chancen nutzen Natursteinmauern prägen die Kulturlandschaft des Eisacktals in Südtirol – und das moderne Wohnhaus von bergmeisterwolf Architekten. 44 S10 | 2014 chancen nutzen Basis für gute noten Zertifizierungen als Chance Für die Immobilienbranche gehören Gebäudezertifizierungen zu den wichtigsten Instrumenten, ein Objekt ökologisch und monetär zu bewerten. Architekten und Planer setzen sich bereits seit einigen Jahren mit diesem Thema auseinander. Aber auch das Handwerk reagiert. Von Melanie Seifert A nfang des Jahres stellte das Institut für Bauen und Umwelt e.V. (IBU) dem Material Naturstein eine Environmental product declarations (EPD) aus – eine Produktdeklaration, die vor allem Aspekte des Lebenszyklus’ transparent macht. Warum ist das so wichtig? Obwohl Gebäudezertifizierungen nicht verpflichtend sind und in der Regel freiwillig durchgeführt werden, zertifizieren sogenannte Auditoren inzwischen die meisten Objekte mit mehr als 15.000 Quadratmetern Bruttogschossfläche (BGF) nach unterschiedlichsten Normen – weltweit und meistens auf Nachfrage der Investoren oder Mieter. Diese Zertifizierungen heißen – je nachdem nach welchem Länderverfahren bewertet wird – zum Beispiel Dgnb, Leed, Breeam oder Minergie. Um die Höchstauszeichnungen der Labels zu erhalten, fließen die Ökobilanzen eins zu eins in die Nachweise ein. Heraus kommen dann beispielsweise Ergebnisse wie Dgnb Gold oder Leed Platin. Zertifizierungen mit hohem Stellenwert Egal, welches Label zugrunde liegt, es geht bei allen um Bestnoten in Sachen Nachhaltigkeit, Ökologie, Energieeffizienz und Ökonomie, aber auch um hohen Nutzerkomfort – letztgenannter nimmt besonders bei Labels in den deutschsprachigen Ländern einen hohen Stellenwert ein. Bevor aber die Zertifizierungsfachleute – also die bereits erwähnten Auditoren – mit den Bewertungen beginnen, greifen sie auf Datengrundlagen der eingesetzten Bauprodukte zurück. Diese geben Auskunft über Ökobilanzen und Lebenszyklen eines Produkts oder Baustoffs. Im Gegensatz zu den Gebäudezertifizierungen sind die EPDs transparent und somit als Nachweis für Umweltansprüche aller Länder geeignet. Darüber hinaus werden die Deklarationen von unabhängigen Programmbetreibern erstellt. Innerhalb der EU gibt es seit Januar 2011 eine europäische Bauproduktverordnung. Sie schreibt die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen vor, bei der die großen Themen »Recycling- S10 | 2014 45 chancen nutzen Die Oberflächen dieses Betonbaus sind mit Maggia-Gneis verkleidet. Für die Fassade wurde der Stein gegen das Lager geschnitten, ­was ein streifiges Bild ergab. Architekten: Beer Architektur Städtebau, München fähigkeit« und »umweltfreundliche Rohstoffe« eine tragende Rolle spielen. Die DIN-Norm EN 15804 für Bauprodukte ist die Grundlage der jüngst auf dem Markt gekommenen EPDs. Diese sind lediglich – wie der Name schon sagt – Deklarationen, keine Zertifizierungen oder Labels! Geprüft werden Bauprodukte in ihren produkt- oder rohstoffspezifischen Eigenschaften wie zum Beispiel eingesetzte Rohstoffe, Transportwege oder Umweltauswirkungen bei der Entsorgung. Zusammen ergeben die Werte eine Summe in Tonnen Kohlenstoffdioxid ab. Nachhaltiger Naturstein Das heißt: Endlich gibt es einen offiziellen Nachweis, wie nachhaltig Naturstein wirklich ist. Die im Auftrag vom europäischen Naturstein-Fachverband Euroroc auf Anregung des DNV erstellte EPD wurde gemäß ISO-TypIII bewertet. Die natürliche Beschaffenheit, Vielfältigkeit und Haltbarkeit von Naturstein macht ihn zum idealen Bauprodukt für alle, die umweltbewusst und nachhaltig denken. Die Deklaration beinhaltet eine unabhängige Überprüfung der EPD und belegt die Umwelteinwirkungen der Produkte aus Naturstein. Die Deklarationen werden im öffentlichen Vergabewesen