Foto: Klosterfrau Gesundheitsservice blickpunkt GESUNDHEIT Foto: Lilly Pharma Holding GmbH Titel arah Lindner war noch keine 40 Jahre alt, als ihr beim Lachen plötzlich Urin abging. Selbst mit viel Konzentration konnte sie den Verlust nicht verhindern. „Ich war total schockiert und dachte zunächst an einen Zufall oder einen Infekt“, erinnert sie sich. Doch als sich das Ganze beim Heben einer Wasserkiste wiederholte, bekam sie Panik. „Ich ging sofort zu meinem Hausarzt, der dann weitere Untersuchungen einleitete“, so Lindner. „Die Diagnose Belastungsinkontinenz hat mich total umgehaun. Ich dachte, so was bekommen nur Omas.“ S Wenn der Schließmuskel streikt Doch diese Annahme ist weit gefehlt, weiß Dr. Rainer Lange aus Alzey. „Auch jüngere Frauen können inkontinent werden, etwa durch einen schwachen Beckenboden oder durch schwierige Entbindungen, nach denen Blase oder Gebärmutter nach vorne gerutscht sind.“ Aber auch natürliche Alterungsprozesse können dazu führen, dass der Schließmuskel der Blase nicht mehr einwandfrei funktioniert. Frauen sind von dieser häufigsten Form der Urin-Inkontinenz dennoch öfter betroffen als Männer. Das Problem ist, dass nur ganze 45 Prozent der betroffenen Frauen überhaupt einen Arzt aufsuchen. Der Grund: Der weibliche Körper hat nicht wie der männliche eine Prostata, so dass bei Frauen nur der Beckenboden den Verschlußmechanismus der Blase unterstützt. Männer trifft es dagegen vor allem nach einer operativen Entfernung des Organs. Seltener sind Störungen des Schließmuskels in Folge von Nervenschädigungen oder Störungen des Muskels selbst für die Belastungsinkontinenz verantwortlich. Die Therapie: Beckenbodentraining, Biofeedback und Elektrostimulation. Dadurch soll die Kontraktionsfähigkeit des Beckenbodens bzw. die Muskulatur des Schließmuskels wieder gestärkt werden. Sehr gute Erfolge gibt es auch mit einer neuen Zelltherapie. Dabei werden vorher entnommene Zellen Gesunde Menschen sind es gewohnt, dass ihr Körper funktioniert. Doch mit den Jahren läuft hier vieles anders. Besonders schlimm wird es, wenn man Harn oder Stuhl nicht mehr halten kann. Aus Scham und Angst meiden viele Betroffene die Öffentlichkeit. Blickpunkt zeigt, wie neue Therapien helfen. in den Blasenmuskel injiziert. 90 Prozent der Stress-Inkontinenz-Patienten waren noch ein Jahr später ohne Beschwerden. Frauen, die während der Schwangerschaft unter Harninkontinenz leiden, sollten nach einer Geburt einige Monate ein Pessar tragen. Kaputte Nervenbahnen Bei der „Dranginkontinenz“ zieht sich der Blasenmuskels durch falsche Nervensignale unwillkürlich Preiselbeersaft für die Blase Preiselbeeren sind schon aus der Zahnheilkunde für ihre bakterienhemmende Wirkung bekannt. Aber auch im Urin und damit in der Blase entfalten sie diesen Schutz, indem sie sich an Zellen des Blasentrakts anheften. Die dafür verantwortlichen „Proanthocyane“ inaktivieren die an der Zellwand der Bakterien befindlichen, zum Anheften dienenden Härchen, oder verhindern deren Bildung. Bakterien werden besser und schneller aus der Blase gespült. Mutationen, wie man sie von häufigen Antibiotika-Kuren kennt, gibt es nicht. Ein echter Geheimtipp bei Reizblase, Harnwegsinfekten und Dranginkontinenz! Neue Therapien gegen Inkontinenz Argumente gegen die Angst 8 9 Einlagen/Vorlagen: Sie sind für Frauen und Männer gedacht, schenken mehr Sicherheit und Diskretion. Trotz unterschiedlicher Sauggrade eher für geringfügige Inkontinenzprobleme sinnvoll. Pants/Trainers: Die Kombination von Einlage und Hose in einem Komplettsystem bietet Betroffenen mehr Schutz und Unabhängigkeit als mit Windeln. Außerdem haben Pants eine textile Außenseite und lassen sich wie ganz normale Unterwäsche an- und ausziehen. Durch den weiterhin nötigen Toilettengang erhalten und fördern sie die Selbstständigkeit. Windelhose/Inkontinenzslip: Bei mittlerer bis schwerer Inkontinenz kommt man um dieses Hilfsmittel nicht herum. Neu sind Modelle mit einem vliesartigen Gewebe im Hüftbereich. Dadurch kommt mehr Luft an die Haut. Ein Nässeindikator zeigt schon vor dem