Soziologie der Liebe Vorlesung Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Wintersemester 2012/13 PD Dr. phil. habil. Udo Thiedeke „Liebe als Passion“ 1) Romantik für alle! 2) Die Zufälligkeit des Erwarteten 3) Zusammenfassung Soziologie der Liebe Liebe als Passion 1) Romantik für alle! Folie 1 - R.I.P. ­ Ich sag' "Ruhe in Frieden!" .. zu dem Mädchen, das du bisher immer in mir gesehen hast. Ihre Tage sind vorbei, Baby, die ist Vergangenheit! Ja, ich hab mich entschieden, dir alles von mir zu geben. Also komm näher, Baby, komm näher! Ich bin bereit für dich. Alles was früher war, hab ich über den Haufen geworfen. Hab mich völlig umgekrempelt, hab ein neues Kleid übergezogen und den Reißverschluss hochgezogen. Und jetzt, jetzt warte ich nur noch drauf, dass mein Parfum deinen Pullover durchnässt. Also komm schnell her, je eher, umso besser! Und keine Ausreden, ein 'Nein' lass ich nicht gelten! Das hier ist mein Spiel, und die Rolle, die du darin spielst, die bestimme ganz allein ich. Also folge gefälligst meinen Anweisungen! Worauf wartest du noch? Ja, ich hab drüber nachgedacht und entschieden: Heute Nacht, das wird deine Nacht! Rita Ora Soziologie der Liebe Liebe als Passion 1) Romantik für alle! Um die geschilderten Beziehungen von Individualität, Höchstschätzung der Ideosynchrasien (von anderen!) und Leidenschaft im Medium Liebe kommunizieren zu können, war das Aufbrechen des gültigen semantischen Codes von Partnerwahl, Herrschaft und Besitz notwendig. Die hier einsetzende Umorientierung ist wiederum ab dem 18. Jhr. in Europa zu beobachten. Folie 2 Soziologie der Liebe Liebe als Passion 1) Romantik für alle! Bis ins 18. Jhr. war es laut Luhmann bspw. noch normal, die Gattenwahl als Reproduktionsnotwendigkeit einer über Generationen fortdauernden Familie anzusehen und die Gattenliebe, als ehrfürchtiges Anerkenntnis der Herrschaftsordnung im patriarchal geordneten Haushalt zu verstehen. Folie 3 Soziologie der Liebe Liebe als Passion 1) Romantik für alle! Luhmann zeigt zudem auf, dass dem die Liebe des Hausherrn zu seinem Eigentum entspricht, repräsentiert in: „Haus und Besitz, Frau und Kinder“ (1982: 164). Folie 4 Soziologie der Liebe Liebe als Passion 1) Romantik für alle! Im Zuge der Ausweitung funktionaler Differenzierung der Gesellschaft werden diese Positionen zunehmend fragwürdiger. Wir könnten auch sagen die Mediendifferenzierung der SGKM Macht, Geld und Liebe treibt den Zusammenhang von Herrschaft, Besitz und Partnerwahl auseinander. Jetzt wird es normal etwas anderes zu erwarten, wenn man sagt man befiehlt, man besitzt, man liebt. Folie 5 Soziologie der Liebe Liebe als Passion 1) Romantik für alle! Damit eng verbunden ist ein Wandel der Bedeutung von Individualität für die Wahl des Geschlechtspartners und die Entfaltung von Intimbeziehungen. Folie 6 Soziologie der Liebe Liebe als Passion 1) Romantik für alle! War Individualität zunächst deshalb von Interesse, um nichtständische Bindungen (vorwiegend Freundschaften) zu markieren, so wandelt sich im 18. Jhr. unter dem Einfluss der Philosophie und der romantischen Literatur diese Perspektive. Das Individuum wird zum einzigartigen Zentrum des Welterlebens stilisiert. Folie 7 Soziologie der Liebe Liebe als Passion 1) Romantik für alle! Jetzt wird erwartet, dass man die gemeinsame Welt, die man mit der Intimbeziehung erlebt, durch das Welterleben des anderen erfährt. Damit wird die Intimbeziehung zum gemeinsamen Erlebnisraum, etwa des Naturschönen und deshalb ist der romantische Blick der Liebe immer auch auf erhabene oder emotional bewegende Naturphänomene ausgerichtet (etwa Sonnenauf­ und ­untergänge, rauschende Wasserfälle und Wälder, Sternhimmel usw.). Folie 8 Soziologie der Liebe Liebe als Passion 2) Die Zufälligkeit des Erwarteten In diesem