Die Neu-Erfindung der LINKEN als zukunftsfähige Mitgliederpartei – ein existenzielles Projekt* 2., überarbeitete Version (01.11.2011) von Daniel Förster Freiwilliges Engagement in den Parteien und in der modernen Gesellschaft Die Misere der Parteien, auch der LINKEN… Strategien für den längst überfälligen Aufbruch in das 21. Jahrhundert Mit einer modernen Parteiorganisation zurück in die Zukunft 2 4 7 12 Die gesellschaftliche Linke in Deutschland steht vor einer großen Herausforderung. Es fehlt die Perspektive eines glaubwürdigen Politikwechsels der Verantwortlichen, den es doch vorzubereiten gilt. Diese Perspektivlosigkeit, die zu einem nicht unerheblichen Teil mit Selbstbeschäftigung und politischer Ohnmacht einhergeht, wird von einer ganzen Reihe von Faktoren beeinflusst. Zuvorderst drängen sich allerdings zwei besonders bedeutende auf: Der Einfluss der Bürgerinnen und Bürger auf die Politik schwindet, ebenso wie die Verankerung der Parteien in der Zivilgesellschaft als eigentliche Vermittlerinnen zwischen Staat und Bürger. Die Abkoppelung der politischen Eliten nicht nur von den Wählern, sondern auch von der eigenen Basis hat zu einer beispiellosen Parteienverdrossenheit geführt. Dem bundesrepublikanischen Demokratiemodell, das auf von breiten Massen getragene Volksparteien ausgerichtet ist, rennt das Volk davon – die Legitimation der Parteien aufgrund ihrer Wähler und Mitglieder zerfällt. Das trifft auch die Partei DIE LINKE. Viele politische Fragen und Themen, die sich aus der Abkoppelung der politischen Eliten ergeben, werden von der gesellschaftlichen Linken aufgenommen und in ihrer Problematik formuliert. Die LINKE ist ihre parlamentarische Vertretung und aufgrund der bundesdeutschen Machtstrukturen, in denen politische Parteien mit enormen Privilegien ausgestattet sind und voraussichtlich auch bleiben, das Kernprojekt einer aus vielen unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft bestehenden „Mosaik-Linken“. Denn trotz einer tendenziellen Radikalisierung der politischen Einflussnahme durch die Bürger, wie sie bei Stuttgart 21 o.ä. entdeckt werden kann, findet ein Protest gegen die bereits seit den 1980ern andauernde Umgestaltung des modernen Wohlfahrtsstaats kaum statt. Und so liegt es an den Parteien, im * Dieses Essay basiert auf grundlegenden Diskussionen in der Projektgruppe „Ideenpool Nachwuchsförderung“ im Rahmen der aktuellen Parteireform des Brandenburgischen Landesverbandes der LINKEN. Für die vielen Anregungen und interessanten Sichtweisen, durch die ich viel gelernt habe, möchte ich insbesondere den Mitgliedern der Projektgruppe Diana Bader, Dieter Schlönvoigt, Roman Piffrement, Susanne Meier und Tobias Bank danken. Darüber hinaus haben mich viele Gespräche und Diskussionen im Kontext der LINKEN inspiriert und auf neue Sachverhalte aufmerksam gemacht, wofür ich stellvertretend für viele andere Andrea Johlige, Chriss Kühnl, Fritz Viertel, Harald Petzold, Jan Eckhoff, Michael Böhner, Moritz Kirchner, Olaf Gabrysiak, Stefan Ludwig, Susanna Karawanskij, Sven Kindervater, Wolfgang Sachse und meiner Frau Eva danken möchte. Dieses Essay fußt weiterhin auf den Materialien und Arbeiten verschiedener Politik- und Sozialwissenschaftler, der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Friedrich-Ebert-Stiftung, der LINKEN Sachsen und Sachsen-Anhalt und der wegweisenden Arbeit von Thomas Leif zur Nachwuchsarbeit in deutschen Parteien. 1 Bündnis mit den für sich genommen zu schwachen Gewerkschaften, Verbänden und sozialen Bewegungen den politischen Konflikt auszutragen. Doch auch die LINKE als diejenige Partei, die diese Konflikte als Einzige wirklich glaubhaft im Kampf um eine gerechte Gesellschaft austragen kann, schwächelt. Sie leidet unter den gleichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wie die anderen Parteien, unter Wähler- und vor allem Mitgliederschwund. Parteipolitik wie wir sie kennen ist für viele Menschen schlichtweg uninteressant geworden. Ohne engagierte Mitglieder und ungebundene Freiwillige, die gleichwohl zu einem Engagement für die LINKE bereit sind, steht allerdings die Wirkungsmacht der gesamten gesellschaftlichen Linken auf dem Spiel. In der erfolgreichen politischen Arbeit lässt sich dabei nicht, wie manchmal angenommen wird, zwischen Inhalt und Form trennen. Dennoch möchte ich die These aufstellen, dass es kaum an unseren oftmals richtigen und wichtigen Inhalten liegt, weshalb sich Menschen nicht für unsere Sache begeistern können. Ginge es nur darum, sie müssten in Scharen zu uns strömen. Es ist vielmehr die Form, die Organisation und Struktur, der Politikstil, die Angebote die wir (nicht) besitzen – wegen ihnen erscheinen unsere Inhalte und deren Durchsetzung Vielen als unattraktiv und unglaubwürdig, oder sie können sich zu einem Engagement aufgrund persönlicher und gesellschaftlicher Umstände nicht durchringen. Aus der Perspektive der politischen Nachwuchsförderung steht die Aufgabe, dies zu verändern, an erster Stelle für eine qualitativ hochwertige politische Repräsentation. Die Aufgabe einer wirkmächtigen LINKEN, die ihre große Verantwortung für die gesamtgesellschaftliche Linke wahrnimmt, besteht unter den heutigen Umständen daher im Schaffen einer attraktiven Mitgliederorganisation mit ansprechenden Strukturen, in denen sich Menschen gern engagieren und ihnen dies trotz widriger Umstände auch ermöglicht wird. Dies ist eine Herausforderung, die keineswegs unterschätzt werden sollte, denn mit dem Drehen von ein paar kleinen Stellschrauben ist es bei Weitem nicht getan. Sollte die notwendige, in ihrem Ausmaß beinahe schon revolutionär zu nennende