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Kolloquium zur Kritischen Theorie
Die Marx’sche Theorie der Geschichte –
Geschichtsphilosophischer Mythos
oder wichtiges Orientierungswissen?
Wissenschaftliche Diskussionsveranstaltung
mit dem marxistischen Philosophen
Robert Steigerwald
25.11.2008, 18-21 Uhr, Senatssaal des Schlosses
Schlossplatz 2, 1. Obergeschoss
Moderation: Tobias Fabinger
Die Marx’sche Theorie der Geschichte – Geschichtsphilosophischer
Mythos oder wichtiges Orientierungswissen?
Die gesellschaftlichen Krisenerscheinungen,
in und mit denen wir leben, sind allgemein
bekannt. Die Unterschiede zwischen Reich
und Arm spitzen sich global aber auch in
Deutschland immer mehr zu, die Zerstörung
der natürlichen Umwelt schreitet fort und
Militärinterventionen sind in bestimmte Gebieten der Erde an der Tagesordnung. Viele
Menschen empfinden diese Phänomene, als
seien sie von einem Schicksal ausgelöst, ihre
Ursachen verschleiert und im Grunde nicht
veränderbar. Oder sind die gesellschaftlichen Zusammenhänge, die zu den Krisen
führen, vielleicht doch erkennbar? Kann
durch diese Erkenntnis gar der Grund für die
bedrohlichen Krisen beseitigt werden? Kurz
und gut: Kann der Mensch als vernünftiges
Subjekt seiner eigenen Geschichte agieren
und den Gesamtzusammenhang der Gesellschaft zum Besseren wenden?
In den neueren philosophischen Strömungen wird der menschlichen Vernunft nicht
viel zugetraut. Manche sprechen schon vom
„Ende des vernünftigen Subjekts“ und vom
„Ende der Geschichte“. Diese philosophische Richtung, der auch viele eher „linke“
junge und durchaus engagierte Akademiker
angehören nennt man auch „postmodern“.
Gegenüber einer Erkennbarkeit und Gestaltbarkeit der Welt durch die menschliche
Vernunft ist man in diesen Richtungen äußerst skeptisch. Nicht so die Geschichtsphilosophie des Marxismus - der „Historische
Materialismus“. Ein Grundsatz des Marxismus ist, dass die Gesellschaft wissenschaftlich erkannt werden kann. Die menschliche
Vernunft ist in der Lage, ungerechte Herrschaftsverhältnisse und gesellschaftliche
Bedrohungspotentiale zu erkennen und sie
zugunsten besserer Entfaltungsmöglichkeiten aller Menschen zu verändern. Allerdings
verlangt die Erkenntnis der Gesellschaft und
ihrer Entwicklungsmöglichkeiten eine gewisse Komplexität, sie lässt sich nur durch
das Denkmodell der Dialektik verstehen,
welche auf die Analyse der materiellen Lebensbedingungen der Menschen angewendet wird.
Karl Marx hat daher den Schlüssel zur Veränderung der kapitalistischen Gesellschaft in
den so genannten Produktionsverhältnissen
gesehen, also in der Art wie die wirtschaftlichen Prozesse organisiert sind. Marx wendete den Blick der Philosophie vom Reich der
Ideen auf die „materiellen Reproduktion der
Gesellschaft“. Diese philosophiegeschichtliche Wende führt unweigerlich zu einer sehr
detaillierten Beschäftigung mit den ökonomischen Verhältnissen.
Mit seinem Hauptwerk dem „Kapital“ hat er
wissenschaftliche Modelle geliefert, die es
wert sind, heute wieder diskutiert zu werden. Diese Modelle versuchen, die Strukturgesetze der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise, ihre Krisen und
Bewusstseinsformen, aus der Art, wie die
gesellschaftliche Produktion organisiert ist,
zu erklären. Diese Kapitalismusanalyse wird
von vielen wirtschaftlichen Praktikern und
auch von Sozialwissenschaftlern anerkannt.
