Mitunter fällt das schwer. Manche Autoren oder Dozenten – ganz zu schweigen
vom Gesetzgeber – setzen ihren Ehrgeiz daran, die von ihnen gebildeten Strukturen hinter
Worten und Tiraden möglichst zu verstecken. Dann müssen Sie als Student besonders intensiv gegen die Lehrenden und Autoren, besonders aber gegen den Gesetzgeber arbeiten.
Finden Sie hinter dem Gesagten in Vorlesung, Buch und Gesetz das Gemeinte! Erkennen
Sie die systematischen Strukturen hinter den Formulierungen der juristischen Autoren!
Diese Aktivität bringt Ihnen reichen Lohn. Hilfsmittel dazu sind das „Sezieren der Gesetze“
und das „System Baumdiagramm“! Hoffentlich ist das schon Ihr oft genutztes juristisches
Handwerkszeug für das Knacken harter juristischer Nüsse!? Jura nur vom Hörensagen
darf es nie geben – immer müssen Sie das Gesetz, sein Ziel und das System, in dem es
steht, einbeziehen! Immer das „Weshalb und Warum“ des Gesetzes mitdenken, seinen
„Geist“ suchen!
19. Bilden Sie sich Ihre eigenen Strukturen! Dieses Stück Überzeugungsarbeit
am eigenen Verstand kann Ihnen niemand abnehmen.
Angesichts unterschiedlicher Strukturen in verschiedenen juristischen Lernmedien wird
Ihnen bald deutlich, dass Sie nicht einfach vorhandene Strukturen blind übernehmen können, sondern eigene bilden müssen. Sie müssen mit Ihren eigenen BaumdiagrammStrukturen arbeiten. Ihr entscheidendes Richtigkeitskriterium ist dabei Ihre Überzeugung
von der Stimmigkeit der von Ihnen selbst gebildeten Strukturen. Ihre selbst entworfenen
Strukturen können am Anfang ruhig laienhaft, naiv, möglicherweise sogar falsch sein. Das
macht nichts! Entscheidend ist, dass Sie etwas haben, was Sie während der Vorlesung oder
der Lektüre aktiv gegen den Vortrag des Dozenten oder den Text des Buches halten können. Damit unterscheiden Sie sich von den vielen hundert Kommilitonen, die sich einfach
passiv berieseln lassen – und sofort alles wieder vergessen. Sie haben im Unterschied zu
Ihren Jura-Kommilitonen ein Zuhör- oder Leseprogramm – Ihr Baumdiagramm. Sie sind
ein aktiver, Strukturen bildender Zuhörer oder Leser. Sie sind neugierig, ob Ihre Strukturen stimmen oder ob Sie etwas falsch gemacht haben. Sie haben Spannung – Entdeckerfreude und Neugier an und auf Strukturen. Sie werden die juristische Vorlesung und die
Literatur strukturiert optimal ausschöpfen. Sie werden den Wirkungsgrad Ihres Jura374
Lernens durch aktives Lernen und strukturierte „Bearbeitung“ des Jura-Stoffs auf 90 %
steigern.
20. Eröffnen Sie sich verschiedene Zugänge zu Ihrem Stoff!
Binden Sie sich nicht an einen Autor! Arbeiten Sie bei einer schwierigen juristischen Figur
mit mehreren Medien gleichzeitig. Benutzen Sie nicht nur Lehrbücher, sondern auch
Kommentare und Skripten. Dann werden Sie sehen, dass verschiedene Autoren oftmals
verschiedene Strukturen bilden. Das ist zunächst verwirrend, aber notwendig. Eingespeicherte Informationen sollen vieldimensional miteinander verknüpft werden und dadurch
vielseitig abrufbar gemacht werden.
21. Ganz wichtig! Orientieren Sie sich an Normalfällen!
Jura sollte zu Beginn des Studiums die Widerspiegelung des Lebens im Normalfall sein
und nicht die Widerspiegelung artistischer, juristischer Zirkusnummern. Es scheint am
Anfang des Studiums tatsächlich manchmal so, als sei das Leben eine nur zu dem Zweck
geschaffene Veranstaltung, darauf zu warten, unter Paragraphen und Rechtsbegriffe subsumiert zu werden – aber es scheint eben nur so. Die Paragraphen sind zunächst als
Schlüssel zur ganz normalen Alltagswelt geschaffen. Den Normalfall hat das Gesetz zum
Gegenstand, nicht den pathogenen Exoten. Dieser falsche Schein rührt wahrscheinlich daher, dass zwar Jahr für Jahr zwischen 2 und 3 Millionen ganz normale Gerichtsentscheidungen gefällt werden. Aber besprochen werden nur die 500 Oberexoten. Deshalb denkt
der Jura-Anfänger: Die ganze Jurawelt bestehe aus Exoten. Problemfälle – und das sind
Exoten – bringen immer die Abweichung von der Normalität, weshalb Sie zunächst die
Normalität lernen und beherrschen müssen, bevor Sie mit Aussicht auf motivierenden Erfolg Problemfälle angehen können. Lernen Sie am „Normalfall“, dann lösen Sie den „Exoten“ ganz von selbst!
Fragen Sie sich bei jedem Gesetz immer nach der zugrundeliegenden Normalität. Denken
Sie sich selbst Normalfälle aus. Beschreiben Sie diese nicht in abstrakten Worten, sondern
als konkrete Geschichten. Trainieren Sie die Fähigkeit, jedem Problemfall den zugrundeliegenden Normalfall gegenüberzustellen. Der Problemfall schärft den Blick für das Unübliche! Der Normalfall soll aber zunächst Ihr Prägestock für das Übliche sein! Entwickeln
Sie zu jedem und allem Ihren eigenen farbigen Fall – mit Ihnen als Hauptdarsteller, Ihren
Verwandten, Bekannten und Freunden in den Nebenrollen.
Am Anfang muss immer der kleine überschaubare Normalfall des zu erlernenden Rechtsinstituts die juristische Studentenwelt beherrschen! Nicht der Problemfall! Der „kleine
375
Normalfall“ ist übrigens auch der Fall, der bei der Schaffung der Tatbestandsmerkmale der
Gesetze durch den Gesetzgeber Pate gestanden hat, nicht der Exot, der an oder auf der
Grenze des Gesetzes liegt; liegt er jenseits der Grenze, ist er fast schon der Normalfall des
benachbarten Gesetzes.
Dieser Grenzgänger regiert nun leider in den Lehrsälen und Lehrbüchern nahezu uneingeschränkt. Er gehört für den juristischen Anfänger aber in den Giftschrank! Erinnern Sie
sich an die Sachbeschädigungsfälle zum Einüben des Gutachtenstils? Der mittelmäßige
Dozent beginnt, wenn er überhaupt in die Niederungen eines Falles zur Erläuterung des §
303 StGB herabsteigt, mit dem exotischen Problem, ob es sich bei der sprachlichen Umdressur eines fremden Wellensittichs um Sachbeschädigung handelt oder nicht („Wellensittichumdressierungsfall“) – wir mit dem Normalfall „Zerstechen eines Autoreifens“. Erkennen Sie den Unterschied? Ersterenfalls ist fast jedes Merkmal des Tatbestandes höchst
pathogen (Vogel = Sache?; Umdressur = beschädigen?), zweitenfalls alles stinknormal.
Keinem Medizinstudenten würde es einfallen, das Herz-Kreislauf-System an den Bypassoperationen zu erlernen. Vom Normalfall zum Extremfall geht der Weg – nicht umgekehrt!
Wer allerdings das Pech hat, in der Vorlesung gleich mit einem solchen Fall konfrontiert zu
werden, in dem der minderjährige blinde Passagier in der Lufthansamaschine nach USA
für die Zahlung des Entgelts herhalten muss, sieht die juristische Anfängerwelt mit Problemfällen zugenagelt. Der Normalfall ist Ihre sichere Heimat! Von der können Sie immer
ausgehen, um „draußen“ den Ernstfall zu erproben und zu dem können Sie immer wieder
zurückfinden. Er ist das Basislager für das Ersteigen der juristischen Achttausender.
22. Denken Sie immer über den Einzelfall hinaus
Sie wissen schon im Gegensatz zu anderen: Das eigentliche „Juralernen“ erfasst nie einen
singulären Fall oder ein vereinzeltes Problem, sondern immer auch den Grund für die Fälle
dieser Art, die Einbettung des Problems in den über-, neben- und untergeordneten Systemzusammenhang (Stichwort: Baumdiagramm). Wofür steht dieser Fall Pate? Abstrahieren Sie die Essenz aus dem Fall, aus dem Problem! Suchen Sie die juristische Verallgemeinerung im Speziellen, das Systematische im Zusammenhanglosen. Fragen Sie sich immer:
„Was will mir dieser Fall sagen?“ – „Wie ordne ich die Antworten auf diese Fragen in meine juristischen Landkarten-Baumdiagramme ein?“ Legen Sie die verborgenen gesetzlichen
Zusammenhänge frei! In jedem Problem steckt mehr als das real Anwesende! Denken Sie
das real abwesende, aber potentiell anwesende systematische Ganze immer mehr oder weniger mit. Das „Mehr oder Weniger“ gibt dabei den Ausschlag, ob Sie ein guter oder
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schlechter Juraanfänger werden. Das System ist die Hintergrundstrahlung für jedes juristische Problem. Blicken Sie Blicke: Blick nach oben – Blick nach unten – Blick zur Seite!
23. Lernen Sie nichts auswendig!
Das Auswendiglernen ist auf wörtliches Reproduzieren gerichtet, das in der juristischen
Ausbildung nicht – oder fast nicht – vorkommt. Allenfalls wäre die wortgetreue Wiedergabe einiger grundlegender wichtiger Definitionen im Strafrecht vorstellbar. Studenten, die
mit Sätzen wie „Jura ist Pauken von Gesetzen und Paragraphen“, „Juristerei ist mechanisches Auswendiglernen und Wiederkäuen“, „Jurastudenten sind Subsumtionsidioten und
Paukmaschinen“ daherschwadronieren, offenbaren nichts anderes als ihr totales Unverständnis über das juristische Lernen. Sinnlos lernt ein Student, wenn er auswendig lernend
die Bedeutung des Gelernten nicht begreift.
Es darf nie soweit kommen, dass Sie Ihr juristisches Studium ausschließlich als ein memorierendes Gedächtnisphänomen begreifen, statt sich ständig um den Sinngehalt, die Systeme und das Zusammenhangwissen des Juristenstoffes zu bemühen. Das heißt nun nicht,
dass Sie kein Einzelwissen lernen müssen. Aber bitte immer vor dem Hintergrund der Frage, wofür Sie die Einzelteile einmal im Ganzen des Systems werden gebrauchen können.
Das Hochziel der Gesamtschau ist ohne die Vorbedingung des einzelheitlichen Wissens
nicht zu haben. Einzelwissen ist von Ihnen schlicht zu akzeptieren: Die Bausteine des Zustandekommens eines Vertrages müssen Sie ebenso parat haben, wie die Voraussetzungen
der Anfechtung, die Elemente der Aufrechnung ebenso abrufen können, wie die Tatbestandsmerkmale des Diebstahls oder der Notwehr. Aber eben nicht in Form eines „Quizwissens“ als reines herausgerissenes Benennungswissen oder Faktenwissen (Wann war der
Dreißigjährige Krieg?), sondern immer als Verschränkung zwischen einprägendem und
weiterdenkendem Lernen, um aus den Einzelelementen das Gesamtgefüge aufbauen zu
können. Es wird niemals in einer gekonnten Aufgabenstellung für Sie lauten: Nennen Sie
die Bestandteile eines Vertrages. Oder: Unter welchen Voraussetzungen kann ein Vertragsteil einen Vertrag anfechten? Oder: Was ist ein Verpflichtungsgeschäft? Vielmehr wird von
Ihnen erwartet, aus dem Sachverhalt die Notwendigkeit der Prüfung dieser Einzelteile zu
erkennen und mit einer geschult formenden Kreativität in methodischem Zuwerkegehen
zu einem Ganzen zu verbinden, indem Sie das Gesetz analysieren (sezieren), „knallhart“
subsumieren und alles im Gutachten synthetisieren. Dabei haben Sie gegenüber allen anderen Leidensgenossen in anderen Prüfungen oder Klausuren einen ganz entscheidenden
Vorteil: Sie führen Ihren externen Wissensspeicher ganz offiziell immer bei sich und können nachschauen. Niemand kann ihn Ihnen wegnehmen. Es ist das Gesetz! Alle Tatbe377
standsmerkmale und Rechtsfolgen (ich gebe zu, fast alle), die Sie wissen müssen, stehen
im Gesetz – wenn Sie mit ihm richtig zu arbeiten gelernt haben.
Also: Des „auswendigen“ Lernens sollten Sie sich als Jurastudent schämen! Gerade unsere
juristische Ausbildung ist hier etwa der medizinischen weit überlegen. Auf über 220 Knochen oder 2500 Muskeln kann man eben nicht durch Nachdenken kommen – man muss
sie schlicht registrierend pauken! Die Aufrechnung gem. § 387 ff. BGB aber in ihre Einzelelemente zerlegen, sie sezieren, ihnen die Zunge lösen – diese Komplexität reduzieren und
wieder reproduzieren, das kann man mit Methode und dem Gesetz alleine. Da muss man
nichts „auswendig“ lernen.
24. Üben Sie sich früh in der Lernübertragung!
Juristisches Lernen ist immer auch Transferlernen (lat.: transferre, hinübertragen). Ein
stumpfes Lernen, das auf genaue Reproduktion beschränkt ist, sollte es nicht geben. Ein
Lernkonzept, das davon ausgeht, dass ständiges dressierendes Wiederholen allein schon
irgendwann zum juristischen Erfolg führen wird, ist falsch. Der gute Jurastudent muss lernen, selbst Beziehungen zwischen den Paragraphen herzustellen sowie Gelerntes immer
wieder in unbekanntem Zusammenhang anzuwenden. Er muss eben stets mehr lernen als
er lernt: Durch die Übertragung von Wissen, den Lerntransfer, muss er Systemverständnis
entwickeln. Dieses erfordert, das vorhandene Wissen ständig neu für sich arbeiten zu lassen. Die Erkenntnis, dass etwas Gelerntes übertragen werden kann, ist sicher nicht neu.
Neu ist Ihnen aber vielleicht, dass in der juristischen Ausbildung fast alles nur Transfer ist.
Die primäre Lernsituation zielt immer auf die sekundäre Anwendungssituation im Fall. –
Und jeder Fall ist eben anders! Deshalb müssen Sie sehr früh erkennen, dass jede Ihrer
singulären Lerneinheiten immer über sich hinausweisen muss und auf Anwendung mittels
einer Transferleistung für einen anderen Zusammenhang in einem anderen Fall harrt.
Derjenige, der nur Wissen ohne Anwendungsbezug speichert oder der nur nachahmend
den gleichen Fall in gleicher Weise lösen kann, wird im Examen durchfallen und das zu
Recht. Er wartet auf die gepaukten Fälle A, B und C. Und wenn die Fälle A1, B1 und C1 geprüft werden, muss er passen. Der gute Student lernt nicht ziellos vor sich hin, sondern
dafür, an einem bestimmten Prüfungstag X das gelernte und an Fällen erprobte Wissen in
den Klausuren auf andere, mehr oder weniger ähnliche Fälle übertragen (transferieren) zu
können.
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25. Entwickeln Sie die Jura-Klausurenproblem-Detektoren!
Wir hatten schon festgestellt, dass jede Problemlösung zwei Elemente kennt: die Entscheidung und deren Begründung. Nur: Voraussetzung ist natürlich immer, dass Sie das Problem, um dessen Lösung Sie ringen müssen, überhaupt als solches erkennen. Das Problem
vieler Klausuranten ist: „Ich kenne das Problem (z.B. Anfechtung), habe im Fall aber nicht
erkannt, dass die Erklärung: „Die Sache will ich nicht mehr!“ eine Anfechtungserklärung
war.“ Dafür benötigen Sie die „Jura-Klausuren-Problemdetektoren“! Ohne Problem – keine Lösung – irgendwie logisch. Bei dem Vorgang des Erspürens und Freilegens der Fallprobleme hilft Ihnen ungemein die Beherrschung des Gutachtenstils und der Subsumtionstechnik: Schrittchen vor Schrittchen setzen, und Sie stolpern – fast – von selbst über
die Probleme. Aber eben nicht immer, nur fast! Wenn nicht, müssen Sie sie aufstöbern.
Einen Königsweg für dieses „Findeverfahren“ gibt es nicht – es sei denn, Sie sind der König
der Problementdecker. Aber es gibt sie, diese Spürhunde für Probleme, die sofort den Finger auf der Wunde des Falles haben. Die „Hier-liegt-ein-Problem-Typen“ sind aber selten
– wir sollten nicht davon ausgehen, dass Sie dieser Crème de la crème der Juristen angehören. Wir sollten vielmehr die Annahme zugrunde legen, dass Sie zu jener Kategorie von
Studenten zu zählen sind, die ein solides Repertoire an Begriffen, Methoden, Strategien,
Fällen, Wissen und Können aufbauen müssen, aus dem sie zunächst das Problemerkennen
und dann das Problemlösen schöpfen können. Dieses Arsenal gilt es, durch „Training am
Fall“ aufzurüsten, um es im Ernstfall zu reaktivieren und zu mobilisieren.
Gestatten Sie einen Vergleich aus der Tierwelt. In der Retina (Netzhaut) des Frosches sitzen spezielle Detektoren, die auf bewegte schwarze Punkte reagieren. Funktioniert diese
Hardware, dann fängt der Frosch Fliegen. Wenn nicht, fängt er keine. Sein Sehsystem
passt also entweder gut zur Froschwelt, oder es passt schlecht. Der Sehsinn des Frosches
hat sich augenscheinlich entwickeln können, weil er ihm Handlungen erlaubt, die lebensförderlich sind. Provokant formuliert: Der Fliegendetektor bringt die Froschwelt eigentlich
erst hervor. Auch Sie müssen als Klausurenschreiber in Ihrer „Gehirn-Retina“ spezielle
Detektoren entwickeln, die auf Sachverhaltspunkte in Klausuren reagieren. Funktioniert
diese nur durch Training zu erwerbende Hardware (beim Frosch ist sie genetisch erworben, bei Ihnen leider nicht), dann entschlüsseln Sie die verschlüsselten Sachverhaltsvarianten. Wenn nicht, entschlüsseln Sie sie nicht. Ihr Denksystem passt also entweder gut
zur Klausurensachverhaltswelt, oder es passt schlecht – Sie „fangen“ die Klausurenfliegen
– oder Sie „fangen“ sie nicht. Ihr Klausurantendetektor muss sich entwickeln, weil er Ihnen als Klausurenschreiber Entdeckungen erlaubt, die prädikatsförderlich sind. Auch hier:
Ihr Studentendetektor bringt die Klausurenwelt eigentlich erst hervor. Das Heer der
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„mangelhaft“ und „ausreichend“ benoteten Kandidaten hat diesen „Detektor juristischer
Klausurenprobleme“ nicht oder nicht genügend ausgebildet. Dieser „detektivische Entdecker“ kommt nicht von selbst auf Ihre „juristische Netzhaut“. Er muss sich allmählich entwickeln. Wie? Nur durch konditionierendes Training, durch Schreiben und intensives
Durchmustern von Alt-Klausuren. Der Klausurenersteller mag seinen Sachverhalt konstruieren wie er will – Ihre trainierten Problem-Piloten entdecken die Konstrukte.
26. Können Sie gleichzeitig lachend und wütend aussehen? Das können Sie
nicht!
Reaktionsweisen, die gleichzeitig ausgelöst werden und miteinander unvereinbar sind,
schwächen, ja hemmen sich gegenseitig. Dabei setzt sich die stärkere Reaktion brutal
durch – entweder man lacht oder man ist böse, je nachdem, welches Gefühl die Oberhand
behält. Wissenschaftler sprechen hier vom Prinzip der reziproken Hemmung. Die unterlegene Reaktion wird von dem Kurzzeitgedächtnis geblockt und hat keine Chance, ins Langzeitgedächtnis zu gelangen. Für das juristische Lernen heißt das, dass jede Art starker
emotionaler Erregung, aber auch fehlende Abwechslung im Stoff, die biochemischen Prozesse des Lernens im Gehirn stört und dadurch die für das Lernen notwendige Speicherung des Jurastoffes im Gedächtnis verhindert, ihn sich nicht einlagern lässt.
Sie werden also überhaupt keinen Lernerfolg erzielen, wenn Sie unmittelbar nach einem
Ärger mit Ihrer Familie, Ihrem Freund, Ihrem Dozenten mit dem Lernen beginnen, weil
Ihr Gedächtnis verbarrikadiert ist. Die Barrikade heißt: starke Emotion. Sie lassen den Ärger am besten erst abklingen, um die Lernhemmungen, die ein Behalten beeinträchtigen
und eine Blockade bewirken, auszuschalten. Ein dumpfes, depressives Brüten, das Sie immer missmutiger werden lässt, wäre die notwendige Konsequenz und brächte Sie nicht
weiter! Ihre Kurzzeit- und Ultrakurzzeitgedächtnisfilter lassen nichts zum Langzeitgedächtnis durch. Hier ist es um der Effektivität des juristischen Lernerfolges willen wichtig, Ihre
Arbeitszeitpläne flexibel zu handhaben. Setzen Sie den Stoff einfach vom Tageslernplan ab
und verschieben Sie ihn auf freie Kapazitäten am Wochenende. (Aber: Suchen Sie sich
nicht ständig Ausreden!)
Auch eine direkt nach Ihrem Lernprozess auftretende starke Erregung kann die endgültige
Verdrahtung im Langzeitgedächtnis verhindern und eine noch nicht fest verankerte Information sogar wieder löschen. Haben Sie Ihr Pensum gut gelernt, in der Pause aber mit
Ihrem Freund eine schwere Auseinandersetzung abgewettert, so kann das zum teilweisen
Vergessen des vor dem Krach Gelernten führen. Die sog. retrograde Amnesie, das vollständige Vergessen von Ereignissen, die einem Schock, wie z.B. durch einen Unfall, vorausge380
gangen sind, stellt dieses Phänomen in extremster Form dar. Die Konsequenz? – Lernen
Sie nie bei Liebeskummer!
Interessant für das juristische Lernen ist nun, dass solche hemmenden Blockaden nicht
nur bei affektiven Einflüssen entstehen, sondern besonders auch dann, wenn die hintereinander geschalteten Lerninhalte ähnlich strukturiert und die Lernmethoden gleich sind.
Man spricht hier von sog. „Ähnlichkeitshemmungen“. Haben Sie sich also stundenlang mit
dem BGB-AT beschäftigt, so müssen Sie abbrechen, eine Pause einlegen und mit dem Sachenrecht beginnen. Haben Sie stundenlang theoretischen Stoff des StGB „gefressen“,
müssen Sie abbrechen, eine Pause einlegen und mit einem praktischen Fall beginnen. Sie
müssen sich Abwechslungen in Ihrem Lernprogramm schaffen, indem Sie von der Theorie
auf den praktischen Fall, vom Schuldrecht auf das Familienrecht, vom StGB auf das Sachenrecht wechseln. Tun Sie das nicht, dann werden nachfolgende Lernprozesse durch
vorausgehende behindert, ähnlich strukturierter Lernstoff überlagert sich oder löscht sich
gar aus. Je ähnlicher die Lerninhalte A und B sind, je gleichförmiger Ihre Lernformen und
Lehrmeister daherkommen und je geringer der zeitliche Abstand zwischen den Lerneinheiten ist, desto stärker ist die Hemmung.
Achten Sie darauf, die verschiedenen Gebiete des Lernstoffes auf Ihre Lernzeit so zu verteilen, dass Stoffstrukturen und Konzentrationsgrad variieren! Wechseln Sie die Lernmethode: lesen, wiederholen, Karteikarten, schreiben am eigenen Skript, üben am Fall! Die
Römer wussten: Varietas delectat – Abwechslung erfreut!
27. Aufschieberitis ist die Krankheit, die Studenten hindert, endlich anzufangen. An ihr leidet auch die Mehrheit der Jurastudenten.
Besonders gefährdet sind gerade Studenten des Anfangs, weil ihnen ihr Studium grundsätzlich viele Freiheiten lässt. Das ist das Spiel „Die Schöne und das Biest“. Die „Schöne“
ist die akademische Freiheit, das „Biest“ ist das ständig schlechte Gewissen während der
aufschiebenden Tätigkeit, denn „eigentlich müsste ich ja noch ...“ Die Symptome sind: Die
Wochen- und Tagespläne trudeln. Die Selbstachtung sinkt, weil man ständig gegen die eigenen Lern-Vorsätze verstößt. Man fühlt sich mehr und mehr von den Kommilitonen abgekoppelt. Der Stoff türmt sich zu unüberwindbaren Bergen. Das alles lässt die Lerninhalte
als noch höhere Klippen erscheinen und ist eben die Folter für die bummelnden Studenten: der nagende Gewissenswurm. Beruhigungsstrategien helfen nicht weiter. Sie trösten
zwar Ihr Ego, bringen Sie aber keinen Zentimeter voran. Akademische studentische Freiheit setzt immer voraus, dass man zur Freiheit fähig ist. Und Freiheit bedeutet, Freiheit zur
Entscheidung! Nutzen Sie Ihre Freiheit und entscheiden Sie sich möglichst schnell für ei381
nen „verfassten und disziplinierten studentischen Lernalltag“! Keine „Aufschieberitis“!
Gegen „Aufschieberitis“ hilft ausschließlich: Disziplin und Pünktlichkeit beim Einhalten
des „Tagesplans“. Das Gefühl, in der Zeit zu sein, bildet die mächtigste Barriere gegen Aufschiebetendenzen. Und dieses Gefühl wird gespeist von der Medizin der Wochen- und Arbeitstagstruktur. Statt mit viel Mühe nichts zu schaffen, sollte man schnell den Umgang
mit sich beim Lernen lernen. Anders geht es leider nicht! Am Anfang hilft schon die Erkenntnis, dass man sich nur kurz überwinden muss, um mit der Arbeit zu beginnen. Ansonsten droht schnell das Scheitern im Erstsemester.
28. Werfen Sie die juristische Flinte nicht zu früh ins Korn!
Geben Sie nicht zu früh auf! Eine Eingewöhnungsphase in die fremde Juristerei von einigen Monaten ist durchweg normal. Eine Studienkrise, ein Motivationsloch hat jeder einmal.
29. Der alte schulische A.D.A.M. (alles durch Anweisung machen) ist tot!
Es lebe die akademisch mündige E.V.A. (eigen-verantwortliches Aneignen). Werden Sie
der aktive Anpacker Ihrer juristischen Ausbildung.
Zum Schluss dieser Tipps zum Lernen zwei gute Ratschläge:
Erstens: Grübeln Sie nicht lange darüber nach, ob Sie ein Morgenmensch oder ein
Abendmensch sind. Das ist alles Quatsch. Stehen Sie immer zur gleichen Zeit auf, es ist
ganz einfach ein Gewöhnungsprozess. Das Aufstehen fällt immer schwer: Die Tag-NachtWippe lädt immer zum Weiterschlafen ein.
Zweitens: Vermeiden Sie den Gedanken: „Es wird schon klappen!“ Von alleine klappt es
nicht im Jurastudium, sondern lernen Sie ernsthaft zu lernen!
4.2 Wie man feststellt, was für ein Lerntyp man ist
Suchen Sie Ihren individuellen Lerntyp in sich selbst und die entsprechende juristische
Passung außerhalb Ihrer selbst. Sie werden Ihr Lernen optimieren, wenn der Ihnen eigene
Lehrmeister in Form von Dozent und Lehrbuch auf das Ihnen eigene Lernmuster trifft.
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Der Studienerfolg hängt auch von der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung Ihrer Lernmethoden mit Ihrem Lerntyp ab. Für jeden Studenten ist jede Art des Lernens
möglich, doch die Fähigkeiten zu den einzelnen Arten sind verschieden stark ausgebildet.