Umgestaltung der Parteiorganisation, die die LINKE ins 21. Jahrhundert heben kann, zu lange auf sich warten lassen oder sogar scheitern, droht der Rückfall in die gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit. Die Chance, mit der Idee von Gerechtigkeit in einer besseren Gesellschaftsordnung Deutschland und Europa für alle Menschen zu gestalten, wäre auf Jahrzehnte dahin. Freiwilliges Engagement in den Parteien und in der modernen Gesellschaft Wie politische Arbeit bisher organisiert wurde, war nicht falsch. Es haben sich allerdings die Zeiten geändert, die Bedingungen für Politik sind andere geworden. Die Umweltbedingungen, unter denen sich ehrenamtliches bzw. freiwilliges Engagement heute abspielt, sollen im Folgenden in den Fokus gerückt werden. Mit der Kenntnis über die gesellschaftlichen Veränderungen können auch die veränderten Anforderungen, die Freiwillige an ihr Engagement haben, verstanden werden. Zu den gewaltigen Veränderungen, die sich teils schleichend vollzogen haben, gehört zuallererst die umfassende Krise der politischen Repräsentanz. Es herrscht Parteienverdrossenheit, das Vertrauen an eine glaubwürdige Vertretung in den Parlamenten ist durch Jahrzehnte ernüchternder Macht- und Lobbypolitik erodiert. Die immer wiederkehrende Aufgabe von Wahlversprechen, wenn es der eigenen Macht nutzte, und die Entfernung der Entscheidungsgremien vom Bürgerwillen haben tiefe Spuren hinterlassen. Der Aderlass der großen ehemaligen Volksparteien CDU/CSU und SPD an 2 Mitgliedern ist gigantisch. Doch auch das Wahlvolk bleibt zuhause, immer weniger Menschen sehen einen Sinn im Wählen, wenn „die da Oben sowieso alle das Gleiche machen“. Das mag undifferenziert sein, es drückt jedoch die Erfahrung aus, dass die machthabenden Parteien meist weniger im Interesse ihrer Wähler handelten und diese deswegen keinen wirklichen Einfluss haben. So wird die Gesellschaft immer undemokratischer, weil politische Entscheidungen in kleinen Gremien und beeinflusst von einer gut ausgestatteten Lobbymaschinerie gefällt werden. Es ist allerdings nicht das politische System allein, das sich verändert hat. In der heutigen Arbeitsgesellschaft herrschen ebenfalls ganz andere Bedingungen für politisches Engagement. Die Arbeitsbelastung ist seit den 80ern sukzessive gestiegen, während die Reallöhne stagnieren. Die klassischen Arbeiter gibt es kaum mehr, sie wurden gemeinsam mit den Arbeitslosen und prekär Beschäftigten politisch marginalisiert. Auch das Berufsbild hat sich für eine Vielzahl von Menschen verändert: Wir leben in einer Welt, in der das ganze Leben immer mehr als eine Abfolge von Projekten begriffen wird, immer weniger planbare und gleichförmige, auf langfristige Sicherheit und Karriere orientierte Beschäftigungen existieren. Für viele Beschäftigte zählen nicht mehr fordistische Fließbandarbeit unter Aufsicht, sondern Autonomie, Kreativität, Flexibilität und „Soft Skills“. Diese prinzipiell positiven, zur Selbstentfaltung hilfreichen Anforderungen haben ihre Schattenseite in dem Zwang, sich auch gedanklich voll „verwerten“ zu müssen, wobei die Grenze zwischen Beruf und Privatleben verschwimmt. „Employability“, also der individuelle Verwertungsnutzen für die Wirtschaft, nimmt viel Raum ein und wird bei Aus- und Weiterbildung ebenso wie bei Freizeitbeschäftigung und Ehrenamt mit bedacht. Das Bewegen in Netzwerken ist wesentlich für das berufliche Fortkommen; Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit sowie Veränderungsbereitschaft sind wichtiger geworden als rein fachliche Kompetenzen. Und vielleicht das Grundlegendste: Heute ist Zeit eine viel bedeutendere persönliche Ressource als Geld. An all diese Anforderungen müssen wir unsere neuen Angebote anpassen. Die Krise der politischen Repräsentanz und die Veränderungen in der Arbeitsgesellschaft gehen einher mit einer seit der Nachkriegszeit zunehmenden Individualisierung in allen Lebensbereichen und einem Wertewandel, bei dem klassische materialistische Werte wie Sicherheit und Wohlstand von postmaterialistischen Werten wie Freiheit und Lebensqualität ergänzt werden. Dies bedeutet, dass das klassische Verständnis von Links und Rechts in ökonomischen Dimensionen nicht mehr greift, um politische Positionen zu erklären. Politikwissenschaftler schlagen vor, das politische Koordinatensystem um die Dimensionen „eher libertärer“ und „eher autoritärer“ Werte zu erweitern. Aus diesem Grund ist eine alleinige Verengung auf die alte Links-Rechts-Dimension nicht mehr zeitgemäß. Neue Themen wie Datenschutz, Freiheitsrechte, Umweltschutz etc. müssen gleichberechtigt mit unseren traditionellen Positionierungen auf die Agenda – oder man muss den potentiell Engagierten die Freiheiten geben, diese Themen selbstständig im Rahmen der LINKEN zu vertreten. Bei alldem muss mitbedacht werden, dass politisches Engagement heute immer mehr in einer gespaltenen Gesellschaft stattfindet, das vor allem von sozial besser gestellten und formal höher gebildeten Interessengruppen verfolgt wird, während sich sozial Benachteiligte aus dem öffentlichen Leben weiter zurückziehen. Das bedeutet auch, dass sich vor allem diejenigen engagieren, die sowieso wenig Zeit haben. Das kann u. a. damit begründet werden, dass die benachteiligten Interessengruppen weder organisationsstark sind, noch auf eine breite gesellschaftliche Solidarität hoffen können, denn angeblich ist ja (trotz struktureller Benachteiligung der Armen) „jeder seines eigenen Glückes Schmied“. Diese Problematik wirft die alte Frage nach Kümmerer- oder 3 Mitmachpartei auf. Viel progressiver noch wären allerdings Vorschläge, wie man auch die