als Nachweis der Erreichung ökologischer Anforderungen anerkannt. Damit lassen sich Produkte derselben Kategorie direkt und sinnvoll ökologisch miteinander vergleichen, was sonst kaum möglich wäre. 46 SteinWISSEn Anbieter von Deklarationen Unterschiedliche Programmbetreiber bieten Deklarationen an. In Deutschland beispielsweise übernehmen das Institut Bauen und Umwelt e.V. (IBU), das Institut für Fenstertechnik e.V. in Rosenheim, kurz Ift-Rosenheim, oder PE International die Auswertung der Bauprodukte, in Österreich die BauEPD. Darüber hinaus gibt es europaweit weitere Programmbetreiber, die sich unter eco-plattform.org finden. S10 | 2014 chancen nutzen Steinplus Websites zur Suche Die Produktdeklarationen erhalten Planer, Auditoren oder Mitglieder der Vereine stets frei zur Verfügung. Hierzu hält zum Beispiel die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (Dgnb) ein Werkzeug bereit: den Dgnb-Navigator. Als Plattform für Bauprodukte spuckt die Suchmaschine Produkte und deren Umwyelteigenschaften sortiert nach Produktgruppe, Hauptkategorie (beispielsweise Massivbaustoffe) und Hersteller aus. Die zugrunde liegenden Daten stellt in diesem Fall das IBU mit den EPDs zur Verfügung. Natürlich informieren die jeweiligen Programmbetreiber ebenfalls auf ihren Internetseiten über alle EPDs aus ihrem Hause. dgnb-navigator.de bau-umwelt.de euroroc.net Im Inneren des Hauses rührt die wolkige Textur der horizontalen Flächen – Böden im Erdgeschoss, Deckenunterseiten außen und Solbänke – vom Schnitt des Maggia-Gneises mit dem Lager. >> S. 51 S10 | 2014 47 chancen nutzen ­ Ressourcen schonen Martin Graser ist mit seiner Firma Bamberger Natursteinwerk Spezialist, wenn es um nach­ haltiges Bauen im Außenbereich geht. Besonders Steinfassaden konnte die Firma in letzter Zeit oft umsetzen. STEIN unterhielt sich mit ihm über das Thema nachhaltiges Bauen. Herr Graser, was verstehen richtige Baustoff, wenn das Sie unter nachhaltigem Gebäude nach 20 Jahren Bauen? wieder abgerissen werden Martin Graser: Nachhaltiges soll. Naturstein ist das MateBauen bedeutet für mich, rial für Bauten, die auf Dauer Gebäude mit Rohstoffen zu bestehen sollen – was früher erstellen, die langfristig Wert immer der Fall war. Damals erhaltend sind und Ressourhat man gebaut, weil man cen schonen; mit Rohstoffen etwas Bleibendes Hinterlaszu arbeiten, die schonend sen wollte. abgebaut werden. Naturstein hat einen sehr gerinWie sollte Naturstein vergen Ressourcenverbrauch, baut werden, damit er mögda er in guter Qualität in der lichst nachhaltig ist? Natur vorkommt und nur Neben ästhetischen Aspeknoch in Form gebracht werten ist es wichtig, dass er den muss. Holz zähle ich fachlich korrekt verbaut wird, ebenfalls zu den nachhaltidass es keine Mängel gibt, die Martin Graser, Bamberger Natursteinwerk gen Baustoffen. Künstlich dazu führen, dass man den produzierte Baustoffe gehöNaturstein früher als nötig ren nicht zu den Materialien, austauschen muss. Für uns die ich für nachhaltiges Bauen verwenden bedeutet das, dass wir den Stein gerne dicker verwürde. Nachhaltig bauen heißt aber auch, nur so bauen: nicht nur als vorgehängte Fassaden mit viel von einer Ressource zu verbrauchen, wie drei oder vier Zentimetern Stärke, sondern als wieder nachwachsen kann. Das funktioniert Mauerwerk mit zehn oder zwölf Zentimetern Stärbeim Holz sehr gut, beim Stein nicht, da er relake – oder ganz massiv. Wenn man Naturstein mastiv lange braucht, um neu zu entstehen. Trotzsiv einsetzt, fällt es später viel leichter, kleinere dem ist er durch seinen Produktlebenszyklus beReparaturen auszuführen. Natürlich ist das zuständiger als Holz, das nach einer gewissen Zeit nächst ein Kostenfaktor. Aber auch Unterhalt kosAuflösungserscheinungen vorweist. tet. Was