Manöver des letzten Augenblicks

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SÄCHSISCHE ZEITUNG
LEBEN & STIL
S O N N AB E N D / S O N N TA G
8 . / 9 . N O VE M B E R 2 0 14
Manöver des letzten Augenblicks
Der Selbsttest
Unser Autor träumt davon,
mit dem Segelboot seine
Rente zu durchkreuzen.
Doch der Schein, den er
dafür braucht, ist schwerer
zu bekommen als gedacht.
Von Peter Ufer
E
s gibt Dinge, ohne die ich bestens
leben kann. Die dritte Nachkommastelle von Pi beispielsweise
oder die exakte Abseitserklärung
gehören für mich ins Lexikon des unnützen Wissens. Doch plötzlich sollte ich lernen, worum es sich bei einer „Besteckversetzung“ handelt. Selbige muss in der Prüfung für den Sportboot-Führerschein See
auch noch berechnet werden. Horror für
einen Menschen, der gelegentlich noch
heute von seiner Abi-Matheprüfung albträumt.
Doch irgendwann hatte ich im Familienkreis leichtfertig geäußert, dass ich im
Rentenalter mit Frau und Ruhe gern mit einem Segelboot über die Meere schippern
würde. Und prompt bekam ich zum 50. Geburtstag einen Kurs geschenkt, der mich
diesem Ziel näherbringen sollte. Die clevere Verwandtschaft rechnete offensichtlich
damit, dass die Ausbildung zum Segler bei
mir länger dauern würde. Gleichzeitig recherchierte sie sparsam ein Seminar, das
für Studenten vorgesehen war. Der intellektuelle Nachwuchs zahlt sowohl für die
Theorie als auch die Praxis für den „Sportbootführerschein Binnengewässer und
See“ nur 295 Euro.
Der Autor am
Steuerrad eines
geborgten und
ziemlich gebrauchten Motorschiffes
auf der Elbe. Mit
dem Bootsführerschein kann der
Segelfan jetzt
schon mal Kähne
über Flüsse, Seen
und in der Zwölfmeilenzone der
Meere steuern.
Der nächste
Schritt ist der Führerschein für die
Hochsee. Foto: R. Michael
D
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as amtliche Dokument ist die
Grundlage aller Wassersportaktivitäten sämtlicher Sportboote
mit einer Motorisierung von über
fünf PS und gilt im Küstenbereich der Meere. Nur mit ihm kann man den Schein für
die Binnengewässer erwerben. Und er ist
die Voraussetzung für den begehrten SegelSchein für die Hochsee. Voraussetzung für
die Prüfung sind ein Alter von mindestens
16 Jahren sowie ein vom Arzt attestierter
körperlicher und geistiger Zustand, der als
fit und zurechnungsfähig eingeordnet werden kann.
Angemeldet wurde ich von den lieben
Verwandten beim Club Nautique, der seinen Stammsitz in Auerbach hat, aber ebenso in Dresden und Chemnitz sowie in Thüringen Kurse anbietet. Ich schlenderte also
an einem Dienstagabend im April in einen
der Hörsäle der Technischen Universität
Dresden, um mich belehren zu lassen.
Doch im ersten Augenblick wollte ich sofort wieder umdrehen, denn in dem Raum
saßen nur Menschen um die 20, die ihre
Tablets vor sich gelegt hatten, um dem Dozenten zu folgen.
Ich packte dann doch Stift und Zettel
aus, denn irgendwie wollte ich plötzlich
meiner Familie beweisen, dass ich noch
weit entfernt bin vom Altersheim und genauso lässig lernen kann wie diese digital
orientierten Jungspunde. Ich setzte mich,
und da kam auch schon Ausbilder Olaf
Schädlich, der zur Vorstellung kurz seine
biografischen Daten in die Runde sprach.
Der Mann war Vollmatrose, hatte Nautik
studiert, steuerte zu DDR-Zeiten Containerschiffe der Handelsmarine von Kontinent
zu Kontinent. Als sein Bruder 1984 in den
Westen flüchtete, flog Olaf Schädlich vom
Schiff. Doch weil der Seemann auf die Seeluft nicht verzichten wollte, stieg er auf
Kosten & Kurse
p Kosten: Der Kurs für 295 Euro wurde im Club Nautique absolviert. Der
Preis ist ein Angebot für Studenten.
