Ausbildung zur Ärztin für Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern Dr. med. Monika Lüdemann, Kinderherzzentrum und Mediz. Klinik I, Innere Medizin/Kardiologie, Universitätsklinik Gießen-Marburg „Die Kinder drüben lieben Dich bestimmt, wenn Du mit denen solche Späße machst“, strahlt mich der Pfleger des Herzkatheterlabors der Abteilung Kardiologie an, als ich bei der Arbeit einen Scherz mache. Erstaunen breitet sich in seinem Gesicht aus, als ich erkläre, dass es sich dabei um Patienten in seinem Alter handelt, die zu mir in die Sprechstunde für Jugendliche und Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern in die Kinderklinik kommen. Ähnliche Reaktionen findet man auch bei Kollegen beider Fachabteilungen Kardiologie und Kinderkardiologie. Man wundert sich zunächst darüber, dass eine Internistin in der Kinderkardiologie arbeitet, versteht dann aber, dass es notwendig ist, bei der zunehmenden Zahl von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern eine qualifizierte Betreuung dieser Patienten zu gewährleisten. Die Qualifikation für eine solche Aufgabe kann man als Erwachsenenmediziner am besten erlangen, indem man sich intensiv mit den speziellen Krankheitsbildern vertraut macht – und das geht heutzutage am besten in einer kinderkardiologischen Abteilung. Das Ganze begann wie so oft im Leben mit einem glücklichen Zufall: Nach Abschluss meiner internistischen Facharztausbildung strebte ich die Zusatzqualifikation Internistische Intensivmedizin an. Während dieser Zeit lernte ich den langjährigen Freund meines Mannes Prof. Dietmar Schranz, Leiter der Kinderkardiologie der Uniklinik Gießen, kennen. Mehrfach sprach dieser mich an, er wolle mich einstellen, damit ich – aus der Erwachsenenmedizin kommend – seine Patienten nach Vollendung des 18. Lebensjahres kompetent weiterbetreuen könne. 8 Zunächst konnte ich mir das nur schwer vorstellen. Hier war echtes Neuland zu betreten. Es bedeutete, dass ich als bislang recht selbständig arbeitende Internistin in einem mir völlig unbekannten Fach fast bei Null anfangen sollte. Zwar hatte ich bereits früher Erfahrungen in der Erwachsenenkardiologie gesammelt, aber die angeborenen Herzerkrankungen waren mir doch überwiegend unbekannt. Die neue Thematik reizte mich jedoch, und ich wollte mich gern weiter spezialisieren. Obgleich ich als Internistin nicht Kinderkardiologin werden konnte und eine formale Weiterbildung für Erwachsenenmediziner in angeborenen Herzfehlern nicht existierte, war mir klar, dass ich die Möglichkeit erhalten sollte, etwas zu lernen, was mit oder ohne Zusatzbezeichnung eine außergewöhnliche und nützliche Erfahrung bleiben würde. Da ich gerade an einem beruflichen Entscheidungspunkt angekommen war, sagte ich zu und begann damit Anfang 2001 das Abenteuer in dem für Internisten sehr ausgefallenen Arbeitsfeld der angeborenen Herzfehler. Aufgrund der fehlenden Weiterbildungsstrukturen wurde meine Ausbildung so geplant, als wollte und könnte ich Kinderkardiologin werden. Ich hatte das Glück, angeborene Herzfehler in kinderkardiologischer Umgebung von A bis Z kennenzulernen. Das erforderte zum Teil großes Umdenken, weil meine Erfahrungen aus der Erwachsenenkardiologie überwiegend nicht auf die Situation bei Kindern übertragbar waren. Ganz einfache Dinge, z. B. wie das EKG eines gesunden Neugeborenen aussieht und sich im Lauf der Kindheit verändert, bis es wie beim Erwachsenen aussieht, galt es zu lernen. Dazu kamen spezifische EKG-Veränderun- gen bei bestimmten Herzfehlern. Die Echokardiographie schien mir, da angeborene Herzfehler völlig anders aussehen, fast wie eine neue Methode. Überhaupt stellte ich fest, dass Erkenntnisse in der Kinderkardiologie nicht wie bei erworbenen Herzerkrankungen auf Studien mit hunderten bis tausenden Patienten basieren, so dass oft sehr individuelle Strategien verfolgt werden. Als Vorbereitung für meine neue Aufgabe beschäftigte ich mich mit der Embryonalentwicklung des Herzens und was dabei schief gehen kann, um die Entstehung von Herzfehlern besser zu verstehen. Mit der Zeit lernte ich durch den Umgang mit Patienten, durch Weitergabe von Erfahrungen meiner Kollegen aus der