Gruppenprophylaxe nach dem Kariesrückgang

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PROPH Y L A X E
Gruppenprophylaxe
nach dem Kariesrückgang
Karies bei Kindern und Jugendlichen hat in der Schweiz ein sehr tiefes
Niveau erreicht. Diese erfreuliche Entwicklung ist eine Folge der konsequenten zahnmedizinischen Prophylaxe. Hat sich die Kariesvorbeugung
also überflüssig gemacht? Weit gefehlt! Der folgende Artikel zeigt auf,
welche Faktoren für den Kariesrückgang verantwortlich sind und weshalb
die zahnmedizinische Prophylaxe auch in Zukunft eine wichtige Rolle
spielen muss. Es wäre verfehlt, sich jetzt auf den Lorbeeren auszuruhen!
[ Quelle ] Dieser Artikel bezieht sich unter anderem auf
die folgenden Publikationen: M. Steiner, G. Menghini,
T. M. Marthaler, T. Imfeld Kariesverlauf über 45 Jahre bei
Zürcher Schülern Schweiz Monatsschrift Zahnmed
Vol. 120 12/2010.
Ch. H. Splieth, Ch. Heyduck, K. G. König K. G. Gruppen­
prophylaxe nach dem Caries Decline Oralprophylaxe &
Kinderzahnheilkunde 28 (2006) 2.
Enormer Kariesrückgang nach
50 Jahren
In den meisten westlichen Ländern hat
die Zahnkaries bei Kindern und Jugendlichen stark abgenommen. Dies zeigen
verschiedene internationale Studien.
Die umfangreichsten Daten zur Karieshäufigkeit liegen zu 12-jährigen Kindern
vor. In diesem Alter ist der Zahnwechsel
weitgehend abgeschlossen: Die Milch-
zähne sind den bleibenden Zähnen
gewichen und die zweiten Molaren
(7er) sind durchgebrochen. Zu diesem
Zeitpunkt sind die Zähne also oft über
längere Zeit hinweg den Karies verursachenden Einflüssen ausgesetzt gewesen. In den 1960er Jahren waren bei
den 12-Jährigen bereits durchschnittlich acht Zähne pro Kind von Karies
befallen! Dies entspricht einem DMFTIndex von 8 (siehe Kasten). Die am
stärksten befallenen Zähne waren denn
auch die ersten Molaren (6er), weil sie
schon am längsten in der Mundhöhle
standen. Viele 6er wurden damals wegen massiver kariöser Zerstörung extrahiert.
Ab Anfang der 1960er Jahre führte man
Massnahmen zur Kariesverhütung ein,
um gegen den durchgehend hohen
Kariesbefall anzukämpfen. Die Bemühungen zahlten sich aus: Karies nahm
in der Folge stetig ab. Rund 30 Jahre
später, im Jahr 1996, verzeichneten Studien noch knapp einen kariösen Zahn
pro 12-jährigem Kind! Seither blieb der
Kariesbefall in der Schweiz auf diesem
tiefen Niveau. Das bedeutet einen
Kariesrückgang von nicht weniger als
90 %!
Die Erfolgsgeschichte lässt sich fortschreiben: Bei den 14-Jährigen sank
die Zahl kariöser Zähne von über 12 im
Jahr 1964 auf heute knapp 1,5 Zähne.
Bei den 20-jährigen Rekruten sank die
Zahl von rund 10 Zähnen im Jahr 1985
auf rund 3 im Jahr 2006. Schliesslich
ist auch bei den Erwachsenen bis zur
Generation der 50-Jährigen ein Rückgang der Karies zu beobachten – auch
dies als Folge der konsequenten zahnmedizinischen Prophylaxe.
Der Kariesbefall wird durch
den DMFT-Index wiedergegeben:
Für jedes Schulkind wird die Anzahl
Zähne zusammengezählt, die kariös
sind (decayed = D), wegen Karies
gefüllt sind (filled = F) oder wegen
Karies extrahiert wurden und fehlen
(missing = M). Für Milchzähne gilt der
gleiche Index, geschrieben in Kleinbuchstaben: dmft.