Öffnen der Windel den Feuchtigkeitsgrad an. Vaginal-Tampons: Sie werden in die Scheide eingeführt und verengen den Harnleiter. Der Harn kann so leichter zurückgehalten werden. Scheidengewichte/Feminakonen: Diese tamponförmigen Gewichte werden tief in die Scheide eingeführt und sollen für mindestens eine Minute dort durch Anspannung des Beckenbodens gehalten werden. Die Gewichte werden schrittweise erhöht, die Beckenbodenmuskulatur so stark trainiert. Kondom-Urinale: Dieses System ist für Männer eine gute Alternative zu Vorlagen und Pants. Es enthält ein Reservoir, um bei einem schwallartigen Harnverlust diesen Harn aufzufangen und abzuleiten. Voraussetzung: die Blase muss ohne größere Restharnmengen entleerbar sein. Auch eine gesunde Penishaut und ausreichende Penislänge sind Bedingung. beeinflussende Signale ein Zusammenziehen der Blasenmuskulatur. Aber auch Veränderungen im unteren Beckenboden, wie Harnröhrenstrikturen, Prostata-Vergrößerungen oder neurologischen Erkrankungen, wie Alzheimer, Parkinson oder Multiple Sklerose können zu Dranginkontinenz führen. Die Therapie: Hier kommen meist Medikamente, die so genannten Anticholinergika zum Einsatz. Sie besetzen die Rezeptoren in der Blasenmuskulatur, die für die unkontrollierte Kontraktion der Blase verantworlich sind. Eine überstarke Aktivität der Blasenmuskulatur wird gesenkt und das Fassungsvemögen der Blase erhöht. Toilettengänge und der gesamte Tagesablauf lassen sich besser planen. Wenn die Blase überläuft Eine ganz andere und für Männer häufigste Art der Harninkontinenz ist die Überlaufinkontinenz. Symptome sind Restharngefühl nach dem Toilettengang und nur geringer, tröpfchenweiser Abgang von Urin, und zwar dann, wenn die Blase tatsächlich gefüllt ist. Schuld daran sind Hindernisse, die dem natürlichen Abfluss des Urins im Weg stehen, wie Harnröhrenengpässe durch Harnsteine oder eine Vergrößerung der Prostata. Aber auch anatomische Fehlbildungen der Harnröhre können den Stau bzw. das Überlaufen verursachen. Die Therapie: Hier gilt es, die Ursache der Harnleiterverengung wie Blasensteine oder eine vergrößerte ➔ Lesetipp Prostata zu beseitigen. Neue, minimalinvasive Verfahren wie die Stoßwellenzertrümmerung (Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie) machen eine offene Operation mit ihren größeren Risiken und Nebenwirkungen oft überlüssig. Hat durch die dauernde Überdehnung der Blase ihre Fähigkeit sich zusammenzuziehen (Kontraktion) gelitten, setzt man Medikamente ein. Um den Restharn zu entfernen, wird meist ein Katheter gesetzt, bis die normale Kontraktionsfähigkeit der Blase wieder hergestellt ist. Für Dr. Lange steht fest, dass die Medizin heute jedem Betroffenen helfen kann: „Eine Inkontinenz kann jeden treffen und ist kein Grund, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen.“ „Blasenschwäche ist kein Schicksal". Die Broschüre gibt es kostenlos bei der Deutschen Seniorenliga e. V., Heilsbachstr. 32 in 53123 Bonn. Die Broschüre kann außerdem online im Internet abgerufen werden unter der Adresse: www.dsl-blasenschwaeche.de ➔ Selbsthilfe Inkontinenz Selbsthilfe e.V. Berliner Strasse 13 - 15 35415 Pohlheim Telefon/Fax: 0 64 03/96 97 933 E-Mail: [email protected] www.inkontinenz-selbsthilfe.com Sonderfall: Stuhlinkontinenz Lösungen für ein drängendes Problem Frau Anneliese G. versuchte lange Zeit, allein mit ihren Beschwerden zurechtzukommen. Seit einer Krebsoperation am Darm litt die damals 50-jährige unter Stuhlinkontinenz. Mit Damenbinden und langen Mänteln versuchte sie, ihr Problem vor der Öffentlichkeit zu verbergen, zog sich dann aber immer mehr zurück und litt schließlich unter einer Depression. Viel zu spät, das weiß sie heute, wandte sie sich an einen Arzt. Ein komplexes System „Das ärztliche Gespräch und die individuelle Beratung sind bei Stuhlinkontinenz bereits der wichtigste Schritt“, weiß Dr. med. Franz Raulf, niedergelassener Arzt in Münster, aus seinem Praxisalltag. Der Chirurg und Proktologe (Facharzt für Erkrankungen des Enddarms) hat sich unter anderem auf das Krankheitsbild Stuhlinkontinenz spezialisiert. „Die Diagnostik und konservative Therapie der Stuhlinkontinenz können in der Regel in der Praxis ge- 10 leistet werden, ein Krankenhausaufenthalt ist in den meisten Fällen nicht nötig.