Die für die Lernwelt des Jurastudenten maßgeblichen Lernwege Hören (Vorlesung), Sehen
durch Lesen (Lehrbuch/Skript), aktives Tun (Fallstudien) und die daraus resultierenden
Lerntypen kommen in reiner Form nie vor. In jedem Studenten sind immer alle drei Anlagen vorhanden. Sicher wissen Sie von der Schule her, zu welchem Lerntyp Sie neigen, welche Lernkanäle Sie am liebsten benutzen und welche Lernarten Ihnen den größten Erfolg
gebracht haben. Aber gilt das auch für die Uni?
Der Jurastudent (wie jeder Student) lernt immer von einem „Partner“, sei es vom „vorlesenden“ Professor, sei es vom geschriebenen Text, sei es vom erklärenden Kommilitonen,
sei es vom Repetitor, sei es von Softwareprogrammen. Immer dann lernen Sie am besten,
wenn Sie in diesem „Partner“ sich selbst wiedererkennen, sich in ihm spiegeln können.
Ganz einfach: Wenn Ihr Lernweg mit dem Lernweg des „Lern-Partners“ kompatibel ist.
Sind Sie der mehr optisch-visuelle Jurafallbeispiellerntyp, dann werden Sie die Seiten über
das „Abstraktionsprinzip“ (siehe Bd. II – BGB) leicht erfasst haben. Der gleiche Informationsinhalt kann bei Ihnen aber ungeahnte Lernprobleme auslösen, wenn er Ihnen abstrakt/verbal/ formelhaft dargeboten wird. Der Lerninhalt kann also ganz unabhängig von
seinem Schwierigkeitsgrad je nach der Art seines Lernangebotsmusters auf Ihr persönlichindividuelles Lernannahmemuster passen - oder eben nicht. Ihr Lernschlüssel passt auf
das Lernschloss - oder nicht.
Wie jemand lernt, wird bestimmt durch seine Persönlichkeit: Denn Lernen findet immer
im Rahmen der Persönlichkeit des Studenten statt. Die Art seines individuellen Wahrnehmens, Denkens, Fühlens, Wollens und Handelns, seiner Sekundärtugenden sowie seiner
Bindungs- und Kommunikationsfähigkeit bildet den Maßstab.
Doch wie bestimmt man seine Persönlichkeit als Student innerhalb dieses Rahmens?
Drei Lehren werden zum Wesen der Persönlichkeit angeboten:
1. Die alte Lehre von den vier Temperamenten, welche seit dem Altertum die Einteilung
in vier Grundpersönlichkeiten vornimmt, kennt
den aufbrausenden Choleriker,
383
den trübsinnigen Melancholiker,
den trägen Phlegmatiker,
den lebhaften Sanguiniker.
2. Die Lehre vom Mosaik vieler einzelner Persönlichkeitsmerkmale begreift das Wesen
der Persönlichkeit nicht anhand starrer Typen, sondern anhand von „Mehr-oder-WenigerGrößen“. Menschen unterscheiden sich dann im individuellen Ausprägungsgrad relevanter
Persönlichkeitsmerkmale. Der Student muss sich also fragen: „Bin ich jemand, der mehr
oder weniger von etwas hat oder ist?“ Mehr oder weniger an:
Extraversion (auf die Außenwelt gerichtetes Denken, Handeln und Fühlen): mehr gesprächig, bestimmt, aktiv, energisch, offen, dominant, enthusiastisch, sozial, abenteuerlustig, gesellig oder mehr still, scheu, reserviert, zurückgezogen, eben „introvertiert“
Verträglichkeit: mehr mitfühlend, nett, bewundernd, herzlich, weichherzig, warm,
großzügig, vertrauensvoll, hilfsbereit, nachsichtig, freundlich, kooperativ, feinfühlig
oder mehr kalt, unfreundlich, streitsüchtig, hartherzig, grausam, undankbar, geizig
Gewissenhaftigkeit: mehr organisiert, sorgfältig, planend, effektiv, verantwortungsvoll,
zuverlässig, genau, praktisch, vorsichtig, überlegt oder mehr: sorglos, unordentlich,
leichtsinnig, unverantwortlich, oberflächlich, vergesslich, unzuverlässig
Offenheit: mehr breit interessiert, einfallsreich, phantasievoll, intelligent (!), originell,
wissbegierig, intellektuell, künstlerisch, gescheit, erfinderisch, geistreich, ein bisschen
weise oder mehr gewöhnlich, einseitig interessiert, einfach, ohne Tiefgang, einfallslos
3. Nach der modernen Lehre von den weitgehend genetisch determinierten Temperamenten werden drei Typen unterschieden:
Erlebnishungertypus: Dieser Studententyp ist charakterisiert durch ein ständiges Bedürfnis nach Abwechslung, nach neuen und neuartigen Erlebnissen und die Bereitschaft, zu deren Erlangung Risiken einzugehen, sowie durch mangelnde Ausdauer, zu
frühes Aufgeben, wenn der Erfolg sich nicht schnell einstellt.
Frustrationsvermeidungstypus: Dieses Temperament ist verbunden mit großer Angst
vor Misserfolgen und dem Ausbleiben von belohnendem Erfolg sowie mit einer Abneigung gegenüber neuartigen Dingen.
Belohnungsabhängigkeitstypus: Er ist bestimmt durch eine hohe Empfänglichkeit für
bzw. Abhängigkeit von Belohnungen und durch eine starke Resistenz dieses Verhaltens
gegen Misserfolge, ihm fehlt ein entsprechend hohes Durchhaltevermögen, er zeigt eine
hohe Emotionalität und ein hohes Bedürfnis nach Gesellschaft.
384
Erkennen Sie Ihre eigene Persönlichkeit? Erkennen Sie Ihre persönlichen Stärken und
Schwächen? Den nur positiven Typ gibt es so wenig wie den nur negativen Typ. Auf die
individuelle Mischung kommt es an, auch für das juristische Studium.
Leider sind die meisten der Vorlesungen und Lehrbücher auf den Studenten zugeschnitten, der abstrakt/ verbal den Inhalt am ehesten erfasst. Die Frage ist nur: Gibt es diesen
Studenten überhaupt in Reinkultur? Auf alle Fälle ist er nicht der Regelfall. Deshalb sind
die meisten der existierenden Lehrbücher und Vorlesungen an nicht existierenden
Grundmustern des Lernens orientiert und sind damit letztlich desorientiert.
Geht nun der Student, der das Verstehen mehr in Kommunikation, im Austausch von Argument und Gegenargument, im Fallbeispiel, in graphischen Darstellungen und Skizzen,
im Anfassen und Fühlen von Baumdiagrammen sucht, in eine auf höchstem Sprachniveau
mit höchster Abstraktion gespickte Vorlesung oder liest er ein entsprechendes Buch, so
tritt folgendes ein: Er ist verwirrt, fühlt sich als Dummer, glaubt, dass er unbegabt und unfähig ist, hat Angst, Frust und Depressionen - er verzweifelt an sich - Endstation: Studienabbruch.
Falsch! Machen Sie sich dagegen folgendes klar:
Treffen Sie auf ein Lehrbuch, das Ihnen unverständlich ist, stellen Sie es in das Regal
zurück! Erschließen Sie sich den Inhalt mit einem anderen Schlüssel!
Treffen Sie auf eine Vorlesung, die abstrakt, monoton, ohne erkennbare Führung, hochkompliziert daherflaniert – verlassen Sie den Hörsaal! Schauen Sie einmal bei einem
Repetitor vorbei!
Wenn Sie die Sprache oder der Text verwirren, muss es nicht an Ihnen liegen. Die Unfähigkeit des Autors oder Vortragenden, sich verständlich auszudrücken, einfach und unkompliziert zu formulieren, lebendig darzustellen, kann die Ursache sein. Nicht Sie
müssen der Dumme sein, sondern es kann an dem Medium liegen.
Auch hier gilt: Erkennen Sie sich selbst! Versuchen Sie möglichst schnell herauszufinden,
was Sie für ein Lerntyp sind und was bei Ihnen speziell einen guten Lernerfolg erzeugt und
was nicht. Laufen Sie nicht der Masse hinterher. Was für die einen richtig ist, kann für Sie
lernbehindernd sein. Suchen Sie sich am Anfang Ihrer Ausbildung Texte und Dozenten,
die veranschaulichen, die sich am Fall orientieren (am Normalfall!), die die Gesetzesinhalte nicht abstrahieren, sondern in Aktion beschreiben, die strukturieren, Ihre Sprache spre385
chen, die Sie zum echten Gesprächspartner machen. Suchen Sie Dozenten, die in Ihnen
Neugier, Staunen und Begeisterung für die Juristerei wecken, suchen Sie nach einem
Lehrbuch, das eine Beziehung zum Leben herstellt, möglichst viele Lernkanäle anzapft und
Ihre wichtigsten Gehirn- und Hormonfunktionen anspricht.
4.3 Wie man seinen Studienalltag planen sollte
Sie erinnern sich: Man will wieder anfangen zu joggen, besorgt sich neue Laufschuhe, kann
es kaum erwarten, endlich loszulegen. Die Strecke, die man sich vornimmt, ist jedoch viel
zu lang, man will mit einem Lauf gleich hundert versäumte Läufe wieder gutmachen. Man
bekommt Seitenstechen, beißt die Zähne zusammen, muss sich Meter für Meter ins Ziel
quälen. Endlich! Statt sich über einen kleinen Erfolg freuen zu können, denkt man mit
Verdruss an das nächste „Jogging“ und sucht bald nach einer plausiblen Ausrede, warum
es besser ist, auf die Joggerei gleich ganz zu verzichten. Die Neigung zum Nichtstun wird,
wie die Psychologen sagen, „rationalisiert“, d.h. es wird mit „guten Gründen“ erklärt, warum man nicht joggt und damit werden vor sich selbst und anderen die wahren Ursachen
verborgen. Die Ursachen sind klar: falsche Selbsteinschätzung, Überforderung, zu hoch
gesteckte Ziele. Setzen Sie statt „joggen“ „lernen“ ein und Sie erkennen die Parallelität.
Wie Sie Ihren Arbeitsplatz gestalten, ist eine Frage Ihres persönlichen Geschmacks. Wie
Sie Ihre Arbeitsplanung vornehmen und Ihre Arbeitszeit einteilen nicht: Dafür gibt es Regeln und Rezepte. Die Schicksalsfrage des Jurastudenten scheint zu sein, ob und in welchem Maße es seiner Studentenkultur möglichst frühzeitig gelingt, der Störung seines Studienalltags durch fehlende Planung, Struktur und Lernbereitschaft sowie träge Sekundärtugendresistenz Herr zu werden. Sich zu organisieren ist nicht immer einfach. Denn im
Jurastudium gibt es nur wenige feste Strukturen. Man muss sie selbst schaffen durch
Selbstorganisation: Vorlesungsoptimierung, Vor- und Nachbereitung, Studienpläne, Lehrphasen, Lernphasen, Klausurentraining, Hausarbeit. Irgendwann kommt jeder erfolgreiche
Student zu der Einsicht, dass zum richtigen Studieren neben den Prozessen der juristischen Informationsverarbeitung und -gewinnung in den Lehrsälen und aus den Lehrbüchern auch so profane Dinge gehören wie:
Strukturierung des Arbeitstages und des eigenen Studierbetriebes sowie
Disziplin und Ordnung bei der Einteilung und Einhaltung der Arbeitszeit.
386
Wischen Sie diese disziplinären Bedingungen, die großen Einfluss auf Ihre juristischen
Studienleistungen haben, nicht gleich zur Seite. Patentrezepte gibt es nicht, aber es gibt ein
Prinzip und das heißt: verantwortliches Studieren.
Die disziplinierte Ordnung entscheidet durch eine einmalige zeitliche Einrichtung (Studientag/Studienwoche/Semester) wann, wo und wie Jura gelehrt und gelernt wird. Sie ist
eine Art Wiederholungszwang und ermöglicht Ihnen die beste Ausnutzung Ihrer Zeit, während sie Ihre psychischen Kräfte schont, indem sie Ihnen in jedem gleichen Falle Zögern,
Schwanken und Zweifeln erspart. Man könnte erwarten, dass sich bei den Jurastudenten
von Beginn an die Wohltaten der Disziplin und Ordnung durchsetzen und ist immer wieder
erstaunt, dass der Student einen fast natürlichen Hang zur Nachlässigkeit, Unordnung und
Unregelmäßigkeit an den leider meist unverfassten Studentenalltag legt und sich erst mühsam an eine zeitliche Tagesordnung gewöhnt.
Da der kluge Jurastudent weiß, dass er nicht über unbegrenzte Quantitäten psychischer
Energie verfügt, folgt er dem Zwang der energieökonomischen Notwendigkeit: Er erledigt
seine Studienaufgaben durch zweckmäßige Verteilung seiner Energien. Er plant Handlungsabläufe deshalb strategischer als bisher, geht Bündnisse mit seinen Lern- und Lehrmedien ein und gibt seinem Arbeitsalltag mehr und mehr eine Ordnung, hochtrabend: eine
Verfassung!
Der Arbeitstag muss eine Struktur bekommen, eine Rahmung, keine Beliebigkeit, heute
dies und morgen das, mal so und mal anders. Der Alltag wird von Routinen getragen. Das
notwendige aufmerksame Lernen ist eine Frage des Einübens. Und: Es ist eine enorme
Anstrengung, es muss zeitlich begrenzt und durch Pausen entlastet werden. Wenn Sie sich
für eine bestimmte Studienplanung entschieden haben, müssen Sie diese dann konsequent
einüben. Bis Ihnen Ihr täglicher Lernrhythmus zur Gewohnheit wird, müssen Sie mit einer
längeren Trainingszeit rechnen. Das Bedürfnis nach dem Lernen darf nicht nur wie ein
Gast auftreten, der plötzlich bei einem erscheint und nach seiner Abreise lange nichts mehr
von sich hören lässt, sondern muss sich als Dauermieter bei Ihnen einquartieren. Das ist
hart – aber nicht zu ändern.
Der gute Vorsatz, die schnelle Begeisterung enden leider zu häufig in einem Strohfeuer. Sie
müssen sich Handlungsstrategien schaffen, die Ihre Lernstimmung und Lernhaltung für
das Juralernen stimulieren.
387
Lernstörungen liegt oft ein Teufelskreis zugrunde: Fehlplanung Verdrängung Ablenkung Frust Selbstzweifel Selbstbestrafung durch strengere und noch unrealistischere (Fehl-)Neuplanung (immer wieder!) Versagensängste Vermeidung Stillstand Studienabbruch Scheitern!
Dagegen hilft: P.O.K.E.R ! Und Sie sind König in Ihrem Lernreich!
Planen Sie
Organisieren Sie
Kontrollieren Sie
Ihr juristisches Lernen!
Entlohnen Sie sich für
Rhythmisieren Sie
„Pokern“ Sie mit! Dann bekommen Sie auch kein juristisches Seitenstechen und brauchen
nicht irrationale Rechtfertigungen zu suchen, warum es besser sei, auf das Lernen gleich
ganz zu verzichten. Um bei der juristischen Stoffmenge nicht zu resignieren, muss man
sich die Arbeit in Fernziele, Nahziele und Feinziele aufteilen, kurz-, mittel- und langfristig
denken und planen. Kein Radprofi käme auf die Idee, die „Tour de France“ in einem Stück
abzufahren.
Fernziel ist das Bestehen der Prüfung: Die ist noch weit, weit weg.
Nahziele sind Ihre begleitenden Semesterleistungskontrollen: Die sind schon näher.
Feinziele sind Ihre Tagesetappen: Die sind die jetzt entscheidenden Zeiteinheiten.
Auf diese Tagesetappen kommt es entscheidend an. Sie müssen sich überlegen, wie sich Ihr
Tagespensum (lat.: pensum, das Abgewogene) in sinnvolle und überschaubare Portionen
einteilen lässt. Abwägen und gewichten müssen Sie Ihren Tageslernstoff, das bringt Erfolg
und damit motivierende Freude. Ein solches portioniertes Lernen wirkt wie ein Verstärker,
denn Ihr Lernen wird nicht nur erfreulicher, sondern auch wirksamer, weil es aus einer
Kette von Erfolgserlebnissen besteht. Jeder Tagesetappensieg belohnt Sie innerlich. Kein
Student darf am Abend so ins Bett gehen, wie er am Morgen aufgestanden ist – er muss
schlauer geworden sein. Lernerfolge erhöhen die Lust an der Juristerei am meisten und
heben die Stimmung; sie sind die größten Motivatoren. So entsteht gleichsam von Stunde
zu Stunde, von Tag zu Tag eine Kettenreaktion von Erfolg zu Erfolg, bei der sich Ihr Lernen
von selbst belohnt.
Klar, auch Misserfolge werden sich einstellen: Das Pensum war zu schwer, das Etappenziel
zu weit entfernt. Unter keinen Umständen verbohren Sie sich aber in Ihren Misserfolg.
388
Solch ein Verhalten senkt die Motivation auf den Gefrierpunkt und vermiest Ihnen den
ganzen restlichen Tag. Weglegen! Mut zur Lücke im Tagespensum! Am nächsten Tag mit
neuer Kraft (und vielleicht neuem Medium?) zu neuen Taten. Mit den verdaulichen Tagesportionen nehmen Sie Ihrem Tagesablauf etwas von seinem „Wurschtel-Charakter“.
Schenken Sie sich im Übrigen reinen Wein ein: Sie müssen es ganz einfach einsehen, dass
eine verfasste Tageseinteilung richtig, sinnvoll und nützlich ist – und: kleine Erfolge für Sie
bereithält. „Ich habe in der von mir selbst gesetzten Lerneinheit etwas gelernt.“ „Ich kann
jetzt mehr als vorher“.
Die Menge Ihrer investierten Studier-Zeit und Energie muss in einer bestmöglichen Relation zum erzielten Studienerfolg stehen. Zeitpläne sind Hilfsmittel zur Strukturierung des
effektiven Studierens. Sie müssen lernzielorientiert und nachprüfbar sein.
Zeit verrinnt unwiederbringlich. Optimales Lernen gelingt nur im optimalen Umgang mit
der Zeit. Unverständliche Vorlesungen abzusitzen, die nichts bringen, außer dem Scheingefühl, etwas getan zu haben, 30 Lehrbuchseiten, die nicht über den Arbeitsspeicher im Gehirn hinauskommen, aber das falsche Gefühl geben, gelernt zu haben, sind kein effektiver
Umgang mit der Zeit.
Die über einem Jurastudenten zu Beginn hereinbrechende Informationsflut besteht, wie
gesagt, im Wesentlichen aus vier Rechtsgebieten, nämlich
dem Privatrecht (BGB),
dem Strafrecht (StGB),
dem Öffentlichen Recht (Verf.R)
und ... dem Rest.
Diese Vierteilung bestimmt die Ausbildung und das Denken der Juristen und will im Tagesrhythmus unter den studentischen Hut gebracht werden.
Es empfehlen sich für Ihr Zeitmanagement die folgenden Grobplanungen, die Sie beliebig
ausfüllen können. Haken Sie die erledigten Gebiete und durchlaufenen Stunden ab. Das
bringt Erfolgserlebnisse! Jeder Studientag sollte als eine Einheit inszeniert werden. Sie
müssen Ihre Pläne zu Ihren eigenen Instrumenten machen!
389
Tagesplanziel
Fach
Stunde
8 – 10
BGB
StGB
REST
Thema/Lehrbuch
Thema/Lehrbuch
Thema/Lehrbuch
10 – 12
12 – 14
14 – 16
16 – 18
18 – 20
Kontrolle:
Ist-Soll-Vergleich
Ist-Soll-Vergleich
Ist-Soll-Vergleich
Wochenplanziel
Fach
Tag
BGB
StGB
REST
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Samstag
Sonntag
Kontrolle:
Minimum
¼
Wochenende
Ist-Soll-Vergleich
Ist-Soll-Vergleich
Ist-Soll-Vergleich
Das Wochenende darf nicht ausschließlich Freizeit sein. Zerlegen Sie Ihr Wochenende in
vier Einheiten: Samstag Vormittag, Samstag Nachmittag, Sonntag Vormittag, Sonntag
Nachmittag. Ein Viertel dieser Wochenendzeit müssen Sie mindestens (Minimum) für die
Arbeit zur Verfügung stellen. Nutzen Sie sie als Pufferzeit zur Nachholung von Lernausfallzeiten in der Woche. So vermeiden Sie Unlustgefühle, die auftauchen, weil Sie Ihren Wochenplan nicht eingehalten und Ihre Lernziele nicht erreicht haben. Den „Idealplan“ kann
man eben nicht einhalten. Wohl aber von vornherein einen „Realplan“. Sollte sich auch
dieser Realplan einmal als undurchführbar erweisen, so verlegen Sie das Lernen des ausgefallenen Stoffes auf die Wochenendeinheit.
Im Übrigen dient das „Minimum 1/4“ der Wiederholung. Je weiter Ihr Lernprozess fortschreitet, desto mehr „Viertele“ werden Sie opfern müssen.
390
Entwickeln Sie für sich ein „Studienalltag-Optimierungs-Programm“!
Der Tagesplan soll Ihnen den entscheidenden Erfolg für die allmähliche Entwicklung
Ihres individuellen Lernverhaltens ermöglichen.
Der Wochenplan soll Ihnen helfen, die juristischen Tätigkeitsschwerpunkte für die fünfeinhalb Tage festzulegen, zu planen und zu kontrollieren.
Beide „Pläne“ müssen mit Ihren Freizeitinteressen und anderweitigen Verpflichtungen
abgestimmt und realistisch gewichtet werden.
Der beste Masterplan taugt allerdings nichts, wenn er in der Schreibtischschublade verschwindet.
Streben Sie eine Rhythmisierung an! Aus einer Regelmäßigkeit entwickelt sich eine
günstige Lerngewohnheit (Automatisierung).
Haben Sie Ihr Soll einmal nicht erreicht, sind Sie noch lange kein Versager, sondern ein
„Nächstes-Mal-mach-ich-es-besser-Typ“.
Entwickeln Sie eine Art von „Jobmentalität“! Sie sollten sich mehr als Manager Ihres
kleinen „Unternehmens Jura“ mit Projekten und festen Arbeitszeiten verstehen.
Machen Sie sich keine Illusionen! Man soll seine Vorausplanungen und Präparationen
nicht überschätzen.
 Rechnen Sie eher mit einem Minimum an verfügbarer Zeit (Zeitfresser lauern
überall)!
 Rechnen Sie eher mit einer abgeschwächten Motivation Ihrerseits (alles andere ist ja
dringender)!
 Rechnen Sie eher mit einer schmalen Palette verfügbaren, behaltenen Wissens (alles
schon wieder vergessen)! Der Kampf gegen das Vergessen ist noch nicht gewonnen!
 Rechnen Sie eher mit weniger pädagogischer und didaktischer Kompetenz Ihrer Lehrmeister (versteh ich nicht)!
Machen Sie keine Sonntagsplanung, sondern eine Alltagsplanung!
Eine realistische Arbeitseinteilung schafft motivierende Erfolgserlebnisse. Eine unrealistische Arbeitseinteilung verfehlt die überzogenen Ziele und ist damit demotivierend und
entmutigend.
Im Gegensatz zu manch einem studentischen Vorurteil: Zeitpläne schaffen Freiräume
und verstopfen sie nicht.
Sie sollten Ihre Zeitpläne in ein Ringbuch heften. Das bringt Ihnen die notwendige
Kontrolle.
391
Sie müssen Ihre Planvorgaben abschließen! Immer wieder neu anzufangen, bringt
nichts.
Die Pläne sollten Sie an Ihren Lerntyp anpassen: Tagmensch – Nachtarbeiter, Lerche
oder Eule
Wichtig ist, dass Sie Ihren Studienalltag diszipliniert ausfüllen und ihn in Lerneinheiten
einteilen. Das unterscheidet Ihren erfolgreichen Lern-Tag vom erfolglosen zufälligen Lernen.
4.4. Was das wichtigste Kapital des Studenten ist: Sein Erinnerungsvermögen
Der Kampf ums Lernen ist immer gleichzeitig ein Kampf ums Speichern von „Etwas“. Und
ein Kampf gegen das Vergessen. Und ein Kampf für das Erinnerungsvermögen!
Zur effektiven Speicherung von Informationen haben Sie als Student neben Ihren externen
Speichern der Gesetzestexte im „Schönfelder“, in Büchern, Kommentaren und Mitschriften
– wie jeder andere Organismus auch – zwei interne Informationsspeicher, nämlich Ihr
Genom und Ihr Gedächtnis. Ihr Genom können wir hier vernachlässigen, es ist angeboren
und verkörpert die Ihnen durch Vererbung mitgegebenen Informationen: Dazu gehört Jura sicher nicht!
Ihr Gedächtnis dagegen entsteht im Laufe Ihrer Individualgeschichte. Es ist Ihr Erinnerungsvermögen, Ihr ganz spezielles Denken an früher Geschehenes und Erfahrungen in
Ihrem Leben: Man spricht von – Lernen. Beim Menschen gibt es Lernen durch das Sammeln eigener Erkenntnisse und durch die Übernahme fremder Erkenntnisse: Dazu gehört
nun Jura sehr wohl!
Da juristische Kenntnisse und Fähigkeiten beim Menschen nun einmal nicht vererbt werden, muss das richtige Lernverhalten zum Lernen von Jura und juristischer Klausurentechnik in jedem Studentenleben neu erworben, das heißt gelernt werden. Jurastudenten
sind Gedankensammler! Schon das „Lesen“, diese Uraktivität des Studenten, ist eine Art
Sammeln. Beide Wörter, „Lesen“ und „Sammeln“ bedeuten ursprünglich ohnehin dasselbe, nämlich das Heraussortieren von Dingen, die es wert sind, aufbewahrt zu werden.
Noch heute wird von der „Weinlese“ gesprochen. Und eine Art juristischer Weinlese ist
auch das Sammeln der Gedanken eines Lehrbuches oder einer Vorlesung. Der Student
392
wandert durch die Worte des Dozenten oder die Zeilen eines Lehrbuches wie durch einen
Weinberg und sammelt hier und da unterwegs geistige Früchte: juristische Gedanken.
Für den Studenten gibt es im Laufe des Jurastudiums zwei Arten von Gedankensammlungen:
Die Gedanken, die er sammelt, weil er sie durch eigenes Nachdenken erschlossen hat.
Die Gedanken, die er sammelt, weil sie ihm fremde Autoritäten gesagt haben.
Seit langer Zeit genießen die Gedanken der ersten Sorte ein besonders hohes Prestige.
Leonardo da Vincis kühnem Satz, der die Rechtfertigung für alles freie Denken enthält,
kann man sich hörbar seufzend nur anschließen: „Wer im Streite der (juristischen) Meinungen sich auf die (juristische) Autorität beruft, der arbeitet mit seinem Gedächtnis anstatt mit seinem Verstand.“ Für einen jungen Jurastudenten ist es aber entgegen dem großen Leonardo sehr vernünftig, wenn er zunächst fremde Gedanken von Autoritäten sammelt und diese juristische Gedankenernte als Jurawissen in die Scheuer seines Gedächtnisses einfährt.
Beginnen müsste deshalb alles mit den Fragen: Was ist ein Gedächtnis? – Wie arbeitet ein
Gedächtnis? – Wie kommt Jura in dieses Gedächtnis? – Was muss von Jura in dieses Gedächtnis? – Und enden müsste alles mit der wichtigsten aller Fragen: Wie bleibt Jura in
diesem Gedächtnis?
In Ihr Gedächtnis führen zwei Eingänge für das juristische Lernen. Die Lerntheoretiker
unterscheiden zwischen den Lernkanälen Hören und Sehen. Sie lernen also über die Sinne
„Ohr“ – Vorlesung – und „Auge“ – Lehrbuch – nach gehörten oder geschriebenen Worten
und Bildern. Die weiteren drei Sinne Fühlen, Riechen und Schmecken spielen nur atmosphärische Helferrollen beim Lernen, der „sechste“ Sinn hilft manchmal vor der Klausur als
der berühmte „richtige Riecher“ ihres Inhalts.