Kariesrückgang auch bei
den Milchzähnen
Fluoride sind der
wichtigste Faktor für
den Kariesrückgang.
Bei den Milchzähnen zeigten Erhebungen unter 5- bis 6-Jährigen einen stetigen Kariesrückgang bis zum Jahr
1988. Danach stieg der Kariesbefall bis
zum Jahr 2000 geringfügig an und
sank danach wieder ab. Er verblieb
allerdings ab diesem Zeitpunkt mit
rund zwei kariösen Zähnen pro Kind
auf einem höheren Niveau als der Befall
im bleibenden Gebiss. Der Rückgang
beträgt im Kanton Zürich eindrückliche
79 %.
[5]
Die Ursachen für den Kariesrückgang
Wichtigste Ursache: Fluoride
Der wichtigste Faktor für den Rückgang der Karies sind nach übereinstimmender Einschätzung der Fachwelt die Fluoride, d. h. die Verwendung
von Fluorid-Zahnpasten. Ihnen wird die
Verhinderung von bis zu 50 % der Karies zugeschrieben.
In den 1960er Jahren kamen in der
Schweiz die ersten wirksamen Fluo rid-Zahnpasten auf den Markt und seit
1963 ist fluoridiertes Speisesalz erhältlich. Ab 1962 wurde die schulische
Kariesprophylaxe mit vier bis sechs
jährlichen Zahnbürstübungen unter Anwendung von Fluoridpräparaten eingeführt. Bis Mitte der 1970er Jahre hat
sich dieses System in einem Grossteil
der Schweizer Gemeinden etabliert. Zusätzlich wurden Fluoridtabletten, Fluorid-Gelees und Spüllösungen zum individuellen Gebrauch angeboten. Diese
Präparate sowie Fluorid-Lack-Applikationen in der zahnärztlichen Praxis bieten einen weiteren Hemmeffekt gegen
Karies.
Heute benutzt die überwiegende Mehrheit der Schweizer Bevölkerung FluoridZahnpasten. Der jährliche Pro-KopfVerbrauch von Zahnpasten stieg in der
Schweiz zwischen 1980 bis 1994 markant an. Wir können davon ausgehen,
dass Schulkinder durchschnittlich mindestens zweimal täglich mit FluoridZahnpasta die Zähne putzen. Zudem
benützen rund 80 % der Familien fluoridiertes Speisesalz. Etwa die Hälfte der
Kinder verwendet Fluorid-Spüllösungen und/oder zusätzlich Fluorid-Gelee.
Mögliche andere Ursachen
in Diskussion
Verbesserte Mundhygiene
Regelmässiges Zähneputzen gilt heute
für die Schweizer Bevölkerung als
Selbstverständlichkeit. Auf die Karieshäufigkeit hat die Reduktion der Plaquemenge durch verbesserte Mundhygiene nach Ansicht der Experten
jedoch nur einen beschränkten Einfluss: Sie wirkt vor allem auf freie Glattflächen und Frontzähne. Nachgewiesen
ist die Wirkung einer verbesserten
Die heutigen Kinder
haben allen Grund zum
Lachen: Karies ist
seit Jahrzehnten auf
dem Rückmarsch!
Mundhygiene auf die Gesundheit des
Zahnfleisches bzw. die Reduktion der
Zahnfleischentzündung (Gingivitis).
Veränderte Ernährungs­
gewohnheiten
Viele Lehrpersonen und Schulzahnpflege-Instruktorinnen versuchen heute,
Kinder und Eltern für gesunde, zuckerarme Ernährung zu sensibilisieren. Ob
diese Anstrengungen zu einem geringeren Zuckerkonsum führen, ist noch
offen. Mit rund 45 kg pro Kopf und Jahr
liegt der Zuckerkonsum seit Jahren
konstant hoch. Es darf davon ausgegangen werden, dass eine verbesserte
Mundhygiene hilft, die kariesverursachenden Folgen des Saccharose-Konsums (Kristallzucker) zu vermindern.