sozial Benachteiligten im Rahmen der gesellschaftlichen Linken an politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen beteiligen könnte – noch sind keine überzeugenden in Sicht. Ungeahnte Möglichkeiten für Beteiligungsprozesse, von denen alle Bevölkerungsgruppen profitieren könnten, bietet allerdings das Internet. Wir erleben eine epochale Ausweitung des Lebens in die Netzwelt, deren Auswirkungen viele von uns noch immer nicht realisiert haben. Das Internet hat bereits heute das Denken zweier Generationen junger Menschen verändert; es ist dabei schon längst keine rein virtuelle Realität mehr, sondern eine Erweiterung und ein Abbild der Welt um uns herum. Nicht nur das Denken, sondern auch die Kommunikation und das daraus erwachsende politische Potential ist durch die Möglichkeit, immer und überall in Sekundenschnelle mit jedem Menschen auf der Welt Kontakt aufzunehmen, vollkommen revolutioniert worden – der Iran, die Aufstände in der arabischen Welt oder die Occupy-Wall-Street-Proteste sind nur die prominentesten und einflussreichsten Beispiele. Und auch in dieser Sphäre tobt ein unerbittlicher politischer Kampf: Wird das Netz ein Ort des freien Wissenstransfers (bleiben), wird der Gemeinschaftsgedanke weiter im Vordergrund stehen? Oder wird sich die immer weiter voranschreitende, kommerzielle Durchdringung und Überformung aller Bereiche im World Wide Web letztlich durchsetzen, ebenso wie die Zensur und Kontrolle durch den Staat und wirkmächtige Medien? Dies ist ein Kampf, den beispielsweise die Piratenpartei bereits spürt und aufgenommen hat, selbst wenn ihr der ideologische Hintergrund zur Analyse und Benennung dieser Probleme fehlt. Und so unwahrscheinlich es zuerst klingen mag, diese Frage wird aufgrund der enormen und noch immer rasant wachsenden Bedeutung des Internets und der voranschreitenden Vernetzung sämtlicher Lebensbereiche zu einer der großen politischen Konfliktlinien in dieser Gesellschaft werden, die dieses Jahrhundert bestimmen werden. Gleichzeitig wird der Wissensraum, den Menschen erfassen können, mit dem Internet tendenziell unendlich. Dies hat auch Auswirkungen auf die klassische politische Bildungsarbeit, die nicht mehr nach den Vorgaben und der Anordnung der Lehrenden funktioniert. Stattdessen muss ein individueller Weg durch den Informations- und Wissensraum gefunden werden, und zwar nach den ganz eigenen Interessen jedes Menschen – der Einzelne wird zum absoluten Maßstab der Aneignung von Wissen und des politischen Engagements. Die Misere der Parteien, auch der LINKEN… … liegt in einer ganzen Reihe von unattraktiven, teilweise sogar abschreckenden Strukturen und Verhaltensweisen, so dass die übergroße Mehrheit der Menschen ihre knappe Zeit lieber anders verbringt. Die LINKE hinkt in ihrer Parteiorganisation der Gegenwart weit hinterher. Eine echte Beteiligung an parteipolitischer Arbeit ist zeitaufwändig – Zeit, über die man kaum mehr frei verfügen kann und die somit extrem kostbar geworden ist. Gemeinsam mit den gewandelten Wertesystemen und dem Druck, sich auch in der globalisierten Welt um seinen Lebensunterhalt kümmern zu müssen, lässt sich konstatieren: Die konservativen Parteistrukturen passen einfach nicht mit den modernen Ansprüchen der Freiwilligen an ihr Engagement zusammen. Dies wird von extremem Mitgliederschwund und damit einhergehend auch von der immer schwächeren gesellschaftlichen Verankerung begleitet. Politische Arbeit vor Ort wird so immer schwieriger – das aktive Bemühen um bisher wenig Interessierte wird so zu einer existenziellen Frage unseres Parteilebens. Bevor man jedoch Lösungen präsentieren kann, müssen die Probleme kritisch und ehrlich benannt werden. Dabei gibt es selbstverständlich auch viele positive Beispiele, die hier nicht alle angesprochen werden können – sie bleiben bisher jedoch (leider) die Ausnahme. 4 Warum engagieren sich so Wenige bei und mit uns? Das Parteileben ist vollkommen an der Motivation der meisten Menschen vorbei organisiert und orientiert sich am Ideal des Parteisoldaten, so dass sich vor allem diejenigen mit viel Zeit oder einem Höchstmaß an Idealismus, Disziplin und Veränderungswillen engagieren. Der Spaß bleibt in der Politik meist völlig auf der Strecke, ebenso wie ein tatsächliches Miteinander – das wissen die meisten Politikmacher selbst. Eine angenehme Debatten- und Sitzungskultur ist ebenso wie die Sachbezogenheit politischer Arbeit sehr viel ansprechender als politischer Kleinkrieg und Parteien-Hickhack. Freiwillige wünschen sich, mit ihrem Engagement etwas für das Gemeinwohl zu tun und anderen zu helfen, wollen sich dabei aber gleichzeitig auch selbst in ihren Wünschen und Vorstellungen verwirklichen. Dazu gehört echte Partizipation an Diskussions- und Entscheidungsprozessen, allerdings auch die Möglichkeit, selbst Verantwortung übernehmen zu können. Dabei ist es für sie sehr interessant, die eigenen Erfahrungen und Kenntnisse zu erweitern, die möglichst auch einen Mehrwert für das eigene Leben außerhalb der Politik haben sollen, bspw. im Beruf. Während ein solches Engagement zwar für sich genommen schon erfüllend wäre, so ist doch das Zusammenkommen mit anderen Menschen ebenfalls ein wesentlicher Motivator, der noch viel mehr begleitet werden muss von der sichtbaren Anerkennung der freiwillig geleisteten Tätigkeiten. Auf diese Ansprüche wird selten bewusst und meist nur am Rande eingegangen, weil sie bisher hinter der großen Politik, hinter „der Sache“ zurückzutreten schienen. Wir müssen beides miteinander verbinden. Hinzu kommt, dass die Partei noch immer sehr hierarchisch funktioniert und politische Arbeit klassischerweise