Ihr Ziel muss es nunmehr sein, das, was Sie an Informationen über Ihr Vorlesungs-Ohr
und Ihr Lehrbuch-Auge aufnehmen, so schnell wie möglich in Ihr Gedächtnis zu transportieren und in Ihrem „Jura-Langzeitgedächtnis“ so dauerhaft wie möglich derart zu verankern, dass es Ihnen im entscheidenden Moment der Klausur jederzeit einsprungbereit und
abrufbar zur Verfügung steht. „Fix“ (dauerhaft) und „fertig“ (abrufbereit) muss Jura in Ihr
Gedächtnis!
393
Trotz Computerdateien und Computerdokumentationen gibt es Situationen, in denen juristische Informationen zu einem Zeitpunkt abgerufen werden müssen, zu dem eben keine
Möglichkeit externer Speicherabrufung nutzbar zur Verfügung steht, für Sie als Jurastudent die naheliegendsten: Klausuren und Examen! Hier müssen Sie sich ausschließlich auf
Ihr Gedächtnis verlassen – Ihren internen Jura-Speicher. Wissen „so mir nichts dir nichts“
abzurufen per Mouseklick aus externem Speicher – wäre zwar schön, aber klappt in der
Klausur eben nicht.
Sie haben, wie jeder Mensch, drei Gedächtnisstufen zum Speichern. Bevor eine der wichtigen juristischen Informationen (ein Vertrag kommt zustande durch ...; Notwehr setzt voraus ...) in Ihrem Langzeitgedächtnis abgespeichert werden kann, trifft sie zunächst auf Ihr
Ultrakurzzeitgedächtnis (UKZG). Dieser Gedächtnisteil hat nur eine einzige Funktion: Er
entscheidet darüber, ob die Nachricht für Sie wichtig oder unwichtig ist. Kommt er zu dem
Ergebnis „wichtig“, leitet er sie weiter an Ihr Kurzzeitgedächtnis, wo sie erneut abgeprüft
wird, bevor sie an den beiden Türstehern vorbei endgültig ins Langzeitgedächtnis gelangt.
Kommen Ihre Kurzzeitgedächtnisse als Wächter zu dem Ergebnis „unwichtig“, dann wird
die Information respektlos gelöscht, sie kommt nicht ins Langzeitgedächtnis. Die Folge ist,
dass Sie sich nie mehr an diese vielleicht doch „wichtige“ Nachricht (Vertrag; Notwehr)
erinnern können.
Beide Kurzzeitgedächtnisse müssen von Ihnen nun überwunden werden, wenn Sie beim
Lernen des „Zustandekommens eines Vertrages“ oder der „Notwehr“ Erfolg haben wollen.
Was kann man nun dafür tun, dass das Kurzzeitgedächtnis nichts Wichtiges wegfiltert und
nicht blockiert, die Barrieren vor dem Langzeitgedächtnis überwunden werden?
Die Kurzzeitgedächtnisse arbeiten unerbittlich, um als Filter und Barriere Ihr Gehirn vor
einer Informationsüberflutung zu schützen. Wenn Sie jede Information, die Sie z.B. als
Autofahrer benötigen, um unfallfrei zur Hochschule zu gelangen (Auto von rechts, Auto
von links, Ampel auf Rot, Fußgänger von vorn) nicht sofort nach Gebrauch wieder löschen
würden, wäre Ihr Gehirn mit einem Ballast nunmehr nutzloser Informationen zugemauert.
Sie führen gegen den nächstbesten Baum! Das Löschen und Rausschmeißen haben die
Funktion, Ihre begrenzten Speicherkapazitäten wieder freizumachen. Ihr Kurzzeitgedächtnis (KZG) hat nämlich nur ein sehr begrenztes Fassungsvermögen.
394
KZG
KZG
KZG
weg
Wahrnehmung tritt ein
Wahrnehmung: „unwichtig“
Wahrnehmung wird gelöscht
Das so überlebensnotwendige löschende Vergessen ist nun für Sie als lernender Jurastudent leider sehr nachteilig. Die beschränkte Aufnahmekapazität der Kurzzeitgedächtnisse
drängt nämlich respektlos auch auf das Vergessen des juristisch Gelernten in der „Absicht“, durch das Rausschmeißen der Voraussetzungen des „Zustandekommens eines Vertrages“ oder der „Notwehr“ Platz zu schaffen für die „Anfechtung dieses Vertrages“ oder
den „Notstand“. Sie sehen: Was Sie als Lebewesen davor bewahrt, gegen den Baum zu fahren, führt bei Ihnen als Student genau dazu, dass Sie gegen den Baum fahren: Der Baum
heißt in unserem Zusammenhang Misserfolg in Klausur und Examen durch Vergessen!
Das Kurzzeitgedächtnis braucht nun Zeit, um zu prüfen, ob z.B. die lichtvollen Ausführungen Ihres Dozenten in der Vorlesung wichtig, also weiterleitungswürdig sind, oder ob sie
unterbelichtet bleiben und ewigem Vergessen anheim fallen sollen. Von einer festen und
dauerhaften Fixierung im Langzeitgedächtnis kann während dieser Prüfungsphase keine
Rede sein. Der Dozent redet ganz einfach am Gedächtnis seiner Studenten vorbei! Hüten
Sie sich also vor dozentischen „Schnellfeuergewehren“, bei denen immer der nächste Satz
den vorherigen auffrisst.
Das Langzeitgedächtnis stellt den letzten Baustein im dreistufigen Speichervorgang dar; es
ist der Festplatte eines Computers vergleichbar. Es sorgt erst dafür, dass die Erinnerung
fest verankert und vor dem Vergessen bewahrt wird, also zu Ihrem „Vermögen“ wird.
„Wie schafft es das LZG, bestimmte Inhalte („Zustandekommen eines Vertrages“) zu speichern und später in bestimmten Situationen – z.B. in den Klausuren – als identische Inhalte („Zustandekommen eines Vertrages“) immer wieder auf den Schreibtisch Ihres Arbeitsspeichers, Ihres Kurzzeitgedächtnisses, zu zaubern? Gewissermaßen als Buch, in dem
man blättern kann?“ Diese Frage provoziert bei mir ein ganz bestimmtes Bild der Gedächtnisfunktion – ein Bild, das in etwa einem großen Kaufhaus voller Waren entspricht. Das
Langzeitgedächtnis ist auch wie ein solches Kaufhaus auf der grünen Wiese organisiert.
Die Gedächtnisinhalte spielen dabei die Rolle der Waren. In einem solchen Kaufhaus muss
395
Ordnung herrschen, sonst findet der Kunde nämlich nichts. Wir nehmen mal an, unser
Kaufhaus verfüge über ein Warenangebot von einer Million Artikel, die unsystematisch
wild verstreut über die Verkaufsfläche verteilt sind. Da der gewünschte Artikel überall und
nirgends stehen kann, ist es theoretisch möglich, dass unser Kunde 999.999 Artikel
durchmustern muss, ehe er ihn findet.
Da dies nicht so ist, muss das Kaufhaus etwas mit Ordnung zu tun haben. Welche Arten
von Ordnung hat ein Kaufhaus?
Systematische (Artikelgruppen), hierarchische (Abteilungen) und assoziative Ordnungsprinzipien (der Kauf eines Artikels löst den Kauf eines assoziierten anderen aus). Eine solche Ordnung braucht das Gedächtnis auch dringend zu Ihrem Juralernen, anderenfalls
alles durcheinander purzeln würde.
Ich darf kurz rekapitulieren! Eine erste Antwort auf die Frage „Wie kommt Jura ins Gedächtnis?“ lautet: Die Infos müssen aus den Tiefen des Ultrakurzzeitgedächtnisses über
das Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis kommen, indem sie ausgewählt, das heißt
mit aktueller Aufmerksamkeit bedacht und nicht von vornherein „weggefiltert“ werden.
Im Langzeitgedächtnis braucht sich das neue Jurawissen aber nicht ganz allein und einsam
zu fühlen. Es findet hier bereits drei andere Wissensarten vor, die im Laufe Ihres Lebens
gespeicherte Verarbeitungskapazitäten für Sie nun zum Lernen von Jura bereit halten:
● Die erste Wissensart ist das episodisches Wissen im episodischen Gedächtnis. Es enthält die Ihre Identität begründenden Einzelheiten und Episoden Ihres Lebens
von der Wiege an. Das episodische Wissen begründet also im Wesentlichen Ihre persönliche, biografische, als „Selbst“ erlebte innere Einheit und Ihre individuelle Beziehung zu
Ihrer Umwelt.
● Die zweite Wissensart ist das allgemeines Weltwissen im Weltwissensgedächtnis. Es enthält das Schul-Wissen um Begriffe, Abläufe, Strukturen und Relationen,
das keinen Bezug an jeweils konkrete individuelle Episoden und biografische Ereignisse
aufweist: Wie funktioniert was? Aus was besteht das? Wie unterscheidet sich das von dem?
Was war wann? Was folgt woraus?
● Die dritte Wissensart ist das Können-Wissen im Verhaltensprogrammgedächtnis. Es enthält Verhaltensprogramme, mit deren Hilfe man Geschehensabläufe automatisiert. Diese Programme (Wie fahre ich Auto?) bilden ein Repertoire von Aktionsund Handlungsanweisungen, letztlich Fertigkeiten, die man sehr gut beherrscht und die
im LZG langfristig zur Verfügung stehen. Das Können-Wissen entsteht, wenn in vielen individuellen Situationen, die jeweils zunächst in das episodische Gedächtnis eingegangen
396
sind, Gemeinsamkeiten ausgefällt werden. Es entsteht ein Schema! Nachdem es durch
1000 Anwendungssituationen „gelaufen“ ist, hat es keine Bindung mehr zu einer Episode.
Diese „Schemata zu ...“ weisen leere Schubladen auf, die sich je nach Situation bewusst
oder unbewusst individuell durch Sie füllen lassen. Mal ist die Klausur so und mal eben so,
läuft aber immer mit derselben Technik und Taktik ab.
●
Jetzt wird es spannend, denn es gilt, das Jura-Wissen im Jurawissensge-
dächtnis aufzufüllen. Es ist ein durch Verbindung mit den drei bereits vorhandenen Gedächtnissen neu entstehender Gedächtnisteil. Gemeinsam stehen dem aufzubauenden Jurawissensgedächtnis das Episoden-, Weltwissen- und Verhaltensprogrammgedächtnis als
Einheiten zur Verfügung, die Fassungs- und Arbeitsvermögen für den Studenten bereit
halten. So gesehen sind die ersten drei Gedächtnisteile als Grundlagen von äußerster
Wichtigkeit für die Jurawelt-Repräsentation.
Langzeitgedächtnis
1.
Episodisches
Gedächtnis
2.
WeltwissensGedächtnis
3.
Verhaltensprogramm- Gedächtnis
4.
Jura(welt)wissensGedächtnis
Das bisher vom Gedächtnis vorgestellte Modell reicht noch nicht ganz aus, um ein verständliches Bild des Gedächtnisses zu liefern. Zwischen den Filterspeichern der Kurzzeitgedächtnisse und dem Endspeicher (LZG), auf den es im Examen ausschließlich ankommt,
durchläuft die juristische Information nämlich noch den Arbeitsspeicher. Um in unserem
Bild des Kaufhauses zu bleiben, ist der Arbeitsspeicher gewissermaßen die Hand, auf die
man die Ware prüfend und gewichtend legt, um damit den Kaufvorgang vorzubereiten.
Wenn man die Ware in der Hand hält, versammelt man darauf Daten von außen wie z.B.
Größe, Farbe, Gewicht und Preis sowie Daten von innen wie z.B. die Frage, ob man die
Ware wirklich mag, ob man sie tatsächlich benötigt, ob der Preis das Budget sprengt und
ob das Preis-Leistungsverhältnis stimmt.
397
Genauso verhält es sich mit dem Arbeitsgedächtnis: Es gibt Daten von außen – man erhält
sie über das UKZG aus Hörsaal oder Lehrbuch zugespielt – und es gibt Daten von innen –
das, was man aus den Tiefen seines Langzeitspeicher im LZG als Gedächtnisinhalte zum
Andocken für die eintreffenden Informationen aktualisieren kann.
Nehmen wir an, Sie hörten in der Vorlesung das Wort „Vertrag“ (Datum von außen) und
erinnern sich, dass Sie vor vier Wochen im Urlaub „Juristische Entdeckungen Bd. II –
BGB“ gelesen haben (Ihr „Episodengedächtnis“ ist aktiviert), die Voraussetzungen und
Strukturen der vertraglichen 6-Säulen-Theorie gelernt (Ihr „Jurawelt-Wissensgedächtnis“
meldet sich) und in einer Falllösung schematisiert hatten (Ihr Klausurenprogrammgedächtnis schaltet sich ein). Das Datum von außen trifft also auf Daten von innen! Folgen?
Findet das in der Vorlesung gehörte und nunmehr in Ihrem Arbeitsspeicher zur Prüfung liegende externe Datum „Vertrag“ (quasi auf Ihrer Gedächtnishand) innere Daten,
mit denen es sich koppeln kann, so wird es durch den Bestand der langfristigen Erinnerungen aktualisiert. Eselsbrücke für Sie: „Man hört nur, was man weiß!“
Findet das in Ihrem Arbeitsspeicher zur Prüfung bereitliegende externe Datum „Vertrag“ Ihre aktuelle Aufmerksamkeit nicht, dann wird es von anderen Inhalten verdrängt, die neu zum Arbeitsspeicher Zugang finden, nachdem sie am Wächter „UKZG“
vorbeigesegelt sind. Es wird nicht weiter im LZG gespeichert. – Es fand hier keine interne „Gegenliebe“, es ist nach spätestens einer halben Stunde nicht mehr verfügbar –
und zwar für immer.
All das müssen Sie sich nunmehr für das Juralernen nutzbar machen.
Doch zuvor noch ein kleines Beispiel für die gnadenlose Selektion Ihres Kurzzeitgedächtnisses: Schauen Sie jetzt nicht auf Ihren „Schönfelderdeckel“ und beantworten nur die
Frage: Was steht auf dem Einbanddeckel? Haben Sie Schwierigkeiten mit der Beantwortung der Frage, obwohl Sie schon hundertmal darauf geschaut haben? Inzwischen haben
Sie sicherlich nachgeschaut, wie der Einbanddeckel gestaltet ist. Noch eine Frage – wieder
ohne hinzuschauen: Wie viele Farben prangen auf dem Umschlag? Möglicherweise haben
Sie bei dem Blick nach der Beschriftung die Farben des Einbanddeckels nicht registriert.
„Du bemerkst nur, was dich aktuell interessiert“. Ja! Gnadenlos, dieses UKZG!!
398
Man kann viel dafür tun, dass das Kurzzeitgedächtnis nichts Wichtiges wegfiltert und
nicht blockiert, die Barrieren vor dem Langzeitgedächtnis überwunden werden, der Arbeitsspeicher ordnungsgemäß weiterleitet, Ihre Gedächtniszeitspeicher als Team optimal
zusammenspielen und wichtige Informationen nicht dem ewigen Vergessen anheim fallen?
Der Kampf um das Lernen ist eben immer ein Kampf gegen das Vergessen und für das
richtige Lernen des juristischen Lernen.
4.5 Was als Gegengift gegen das Vergessen wirkt: Das Wiederholen
Ein richtig gutes Gegengift gegen das Gift des Vergessens gelernten juristischen Wissens
ist das Wiederholen. Es gibt kein besseres! Wiederholen heißt hier nichts anderes als etwas
„wieder“ hervor„holen“, sich etwas wieder zurückholen. Dazu muss allerdings etwas da
sein, was hervor- bzw. zurückgeholt werden kann.
Vergessen beschreibt die unbestreitbare Tatsache, dass gelernte juristische Inhalte bei dem
Versuch des Wiedererinnerns entweder fehlerhaft, unvollständig oder aber gar nicht mehr
reproduziert werden können. Der Hauptverlust fällt auf den Zeitraum unmittelbar nach
der Informationsaufnahme. Im Verlaufe von maximal zwei Tagen wird nur noch ein Fünftel behalten. Einzige wirksame Gegenmittel im permanenten Kampf gegen das Vergessen
sind:
 die Wiederholung des Erlernten, und das so oft wie möglich,
 das Baumdiagramm als systematisierendes Entkomplizierungsmittel (Kapitel 40) und
 das assoziative Lernen als vernetzender Zusammenschluss juristischer Inhalte (Kapitel
39).
Nur das, was man ständig wiederholt, mit Bäumen der Erkenntnis fest verankert (40) und
in juristischer Gesellschaft verknüpft (39), wird nicht vergessen.
Am besten lernen die Studenten, die sich mit der Einsamkeit des Wiederholens schnell
und problemlos abfinden. Letztlich führt am Wiederholen nämlich kein Weg vorbei. Nur
so bleibt Jura dauerhaft im Gedächtnis! Ein einmaliges Verstehen und Können bei der
Neudurchnahme juristischen Stoffes, auch bei den besten didaktischen Lehrmeistern,
selbst mit den besten Lernmethoden der Assoziationsketten und Wissensbrücken, genügt
399
nur Genies. Lernen ist im Wesentlichen eben ein Behaltensphänomen; immer ein Bewahren, ein „Aufheben“, ein Speichern – kurz: ein Nichtvergessenwollen ist beabsichtigt.
Das entscheidende Mittel für die Verhinderung jedweden Lernerfolges ist es, den Stoff nur
einmal aufzunehmen. Es hilft allen Studenten nur eines zum nachhaltigen Erfolg: Lernen
– Wiederholen – Üben! Lernen – Wiederholen – Üben! Besser werden!
Wer richtig wiederholt, verbessert die Disposition und Schnelligkeit für die nächste Wiederholung. Das schafft Kondition für die lange Wegstrecke bis hin zum Examen. Beim
Wiederholen kommt Ihnen eine wichtige Tatsache zu Hilfe: Die rasant in den Keller rasende Vergessenskurve bezieht sich nämlich ausschließlich auf all die tausend wuselnden Einzelheiten, nicht auf das Ganze. Der Vertrag mit den sechs Säulen: Angebot, Zugang, Annahme, Zugang, inhaltliche und zeitliche Deckungsgleichheit – das Ganze also, ob im
Baumdiagramm oder in der assoziativen Vernetzung abgespeichert und eingeprägt, wird
so schnell nicht vergessen. Dass Angebot und Annahme nur wirksam werden durch Zugang (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB), sitzt; die unterschiedlichen Detail-Zugänge bei Abwesenden
und Anwesenden, verkörperter und nichtverkörperter Art, geschweige denn das Schicksal
einer solchen bei Widerruf oder zwischenzeitlichem Tod des Erklärenden (§ 130 Abs. 1 S. 2
BGB), sind verschüttet. Aber es ist nicht unbedingt ein Trost, dass das Sechs-SäulenSystem des Vertrages als Gesamtwerk haftet, denn in der Klausur muss man das Gelernte
meist genauer, eben auch in seinen Winzigkeiten wiedergeben. Und doch! Wenn Sie sich
an den lernmethodisch so effektiven Baumdiagrammen und Assoziationsketten entlanghangeln, die richtig beschrifteten Schubladen aufziehen, können Sie sich viel schneller die
Einzelheiten „wieder-holen“, sie „wieder hervorholen“. Ihnen fällt das Einzelne anhand
Ihrer Abrufreize und Schubladenbeschriftungen viel schneller wieder ein. Unsere Erinnerung ist so angelegt: Ein Teil der Erinnerung reaktiviert die ganze Erinnerung. Denn: Weg
ist der Stoff nicht. Erinnerungen sind zwar nicht statisch, sie sind dynamisch, werden
ständig redaktionell überarbeitet und überlagert, sind aber da und abrufbar durch Reize.
400
Einige Tipps zum Wiederholen:
1. Da das Vergessen innerhalb der ersten 12 Stunden nach dem Lernen am stärksten ist,
sollte die erste Wiederholung möglichst früh stattfinden.
Faustregel:
 Wiederholen Sie am Abend den Tagesstoff in einer übergreifenden Zusammenfassung!
 Wiederholen Sie an den reservierten Wochenendvierteln (Min.: 1/4) den Wochenstoff!
 Wiederholen Sie nach einem Monat an einem ganzen Wochenendtag den Monatsstoff!
 Wiederholen Sie in den Semesterferien den Semesterstoff!
Ihre Abwehr nehme ich vorweg: „Da komme ich ja aus dem Wiederholen nie heraus!“ Dem
ist eben nicht so! Eine hoffnungsfrohe Lernerfahrung besagt, dass die für das Wiederholen
benötigte Zeit im Verlaufe der Wiederholungen immer mehr abnimmt. Sehr bald genügt
ein einzelnes Stichwort über das Zustandekommen eines Vertrages, und alles ist wieder
präsent. Ein Teil entfacht das Ganze!
2. Man muss nicht alles wiederholen. Sie bemerken sehr schnell, was für Sie persönlich
schwierig und schwer merkbar ist und was recht flott von der Hand geht.
Zum Beispiel die Anfechtung oder das Abstraktionsprinzip oder der § 812 ff. BGB sitzen
bei Ihnen überhaupt nicht? Dann müssen Sie hier eben öfter ran. Dagegen können Sie das
Zustandekommen eines Vertrages zwischenzeitlich im Schlaf? Also weglassen!
3. Zum Wiederholungslernen eignet sich die Lernkartei sehr gut. Der Lernstoff, die
Kommoden mit ihren Schubladen, die Puzzlesteine werden in Frage-Antwort-Form auf
Karteikarten übertragen – auf die Vorderseite kommt die Frage, auf die Rückseite die
Antwort.
Der Wanderweg der Lernkärtchen kann beginnen. Am Anfang sollten Sie möglichst
schriftlich antworten – denken Sie an Ihre verschiedenen Lernkanäle.
Glauben Sie nicht, dass das Beschriften der Karten eine sinnlose Tätigkeit sei: Sie müssen
sich nämlich durch die stringente Formulierung der juristischen Frage mit dem Lernstoff
auseinandersetzen – und dabei lernen Sie.
401
Lernkarte 1
Vorderseite (Datei 1)
Rückseite (Datei 2)
Anfechtungserkl.: § 143 Abs. 1 BGB
Wirksamwerden: § 130 Abs. 1 BGB
Richtiger Adressat: § 143 Abs. 2, Abs. 3 BGB
Anfechtungsgrund: §§ 119, 120, 123 BGB
Anfechtungsfrist: §§ 121, 124 BGB
Rechtsfolge: § 142 Abs. 1 BGB – Nichtigkeit
ex-tunc
Voraussetzungen
der Anfechtung und
ihre Rechtsfolge ?
Lernkarte 2
Vorderseite (Datei 1)
Rückseite (Datei 2)
Zulässigkeit der Vertretung
Eigene Willenserklärung (kein Bote)
Handeln in fremdem Namen
Mit Vertretungsmacht
Innerhalb der Vertretungsmacht
Kein Fall von § 181 BGB
Rechtsfolge: Willenserklärungen wirken für und gegen den Vertretenen
gem. § 164 Abs. 1, Abs. 3 BGB
Voraussetzungen
der Vertretung und
ihre Rechtsfolge ?
Sehr gut bewährt hat sich bei vielen auch ein sog. Flipchart. Auf den großen Blättern dieses
Mediums kann man wichtige, für das weitere Lernen notwendige, memorierungswürdige
Grundschemata, Pakete, Puzzlesteine, Baumdiagramme, Schubladen – farbig markiert –
auftragen, die man dann bei der Wiederholung zu jedwedem Anlass aufblättern kann. Ein
Flipchart, das ist so etwas wie ein ewiges Gedächtnis.
Mit der Lernkartei und dem Flipchart schlagen Sie drei Fliegen mit einer Klappe:
Fliege 1:
Sie lernen bereits beim klaren, übersichtlichen, präzisen, vollständigen und
einfachen Auftragen der Frage- und Antwort-Strukturierungen (schreiben).
Fliege 2:
Sie gewinnen einen treuen Begleiter, der Fixiertes fix, zuverlässig und insbe-
sondere einprägsam aus der Erinnerung hervorholt (Wiederholung).
Fliege 3:
Sie können ein Ihnen nur schwer zugängliches Paket eine Zeit lang vor Ihrem
Auge stehen lassen. Steter Tropfen höhlt den Stein.
402
Flipchart und Lernkarten sind kein unnützer und zu teurer Aufwand, sondern ein Aufwand
von hohem Lernertrag. Denken Sie nun nicht, das Wiederholungslernen sei nur mit der
Lernkartei und dem Flipchart möglich. Wenn Sie alten Lehrstoff aus Ihren Aufzeichnungen, Skripten oder Lehrbüchern lesend wiederholen, erzielen Sie dieselbe Wirkung. Wichtig ist nur, dass Sie es tun!
4. Auch die Partnerarbeit eignet sich gut zu juristischen Wiederholungen – und beugt so
ganz nebenbei der Isolation beim Lernen vor. Lernen vereinsamt nun einmal! Gegen die
Einsamkeit des Lernens gründet man eine gesellige Lern-AG. Eine solche Partnerarbeit
kommt nicht für neuen Wissenserwerb und auch nicht als Dauerform in Betracht, sondern
lediglich als willkommene Abwechslung und Zwischenstufe des Lernens. Sie und Ihr
Freund sprechen sich ab: „10 Minuten Zeit! Erlöschen durch Erfüllung! §§ 362 Abs. 1, 2,
364 Abs. 1 BGB, Abgrenzung zu § 364 Abs. 2 BGB.“ Gesetz raus, und Sie schreiben stichwortartig untereinander, was Ihnen beiden dazu einfällt. Die Vorteile liegen auf der Hand:
Es entsteht ein gewisser Wettbewerb, es gestaltet sich alles mehr als ein Spiel (Spaß!),
zweien fällt mehr ein als einem; im dialogischen Gespräch tauchen neue (alte) Erinnerungen auf.
Als weitere Möglichkeiten für die Partnerarbeit seien erwähnt:
das wechselseitige Vorlesen kleiner, in sich geschlossener Kapitel (langsam lesen!);
das gemeinsame Lösen von Fällen als Denksportaufgaben;
das gegenseitige Erklären (wichtig!) von Problemen;
das freie Vortragen der Falllösungen;
das „Ich-unterrichte-dich – Du-unter-richtest-mich-Spiel“ frei nach dem römischen
Motto: Docendo discimus: beim Lehren lernen wir;
Formulierungsübungen;
das wechselseitige Abrufen gespeicherten Wissens;
Jura-Quiz.
Partnerarbeit macht einfach mehr Spaß als das isolierte Brüten, birgt aber auch die große
Gefahr oberflächlichen Zeitvertreibs und blödelnder Ablenkung.
5. Der beste Lernerfolg ist keineswegs dadurch zu erzielen, dass man die zur Verfügung
stehende tägliche oder wöchentliche Gesamtwiederholungszeit nur einseitig durch reine
Wiederholung in Form erneuten „Durcharbeitens“ nutzt.
403
Die „stumpfe“ Wiederholung führt nicht zur bestmöglichen, längerfristigen Einprägung
und ist auf Dauer langweilig. Besser ist es, wenn Sie die Gesamtwiederholungszeit im fliegenden Wechsel in die angeführten alternativen „Vergissmeinnicht-Möglichkeiten“ aufteilen:
Karteikarten
Partnerarbeit
Ich-unterrichte-dich–du-unterrichtest-mich-Spiel
Quiz
Flipchart-Arbeit
Erneutes Durcharbeiten
Selbstprüfung im Selbstgespräch
Dadurch verhindern Sie am wirkungsvollsten, dass sich Lernhemmungen aufbauen und
dass Sie dem ewigen Vergessen hilflos ausgeliefert sind. Durch abwechslungsreiche Wiederholungen sind Sie es eben gerade nicht!
6. Wiederholungen haben nicht nur den unbestreitbaren Sinn, Sie im Abwehrkampf gegen
das Vergessen zu unterstützen, vielmehr auch den, Sie sowohl in Ihrem Wissen zu bestätigen (Belohnungseffekt), Sie aber auch mit Ihrem Nichtwissen zu konfrontieren (Bestrafungseffekt) und Sie dadurch zu einem lernstrategischen Umdenken und vielleicht neuen
Lernansatz zu animieren.
