Die Globalisierung ist kein staatliches Projekt

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WIRTSCHAFT
«Die Globalisierung ist kein
staatliches Projekt»
Die Denker von Avenir Suisse über ihr eigenes Versagen im Vorfeld der Finanzkrise und die Zukunft
der Schweizer Wirtschaft.
Interview: Sandra Olar
UZ: Herr Held, viele beschwören das Ende
des Neoliberalismus. Befinden wir uns tatsächlich in einer Zeitwende?
Thomas Held: Es wird eine neue Zeit anbrechen.
Das Gefüge zwischen Staat und Wirtschaft hat
sich verschoben. Die westlichen Staaten haben
sich massiv verschuldet, was wir langfristig als
schwerwiegend beurteilen. Aber auch die Verschiebung im internationalen System, deren
Ausmass noch nicht absehbar ist, ist gewaltig.
Einige Akteure gehen geschwächt aus dieser Krise, andere wie China, der Osten und die Golfstaaten werden gestärkt und verfügen noch über
ausreichende Geldmittel.
Der Einfluss autoritärer Staaten nimmt zu,
demokratische Staaten wie die USA werden
unbedeutender. Mit welcher Konsequenz?
Held: Die USA ist wirtschaftlich geschwächt,
aber für die militärische Sicherheit der Welt unentbehrlich. Dadurch wird die Weltlage komplizierter, instabiler und auch konfliktreicher.
Unsere Regierung wirkt in der Finanzkrise
provinziell und ratlos. Ist unsere Demokratie
den Anforderungen einer globalisierten Welt
gewachsen?
Held: Die Schweiz hat mit der Globalisierung
kein Problem gehabt, sie hat sogar überdurchschnittlich davon profitiert. Die Globalisierung
ist kein staatliches Projekt, sondern ein transstaatliches von privaten Kräften, Individuen und
Firmen getragenes. Seit sich die Welt renationalisiert, protektionistische Tendenzen aufkommen und nationale Konjunkturprogramme aufgegleist werden, nimmt das Gewicht der Nationalstaaten zu. In der direkten Demokratie, in
der alle mitreden, ist es schwierig, gegenüber
dem Ausland Verhandlungen zu führen, Deals
auszuhandeln und Verbündete zu finden. Zudem scheint es, dass unsere Regierung in vergangenen Krisen geschlossener auftrat.
Unsere viel gelobte Demokratie ist also nur
Schönwetter tauglich?
Held: Man fragt sich tatsächlich, wie lange wir
uns den Luxus von Themen wie Ferkelkastration, Hundegesetze und Gratis-Wohlfühlmedizin
noch leisten wollen, während der Bankensek-
tor massiv schrumpft und der aussenpolitische
Handlungsspielraum dramatisch eingeschränkt
wird.
Herr Zürcher, der staatliche Einfluss steigt.
Brauchen Politiker ein umfassenderes Profil?
Boris Zürcher: Die Schweizer Politik ist lokal,
die Wirtschaft dagegen global orientiert. Wir haben in unseren Studien zur Migration festgestellt, dass die politischen Eliten sich lokal rekrutieren, die Wirtschaftselite hingegen global.
Heute müsste auch die Politik global denken.
Es ist fraglich, ob sie das kann.
Held: Wenn man die Regierungsmannschaft auswechselt, wird das gleiche wie bisher passieren. Es gibt aber organisatorische Massnahmen
mit denen man beispielsweise mehr Kontinuität erreichen könnte. Auch stellt sich die Frage,
ob die Exekutive selbst gestärkt werden soll, indem sie anders bestellt wird. Beispielsweise,
dass sie als Mannschaft mit einem Programm
zur Wahl antritt. Mit einem Mandat wird Regieren einfacher.
Staaten pochen in der Wirtschaftskrise auf
ihre nationalen Interessen. Die Schweiz entpuppt sich als politischer Zwerg. Haben wir
es verpasst, Allianzen zu schmieden?