mit einem Parteiamt verbunden wird. Permanente Arbeitsgemeinschaften, die als Mitwirkungsmöglichkeit eine gute Idee sind, sind zugleich doch selbst in der Mitgliedschaft mehr oder weniger unbekannt und funktionieren kaum auf Dauer. Termine finden teilweise zu unmöglichen Zeiten statt, eine Mitwirkung von zuhause aus ist fast nie möglich. Von einer Mitgliederbetreuung kann man auch nicht sprechen, denn die eigentlich zuständigen Geschäftsstellen und Gremien begreifen sich nicht als Dienstleister und Drehscheiben der Kommunikation, die Interessierte an zu ihren Interessen passende Menschen und Projekte (Arbeitsgemeinschaften, Fachpolitiker etc.) vermitteln – dafür reicht meist schon allein die Zeit nicht. Auch die klassische Basisorganisation funktioniert kaum noch, die große Mehrzahl der üblicherweise von älteren genutzten BOen ist sogar völlig aus dem Politikbildungsprozess ausgeschlossen. Gerade diese Interessierten bilden jedoch das Fundament für eine langfristig erfolgreiche Arbeit auf allen Ebenen. Dabei ist der Umgang mit diesen Interessierten, dem potentiellen politischen Nachwuchs (jeden Alters) also, sehr ambivalent zu bewerten. Einerseits kommt es vor, dass wegen des gravierenden Nachwuchsmangels vor allem junge Menschen nach oben zu fallen scheinen, während es in vielen anderen Fällen eine regelrechte Blockadehaltung gegen neue unkonventionelle Ideen gibt und unbequeme Köpfe über kurz oder lang ausgegrenzt werden. Allgemein sind Entscheidungsträger einfach kaum wirklich bereit, talentiertem und aktivem politischen Nachwuchs inhaltliche und strukturelle Zugeständnisse zu machen. Das fördert den Typ des stromlinienförmigen, angepassten und strukturell von den Entscheidungsträgern abhängigen Berufspolitikers – einer der Gründe, weshalb das politische Personal aller Parteien immer mittelmäßiger in Kompetenz und Professionalität wird. Kompetenz und Professionalität kann man allerdings erlernen, niemand ist perfekt. Die besondere Brisanz dieser Entwicklung liegt vielmehr darin, dass man Abhängigkeiten erzeugt, die die Abgeordneten unfrei machen – sie haben tendenziell kaum eine andere Wahl als sich an ihren Stuhl zu klammern, wenn sie nicht in die heutzutage extrem unsichere Jobsuche und 5 möglicherweise sogar Arbeitslosigkeit fallen wollen. Weil sie immer öfter keine nennenswerte Berufserfahrung besitzen, ihnen deshalb wenig erfolgsversprechende Perspektiven offen stehen, scheuen sie eher innerparteiliche Konflikte und sind in ihrem Handeln dadurch beinahe zwangsläufig unpolitischer – und das ist in dieser Situation vollkommen menschlich. Wir haben eine Verantwortung, niemanden in solch eine Lage der Abhängigkeit geraten zu lassen, die nicht nur der Partei schadet, sondern auch in persönlichen Tragödien enden kann. Es gibt aber auch noch andere Gründe für die mangelnde Attraktivität der LINKEN, allen voran die Mechanismen hinter der Kandidatenauswahl für wichtige Parteiämter und Mandate. Sie erfolgt weniger nach Kriterien wie Leistung oder Eignung, stattdessen werden vorrangig Loyalität und die langjährige, aufopfernde Parteiarbeit belohnt. Doch es ist dabei nicht die Parteibasis, die diese Auswahl trifft. Die „Torwächter“ zu derartigen Positionen, die den größten Einfluss ausüben, sind politische Schwergewichte in den Orts- und Kreisverbänden, welche im Hintergrund über die richtigen Kandidaten befinden. Dabei folgt die Parteibasis oftmals entsprechenden Vorschlägen der Vorstände, die Bestätigung per Wahl ist nur selten und bei sehr umstrittenen Personen wirklich unsicher. So ist das Erfolgsrezept der politischen Laufbahn die Pflege der eigenen Unterstützerkreise, die auch einen Großteil der Zeit von bereits gewählten Politikern einnimmt. Gerade deshalb, weil Leistung und Qualifikation nur in geringem Maße Gradmesser parteiinternen Aufstiegs sind, die Auswahlmechanismen intransparent in Hinterzimmern besprochen werden und selbst bei einem aufopfernden Engagement eine politische Karriere und der damit verbundene Einfluss auf Veränderungen unsicher ist, kommt Politik als Beruf für Viele kaum in Betracht. Der schlechte Ruf von Politikern und Parteien resultiert u.a. hieraus. Diese problematischen Rekrutierungsmechanismen greifen nicht nur bei der Kandidatenauswahl, sondern in abgewandelter Form auch bei Mitarbeitern von Abgeordneten, Parteigliederungen und nahestehenden Organisationen. Während die grundsätzliche Politisierung und diffuse Identifikation mit linken Politikinhalten noch fast immer gegeben sind, so fehlt zunehmend eine tiefergehende Kenntnis linker Politikkonzepte und Deutungsmuster, ebenso wie eine echte Identifikation mit der Partei. Während man über die Notwendigkeit eines Parteibuchs für die Einstellungspraxis von derartigem Personal debattieren kann, so ist grundlegendes politisches Denken, die ideelle Verknüpfung von Parteigliederungen sowie parteinaher Organisationen und die mindestens oberflächliche Kenntnis über zentrale linke Politikkonzepte für Mitarbeiter essentiell. Eine Art Seiteneinstieg bietet theoretisch der Jugendverband, zumindest im Rahmen seiner Aufgabe, Jugendliche an die politische Arbeit der LINKEN heranzuführen. Er wird dieser an ihn herangetragenen Erwartung allerdings oft nicht gerecht, und darüber herrscht große Ratlosigkeit in der Partei. Aber wenn bereits „normalen“ Jugendlichen ein Engagement in einer Partei unattraktiv erscheint, wie sollen dann erst besonders kritische Geister, die in Teilen auch der parlamentarischen Arbeit per se ablehnend gegenüber stehen, für die allgemeine politische Arbeit gewonnen werden? Es helfen selbst Kooptierungen in den Vorständen