7. Ein letzter Tipp zum Wiederholen: Teilen Sie das Wiederholungsprogramm so ein und
grenzen Sie es zeitlich so ab, dass es nicht zu stark mit den anderen Phasen des Lernens in
Konflikt gerät.
Wichtig ist die Wiederholung, wichtiger die Eroberung neuen Stoffes, noch wichtiger, dass
man das, was man wiederholt, verstanden hat. Man kann nämlich nur wiederholen, wieder
hervorholen, was man sich angeeignet und bewahrt hat. Aber trennen Sie die Phasen
scharf voneinander ab, damit nicht alles zerfließt.
Ohne neue Begegnung mit Jura (Aneignungsphase) – kein Aufheben des Erlernten
(Bewahrungsphase).
Ohne Aneignung und Bewahren – kein Wiederhervorholen (Wiederholungsphase).
Ohne gezielte Wiederholung – kein kompetenter Einsatz der erworbenen Lernpotentiale
„am Fall“ in der Klausur (Reproduktionsphase).
404
8. Am wichtigsten ist das Training am Fall! Jura ohne Fall, Gesetz ohne Sachverhalt darf
es in Ihrem Wiederholungs-Lernen eigentlich nicht geben!
9. Eine kleine, hoffentlich hilfreiche Lebensweisheit zum ewigen Wiederholen für Sie: Begehre nicht nur das, was du nicht weißt! Genieße öfter das, was du schon weißt! Das ist
Balsam für die geschundene Juraanfängerseele. Also wiederholen Sie öfter das Alte!
4.6 Welche spezifische juristische Lerntechnik man können muss:
die assoziative Verknüpfung
Ihr juristisches Lernen ist ein kontinuierlicher Prozess. Sie erweitern Ihren Wissensbestand ständig, aber nicht nur durch additives Hinzufügen (das auch!), sondern vornehmlich durch einsichtsvolle, verständige, kognitive Verknüpfungen Ihres systematisch geordneten juristischen Altbestandes mit dem juristischen Neubestand. Gelerntes begegnet Ungelerntem, durchdringt und verändert sich. Sie gehen vor wie die Evolution: Was sie einmal als gut erkannt und was sich im harten Selektionsprozess bewährt hat, behält sie bei
und nimmt es mit. Sie baut darauf auf und hebt das Erreichte durch mutierende Veränderung auf eine neue, bessere Systemstufe. Deshalb sind die Grundlagen ja so unendlich
wichtig! Sie lernen nicht ziellos ein Gesangbuch auswendig oder rezitieren Schillers „Glocke“, sondern erlernen den Gutachtenstil und die Subsumtionstechnik, das Zustandekommen eines Vertrages und die Merkmale der Anfechtung, den Deliktsaufbau im StGB
sowie die Tatbestandsmerkmale der Notwehr, ziel- und zweckgerichtet, also final, um diese
Institute zu begreifen, sie als Einzelteile „greifen“ zu können, um sie Ihrer bisherigen LernStruktur assoziativ (als „Gefährten“) einzugliedern. Zu einem künftigen Zeitpunkt in der
Klausur stehen sie Ihnen „griffbereit“ für die Reproduktion oder auch für ganz neue juristische Problemlösungen zur Verfügung.
Wenn K erklärt, er werde den Anspruch des V aus § 433 Abs. 2 BGB nicht erfüllen, weil
dieser ihn betrogen habe, so werden Sie mit einer rein mechanischen Verknüpfung von
„Vertrag“ und „Betrug“ den Lorbeerkranz nicht erringen. Sie müssen in der Lage sein, die
Einzelelemente in der Rechtsfolge der Nichtigkeit des Vertrages durch Anfechtung (vgl. §§
123, 142 BGB) und damit die Verneinung der Anspruchsgrundlage aus § 433 Abs. 2 BGB
mit ihren Voraussetzungen des Zustandekommens eines Kaufvertrages im methodischen
Gutachtenstil zu verarbeiten. Methode und Wissen reichen sich die Hand:
405
● Methode: die drei zentralen methodischen Kategorien dafür sind: „Gutachtenstil“, „Subsumtionstechnik“ und „Gesetzestechnik“,
● Wissen: die Wissenselemente sind „Wie kommt ein Vertrag zustande?“ und „Was sind
die Voraussetzungen einer Anfechtung wegen Täuschung?“.
Das wichtigste Mittel für das dauerhafte Behalten im Langzeitgedächtnis, die Antwort auf
die zentrale Frage „Wie bleibt Jura im Gedächtnis?“, ist die Herstellung von Assoziationen(lat.: ad, zu; sozius, Gefährte, Verbindendes, Verknüpfendes). Assoziation bedeutet die
Verknüpfung neuer juristischer Inhalte mit bereits vorhandenem Jurawissen. Zu einem
neuen juristischen Bewusstseinsinhalt wird spontan ein schon vorhandener Bewusstseinsinhalt aus dem assoziativen Gedächtnis reproduziert. Altes und neues Wissen werden zu
„Gefährten“. Dazu müssen Sie für den neu zu lernenden Stoff Querverbindungen und Ankopplungsmöglichkeiten in diesem Gedächtnisteil schaffen, was wiederum nur gelingt,
wenn man vorher klare und einfache Anknüpfungspunkte entwickelt hat. Ihr Gehirn produziert aus den juristischen Informationen, die Sie von außen bekommen, Ihr persönliches
juristisches Wissen, indem es die neuen Informationen mit den bereits früher gespeicherten alten Inhalten verknüpft. Die neuen Infos müssen auf „gedächtnisinterne Gegenliebe“
stoßen.
Die Lern-Technik der assoziativen Verbindungen beruht auf der Alltagserfahrung, dass
man sich leichter an Informationen erinnern kann, wenn sie mit bekannten Infos verknüpft sind. Dem Jura lernenden Menschen ist, wie jedem anderen Menschen auch, am
Wiedererkennen gelegen. Auch er ist ein kognitiver Faulenzer. Er möchte das juristisch
Alte im juristisch Neuen wiederfinden und das Generelle im Individuellen. Darauf beruht
die „Vertraulichkeit“, das „Heimischwerden“ im juristischen Lernen. Durch das Alte legitimiert sich das Neue, weist sich als echt, als richtig aus – als richtig im Sinne des „Wie ich
es schon gelernt habe“. Beim „Assoziationslernen“ gilt: Das Neue dockt immer am Alten
an.
Je besser nun
 das Netzwerk geknüpft,
 die Grobstruktur gebaut,
 Ihr „Jurististan“ durch Ihre „Jura-maps“ kartografiert,
 die Baumdiagramme als Erkenntnisbäume gepflanzt,
 die Ankopplungsadressaten gefächert,
406
 das Jurawissen systematisiert ist,
desto leichter wird Ihnen der Katalogisierungsprozess gelingen. Dann fügt sich
 juristisch Neues an juristisch Altes,
 Nichtwissen an Wissen,
 Nichtkönnen an Können,
 Ungelerntes an Gelerntes,
 Unfertigkeit an Fertigkeit,
 Unsystematisches an Systematisches.
Den so entstehenden Wissensspeicher können Sie sich wie eine Sammlung von großen
Kommoden mit vielen Schubladen vorstellen. Deren einprägsame Aufschriften (auf den
Kommoden wie auf den Schubladen) geben jeweils darüber Auskunft, was in sie eingeordnet werden darf. Je mehr Sie schon wissen, desto mehr Schubladen haben Ihre Speicherkommoden und desto besser können Sie weitere Informationen sinnvoll einordnen. Für
das Behalten und damit das Nichtvergessen ist es nun äußerst wichtig, dass die Informationen aufeinander bezogen sind, d.h., dass sie eine Netz-Struktur bekommen.
Diese Technik ermöglicht es über die Herstellung solcher Assoziationsketten mit Hilfe von
Gedächtniskommoden mit ihren Schubladen, die Elemente exakt in der vorgegebenen
Reihenfolge zu reproduzieren. Wird die neue juristische Wahrnehmung als wichtig erkannt
und mit einer bereits vorhandenen, im Langzeitgedächtnis kreisenden juristischen Information gekoppelt (assoziiert), ist sie verankert und erinnerbar.
In vier Schritten wird juristisches Wissen in diesen Gedächtniskommoden verpackt, d.h.
assoziativ gelernt:
Erster Schritt: Die neue Information strömt in das Kurzzeitgedächtnis. Z.B.: „Anfechtungserklärung“ gem. § 143 Abs. 1 BGB.
Zweiter Schritt: Die neue externe Information trifft im Arbeitsspeicher auf eine alte interne Information aus dem Langzeitgedächtnis: Die neue „Anfechtungserklärung“ begegnet im Kurzzeitarbeitsspeicher der alten „Genehmigungserklärung“ gem. § 184 Abs. 1 BGB,
der „Einwilligungserklärung“ gem. § 183 BGB, dem „Widerruf“ gem. § 109 Abs. 1 BGB trifft also auf andere einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärungen. Deren Struktur
ist schon gespeichert:
 eine entsprechende Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB,
407
 das Wirksamwerden dieser Willenserklärung gem. § 130 Abs. 1 BGB,
 gegenüber dem richtigen Adressaten, § 182 BGB,
 vom Berechtigten, z.B. §§ 108 Abs. 1, 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 S. 1 BGB.
Dritter Schritt: Die neue Information dockt an die alte Info an. Die neue „Anfechtungserklärung“ begegnet den „Einseitigen Willenserklärungen“, die in der Kommodenschublade mit der Aufschrift „Empfangsbedürftige einseitige Willenserklärungen“ abgelegt sind
(§§ 183, 184, 109 BGB). Neue Verknüpfung: Die Anfechtungserklärung gem. § 143 Abs. 1
BGB muss ausgelegt werden, sie muss wirksam werden gem. § 130 Abs. 1 BGB, und zwar
dem richtigen Adressaten gegenüber gem. § 143 Abs. 2 BGB und muss vom Berechtigten
herrühren, was der Fall ist, wenn ein Anfechtungsgrund vorliegt gem. §§ 119, 123 BGB. Alles wie gehabt bei den „alten“, schon gespeicherten einseitigen Willenserklärungen auch.
Vierter Schritt: Nach dem Lernen entsteht eine Assoziationskette, in der die Erinnerung (Reproduktion) eines Elements automatisch die Erinnerung an die anderen Elemente
hervorruft. In der Assoziationskette stellt das vorausgehende Element im Kurzzeitgedächtnis (z.B. Anfechtungserklärung) den „Suchhinweis“ für das folgende im Langzeitgedächtnis dar (Schublade: „Einseitige Willenserklärungen, Kommode: „Rechtsgeschäft“). Eine
Ausnahme ist notgedrungen das allererste Element, das deshalb naturgemäß nicht vergessen werden darf. Wenn der erste Begriff nicht reproduziert werden kann, steht er auch als
interner Abrufadressat im assoziativen Gedächtnis für den zweiten, den externen Abrufreiz, nicht zur Verfügung. Logisch! Also muss die erste „Einseitige empfangsbedürftige
Willenserklärung“, der Sie begegnen, fest „fixiert“ werden, wahrscheinlich ist es die „Genehmigung“ gem. §§ 184, 183, 182 BGB.
Beispiel 1: Die in Ihrem Kurzzeitgedächtnis anlandende externe Information „Vertrag“
würde nach wenigen Sekunden verlöschen, wenn sie nicht sehr schnell auf eine in Ihrem
assoziativen Langzeitgedächtnis kreisende interne Information stoßen würde. Der „Vertrag“ muss als Suchhinweis im KZG für etwas Folgendes im LZG den Reflex darstellen.
Diese folgenden – alten – Informationen, die nunmehr auf den Abrufreiz „Vertrag“ reagieren, müssten die Informationen „Rechtsgeschäft“ und „Einseitige Willenserklärung“
sein. Diese Begriffe müssen als erste Elemente „fest gemauert“ im LZG verankert sein, um
als Urglieder für Ihre Assoziationskette dienen zu können. Das Urglied muss immer sofort reproduzierbar sein. Im BGB beginnt die Assoziationskette „Vertrag“ mit dem ersten
Glied: „Rechtsgeschäft“. Mit irgend einem Abrufadressaten muss man beginnen, da hilft
Ihnen niemand! Zentraler Ausgangspunkt sind also die Kommode „Rechtsgeschäft“ und
die Schublade „Einseitige Willenserklärung“.
408
Also: Der Suchhinweis „Vertrag“ im KZG reizt die im LZG bereits vorhandenen Assoziationsglieder und koppelt an:
 Rechtsgeschäft? – Ein Rechtsgeschäft ist ein Tatbestand aus einer oder mehreren Willenserklärungen, an den die Rechtsordnung einen bestimmten Rechtserfolg knüpft, weil
er so gewollt ist.
 Zweck des Rechtsgeschäftes? – Es soll ein Rechtserfolg herbeigeführt werden.
 Mittel, das den Rechtserfolg herbeiführt? Es ist die Willenserklärung. Sie verwandelt
den Willen in Recht.
 Willenserklärung? – Es ist die Entäußerung eines rechtsgeschäftlichen Willens, eine
Rechtsfolge auslösen zu wollen.
 Aha! Vertrag ist also ein aus zwei Willenserklärungen bestehendes Rechtsgeschäft, das
einen bestimmten Rechtserfolg herbeiführen soll.
Die neue Info „Vertrag“ ist auf Gegenliebe gestoßen und hat an die Infos „Rechtsgeschäft“
und „Willenserklärung“ angedockt. Sie ist verankert!
KZG
LZG
LZG
KZG
„Vertrag“ tritt ein
KZG
„Vertrag“ trifft auf bekannte Infos
„Vertrag“ wird angekoppelt
Beispiel 2: Im BGB spielt die Übertragung von Rechten immer wieder eine wichtige Rolle
– etwa beim Eigentum an beweglichen (§ 929 BGB) und unbeweglichen Sachen (§§ 873
Abs. 1, 925 Abs. 1 BGB) sowie bei der Inhaberschaft von Forderungen und anderen Rechten (§§ 398, 413 BGB). Die Aufschrift über Ihrer zu bauenden Kommode lautet also:
„Übertragung von Rechten“. Nunmehr wird die erste Schublade beschriftet und beschickt: „Übereignung beweglicher Sachen (Waren)“ – mit irgendeiner Schublade muss
man den Lernvorgang eben beginnen. Sie füllen diese Schublade mit den dem Text des
§ 929 S. 1 BGB entnommenen Strukturelementen:
 Einigung (Willensmoment)
409
 Übergabe (Vollzugsmoment)
 Einigsein zum Zeitpunkt der Übergabe
 Berechtigung, d.h. der Übereignende muss verfügungsbefugter Eigentümer sein
§ 929 S. 1 BGB ist ab jetzt Ihr Abrufadressat für die nachfolgenden Abrufreize Ihrer Assoziationsketten. § 929 S. 1 BGB muss deshalb sitzen!
Beispiel 3: Gelangen Sie im Stoff nunmehr zu den neuen externen AbrufreizInformationen der §§ 873, 925 BGB, also zu der Übereignung einer unbeweglichen Sache,
so fahnden Sie in Ihrem Langzeitgedächtnis nach internen Abrufadressaten, nämlich
nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu den alten Informationen. Sie stoßen auf die
Kommode „Übertragung von Rechten“, öffnen die erste Schublade „Übereignung beweglicher Sachen gem. § 929 S. 1 BGB“ und nehmen die Einzelteile in die Hand, legen sie also
auf Ihren Arbeitsspeicher. Nach kürzester Zeit haben Sie dem Gesetzestext des § 873 Abs.
1 BGB die Ankoppelungsmöglichkeiten in Form der Gemeinsamkeiten des Willensmomentes (Einigung), des Einigseins und der Berechtigung entnommen und haben in Form der
Unterschiede, nämlich beim Vollzugsmoment statt „Übergabe“ „Eintragung“ im Grundbuch, das zusätzliche Erfordernis der Einigung vor einem Notar, § 925 BGB (sogenannte
„Auflassung“) entdeckt.
Jetzt können Sie die zweite Schublade beschriften: „Übereignung einer unbeweglichen
Sache“. Sie füllen diese Schublade mit den dem Text der §§ 873 Abs. 1, 925 BGB entnommenen Bausteinen:
 Einigung in Form der Auflassung (Willensmoment)
 Eintragung im Grundbuch (Vollzugsmoment)
 Einigsein (vgl. § 873 Abs. 2 BGB)
 Berechtigung, d.h. der Übereignende muss verfügungsbefugter Eigentümer sein
Haben Sie es bemerkt? Sie haben sich Querverbindungen und Ankopplungen geschaffen,
die viel besser im Langzeitgedächtnis (LZG) haften als Einzelvermittlungen. Schnell haben
Sie dann auch den entsprechenden Baukasten Ihrer Kommode „Übertragung von Rechten“
auf ein Papier skizziert, der die Parallelen und Unterschiede verdeutlicht:
410
Kommode: Übertragung von Rechten
Schublade 1
Schublade 2
„Bewegliche Sachen“
Einigung
„Unbewegliche Sachen“
Auflassung
Übergabe
Eintragung
Einigsein
Einigsein
Berechtigung
Berechtigung
Beispiel 4: Kommen Sie nunmehr im Laufe Ihres weiteren Lernens zu § 398 S. 1 BGB,
also der externen Information „Übereignung einer Forderung“, die man traditionell nun
einmal „Übertragung einer Forderung“ nennt, so koppeln Sie wiederum an intern Bekanntes an.
Sie beschriften die dritte Schublade: „Übertragung von Forderungen“ Ihrer Kommode
„Übertragung von Rechten“. Das ist Ihr Suchhinweis. Dann kramen Sie zunächst in Ihren
vertrauten abgespeicherten Schubladen zu § 929 BGB und §§ 873 I, 925 BGB im LZG und
zerlegen jetzt § 398 S. 1 BGB in seine Tatbestandselemente. Deuten Sie das Wort „Vertrag“ in „Einigung“ um und schon schaffen Sie sich die Querverbindungen und Ankoppelungsmöglichkeiten. Sie machen sich klar, dass es bei Forderungen als vergeistigten abstrakten Gebilden kein Vollzugsmoment in Form einer Übergabe geben kann, und der
Gesetzgeber, Gott sei Dank auf ein „Forderungsbuch“ (analog Grundbuch) verzichtet hat.
Weiter stellen Sie fest, dass das Merkmal „Berechtigung“ im Wort „Gläubiger“ versteckt
ist. Ihre detektivische Suche hatte Erfolg. Die neue Information „Übertragung von Forderungen“ trifft auf die alten Schubladen-Informationen der §§ 929, 873 Abs. 1, 925 BGB im
LZG. Es bildet sich eine Assoziationskette, die die Erinnerung an Schublade 1: § 929 BGB,
die Erinnerung an Schublade 2: §§ 873 Abs. 1, 925 BGB und dann die Erinnerung an
Schublade 3: § 398 BGB hervorruft.
Sie füllen die dritte Schublade auf mit den Tatbestandselementen des § 398 S. 1 BGB:
 Einigung (Vertrag)
 Berechtigung (Gläubiger)
Die Assoziationskette mit den Gliedern 1, 2 und 3 oder die Kommode „Übertragung von
Rechten“ mit den Schubladen 1, 2 und 3 werden Sie nie mehr vergessen – sie stehen unverrückbar in Ihrem LZG.
411
Kommode: Übertragung von Rechten
Schublade 1:
„Bewegliche Sachen“
§ 929 S. 1 BGB
Schublade 2:
„Unbewegliche Sachen“
§§ 873 Abs. 1, 925 BGB
Einigung
Auflassung
Übergabe
Eintragung
Einigsein
Einigsein
Berechtigung
Berechtigung
Schublade 3:
„Forderungen“
§ 398 S. 1 BGB
Einigung
Berechtigung
Jetzt stellen die einzelnen gesetzlichen Bauelemente der „Übertragung von Rechten“ in
den §§ 929, 873 I, 925, 398 S. 1 BGB keine ungeordnete Menge von Einzelmerkmalen
mehr dar. Sie sind vielmehr ein aufeinander bezogenes Assoziationssystem mit Aufschriften, wie die einzelnen Glieder oder Schubladen miteinander verbunden sind. Sie haben
bald eine Art Kommodenplan im Kopf, wo etwas aufbewahrt ist und aufgefunden werden
kann. Kommt nun neues externes Wissen hinzu (z.B. gibt es bei der Übertragung von
Rechten und Forderungen ein letztes Merkmal, nämlich das „Nichtvorliegen von Abtretungsverboten“, vgl. § 399 BGB), so legen Sie dieses Merkmal nicht irgendwo unsystematisch ab, sondern betten die neue Information in Ihren vorhandenen Speicherschrank.
 Also: Kommode „Übertragung von Rechten“ (s. §§ 929; 873 Abs. 1, 925; 398 BGB) anklicken!
 Hier: „Übertragung von Forderungen“. Schublade 3 öffnen!
 Neue Info: „kein Abtretungsverbot (s. § 399 BGB)“!
 Schublade 3 beschicken: „kein Abtretungsverbot!!“
 Neuer Inhalt Schublade 3: „Einigung – Berechtigung – kein Abtretungsverbot“
 Schublade schließen!
 Fixiert!
Je stabiler Ihre Kommode gebaut, Ihre Assoziationskette geknüpft ist, je präziser Ihre Aufschriften und Glieder lauten, je systematischer die Schubladen gefüllt und die Kettenglieder gefädelt sind, desto sicherer ist die Aussicht, die abgelegten Informationen im assoziativen Langzeitgedächtnis wiederzufinden. Umgekehrt geraten sie in Vergessenheit.
412
Genauso verfahren Sie mit dem gutgläubigen Erwerb beweglicher und unbeweglicher Sachen (das Merkmal „Berechtigung“ wird entweder mit § 932 BGB oder mit § 892 BGB unterlegt), mit dem „Zustandekommen von Verträgen“, ihren Anfechtungsmöglichkeiten und
ihren Erfüllungstatbeständen, mit den Schubladen Tatbestand, Rechtswidrigkeit und
Schuld, mit Diebstahl, Betrug, Mord und Totschlag. Mit Ihrer Fantasie und neuen Ideen
werden Sie hunderte von eingespeicherten Informationen miteinander vernetzen, Kommoden bauen, Netzpläne anlegen, Schubladen beschriften und beschicken, diese auftürmen zu Kommodenstapeln und deren Inhalte somit vieldimensional für sich abrufbar machen.
Das blitzschnelle Anklicken der Inhalte von Schubladen und Kommoden fällt Ihnen umso
leichter, je besser Sie darin trainiert sind. Die detektivische Suche nach Gemeinsamkeiten
und Unterschieden, Querverbindungen und Ankopplungen lohnt sich – Sie behalten besser! Bald wird jedes Tatbestandsmerkmal bei Ihnen Assoziationen freisetzen, die wiederum neue Gedankenketten gebären. So bleibt Jura im Gedächtnis!
Die Lerntechnik der assoziativen Verbindung ist die große Chance, sich schon ganz am Anfang seines Studiums ein grundsätzliches, für das gesamte juristische Studium geltendes
Erleben zu erwerben: Es ist die angesprochene Reduktion der Komplexität auf einfache
Elemente aus dem Gesetz, mit deren Hilfe dann die Reproduktion von Komplexität beginnt.
Die Kenntnis der „Verknüpfenden Ordnung“ der gesetzlichen Gesamt- und Einzelbaupläne
mit ihren Tatbestands-Bauelementen, die nie einzeln stehen, sondern immer in funktionelle Wechselabhängigkeiten treten, sich vernetzen, ankoppeln oder andocken, muss dem
Studenten zwangsläufig die entscheidenden Vorteile in seinem Lernen bringen. Und wird,
wie zu erwarten, die Verflechtung dieser Bauplan-Wechselwirkungen, der Assoziationsketten und Kommodensysteme sehr umfangreich, dann wird auch die Aussicht auf Entflechtung ohne Kenntnis des flechtenden Netzwerkes, des Kommodengesamtplans, verschwindend gering. Für das Lernen ist das Anlegen solcher vernetzter Ordnungen und Assoziations-Systeme unumgänglich.
Und noch eins:
In unseren Wahrnehmungen erleben wir die Welt nicht als eine Summe von Einzeleindrücken, sondern in geordneten Ganzheiten. Den in dieser Aussage festgelegten Gedanken
lesen wir schon bei Platon und Aristoteles, dass nämlich das Ganze vor den Teilen ist und
413
mehr ist als die Summe der Teile. Eine Melodie ist eben mehr als die Summe der Töne.
Woran das liegt? Die Ganzheiten haben eine Gestalt. Infolge dieser Tatsache, dass die Einzeleindrücke (Töne) ein Formganzes (Melodie) darstellen, können sie transportiert werden. Das müssen Sie sich zunutze machen! Juristische Ganzheiten prägen sich Ihrem Gedächtnis noch merkbarer ein als juristische Einzelteile. Die Methode nenne ich eben „Assoziationskettenknüpfen“ oder „Kommodenbauen“: Aus den Elementen wird das Ganze
reproduziert!
Wenn Sie dann neben den Einzelteilen (Schubladen) und neben dem Einprägungswert des
Ganzen (der Kommode) nun auch noch jeweils den Sinn und Zweck des Ganzen (der
Kommode) – des Rechtsinstitutes – ins Spiel bringen (die Anfechtung soll z.B. eine Willenserklärung „vernichten“), es also verstehen, haben Sie das Rechtsinstitut endgültig im
Gedächtnis. Sie haben es sich in
Einzelteilen,
ganzer Gestalt und
funktionalem Sinn eingeprägt.
Diese drei Faktoren bewirken das Behalten und verhindern das Vergessen. So bleibt Jura
im Gedächtnis! Es funktioniert immer!
Mit dieser Assoziationstechnik bauen Sie sich nach und nach ein in Ihrem Kopf verdrahtetes, schon bald perfektes Expertenwissen auf. Die Gedanken Ihrer in dieser Technik nicht
geübten Kommilitonen verheddern sich dagegen in unzähligen (999.999) Einzelschritten.
Sie aber jonglieren mit vorgefertigten „Rechtsinstitutspaketen“, „Tatbestandskommoden“,
„Paragraphenassoziationsketten“, „Gesetzespuzzlespielen“, die Sie gebündelt und verschaltet in Ihrem Gedächtnis haben. Beim Lernen muss man viele Bälle gleichzeitig in der Luft
halten.
Zwar kann nun nicht die gesamte Rechtswissenschaft in solche assoziative Kommoden und
Wissensspeicher eingespeist und das Neue immer im Alten, das Spezielle immer im Generellen gefunden werden. Dazu sind die Wirklichkeit und das Gesetz, die wir in der Juristerei immer wieder sich paarend zusammenbringen müssen, zu kompliziert. Aber für das
Lernen ist das Anlegen solcher vernetzten Ordnungen und Assoziations-Systeme unumgänglich. Das blitzschnelle Anklicken der Inhalte von Schubladen und Kommoden fällt
Ihnen umso leichter, je besser Sie darin trainiert sind. Die detektivische Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden, Querverbindungen und Ankopplungen lohnt sich –
Sie behalten besser! Bald wird jedes Tatbestandsmerkmal bei Ihnen Assoziationen freiset414
zen, die wiederum neue Gedankenketten gebären. So bleibt Jura im Gedächtnis! – So errichten Sie „assoziierend“ Ihr juristisches Können! Je mehr Sie an Zusammenhängen begreifen, sie für sich entdecken und durch Verständnis in „Besitz“ nehmen, desto stärker
wird auch Ihre Lernmotivation, Ihr Interesse, desto kreativer können Sie werden, desto
mehr Freude werden Sie am Lernen von Jura finden. Aber dieses Vergnügen kann Ihnen
niemand zum Nulltarif servieren. Gründliche Kenntnisse und solides Können im materiellen und formellen Recht, ganz besonders in unserer Methodik, sind die unerlässlichen
Voraussetzungen dafür, dem ständig lauernden kognitiven Faulenzer in uns durch Einsicht, Verständnis und Kreativität Beine zu machen. Überdenken Sie mal das Verpacken
von juristischem Wissen in Gedächtniskommoden – aber werden Sie nicht gleich zum Jura-Junkie!