bringt eine drei Zentimeter dünne Fassadenplatte, die nach 20 Jahren wieder ausgeWann ist Naturstein nachhaltig im Bau? tauscht werden muss, weil ein Mangel in der KonsWenn Naturstein aus der Region verwendet und truktion vorlag und die Anker ausgebrochen sind architektonisch so hochwertig verbaut wird, oder das Material schlecht war – mit einem Maudass er seine Vorteile ausspielen kann und lange erwerk habe ich diese Probleme nicht. Es gibt Argenug als Gebäude besteht. Viele alte Gebäude chitekten, die genau das erkannt haben. Aber sie zeugen davon, dass Naturstein ein sehr beständihaben es oft schwer, den Eigentümern oder Invesger Baustoff ist. Heutzutage wird oft für das toren ihre Ideen näher zu bringen. Da liegt der kurze Investment gebaut; Naturstein ist nicht der Fokus schon sehr stark auf dem Geld. 48 S10 | 2014 chancen nutzen Ist in letzter Zeit ein Trend zu erkennen, dass sich mehr Architekten darauf spezialisieren oder mehr Bauherren mit Naturstein bauen wollen? Ja, das merkt man ganz deutlich. Der Markt im Natursteinbereich hat im letzten Jahr wieder angezogen. Es gibt wieder mehr Natursteinfassaden auf dem Markt, auch Mauerwerksfassaden. Was würden sie sich von Architekten wünschen, die Naturstein mehr in ihren Fokus rücken und damit bauen wollen? Viele Architekturbüros haben fachliche Lücken, insbesondere was die Detailplanung angeht. Sie sollten sich mehr von Fachfirmen, vom Deutschen Natursteinverband oder ähnlichen Institutionen beraten lassen. Viele Mängel lassen sich so von vornherein vermeiden. Wie sieht Ihre Prognose für das Bauen mit Naturstein in Zukunft aus? Heimische Baustoffe sollte noch stärker in den Fokus gerückt werden, das liegt mir sehr am Herzen, natürlich auch, weil wir so viele eigene, heimische Steinbrüche haben. Und was uns auch wichtig ist, ist, dass man ordentlich und werthaltig baut und auch wirklich Gebäude erstellt, die ein positives Bild für den Naturstein abgeben und nicht nach zwanzig Jahren saniert werden müssen. Privat sollte wirklich wieder mehr mit Stein gearbeitet werden, man kann auch alte Steinhäuser sehr gut nachhaltig sanieren. Von Dorothea Gehringer S10 | 2014 49 chancen nutzen ­ Nachhaltig: Bauen im Bestand Architektin Claudia Grotegut ist spezialisiert auf Bauen im Bestand und auf Sanierung und Umbau von Altbauten sowie historischen Gebäuden unter Denkmalschutz. STEIN sprach mit ihr über nachhaltiges Bauen, Naturstein und die Zusammenarbeit mit Steinmetzen. einsetzen, so dass ein großzügiges und einheitliches Bild geschaffen werden kann. Claudia Grotegut, Architekturbüro Claudia Grotegut, Architektur + Konzept STEIN: Was ist Ihre persönliche Definition von nachhaltigem Bauen? Claudia Grotegut: Bauen im Bestand und Bestandsentwicklung stellen im Grunde schon den Aspekt der Nachhaltigkeit dar, da keine neuen Flächen erschlossen und versiegelet werden müssen. Ästhetik und Funktion eines Gebäudes basieren unserer Meinung nach auf innerer Logik und Effizienz und nicht auf temporärem Zeitgeist und kurzlebigen Materialien. Wir achten bei unseren Konzeptionen darauf, Ressourcen schonende Materialien zu verwenden. Zusätzlich befürworten wir geringen Materialeinsatz und eine Auswahl an langlebigen, möglichst lokalen Baustoffen. Warum verwenden Sie dafür gerne Naturstein? Naturstein ist ein authentisches, langlebiges – und wertbeständiges Material. Naturstein ist für hochwertige (historische) Bestandsimmobilien ein vielfältig einsetzbares Material. Er lässt sich sowohl im Innen- und als auch Außenraum 50 Nach welchen Kriterien suchen Sie den Stein aus? Wir treffen eine Vorauswahl im Hinblick auf den jeweiligen Bereich und die Kundenwünsche. Desweiteren spielen Faktoren wie die Farbe, Gesteinsart und Oberflächenbeschaffenheit, zum Beispiel pflegeleichte