Kinderkardiologie und Herzchirurgie, durch das Lesen von Fachliteratur und in verschiedenen Fortbildungen, wie Herzfehler bei oder nach der Geburt auffällig werden, wann eine Operation oder ein Eingriff im Herzkatheterlabor erforderlich wird, wie früher verfahren wur- de und welche Vorgehensweisen sich heute etabliert haben. Dabei entwickeln sich die Erkenntnisse über Verläufe und Vorgehensweisen ständig weiter. Gemeinsame Besprechungen mit Fallvorstellungen und Diskussionen in Konferenzen waren zum Lernen von Entscheidungsprozessen sehr wichtig. Obwohl ich keine Habilitation anstrebe, war auch die Mitarbeit an wissenschaftlichen Projekten und Publikationen lehrreich. Diese Arbeit führt dazu, dass man sich mit einem Thema intensiver beschäftigt und vielleicht selbst Ideen entwickelt, wie ein Problem besser bewältigt werden kann. Der Umgang mit Kindern fiel mir von Anfang an leicht und machte mir viel Spaß. Neugeborene und kleine Säuglinge waren zunächst eher ungewohnt. Häufig stellten die Eltern mir Fragen, die die allgemeine Kinderheilkunde betrafen und von mir nicht immer ausreichend beantwortet werden konnten, so dass ich meine Kinderarztkollegen hinzuziehen musste. Gewöhnungsbedürftig war im Umgang mit kranken Kindern auch, nicht direkt mit den Patienten zu „verhandeln“, sondern mit den Eltern. Je 9 älter das Kind bzw. der Jugendliche, desto herausfordernder erlebe ich die Gesprächssituation. Die Erwartungen des Patienten an das Gespräch mit dem Arzt einerseits und die der Eltern andererseits weichen zum Teil stark voneinander ab, so dass leider oft zu wenig mit den Betroffenen gesprochen wird. Im Umgang mit erwachsenen Patienten stelle ich oft fest, dass der eigene Herzfehler nicht oder nur unzureichend bekannt ist, so dass noch eine Menge Aufklärungsarbeit erforderlich ist. Eine wichtige Erfahrung war, dass viele Herzfehler repariert, aber im eigentlichen Sinne nicht vollständig geheilt werden können wie ein entzündeter Blinddarm, den man entfernt und den Rest des Lebens nicht mehr beachtet. Es muss bei einem 10 Teil der Patienten mit gesundheitlichen Folgen im Lauf des Lebens gerechnet werden. Daraus ergibt sich meist lebenslang die Notwendigkeit für Verlaufskontrollen, um Folgen des Herzfehlers und/oder der ursprünglichen Operation bzw. des Kathetereingriffs rechtzeitig zu erkennen. Obgleich sich viele Patienten nahezu unbeeinträchtigt fühlen, benötigen einige unter Umständen weiterführende Untersuchungen und Behandlungen. Sie bemerken vielleicht Einschränkungen in der körperlichen Belastbarkeit oder Herzrhythmusstörungen, benötigen Medikamente, Schrittmacher oder Defibrillatoren, Herzkathetereingriffe oder weitere Operationen. Dazu kommen eventuell Belastungsgrenzen oder Einschränkungen im Alltag, die wir als betreuende Ärzte unseren Patienten auferlegen müssen – was sie zusätzlich belastet. Durch den Einsatz in verschiedenen Bereichen hatte ich die Gelegenheit, unterschiedliche Aspekte der Betreuung von Patienten mit angeborenen Herzfehlern zu erleben. Eine Zeitlang konnte ich im OP verschiedene Operationen ansehen, was sehr eindrucksvoll meine Vorstellung über solche Eingriffe und über Anatomie und Funktion des Herzens prägte. Die Fragen von Eltern und Patienten mit bevorstehender Operation konnte ich nun besser beantworten. Beeindruckend war auch die Zeit, die ich auf der Kinderintensivstation arbeitete. Dort werden alle Kinder und Jugendliche nach Operationen, aber auch andere kritisch kranke Patienten betreut. Abgesehen von einigen Grundprinzipien, die ich bereits aus meiner Zeit auf internistischen Intensivstationen kannte, war die Arbeit dort für mich mit Stress verbunden, da in der Betreuung der überwiegend sehr kleinen Patienten nicht nur kardiologische, sondern vor allem auch Kenntnisse in der Kinderheilkunde erforderlich sind. Stets befürchtete ich, mich möglicherweise in der Dosierung von Medikamenten für Neugeborene und Säuglinge um den Faktor 10 oder 100 zu verrechnen, was natürlich schwerwiegende Folgen gehabt hätte. Der Umgang mit größeren Patienten fiel mir schon etwas leichter. Ich war aber insgesamt froh, als der nächste Wechsel kam. Dennoch war es eine lehrreiche Zeit, in