4.7 Was ein Baumdiagramm ist und wozu es verhilft
Das Baumdiagramm ist ein Entkomplizierungsmittel und damit ein juristischer „LernStar“. Es ist ein Kunstgriff, der das intelligente, strukturierte, nach Einfachheit strebende
juristische Lernen entscheidend fördern kann. Das eigentliche „Juralernen“ erfasst nie einen singulären Fall oder ein vereinzeltes Problem, sondern immer auch den Grund für den
Fall dieser Art und die Einbettung des Problems in den über-, neben- und untergeordneten
Systemzusammenhang. Wofür steht dieser Fall, dieses Gesetz, dieses Problem Pate? Abstrahieren Sie die Essenz aus dem Fall, aus dem Gesetz, aus dem Problem! Suchen Sie die
juristische Verallgemeinerung im Speziellen, das Systematische im Zusammenhanglosen,
das Abstrakte im Konkreten. Fragen Sie sich immer: „Was will mir dieses Gesetz, dieses
Problem, dieser Fall über sich selbst hinaus sagen?“ – „Wie ordne ich die Antworten auf
diese Fragen in meine juristischen Gesamtzusammenhänge ein?“
Potente juristische Studentengehirne stärken sich nicht nur durch Lesen und Hören, sondern mehr noch durch die Systematisierung des Gelesenen und Gehörten. Als Eselsbrücke
könnte der Merkspruch dienen: „Dem System Jura ist das System systemimmanent.“ Diese
„Systematik“ erlaubt es, ursprungsverwandte Gesetze, Paragraphen und Rechtsinstitute das Ganze will die Rechtsordnung gestalten- trotz ihrer Abwandlungen in Sprache, Aufbau,
Funktion und Stellung zu identifizieren.
415
Stellen Sie sich noch einmal unseren riesengroßen Supermarkt auf der grünen Wiese vor.
In einem solchen Einkaufsmarkt musste ein Ordnungssystem herrschen, sonst ginge er
Pleite, weil der Kunde nichts fände und verschreckt den Laden verließe. Wir hatten angenommen, unser Supermarkt verfügte über ein Warenangebot von 10.000 Artikeln, die unsystematisch wild verstreut über die Verkaufsfläche verteilt wären und uns gefragt was geschehen würde. Da der gewünschte Artikel überall und nirgends stehen könnte, wäre es
rein theoretisch möglich, dass der Kunde 9.999 Artikel durchmustern müsste, ehe er seine
gesuchte Ware gefunden hätte. Was der Jurastudent schon im ersten Semester an „juristischen Informationen“ im Kopf hat, überschreitet bei Weitem die Zahl von 10.000 Jura„Waren“. Würden diese „Informationswaren Jura“ unsystematisch, rein zufällig im Studentengedächtnis gespeichert, würde der Student beim Denken, Suchen und Erinnern
wahnsinnig – so wie der Supermarkt bankrott ginge. Da dies nun nicht so ist, müssen Jura
und Supermarkt etwas mit System und Ordnung zu tun haben. Ja, System brachten Ordnung in das Ganze! Im Supermarkt bringen zwei Ordnungen Ordnung ins System:
● die Ordnung nebeneinander nach Sachgebieten – Sachgebietsprinzip (Lebensmittel –
Textilien – Musik – Haushalt)
● und die Ordnung untereinander nach Rangfolgen – Hierarchieprinzip (z.B. Lebensmittel unterteilt in: Käsetheke – Wursttheke – Weine – Obst – Gemüse; Gemüse wiederum
unterteilt in Kästen mit Bohnen, Möhren, Paprika; Textilien unterteilt in: Herrenmode –
Damenmode – usw.).
Ein Betriebsgeheimnis der Juristerei vorweg: Die Fähigkeit des guten Juristen besteht darin, mit einer großen, aber doch endlichen Zahl von Gesetzen unter Zuhilfenahme weniger
methodischer Regeln eine unendliche Zahl von Fällen systematisch zu lösen. Die einzelnen
methodischen Teile („Puzzlesteine“) der Juristerei erhalten ihren Wert, ihre Bedeutung
einzig und allein durch ihr systematisches Zusammenwirken im „System Jura“. Das Wort
„System“ bedeutete ursprünglich etwas eher Konkretes: Ein aus mehreren Teilen zusammengesetztes und gegliedertes Ganzes. Ein reales „Puzzle“. Auf den Hochschulen versteht
man unter System heute eher etwas Abstraktes: Eine geordnete Verbindung zusammengehöriger Denkbestimmungen (z.B. juristische Inhalte) zu einem relativ geschlossenen Ganzen. Ein geistiges „Puzzle“.
Die Juristerei stellt sich als ein solches geschlossenes, parallel und hierarchisch gegliedertes Ganzes dar. Sie ist ein solches reales und geistiges Puzzle, ein Inbegriff von Begriffen,
ein Ganzes von Gesetzen, Regeln, Prinzipien, Sätzen und Methoden, die durch eine gemeinsame Methodik innerlich verbunden sind. Sie erscheint als ein vereinigender Aufbau
416
aus einfachen, sich nach oben fortgesetzt komplizierenden Elementen, wie Etagen und
Stockwerke, die sich neben- und übereinander lagern. Die Juristerei gliedert sich nach ihren parallelen Rechtsbereichen: Öffentliches Recht, StGB, BGB und dem „Rest“ immer von
oben nach unten in einer hierarchisch abgestuften Begriffsfolge, der organischen Einheit
des juristischen Rechtsbereichs entsprechend. Durchweg werden die Teilungen und Unterteilungen, Stockwerke und Etagen, Räume und Kammern dieses System-Gebäudes durch
Definitionen abgegrenzt, festgelegt und durch juristische Methodik verbunden. Jede dieser
Definitionen und Methoden ist mit Rücksicht auf die übrigen formuliert und entwickelt
worden. In ihrer systematischen Gesamtheit sichern sie die Identität der zusammengesetzten Denkinhalte (Gesetze) und Methoden ihrer Anwendung mit nur einem einzigen Ziel:
Gesetz und Sachverhalt für eine gerechte Falllösung zusammenzubringen.
Das riesige Gewimmel der für Sie neuen bürgerlich-rechtlichen oder strafrechtlichen Paragraphen können Sie, wie den Supermarkt auch, nur sach-systematisch und systematischhierarchisch von oben nach unten und von links nach rechts, denken, so wie andere „Gewimmel“ auch. Der Übergang vom schulischen zum juristischen Denken erfordert das Erfassen des „Systems Jura“ und die Erkenntnis, dass man Zusammenhänge nur dann begreifen kann, wenn gewusste juristische Dinge da sind, zwischen denen man einen systematischen Zusammenhang herstellen kann.
Sie müssen begreifen, dass alles keine Zauberei und kein kunterbuntes Paragraphengewimmel in „Recht und Gesetz“ ist, sondern dass immer (fast immer) Systeme dahinter stecken. Möglichst schnell sollten Sie sich ein nach Systematisierung strebendes juristisches
Denken angewöhnen. Das kann man lernen! Die systematische Methodik der Juristerei
nimmt wie jede andere wissenschaftliche Methode auch das Merkmal der Allgemeingültigkeit für sich in Anspruch. So wie es in den Naturwissenschaften Grundgesetze gibt, so gibt
es auch Allgemeingeltendes für den Umgang mit Gesetzen, so verschieden der Zusammenprall von Gesetz und Sachverhalt auch nach Zeit und Ort und Inhalt sein mag. Auch dort,
wo die Gesetze auf moderne individuelle Menschen und moderne Gesellschaften mit ihren
soziologisch unterschiedlichsten Gruppen treffen, begeben sich die Systematik und Methodik auch in der Juristerei nicht ihres Anspruchs auf Allgemeingültigkeit. Dieser Anspruch
hat den Sinn, dass unter gleichen Verhältnissen überall das Gleiche gilt.
Das Baumdiagramm legt diese verborgenen systematischen gesetzlichen Zusammenhänge
frei! In jedem Problem, Fall und Gesetz steckt mehr als das real Anwesende! Denken Sie
das real abwesende, aber potentiell anwesende System immer mehr oder weniger mit. Das
schult das juristische Verständnis. Das „Mehr oder Weniger“ gibt dabei den Ausschlag da417
für, ob Sie ein guter oder schlechter Jurabeginner werden. Das System ist die Hintergrundstrahlung für jedes juristische Problem. Signalisieren lässt sich diese Erkenntnis in
den Merksprüchen:
 Wichtiger als das Jura-Wissen selbst ist der Weg zum Jura-Wissen! Der beste Weg führt
über das System Baumdiagramm!
 Nicht nur das Produkt, sondern mehr noch der Prozess ist für das Verstehen maßgebend! Das Baumdiagramm ist das erkenntnisgewinnende prozesshafte Zu-WerkeGehen zum Produkt „Juristisches Verständnis“!
 Für jedes Jura-Programm gibt es ein Jura-Baumdiagramm!
 Das Baumdiagramm ist der juristische Lerndietrich für die juristischen Tresore!
 Ihre juristische Erkenntnis reift am juristischen Baum der Erkenntnis!
Wie funktioniert nun so ein Baumdiagramm? Seine Theorie heißt vor allem: Bäume pflanzen, Äste, Zweige und Blätter beschriften! Die Struktur eines Baumdiagramms kann mit
der Ansicht eines Baumes aus der Froschperspektive verglichen werden. Während der
„Stamm“ mit dem Thema bezeichnet wird, markieren die „Äste“ zugehörige Hauptpunkte,
die „Zweige“ Unterpunkte und die „Blätter“ Feinpunkte. Die Technik können Sie schnell
erlernen. Die nachfolgenden vier Schritte sollen Sie zu einem ersten Verständnis führen.
1. Schritt: Nehmen Sie einen DIN-A4-Bogen im Querformat und etikettieren Sie oben in
die Mitte des Blattes das zentrale Thema.
2. Schritt: Von Ihrem Zentrum (dem „Stamm“ Ihres Baumes) gehen Hauptäste aus, die
Ihr Thema in einzelne Bereiche – Hauptpunkte – aufsplitten. Sie gewinnen eine Grobstruktur. Die Hauptäste etikettieren Sie als Hauptpunkte mit prägnanten Stichwörtern.
3. Schritt: An die Hauptäste können weitere Zweige und Blätter angefügt werden. Sie stellen einzelne Ideen oder Ideengruppen dar. Nun werden Sie es zu schätzen wissen, ein DINA-Blatt im Querformat gewählt zu haben. Einzelne Stichwörter als etikettierende Bezeichnungen der Zweige genügen als Assoziation für Ihr Gedächtnis und Gehirn. Doch sollten
die Etiketten von Ihnen mit Pfiff individuell und vor allem merkfähig gewählt sein.
4. Schritt: Nachdem Sie das Baumdiagramm erstellt haben, können Sie durch Nummerierungen Prioritäten setzen oder Bearbeitungsreihenfolgen festlegen.
418
Hauptstruktur
Problem:
Institut
I.
Begriff
Problem
Gesetz
1.
2.
3.
Hauptpunkte
Unterstruktur
Institut
Problem
I.
1.
a.
b.
2.
c.
a.
b.
3.
c.
a.
b.
Hauptpunkte
c.
Unterpunkte
Einige Grundregeln zu diesem „Baum der Erkenntnis“. Er ist ein zentraler Helfer im
Kampf gegen das Vergessen!
Schreiben Sie immer in Druckbuchstaben! Die Begriffe werden vom Auge besser wahrgenommen.
Nehmen Sie kurze, prägnante, individuelle, griffige Begriffe! Sie werden als Bild von
Ihnen aufgenommen und besser gemerkt. Etikett und Bild ergänzen sich!
419
Benutzen Sie für Stamm, Ast, Zweig und Blatt vertikal (Begriff, Hauptpunkt, Unterpunkt, Feinpunkt) oder horizontal (alle Haupt-, Unter- und Feinpunkte), wenn möglich,
unterschiedliche Farben! Benutzen Sie immer dieselben Farben! „Rot“ für Stämme; „Gelb“
für Äste, etc. ... So lassen sich Zusammenhänge im Geäst besser verdeutlichen.
Setzen Sie nicht viel mehr als 4 Ebenen ein! Ihr Gehirn weigert sich sonst mitzumachen
und versenkt Ihr gesamtes System in den Orkus ewigen Vergessens.
Lassen Sie Platz in jeder „Etage“! Denn: Was Ihnen später noch einfällt, lässt sich dann
unschwer noch einhängen.
Es gibt keinen (!) juristischen Lernbereich, in dem Sie das „Kreativitätswerkzeug Baumdiagramm“ nicht einsetzen können! Es gibt kein Problem oder Stoffgebiet, welches Sie
nicht in der Systemdiagrammform strukturiert darstellen und sich einprägen können. Sie
müssen sich nur darum bemühen und sich im Systemdiagrammdenken und Strukturieren
trainieren! Jede juristische Information haftet ganz anders in Ihrem Langzeitgedächtnis,
wenn sie von einem Baumdiagramm huckepack genommen worden ist. Dieser juristische
Lern-und-Verständnis-Aufbereiter ist von allergrößter Bedeutung für Ihr juristisches Verstehen, Lernen und Behalten sowie Garant dafür zu verhindern, dass Informationen von
Ihrem Kurzzeitgedächtnis bewusst oder unbewusst nicht ins Langzeitgedächtnis transportiert oder von diesem wieder vergessen werden.
Den Einsatz dieser Baum- oder Systemdiagramme beherrschen nur wenige Studenten.
Und doch liegen diese System-Bäume wie Gitternetze aller juristischen Komplexität, allen
juristischen Denkvorgängen und Tätigkeiten zugrunde. Sie müssen lernen, in Form solcher
Systembäume die Juristerei, Ihren zu erarbeitenden Stoff, das Rechtsgebiet, das Rechtsinstitut, den Fall, das Gesetz, schlicht: alles Juristische zu systematisieren und so systematisch-horizontal und systematisch-vertikal durchdringbar zu machen.
Zunächst müssen Sie die juristischen Problemfelder überhaupt erkennen, klar. Dann müssen Sie das Problem analysieren und strukturieren und optisch in Bäumen darstellen!
Denken Sie daran: Der Mensch ist ein Augentier. Über das Sehen ist es leichter, zu speichern und zu denken. Diese Aufnahmebereitschaft des Auges müssen Sie ausnutzen. Um
sich Wissensgebiete begreiflich zu machen, sollten Sie mehr zum inneren Auge reden. Das
Mittel: der juristische Baum der Erkenntnis! Wenn Sie das Problemfeld erkannt, analysiert
und systematisiert haben, müssen Sie ein Viertes tun: Sie müssen Vorrangigkeiten und
Nachrangigkeiten für Ihre Haupt-, Neben- und Unterpunkte im Baumdiagramm festlegen.
Das nennt man priorisieren. Nicht alles ist gleich wichtig!
420
Diese „Bäume“ erlauben es, ursprungsverwandte Bereiche z.B. des BGB, seine Gesetze und
Rechtsinstitute (z.B. Stellvertreter) trotz ihrer Abwandlungen in Sprache, Aufbau, Funktion und Stellung zu vernetzen. „Die Hierarchiesysteme“ bilden die Grundlagen der vergleichenden und aufbauenden juristischen Systematik und damit die Erkenntnis von Systemverwandtschaft und von methodischem Aufbau der Juristerei.
Wissen reicht in der Juristerei nicht, man muss „verstehen“.
„Verständnis“ bedeutet eine zumindest vorläufige stabile Deutung von Zusammenhängen.
In der Juristerei heißt das konkret das Erkennen und Begreifen von Zusammenhängen
zwischen juristischem Wissen und übergreifenden Methoden.
Wie funktioniert „verstehen“?
Neben anderen Phänomenen wie Methodenkompetenz, Systemkenntnis, entkomplizierende Vereinfachung (Kapitel 14), Prägnanz, Sinnfälligkeit und Ordnung, eben
durch Baumdiagramme.
Diese „Bäume“ sind die Instrumente, das juristische Verständnis zu lernen!
Wird nun bei Ihnen diese Erkenntnis sehr früh geweckt und fest auf Ihrer Gedächtnisfestplatte verankert, dann wird auch die Gefahr, sich im „System Jura“ zu verlaufen, geringer.
Bei der Suche nach „Verständnis“ wird mit Hilfe der Baumdiagramme aus leidender Passion des Anfängers bald passionierte Leidenschaft. Mit solchen Systemen lernen Sie allmählich das Recht „beherrschen“ in seinen Hierarchien, seinen Tiefen, Breiten und Höhen und
mit seinen vielen Verästelungen. Mit solchen Systemen hat man anfangs noch grobmaschige, allmählich immer feinmaschigere juristische Landkarten im Kopf und kann sich
immer besser orientieren.
Egal was an juristischen Problemen, Paragraphen oder Instituten auf Sie zukommt, und
das werden gerade am Anfang nicht wenige sein. Sie können sich selbst immer wieder mit
Ihren Baumdiagramm-System-Wegweisern in die Gesetzessystematik hineinfinden. Sie
können Ihre neue Erkenntnis an die alten Erkenntnisse besser ankoppeln und Neues wie
Altes in die Systeme eintäfeln.
Einem solchen „System-Baum“ liegt immer ein „Ordnung-in-Ordnung-Prinzip“ zugrunde:
421
Das „Ordnung-in-Ordnung-Prinzip“ der Juristerei
Problem
Hauptpunkte
Unterpunkte
Feinpunkte
Konkretes Beispiel eines Baumdiagramms
für StGB und BGB (Vertrag)
Rechtsordnung
Öffentl. Recht
Strafrecht
Allg. T.
Unrecht
Schuld
Privatrecht
Rest
Bürgerliches Recht
Rest
Bes. T.
Allg. T.
Bes. T.
Diebstahl
Betrug
Vertrag
TB RW Schuldfäh. Schuldformen Entsch.gr. Unr.bew.
422
Vertretung
6 Säulen des Vertrages
Schuldrecht
Sachenrecht
Sie sehen, dass jeder beliebige Punkt innerhalb eines solchen systematischen Strukturbaums durch eine dreifache Blickrichtung seine Prägung erhält:
Blick nach oben
höhere, abstraktere Begriffe
Blick nach unten
niedrigere, konkretere Begriffe
Blick zur Seite
parallele, gleichgelagerte Begriffe
Schon sind Sie drin – im hierarchischen System! Es ist eine Matroschka-Technik wie bei
den russischen Püppchen, orientiert am Enthaltensein von Etwas in Etwas, vom kleinen
„In“-halt bis zur Vereinigung aller kleineren Behälter im Großbehälter der Rechtordnung.
Sie werden bald selbst erkennen,
 warum die wichtigste Ebene der Systemhierarchie für das Verstehen nicht die unterste,
sondern die oberste ist;
 warum Sie, je höher Sie in den Ebenen emporklettern, desto mehr vereinfachen;
 warum ein immer wieder erneutes Abfahren der Strukturen mit dem Zeigefinger nach
oben, nach unten und links und rechts nicht umständlich und „typisch schulmäßig“ ist,
sondern die Sicherheit bringt, die später die Abkürzungen ermöglicht, direkt zu den
Problemen auf der untersten Ebene zu gelangen, ohne sich zu verfahren;
 warum nur über die Baumdiagramme die das Ganze überblickenden Überblicke und
damit das Verständnis gewonnen werden können,
 warum Baumdiagramme beim Juralernen das A und O sind.
Sie können auch den allgemeinen Teil des StGB im Hinblick auf die Straftat (ohne den
Rechtsfolgenteil) einmal strukturieren:
Allgemeiner Teil des StGB als Baumdiagramm
Straftat abstrakt
Allgemeine Erscheinungsform
Tatbestand
Rechtswidrigkeit
Schuld
Besondere Erscheinungsformen
Täterschaft
und Teilnahme
423
Versuch
Unterlassen
Irrtum
Jeden dieser Unterpunkte kann man jetzt fokussieren und weiter auffächern. Viel mehr
steht nicht im Allgemeinen Teil des StGB. Egal, wo und wann ein Strafrichter in deutschen
Gerichtssälen zu Gericht sitzt, er hat es materiell immer mit Tatbestand, Rechtswidrigkeit
oder Schuld, mit Täterschaft und Teilnahme, Versuch, Unterlassen oder Irrtum – jeweils
kombiniert mit einem oder mehreren Tatbeständen des StGB-BT – zu tun, was er formell
mit strafprozessualen Mitteln zu erhellen versucht.
Systemdenken in Baumdiagrammen ist ein methodischer Zaubertrank für das kreative juristische Verstehen. Die Rechtsordnung ist nämlich ein festgefügter Regelraum mit immanenten Hierarchien, Gliederungen und Strukturen, letztlich ein durch logisch erschließbare juristische Baumdiagramm-Systeme gebändigtes Gesetzeschaos.
Viele Dozenten, die meisten Lehrbücher und insbesondere die Kommentare favorisieren
nicht die Baumdiagrammtechnik, sondern das punktuell-lineare Denken. Dabei werden
Gesetz für Gesetz, Tatbestandsmerkmal für Tatbestandsmerkmal, Anspruchsvoraussetzung für Anspruchsvoraussetzung, Punkt für Punkt jeweils getrennt voneinander angegangen. Diese werden dann geradlinig-linear nach unten ohne systemknüpfende Seiten- oder
Auf-Blicke abgehandelt, also ohne immer wieder (!) den Weg über die darüber oder daneben gelagerten Baumstrukturen zu nehmen. Der Student ahnt zwar, dass irgendeine höhere Systematik dahinterstecken muss, verbleibt aber bei seinem vereinsamten Einzelmerkmal mit sich allein gelassen in der meist unbegründeten Hoffnung, diese Systematik eines
fernen Tages auch einmal zu durchschauen. Merkmal für Merkmal wird vom Dozenten
oder Lehrbuch mit Mühe und Fleiß jeweils als Solitär gepflanzt, ohne dass sich diese isolierten und zusammenhanglosen Einzelstämme im Langzeitgedächtnis zu einem stattlichen Wald zusammenfügen. Hier passt das Sprichwort: Der Student sieht vor lauter Bäumen (Einzelheiten) den Wald (Gesamtwerk) nicht mehr.
4.8 Warum und wie man die Komplexität der Gesetze reduziert
Wie alle Präzisionshandwerke hat auch die Juristerei ihre könnerhafte Meisterschaft. Es ist
diese meisterliche Kunst, in die Komplexität der wirklichen Welt einerseits (Lebenssachverhalte) und die Komplexität der künstlichen Welt andererseits (Gesetze) Klarheit und
Einfachheit zu bringen. Diese hohe Kunst setzt die messerscharfe Fähigkeit voraus, die
424
entscheidenden Punkte für Ihr erkennendes Lernen zu sichten und sichtbar zu machen
und zunächst alles Überflüssige und Unwichtige wegzulassen. Diese Kunst kann man auch
„Analysefähigkeit“ und „Systematisierungsfähigkeit“ nennen. Man braucht dafür den Blick
für das Wesentliche und Vorrangige und Übung, um dieses Unterscheidungsvermögen zu
erwerben und für sein Lernen souverän nutzbar zu machen. Der geistige Zugriff muss auf
das Wesentliche ausgerichtet sein. Folglich muss eine gewaltige Datenreduktion stattfinden. Komplizierte Details müssen am Anfang weggelassen werden.
Damit Sie als Student nicht in der Flut von Details ertrinken, muss Ihr Bemühen darauf
gerichtet sein, die verschiedenen Welten zu vereinfachen.
Bringen Sie Einfachheit in die Komplexität, damit Ihre „Lernstunden“ zu „Sternstunden“
werden! Einfachheit ist im Anfang des Studiums der einzige Weg, Jura dauerhaft im Gedächtnis zu verdrahten, der Weg jenseits von Komplexität. Der Weg der Einfachheit hat
wenig zu tun mit den herkömmlichen Lehrmethoden vieler juristischer Dozenten. Einfach
heißt keinesfalls leicht! Denn Änderungen hin zur Einfachheit im erfolgreichen Lernen
erfordern verdammt viel Anstrengungen. Es ist als Dozent viel leichter, juristische Institute
kompliziert darzustellen und sich hinter Wortverhauen zu verstecken als sie einfach zu
lehren. Die juristischen Lehr-Rituale, überwiegend verschachtelte Antworten zu präsentieren, müssen Sie durchschauen. Was das Verständnis für einfaches Lehren in der Juristerei
allerdings erschwert, ist der Aberglaube, juristische Dinge könne man nun mal nicht einfach ausdrücken: das wirke zu trivial, zu simpel. Die meisten Menschen verstehen keine
komplizierten Probleme, sie verstehen nur einfache. Also sollten Sie die Probleme für sich
so aufschließen, dass sie eine Reihe von einfachen juristischen Gedanken ergeben. Das
geht tatsächlich!
Wenn Ihnen die Reduzierung der Komplexität auf einfache Elemente gelingt (siehe assoziatives Lernen), werden Sie Lernerfolg haben. Ihnen wird es dann auch gelingen, aus diesen heruntergebrochenen einfachen Einzelteilen immer wieder und vor allem immer wieder neu, die Komplexität zu reproduzieren. Es ist gar nicht so kompliziert, Ihr Lernen einfach zu machen. Es ist fast immer das „Viele“, das „Alles“ und das „Alles gleichzeitig“, was
schlechte Studenten wollen. Komplexität kann aber nur reduziert werden, indem Sie weniger machen und die Dinge hintereinander „einfach“ lernen. – Warum? Weil der normale
Student die Einfachheit braucht, wenn die Komplexität um ihn herum zunimmt. Der gute
Student sucht nach der Einfachheit, nach der Einheit in der Vielheit, nach Übersicht, Ordnung und Struktur – er sucht das intelligente juristische Lernen. Intelligentes Lernen ist
425
einfaches Lernen. Wenn Ihnen die Reduktion der Komplexität bei Ihrem Lernen gelingt,
dann gelingt Ihnen die Beherrschung der Komplexität, ganz einfach: Wenn ..., dann ...! Der
gute Student hat das begriffen, der schlechte nie!
Sie müssen lernen, Einfachheit gegen Komplexität zu stellen! Das A und O des juristischen
Lernens. Unser Gehirn hat nämlich ein großes Problem: Es ist von der Evolution nicht für
komplexe Gegenstände gerüstet worden, sondern für einfache. Das Recht ist jedoch ein
höchst komplexer Gegenstand. Sie können aber, wie jeder andere Mensch auch, nur einfache Strukturen in Ihrem Langzeitgedächtnis einspeichern! Das „Komplexitätsproblem“
muss gelöst werden. Trainieren Sie deshalb die Fähigkeit, einfache eigene Strukturen zu
formen und diese dann untereinander mit Hilfe geeigneter Strukturverwaltungsprogramme (Baumdiagramme) zu verknüpfen, damit Sie so auch komplizierte Aufgaben bewältigen
können. Werden Sie Ihr Experte für die erfolgreiche Vereinfachung der juristischen Komplexität. Es ist nicht einfach, guter juristischer Lehre in Buch oder Hörsaal zu begegnen,
aber es ist für Sie einfach, sie zu erkennen: an Einfachheit und Klarheit! Einfachheit und
Klarheit in die Komplexität der Juristerei zu bringen, das ist des wahren Studenten (und
Dozenten!) Kunst und eine weitere staunenswerte Fähigkeit des exzellenten Juristen. Einfache Strukturen haften im Gedächtnis, komplexe sind flüchtig!
Was „komplex“ ist? „Komplex“ bedeutet zusammenhängend, vielschichtig, umfassend, ineinander gefügt. – „Kompliziert“ sind also die Dinge, wenn sie verwickelt, umständlich,
schwierig und beziehungsreich sind. – „Komplexität“ ist dann die Gesamtheit aller Merkmale und Möglichkeiten eines Begriffs oder eines Zustandes, ihre Vielschichtigkeit. Als
„einfach“ dagegen wird bezeichnet, was leicht verständlich, eingängig, problemlos, unschwer, ohne Umschweife verstehbar ist.
Man kann nun die Juristerei durchaus als „komplex“ beschreiben, den Umgang mit diesem
„System Jura“ als „kompliziert“. Kein Zweifel: Die Juristerei ist ein komplexes System.