Bei anderen Yacht-Schulen beginnen
die Kurspreise bei 350 Euro und können sich auf bis zu 900 Euro addieren.
Dazu kommen noch Prüfungsgebühren von 67,78 Euro plus Spesen für
die Anreise der Prüfer.
p Kurse: Für die Ausbildung für den
Sportbootführerschein gibt ein riesiges Angebot im Internet. Am besten,
Interessenten suchen sich nach ihrem
Wohnort, den eigenen Bedürfnissen
und dem Zeitbudget ihr Programm
selbst. Unter dem Stichwort Sportboot-, Boots- oder Yachtschulen finden sich genug Anbieter in Sachsen.
kleinere Boote um und segelt seitdem mit
jedem Wind. 1990 gründete er seinen
Boots-Club, bildet seitdem Segler aus und
bietet Törns an.
Über den Begriff „Besteckversetzung“
lächelte der Skipper wie ein Mathelehrer,
der dem Schüler die lächerlichen Geheimnisse einer Differentialgleichung beibringen will und genau weiß, dass der gegenüber nie die Variablen finden wird. Nicht
jeder Kapitän muss ein guter Pädagoge
sein, dachte ich mir. Kurz vor dem Ende des
Gedankens bekam ich den Befehl, mich auf
einer Seekarte durch die Deutsche Bucht
zu navigieren. Doch ich besaß weder ein
Winkeldreieck noch einen Zirkel und erst
recht nicht das Wissen, um irgendeinen
Kurs festlegen zu können. Eine Studentin
wagte es, den Sinn der analogen Arbeit infrage zu stellen, denn längst hätten doch
Satelliten die Steuerung übernommen.
Ausbilder Schädlich nickte und bemerkte,
dass Navigation nicht nur Pflichtprüfungsstoff sei, sondern zugleich dem Überleben
diene, denn es komme immer wieder vor,
dass die ganze digitale Ausrüstung einfach
ausfällt.
Das leuchtete mir ein. Dafür war ich alt
genug. Ich lernte also Kurse festzulegen,
Tonnen in den Karten zu finden und „Missweisungen“ zu berücksichtigen. Schon
wieder so ein Begriff, den ich verstehen
musste. „Die Missweisung ist die Abweichung der Magnetnadel von GeografischNord, weil die magnetischen Pole der Erde
nicht mit deren geografischen Polen zusammenfallen“, erklärte Ausbilder Schädlich. Ich verstand es erst, als ich zu Hause
selber auf einer Karte rummalte. Allein mit
den Seminaren hätte ich die Prüfung nie
bestanden. Wie ein Streber vor der Reifeprüfung saß ich an meinem Schreibtisch
Die Lügen-Falle
E
s traf mich wie der Schlag, als mich
meine Tochter erstmals unverhohlen
anschwindelte. Sie behauptete kurz vor
dem Schlafengehen, die Zähne schon geputzt zu haben, obwohl ich besseren Wissens war. Ich konnte es ihr förmlich von
den Augen ablesen. Zuerst war ich verdutzt, dann kurz beleidigt. Wo war der Respekt? Habe ich meine Tochter schlecht erzogen? Ich ließ sie zunächst in dem Glauben, mich erfolgreich angeschwindelt zu
haben und analysierte das Geschehene.
Die harmloseste Variante kindlichen
Lügens ist das Großtun. Eigene Leistungen
werden massiv überzeichnet. Trifft dies regelmäßig auf Ihr Kind zu, sollten Sie sich
fragen, ob das Selbstwertgefühl Ihres Kindes zu gering ausgeprägt ist. Vielleicht
fühlt es sich nicht genügend beachtet und
möchte stärker von Ihnen wahrgenom-
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Wenn Ihr Kind schwindelt, lässt
sich das sichtbar machen – mit
einem einfachen Trick.
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Mimik.Macht.Meinung.