der es darum ging zu lernen, wie man mit den Problemen unmittelbar nach einer Operation umgeht. Die Zeit im kinderkardiologischen Herzkatheterlabor empfand ich als sehr aufschlussreich. Von der Voruntersuchung mit Zusammentragen aller bisherigen Erkenntnisse, der Planung des Eingriffs und Aufklärung der Eltern und Patienten über meine Mitwirkung beim Kathetereingriff bis zur Befundbesprechung, Befunderstellung und Empfehlung des weiteren Vorgehens war die Betreuung des Patienten umfassend. Die Herzkatheteruntersuchung liefert durch die Bilder und die dabei erhobenen Messwerte (Blutdruckwerte, Sauerstoffsättigungen) einen weiteren entscheidenden Puzzleteil zum Verständnis von Herzfehlern. Gleichzeitig besteht dabei häufig auch die Möglichkeit zu einer im Vergleich zu einer Operation weniger eingreifenden Therapie. Die längste Zeit arbeitete ich in der kinderkardiologischen Ambulanz. Dort werden die regelmäßigen Verlaufskontrollen durchgeführt und dort fällt häufig die Entscheidung, wie weiter vorzugehen ist, welche Untersuchungen, Eingriffe oder Operationen nötig sind. Neben der Echokardiographie und der Herzkatheteruntersuchung haben als bildgebende Verfahren die Kernspintomographie (MRT) und die Computertomographie (CT) Einzug in die Diagnostik von Herzerkrankungen gehalten. Insbesondere die MRT bietet ohne jede Strahlenbelastung die Möglichkeit, Fragestellungen zu beantworten, die mit Ultraschall nicht so gut zu beurteilen sind und sonst durch eine Herzkatheteruntersuchung beantwortet werden müssten. Zusammen mit meinem Mann, der Kinderradiologe ist, hatte ich 2001 die Möglichkeit, an einer Ausbildung im MRT-Verfahren in England teilzunehmen. 11 vor erworbenen Herzkrankheiten schützt, die sich bei ihnen wie bei allen anderen Menschen im Lauf des Lebens einstellen können. Nach einer Einarbeitungszeit wurde die von mir betreute Sprechstunde für Jugendliche (etwa ab 16 – 17 Jahren) und Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern eingerichtet, die inzwischen gern von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern genutzt wird. Es besteht bei vielen geradezu eine Erleichterung, in gewohntem Umfeld auch im Erwachsenenalter begleitet zu werden. Die persönliche Anbindung an eine Ärztin und ein Team ermöglicht eine Kontinuität in der Betreuung, die viele Patienten sehr schätzen. In einer solchen Atmosphäre sind auch Gespräche z. B. über Kinderwunsch, Verhütung, Berufswahl usw. möglich, die Patienten oft sehr beschäftigen. Selbstverständlich gibt es immer wieder bei schwierigen Entscheidungen die Möglichkeit, mit einzelnen Kollegen oder im Team zu beraten. Kenntnisse aus der Inneren Medizin sind – je komplexer Krankheitsverläufe sind – von großem Vorteil. Eine wichtige Aufgabe sehe ich auch darin, meine Patienten so zu beraten, dass sie sich einen Lebensstil aneignen, der sie 12 Um meine allgemeinkardiologische Weiterbildung zu vervollständigen, wechselte ich in die Erwachsenenkardiologie, um dort die erforderlichen Zeiten auf Station und im Herzkatheterlabor abzuleisten. Die jetzige Arbeit in meinem Ursprungsfach ist auf jeden Fall auch sehr befriedigend. Nach vier Jahren Tätigkeit in der Kinderkardiologie wird zurzeit lediglich die Erwachsenensprechstunde in der Kinderkardiologie von mir betreut. In Zukunft möchte ich nach Ablegen meiner Kardiologenprüfung und Zusatzqualifikation in angeborenen Herzfehlern eine Tätigkeit ausüben, bei der ich aus beiden Bereichen – angeborene und erworbene Herzerkrankungen – Patienten betreuen kann. Auch ein Einblick in die Arbeit eines großen Zentrums für angeborene Herzfehler bei Erwachsenen, das in einer Erwachsenenumgebung oder einem gemeinsamen Zentrum für Kinder- und Erwachsenenkardiologie angesiedelt ist, wäre für mich sehr interessant. Die Zahl der Patienten, die mit angeborenem Herzfehler ins Erwachsenenalter kommen, steigt jedes Jahr. Deshalb ist zu wünschen, dass nicht nur Zentren und Spezialpraxen für diese Patienten eingerichtet werden, sondern dass sowohl die Kardiologen wie die Kinderkardiologen Ausbildungsangebote an die Kollegen des anderen Fachs machen. Dann könnten diese Patienten in Zukunft wesentlich besser betreut werden.