Sie weist nahezu unfassbare viele Einzelelemente in Form von Rechtsgebieten, Gesetzesbündeln, Gesetzen, Rechtsinstituten, Tatbestandsmerkmalen, Definitionen auf.
Die Zahl der möglichen Beziehungen und Verknüpfungen zwischen diesen Elementen
ist nahezu unendlich groß;
Die Art der Beziehungen zwischen den Elementen ist keineswegs immer gleich, sondern in unterschiedlichen Rechtsgebieten in hohem Maße verschiedenartig.
426
Die Zahl der Einzelelemente, die Zahl der Beziehungen und die Verschiedenartigkeit
der Beziehungen verändert sich und wächst im Zeitablauf durch den überquellenden
Gesetzgeber und die wuchernde Rechtsprechung ständig.
Die Komplexitätskurve zeigt, was bei einer zunehmenden Zahl von Gesetzen mit ihren
Tatbestandsmerkmalen und ihren Beziehungen untereinander passiert: die Komplexität
steigt progressiv.
Komplexität
Anzahl der Gesetze und ihrer Beziehungen
Um gegenzusteuern, müssen Sie zur Vermeidung steigender Komplexität die Komplexität
reduzieren. Das entscheidende juristisch-didaktische Mittel, der Erfolgsfaktor für die
Komplexitätsbeherrschung, ist die Reduktion der juristischen Komplexität auf juristisch
einfache methodische und systematische Elemente des Gesetzes zur immer wieder neuen
und anderen juristischen Reproduktion der Komplexität, der Vielheit und Vielschichtigkeit. Eine weitere staunenswerte Fähigkeit des exzellenten Juristen. Das klingt so
furchtbar „kompliziert“ und ist doch so „einfach“ zu übersetzen:
 die Zurückführung (Reduktion)
 der Vielschichtigkeit (Komplexität)
 auf die aus dem Gesetz gewonnenen Bestandteile (Elemente),
mit denen Sie dann jederzeit in anderem Zusammenhang (bei einem anderen
Fall!)
 die Wiedererzeugung (Reproduktion)
 der Gesamtheit der Merkmale (Komplexität) beginnen können.
Diese Weisheit müssen Sie jeden Tag neu für Ihre juristische Lern-Wanderstrecke als
ständige Wegzehrung in den Rucksack packen. Wer diese „Reduktion- und ReproduktionFormel“ beherrscht, wird die Juristerei beherrschen und Lernerfolg haben.
Manche Jura-Dozenten neigen neben der Illusion aller Menschen, dass das, was ihnen klar
ist, auch anderen klar sei, gerne dazu, die Juristerei allzu sehr als einen gewaltigen, unend427
lich komplizierten und komplexen geistigen Apparat zu betrachten. Dieser könne nur
durch außergewöhnlich scharfsinnige Geister, nämlich sie, wahre Akrobaten des juristischen Denkens, beherrscht werden. Sie dozieren gerade so, als hätten sie sich verschworen,
in olympische Regionen der Welt vorzudringen, in die ihnen kein studentischer Sterblicher
nachfolgen könnte. So betrachtet und gelehrt, muss die Juristerei den Studenten in der Tat
als etwas Fernes und Unerreichbares erscheinen, als etwas, das das studentische Fassungsvermögen übersteigt und in ihrer Komplexität jenseits des Begreifbaren liegt: Ein
Reservat nur für eingeweihte juristische Götter.
Alle wissenschaftliche Arbeit strebt nach Vereinfachung ohne Vergewaltigung der Tatsachen, nur die Juristerei nicht. Sie scheint es nach Komplizierung und Vergewaltigung der
Gesetze zu drängen. Komplex wird es für Sie als Jurastudent beim Jurastudium immer
dann:
Wenn Sie mehrere und zudem nicht klar definierte Lernziele verfolgen. An dieser Bedingung scheitern viele gutgemeinten Lernstunden. Wenn das Ziel nicht klar ist, bleibt
der Erfolg mangels Übersichtlichkeit aus.
Wenn Sie nicht in der Lage sind, die Kurzfassung einer 2-stündigen Lerneinheit auf einer einzigen Karteikarte in Großbuchstaben unterzubringen.
Wenn Sie das wichtigste Hilfsmittel der Vereinfachung nicht mobilisieren können: den
Mut zum Baumdiagramm.
Wenn für Sie unklar bleibt, was wesentlich ist. Wenn Sie die Tatbestandsmerkmale
nicht erkennen.
Wenn Sie auf Alternativen und noch mehr Alternativen nicht verzichten können.
Wenn Sie immer mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen versuchen. Nur diese
eine Lernfliege ist jetzt wichtig. Danach erst die nächste Fliege.
Wenn Sie nicht wissen, wann Sie genug gelernt haben.
Wenn Sie die Hoffnung haben, dass sich die Komplexität irgendwie und irgendwann
und irgendwo von selbst löst.
Wenn Sie sich schon im Anfang von dem „Komplexitätstreiber“ Wissenschaftlichkeit
verlocken lassen und ihn nicht für spätere Hausarbeiten zurückhalten.
Wenn Sie immer in der Angst leben, sich dumm zu machen beim Außerachtlassen der 5.
Alternative bei § 812 Abs. 1 BGB (nur als Beispiel).
Wenn Sie gelobt werden wollen, weil Sie alles „gelernt haben“.
428
Wenn Sie nicht bemerken, dass der unverständlich kompliziert lehrende „dozentische
Kaiser“ nicht nur didaktisch nackt, sondern gar kein Kaiser ist.
Wenn Sie das Wesentliche einer 2-stündigen Lerneinheit Ihrer Tante oder Ihrem Opa
nicht in einer Minute erklären können.
Wenn Sie immer nach juristischen Hindernissen suchen, obwohl vielleicht gar keines da
ist.
Wenn Sie nicht die Leitlinien der Einfachheit und Klarheit ständig im Kopf haben.
Wenn Sie nicht erkennen, dass ein großes Hindernis für den Lernerfolg darin liegt, dass
Sie nicht zur stofflichen Lücke bereit sind.
Wenn Sie ständig Reparaturarbeiten vornehmen, obwohl das Werk, an dem repariert
werden soll, noch gar nicht errichtet ist. Was am Anfang nicht gebaut worden ist, kann
später nicht repariert werden.
Wenn Sie nicht in Erwägung ziehen, dass Ihre studentische Fähigkeit zur Aufnahme die
knappste Ressource Ihrer Lernheinheit ist.
Wenn Sie nicht mehr in der Lage sind, sich in die Lage der Dozenten zu versetzen. Wie
würden Sie denn den zu lehrenden Stoff „einfach“ darstellen?
4.9 Wie man erfolgreich den Gewinn aus den Vorlesungen steigert
Kein Jurastudent braucht eine Anfängervorlesung, die kein Abiturient versteht. Der gymnasiale Schüler-Motor läuft auf Hochtouren, aber kaum ein Professor legt den 1. Gang ein.
Schade! Unverständnis in den Vorlesungen verzehrt jedes lodernde Anfangsfeuer. Sie rauschen an den Studenten im Regelfall unverstanden vorbei. So einfach, so schlimm, so bekannt!
Warum schildern Studenten oft ihr Gefühl, am Anfang die juristische Ausbildung gewonnen zu haben, am Ende, ihr entronnen zu sein?
Dem Dozenten wird vor allem die Funktion zugeschrieben, seine Studenten in Vorlesungen zu unterrichten, zu informieren und strukturiert zu unterweisen. Der Informationsund Instruktionswert wird aber dadurch beeinträchtigt, dass die durch Dozenten vermittelten Informationen nicht selten geradezu an den Studenten in den Vorlesungen „vorbeifliegen“ und man ihnen nicht genügend Zeit lässt, sich intensiv mit dem Stoff und dem
Nachlesen im Gesetz auseinander zu setzen. Als Konsequenz stützen und ergänzen die Do429
zenten die Informationsvermittlung deshalb durch Printmedien in Form von Skripten oder
empfohlenen Lehrbüchern – es wird ein Medienverbund zum Lernen realisiert. Medium,
d.h. „Mittler“, des Wissens über die Gesetze sind Dozent, Skript und Lehrbuch. Ein Eckpfeiler dieses Verbundes ist auch die Ihnen anempfohlene Mitschrift. Welches Medium ist
in diesem Medienverbund eigentlich tragend in dem Sinne, dass es die wesentlichen Informationen transmittiert und am wirkungsvollsten den Prozess des Wissenserwerbs unterstützt? Es ist der Dozent! Er ist das alles entscheidende Medium. Die Skripten und
Lehrbücher – auch die Gesetze – sind wie bemalte Fensterscheiben: Sie leuchten nur,
wenn sie angestrahlt werden, angestrahlt durch des Dozenten lebendiges Wort. Anderenfalls sind sie fad, dunkel und wenig einladend. Wenn der Dozent nicht mehr bringt als ein
Lehrbuch, ist er eigentlich überflüssig. Lesen kann man besser alleine im gemütlichen
Kämmerlein, dazu benötigt man keinen Lehrenden. Und die skizzenhaften Hand-outs, die
man Ihnen am Ende manchmal in die Hand drückt, haben nicht selten Alibifunktion: Aus
denen wird man niemals mehr klug, wenn man es nicht schon in der Vorlesung verstanden
hat. Sie beruhigen nur das Gewissen der Dozenten.
Leider wird im Anfang der juristischen Ausbildung eine systematische Einführung in die
Kunst der Optimierung einer Vorlesung nicht geliefert. Motto: „Friss Vogel oder stirb! Sieh
wie du klar kommst, Studentlein!“
Das Spiel ist partytauglich. Spielen Sie es einmal: Zwei sitzen mit dem Rücken zueinander. Der eine hat Papier und Bleistift. Der andere bekommt die Abbildung einer komplizierten geometrischen Figur aus Rechtecken, Vier- und Dreiecken. Die beschreibt er so
präzise wie möglich seinem Mitspieler. Der wiederum muss, allein den Wörtern folgend,
die Figur nachzeichnen. Was nachher auf dem Blatt zu sehen ist, entspricht manchmal den
Notizen, die Studenten sich während einer Vorlesung machen.
Viele Studenten sagen: „Eine von allen Studenten gemachte schlechte Lernerfahrung ist in
der häufig am Ohr vorbeirauschenden Vorlesung gegeben.“ „Katastrophale Vorlesung“,
„Chaos“, „Verlorene Zeit“, „Da liest man besser gleich das Lehrbuch“. – Wirklich? Nein!
Die Vorlesung ist kein „Narkotikum für das Gewissen“; und auch kein „Friendly-fire“ der
Dozenten zur Behinderung des juristischen Lernfortschritts. Man muss sie nur zu optimieren wissen.
Die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden wird von altersher von zwei scheinbar
unumstößlichen Glaubensbekenntnissen zusammengehalten. Dozenten glauben: Studenten sind dumm, und die Studenten glauben: Dozenten halten schlechte Vorlesungen. Beide
Glaubensbekenntnisse beruhen aber auf unausrottbaren Vorurteilen.
430
Die juristischen Lehrveranstaltungen „Vorlesung“ leiden in der Tat nach anfänglichem
Strohfeuer manchmal an ihrer fehlenden Attraktivität. Da wird teils gepredigt, wie man es
nicht anders von der juristischen Gedanken Blässe, von des honorigen Dozenten Bedächtigkeit erwarten darf. Erkenntnisse werden gestelzt übermittelt, die nicht Fall um Fall dem
spannenden juristischen Alltagsleben der Studenten abgelauscht, sondern als theoretische
Wissenschaftsweisheiten überliefert sind. Dass die Erfüllung der Gesetze sich im Leser und
Anwender des jeweiligen Zeitgeistes vollzieht, wird Ihnen Ihr Dozent bei der sog. „historischen Auslegungsmethode“ erläutern. Die Erkenntnis aber, dass die Lehre der Gesetze sich
auch im modernen Verständnis der jungen, von Fernsehinfotainment geprägten Generation bricht, fällt in der klassischen juristischen Lehre schwer. Natürlich ist die Vorlesung
keine Plauderei, aber auch kein Grabgesang. Auch ist es eine Fehlannahme, dass Gedanken
umso gescheiter sind, je umständlicher sie formuliert sind. Manche Dozenten scheinen
sich erst dann wohl zu fühlen, wenn sie das Gefühl haben, zu weit gegangen zu sein, die
Studenten verzweifelt zurückgelassen zu haben.
Im Regelfall kann man sich darauf verlassen, dass alles, was der Professor in der Vorlesung
sagt, schon irgendwo gedruckt steht. Deshalb ist im Grunde die traditionelle Vorlesung seit
Gutenbergs Erfindung der Buchdruckkunst im Jahre 1465 überflüssig. Bevor Bücher gedruckt werden konnten, musste sich jeder Student durch die Mitschrift der Lesung, bei der
der Professor sein Buch „vorlas“, sein eigenes Lehrbuch erstellen. Wer ein Buch besitzen
wollte, musste sich selbst eines schreiben. Die Zeiten sind längst vorbei – man muss kein
neues Lehrbuch anhand der Vorlesung mehr erstellen.
Und dennoch ist es in der juristischen Vorlesung leider auch heute oftmals noch so, dass
die Bücher des Professors durch zwei Köpfe hindurch zu Büchern des Studenten werden.
Vom Lehrbuch weg durch den ablesenden Dozentenkopf hin zum Studentenkopf, aufgeschrieben in Ringbüchern. Die Vorlesung muss mehr bringen als ein Lehrbuch! Das tut sie
aber nur dann, wenn man die Vorlesung nicht gedankenverloren, zur Passivität verdammt,
sondern aktiv beteiligt besucht, wenn man die Passivität zur Aktivität ummünzt. Nur lieb
lächeln, wenn man nichts versteht, ist nicht die effektivste Nutzung der Vorlesung. Aufmerksames Zuhören kann aktivere Arbeit sein als aktives Reden. Bienenfleißiges Mitpinnen oder umtriebiges Notizendurchwühlen ist eben keine Aktivität, sondern Scheinaktivität. Vorlesungen bringen den Effekt einer wirkungslosen Zuckerpille, eines Placebos, wenn
man sie nicht für sich optimiert. Und schlimmer: Ein diffuses Gefühl des Nichtverstehens
und eine daraus resultierende Angst bleiben meist zurück. Wie ein leichter Kopfschmerz
ist es immer da, wenn man nur zuhört und wenig versteht.
431
Klar! Die besten Vorlesungen sind die, bei denen jeder Jurastudent glaubt, er hätte sie
auch selbst halten können. Sternstunden für jeden – aber kaum zu finden. Zu finden sind
eher weniger gelungene Vorlesungen: Didaktische und rhetorische Autodidakten tragen im
Vor-Lese-Stil vor, im Wesentlichen resistent gegen moderne Kenntnisse über Lehren und
Lernen, in der Eindimensionalität des Lernkanals Ohr („Hörsaal“!!). Sie werden im ersten
Semester vor einer großen Masse von Studenten in Großhörsälen abgehalten, ohne Interaktionen, sind abstrakt, meist hoch komplex, mit Details überfrachtet, die von Studenten
nicht eingeordnet werden können.
Dennoch erfasst gerade die juristischen Studienbeginner ein lemminghafter Drang, in diese Art der Lehrveranstaltung zu rennen. Sie stürzen sich mit blindem Enthusiasmus über
die Anfängervorlesungsklippen! Warum die Jurastudenten so kritiklos rennen? – Es
scheint an dem Glauben an die „Hypothese vom anscheinend Wahren“ zu liegen. Diese
enthält die Erwartung, dass ähnliche Ereignisse unter ähnlichen Bedingungen wiederkehren würden, sich daher wiedererwarten und vorhersehen ließen. Der Jurastudent kennt
auf seinem bisherigen Ausbildungsweg die Schule mit den dazugehörigen Lehrern und erwartet, dass sich – da er ja immerhin in diesem „Lernsystem Schule“ erfolgreich sein Abitur bestanden hat – ein ähnlicher Erfolg im „Lernsystem Hochschule“ wiederholen werde.
Er schließt bei seiner Metamorphose vom Schüler zum Jurastudenten von der sich bestätigt habenden Prognose „In diesem Gymnasium habe ich bei dem Lehrangebot ‚Unterricht’
mit diesen Lehrern mein Abitur gemacht“ auf die Wahrscheinlichkeit der Folgeprognose
„In dieser Hochschule mache ich bei dem Lehrangebot ‚Vorlesung’ mit diesen Professoren
und Dozenten meinen juristischen Abschluss.“ Man sei gewarnt: Wer sich am Anfang nur
auf die Vorlesung verlässt, ist verlassen! Die Vorlesung ist nur 10 % der Antwort auf das
Jurastarterproblem.
Die Verantwortung in der Vorlesung für das richtige Lernen ruht allerdings nicht einseitig
auf den Professorenschultern, sondern liegt auch bei Ihnen. Diese Verantwortung kann
Ihnen niemand abnehmen. Zum Lernen in der Vorlesung gehören eben immer zwei: der
Dozent, der die Information liefert und der Student, der sich aktiv einschaltet und aus den
Informationen für sich persönlich seine eigene Erfahrung und Erkenntnis ableitet, der seine eigenen, selbstgesteuerten Lernpfade pilgert. Betrachten Sie die Vorlesung als eine
„Zeitgenossenschaft“ mit Ihrem Professor. Ohne diese Umsetzung von fremdgesteuerter
Vorlesung in selbstgesteuerte juristische Erfahrungs- und Wissensbildung ist die Vorle432
sung für die Katz! Das eigentliche Lernen findet in Ihnen statt. Sie leisten immer die
Hauptarbeit. Der Professor sollte allerdings für die notwendigen systematischen Verknüpfungen und Einbettungen sorgen, so dass Sie den neuen Stoff unschwer in Ihr bestehendes
Wissensnetz einweben können. Tut er das nicht, müssen Sie es aktiv selber tun!
Was also tun? – „Etwas tun!“ – Vielleicht der wichtigste Grundsatz für einen erfolgreichen
Vorlesungsstart! Begnügen Sie sich nicht mit der Rolle des passiven Zuhörers, sondern
bringen Sie sich aktiv in die Vorlesung ein. Betrachten Sie die Vorlesung als eine „Zeitgenossenschaft“ mit Ihrem Professor.
Das rein passive Zuhören in Jura-Vorlesungen ist die ineffektivste Art, Jura zu lernen.
Wenn es aber denn sein muss, hier einige wichtige Vorschläge zur Vorlesungsoptimierung:
1. Bemühen Sie sich von Beginn der Vorlesung an um die Frage, die Ihnen der Dozent
konkret beantworten soll.
Sie müssen von Anfang an die Probleme deutlich vor Augen sehen, um deren Lösung in
der Vorlesung gerungen wird. Sie müssen wissen, wohin die Reise gehen wird, sonst
kommt das Thema in Ihrer Kurzzeitgedächtnis-Erkenntniswelt gar nicht erst an; die Kurzzeitgedächtnisse arbeiten brutal. Wenn Sie nach einer Vorlesung auf die Frage Ihrer
schwänzenden Kollegen „Worüber hat der Professor denn heute geredet?“ verdrießlich
antworten müssen: „Das hat er gar nicht gesagt!“, ist die Vorlesung eine Fahrt ins Blaue
gewesen – vertane Zeit. Sie wussten gar nicht, wohin Ihr Professor unterwegs war. (Man
sollte an den Unis zugeben, dass so manche juristische Vorlesung im Vorlesungsverzeichnis Sirenengesängen gleicht und es leider nicht genügend Mastbäume gibt, die Jurastudenten daran festzubinden.) Deshalb müssen Sie die Vorlesung optimieren! Eine Vorlesung ist
nur mit Vor- und Nachbereitung fruchtbar, sonst sitzt man nur Zeit ab. Sie müssen eine
Reiseroute haben!
2. In Vorlesungen ist das einfachste Mittel für Ihr aktives Lernen das Mitschreiben. Das
sollten Sie aber sinnvoll tun: nicht Satz für Satz, sondern strukturiert.
Wenn Sie viel mitschreiben, tragen Sie viel Papier nach Hause. Sie haben das Gefühl, etwas
geleistet zu haben. Es ist ja so verführerisch, Seite um Seite vollzukritzeln und sich zu belügen: „Zu Hause, zu Hause – da werde ich alles lernen“. Man tut es nicht! Die studentische
Weisheit: „Pinn ich – dann bin ich“ taugt für Sie nicht. Die Vorlesung ist kein passives
433
Rumhocken und kein simples Festhalten der gesprochenen Sätze des Dozenten. Nicht
sammeln, stapeln und abheften heißt die Devise, sondern gewichten, wägen, sortieren und
zuordnen. Es will geduldig geübt werden. Lernen besteht nicht nur aus Neugierde! Es verlangt auch Ausdauer, Übung und handfeste Arbeit! Da ist Routine notwendig, Rhythmisierung unvermeidbar und hilfreich! Alle Menschen haben eine Vorliebe für Rituale, sie verleihen ihnen Sicherheit. Die wiederkehrende, festgelegte Ordnung Ihrer Mitschriften ist
ein solches Ritual. Es hilft Ihnen, sich zurechtzufinden. Auf die räumliche Ordnung Ihrer
Aufzeichnungen müssen Sie sich verlassen können, soll Ihre juristische Anfängerwelt nicht
ins Wanken geraten. Haben Sie die Vorlesungsinfos irgendwo extern gespeichert, ohne sie
wiederzufinden, entlasten Sie die Mitschriften überhaupt nicht. Gewöhnen Sie sich deshalb
von Anfang an eine einheitliche Mitschrift an, bei der das Datum ebenso seinen festen
Platz hat wie der Name des Dozenten und die Überschrift seiner Thematik. Also die Frage,
um die es hier und heute konkret geht, um das Ziel, zu dem man unterwegs ist. Bemühen
Sie sich, auch wenn es schwer fällt, groß und deutlich zu schreiben. Freilich, nicht jeder hat
eine Schönschreibschrift, aber das ist auch gar nicht nötig. Zumindest jedoch müssen Ihre
Aufzeichnungen für Sie ohne Lupe lesbar sein, damit Ihre Schrift Ihnen nicht selber Rätsel
aufgibt. Anderenfalls können Sie das hektische Mitschreiben gleich ganz sein lassen. Weiterhin müssen Sie die Notizzettelmethode aufgeben und für jede Vorlesungsreihe einen
gesonderten Sammelordner anlegen. Unübersichtliche Zettelwirtschaft und Mitschriften
auf dem nächstbesten Papier sind nutzlos. Derartige Notizen haben die Eigenschaft, sich
zu verflüchtigen, denn oft sind sie spurlos verschwunden. Und sollten sie zufällig doch
wieder auftauchen, kann man sich überhaupt nicht mehr daran erinnern, in welchen Zusammenhang sie gehören. Damit Ihnen das nicht passiert, probieren Sie doch einmal folgende Methode aus: Fertigen Sie sich nach eigenem Gutdünken Spezialbögen an, auf denen Sie mit System und Pfiff ein Gerüst zu dem besprochenen Stoff aufbauen. Gut notiert
ist halb gelernt! Das hat nach einer gewissen Eingewöhnungsphase drei ganz wichtige, unschätzbare Vorteile, nämlich

erstens, dass Sie besser mitdenken können,

zweitens, dass Sie in Ihrem Kopf ein immer gleiches Abbild schaffen, und

drittens, dass Ihnen dieses Gerüst beim Nacharbeiten zu Hause wertvolle Hilfe leistet.
434
Folgende Vorlesungsmitschrift könnte Ihr Vorlesungslernen rhythmisieren:
Datum 
S
e
i 
t
e
Thema 
Prof 
 Inhaltsverzeichnis
Gliederung der Vorlesung
Roter Faden
Zusammenfassungen
Verdichtungen
 Inhalt
Hauptaussagen in Stichwörtern
Fachausdrücke markieren
Definitionen notieren
Skizzen, Fälle, Schaubilder
Argument 1, 2, 3
Gegenargument 1, 2, 3
Also: Ordnung und Struktur
Also: Verknappte, dennoch übersichtliche
Widerspiegelung des Vorlesungsinhalts
Eigene Erkenntnisse und Ergänzungen
Offene Fragen – Was muss ich nachschlagen?

Die Ziffern  bis  dienen der selbstverständlichen Feststellung: Wer hat wann
über was gesprochen? – Wenn Ihnen zum ersten Mal alle Ihre Zettel bei einer Vollbremsung gänzlich durcheinander geraten sind, wissen Sie, wie wichtig Ziffer  ist. Ziffer 
ist nicht ohne Probleme: Jede Vorlesung weist eine innere Struktur auf; diese gilt es zu finden, auch wenn es manchmal sehr schwer fällt! Gelingt es Ihnen nicht, den roten Faden in
der Vorlesung zu entdecken, müssen Sie ihn in der Nacharbeit suchen. Orientieren Sie sich
dabei an der Gesetzessystematik, an den Paragraphen und an Tatbestandsmerkmalen.
Gleichzeitig zwingen Sie sich dabei, Ihre Notizen auch wirklich anzuschauen, wodurch Sie
sich eine bestmögliche Wiederholung sichern. Diese Kolumne muss zum Inhaltsverzeichnis Ihrer Vorlesung werden! Ihr Motto lautet: Ordnung und Struktur. Auch ist das Gebot
der Verknappung ganz wichtig. Denn je mehr Nebensächliches Sie hier festhalten, desto
schwerer fällt es Ihnen, die wirklich wichtigen Punkte klar vor dem geistigen Auge zu sehen. In Ziffer  müssen die Punkte auf den Punkt gebracht werden! Ziffer  weist das
größte Problem auf: Was soll ich mitschreiben? Zunächst gilt: Die Kunst, alle zu langweilen, besteht darin, alles zu sagen. Das gilt für Ihren Professor! Die Kunst, nichts zu begreifen, besteht darin, alles mitzuschreiben. Das gilt für Sie als Studenten! Das liegt ganz einfach daran, dass Sie Ihr Gedächtnis und insgesamt Ihr Gehirn beim Niederpinseln total
ausschalten und sich zum tumben Stenographen, zum Federhalter Ihres Profs degradieren.
435
Die Wissenschaft hat festgestellt, dass bei der wortprotokollarischen Aufzeichnung 90 %
der Wörter für Ihre Erinnerungszwecke unnötig sind. Sie brauchen sie einfach nicht! Die
satzförmigen Notizen haben nur zur Folge, dass Sie wertvolle Zeit damit vergeuden, ins
gedankliche Stolpern geraten und bald entnervt vom Hinterherhecheln aufgeben.
Es ist ganz einfach sinnlos, Wörter niederzupinseln, die keinen Wert für Ihr Langzeitgedächtnis haben!
Es ist noch sinnloser, dieselben unnötigen Wörter wiederzusuchen und zu lesen!
Es ist absolut sinnlos, ständig mühsam nach denjenigen Wörtern, die Schlüsselfunktionen für Sie haben, im Wirrwarr Ihrer Aufzeichnungen zu fahnden.
Zuviel Mitschreiben verhindert das Mitdenken. Nicht wahllos Wort für Wort, sondern nur
Wesentliches ist zu notieren. Diesen Blick für die Scheidung von unwesentlich und wesentlich müssen Sie schulen, Sie brauchen ihn für Ihr gesamtes juristisches Leben. Wer gut
unterscheidet, lernt auch gut! Das Stichwort für Ziffer  lautet: Inhalt. – Ziffer  dient
der Sammlung eigener Erkenntnisse und Ergänzungen sowie offen gebliebener Fragen:
Wo steht das besprochene Thema in meinem Begleitlehrbuch? (Skriptum gilt auch!)
ordne ich es in die Gesamtstruktur ein?
der Anfang und das Ende der Juristerei!)
ditionalprogramm, Seziertechnik!)
Wie
Was findet sich dazu im Gesetz? (Das Gesetz ist
Wie ist dieses Gesetz aufgebaut? (Modell Kon-
Gelingt mir die einwandfreie Subsumtion oder kom-
me ich (wo?) ins Stolpern? Welche Rechtsprechung gibt es dazu? Was interessiert mich
daran am meisten?
Ist das Thema einer Vertiefung in der Literatur wert?
Kleiner
Übungsfall im Gutachtenstil gefällig?