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Von Robert Körner
men werden? Schwerwiegender ist die Lüge, um eine Strafe abzuwenden. Das Kind
schwindelt aus Angst vor Liebesentzug
oder Sanktionen, weil es sich unerträglich
schuldig fühlt. In beiden Fällen sollten Sie
den Kontakt suchen. Erklären Sie Ihrem
Kind die Bedeutung der Wahrheit und dass
ihm durch konsequentes Lügen niemand
mehr Glauben schenken wird. Reflektieren
Sie auch ihr eigenes Verhalten. Reagieren
Sie mit Liebesentzug? Wenn Sie Ihr Kind
das nächste Mal ertappen, geben Sie zu verstehen, dass Sie in der Lage sind, jede noch
so kleine Flunkerei zu erkennen. Sie sind
sozusagen ein menschlicher Lügendetektor. Im zweiten Schritt erklären Sie, dass
und büffelte. Zwischendurch verfluchte ich
das Geburtstagsgeschenk, weil ich die Peilung verlor und mir nicht sofort der Unterschied zwischen einem „Koppelort“ und
der „Besteckversetzung“ klar war. Als ich
jedoch feststellte, dass man zwar auf einer
Karte einen Kurs festlegen kann, aber im
Wasser meistens nicht am errechneten Ziel
ankommt, sondern durch Wind und Strömung verschoben wird, verstand ich die
Versetzung.
W
äre das alles gewesen, hätte
ich keine Anfälle gelegentlicher Verzweiflung bekommen. Aber es gibt nichts Unlogischeres als Schallsignale. Doch auch die
waren zu lernen, genau wie Tafel- und
Schifffahrtszeichen, die Regeln in Verkehrstrennungsgebieten, die Lichterführung der Schiffe sowie die Vorfahrtsregeln
inklusive des Manövers des letzten Augenblicks. 450 Fragen mit jeweils vier Antworten sowie die Navigationsaufgaben musste
ich irgendwie begreifen. Jeden Abend
nahm ich mir vorm Schlafen den Computer, um die Prüfungsfragen im Netz zu beantworten. Denn zum Glück finden sich
dort, wie beim Pkw-Führerschein, genug
Angebote zum Üben. Ich nutzte SBF-Lernen.de. Teilweise merkte ich den Erfindern
der Prüfung an, dass sie diese vor allem entwickelten, um irgendwann einmal bei
„Wer-wird-Millionär“ die letzte Frage stellen zu dürfen.
Zu den lässigen Teilen der Prüfung gehörte die Praxis. Drei der Studenten und
ich trafen sich Anfang Juni mit Ausbilder
Schädlich am Pieschener Hafen in Dresden, und wir fuhren die Elbe entlang. Zu
lernen war das Ab- und Anlegen, das Manöver Mann-über-Bord und Kurshalten. Als
wir übers Wasser glitten, regnete es ununterbrochen. Der Ex- Marine-Kapitän zog ohne Ansehen der Person durch. Ich tropfte
wie nach einem ausführlichen Duschbad
und lernte, mit dem Motorboot im Strom
zu stehen, was ganz offensichtlich im Regen genauso funktioniert wie bei Sonnenschein. Nach dem Wasserausflug standen
wir noch auf dem Steg, um die Seemannsknoten zu üben: Achtknoten, Belegen einer Klampe, Kreuzknoten, Palstek, Rundtörn mit zwei halben Schlägen, Schotstek,
Slipstek, Stopperstek, Webeleinstek. Bei
der Praxisprüfung werden die alle verlangt.
Einen Tag vor dem Theorie-Test rechnete ich nochmals alle Navigationsaufgaben
durch, in der Nacht nahm ich mir im Internet erneut alle Fragen vor und glaubte
mich gut vorbereitet. Ein wenig Trost gab
mir die Aussicht, dass die theoretische und
die praktische Prüfung unabhängig voneinander absolviert und gewertet werden.
Der Tag der Prüfung verursachte mir dennoch leichte Magenbeschwerden. In den
Räumen des Pirnaer Ruderverein 1872 e. V.
trafen sich die Studenten und ich sowie
Prüflinge aus anderen Städten, die Seminare bei Ausbilder Schädlich absolviert hatten. Die Prüfungskommission nahm sich
ausgesprochen ernst. Jegliches Spicken
oder der Versuch eines Gesprächs mit dem
Nachbarn wurde mit der Androhung des
Nichtbestehens unterbunden.