Eigenschaften eine Rolle. Auf Wunsch wählen wir mit unseren Kunden das endgültige Material individuell aus den Natursteintafeln oder Natursteinblöcken des Steinmetzen aus. Im Denkmalschutz wird das Material auf den schon vorhandenen Naturstein abgestimmt und meist aus der Region bezogen. Wie wünschen Sie sich die Zusammenarbeit mit dem Steinmetz bzw. Natursteinverarbeiter? Zunächst eine umfassende Beratung in ansprechenden Ausstellungsflächen und Natursteinmuster für unsere Kunden. Auch in der Planungs- und Ausführungsphase ist uns eine neutrale Beratung wichtig. Außerdem natürlich eine fachgerechte Verarbeitung, zweitens Zuverlässigkeit im Bauablauf sowie drittens hochwertiges Material und Langlebigkeit des verbauten Materials im Lebenszyklus der Immobilie. Wie kommt der Kontakt mit den Partnern zu Stande? Ausschlaggebend ist die bewährte, langjährige und reibungslose Zusammenarbeit, die sowohl uns als Architekten im Rahmen der Planung und Montage als auch unsere Kunden überzeugt hat. Von Dorothea Gehringer S10 | 2014 chancen nutzen Baumaterial und Ökobilanzen Das IBU bietet als Herstellervereinigung eine geschlossene Außendarstellung von Umwelt-Produktdeklarationen vom Ökolabel Typ III. Im Zentrum ihrer Arbeit steht eine auf wissenschaftlichen Grundlagen basierende Nachhaltigkeitsbetrachtung von Bauprodukten über deren gesamten Lebenszyklus. Die Offenlegung aller Produktinformationen, die auf Ökobilanzen beruhen, erfolgt nach international abgestimmten Normen wie ISO 14025 »Umweltkennzeichnungen und -deklarationen – Grundsätze und Verfahren«, ISO 21930 »Hochbau – Nachhaltiges Bauen« und EN 15804 »Nachhaltigkeit von Bauwerken - Grundregeln für die Produktkategorie«. Die Typ 3-Bauproduktenkennzeichnung macht insbesondere Aussagen zum Energie- und Ressourceneinsatz und in welchem Ausmaß ein Produkt zu Treibhauseffekt, Versauerung, Überdüngung, Zerstörung der Ozonschicht und Smogbildung beiträgt. Außerdem werden Angaben zu technischen Eigenschaften gemacht, die für die Einschätzung des Verhaltens des Bauproduktes im Gebäude benötigt werden, wie Lebensdauer, Wärme- und Schallisolierung oder den Einfluss auf die Qualität der Innenraumluft. Alle Gewerke profitieren Das vom IBU verliehene Gütesiegel wendet sich mit diesen quantitativen Aussagen über die Umweltleistung von Bauprodukten nicht nur an Architekten, Bauplaner oder Bauherren. Alle am Bauprozess beteiligten Gewerke wollen wissen, wie umweltfreundlich und nachhaltig ihre Baustoffe sind. Während im Jahr 2008 nur wenige wussten, was EPDs sind, gehören EPD-Deklarationen heute zum Tagesgeschäft. Immer mehr Bauprodukte-Hersteller veröffentlichen ihre EPDs. Die Vorteile liegen auf der Hand: Bei jedem Produkt können sie die Alleinstellungsmerkmale oder auch Recyclingszenarien besser abbilden, bei jedem Bauvorhaben können Unternehmen mit modernen Produktionsanlagen und Prozessen punkten. Gerade, wenn es um Beratungsleistungen geht, ist das Wissen über EPDs ein entscheidender Vorteil für Steinmetzen und alle in der Natursteinbranche Tätigen: einmal für den eigenen Erfolg und darüber hinaus für die Umwelt. n Die 50 besten Einfamilienhäuser des Jahres 2014 aus dem Wettbewerb „Häuser des Jahres“. Eine umfangreiche Dokumentation aller 50 Projekte mit eindrucksvollen Fotos, detaillierten Plänen und ausführlichen Projektbeschreibungen zeigt, was mit Naturstein, Holz und Beton alles möglich ist. http://haeuser-desjahres.com Wolfgang Bachmann / Ulf Poschardt Häuser des Jahres Die Besten Einfamilienhäuser 2014 272 Seiten, ca. 250 Farbfotos und Pläne 23 x 30 cm, gebunden mit Schutzumschlag E [D] 59,95 / E [A] 61,70 /sFr. 79.Auslieferung: 12. September 2014 ISBN: 978-3-76672097-9 Waschtisch aus JuraKalkstein – Konzept Architekturbüro Claudia Grotegut S10 | 2014 51