3. Achten Sie in der Vorlesung auf Gliederungen des Professors!
Wenn er sagt: „Die Frage lässt sich in drei Unterpunkte unterteilen“, notieren Sie unter
Ziffer  Ihres Mitschriftbogens „1., 2., 3.“ mit genügend großem Abstand und fügen dann
die Kernaussagen stichwortartig ein!
4. Stimmen Sie sich auf die Vorlesung ein, indem Sie den durchzunehmenden Stoff schon
einmal grob vorbereiten!
Je intensiver Ihre Vorbereitung, desto besser blicken Sie durch. Sie sollten ganz einfach
wissen, was in der nächsten Vorlesung auf dem Programm steht und sich im Lehrbuch einarbeiten. Schon sind Sie aktiv! Hauptsache, Sie haben einen roten Faden an der Hand,
436
Sie haben sich motiviert, Sie sind gespannt, empfangsbereit. Wo kommt „er“ her – Wo will
„er“ hin? In deutschen Juravorlesungen hält man die Vorbereitung leider für Luxus. Ganz
anders in den USA. 300 Seiten Text vorher (!) lesen zu müssen, ist für den Studenten dort
keine Seltenheit. Und wer den Text nicht beherrscht (Aufrufen und Drannehmen sind die
Regel) fliegt! „Zumutung“ und „Eingriff in die akademische Freiheit“ schallt es da von
deutschen Hörsaalbänken. Wer so denkt, denkt falsch! Die Vorbereitung ist wichtiger als
die Nachbereitung. Vordenken ermöglicht Mitdenken, Vorverständnis schafft Verständnis.
Nur diese „Planung“ ist gewinnbringend für die Vorlesung.
5. Hören Sie richtig zu! Versuchen Sie von Beginn an, Wesentliches von Unwesentlichem
zu trennen!
Auch Professoren sagen manchmal Unwesentliches. Konzentrieren Sie sich auf Strukturen
– nicht auf schöne Formulierungen. Die Vorlesung muss im Moment verstanden werden –
es gibt kein Zurückblättern mehr, nur das Nachblättern zu Hause.
6. Fragen Sie stets: „Was ist gefragt?“! Und: „Was will er mir damit sagen?“
7. Ihre Vorlesungsmitschrift sollten Sie grundsätzlich noch am selben Tage, spätestens
am Folgetage, überdenken, nachbereiten und in Reinschrift übertragen, denn dies bedeutet den notwendigen Wiederholungs- und Einprägeeffekt.
Hier haben Sie noch die Chance zu rekonstruieren, in wenigen Tagen ist das Gehörte für
immer verloren, weg, ganz einfach weg. Die Verankerung der Lerninhalte im Langzeitgedächtnis ist eben umso intensiver, je mehr Wahrnehmungskanäle Sie aktivieren. Beschriebene Blätter in Ihrem Ordner nützen gar nichts – der Inhalt muss ins Langzeitgedächtnis.
Mitschreiben und in Reinschrift übertragen öffnen bei Ihnen drei Eingangskanäle: Hören,
Schreiben und Sehen des Geschriebenen! Mitschreiben – lochen – abheften ist nicht Ihr
Stil.
8. Setzen Sie auch in der Vorlesung Baumdiagramme ein! Jedes Gelernte besteht nun
einmal aus vorhandenen Kenntnissen und dem neuen, bisher fremden Material.
Wichtig ist die Verknüpfung. Übersetzen Sie die komplizierten Strukturen Ihres Professors
in Ihre eigene Struktur!
437
9. Benutzen Sie Kurzzeichen für die Vorlesungsmitschrift!
Etwa so: Def. = Definition; Sub. = Subsumtion; Rspr. = Rechtsprechung; h.M. = herrschende Meinung; Prof. = eigene Meinung des Professors; z.B. = Beispielsfall; K = Kernaussage; Up = Unterpunkt; Arg. = Argument; ? = unklar, fraglich; ! = super, leuchtet ein;
§ = s. im Gesetz nach; P = Problem.
10. Als äußere Form empfiehlt sich die Loseblattsammlung per Ordner oder Ringbuch.
Diesen Tipp müssen Sie mit dem vorgeschlagenen, besonders übersichtlich angelegten
Modell einer optimalen Vorlesungsmitschrift paaren. Vorlesungsbogen hinter Vorlesungsbogen heften und nummerieren!
11. Reihen Sie einmal die jeweils ersten Teile der folgenden Gegensatzpaare aneinander,
und Sie werden sehen: Genau so muss Ihre Mitschrift sein – die komplementären Begriffe
überlassen Sie den Professoren!
Kurze Sätze – lange Schachtelsätze; bekannte Wörter – unbekannte Wendungen, Fremdwörter; Umgangssprache – Gelehrtensprache; Verständlichkeit – Kompliziertheit; Anschaulichkeit – Abstraktheit; Struktur – Zusammenhanglosigkeit, Unübersichtlichkeit;
Normalfall – Exot; Gesamtgliederung mit Unterteilungen – Wirrwarr; wesentlich, wichtig – nebensächlich, unwichtige Einzelheiten; Kürze, Prägnanz – Weitschweifigkeit, abirrende Darlegungen; lebensnahe Beispiele – unpersönliche Nüchternheit; erfrischende
Passagen – Trockenheit.
12. Neue Begriffe müssen Sie immer notieren.
Zu Hause können Sie diese dann anhand Ihrer Nachschlagewerke klären. Gerade in der
Anfängervorlesung werden Sie damit überhäuft.
13. Suchen Sie nach der Struktur in der Vorlesung!
Selbst die Vorlesung des schlechtesten Professors muss eine Struktur haben – diese gilt es
zu entdecken.
Vorlesungen sind manchmal Veranstaltungen, die in der Abstraktion der Begrifflichkeit
verharren. Deshalb müssen Sie nicht selten Detektiv spielen, was konkret gemeint ist. Je
438
intensiver Ihre Suche, desto ertragreicher ist der Besuch der Vorlesung für Sie. Drei Fragen an den Professor sollten Sie deshalb unbeirrbar von Anfang an in jeder Vorlesung bewegen:
 Woran knüpft „er“ das Thema an?
 Wohin geht „er“?! –
Zu welchem Ziel wird das Thema fortgeführt?
 Wo steht „er“ jetzt?! –
Welchen Platz nehmen die Einzelheiten im Gesamtbild („System“) der juristischen Materie ein?
Die Beantwortung dieser drei Fragen ist wichtig für Sie, damit Sie nicht irgendwo im Nirgendwo auf dem zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Vorlesungsozean herumlavieren
und verloren gehen. An irgendeinem Punkt steht „der Prof“, von irgendeinem Punkt
kommt „der Prof“ und zu irgendeinem Punkt will „der Prof“ hin! Diese Antworten müssen
Sie der Vorlesung abtrotzen.
Abschließende Frage: „Wie kann ich nun hinderliche Vorlesungsgewohnheiten abbauen
und mich an neue Vorschläge heranwagen?“ – Sagen Sie sich ganz einfach:
„Ich probiere das mit dem Vorlesungsmitschriftbogen erst einmal zwei Wochen lang
aus! Mal sehen, wie das ist!“
„Ich versuche, in jeder Vorlesung die ihr eingeborene Gliederung und Struktur zu erkennen – und mag sie noch so versteckt sein!“
„Ich orientiere mich an den 3 Fragen: Woher kommt „er“, wo steht „er“, wohin geht
„er“ anhand meiner aufgelisteten kartographischen Erfassungsmittel!“
Alles ist schwer, bevor es leicht wird!
4.10 Wie man die Informationslawine der Literatur bändigen
kann
Es gibt eine juristische Welt jenseits der Hörsäle. Jura ist eine Bücherwissenschaft. Beim
Jurastudium handelt es sich um ein Lesestudium, der jurastudentische Studienalltag besteht zu einem Großteil aus Lektüre. Kein Jurastudent kommt ohne Bücher aus. Die juris439
tische Gesetzes- und Literaturfabrik hat einen gewaltigen Ausstoß. Über alles wird nachgedacht und geschrieben. Und immer wird wieder von neuem geschrieben und Recht gesetzt
werden, jedes Mal mit dem Ziel, dass nicht mehr geschrieben und Recht gesetzt zu werden
braucht. Und doch hat jedes Gesetz, jeder Kommentar und jedes neue Buch den Tod vor
sich, wie die Eintagsfliege die Nacht. Deshalb der dringende Rat: Augen auf beim Bücherkauf!
Der Student sehnt sich am Anfang seines Studiums nach Literatur, die das gesetzgeberische Wissen locker erschließt, für ihn übersichtlich sichtet und sichtbar macht und dann
schnell das Gesetz am Normal-Fall anwendet. Er sehnt sich nicht nach solcher Literatur,
die das Wissen umständlich begründet. Er sucht Lektüre, die den gesetzlichen Knoten aufknüpft, dessen Auflösung er erstrebt, nicht solche, die ihn noch fester zurrt. Er verlangt
verständlichen, guten und vor allem handfesten Bescheid, nicht solchen, der ihn allein und
traurig über seine Dummheit zurücklässt. Er will Bücher, die ins Mark der Gesetze treffen,
die keine endlose juristische Anstrengung auferlegen, derer er im Anfang unfähig ist. Solche, die keiner großen Überwindung bedürfen, um sich daranzumachen. Das wäre seine
rechte Literatur-Weide! Er will zum jurastudentischen Lustleser werden, nicht als Frustleser verkümmern. Stattdessen trottet er der Schafsherde auf die unbekömmliche LehrbuchWeide hinterher.
Wissen Sie, zwischen Himmel und Erde gibt es viel, was nicht in naturwissenschaftlichen
Lehrbüchern steht. In juristischen Lehrbüchern steht aber viel, was es zwischen Himmel
und Erde gar nicht gibt.
Manche Bücher bezwecken nur eins: das unbedingt Neusein-Wollen. Eine Börse des Geschäfts und der Eitelkeit! Der Markt – insbesondere für Anfänger – birst schier, nicht selten ein editorischer Grabenkrieg. Die juristische Literaturmaschine lässt das Recht über
die Ufer treten! Manche Bücher lassen den Anfänger im Eingang stehen – drei Seiten gelesen, Nichts verstanden, weggelegt. Sie wimmeln von Fachtermini, suhlen sich in der „Juristensprache“ und sind für Einsteiger oft ungenießbar.
Die Fülle der juristischen Ausbildungsliteratur kann Ihnen am Anfang Ihres Studiums
schon den Blick verstellen. Der Hauptstrom, der die juristische Literatur von alters her
speist, ist die juristische Literatur. Sie erinnert an ein Biotop, das alles selbst produziert,
was es zu seiner Fortexistenz benötigt. Die Literatur ist der Dünger für neue Literatur – ein
selbstregulierender und selbstgenügsamer Kreislauf. Von dem Professor, der unter seinem
wahren Namen schreibt, unter einem Pseudonym repliziert, wiederum in seinem Namen
440
antwortet, um sich unter neuem Pseudonym erneut zu widerlegen, wird oft berichtet. Sein
letzter Erguss ist dann schon fast von der „abwegigen Mindermeinung“ über die „Mindermeinung“ und die „überwiegende Meinung“ zur „herrschenden Meinung“ mutiert, dieser
letzten Sprosse vor dem göttlichen Thron der „allgemeinen Meinung“.
Diese vorgeblich so harmlosen Druckerzeugnisse kosten neben viel Geld auch viel Zeit –
Ihre unwiederbringlich verlorene Zeit. Lassen Sie sich von Ihrem Dozenten auch kein
schlechtes Gewissen einreden. Hören Sie nicht auf ihn, wenn er „sein Werk“ oder das seines „lieben Kollegen“ als „unabdingbar“ für das erfolgreiche Examen hochjubelt. Der endlose Bücherzug hinterlässt eine Staubwolke von Theorien, an denen gerade für Sie als Beginner meist nur Verwirrendes ist. Man spricht auch von einer juristischen Informationslawine. Nachdem das StGB im Jahre 1871 und das BGB im Jahre 1900 geschaffen waren,
dachte man, man habe das vorher so vielstimmige Recht endgültig festgehalten, begründet, zum Stillstand gebracht und in Erschöpfung sämtlicher juristischen Probleme auf alle
strafrechtlichen und zivilrechtlichen Fragen Antworten gefunden. Irrtum! Was nach der
Installation dieser Gesetze folgte, sind Bücher über Bücher und Entscheidungen über Entscheidungen, die wieder zu Büchern werden.
Die Literatur und die Rechtsprechung können durchaus spannend sein. Allerdings muss
vor dieser „Gesamtheit des Schrifttums“ immer erst die Hauptliteratur, nämlich das Gesetz
stehen. Nicht von der Literatur zum Gesetz, sondern vom Gesetz zur Literatur muss Ihr
Ausbildungsweg fortschreiten. Am Anfang hat immer das Gesetz zu stehen! Der jenseits
der Gesetze nur Bücher wälzende, punktuell lernende, studentische Anfänger dürfen Sie
nie werden. Wälzt er nicht, so denkt er nicht! Er antwortet nur noch auf Einzelreize, auf
herausgerissene Gedanken, wenn er lernt – er reagiert zuletzt nur noch ängstlich, weil
immer wieder etwas Neues anlandet, das er keinem festen System zuordnen kann. Er liest
und liest und verliert sich im Lesen. Das ist ein Beispiel für pathologisches Lernen. Begabte, reich und frei angelegte junge Jurastudenten können sich schon nach zwei Semestern
„zuschanden“ gelesen haben: Nichts begriffen! Erst muss die große Krise ausbrechen, ehe
etwas Durchgreifendes passiert. Man hält die Bücher irgendwann einfach nicht mehr aus,
weil der Schmerz des Nichtverstehens zu groß wird. Nein! Lassen Sie vor der „BücherKrise“ Durchgreifendes passieren – dann passiert die Krise nicht! Die unkompliziertes
Verständnis erzeugende Treffsicherheit von erschöpfenden juristischen StandardLehrbüchern ist gering – die wissenschaftliche dagegen sehr hoch. Doch die komplizierte
wissenschaftliche Jura-Literatur hat noch keine Ziele in den Köpfen der jungen Jurastudenten, da ihnen ganz einfach die Methoden zur Eintäfelung der Einzelfragen fehlen. Aus441
gesetzt in Vorlesungen, in Anfängerübungen, in denen nichts zum Üben vorhanden ist,
Bibliotheken oder Datenautobahnen gehen sie allein verloren.
Das vorausgeschickt nunmehr zum „Umgang mit der Literatur“. Beim Literaturlernen geht
es im Gegensatz zum „Hören“ in der Vorlesung immer um das „Sehen“ juristischer Fachtexte, um einen Vorgang der Informationsaufnahme mittels des Lernkanals „Auge“.
Einig ist man sich zunächst in der Feststellung, dass der Lernkanal „juristisches Auge“
beim Lesen wirksamer ist als der Lernkanal „juristisches Ohr“ in der Vorlesung. Beim Lesen besteht der große Vorteil, dass Sie das Tempo selbst bestimmen, vor- und vor allem
zurückblättern können, „Zeigefingerlesen“ praktizieren, bei Übermüdung unterbrechen
und länger und konzentrierter an einem Satz stehen bleiben und nachdenken können. Bei
einer Vorlesung können Sie das alles nicht. Faden verloren, Vorlesung verloren! Die Literatur ist unverzichtbar, ihre Vorteile sind unschlagbar!
Die Rechtslektüre im Sinne von „Lesestoff“ gliedert sich in Gesetze, Rechtsprechung,
Kommentare, Hand- und Lehrbücher, Fallbücher, Nachschlagewerke, Skripten, Internetdatenbanken, Ausbildungs- und Fachzeitschriften.
1. Gesetze
Vor der „Gesamtheit des Schrifttums“ - so bezeichnet der Jurist die Literatur - muss immer
erst die Primärlektüre stehen: das Gesetz. Nicht von der Literatur zum Gesetz, sondern
vom Gesetz zur Literatur muss Ihr Ausbildungsweg fortschreiten. Am Anfang hat immer
das Gesetz zu stehen! „Juristerei aus dem Lehrbuch“, die Gesetzeslektüre vernachlässigt,
schadet. Das Gesetz ist im Übrigen auch die einzige Literatur, die Ihnen von den Anfängerklausuren bis hin zum Examen zur Verfügung steht. Allein deshalb muss man sich an Gesetzesbände gewöhnen. Im ersten Semester werden BGB-, StGB- und Grundgesetztexte
benötigt. Die aber bitte in Druckversion, nicht in digitaler Form! Erstens können Sie
Randbemerkungen oder Tatbestandsmerkmalnummerierungen vornehmen, zweitens gewöhnen Sie sich so an den Umgang, da Sie in Klausuren kein Notebook verwenden dürfen.
Es genügt zwar die Anschaffung einer Paperbackausgabe, besser ist aber der Kauf eines
Schönfelders, Loseblattsammlung.
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2. Lehrbücher
Sie haben überragende Bedeutung für das Verstehen von Gesetzen, juristischen Systemen
und Zusammenhängen. Ohne sie kommt kein Student aus. Lehrbücher erheben in der Regel nicht den Anspruch, die Rechtslagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. Sie wollen
vielmehr den Leser in ein Rechtsgebiet einführen und ihm dieses in systematischer Weise
vermitteln. Aus didaktischen Gründen wird die Rechtsprechung nur exemplarisch wiedergegeben.
Bei der Auswahl der richtigen Lehrbücher wird es schwieriger. Bei juristischen Lesewerken
gibt es drei Kategorien:
 Die Einen enthalten zuwenig neue Informationen – das Buch ist langweilig.
 Die Anderen enthalten zuviel neue Informationen – das Buch wirkt entmutigend.
 Ideal ist die dritte Kategorie. Das Werk enthält ein angemessenes Mittel von solchen
Mitteilungen, die über das schon Bekannte hinausgehen. Das Buch ist richtig!
Vor diesem Hintergrund leuchtet ein, weshalb niemals alle Juristen gleich über eine Lerninformationsquelle urteilen: der eine ist Profi, das Buch ist langweilig, der andere ist Newcomer, das Buch ist entmutigend. Es ist schier ausgeschlossen, dass für alle Leser das ideale Maß an Informationen getroffen wird. Das ist die große Gefahr für den Anfänger!
Lehrbuchmotto muss immer sein: Klarheit in die juristische Komplexität zu bringen. Das
muss für Sie der einzige Gradmesser für Literatur sein! Daran müssen Sie Ihre schriftliche
Lehrmeister sämtlich messen!
Testen Sie den Autor: Wählen Sie ein kniffliges Rechtsproblem aus Ihrer Vorlesung und
lesen Sie in mehreren Lehrbüchern speziell zu diesem Problem nach. Fragen Sie sich, welches der Bücher Ihnen das Problem am besten erklärt hat. Haben Sie das Gefühl, Sie
könnten es in einer Klausur aktiv wiedergeben, dann ist das das richtige Lehrbuch für
Sie!
Lassen Sie möglichst die Finger von Kurzlehrbüchern, die den Stoff in viel zu verdichteter
und komprimierter Art und Weise verknappen. Man bekommt ihn einfach „verpasst“. Gerade am Anfang des Studiums ist ein solcher Kauf eine sichere Fehlinvestition. Diese Art
von Büchern präsentieren, genau so wie schlechte summarische Skripten, ihre Informationen überwiegend in Form von fertigen Überlegungen. Wichtig ist aber, sie für den Neuankömmling als Ableitungen aus dem Gesetz vor dem Hintergrund ihrer Funktion im
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Rechtsgefüge und ihrer Stellung im „System Jura“ zu präsentieren. Genau das benötigen
Sie zum Verständnis im Anfang! Solche Kurzfassungen verkürzen nicht; sie verlängern. Sie
ermüden und verhundertfachen die Mühe. Sie zeigen keine erfassbare Methode und heben
einseitig auf ein robustes Memorieren ab.
Empfehlenswert ist die Anschaffung je eines eingeführten Lehrbuches für die Gebiete:
BGB - Allgemeiner Teil, Schuldrecht, Sachenrecht und Strafrecht – Allgemeiner Teil. Solche Lehrbücher ermöglichen viel besser als die Kurzlehrbücher, langsam mit den schwierigen Fragen des jeweiligen Teilgebietes vertraut zu machen. Das in Vorlesungen oder Skripten manchmal nur grob Gezeichnete wird hier verfeinert und ermöglicht den raschen Zugriff auf die Systematik und auf die Gestaltungsprobleme des interessierenden Teilbereichs. Hier wird kein Missbrauch mit Ihrer Zeit betrieben! Viel öfter als bisher wird sich
bei Ihnen ein „Aha-Erlebnis“ einstellen, Zusammenhänge werden deutlich hervortreten.
Das Verständnis wird sprunghaft wachsen.
Diese Standard-Lehrbücher sind so zuverlässig wie nur irgend möglich geeignet, die Augen
für die Jurawelt zu öffnen, die Wahrheit über ein offenes Problemfeld und das Verständnis
dafür zu erfahren. Zugegeben, in ihren Abschweifungen, ihrer Zitierwut und allgemeinen
Betrachtungen gibt es manche Passagen, die sich darin gefallen, nichts ungesagt und unzitiert zu lassen. Zugegeben auch, sie sind manchmal verdammt kompliziert, dick und teuer
und schrecken deshalb ab. Dennoch! Derartige Lehrbücher muss man nur effektiv genug
zu nutzen gelernt haben.
Nehmen wir ein Beispiel: Sie lernen gerade im Liegenschaftsrecht den „Erwerb vom
Nichtberechtigten bei Grundstücken“. Nehmen Sie sich dazu in der Seminarbibliothek
einmal den Klassiker „Baur, Lehrbuch des Sachenrechts“ vor. 13 Seiten Inhaltsverzeichnis! Panik? Nein! – Machen Sie bitte jetzt ganz einfach einmal mit!
Zunächst gilt es, sich durch einen systematischen Überblick seinen Standort im „Sachenrecht“ zu verschaffen. Dazu müssen Sie das Inhaltsverzeichnis durcharbeiten, indem Sie
selbst die Grobgliederung des Buches schaubildlich in einem Baumdiagramm darstellen:
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Sachenrecht
Bewegliche Sachen
Unbewegliche Sachen
Erwerb
vom Berechtigten
§§ 873 Abs. 1, 925
Abs. 1 BGB
Belastungen
vom Nichtberechtigten
§§ 873 Abs. 1, 925 Abs. 1,
892 Abs. 1 S. 1 BGB
Um Ihre Motivation zu erhöhen, formulieren Sie jetzt Fragen. Eine sehr einfache Methode zur Erlangung von Fragen besteht darin, die Überschriften umzuformulieren: „Welche Arten von Sachen gibt es?“ – „Was kann man mit unbeweglichen Sachen alles machen?“ – „Wie kann man unbewegliche Sachen erwerben?“ – „Wie vollzieht sich der Erwerb eines Grundstücks vom Nichtberechtigten?“ Durch die Fragen rücken Sie ein Problem in den Brennpunkt des Lernens, womit jeder Denkprozess (Problemlösungsprozess)
bekanntlich beginnt. Sie merken, dass Ihre Motivation wächst, weil Sie ein überschaubares
Problem in Angriff nehmen und nicht mehr den ganzen Lehrbuchberg vor sich herschieben.
Nunmehr beginnt der Weg der Informationsaufnahme, das eigentliche Lesen. Sein Motto: Vom Buch in den Kopf. Sie suchen die Antwort auf Ihre zuvor gestellte Frage, richten
sich nur an ihr aus. „Wie vollzieht sich der Erwerb eines Grundstücks vom Nichtberechtigten?“ Diese Frage und der die Antwort bergende § 892 BGB sind Ihre einzigen Leitsterne.
Sie stellen fest: Ich benötige Vorwissen, nämlich über den Grundstückserwerb vom Berechtigten. Die neuen Mitteilungen (Informationen) knüpfen an bekannten an: das Neue
im Alten, das Alte im Neuen! Also: Wiederholung der alten Tatbestandsmerkmale der §§
873 Abs. 1, 925 Abs. 1 BGB an einem Normalfall.
Dann formen Sie den Text in ein Schaubild um. Sie sehen, dass sich Text und Baumdiagramm gegenseitig ergänzen und verstärken. Bitte schlagen Sie im „Baur“ keines der
vielen Zitate nach. Sie kämen nicht durch!
Anschließend klappen Sie das Lehrbuch zu und versuchen, das Gelesene in Erinnerung
zu rufen. Das Gesetz bleibt mit seinem § 892 BGB offen neben Ihnen liegen. Ist die Frage
„Wie vollzieht sich der Erwerb eines Grundstücks vom Nichtberechtigten?“ beantwortet?
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Schreiben Sie die Antwort in Stichworten auf ein Blatt Papier, möglichst in Ihrem eigenen
Sprachstil. Das Übersetzen in Ihre Sprache ist wichtig. Die Wiederholung der von juristischen Größen geäußerten Worte führt nicht zum dauerhaften Behalten. Gelingt Ihnen die
Übersetzung, so haben Sie den Text verstanden – gelingt sie Ihnen nicht, besteht ein Anreiz, die offen gebliebene Frage neu zu klären.
Zum Abschluss nehmen Sie eine Rückkoppelung zu Ihren Aufzeichnungen oder Ihrem
Liegenschaftsrechtsskript vor. Erneut steigen Sie in das Gebiet ein, das Sie zu dem „Baur“
verleitet hat und stellen hoffentlich befriedigt fest: Theoretisch kapiert!
Die Krönung des Ganzen wäre jetzt die Anwendung des „Grundstückserwerbs vom Nichtberechtigten“ auf einen praktischen Fall: Praktisch kapiert!
3. Skripten
Kaufen Sie sich möglichst bald gute Skripten der für Sie einschlägigen Rechtsgebiete. Gute, aus der Lehr- und Lernerfahrung „klug“ gewordene Skripten führen Sie erst behutsam
und stoßen Sie dann voran! In diesen Skripten werden Ihnen oft Dinge begegnen, die von
den zünftigen Meistern des juristischen Metiers in Lehrbüchern gründlicher behandelt
werden – aber nicht besser! Bei dem, was gute Skripten zusammentragen, hat man unter
lang erprobten didaktischen Gesichtspunkten darauf geachtet, was den juristischen Gedanken ins rechte Licht rückt. Sie suchen keine Ehre im Zitatenreichtum, zählen nicht die
juristischen Lehrmeinungen, verlieren sich nicht in „Zitatologie“, gehen nicht auf Gelehrsamkeit aus, lieben nicht die grammatikalischen Spitzfindigkeiten und kunstreichen Fügungen der Worte und Schlüsse. Gute Skripten besitzen die Meisterschaft, das Wissenswerte auszuwählen und sich zwischen vielen Meinungen für die prüfungsrelevante und
klausurenkompatible zu entscheiden. Die Verfasser haben Recht, wenn sie sich aufgrund
ihrer jahrzehntelangen Erfahrung mit Tausenden von Studenten und mit Hunderten von
Examina die Befugnis herausnehmen, Sie wissen zu lassen, was ihnen wissenswert erscheint.
4. Fallbücher
Wissen muss man anwenden können. Angewendet wird das Wissen in der Klausur. Also
muss man klausurrelevantes Anwendungswissen erlernen. Dafür gibt es Fallbücher, Klausurenfibeln und anderes Trainingsgerät in Form von Büchern und Skripten.
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5. Kommentare
Kommentare sind mit Anmerkungen und kritischen Erläuterungen versehene Zusatzwerke
zu einem Gesetzeswerk, in denen Gerichtsentscheidungen und die wissenschaftliche
Rechtsliteratur in der Regel umfassend ausgewertet werden. Sie bilden in Deutschland die
wichtigste Gattung der juristischen Sekundärliteratur, weil sie in hervorragender Weise
geeignet sind, dem Leser einen breiten Überblick über die Auslegung und Anwendung der
Gesetze zu verschaffen.
Je nach Tiefe und Breite wird zwischen verschiedenen Kommentaren unterschieden. Gemeinsam ist allen, dass sie Erläuterungen zu den einzelnen Paragrafen eines Gesetzes
enthalten, eben die Gesetze „kommentieren“. Jede Einzelnorm wird erörtert. Sie unterscheiden sich nach ihrer Detaillierung in:
Studienkommentare: Sie enthalten das prüfungsrelevante Wissen.