Zürcher: Die Schweiz ist die 17. grösste Wirtschaftsnation. Dennoch war sie am G20-Gipfel in London nicht eingeladen im Vergleich zu Saudi-Arabien, das wirtschaftlich hinter der Schweiz rangiert, aber politisch bedeutender ist. In den vergangenen Jahren konnten wir wichtige Freihandelsabkommen abschliessen, aber eine grosse
Chance haben wir mit der Ablehnung des Freihandelsabkommens mit den USA verpasst.
Aufgrund von Uneinigkeiten im Agrarbereich?
Held: Das Abkommen mit den USA ist aus gesamtwirtschaftlich nicht prioritären, aber dafür innenpolitisch gewichtigen Gründen, sprich
aus Landwirtschaftsinteressen, gescheitert.
Zürcher: Vielleicht ist es symptomatisch, weil
wir zu viele Vetospieler in unserer direkten Demokratie haben. Ein Handelsdiplomat kann Verhandlungen führen, muss aber damit rechnen,
in der Schweiz desavouiert zu werden. Wegen
170 000 Bauern haben wir eine gigantische
Chance verpasst, die einem deutlich grösseren
Teil der Bevölkerung Vorteile gebracht hätte.
Re-Think heisst das Thema des diesjährigen
Swiss Economic Forum, wo Sie auch auftreten.
Welche neuen Werte braucht die Wirtschaft?
Held: Ich halte es nicht für sinnvoll, Re-Think
auf eine Wertefrage zu reduzieren und an das
Gute im Menschen zu appellieren im Glauben
daran, alles werde dann besser. Re-Think verstehe ich als Aufforderung, sich bewusst zu werden, dass es nicht mehr so wie früher ist. Die
wirtschaftlichen Veränderungen, die auf uns zukommen, werden unterschätzt.
Von welchen wirtschaftlichen Veränderungen sprechen Sie konkret?
Zürcher: Der Finanzsektor wird nachhaltig
schrumpfen. Wir rechnen mit einer Redimensionierung von 10 bis 15 Prozent. Da der Finanzsektor zu den produktivsten gehört, hat dies einen
massiven Wertschöpfungsverlust zur Folge. Das
Niveau des BIP wird um 3 bis 5 Prozent sinken,
auch wird die Wirtschaft weniger stark wachsen.
Müssen wir den Gürtel enger schnallen?
Zürcher: Unsere Verkehrsinfrastruktur oder das
Gesundheitswesen befinden sich heute auf sehr
hohem Niveau – ein Luxus, den wir uns in Zukunft wohl nicht mehr leisten können. Alle öffentlichen Dienstleistungen – bis ins abgelegenste Tal – müssen finanziert werden, währenddem
die Verschuldung von Bund und Kantonen steigt
und die Steuereinnahmen sinken.
Held: Bereits in guten Zeiten haben sich IV und
Arbeitslosenversicherung verschuldet. Man
kann sich nur schwer vorstellen, wie es bei den
Sozialversicherungen in schlechten Zeiten aussehen wird. Alleine das Gesundheitswesen ist
in den vergangenen Jahren jährlich zwischen 5
und 8 Prozent teurer geworden, während das
BIP lediglich um 2 Prozent wuchs. Eine Rechnung, die langfristig nicht mehr aufgeht. Ich
glaube, schwere Zeiten kommen auf uns zu.
Die Strassen im Emmental werden wohl eher
von der Raiffeisenbank als der UBS mitfinanziert. Nicht allen Banken gehts schlecht.
Held: Die Verlagerung innerhalb des Bankensystems hat stattgefunden, was aber nichts daran ändert, dass das Bankengeschäft in Zukunft
weniger rentabel sein wird. Während der
Schweizer Bankensektor zusätzlich vom UBSDebakel und der Diskussion ums Bankenge-
« Wegen 170 000 Bauern haben wir eine gigantische Chance verpasst, die einem
deutlich grösseren Teil der Bevölkerung Vorteile gebracht hätte.»