Doch es geht nicht nur um die Analyse der
bestehenden Verhältnisse. Eben der umstrittenste Teil von Marxens Werk, die Theorie der historischen Veränderung von Produktionsverhältnissen, soll Gegenstand des
Kolloquiums sein.
Die konkrete Utopie von Marx besteht darin, dass er den Entwicklungsprozess sichtbar
macht, der zu einer ökonomisch und sozial
anders verfassten Gesellschaft führen kann,
die nicht mehr von krisenhaften Entwick-
lungen geprägt ist und auch keine größeren
sozialen Unterschiede zwischen den Menschen mehr hervorbringt. Karl Marx geht
davon aus, dass dieser Entwicklungsprozess
durch real vorhandende Widersprüche der
kapitalistischen Gesellschaft vorangetrieben
wird. Das Vorantreiben der Geschichte ist
aber kein Automatismus. Sie entwickelt sich
nur zum Guten, wenn die Menschen ihre geschichtliche Möglichkeit erkennen und die
Widersprüche der bestehenden Gesellschaft
ihnen zu Bewusstsein kommen – etwa der
Widerspruch zwischen kollektiver Produktion, die es faktisch ja schon gibt, und zwar
zunehmend in einer globalen Arbeitsteilung
– und der privaten Aneignung. Handeln
müssen die Menschen also selbst, aber historisch richtig handeln können sie nur aufgrund der Einsicht in die objektiven Potentiale der Gesellschaft. Schließlich, so Marx,
soll der Hauptwiderspruch zwischen den
Besitzern der Produktionsmittel und jenen,
die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen – die
„Arbeiterklasse“ – zugunsten einer klassenlosen Gesellschaft aufgelöst werden. Es wird
im Kolloquium auch die Frage sein, wie sich
bei aller Differenzierung der Sozialstruktur
dieser Hauptwiderspruch plausibel machen
lässt. Sollte das geschichtsphilosophische
Modell von Marx praktikabel sein, könnten
die Menschen in einer nachkapitalistischen
Gesellschaftsform völlig neue gesellschaftliche Strukturen gestalten, in denen sie mehr
Freiheit haben und die sozialen Probleme
sowie die Ursachen der ökologische Zerstörung beseitigt sind.
Die Frage nach der Rolle des Menschen in
der Geschichte und nach der Möglichkeit
des Menschen, die Gesellschaft nach seinen
Bedürfnissen zu gestalten, ist eine wichtige
Frage in der Philosophie. Das Kolloquium
will eine bewusste Kontrastierung zu dem
philosophisch-theologischen Vorbehalt gegenüber einer „Selbsterlösung“ des Menschen aber auch gegenüber der Vernunft-
kritik postmoderner Philosophien sein.
Diese geschichtsoptimistische Alternative,
die Marx uns vorschlägt und welche man
auch „Historischen Materialismus“ nennt,
wird im Mittelpunkt der Veranstaltung mit
Robert Steigerwald stehen.
„Materialismus“ ist die Bezeichnung für
diese Philosophie, weil in diesem Modell
vor allem die materiellen Kräfte, also die
Menschen und ihre Arbeit, die Produktionsverhältnisse und die Technologie als die
treibenden Kräfte der Geschichte gesehen
werden. Im Gegensatz dazu sieht der Idealismus die Ideen als die Ursache der geschichtlichen Entwicklung. Marx liefert also
mit seiner materialistischen Theorie der Geschichte möglicherweise ein wichtiges Orientierungswissen, dass zwar kein konkreter
„Fahrplan“ der Geschichte sein kann, aber
eben doch einige Anhaltspunkte gibt, wie
die Menschheit sich aus den globalen Krisen
und der immer noch in vielen Bereichen obwaltenden Barbarei durch ihre eigene vernünftige Tätigkeit herausarbeiten kann.