Prozess der Ausdifferenzierung einer romantischen Semantik des Mediums Liebe entwickelt sich auch die Form des Mediums. Intimität ist jetzt zu einem Erlebnisraum der Liebenden geworden, in dem die Liebenden sich im anderen (genauer in dessen jeweiligen Handlungen) erleben und diese Selbstfindung dem oder der anderen wieder vorleben müssen und genussvoll daran leiden. ­ Man hat glücklich zu sein, dass man liebt und geliebt wird. Folie 9 Soziologie der Liebe Liebe als Passion 2) Die Zufälligkeit des Erwarteten Luhmann betont, dass diese Reflexivität in der sozialen Bezugnahme der liebenden Individuen aufeinander Konsequenzen auch in der zeitlichen Dimension der Liebeskommunikation hat. Folie 10 Soziologie der Liebe Liebe als Passion 2) Die Zufälligkeit des Erwarteten Liebende müssen den Moment lieben. Sie sind darauf angewiesen zur gleichen Zeit das gleiche zu tun und das heisst hier, das gleiche zu erleben. Luhmann schreibt: „Intimität ist der Begriff für die Verschmelzung des Glücks zweier Liebender, die darin besteht, daß das Glück für beide in genau den gleichen Handlungen liegt. Dies ist nur möglich, wenn die Zeit ausgeschaltet wird, wenn jeder dem folgt, was der Moment ihm eingibt.“ (1982: 176). Folie 11 Soziologie der Liebe Liebe als Passion 2) Die Zufälligkeit des Erwarteten Man versinkt aber nicht nur im Moment des Glücks, um sich selbst in der Zweiheit ganz zu erleben, man wächst über sich hinaus, erschließt sich neue Dimensionen der Selbsterfahrung. Folie 12 Soziologie der Liebe Liebe als Passion 2) Die Zufälligkeit des Erwarteten Das allerdings kann nicht durch Kalkül, kann nicht durch Planung geschehen. Die Liebe ist unsicher wie das Glück und zumindest darin erwartbar. Für die Liebe kann es also keinen geplanten, keinen arrangierten Startpunkt geben und auch ihre Entwicklung bringt nur die Gewissheit, dass alles auf Zufall basiert. Folie 13 Soziologie der Liebe Liebe als Passion 2) Die Zufälligkeit des Erwarteten Gerade die ausgeprägte Emotionalisierung der romantischen Liebe plausibilisiert diesen Zug der Liebeskommunikation. Man kann auch daran lustvoll leiden, dass die Liebe voraussetzungslos wie ein Zufall beginnt und ihr Verlauf Schicksal ist. Folie 14 Soziologie der Liebe Liebe als Passion 2) Die Zufälligkeit des Erwarteten Lassen wir nochmal Luhmann zu Wort kommen, der die Absolutheit der passionierten Liebe mit ihren Paradoxa betont: „Die Kombination Zufall/Schicksal besagt dann: daß das voraussetzungslose Beginnen die Bedeutung der Liebesbeziehung nicht beeinträchtigt, vielmehr als Unabhängigkeit von jeder Außenprägung diese Bedeutung gerade steigert, sozusagen in sich selbst verabsolutiert." (1982: 181) ­ mit anderen Worten, die Liebenden haben nur sich selbst, ihre Gleichzeitigkeit und ihre Themen; sie sind gefangen im Sinnhorizont ihrer Intimität. Folie 15 Soziologie der Liebe Liebe als Passion 3) Zusammenfassung Zusammenfassung - Mit der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft und der Mediendifferenzierung der SGKM Macht, Geld und Liebe wird der Zusammenhang von Herrschaft, Besitz und Partnerwahl auseinandergetrieben. ­ Zugleich wird das Individuum in Romantik und Philosophie zum einzigartigen Zentrum des Welterlebens stilisiert. Damit kann auch erwartet werden, dass man die gemeinsame Welt, die man mit der Intimbeziehung erlebt, durch das Welterleben des anderen erfährt. ­ Intimität ist jetzt zu einem Erlebnisraum der Liebenden geworden, in dem sie sich im anderen (genauer in dessen jeweiligen Handlungen) erleben. ­ Liebende erleben diesen Erlebnisraum somit gleichzeitig und das heißt eigentlich zeitlos. Für die Liebe kann es also keinen geplanten, keinen arrangierten Startpunkt geben und auch ihre Entwicklung bringt nur die Gewissheit, dass alles auf Zufall basiert. Folie 16