Herzrhythmusstörungen nach der Operation angeborener Herzfehler Dr. med. Joachim Hebe, Praxis für Elektrophysiologie/Kardiologie, Klinikum Links der Weser, Bremen Prof. Dr. med. Karl-Heinz Kuck, Abt. II., Medizin/Kardiologie, Asklepios Klinik St. Georg, Hamburg Yvonne, eine 15-jährige Schülerin, hatte eigentlich nicht so recht Lust, schon wieder zur Routineuntersuchung zu ihrem Kardiologen zu gehen. Ihr Leben wurde schon zu lange von medizinischen Eingriffen und Kontrollen diktiert. Nur dieses eine Mal wollte sie den vorgegebenen Termin noch wahrnehmen. Denn in den letzten Monaten waren Phasen aufgetreten, bei denen sie besonders bei körperlichen Anstrengungen ein ungewohnt starkes Herzjagen spürte. Es war ihr dabei schwindlig, und sie hatte auch Atemnot. Sie selbst fand das nicht so schlimm, aber da war die Mutter, die sich Sorgen um sie machte. Als sie zur Welt kam, so wurde ihr erzählt, sei sie am ganzen Körper blau gewesen, was die Ärzte auf einen schweren angeborenen Herzfehler zurückführten. Im Gegensatz zu anderen Kindern mischte sich in ihrem Herzen das blaue Blut aus dem Körper mit dem roten Blut aus der Lunge. Schon in den ersten Lebensmonaten war eine Operation (Fontan-Operation) und eine weitere im Alter von zehn Jahren durchgeführt worden. Jetzt, nach den einzelnen Untersuchungen, wartete sie auf die abschließende Besprechung. Der Doktor erklärte, dass das Herz von Yvonne viel zu schnell schlage, vermutlich schon eine ganze Weile. Er sprach von einer tachykarden (schnellen) Herzrhythmusstörung und empfahl dringend die Einweisung in das nächstgelegene Krankenhaus, das auf jugendliche und erwachsene Patienten mit operierten angeborenen Herzfehlern spezialisiert sei. Dort sollte Yvonne sich einer sogenannten elektrophysiologischen Untersuchung unterziehen. Über einen Herzkatheter solle die Ursache für den zu schnellen Herzschlag geklärt und wenn möglich auch beseitigt werden. Dabei werde über den Katheter Strom abgegeben und dadurch die Herzmus2 kelzonen verödet, die für das Herzrasen verantwortlich seien. Am nächsten Tag folgte der Eingriff: Yvonne bekam fast gar nichts davon mit. Sie erhielt ein Beruhigungsmittel, mit dem sie schnell tief und fest einschlief. Ein sanftes Rütteln an ihrer rechten Hand holte sie wieder zurück: Ihr erster Blick richtete sich auf das glückliche Gesicht ihrer Mutter, die ein paar Freudentränen in den Augen hatte. Alles war überstanden. Die Ärzte sprachen von einem erfolgreichen Eingriff, der vier Stunden gedauert habe. Yvonne fühlte sich nur noch etwas schlapp und müde, als sie am nächsten Morgen das Bett verlassen durfte. Einen Tag später wurde sie entlassen und konnte wenige Tage darauf wieder zur Schule gehen. Die letzten Kontrolluntersuchungen zeigten einen normalen und stabilen Herzrhythmus. Yvonnes Leben änderte sich: Jetzt erst merkte sie, wie leicht ermüdbar sie früher gewesen war. Auch reichte die Luft wieder bis in die vierte Etage. Jetzt konnte sie sich in der Schule besser konzentrieren und in der Gruppe ungebremst an allen Unternehmungen teilnehmen. Das neue Verfahren hat die Herzrhythmusstörung geheilt. Yvonnes Geschichte ist exemplarisch: Die Medizin hat in den letzten zwei Jahrzehnten enorme Fortschritte in der Diagnose, der Operation und der Nachsorge komplexer angeborener Herzfehler gemacht. Dadurch erreichen immer mehr Patienten das mittlere und hohe Erwachsenenalter mit einer annehmbaren bis guten Lebensqualität. Allerdings: Trotz aller Fortschritte bleiben bei diesen Patienten häufig Fehlbelastungen einzelner Anteile des Herzens bestehen. Bei ihnen treten in zunehmender Zahl wiederkehrende und chronische Herzrhythmusstörungen auf. Aorta obere Hohlvene Lungenarterie chirurgische Narbe Vorhof-ReentryTachykardie rechter Vorhof rechte Kammer untere Hohlvene Darstellung des Herzens nach einer Operation zur Korrektur eines angeborenen Herzfehlers. Der Chirurg stellte eine direkte Verbindung vom rechten Vorhof zur Lungenarterie her. Im