Heutzutage dürfte mehr künstlich gesüsstes Naschwerk anstelle von gezuckerten Süsswaren verzehrt werden.
Dies gilt besonders für Kaugummis,
die zu über 90 % mit Zuckeraustauschstoffen und Süssstoffen gesüsst sind.
Schüler, die mit Sorbit gesüsste Kaugummis kauten, entwickelten im Vergleich mit Schülern, die keine Kaugummis kauten, 20 % weniger Karies, wie
eine Studie zeigte.
Antibiotika
Laborbefunde legen nahe, dass die zunehmende Verwendung von Antibiotika
und Konservierungsstoffen in Lebensmitteln die Mikroorganismen im Zahnbelag beeinträchtigen und damit eine
gewisse Wirkung auf den Kariesrück-
gang haben könnten. Auch werden bestimmte Stoffe (Phenole), die in Früchten, Tee, Kaffee und Schokolade (Kakao)
vorkommen und gegen Bakterien im
Zahnbelag wirksam sind, von einigen
Forschern in die Diskussion gebracht.
Kombination verschiedener
Faktoren
Es gibt Anzeichen dafür, dass eine
Kombination aus guter Mundhygiene
und Fluoridanwendung eine verstärkt
karieshemmende Wirkung hat. Umgekehrt scheinen sich schlechte Mundhygiene und hoher Zuckerkonsum in ihrer
kariesfördernden Wirkung zu verstärken. Zu diesen Synergieeffekten liegen
aber bisher nur wenige Untersuchungen vor.
Was wirklich hift
Insgesamt lässt sich also nur die Wirkung der Fluoride wissenschaftlich
nachweisen. Sie erklärt einen Kariesrückgang von etwa 50 %. Für die Wirkung aller anderen vermuteten Ursachen liegen keine hinreichenden
Beweise vor. Dies alles deutet klar darauf hin: Ohne Fluoride ist bei fortbestehendem Niveau des Zuckerkonsums
keine Kariesprophylaxe zu machen.
Von entscheidender Bedeutung sind
dabei die Massnahmen zur Fluoridierung von Zahnpasta und Speisesalz.
Fortsetzung Seite 6
[6]
PROPH Y L A X E
Die Wirksamkeit der Gruppenprophylaxe
der prophylaktischen Bemühungen hin:
Neues Wissen und entsprechende Verhaltensweisen werden zunächst von
kleinen Gruppen besonders Interessierter und Motivierter aufgenommen
und verbreiten sich dann schrittweise
in der gesamten Bevölkerung. Durch
diesen Prozess entwickelt sich langsam eine neue soziale Norm. Grossflächige Prophylaxeprogramme in den
Schulen könnten also die Verbesserung der Zahnpflege beschleunigt haben. Hinzu kommt die Werbung für
Zahnpflegeprodukte, die vor allem die
Attraktivität von schönen und gepflegten Zähnen hervorhebt (Image). Eine
Kombination dieser Faktoren könnte
zur Bildung einer neuen Norm beigetragen haben – einer Norm, wie Zähne
aussehen und gepflegt werden sollten.
So hätte z. B. heute ein Jugendlicher,
der sich mit sichtlich ungepflegten
Zähnen oder gar erkennbarer Karies
Die Anreicherung von Salz und Zahnpasta mit Fluroiden nimmt eine wichtige
Funktion in der Kariesprophylaxe ein.