“ Wichtig ist für ihn vor allem, herauszufinden, an welchem Grad von Stuhlinkontinenz der Patient leidet und welche Ursachen dahinter stehen. „Die Stuhlausscheidung wird von einem ganzen System von Komponenten kontrolliert, etwa dem Schließmuskel, den Nerven zur Wahrnehmung des Stuhldrangs oder dem Beckenboden. Eine Inkontinenz resultiert zumeist aus einer Schwäche mehrerer Teile des Kontinenzapparates.“ Wege der Therapie So vielschichtig wie die Ursachen ist auch die Therapie der Stuhlinkontinenz: schlackenarme Kost, die Korrektur von Stoffwechselstörungen oder stuhlverdickende Medikamente können bei leichten Graden von Inkontinenz bereits ausreichen. „Hilfreich ist es, wenn der Patient ein Stuhltagebuch führt, denn auf diese Weise lassen sich Alltagsprobleme erkennen, deren Veränderung sich bereits als Problemlösung anbietet“, so Dr. Raulf. Anhand des Tagebuchs kann sich zeigen, dass ein prophylaktischer Toilettenbesuch zu bestimmten Tageszeiten sinnvoll ist. Durch Zäpfchen oder Klistiere lässt sich die Stuhlentleerung auch programmieren, so dass der Patient in der folgenden Zeit keine Angst vor unfreiwilligem Stuhlabgang haben muss. Beispiel durch eine Geburt, können operativ korrigiert werden. „Selbst Jahre nach der Geburt, die die Schließmuskelverletzung verursacht hat, kann der Muskel wieder rekonstruiert werden“, ermutigt Dr. Raulf und fügt hinzu „eine Verbesserung der Kontinenz durch eine solche Operation wird bei 50 bis 70 Prozent der Patientinnen erreicht.“ OP nur selten nötig Meist zeigt auch schon die erste Untersuchung des Patienten, ob eine Operation nötig ist. Dies ist zwar eher selten der Fall, bei manchen Inkontinenzursachen aber die einzige Möglichkeit, dem Patienten dauerhaft zu helfen. Typische Indikationen sind etwa der Rektumprolaps, also das Herausstülpen des Mastdarms aus dem After, oder der so genannte Whitehead-Schaden, der nach einer ausgedehnten Entfernung von Hämorrhoiden entstehen kann. Aber auch Verletzungen der analen Muskulatur, zum Schneller Hilfe annehmen Frau G. hat ihre Stuhlinkontinenz heute im Griff. Sie isst abends zwei Äpfel und steht morgens zwei Stunden früher auf als sie aus dem Haus muss. „Auf diese Weise kann ich morgens nach dem Kaffeetrinken auf die Toilette gehen und habe für den Rest des Tages meine Ruhe“, erzählt sie. Sie ist froh, sich damals ihrem Arzt anvertraut zu haben, der sie dann an einen Spezialisten überwies. „Man muss sich gut untersuchen lassen und die gezielte Therapie durchziehen“, rät sie anderen Betroffenen. 11 Foto: DAK/Wigger Die besten Hilfsmittel zusammen und führt so zum unfreiwilligen Urinverlust. „Entweder ist die Wahrnehmung der Blasenfüllung durch eine von Blasensteinen verursachten Entzündung, der ableitenden Harnwege gestört, oder die Nervenimpulse zum Harnblasenmuskel sind enthemmt“, erklärt Dr. Lange. „Es kommt zum vorzeitigen, krampfartigen Urinverlust.“ Auch eine nur geringe Füllung der Blase bewirkt einen starken und willentlich nicht zu unterdrückenden Harndrang. Ursache kann eine schwerwiegende Entzündungen der Harnblase oder der Harnröhre sein. Die Rezeptoren, die den Füllungsgrad der Blase anzeigen, sind überempfindlich. Das Gehirn veranlasst daraufhin über willentlich nicht zu Foto: Werner Spiess Endlich sicher Foto: BVMed-Bilderpool/SCA Hygiene Products GmbH Mehr Informationen Mehr Infos zum Thema gibt’s bei der Deutschen Kontinenz Gesellschaft e.V. Tel.: 05 61 / 78 06 04 Fax: 05 61 / 77 67 70 Friedrich-Ebert-Str. 124 34119 Kassel E-Mail: [email protected] Internet: www.kontinenz-gesellschaft.de Spezielles Infotelefon: 0 18 05/23 34 40 von Mo – Fr, 10 – 12 und 15 – 20 Uhr (14 ct./min.). Hier oder im Internet können auch die Listen der bundesweiten Beratungsstellen mit Chirurgen/Proktologen, die Broschüre „Stuhlinkontinenz“ oder ein Vordruck für ein Stuhltagebuch kostenlos bestellt werden.