Vorhof läuft eine schnelle kreisende Herzrhythmusstörung (Reentry-Tachykardie) entlang der Narbe, die von dem chirurgischen Eingriff herrührt. Der gelb unterlegte Bereich der kreisenden Tachykardie ist eine Zone, die für die Herzrhythmusstörung verantwortlich ist. Eine Hochfrequenzstromablation, die diese Zone verödet, kann das Auftreten der Herzrhythmusstörung dauerhaft verhindern. Diese Herzrhythmusstörungen sind von großer Bedeutung, weil Patienten, die wegen angeborener Herzfehler operiert wurden, Herzrhythmusstörungen erheblich schlechter vertragen als Menschen mit normalem Herzen. Die Lebensqualität dieser Patienten ist wesentlich stärker beeinträchtigt und zugleich ist das Risiko einer vitalen Bedrohung relativ hoch. Ursachen erworbener Herzrhythmusstörungen Es gibt angeborene Herzrhythmusstörungen wie das Wolff-Parkinson-White-Syndrom (WPW-Syndrom), wo die Ursache – eine zusätzliche Reizleitung – bereits bei der Geburt angelegt ist. Abzugrenzen sind hiervon die erworbenen Herzrhythmusstörungen, die durch Erkrankungen (z. B. Herzmuskelentzündung), Fehlbelastungen (Druck/Volumenüberlastung) oder Sauerstoffunterversorgung (Koronarsklerose) des Herzens entstehen können. Dazu gehören auch Herzrhythmusstörungen, die ein nicht operierter Herzfehler im Lauf der Zeit hervorruft. Ein Beispiel dafür ist Vorhofflimmern, das bei Patienten mit einem nicht operierten Vorhofseptumdefekt bei mehr als 50 % der Fälle zu finden ist. Weiterhin können erworbene Herzrhythmusstörungen direkt oder mittelbar durch chirurgische 3 Links: 12-Kanal-Oberflächen-EKG der jungen Patientin Yvonne bei der Aufnahme ins Krankenhaus. Yvonne empfindet keine Beschwerden. Zu sehen ist eine VorhofReentry-Tachykardie mit einem 2:1-Verhältnis von Vorhof zur Kammeraktivierung bei einer Vorhoffrequenz von 220/min und einer sich daraus ergebenden Kammerfrequenz von 110/min. Offensichtlich hatte sich die Patientin an die dauerhaft hohe Herzfrequenz gewöhnt. Rechts: 12-Kanal-Oberflächen-EKG der gleichen Patientin während der Vorhoftachykardie mit 1:1-Überleitung auf die Kammerebene und der sich daraus ergebenden Kammerfrequenz von 220/min. Jetzt hat die Patientin Beschwerden: Herzrasen, Schwindel, Atemnot. Eingriffe hervorgerufen werden. Diese können akut im direkten zeitlichen Zusammenhang mit der Operation (z. B. als Folge der chirurgischen Durchtrennung des AV-Knotens) oder mehrere Jahre später auftreten z. B. als Folge von Vernarbungen. Typisch ist hier der Ausfall des Sinusknotens nach ausgedehnter Vorhof-Chirurgie (z. B. bei Vorhofumkehr nach Mustard/Senning, bei einer Transposition der großen Gefäße) oder der AV-Block III° (nach Korrektur eines AV-Kanals oder einer Fallot’schen Tetralogie). Welche Beschwerden treten auf? Zu langsame Herzschlagfolge (Bradykardie) Wenn der Hauptimpulsgeber des Herzens, der Sinusknoten, zu langsam arbeitet oder die Überleitung gestört ist (AV-Block), sinkt die Herzfrequenz unter 40 bis 50 Schläge pro Minute. Dabei kann es zu einer kritischen Unterversorgung des 4 Kreislaufs kommen, die sich durch Schwindel oder gar durch Verlust des Bewusstseins (Synkope) äußern kann. Eine höchstgradige AV-Überleitungsstörung (totaler AV-Block) in Kombination mit dem Fehlen eines ausreichenden Ersatzrhythmus kann zum Kreislaufzusammenbruch führen. Zu schnelle Herzschlagfolge (Tachykardie) Schnelle Herzrhythmusstörungen im Vorhof (atriale Tachykardien) wirken sich je nach Dauer und Welche Möglichkeiten der Behandlung bestehen? Herzfrequenz verschieden aus. Bei Vorhoffrequenzen von bis zu 350/min kann je nach Bremswirkung des AV-Knotens das Herz bis zu mehr als 200mal in der Minute schlagen. Es ist leicht vorstellbar, dass bei Vorliegen einer Herzerkrankung solche Herzfrequenzen schlecht vertragen werden. Hinzu kommt, dass dann auch die Zusammenarbeit zwischen Vorhof und Kammer gestört ist und dadurch die Pumpkraft des Herzens deutlich verringert wird. Auch bei schnellen Herzrhythmusstörungen in den Herzkammern sind