Mit ihr können grosse Bevölkerungsteile sozusagen automatisch erreicht
werden. Es braucht dazu kein spezifisches Wissen und relativ wenig Information. Das ist ein grosser Vorteil, wie
die Jodierung des Speisesalzes zur
Prävention der Schilddrüsenunterfunktion (Kropf) gezeigt hat. Das Wissen um
eine angemessene Mundhygiene erfordert hingegen eine gezielte Information.
Dazu dienen Aufklärung und Instruktion, wie sie in der Gruppenprophylaxe
umgesetzt werden.
Die Wirksamkeit der schulischen Kariesprophylaxe ist schwer zu messen
– zu viele Faktoren spielen mit hinein.
Doch deuten Resultate aus der soziologischen Forschung auf eine Wirkung
ABBILDUNG 1
% 14 Jährige
70
60
50
40
30
20
10
0
DMTF
0
1
1964
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
2000
1964 hatten praktisch alle 14-Jährigen Karies. Die Zahl befallener Zähne (in einer
Kieferhälfte) erstreckte sich von 0 bis 14; bis zu 28 Zähnen konnten also kariös
sein. Der Durchschnitt lag bei rund 13 kariösen Zähnen pro Kind. Im Jahre 2000
dagegen hatten über 60 % überhaupt keine Karies. Von den restlichen Kindern
hatten die meisten nur einen kariösen Zahn und nur einige wenige zwei oder mehr
erkrankte Zähne (im Maximum sieben).
[ Quelle ] G. Menghini, M. Steiner, T. Marthaler, U. Helfenstein, D. Brodowski, C. Imfeld, E. Weber, T. Imfeld
Kariesprävalenz von Schülern in 16 Zürcher Landgemeinden in den Jahren 1992 bis 2000 Schweizerischen Monats­
schrift für Zahnmedizin 113: 3/2003, S. 267–277
um eine Lehrstelle bewirbt, schlechte
Karten. Denn er würde den Eindruck
erwecken, dass mit ihm «etwas nicht
stimmt». Es würde als Verletzung einer
Norm empfunden. Dies würde negativ
gedeutet und nicht (mehr) akzeptiert.
Mit einem gewissen Erstaunen stellte
man in den letzten Jahren bei Kindern
aus Regionen, in denen keine Prophylaxeprogramme durchgeführt wurden,
einen ähnlich hohen Kariesrückgang
fest, wie bei Kindern mit einem Programm. Der Hauptgrund ist sicher auch
hier in der praktisch flächendeckenden
Versorgung mit Fluorid-Zahnpasten zu
sehen. Zum andern könnte auch in
diesen Fällen die oben beschriebene
gesellschaftliche Dynamik mitgewirkt
haben.
Warum gibt es immer noch
einzelne Kinder mit viel Karies?
Die Rolle sozialer Faktoren
Die Gesundheit eines Menschen steht
in direktem Zusammenhang mit seiner
sozialen Lage. Je mehr Ressourcen die
Menschen für ihren Lebensunterhalt
haben – dazu gehören Bildung, Einkommen, soziales Netz – umso gesünder sind sie im statistischen Durchschnitt. Dieser Zusammenhang gilt
auch für die Mundgesundheit.
Bevor die Präventionsmassnahmen in
der Schweiz eingeführt wurden, waren
praktisch alle Menschen von Karies
betroffen. Der Kariesbefall war mehr
oder weniger gleichmässig verteilt.
Heute gibt es vor allem bei Kindern und
Jugendlichen eine Mehrheit, die kariesfrei ist oder nur wenige und geringfügige kariöse Defekte hat. Demgegenüber steht eine Minderheit, die noch
relativ viel Karies hat (Abbildung 1). Man
spricht in diesem Zusammenhang von
einer «Polarisierung» des Kariesbefalls.
Die Gruppe der Kinder und Jugendlichen mit dem höchsten Kariesrisiko
hat von der Prophylaxe ebenfalls stark
profitiert, wie eine Untersuchung bei
12-Jährigen im Kanton Zürich zeigte.