30 Fragen und eine Navigations-Kartenaufgabe waren zu beantworten, anschließend kam die praktische Prüfung mit dem
Motorboot auf dem Wasser. Ja, ich habe bestanden. Aber ich gestehe, dass ich nicht
damit gerechnet hatte, so verdammt viel
dafür tun zu müssen. Jetzt freue ich mich
auf die Aussicht, irgendwann mit dem Segelboot meine Rente zu durchkreuzen.
Teledoktor ersetzt den Hausarzt
man das an einem bestimmten Signal erkennen könne – zum Beispiel, dass die Nase des Kindes wackelt. Zukünftig wird Ihr
Nachwuchs versuchen, die Nase zu verdecken oder das Gesicht abwenden, wenn es
gelogen hat, um Ihren prüfenden Blicken
auszuweichen. Diese Methode funktioniert
im Alter zwischen vier und elf Jahren ausgezeichnet.
Im Umgang mit schwindelnden Kindern hat sich vor allem bewährt, ein gutes
Vorbild zu sein. Ihr Nachwuchs ist ein wahrer Meister darin, Sie zu kopieren. Umso
wichtiger ist es, Werte vorzuleben. Oft hörte ich meine Eltern sagen: „Starke Persönlichkeiten zeichnet aus, dass sie zu ihren
Fehlern stehen.“ Die Wirkung war nachhaltig. Bleiben Sie auch nachsichtig, wenn
es sich um Notlügen der Kinder handelt,
um die Gefühlswelt anderer nicht zu verletzen. Denn mitunter fängt das eigene Lügen schon mit dem „Guten Morgen“ an.
Robert Körner ist Kommunikationscoach in Pirna. Er
schult, mimische Signale zu entschlüsseln und Persönlichkeitstypen zu identifizieren. web www.camupskoerner.de
Moderne Technik soll Medizinern
und Patienten Wege und Zeit
ersparen. Das Projekt ist Vorbild
für ganz Deutschland.
Bei einem Schlaganfall zählt jede Minute –
doch ehe Patienten in die Hände eines Spezialisten gelangen, vergeht oft viel zu viel
Zeit. Aus diesem Grund haben sich in Sachsen kleine Kliniken mit sogenannten
Schlaganfallzentren vernetzt. Per Ferndiagnose können Experten dann Tipps für eine
optimale Behandlung geben.
Das SOS-Net ist eines von rund 200 Telemedizin-Projekten in Deutschland. Allerdings soll es nur der Anfang sein: Zurzeit
errichten das Carus Consilium Sachsen
(CCS) und die Deutsche Telekom eine Plattform, die die Telemedizin für viele Fachbereiche möglich macht. Damit soll die Versorgung von rund 1,6 Millionen Menschen
in ganz Ostsachsen – von Meißen bis Görlitz – verbessert werden. Es ist das größte
Telemedizin-Projekt in Deutschland und
Vorbild für ähnliche Vorhaben in ganz
Europa. EU und Freistaat fördern es mit
9,8 Millionen Euro, hinzu kommen Eigenmittel der Beteiligten. Das CCS ist eine
Tochter des Dresdner Uniklinikums.
Weil bei den Ferndiagnosen riesige Datenmengen versandt werden, knüpft die
Telekom ein neues Netz geschützter Datenleitungen. Außerdem wird ein zentrales
Rechenzentrum in Frankfurt/M. installiert.
Wie die Initiatoren mitteilten, soll die Plattform ab Juli 2015 voll im Einsatz sein.
Bis dahin wird die neue Technik an drei
Pilotprojekten erprobt. „Tele-Stroke“ richtet sich an Schlaganfallpatienten: Speziell
ausgebildete Neurologen und Therapeuten
in Dresden, Arnsdorf und Zittau überwachen ihre Patienten aus der Ferne und können bei Bedarf Behandlungen durch den
Hausarzt veranlassen. Patienten mit Herzschwäche werden vom Dresdner Herzzentrum mithilfe eines Tablet-PCs betreut. Pathologen verschiedener Kliniken können
über die Plattform Bilder von Gewebeschnitten für einen zweiten Befund austauschen. (SZ/sk)
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