und Fraktionen wenig, wenn die grundlegende Organisation nicht ansprechend gestaltet ist und der Unterschied zwischen der Verwaltung des Status Quo und echter Politik wenig erkennbar ist. Von den vielen angesprochenen Problemen wird natürlich auch die innerparteiliche Kultur beeinflusst; sie ist ihrerseits allerdings auch für mangelnden Zusammenhalt und große persönliche Verwerfungen in der momentanen heterogensten Partei Deutschlands verantwortlich. Die bereits erwähnte katastrophale Debattenkultur, welche notwendige inhaltliche Auseinandersetzungen 6 regelmäßig zu einer Machtprobe über Wahrheit und Verrat verkommen und scharenweise politischen Nachwuchs (insbesondere Frauen) das Weite suchen lässt, zeigt grundlegend menschliche Defizite auf. Es kommt regelmäßig vor, dass andere Perspektiven auf ein Problem ebenso wie die Meinung von Frauen allgemein in Diskussionen als geringwertig eingeschätzt oder gar nicht erst abgefragt werden. Dies gilt auch für Organisatorisches, denn „Das haben wir immer schon so gemacht“ ist ein Standard-Satz, den wahrscheinlich jeder Neuling schon gehört hat. Auch erscheint der Ablauf vieler Sitzungen selbst den eigenen Mitgliedern als ineffizient, unproduktiv und letztlich Zeitverschwendung, vielfach aufgrund mangelnder Vorbereitung der Teilnehmer (die selbst unter permanenter Überlastung leiden) und wenig interessanter bzw. zielführender Strukturierung. Die wirklich interessanten Dinge werden dabei meist in den Hinterzimmern besprochen, informelle Netzwerke und sogenannte „Klüngelrunden“ sind in den Parteien Gang und Gäbe. Hier treffen sich Gleichgesinnte in Netzwerken, Freundeskreisen oder Strömungen, die wichtige Initiativen, Beschlüsse und Personalfragen bereits im Vorfeld von Sitzungen oder Parteiversammlungen miteinander ausmachen, um das Ergebnis dann nur noch offiziell absegnen zu lassen. In der LINKEN gibt es unzählige solcher Zirkel, die ihre Partikularinteressen vertreten, wenngleich bisher immer ein relatives Machtgleichgewicht existierte. Die Zugehörigkeit zu solchen Netzwerken ist für die erfolgreiche Vertretung eigener Interessen von höchster Bedeutung, in einer Großorganisation scheint Durchsetzungsmacht fast nur noch so erzeugt werden zu können. Die damit einhergehende Intransparenz und das Gefühl vieler Menschen, meist nur pro forma in inszenierten (Groß)Veranstaltungen beteiligt zu werden, sind reale Hürden für ein langfristiges politisches Engagement und begründen mit den schlechten Ruf der Politik. Ein Element der politischen Arbeit, das jedoch enorme Bedeutung erlangt hat, ist das Internet. Doch schaut man sich einmal nüchtern das Verhältnis von Online-Aktivität zur politischen Arbeit an, dann kann man von der LINKEN nur als netzpolitischer Wüste sprechen. Das mag für viele Aktive überraschend sein, weil sie die Webseiten, Presseaktivitäten und Mail-Kommunikation kennen und regelmäßig erleben. Das alles ist jedoch Standards unterworfen, wie sie im Jahr 2000 up to date waren! Ansprechende Beteiligungsmöglichkeiten im Internet sucht man beinahe vergeblich, die rein informativen Webseiten machen wenig Lust auf sofortige Mitarbeit. Die externe Kommunikation der Vorstände und Fraktionen spielt sich noch viel zu wenig in den Sozialen Netzwerken ab. Eine Vernetzung mit attraktiven Webpräsenzen und Angebote, die nur den Hauch eines linken Lifestyles im Web aufkommen lassen könnten, sind nicht zu finden. Blogs und andere Diskussionsmöglichkeiten werden kaum wahrgenommen, während die modernen Möglichkeiten zu Debatten sowie echter Partizipation an Parteileben und politischer Arbeit per Internet gar nicht genutzt wird – und das, obwohl sie eine so unvergleichlich höhere Reichweite und Flexibilität besäßen und geringere Kosten verursachen würden als konventionelle Methoden Strategien für den längst überfälligen Aufbruch in das 21. Jahrhundert Wie sich zeigt, hängen mit der Attraktivität der LINKEN für politischen Nachwuchs unglaublich viele Aspekte der generellen Parteiorganisation zusammen. Die insgesamt kaum zu bewältigenden Probleme stellen fundamentale Verhaltensmuster des (partei-)politischen Systems in Frage. Doch die Machtposition der Parteien als solche im Staatsapparat ist nicht wirklich bedroht. Hinein in die Zukunft führen deshalb zwei Wege: Entweder verweigern sie sich weiterhin den dringend notwendigen Reformbemühungen und setzen das Abtragen der demokratischen Fundamente fort, was letztlich zu einer Oligarchie der Reichen, Mächtigen und politisch Einflussreichen führen wird. 7 Oder die LINKE macht sich auf den Weg, die politischen Mechanismen in ihrem Innern grundlegend weiterzuentwickeln – um nicht nur denjenigen eine Chance zu bieten, die zu den Abgehängten gehören und die für den Gedanken einer besseren Welt antreten wollen, sondern sie auch tatsächlich aus ihrer Enttäuschung zu befreien, sie Mut für real mögliche Veränderungen fassen zu lassen und mit ihnen schon hier und heute ein anderes politisches System zu leben. Um dieses hochgestochene Ziel auch zu erreichen, steht die Idee der Demokratie im Mittelpunkt aller Bemühungen. Die von Entscheidungen Betroffenen müssen realen Einfluss auf diese Entscheidungen haben – und das ist mehr als nur alle vier, fünf oder acht Jahre zu wählen. Sie müssen zu den Sachverwaltern ihrer eigenen Interessen werden, indem sie zur Initiative und Beteiligung motiviert und eingeladen werden. Deshalb muss dezentrale Demokratie und umfassende Partizipation ein unverzichtbarer Bestandteil in jedem einzelnen Bundesland und in jeder Kommune werden. Oftmals ist dies nur mit geringen zusätzlichen Kosten verbunden, allerdings sollten uns