Kurzkommentare: Sie sind recht praxisorientiert, überwiegend anhand der Rechtsprechung strukturiert. Die bekanntesten Kurzkommentare stellen der „Palandt“ für das
BGB und der „Schönke-Schröder“ für das StGB dar. Sie umfassen jeweils nur einen
Band.
Großkommentare: Sie behandeln jeden Paragraphen mit äußerst wissenschaftlicher Tiefe, umfassen mehrere Bände (Leipziger Kommentar – StGB: 13 Bände; Münchner
Kommentar – BGB: 11 Bände; Staudinger – BGB: 80 (!) Bände). Wegen der Gefahr des
Verlaufens sollten sie vor der ersten Hausarbeit unbedingt gemieden werden.
Es empfiehlt sich, schon früh mit den Standardkommentaren „Palandt“ und „Schönke/Schröder“ zu arbeiten. Sie gehören auf die Liste Ihrer 10 wichtigsten Bücher. Diese
Kommentare haben es nicht mehr nötig, irgend jemandem irgend etwas zu beweisen. Sie
haben ihre Geburtswehen längst überstanden und ihr inneres Gleichgewicht gefunden,
weil sich durch ihre Daseins-Dauer ihre überragende Tauglichkeit und Anwendungsfähigkeit erwiesen haben. Sie sind zum Rechtszustand geworden. Die die Gesetze tragenden,
von Beginn an wichtigen Systeme und Strukturen, sind nirgendwo besser herausgearbeitet
als in diesen beiden Kommentaren. Die kommentierten Gesetze sind so säuberlich nach
dem Wenn/Dann-Konditionalmodell aufgebaut, dass man regelmäßig den Ziffern 1, 2, 3 ff.
die Tatbestands-Bausteine 1, 2, 3 ff. der Normen und ihre Rechtsfolgen mühelos entnehmen kann. Wenn Sie diese in eine Baum-Struktur eintragen, gewinnen Sie für jeden behandelten Paragraphen ein bestechendes System. Gewöhnen Sie sich an diesen Umgang,
auch wenn es anfangs wegen der Abkürzungssprache sehr schwer fällt. Je früher Sie sich
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darin üben, desto sicherer wird Ihr „handling“ mit den „Dicken“. Auch die Einführungen
zu einzelnen Rechtsgebieten und Rechtsinstituten oder speziellen Paragraphen sind aufgrund der Erfahrungen, welche die bedeutenden Kommentatoren besitzen, angetan, ihnen
mit wachsender Entdeckerfreude zu folgen. Wichtig ist bei Kommentaren auch die stringente Verbindung zwischen kommentierendem Text und kommentiertem Gesetzestext.
Das Gesetz ist immer die Überschrift, die Kommentierung die Erläuterung, so dass das
lernende Auge im ungezwungen Augenkontakt immer zwischen beiden hin- und herwandern kann.
6. Nachschlagewerke
Wenn Sie über Begriffe, Institute oder Spezialwortgut der Juristerei stolpern, wenn Sie in
den Definitionen, Konnotationen und Denotationen der einzelnen Tatbestandsmerkmale
unsicher sind, sind sie doch unerlässlich. Schlagen Sie nach in einem Fremdwörterlexikon,
einem etymologischen oder einem juristischen Lexikon. Gleiches gilt bei schwankender
Kompetenz in Rechtschreibung und Grammatik für die Duden-Bände.
7. Rechtsprechung
Sie umfasst alle Angelegenheiten, die nach der Rechtsordnung persönlich und sachlich
unabhängigen Richtern zur Erledigung zugewiesen sind. Sie erfolgt zur Wahrung der
Rechtsordnung und des Rechts und zur Gewährung von Rechtsschutz. Nach Art. 92 GG ist
die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut. Sie wird durch das Bundesverfassungsgericht, die Bundesgerichte BGH, BSG, BAG, BVerwG, BFH und durch die Gerichte
der Länder (AG, LG, OLG; VG, OVG; ArbG, LAG; SG, LSG; FG) ausgeübt. Die Rechtsprechung manifestiert sich, soweit es den Studenten interessiert, in einem Urteil (alt. Beschluss), der häufigsten Form gerichtlicher Entscheidungen. Im Strafprozess geht es um
die Entscheidung des Strafgerichts über die Strafbarkeit und die Bestrafung des Angeklagten, im Zivilprozess um die des Prozessgerichts über den Klageanspruch des Klägers. Jeder
einzelnen Rechtsprechung liegt Rechtsanwendung und ein Rechtsfindungsprozess zugrunde. Ein Teil der Rechtswissenschaft geht dabei davon aus, dass das Gesetz stets nur
eine einzige richtige Entscheidung für den konkreten Fall liefern könne und die Richtigkeit
dieser einzig möglichen Entscheidung im Gesetz selbst begründet sei. Es handele sich um
einen intellektuellen Akt des Klärens ausschließlich durch den Verstand des rechtsanwendenden Organs. Der Rechtsanwendungs- und Rechtsfindungsvorgang sind jedoch ein
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komplexerer Prozess, bei dem das Gesetz keine vollständige Vorbestimmung für die Entscheidung bietet. Es fließen unterschiedliche Aspekte mit verschiedener Gewichtung in die
Rechtsfindung ein: Neben der bewähren Rechtslehre sicherlich auch unterschiedliche Vorverständnisse, Wertvorstellungen und Persönlichkeitsstrukturen bei der Auslegung der
Gesetze durch die Richter.
Für den Studenten ist wichtig, wo er die Entscheidungen der Rechtsprechung finden kann.
Offizielle Entscheidungssammlungen bilden in Deutschland nur das Bundesgesetzblatt
(BGBl.), in dem gem. Art. 31 BVerfGG Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts abgedruckt werden, ferner das BStBl. für Entscheidungen des Bundesfinanzhofes. Ansonsten
sind die Sammlungen nicht offiziell, weil sie von privaten Verlagen vertrieben werden. Allerdings werden die Entscheidungen, die in der Sammlung veröffentlicht werden, von
Mitgliedern des Gerichts ausgesucht. Entscheidungssammlungen bestehen für das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE, Mohr), den Bundesgerichtshof (Heymanns) in Zivilsachen und Strafsachen (BGHZ und BGHSt), das BVerwG (BVerwGE, Heymanns) sowie für
das Bundesarbeitsgericht (BAGE, de Gruyter), das Bundessozialgericht (BSG, Heymanns)
und den Bundesfinanzhof (BFHE, Stollfuss). Darüber hinaus haben die Oberlandesgerichte und Oberverwaltungsgerichte eigene Entscheidungsreihen. BGHZ und BGHSt sind inzwischen auf CD-ROM verfügbar.
Entscheidungen lassen sich über Datum und Aktenzeichen feststellen, nicht dagegen über
die Parteinamen, da diese in Deutschland üblicherweise nicht genannt werden.
Nicht nur Gesetze, sondern auch Entscheidungssammlungen werden darüber hinaus als
inoffizielle Entscheidungssammlungen von privaten Verlagen herausgegeben. Das hat den
Vorteil, dass diese Sammlungen die Entscheidungen nicht nur chronologisch, sondern
auch durch Stichwörter alphabetisch und systematisch nach Paragraphen erfassen. Mit
über 15.000 Seiten am umfangreichsten ist die „Deutsche Rechtsprechung. Entscheidungsauszüge und Aufsatzhinweise für die juristische Praxis (DRspr. Deutscher
Rechtsprechungs Verlag GmbH)“. Sie enthält eine kurze Wiedergabe der Entscheidung in
Schlagworten und Hinweise, wo sie an anderer Stelle veröffentlicht ist. Ähnlich umfassend
ist die Sammlung von „Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs
(LM, C.H. Beck)“. Schließlich gibt es Entscheidungssammlungen, die sich auf bestimmte
Rechtsgebiete spezialisieren, wie das „Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NBVerfG, Decker).
Von der Praxis weitgehend benutzt werden allerdings die ausführlicher wiedergegebenen
Entscheidungen in den juristischen Zeitschriften. Zu nennen sind hier vor allem die „Neue
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Juristische Wochenschrift (NJW)“, die „Juristenzeitung (JZ)“, aber auch die „Monatsschrift des deutschen Rechts (MDR)“.
Bei JURIS finden sich alle Entscheidungen der amtlichen Sammlung im Volltext, zahlreiche andere dagegen nur auszugsweise. Von JURIS gibt es die höchstrichterliche Rechtsprechung auf CD-ROM (Juris data discs Nr. 1-5). Eine Auswahl von BGH- bzw. BVerfGEntscheidungen auf CD-ROM findet man bei BGH-DAT (Heymanns) sowie als NJWhöchstrichterliche Entscheidungen-CD und BVerfG-CD (C.H. Beck).
Die Veröffentlichung einer Gerichtsentscheidung dauert oft Monate, zumindest aber Wochen. Deshalb sollte man wissen, dass man Gerichtsentscheidungen mit Nennung von Datum und Rechtssache direkt beim Gericht anfordern kann. Entsprechende Eildienste bieten auch der Boorberg Verlag und die ZIP (Verlag Kommunikationsforum Recht, Wirtschaft, Steuern). Vorabdrucke finden sich auch in den Umschlagseiten juristischer Zeitschriften wie NJW und JZ.
8. Fachzeitschriften
Juristische Zeitschriften informieren in Aufsätzen und Entscheidungsrezensionen über
einzelne Rechtsgebiete, geben aktuelle Rechtsprechungsübersichten oder zeigen Entwicklungen auf. Sie enthalten entweder nur Aufsätze oder sind janusköpfig, weil sie Urteil und
wissenschaftliche Aufbereitung miteinander verbinden. Solche Entscheidungsbesprechungen, genannt Urteilsanmerkungen, bewerten ein Urteil. Dazu wird das Urteil in seinen
Kontext eingeordnet, also früheren Entscheidungen und vor allem der Literaturansicht
gegenübergestellt. Sie zu lesen, erscheint sinnvoll, da sie permanent die neueste Rechtsprechung sowie die Entwicklung in Theorie und Praxis verfolgen. Es gibt drei Arten: Zum
einen diejenigen, die alle Rechtsgebiete umfassen (NJW; JZ; MDR), zum anderen Fachzeitschriften für einzelne Rechtsgebiete wie ArbR, WirtschR, StrR und schließlich Ausbildungszeitschriften für das Studium wie JuS, JA. Es gibt heute kein Fachgebiet ohne Fachzeitschrift, selbst das Medienrecht oder das Internetrecht verfügen über eigene Zeitschriften.
9. Ausbildungszeitschriften
Häufig wird Studierenden geraten, bereits während der ersten Semester die aktuellen
Entwicklungen in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft durch die Lektüre einer Ausbildungszeitschrift zu verfolgen. Dieser Rat muss zumindest stark eingeschränkt werden:
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Gerade am Anfang des Studiums kommt es nämlich keineswegs darauf an, immer die
neuesten Entscheidungen des BGH zu kennen. Vorrangig ist, das Gesetz und das dahinter
steckende System zu verstehen und beides mit Methode zu erarbeiten. Hinzu kommt, dass
es derzeit keine Ausbildungszeitschrift auf dem Markt gibt, die sich in ihren Beiträgen auf
den tatsächlich für die Studienanfänger relevanten Stoff beschränkt. Zwar wird in praktisch allen Artikeln von Zeitschriften wie beispielsweise JuS, JA und Jura behauptet, es
handle sich bei der gerade behandelten Thematik um anfängerrelevanten Stoff. Dies
stimmt jedoch nur in einem Teil der Fälle. Daneben findet sich eine Fülle von viel zu
schweren, auch gar nicht prüfungsrelevanten Artikeln, von immerhin ansprechenden Beiträgen zur juristischen Allgemeinbildung („Einführung ins Bankrecht“) bis hin zu zwar
interessanten, aber eher entlegenen Themen („Kirchenrecht in Erlangen“, so ein Aufsatzthema in der JuS vor einigen Jahren). Gerade für den Anfänger liegt hierin eine große Gefahr, da er noch nicht den Überblick besitzt, die tatsächliche von der nur behaupteten
Klausurenrelevanz zu unterscheiden. So lernt man nicht nur viel Überflüssiges, zurück
bleibt häufig auch ein Gefühl der Überforderung, das durch den perfektionistischen Stil
der Beiträge, die Zitierwut sowie die epischen Musterlösungen abgedruckter Klausuren
noch verstärkt wird. Daher gilt für den Anfang: Das Abonnement einer Ausbildungszeitschrift kann auch noch auf später verschoben werden!
10. Internetdatenbanken
Die umfangreichste juristische Online-Datenbank ist „juris“, abrufbar unter www.juris.de.
Hier findet man fast alles an Lektüre, was die Juristerei zu bieten hat. Die zweitumfangreichste ist „beck-online“, abrufbar unter www.beck-online.de. Über Campus-Lizenzen
Ihrer Heimatuniversitäten ist der Zugang in der Regel kostenfrei möglich. Man sollte zur
optimalen Nutzung für Recherchen allerdings von der Universität angebotene Kurse besuchen.
Alles kaufen? Nein! Man kann Bibliotheken und Datenbanken nutzen. Aber einiges muss
einfach sein.
Auf oder an Ihren Arbeitsplatz gehören ständig: Schönfelder – Deutsche Gesetze,
die Kommentare Palandt und Schönke/Schröder, für jedes Gebiet nur ein (!) Lehrbuch,
Ihre Skripten, ein Fremdwörterlexikon, ein etymologisches Lexikon und ein juristisches
Lexikon. Zu teuer? Es handelt sich bei diesen Anschaffungen um Ihre Arbeitsgeräte, um
Investitionen in Ihren Beruf und Ihre Zukunft. Keine Angst davor, dass die Auflagen veral451
ten – sie genügen grundsätzlich den Ansprüchen bis zu Ihrem Examen. Das muss Ihre
Hand- und Hausbibliothek sein!
Über die „Ziegelsteine“ Schönfelder und Sartorius sollte zwischen uns Einverständnis herrschen: Sie sind unabdingbar. Gleiches gilt für die von mir Ihnen
anempfohlenen Lexika, auch diese sind unverzichtbar. Es ist eben auch nicht peinlich, mit
einem Schönfelder in der Vorlesung zu erscheinen, vielmehr klug, weil man jedem professoralen Ausflug in ein zitiertes Gesetz folgen kann. Es ist eben auch nicht schick, mit einer
Paperbackausgabe des BGB aufzulaufen, vielmehr dumm.
4.11 Wie eine jurastudentische Lerneinheit aussieht
Unter einer juristischen Lerneinheit versteht man eine abgeschlossene zweistündige Lernphase. Sie liefert die Kriterien für die zieladäquate Verlaufsform Ihrer Wochenplanziele
und Ihrer Tagesplanziele. Durch deutlich hervortretende Zäsuren in der Abfolge „portionierter“ Lerneinheiten gewinnt der Studienalltag seine Kontur. Machen Sie sich dabei eine
wichtige Erfahrung zunutze: Das „Streben nach Abgeschlossenheit des Vorgenommenen“
ist ein auch im studentischen Gedächtnis tätiges Grundprinzip menschlichen Handelns:
Man will Leistungen zum Abschluss bringen. Gerade eine Zwei-Stunden-Lerneinheit ist
ein solches nach Abgeschlossenheit strebendes Ziel. Das macht sie so wertvoll. Setzen Sie
sich solche effektiven, aber erreichbaren Ziele!
Vor einiger Zeit las ich einen Bericht über ein 9-jähriges Mädchen, das als Einzige einen
Schiffsuntergang überlebte, indem es schwimmend eine Zehnmeilenstrecke überwunden
hatte. Am Ufer wurde es entkräftet, aber gesund gefunden. Niemand konnte sich erklären,
wie das Mädchen es fertig brachte, diese Mammutstrecke aus eigener Kraft zurückzuschwimmen. „Ganz einfach“, sagte das Mädchen den verblüfften Reportern, „Ich wusste
die Richtung, und dann bin ich einfach losgeschwommen. Immer habe ich gedacht: Jetzt
noch einen Schwimmzug und dann wieder einen. Ich habe immer nur an den nächsten
Schwimmzug gedacht und dann wieder an den nächsten Zug. Und auf einmal war ich an
Land.“ Also: Ihre Richtung ist klar – erfolgreiche juristische Ausbildung; und jetzt – Lerneinheit um Lerneinheit! Und auf einmal sind Sie am Ziel.
Ihr Agieren an Ihrem Arbeitsplatz muss in einer solchen Zwei-Stunden-Lern-„Portion“
eine innere Bewegtheit, eine Spannung, eine gewisse Dramatik für Sie entwickeln.
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1. Zuerst die motivierende Eröffnung mit ihren anregenden Momenten.
In dieser öffnenden Phase geht es um Ihre Aktivierung. Sie sollten sich in dieser Zeit in
eine Erwartungshaltung versetzen, die kurz, konzentriert und logisch zwingend zum Stoff
ist, ohne wesentlichen Kraft- und Zeitverbrauch mit sich zu bringen.
Stellen Sie dazu die folgenden vier Fragen:
Was weiß ich schon über dieses von mir zu bearbeitende juristische Gebiet?
In welchem rechtlichen, systematischen Zusammenhang steht es?
Was interessiert mich daran besonders?
Was weiß ich von dem Umfeld?
Beispiel: Sie wollen das „Zustandekommen eines Vertrages“ lernen.
 „Was weiß ich über das Gebiet des Vertragsrechts?“
Verträge, Verträge ...? Schon oft gehört! Kaufvertrag, Mietvertrag, Erbvertrag, Übereignungsvertrag! – Gesellschaftsvertrag! – Ehevertrag! Scheidungsvertrag! Der Vertrag
scheint ein wichtiges Steuerungs- und Gestaltungsmittel des Privatrechts zu sein. Aber wie
kommt er genau zustande? Der Zweck eines Kaufvertrages mit einem Verkäufer V ist es,
einen Rechtserfolg herbeizuführen, nämlich dem Käufer den Anspruch auf Eigentumsverschaffung aus § 433 Abs. 1 BGB und V den Anspruch auf den vereinbarten Kaufpreis zu
verschaffen, § 433 Abs. 2 BGB. Dieser Rechtserfolg tritt ein, weil er von beiden so gewollt
ist und weil die Rechtsordnung diesen Rechtserfolg in § 433 BGB anerkennt. Die Handlungen, die diesen Rechts-erfolg herbeiführen, sind die Willenserklärungen: Angebot und Annahme, die Achse des Vertrages.
 „In welchem rechtlichen Zusammenhang steht der Vertrag?“
Er steht generell im allgemeinen Teil des BGB (§ 145 ff. BGB)! Dieser enthält die gemeinsamen Grundlagen für alle privatrechtlichen Lebens-(Rechts-)Verhältnisse, das BasisWissen, also die vor die Klammer des Privatrechts gezogenen Zankäpfel. Er gilt damit für
alle folgenden vier (mit HGB fünf) (mit Arbeitsrecht sechs) Bücher.
 „Was interessiert mich am Vertrag besonders?“
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Wenn das BGB die Regeln über das Zustandekommen eines Vertrages vor die Klammer
zieht und diese um den Begriff des Rechtsgeschäfts in § 145 ff. BGB gruppiert, dann gelten
diese Regeln ja für jeden Vertrag – egal ob im Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht
oder im Erbrecht. Alle Verträge kommen auf die gleiche Art und Weise zustande? Das
müssen ja tolle Regeln sein, die den Vertrag und damit das „Vertragen“ im Recht hervorbringen.
 „Was weiß ich schon von dem Umfeld des Vertrages?“
Habe ich schon Assoziationsglieder, Pakete oder Kommoden, an die ich anknüpfen, andocken könnte? Welche Schubladen sind schon aufgefüllt, welche Pakete gepackt? Jetzt folgt
die Einordnung.
Tipps zur Aktivierung für Ihre Eröffnung:
 Konzentrieren Sie sich! Stimmen Sie sich ein! „Ich will jetzt etwas Neues lernen.“
 Inhaltsverzeichnis des Lehrbuchs/ Skripts aufschlagen und das Gebiet dort aufsuchen!
Nehmen Sie die Konfrontation mit dem neuen Gegenstand vor! Um was soll es gehen?
 Zwei Kapitel davor – zwei Kapitel dahinter nur in den Überschriften lesen! In welchem
systematischen Zusammenhang steht das Neue?
 Lerneinheit in Ihre „Jura-map“ einpassen! Was hat „das Neue“ für einen Platz in meinem „Jura-System-Diagramm“? Blick nach oben, Blick nach unten, Blick zur Seite!
 Unbedingt Gesetz aufschlagen (sollte aufgeschlagen neben Ihnen liegen bleiben)! Wo
steht es?
 Einschlägige Paragraphen vorweg genau mit dem Zeigefinger lesen und auseinandernehmen
 Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolge herausarbeiten! Wenn was vorliegt, tritt was
ein?
 In welchem Abschnitt und Titel des Gesetzes stehen die neuen Paragraphen? (Gesetzliche Systematik!)
 Fragen Sie schon mal ganz leise nach dem Grund des neuen Lernstoffes. Was soll das
bringen?
2. Nun folgt die Anspannungsphase.
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Es kommt der Höhepunkt der Lerneinheit, auf dem man mit dem neuen Lehrstoff durch
das „Bekanntschaftsarrangement“ seines Lehrbuchs/ Skripts zusammenkommt – mal besser geführt, mal schlechter. In diesem Moment der Anspannungsphase muss man sich mit
den neuen Lehrinhalten vertraut machen. Dabei genügt eine oberflächliche Behandlung
nicht. Wenn man hier nicht ehrlich und verantwortlich sich selbst gegenüber vorgeht, ist
die Chance für eine ergiebige Sachbegegnung verpasst. Es geht nicht ohne Verweilen, ohne
Abziehen der Gedanken von allem anderen, zumindest für eine Zeit lang. Ohne ein konzentriertes Versenken in die neue Materie klappt es nicht!
Tipps für die Begegnung mit dem Neuen:
 Höchste Konzentrationsphase! (Tunnelblick!)
 Lehrbuch oder Skript langsam lesen, Zeile um Zeile ohne Eile, Wort um Wort; am besten mit begleitendem, öfter verweilendem Zeigefinger! (Zeigefingerlernen)
 Markierungen farblich vornehmen! (Buntstiftlernen)
 Jedes unbekannte Fremd- oder Fachwort im Duden nachschlagen! (Lexikalernen.)
 Auch deutsche Wörter, die Tatbestandsmerkmale sind, im etymologischen Lexikon
suchen! Aber immer nur das eine Wort, nicht etwa noch zehn weitere. Von Interesse
ist nur Ihr Pensum! Das „Etymologische“ ist wichtig, um sämtliche begrifflichen Komponenten des Tatbestandsmerkmals zu erfassen, seinen Wortkern und seinen Worthof.
(Herkunft der TBMe)
 Sämtliche erwähnten Paragraphen lesen! („Den kenn ich ja“, gibt es nicht.)
 Ständig den Blick zum Gesetzestext halten und den Lehrbuchtext am Gesetzestext
messen und kontrollieren! Das Gesetz ist als Zentralgestirn, um das alles Lernen
kreist, immer der Mittelpunkt Ihrer Lerneinheit – Sie sein ständiger Begleiter. Was Sie
aus dem Gesetz nehmen können, das nehmen Sie; das „Unsichtbare“ und „Ewige“
nehmen Sie aus der Methode!
 Eindringliche Auseinandersetzung mit dem Zweck des zu lernenden Rechtsinstitutes.
„Was soll das?“; „Wozu ist das gut?“; „Hätte ich das als Gesetzgeber auch so gemacht?“
(Ratio des Gesetzes)
 Schwierige Sätze dreimal lesen! (Verweilen statt eilen.)
 Nach einem Abschnitt innehalten und reflektieren! Grund: Der Lehrinhalt des Abschnitts soll sich zur allgemeinen Erkenntnis verdichten, sich setzen, sich vertiefen.
Machen Sie mal die Augen zu! (Stillphase)
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 Wiederholen Sie das Gelesene im Selbstgespräch zur Ergebnissicherung! Hierbei entdecken Sie Verständnisschwierigkeiten, hier werden Sie veranlasst, Verdeutlichungsversuche zu starten. Fragen Sie sich selbst ab! (Lerndialog)
 Erstellen Sie eine eigene Gliederung - nicht etwa ein Protokoll - des Gelesenen unter
Zuhilfenahme des Lerntextes. (Rahmen Sie alles in ein Schema!)
 Zwingen Sie sich zur Anlegung eines System-Baumdiagramms. Bestimmt, es geht immer! Lassen Sie einen Erkenntnisbaum wachsen! (Baumdiagramm)
 Rekapitulieren Sie die Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen mit ihren begrifflichen
Inhalten! (Wiederholung)
 Überhöhen Sie das Gelernte durch einen Merkspruch, eine Eselsbrücke. (Langzeitgedächtnis!)
 Vergleichen Sie das Gelernte mit Bekanntem, Ähnlichem! Nehmen Sie bewusst Vergleiche vor! (Parallelen suchen)
 Stellen Sie die Rechtsfolge der Norm noch einmal klar heraus! (Blick auf das „Dann“)
3. Zum Schluss steht der Lernabschluss – der Abschwung
Hier überragt die Kontrollfrage: „Kann ich jetzt über das in der Anspannungsphase juristisch Gelernte frei verfügen?“ „Ist der Nebel über diesem Paragraphenfeld klarer geworden?“ Hier müssen Sie vor sich selbst ganz ehrlich Rechenschaft ablegen, ob Sie sich den
juristischen Lerngegenstand zu „eigen“ gemacht haben, ob er wirklich Ihrem Langzeitgedächtnis „gehört“, so dass Sie zukünftig frei darüber verfügen können. Lesen Sie noch
einmal die durchgenommenen Paragraphen nach, lassen Sie sie auf der Zunge zergehen.
Vielleicht sind Sie motiviert für eine weiterführende Entdeckungsreise. Wenn ja, dann
nehmen Sie jetzt den grauen „Palandt“-Kommentar oder den rosaroten „SchönkeSchröder“ zur Hand und stöbern ein bisschen über das Gelernte darin herum.
4. Eine Pause haben Sie sich jetzt verdient.
Zwei Stunden sind vorbei – eine Lerneinheit ist beendet. Nicht nur effektives Lernen will
gelernt sein, sondern auch effektives Pausenmachen. Je strikter man die Pausen einhält,
desto mehr nimmt die Zahl der unbewussten Pausen – kurzes Abschalten lässt sich eben
nie vermeiden – ab. Zum anderen kommt bei genauer Pausenplanung eine gewisse Endspurtmentalität vor der Pause hinzu, die Sie beim Lernabschluss noch einmal auf
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Höchstleistung bringt. Am Anfang jeder Pause machen Sie sich dann klar, dass Sie einen
Teil Ihres Jura-Tages-Lernprogramms hinter sich gebracht haben.
Bei jeder weiteren Pause wird dieser Teil größer, der vor Ihnen liegende immer kleiner.
Diese kleinen Erfolgserlebnisse helfen sowohl bei der genüsslichen Entspannung während,
als auch beim erneuten Lerneinstieg nach der Pause. Lassen Sie sich keinesfalls durch die
Menge der noch auf dem Tagesplan stehenden Aufgaben aus der Ruhe bringen – wichtig
ist nur, dass Sie einen Teil des juristischen Tagespensums planmäßig erledigt haben und
im Rhythmus sind. Da Sie den Sinn der Pause kennen, brauchen Sie kein schlechtes Gewissen zu haben. Denn: Arbeitszeit ist Lernzeit plus Pause! Es bringt überhaupt gar nichts,
die Lerneinheiten krampfhaft zu verlängern, indem Sie Pausen streichen. Massiertes Lernen bis zur Erschöpfung („Der Tag hat 24 Stunden, und wenn das nicht reicht, nimm die
Nacht dazu“) ist ineffektiv. Denken Sie aber auch daran, dass sehr angenehme Pausenaktivitäten die Gefahr in sich bergen, die juristische Arbeit nicht wieder aufzunehmen!
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