herzoperierte Patienten besonders betroffen. Während bei einem sonst herzgesunden Patienten Kammerfrequenzen von 220/min bis zu mehreren Stunden durchaus vertragen werden, können bereits wesentlich langsamere Kammerfrequenzen bei Patienten mit angeborenen Herzfehlern zu schwersten klinischen Beschwerden bis hin zum Zusammenbruch der Herz-Kreislauf-Funktion führen. Es kommt auch vor, dass Patienten die schnellen Herzrhythmusstörungen nicht wahrnehmen, so dass sie nur durch einen Zufall aufgedeckt werden. In anderen Fällen treten Beschwerden auf: Herzrasen, Herzstolpern, Schwindel („Es wird mir schwarz vor Augen“), Brustschmerzen, Atemnot, plötzliche Bewusstlosigkeit und sogar Herz-Kreislauf-Stillstand (schnelle ventrikuläre Tachykardie, Kammerflimmern). Wichtig zu wissen ist: Auch Patienten, die ihre Herzrhythmusstörung nicht spüren, können vital gefährdet sein. Deswegen muss der Herzrhythmus von Patienten, die wegen angeborener Herzfehler operiert wurden, regelmäßig vom Arzt kontrolliert werden. Langsame Herzrhythmusstörungen (Bradykardien) Patienten mit langsamen Herzrhythmusstörungen können heute mit individuell abgestimmten Schrittmachersystemen trotz der angeborenen Fehlbildung des Herzens meist hervorragend versorgt werden. Einschränkungen der Lebensqualität, auch der Berufsausübung, gehören in der Regel der Vergangenheit an. Schnelle Herzrhythmusstörungen (Tachykardien) Je nachdem, welche Beschwerden schnelle Herzrhythmusstörungen auslösen und welche Bedrohung von ihnen ausgeht, kommen unterschiedliche Behandlungsstrategien in Betracht: I keine Therapie I Korrektur der Fehlbelastungen des Herzens durch Medikamente, durch Operation oder Herzkathetereingriff I antiarrhythmische Therapie durch Medikamente, Hochfrequenzstromablation oder Einsetzen eines Cardioverters/Defibrillators (ICD) Nicht alle schnellen Herzrhythmusstörungen bedürfen einer Behandlung. Voraussetzung ist, dass diese Herzrhythmusstörungen keine vitale Bedrohung oder auch auf Dauer keine Schädigung der Herzfunktion mit sich bringen. Bei Patienten mit angeborenen Herzfehlern ist das jedoch selten der Fall. Daher muss man sich in den meisten Fällen zu einer Behandlung der Herzrhythmusstörung entschließen. Oft ist bei Patienten, die wegen angeborener Herzfehler operiert sind, später schwer auseinanderzuhalten, welche Schäden die Operationsnarben und welche Schäden die Fehlbelastungen, die nach der Operation bleiben, hervorrufen. Falls der Nachweis gelingt, dass Herzrhythmusstörungen auf Fehlbelastungen zurückgehen, sollte in erster Linie versucht werden, sie durch Medikamente oder durch Operation zu verringern oder zu beseitigen. Gegebenenfalls kann dieses Vorgehen mit einer antiarrhythmischen Therapie kombiniert werden. 5 Die Abbildung zeigt eine 3-D-Rekonstruktion einer rechten Vorkammer nach Operation eines angeborenen Herzfehlers (Vorhofseptumdefekt). Dargestellt in blau: die elektrische aktive Muskulatur des rechten Vorhofs. In grau: eine ausgedehnte Narbe durch die Operation. In rot: die Erregungsfront einer Reentry-Tachykardie im Vorhof (als Bildsequenz) mit einem Verlauf um den Trikuspidalklappenring (braun umrandete Offnung) gegen den Uhrzeigersinn. Antiarrhythmische Therapie Medikamente Mit Medikamenten gegen Herzrhythmusstörungen (Antiarrhythmika) versucht man, die Herzrhythmusstörung zu unterdrücken oder zumindest das durchschnittliche Niveau der Kammerfrequenz im Normbereich zu halten. Die überwiegende Zahl dieser Antiarrhythmika hat eine Reihe von Nebenwirkungen, die sich unter anderem negativ auf die Funktion des Herzens (z.B. Pumpkraft) auswirken kann. Hochfrequenzstromablation Die über eine spezielle Herzkatheteruntersuchung durchgeführte Hochfrequenzstromablation stellt heute die Therapie der Wahl für viele Formen von schnellen Herzrhythmusstörungen nach der Operation angeborener Herzfehler dar. Über einen speziellen Elektrodenkatheter kann mittels Abgabe von Wechselstrom (500 kHz, 20 – 50 W/sec) gezielt