Die Diskussion mit Robert Steigerwald findet in Form eines öffentlichen wissenschaftlichen Kolloquiums statt. Einige Studierende
werden gezielt Diskussionsbeiträge referieren, während Robert Steigerwald in einem
Vortrag auf die angesprochenen Themen
eingeht. Es wird anschließend Zeit genug
für eine offene Diskussion sein. Die thematischen Schwerpunkte des Kolloquiums bilden folgende Fragestellungen:
- Wie plausibel ist das Geschichtsmodell
von Marx im Stande einer allgemeinen
Vernunfts- und Fortschrittskepsis? Ist das
Marx’sche Geschichtsmodell zu sehr an
einem an Naturbeherrschung orientieren
Fortschrittsbegriff orientiert und handelt
es sich gar um einen geschichtsphilosphischen Mythos?
- Welcher Begriff von Dialektik liegt dem
Historischen Materialismus zugrunde?
Was spricht für die Existenz einer Realdialektik des Geschichtsprozesses? Welche
gesellschaftlichen Blockaden wirken, die
die Entfaltung dieser Dialektik möglicherweise verhindern, etwa die kulturindustrielle Vergesellschaftung des Bewusstseins
oder die Integration der „Arbeiterklasse“
- Inwieweit kann Marx uns Orientierungswissen für die Lösung gesellschaftlicher
Probleme liefern? Können auch Reformen
nachhaltiger durchgeführt werden, wenn
sie mit einem gesellschaftskritischen Bewusstsein vermittelt sind?
- Wie lässt sich ideologiekritisch die Hegemonie vernunftkritischer Konzepte und
geschichtspessimistischer Modelle in der
Philosophie erklären?
Der Referent
Robert Steigerwald
Robert Steigerwald, geboren 1925, ist ein bekannter marxistischer Philosoph, der seine Theoriebildung immer auch auf die politische Praxis bezogen hat. In der Nachkriegszeit war er zunächst Vorsitzender der SPD-nahen Jugendorganisation der Falken. 1948 trat er in die KPD ein, woraufhin der
damalige Hörspielautor Steigerwald vom Rundfunk entlassen wurde und in die DDR übersiedelte.
1951 kehrte er in die Bundesrepublik zurück und entwickelte sich zum Vordenker einer marxistisch
orientierten Linken in der Bundesrepublik. Robert Steigerwald ist Autor zahlreicher philosophischer und gesellschaftstheoretischer Bücher.
Die Veranstalter
Das AStA-Referat für finanziell und kulturell benachteiligte Studierende
Schüler und Studierende aus Arbeiterfamilien oder so genannten „bildungsfernen Schichten“ sind im deutschen Bildungssystem stark benachteiligt.
Das hat finanzielle Gründe, aber liegt auch in der Sozialisation und im anderen Umgang mit akademischen Inhalten begründet. Gerade Studierende
aus Arbeiterfamilien schätzen aufgrund ihrer eigenen sozialen Erfahrung
gesellschaftskritische Theorien, die an der Hochschule kaum noch vermittelt werden. Wir meinen, die Wissenschaft muss sich kritisch mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit auseinandersetzen.
Critical Social Studies an der Uni Münster
Die Critical Social Studies bauen einen eigenen Studienschwerpunkt auf. In
Zeiten des verschulten Studiums und der hochgradigen Funktionalisierung
der Hochschulbildung für die Anforderungen des Wirtschaftssystem, ist ein
kritischer Studienschwerpunkt sehr wichtig. Im Rahmen der Critical Social
Studies werden Studiengruppen und Einzelveranstaltungen durchgeführt.
Referat für finanziell und kulturell
benachteiligte Studierende
C.S.S.
Critical Social Studies
an der WWU Münster
Marx-Engels-Gesellschaft
Die Marx-Engels-Gesellschaft hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Erkenntnisse der Marx’schen Theorie in der Öffentlichkeit zu diskutieren und sie
dem wissenschaftlichen und demokratischem Meinungsstreit auszusetzen.
Die Marx-Engels-Gesellschaft fördert eine lebendige Theoriebildung und
die Analyse aktueller gesellschaftlicher Probleme im Lichte der Marx’schen
Theorie.
www.marx-engels-gesellschaft.de
Für Kaffee und Getränke ist gesorgt.
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