Nach dem eigenen Gewissen entscheiden - Lassalle

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© Neue Zürcher Zeitung; 20.02.2006; Nummer 42; Seite 7
Inland Text
Nach dem eigenen Gewissen entscheiden
Was Schweizer Politiker unter Ethik verstehen
Das Lassalle-Institut hat in Zusammenarbeit mit dem Soziologischen Institut der
Universität Zürich und anderen Experten Schweizer Politiker aller Ebenen zu ihrem
Ethikverständnis befragt. Die Studie soll zu einer Auseinandersetzung mit ethischem
Verhalten anregen.
rme. Ethische Überlegungen dringen in immer mehr Bereiche vor. Es gibt etwa die
Ethik in den Naturwissenschaften, in der Medizin und in der Wirtschaft.
Ethikkommissionen setzen sich als Expertengremien mit umstrittenen ethischen
Fragen auseinander. Wie aber steht es mit der Ethik in der Politik, in der die
Rahmenbedingungen für das gesellschaftliche Zusammenleben festgelegt werden?
Welches Ethikverständnis findet sich bei den Schweizer Politikern, welche
Entscheidungen fällen, die uns und auch zukünftige Generationen betreffen?
Darüber soll die Studie «Ethik 2006 - Ethikbilanz in der Schweizer Politik» des
Lassalle-Instituts Aufschluss geben. Es handelt sich um eine Folgestudie zu «Ethik
2002», in der eine Ethikbilanz der Schweizer Wirtschaft gezogen wurde. Geplant sind
weitere Studien zum Gesundheits- und Bildungswesen. Die Resultate der Studie
«Ethik 2006» sind im Rahmen einer Tagung in Zürich vorgestellt worden.
Keine neutrale Studie
Konkret sollten Antworten auf die folgenden Fragen gefunden werden: Welches
persönliche Ethikverständnis leitet Politiker, und wie gut lassen sich ethische Werte
in der Politik umsetzen? An der Befragung teilgenommen haben 833 Personen.
Darunter sind Mitglieder aller grossen Parteien auf verschiedenen Ebenen. Der
Fragebogen konnte anonym und ohne Angabe der Parteizugehörigkeit, der
politischen Ebene und der Art des politischen Engagements ausgefüllt werden. Wo
eine Angabe gemacht wurde, zeigt sich eine leichte Übervertretung von Politikern auf
Gemeindeebene sowie von Vertretern linker Parteien. Leicht untervertreten sind
Politiker auf Bundesebene und solche von Mitte-Rechts-Parteien. Acht Politiker, zwei
Frauen und sechs Männer, wurden in Interviews vertiefter befragt.
Die Studie orientiert sich an der Ethikposition des Lassalle-Instituts in Edlibach bei
Zug und erhebt somit nicht den Anspruch, neutral zu sein. Das Lassalle-Institut
wurde 1995 vom Jesuiten und Zen-Meister Niklaus Brantschen gegründet und hat
sich zum Ziel gesetzt, zukunftsfähige ethisch-politische Prozesse in der Schweiz und
international zu unterstützen. Projektpartner für die jetzige Studie war unter anderem
das Soziologische Institut der Universität Zürich. - Befragt nach ihrem persönlichen
Ethikverständnis, haben 60 Prozent der Politiker «dem eigenen Gewissen folgen»
gewählt. Am zweithäufigsten wurde «Verantwortung für Erde und Kosmos mittragen»
angegeben, gleich vor «nach humanistischen Prinzipien handeln». An letzter Stelle
steht «nach religiösen Grundsätzen handeln». Bezüglich der Werteskala wurde
Ehrlichkeit am häufigsten genannt mit knapp 52 Prozent, vor Gerechtigkeit und
Menschenwürde. Der grösste Teil der befragten Politiker gibt an, sich auch im
NZZ, Nach dem eigenen Gewissen entscheiden
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politischen Alltag von der Ehrlichkeit leiten zu lassen. Kurz darauf folgen
Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit.
Probleme bei der Umsetzung
Geht es schliesslich um eine konkrete politische Entscheidung, sagten fast 98
Prozent der Befragten, in Einklang mit dem persönlichen Ethikverständnis, sie
orientierten sich am eigenen Gewissen. Nur knapp dahinter liegt an zweiter Stelle
das Gemeinwohl, und an dritter Stelle folgt die Option Weltanschauung/Glaube.
Erstaunlich ist jedoch, dass über drei Viertel der Befragten zugleich angeben, sie
erlebten die Politik eher von Gruppeninteressen als vom Gemeinwohl geleitet.
Überhaupt hapert es laut den Politikern in den meisten politischen Bereichen an der
konkreten Umsetzung von ethischen Überlegungen. Besonders in der Finanzpolitik
wird die Umsetzung als schwach bezeichnet. Im Bildungs- und Gesundheitswesen
sowie beim Finanzplatz Schweiz sehen die Befragten den grössten Handlungsbedarf
zur Förderung des ethischen Bewusstseins.
Bundesrat Schmids Vertrauen
Bundesrat Samuel Schmid war als Gastredner an die Tagung geladen worden. Er
müsse selber zugeben, dass er zu diesem Thema mehr Fragen als Antworten habe,
sagte er gleich zu Beginn. Ethik sei gleichzeitig einfach und doch sehr anspruchsvoll.
Den hohen Ansprüchen, die etwa in der Präambel der Bundesverfassung genannt
werden, könne man vielleicht nie gerecht werden. Gerade in der Politik seien
gewisse Entscheidungen sehr komplex, da immer verschiedene Interessen
berücksichtigt werden müssten. Eine heute ethisch richtige Entscheidung könne sich
später dennoch als falsch herausstellen.
Jeder müsse sich aber bewusst sein, dass Ethik nicht teilbar oder delegierbar sei. Er
betonte, dass das Land Menschen brauche, die ethisch verantwortlich handeln, mit
Mut, Integrität, Gerechtigkeitssinn und gesundem Menschenverstand. Da er selber
glaube, dass die Mehrheit der Bevölkerung ehrlich und eigenverantwortliche handle,
vertraue er auf unsere direkte Demokratie.
Lassalle-Institut (Hrsg.): Ethik 2006 - Ethikbilanz in der Schweizer Politik. Verlag
Neue Zürcher Zeitung. 200 S., Fr. 38.-.
NZZ, Nach dem eigenen Gewissen entscheiden
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