Herzmuskelgewebe verödet werden, welches zuvor in derselben Untersuchung exakt lokalisiert und als ursächlich für das Herzrasen identifiziert wurde. Ziel ist es, hiermit sogenannte kreisende 6 Erregungen (Reentry), welche sich typischerweise um operationsbedingtes Narbengewebe verselbständigen, dauerhaft zu unterbrechen. Häufig werden gerade bei diesen Patienten viele Anwendungen von Hochfrequenzstrom benötigt, da die entsprechenden Zielregionen größer sind als bei Patienten mit normalen Herzen und zusätzlich die Wanddicke aufgrund der chronischen Fehlbelastungen größer ist. In den letzten zehn Jahren haben zusätzliche Verfahren zur 3-D-elektroanatomischen Rekonstruktion der Herzhöhlen enorm geholfen, ein besseres Verständnis der individuell sehr unterschiedlichen Anatomie sowie der daraus resultierenden Herzrhythmusstörungen zu erlangen. Die akute Erfolgsquote dieser Eingriffe konnte nicht zuletzt deswegen auf 70 – 90 % gehoben werden. Das Wiederauftreten der Tachykardien liegt bei rund 10 – 20 % der akut erfolgreich behandelten Patienten. Im Gegensatz zur medikamentösen Therapie, die lediglich eine meist recht unzuverlässige Unterdrückung der Herzrhythmusstörungen bewirkt, bietet die Katheterablation die Chance auf eine definitive Behandlung der jeweiligen Tachykardieform. Dieses Verfahren wird gleichzeitig erfolgreich bei Patienten eingesetzt, die ein normal angelegtes Herz haben, auch bereits im Kindesund Kleinkindes- oder bis hin zum hohen Lebensalter. Wesentliche Voraussetzung für den Erfolg ist eine große Erfahrung mit dieser Therapieform sowie mit dem Spektrum der angeborenen Herzfehler und der angewandten Operationstechniken. Die Eingriffszeiten sind heutzutage deutlich kürzer als früher und liegen in der Regel bei zwei bis vier Stunden. Das Risiko dieser Therapie hängt von der zugrundeliegenden Herzkrankheit, von der Art der Rhythmusstörung und vom Alter des Patienten ab. Je schwerer die Herzkrankheit und je jünger der Patient, desto höher das Risiko. Ebenso ist die Behandlung von Herzrhythmusstörungen mit Ursprung in den Herzkammern im allgemeinen risikoreicher als die Behandlung von Herzrhythmusstörungen aus den Herzvorhöfen. Heutzutage sind schwerwiegende Komplikationen selten und liegen in einer Größenordnung von zwei bis drei Prozent. Eine Notwendigkeit der Behandlung mit der Hochfrequenzstromablation besteht immer dann, wenn die Herzrhythmusstörung lebensbedrohlich ist oder zu einer Pumpschwäche des Herzens führt. Implantierbarer Cardioverter/Defibrillator (ICD) Bei Patienten mit lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen, deren Behandlung z. B. durch Hochfrequenzstromablation nicht gelingt, sollte das Einsetzen eines Cardioverters/Defibrillators erwogen werden. Dieses System ist in der Lage, schnelle Herzrhythmusstörungen der Herzkammern zu erkennen und selbständig zu beenden. Es ist besonders bei Patienten angebracht, bei denen bereits in der Vergangenheit schnelle Herzrhythmusstörungen zum Zusammenbruch der HerzKreislauf-Funktion geführt hatten. Fortschritte der Medizin In den letzten Jahren sind große Fortschritte in der Behandlung von Herzrhythmusstörungen erreicht worden, die gerade Patienten zugutekommen, die wegen angeborener Herzfehler operiert wurden. Herzschrittmacher helfen bei langsamen Herzrhythmusstörungen (Bradykardien). Bei schnellen Herzrhythmusstörungen (Tachykardien) ist in zunehmendem Maße die Hochfrequenzstromablation erfolgreich. Dadurch können viele Patienten eine oft lebenslange Einnahme von Medikamenten (Antiarrhythmika) vermeiden. Das Einsetzen eines Cardioverters/Defibrillators kann ausgewählte Patienten, bei denen ein lebensbedrohliches Risiko erkannt wurde, vor dem plötzlichen Herztod schützen. Das heutige breite Therapiespektrum wird in Zentren praktiziert, die auf die Versorgung von Patienten im Jugend- und Erwachsenenalter mit angeborenen Herzfehlern und auf die neuen Verfahren zur Therapie von Herzrhythmusstörungen spezialisiert sind. 7