derartige Anstrengungen auch finanzielle Unterstützung wert sein. Es gibt unzählige Vorschläge, von denen Bürgerhaushalte, Volksbegehren mit geringen Hürden und die Chancen des E-Governments nur Beispiele auf der Höhe der Zeit sind. Über diese partizipatorische Erneuerung der Gesellschaft werden sich auch wieder Menschen mit den Möglichkeiten beschäftigen, selbst politische Arbeit zu leisten. Bürgerschaftliches Engagement wird darüber hinaus auch mit sozialen und kulturellen Angeboten unterstützt, und echte Anerkennung (wie bspw. öffentliche Ehrungen und entsprechende Dankveranstaltungen, Vergünstigungen im ÖPNV und für kulturelle Einrichtungen, Weiterbildungsund Informationsmöglichkeiten uvm.) motiviert enorm zum freiwilligen Engagement – auch in der Politik. Von einer Kultur des Engagements profitieren somit alle Gesellschaftsbereiche und das gesellschaftliche Leben als Ganzes. Und warum sollte nicht auch die LINKE herausragend engagierte Bürger bspw. im sozialen Bereich mit ehren? Insgesamt fällt beim Betrachten des Ist-Zustandes auf, wie sehr die Verankerung der LINKEN in der Gesellschaft abgenommen hat. Noch vor zehn Jahren hatte die PDS immer ein offenes Ohr und eine helfende Hand direkt vor Ort in der Arbeiterwohlfahrt und in den Gewerkschaften, im Sport- und Heimatverein, bei den Unternehmern und den Kleingärtnern – das war eines ihrer Markenzeichen. In nicht wenigen Regionen ist diese Verankerung verschwunden. Es ist keine Frage der Manipulation, sondern eine der Bodenhaftung, die Kontakte zu all diesen zivilgesellschaftlichen Akteuren wieder aufleben zu lassen. Wenn wir Politik für die Bevölkerung machen wollen, dann müssen wir auch die tatsächlichen Wünsche des „Kleinen Mannes“ kennen und sie in unsere Vorstellung von einer besseren Gesellschaft integrieren. Dazu gehört allerdings auch insgesamt eine Öffnung der Partei in die Gesellschaft, die mit transparenten, einladenden und beteiligungsorientieren Veranstaltungsformaten jenseits des klassischen Referats einhergehen muss, und auf denen Bürgerinnen und Bürger nicht nur angehört und informiert werden, sondern selbst Politik mitgestalten können. Es muss eine Regelmäßigkeit der politischen Kommunikation über solche Veranstaltungen und mit entsprechendem Material mit den Bürgerinnen und Bürgern etabliert werden, die weit über den Wahlkampf hinausgeht. Wir haben viele Antworten, aber warum stellen wir deshalb keine Fragen mehr? Die Menschen vor Ort werden so manch überraschende Antwort für uns haben, und dabei müssen wir sie dazu ermutigen, sich mit unserer Unterstützung selbstständig für das Übertragen dieser Antworten in die Politik einzusetzen. 8 Dabei sei Eines deutlich gesagt: Das Internet ist als umfassendes Kommunikations- und Informationsmedium von enormer gesellschaftlicher und somit auch politischer Bedeutung. Die Öffnung in die Gesellschaft, die wir vor Ort mit neuen Angeboten erreichen können, ist unumgänglich und fundamental für unsere zukünftige politische Arbeit. In Reichweite, Einfachheit, attraktiver Gestaltung, Beteiligungsmotivation, Zeitersparnis, Kosten-Nutzen-Relation und vielen anderen Aspekten können Internetangebote die konventionellen Methoden je nach Ausgestaltung allerdings Lichtjahre hinter sich lassen. Dabei ist die Piratenpartei momentan maßgebend für den InternetStandard der Parteien, sie hat allerdings auch nicht alle interessanten Konzepte für sich gepachtet. Neben unzähligen Detailverbesserungen sollten Diskussionsmöglichkeiten in jedweder Form, Vernetzung innerhalb der Partei, gemeinsames Arbeiten und Zugriff auf die Ergebnisse anderer sowie eine grundlegende Überholung unserer Internetpräsenz nach modernen Prinzipien im Vordergrund stehen. Ein zentrales Instrument für modernste Politikgestaltung ist das Konzept der sogenannten „Liquid Democracy“, das Bestandteile von direkter und repräsentativer Demokratie vereint und die Vorteile beider Ansätze miteinander kombiniert. Mit ihr haben wir ein mächtiges Instrument zur Hand, das ein Höchstmaß an Transparenz und Beteiligung gewährleistet und dabei gleichzeitig Machtstrukturen minimiert und (ausgesprochen professionelle) politische Arbeit ermöglicht. Die vorhergehenden Strategien betreffen vor allem die Wirkung der LINKEN in die Gesellschaft hinein. Um als Vorbild für die Idee der Gerechtigkeit in einer besseren Gesellschaft auszustrahlen, müssen sich moderne und beispielhafte Strukturen und Verhaltensweisen vor allem auch in der Selbstorganisation niederschlagen. Dabei finden sich Debattenteilnehmer oft in einer Situation wieder, in der ein Gegeneinander der traditionellen Politikformen und modernisierter Konzepte erhebliche Konflikte erzeugt. Doch die Entscheidung zwischen Tradition und Modernisierung ist schlichtweg eine falsche. Wir müssen stattdessen aufgrund unserer die gesamte Altersstruktur abdeckenden Mitgliedschaft ein „Sowohl als auch“ umsetzen. Das bedeutet, vertraute Formen der politischen Arbeit wie bspw. die Basisorganisationen oder klassische Veranstaltungsformate einerseits zu erhalten, um den oftmals jahrzehntelangen und sehr verdienten Mitgliedern nicht „ihre“ Partei wegzunehmen, während sich andererseits die parteiliche Modernisierung in einer Verlagerung der Gestaltungs- und Willensbildungsprozessen hin zu einer entsprechend progressiven Parteiorganisation und -kultur widerspiegeln muss. Es mag sein, dass für unsere erfahrenen Genossinnen und Genossen nicht absolut alles so bleiben kann wie es bisher war, denn einige Veränderungen betreffen grundlegende Fragen. Andererseits haben wir auch kein Recht dazu, sie in ihren Ansprüchen an ein Parteileben zu