Nach einem Anfangswert von durchschnittlich 13 kariösen Zähnen im Jahr
1964 konnte man im Jahr 2009 nur
noch bei zwei Zähnen pro Kind Karies
verzeichnen, der Kariesrückgang be-
[7]
trug also 83 %. Auch innerhalb dieser
Gruppe verbleibt wiederum nur ein Teil,
bei dem der Kariesbefall noch erheblich
über dem Durchschnitt dieser Gruppe
liegt.
Kinder aus Migrantenfamilien sind in
dieser Gruppe überproportional vertreten. Einerseits haben viele zugewanderte Kinder bis zur Einreise in die
Schweiz noch keine genügende Zahnpflege gelernt und konnten nicht von
den Fluoriden profitieren. Zum andern
ist die durchschnittliche soziale Lage
dieser Familien mehrheitlich schwieriger als die der Ansässigen. Die Gesundheit der Zähne steht für diese
Menschen oft nicht im Vordergrund.
nen alle Kinder dieselbe Chance auf
gesunde Zähne erhalten – unabhängig
von ihrem sozialen Status. Entscheidend ist das Wissen um die Mundhygiene.
Braucht es noch Gruppenprophylaxe?
– Ja !
Die grosse Mehrheit der Kinder hat
keine oder sehr geringe Karies. Man
kann sich also fragen: Braucht es die
Mundgesundheit und ihrer permanenten, den aktuellen Lebensverhältnissen
(z. B. den Ernährungsgewohnheiten) angepassten Förderung. Auch dafür ist
die Schule nach wie vor ein idealer Ort.
Im Bulletin Nr. 107, Juni 2010, wurde im
Artikel «Was machen wir eigentlich,
wenn wir ‹Schulzahnprophylaxe› machen?» ausführlich beschrieben, worum es dabei aktuell geht, und wie die
Schule als «Setting» (sozialer Lebensraum, in dem Kinder und Jugendliche
Besondere Situation bei
den Milchzähnen
Die stärker ausgeprägte Polarisierung
der Karies bei den Milchzähnen betrifft
jedoch nicht nur die Zuwanderer. Auch
eine Anzahl ansässiger Familien sind
betroffen. Anders als später bei den
bleibenden Zähnen hängt die Gesundheit der Milchzähne bei Kindern in den
ersten Lebensjahren praktisch allein von
der Initiative und der Unterstützung der
Eltern ab. Eine Reihe von Studien aus
verschiedenen Ländern zeigen, dass
das elterliche Zähneputzen beim Kleinkind der wichtigste Faktor zur Erklärung des Kariesbefalls bei Klein- und
Vorschulkindern ist. Das Verantwortungsbewusstsein für die Zahnpflege
des eigenen Kindes ist bei Familien mit
höherem Sozialstatus eher vorhanden,
wie Antworten aus Befragungen belegen: Die sozial besser gestellten Eltern
beginnen früher mit dem Zähneputzen
und setzen es bewusster um. Gleiches
gilt für den Genuss von zuckerhaltigen
Speisen und Getränken. Die Gabe von
zuckerhaltigen Getränken im Bett (zum
Einschlafen) steht ebenfalls in einem
direkten statistischen Zusammenhang
mit der Karies. So sind ständiges Flaschennuckeln und zuckerhaltige Bettmümpfeli die Hauptursache für die kariöse Zerstörung der Milchzähne.
Wenn Eltern verständlich gemacht werden kann, wie wichtig frühe Zahnpflege
ist, wenn früh mit dem Zähneputzen
begonnen und nachgeputzt wird, kön-
Kariesprophylaxe
in der Schule:
Gleiche Chancen auf
gesunde Zähne!
Gruppenprophylaxe in der Schule weiterhin? Diese Frage wird auch gelegentlich gestellt – vor allem von Politikern,
die nach Spar-Gelegenheiten suchen.