Boris Zürcher
Nr. 5 – 2009
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ZU DEN PERSONEN
Boris Zürcher (l.) ist Leiter Wirtschaftspolitik bei Avenir Suisse. Der 45-Jährige promovierte Ökonom und
gelernte Maschinenzeichner war zuvor während sieben Jahren beim Bund tätig, zuerst als Chef Arbeitsmarktpolitik im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) und später als wirtschaftspolitischer Berater der Bundesräte des Eidg. Volkswirtschaftsdepartements, Pascal Couchepin, Joseph Deiss sowie Bundesrätin Doris
Leuthard. Zudem ist der zweifache Vater seit 2003 Lehrbeauftragter an der Universität Bern.
Bilder: Manuel Jorquera
Thomas Held ist seit 2001 Direktor des Think Tank Avenir Suisse. Der 63-Jährige machte sich erstmals
1968 einen Namen als Vertreter einer linken Studentenbewegung. Seit 2001 leitet Held die Geschicke von
Avenir Suisse, einer von 13 grossen Firmen und 70 Gönnern finanzierten Denkfabrik. Nach Abschluss des
Soziologiestudiums und der Dissertation arbeitete Held als Forscher und Dozent an verschiedenen Universitäten. 1989 gründete er ein eigenes Beratungsbüro und übernahm 1999 das Geschäftsführungsmandat
beim Bau des Kultur- und Kongresszentrums Luzern.
Warum hat Avenir Suisse die Finanzkrise nicht vorausgesehen? «Wir haben
vermutlich zu wenig phantasievoll über die Konsequenzen nachgedacht.»
Thomas Held
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heimnis belastet ist, muss man den Finanzsektor global betrachten. Weltweit sind die Vermögen zwischen 30 bis 40 Prozent geschrumpft.
Zudem sind kleine Bankinstitute in vielen Geschäften stark von den Grossbanken abhängig.
Aufgabe von Avenir Suisse ist es, wirtschaftspolitische Trends aufzuspüren. Warum haben Sie die Finanzkrise nicht vorausgesehen?
Held: Wir nehmen uns deswegen auch manchmal an der Nase. Das Thema Staatsverschuldung
haben wir vor der Finanzkrise intensiv diskutiert, jedoch haben wir vermutlich zu wenig phantasievoll über die Konsequenzen nachgedacht.
Weshalb haben die Ökonomen versagt?
Zürcher: Verschiedene
Personen haben versagt,
wie Politiker, Funktionäre, Wirtschaftsjournalisten bis hin zu Avenir Suisse. Wir sind in guter Gesellschaft, was es natürlich nicht legitimiert. Man
hat die globalen Ungleichgewichte von China und USA in der wissenschaftlichen Literatur
seit 2002 diskutiert. Man
nahm an, dass eine Auflösung der globalen Un- Thomas Held:
gleichgewichte viel sanf- «Ich glaube, schwere
ter geschehen würde. Zeiten kommen auf
Stattdessen sehen wir ei- uns zu.»
nen abrupten Einbruch.
Die Weltwirtschaft ist in den letzten 20 Jahren
enorm gewachsen und die Inflation ist stark gesunken. Das System schien robust, es korrigierte sich selbst. Amerika lebte zwar auf Pump, aber
aufgrund der Erfahrungen – nach einer Krise erholte sich die Weltwirtschaft jeweils rasch wieder – wurde es schwierig, pessimistisch zu sein.
Was halten Sie von Konrad Hummlers Vorschlag, dass leitende Manager mit ihrem Privatvermögen haften müssen?
Held: Es geht nicht um Managerjagd oder Boniverurteilung, sondern um die Frage, wie kann
Nr. 5 – 2009
sunden und sich rekapitalisieren.