ignorieren. Der erste Schritt, um die innerparteiliche Kultur über profane Parteitagsbeschlüsse hinaus tatsächlich zu verändern und somit ein angenehmes Miteinander zu gestalten, ist das Schaffen einer echten Anerkennungskultur gegenüber Personen, ihren Vorstellungen und ihren Leistungen im freiwilligen Engagement. Diese Kultur muss gemeinsam mit den Freiwilligen entwickelt werden, vor allem weil auch unterschiedliche Motivlagen für das Engagement existieren. Es muss ihnen gezeigt werden, wie wichtig sie für die politische Arbeit sind und dass ihr Einsatz wertgeschätzt wird. Die Bausteine dafür sind (1) eine intensive Betreuung auf Augenhöhe, (2) die aktive Förderung ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten, (3) das gemeinsame Beraten über mögliche Interessenfelder und konkretes, projektbezogenes Engagement, (4) Verantwortung und Autonomie zugestehen und (5) die persönliche Wertschätzung durch Aufmerksamkeiten jedweder Art zeigen. Ein besonderes Spannungsfeld findet sich zudem im Umgang der Hauptamtlichen mit den Freiwilligen. 9 Die innerparteiliche Kultur ist die Grundlage für ein nachhaltiges Engagement in der LINKEN, doch müssen auch attraktive Angebote für politische Arbeit gemacht werden. Dazu muss zuerst einmal erfasst werden, welche wichtigen Projekte und Arbeitsbereiche momentan konkrete Unterstützung bräuchten. Anstatt also wie bisher Menschen anzusprechen und allgemein für eine Mitarbeit in bestimmten Zusammenhängen (z.B. Arbeitsgemeinschaften) zu gewinnen, in denen sie sich dann ihre Aufgaben selbst suchen müssen, ist die Formulierung ganz konkreter projektbasierter Angebote notwendig. Zu einem solchen Angebot gehört eine detaillierte Beschreibung (1) des Inhalts und Umfangs, (2) des Sinns der Aufgabe, (3) des (zeitlichen) Aufwands, (4) den Anforderungen an den Freiwilligen, (5) die organisatorische, logistische und inhaltliche Unterstützung durch die LINKE, (6) begleitende Möglichkeiten für den Freiwilligen wie den Erwerb bestimmter Kompetenzen und (7) weitere mit dem Engagement verbundene Entwicklungsmöglichkeiten und Perspektiven. Diese Angebote müssen selbstverständlich effektiv beworben werden, wobei sich auch die Frage nach explizit auf Parteimitgliedern beschränkten Angeboten stellen kann. Ein intensives Erstgespräch durch entsprechend geschulte Parteimitglieder wird insbesondere dann nötig sein, wenn bisherige Mitglieder aktiviert oder neue Mitglieder und ungebundene Freiwillige an diesen Angeboten interessiert sind – für diese Gespräche sind bisherige Standards jedoch nicht mehr ausreichend. Weiterhin muss eine kontinuierliche Betreuung bspw. per Mentoring ermöglicht werden, wobei dafür allerdings auch eine gute Ausbildung der Mentoren benötigt wird. Darüber hinaus gilt, dass die Zusammenarbeit mit Hauptamtlichen geklärt wird, eine tatsächliche Information und Einbindung stattfindet und Zuständigkeiten klar sind. Diese Herangehensweise wird ein professionelles System der Aktivierung, Einbindung, Betreuung, Entwicklung und Anerkennung von Freiwilligen etablieren. Es kann jedoch nicht nur um die innerparteiliche Kultur gehen. Eine entscheidende Stärke der Arbeiterbewegung war immer, dass sie neben der gelebten Solidarität innerhalb ein gesellschaftliches Kulturprojekt war, das im Alltag der Menschen verwurzelt war. Dieses Selbstverständnis ist der gesellschaftlichen Linken schon lange abhanden gekommen, am ehesten noch wurde es ersetzt durch eine Art intellektuelles Avantgarde-Verständnis nach Lenin. Wir müssen Mittel und Wege finden, um wieder „den Sozialismus aus dem Alltag der Menschen heraus zu entwickeln“. Dazu gehört die ernsthafte und schwierig zu beantwortende Frage, welche Rolle der Alltag denn überhaupt in unserem politischen Denken spielt. Gemeinsam sind daraus Ansprüche an unsere politische Kultur und den notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten für sozialistische Politik in dieser Gesellschaft zu entwickeln. An welchen Idealen wollen wir uns orientieren und wie wollen wir diese dem politischen Nachwuchs mit auf dem Weg geben? Eine grundlegende Frage unserer Arbeit in der politischen Weiterbildung ist doch, was unser Anspruch an den so geschulten Nachwuchs sein soll. Er sollte in jedem Fall mit neuen (manchmal auch altbewährten) Denk- und Verhaltensmuster in Kontakt kommen, bspw. mit Gramsci oder der Dialektik von Besserwerden und Anderssein. Nach Gramsci müsse man „nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens“. Dialektisches Denken, ein „Sowohl–als-Auch“ statt eines „Entweder-Oder“, ist ebenfalls wichtig für den Umgang miteinander und das Weiterdenken in gesellschaftlichen und politischen Widersprüchen. Man sollte nicht der Taktik des Gegners, der Herrschenden folgen, sondern stattdessen mit überraschenden Mitteln an überraschenden Orten eingreifen. Gerade im neoliberalen Turbokapitalismus ist es wichtig, wo möglich das Tempo der Langsamsten zu gehen und Prozesse zu entschleunigen. Man sollte das Zuhören wichtiger nehmen als das Sprechen, und das 10 Fragen wichtiger als die geschlossenen Antworten und Weltbilder. Dies sind nur einige Aspekte einer neu entwickelten, teilweise aus altbewährten Elementen bestehenden politischen Kultur, die gemeinsam mit den Weiterbildungs- und Qualifizierungsangeboten vermittelt werden müsste. Allein diese neue, emanzipatorische Herangehensweise an die Weiterbildungsangebote in der LINKEN und ihrem Umfeld wäre schon revolutionär. Es braucht aber gleichzeitig auch neue und veränderte Formate, die auf die individuellen Interessen und Ansprüche der Lernenden eingehen und gleichzeitig ihre bereichernden Gedanken und