Für alle, die Prophylaxe betreiben, ist
es gut, auf diese Frage vorbereitet zu
sein. Mögliche Antworten entnehmen
Sie den folgenden Abschnitten.
Rolle und Auftrag der Schule
Als es darum ging, das Übel der Karies
möglichst schnell einzudämmen, war
die Schule der ideale Ort, die Kinder
möglichst einfach und vollzählig zu erreichen, um sie mit Fluorid zu versorgen
und sie zum Zähnebürsten zu bringen.
Heute geht es um die Erhaltung des
durchschnittlich hohen Niveaus der
einen grossen Teil des Tages verbringen) genutzt werden kann. Die Schule
prägt Kinder in einem Ausmass, wie
sonst keine Organisation. Gesundheitsförderung umfasst nicht nur den eigentlichen Unterricht sondern das gesamte
Schulleben. Sie bietet damit die Chance,
neben den eigentlichen Schulfächern
auch grundlegende Lebenskompetenzen zu entwickeln.
Diese Erkenntnisse führten zum Konzept der «Gesunden Schule». Aus dieser
Perspektive ist das Umfeld der Schule
eine Lebenswelt, bei deren Gestaltung
viele Bereiche berücksichtigt werden
müssen. Im Einzelnen sind dies: der formelle Lehrplan (Gesundheitserziehung,
soziale Erziehung); der informelle Lehr-
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plan (Ausflüge, Sport, Spiele); der versteckte Lehrplan (Beziehungen, Werte,
Einstellungen); die Begleitung der Schüler (Führung, Unterstützung, Beratung);
die allgemeine Lebenswelt (Schulkiosk,
Schulmahlzeiten, Spielplatz und Entspan nungs möglichkeiten) und der parallele Lehrplan (Schulgesundheitspflege / Schulzahn pflege, Familie, Gemeinschaft). Nicht nur Unterrichtsstunden zum Thema Zahngesundheit
sondern dieses ganze äussere Umfeld
der Schule (z. B. mit oder ohne Getränkeautomaten und Süssigkeitenangebot) signalisiert den Kindern, welchen
Stellenwert die Mundgesundheit hat.
Wenn den Heranwachsenden so ein
zusammenhängendes positives Bild
über Mundgesundheit vermittelt wird,
sind die Chancen, dass sie diesbezüglich ein vernünftiges Verhalten annehmen, am besten.
Das Recht auf Bildung und Teilhabe
an Kulturwissen
Menschen haben seit jeher Hilfsmittel
und Methoden entwickelt, mit denen
sie versuchten, die Zähne zu reinigen.
Zahnpflege ist eine Kultur- oder Zivilisationstechnik. Sie beruht heute auf
einem gesicherten Standard von Wissen und Fertigkeiten. Dazu dürfen wir
auch elementare Kenntnisse zählen,
die zum Schutz der Gesundheit und für
ein unversehrtes Leben wichtig sind,
wie z. B. Kenntnisse über Ernährung,
Verhalten im Verkehr, Hygiene, Verhalten ums Wasser und im Wasser.
Artikel 28 und 29 der Konvention über
die Rechte des Kindes der UNO nennt
ausdrücklich das Recht auf Bildung,
d. h. das Recht darauf, Basiswissen der
Zivilisation zu erlernen (siehe Kasten).
Es ist absolut notwendig, dieses Basiswissen, zu dem auch die Zahnpflege
gehört, allen Kindern gleichermassen
zu vermitteln. Dafür ist die Schule der
ideale Ort. Hier lassen sich alle Kinder
erreichen – und zwar unabhängig von
ihrem sozialen Status und ihren persönlichen Lebensverhältnissen. Gerade für gesellschaftlich benachteiligte
Kinder ist das eine grosse Chance.