Die makroökonomischen Bedingungen dafür sind gut. Schulden abzubezahlen ist aber ein langwieriger
Prozess.
man Marktteilnehmer in dem Moment sanktionieren, wo der Marktmechanismus ausser Kraft gesetzt
ist und niemand mehr Konkurs gehen kann. In kriminellen Organisationen, die auch nicht Konkurs
gehen können, wird Misserfolg mit
der Exekution geahndet. Im
Rechtsstaat ist das ausgeschlossen.
Es geht also darum, wie die Haftung organisiert werden kann. Der
Staat muss Regeln aufstellen, wie
vorgegangen werden muss, wenn
eine Bank Staatshilfe nachfragen
muss.
Welche staatlichen Massnahmen
braucht es, um die Wirtschaft
anzukurbeln?
Zürcher: Die Schuldenbremse muss
eingehalten werden, denn wir befinden uns in einer Schuldenkrise. Alleine in der Arbeitslosenversicherung rechnet das Seco bis 2011 mit
12 Milliarden Franken Schulden. In
der AHV gibt es hohe AnlagenverlusBoris Zürcher:
te, Kanton und Bund werden DefiziWo sehen Sie Wachstums«Weitere Milliarden in
te einfahren. Lässt man die Zügel lomärkte für die Schweiz?
Konjunkturprogramme
cker, dann wird es eine teure AngeZürcher: Die Industrie kann
zu stecken ist ein
legenheit und die Staatsverschulvom Niedergang der Banken
Verzweiflungsakt.»
dung steigt exorbitant an. Weitere
profitieren, weil letztere in ihsechs Milliarden Franken in Konren besten Zeiten Ressourcen
wie Humankapital und Investitionen entzo- junkturprogramme zu stecken ist ein Verzweifgen haben. Diese werden nun frei für andere lungsakt, aber ökonomisch nicht wirkungsvoll.
Industrien im Hightechbereich, aber auch in Zudem belasten automatische Stabilisatoren das
traditionellen wie der Uhren- und Präzisions- Staatsbudget. Bereits heute bezieht ein Viertel
industrie oder im Anlagenbau. Nicht zu ver- der Bevölkerung in der Schweiz staatliche Rengessen das Gesundheitswesen, das weiter ten aus den Sozialversicherungen.
wächst. Die Gesundheitsbranche sollte aber
Dann befürworten Sie Steuersenkungen?
marktfähig gemacht werden.
Zürcher: Im momentanen deflationären Umfeld,
steigt die Kaufkraft aufgrund fallender Preise.
Wie soll das Gesundheitswesen marktfäZwar bricht die Kaufkraft durch mehr Arbeitslohig gemacht werden?
Zürcher: Wir rühmen uns, eines der weltbes- se weg, aber die Arbeitslosenversicherung hebt
ten Gesundheits- und Bildungswesen zu ha- den Effekt auf. Der Staat jagt uns die Kaufkraft
ben. Diese Sektoren stecken jedoch noch in ei- mit steigenden Krankenkassenprämien oder anner staatlichen Zwangsjacke. Um deren Spit- deren Gebührensteigerungen ab. So gesehen ist
zenleistungen exportieren zu können, muss der viel vom Kaufkraftverlust staatlich bedingt, jeStaat deregulieren. Beide Sektoren sind in den doch werden marktgängige Güter günstiger.
letzten Jahren überdurchschnittlich gewachsen und weisen zusammen 540 000 Arbeitsplät- Ich möchte eine Firma gründen. Was raten
ze auf, die Industrie im Vergleich dazu 518 000. Sie mir?
Zürcher: Orientieren Sie sich nicht an Boombranchen oder daran wo man am meisten Geld
Wie lange dauert die Krise noch?
Zürcher: Man hört bereits viele Hoffnungsrufe, verdient, sondern konzentrieren Sie sich auf etdoch der Aufschwung oder auch nur eine Nor- was, was Ihnen Spass macht und das Sie mit Leimalisierung kommt frühestens nächstes Jahr. denschaft machen. Damit haben Sie wohl am
Banken müssen über die Zinsdifferenzen ge- ehesten Erfolg.
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