Ideen für alle produktiv machen können. Die Zielgruppen müssen erweitert werden, der Fokus muss sowohl auf Neumitglieder und Aktivisten als auch auf klassischen Funktionären liegen. Das so qualifizierte politische Personal muss man allerdings auch kennen, man muss tatsächlich auf dieses zurückgreifen können. Aus diesem Grund ist bspw. eine freiwillige interne Datenbank, in der sich solche Menschen mit ihren Qualifikationen darstellen und bei Bedarf angesprochen werden, sehr sinnvoll. Letztlich sind diese Weiterbildungsangebote auch ein Teil der Identitätsbildung, ein Teil der ganz persönlichen Wege zu einem gemeinsamen linken Selbstverständnis in einer pluralen Partei. So oder so, das Einbinden des politischen Nachwuchses im Gleichklang von professioneller, moderner Weiterbildung und Learning by Doing durch Einbinden in die politischen Prozesse ist unerlässlich und wird den Aufwand wert sein. Dass es in diesem Rahmen notwendig ist, überhaupt auf die notwendige Einbindung von Freiwilligen einzugehen, zeigt auch Einiges über den bisherigen Umgang mit der Basis und Sympathisanten. Die LINKE hat bereits große Schritte im Bereich der innerparteilichen Mitbestimmung und Partizipation unternommen. Gleichzeitig finden Debatten zu wichtigen Fragen und Entscheidungen noch immer zu selten im großen Rahmen statt. Eine echte Partizipation der Mitglieder besteht nicht nur in Information und Anhörung, sie bedeutet mindestens Mitbestimmung. Aus diesem Grund ist das Delegiertenprinzip für Parteitage zu überdenken, wichtige Entscheidungen und Wahlen sollten durch Mitgliederentscheide und Vorwahlen geöffnet werden. Selbst die sehr gute Form der Aktiven- und Regionalkonferenzen ist letztlich nur eine Vorstufe der Partizipation, denn die hier Engagierten bzw. die Mitglieder unserer postulierten Mitgliederpartei können voraussichtlich nicht direkt über die Umsetzung der erarbeiteten Dinge mitbestimmen. Prinzipiell sollten Vorstände und Parteitage Kompetenzen so an einen erweiterten Kreis von Mitbestimmenden abgeben und daraus hervorgehende Steuerungsverluste gegen eine enorm verbesserte politische Wirkmächtigkeit eintauschen. Denn das Einbeziehen vieler Menschen macht Entscheidungen verbindlicher, erhöht die Wertschätzung auch „einfacher“ Mitglieder, lässt von interessanten und innovativen Gedanken aus der Basis profitieren und kann bei der Beschränkung auf Parteimitglieder auch eben diese Mitgliedschaft attraktiver machen. Gleichzeitig sollte man auch über die partielle Öffnung innerparteilicher Entscheidungen für Nicht-Mitglieder nachdenken, um auch die Unterstützerkreise der Partei in der gesellschaftlichen Linken zu einem Engagement in der eigentlichen Parteiorganisation anzusprechen – die Sozialisten in Frankreich machen es vor. Innerparteiliche Partizipation kann und sollte zudem gezielt durch elektronische Abstimmungsformen unterstützt werden, beispielsweise durch Liquid Democracy, Diskussionsportale und OnlineUmfragen. Zur Partizipation gehören jedoch auch Information und Transparenz. Die Informationsflüsse insbesondere direkt in die Basisorganisationen funktionieren nicht, einfache Mitglieder bekommen Informationen oft nur über Umwege und mit großer Verspätung. Verbesserte Möglichkeiten zur Selbstinformation setzen höchstmögliche Transparenz in den politischen Angeboten voraus. Dafür sind bspw. breitgestreute Einladungen, Sofortinformationen und OnlineMitschnitte von Versammlungen und Veranstaltungen wichtige Elemente. 11 Mit einer modernen Parteiorganisation zurück in die Zukunft Dieses Essay kann letztlich trotz seines Umfangs nur eine Übersicht sein, bereits die noch immer unvollständige und lückenhafte Darstellung so vieler unterschiedlicher Aspekte einer zukunftsfähigen Parteiorganisation zeigt dies. Meine Hoffnung ist, dass es wachrüttelt für die Gründe der strukturellen Krise der LINKEN als Mitgliederpartei, die die aktuelle politische Krise mitbegünstigt hat. Auch die Lösungsstrategien sind nur skizziert, man könnte sie noch viele Seiten lang ausführen – dafür ist hier allerdings nicht der Ort. Stattdessen arbeitet momentan die Projektgruppe „Ideenpool Nachwuchsförderung“, die im Rahmen der aktuellen Parteireform des Brandenburgischen Landesverbandes der LINKEN aktiv ist, an einem noch sehr viel tiefer gehenden und umfangreicheren Konzeptpapier. Aus ihm werden wir ganz konkrete Handlungsleitfäden für alle Parteigliederungen und zu einzelnen Problemkomplexen herausarbeiten, um nicht im Theoretischen stehen zu bleiben. Den Politikmachern vor Ort sollen ganz konkrete Lösungsmöglichkeiten für die umfassenden Probleme der überholten Parteiorganisation und –kultur an die Hand gegeben werden. Doch umsetzen können die Neugestaltung der LINKEN nur wir alle gemeinsam. Insbesondere die Verantwortlichen in den Kreis- und Ortsverbänden, die Landesvorstände und –fraktionen und die Bundespartei sind dabei in der Pflicht, die notwendige Parteireform anzugehen. Sie ist eine existenzielle Frage, denn ohne die Unterstützung durch aktive Mitglieder und Interessierte, die am linken Gesellschaftsprojekt in der Partei mitwirken wollen, wird sie als Kern dieser gesamtgesellschaftlichen Gerechtigkeitsbewegung langsam und leise in sich zusammenfallen. Deshalb müssen den vielen Debatten, dem Rumoren in der Basis und den durchaus nicht wenigen positiven Beispielen weitere Taten folgen. Dafür möchte ich euch alle gewinnen – egal welchen Alters und welcher Funktion, setzt euch für diese Neugestaltung ein. Wir müssen zurück an den Punkt, an dem die sozialistischen Parteien die Parteien der Zukunft waren. Es ist verdammt nochmal an der Zeit dafür. 12