Mundgesundheit bedeutet
Lebensqualität
Essen ohne Zahnschmerzen; Lachen,
ohne Angst, seine Zähne zu zeigen; ein
unbeschwerter sozialer Kontakt: Diese
Dinge tragen sehr wesentlich zur Lebensqualität bei. Wer je Probleme mit
den Zähnen hatte, weiss davon zu berichten. In einer kürzlich erschienen
deutschen Studie wurde dies auch bei
Schulkindern sehr deutlich sichtbar.
Dieser Aspekt zeigt ebenfalls, wie wichtig es ist, ein hohes Niveau an Mundgesundheit zu erreichen und zu bewahren.
Artikel 28
Bildung Das Recht des Kindes auf
Bildung und die Pflicht des Staates,
die Schulung – mindestens den
Besuch der Grundschule – obligatorisch und unentgeltlich anzubieten.
Die Disziplin in der Schule muss
in einer Weise gewährt werden,
die der Menschenwürde des Kindes
entspricht. Besonders betont wird
die Notwendigkeit der internationalen
Zusammenarbeit, um diesem Recht
zum Durchbruch zu verhelfen.
Artikel 29
Bildungsziele Die Anerkennung
des Prinzips, dass die Bildung auf die
folgenden Punkte ausgerichtet wird:
die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes und seiner
Begabungen, die Vorbereitung des
Kindes auf ein aktives Erwachsenenleben, die Achtung der grundlegenden
Menschenrechte und die Entwicklung
der Achtung kultureller und nationaler
Werte seines eigenen Landes und
anderer Länder.
Mundgesundheit gehört zur
Gesamtgesundheit
Wie oben dargestellt, haben gerade
auch Kinder mit hohem Kariesrisiko von
der Gruppenprophylaxe in grossem
Ausmass profitiert. Auch die Gruppe mit
sehr hohem Kariesbefall verkleinerte
sich im Lauf der Zeit. Im Vergleich mit
dem Erfolg der «normalen» Prophylaxe
war der Nutzen zusätzlicher präventiver
Massnahmen für solche Kinder im Verhältnis zum Aufwand nicht sehr viel
grösser. Darum wäre es nicht angezeigt, die «Basisprophylaxe» zu reduzieren und sich nur auf diese Gruppe zu
beschränken. Im Gegenteil, die Förderung der Mundgesundheit gehört heute
zum Bereich der Gesundheitsförderung in der Schule, die Teil des normalen Schulbetriebs sein sollte. Dazu sei
hier nochmals (wie schon im Bulletin
Nr. 107) auf das Schweizerische Netzwerk Gesundheitsfördernder Schulen
hingewiesen.
In diesem Zusammenhang macht es
Sinn, Gemeinsamkeiten zu beachten
und Synergien – ganz besonders mit
dem Bereich Ernährung – zu nutzen
und die Zahngesundheit eingebettet in
die ganzheitlich gesunde Entwicklung
der Schülerinnen und Schüler zu sehen. Mit Blick auf die Milchzähne ist es
immer von Vorteil, wenn damit auch
schon jüngere Kinder und deren Eltern,
z. B. in Spielgruppen (auch ein Setting!)
erfasst werden können.
Fazit Die Gruppenprophylaxe in
der Schule verdient auch heute noch
ihren Platz. Sie garantiert, dass Kinder und Jugendliche unabhängig von
ihrer sozialen Herkunft stufengerechte
Informationen zur Mundhygiene erhalten. In der Gruppe erarbeiten sich die
Knaben und Mädchen altersgemässe
Kompetenzen zur Zahnpflege. Hier
wird der Grundstein für ein lebenslang
gesundes Gebiss gelegt! Es wird in
Zukunft wichtig sein, die Anstrengungen auch auf Sekundarstufe weiterzuführen. Dabei gilt es, auf die besonderen Interessen und Fragen dieser
Altersgruppe Rücksicht zu nehmen.
Die besondere Herausforderung
wird sein, die Jugendlichen auf den
Übergang aus der kontrollierten
Schulzahnpflege in die Selbstverantwortung vorzubereiten.
[ ]
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