Hasemann WolfgangDemenz / Delir-Erfassung

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Demenz / DelirErfassung und
Behandlung: Neue
Erkenntnisse
www.delir.info
[email protected]
Wolfgang Hasemann, MNS
Leiter Basler Demenz-Delir Programm
Board Member
European Delirium Association (EDA)
März 2012
(Schuurmans, 2001)
Delir
• häufig vorkommendes neuropsychiatrisches Syndrom mit
Beeinträchtigung der Kognition, welches sich als
„Verwirrtheitszustand“ darstellt (Trzepacz & Meagher, 2008)
• Inzidenz Gefässchirurgie: 29-39% (Balasundaram 2007)
• Inzidenz Herzchirurgie: 3%-72% (Sockalingam 2005)
• Kernsymptome: Akuter Beginn, fluktuierender Verlauf,
Aufmerksamkeitsstörung und entweder Denkstörung
und/oder Bewusstseinsstörung. Confusion Assessment
Method (CAM) (Inouye, van Dyck, Alessi, Balkin, Siegal, & Horwitz, 1990
• Vollremission zwischen 4-40%
(American Psychiatric Association, 2000)
2
Akute kognitive Beeinträchtigung
24
Stunden
später
-3-
Delirsymptome aus Patientensicht
Bsp. herzchirurgischer Patient auf Intensivstation 2010
Patientenschilderung
Interpretation
„Nach der Operation bin ich auf
Intensiv aufgewacht – alle sind
freundlich“
Patient ist örtlich und situativ
orientiert
„Von der Decke tröpfelt es“
Beginnende Halluzinationen
„Der Wasserpegel steigt, Decke
und Wände verbiegen sich“
Ausgeprägte Halluzinationen
„Hinter den Vorhängen haben
Pflegende und Ärzte Sex“
Denkstörungen/Illusionen
Chefvisite:„Morgen sind Sie tot“
Wahnvorstellungen
-4-
Delirsymptome aus Patientensicht
Bsp. herzchirurgischer Patient auf Intensivstation
Patientenschilderung
Interpretation
„Ich muss hier aus“
Angst
„Ich werde verfolgt“
Wahn
„Ich werde gefangen
genommen und wehre mich
mit allen Kräften“
Panik mit Todesangst
„Meine Frau war täglich da,
doch ich habe nichts davon
mitbekommen“
Ausgeprägte
Aufmerksamkeitsstörung
einschliesslich Illusionen
-5-
Symptome, welche häufig eine 1:1 – Betreuung
erfordern
•
Psychotische Symptome
• Wahn, Halluzination, Denkstörung
⇒ Für Patient und Pflege belastend
• Gedächtnisstörungen
• Kommen sehr häufig vor
• Patienten vergessen Bettruhe
• => Stürze, Ziehen von Leitungen
-6-
Mehr zu den Symptomen im
Workshop
Hippokrates v. Kos
(ca. 460-377 v. Chr.)
Bei akutem Fieber, Lungenentzündung, Meningitis, „Phrenitis“ und
akuten Kopfschmerzen beobachte ich, dass die Patienten…mit den
Händen in der Luft umher fuchteln, auf der Bettdecke Flusen
Zupfen und Spreu von der Wand pflücken. Alle diese Zeichen sind
ungünstig, im Grunde tödlich.
-7-
Was hat sich in den letzten 2400 Jahren seit
der Erkenntnis von Hippokrates beim Thema
Delir getan?
Erschreckend wenig!
-8-
Delir
-9-
Aktueller Erkenntnisstand
• 1/3 der Delirien können verhindert werden
(Inouye et al. N Engl J Med. 1999;340:669-676)
(Marcantonio et al. J Am Geriatr Soc. 2001;49:516-522)
• 2/3 der Delirien müssen gemanagt werden: Ziel
• Dauer verkürzen
• Schweregrad reduzieren
• Komplikationen und Folgeschäden vermeiden
• Delirien erträglich gestalten: -> Würdevoller
Umgang mit deliranten Patienten
• Leid der Angehörigen minimieren
- 10 -
Für ein State-of-the-Art Management fehlen häufig
die Voraussetzungen
• Delir-Erkennungsrate in nichtspezialisierten
medizinischen und chirurgischen Disziplinen: 20% ohne
systematisches Screening
(Perez and Silverman, 1984), (Cameron et al., 1987), (Francis et al., 1990), (Johnson et al.,
1992), (Bowler et al., 1994), (Harwood et al., 1997), (Inouye et al., 2001)
• Nicht ausreichender Wissenserwerb zum Thema Delir
während Berufsausbildung/Studium bei
• Ärzten (Davis et al. Age Ageing. 2009;38:559-563)
• Pflegefachpersonen (Fick et al. J Gerontol Nurs. 2007;33:40-47)
- 11 -
Delir und Pathomechanismen
DSM-IV:
Delir
Medizinische Ursache
Azetylcholin
Hypothese
- 12 -
Substanzinduziert
Übersteigerte
Alkohol-
Stressreaktionen
entzug
Mischformen
Sonstige
Delir und Pathomechanismen
DSM-IV:
Delir
Medizinische Ursache
Azetylcholin
Hypothese
- 13 -
Substanzinduziert
Übersteigerte
Alkohol-
Stressreaktionen
entzug
Mischformen
Sonstige
Benzodiazepine:
Fluch
UND
Medizinische Ursache
Azetylcholin
Hypothese
Substanzinduziert
Übersteigerte
Alkohol-
Stressreaktionen
entzug
Benzos delirauslösend
(Pandharipande et al. 2006. Anesthesiology 1; 21-26)
14
Segen
Benzos bestens geeignet
für
Alkoholentzugsbehandlung
Praxisbeispiel herzchirurgischer Patient
März 2012
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
- 15 -
Patient tritt mit Herzinfarkt ein
Wenige Tage später notfallmässige Bypass-OP
Tag 10 Entwicklung eines schweren hyperaktiven Delirs
Dokumentation: Delir Ursache unklar
Eintrittsgespräch: Patient nimmt seit mehreren Jahren ½ Rohypnol
abends
Rohypnol nicht weitergegeben. Unklar, wieviel Benzos sonst erhalten
½ Rohypnol entspricht 5mg Diazepam
Halbwertszeit Rohypnol: 36 – 200 Stunden
Bei langjährigem Benzo-Gebrauch: Umstellung auf Diazepam und
Dosisreduktion von 1mg Diazepam pro 1-2 Wochen (Ashton. 2002)
Fazit:
Ein korrektes Absetzen hätte mindestens 4 – 8 Wochen benötigt
Benzo-Entzug
• Viele ältere Menschen nehmen regelmässig Benzos
(Seresta, Rohypnol) zum Schlafen
• Ab einen Gebrauch von länger als 3 Monaten am Stück
sollten Benzos ausgeschlichen werden (Wolf et al.
Pharmacopsychiatry. 1989;22:54-60)
• Dauer des Ausschleichens bei Benzos: Monate der
Einnahme entsprechen Wochen des Ausschleichens
2010)
- 16 -
(Kopf,
Delir und Pathomechanismen
DSM-IV:
Delir
Medizinische Ursache
Substanzinduziert
Azetylcholin
Übersteigerte
Alkohol-
Hypothese
Stressreaktionen
entzug
- 17 -
Mischformen
Sonstige
Azetylcholinhypothese
•
Gedächtnisstörungen
•
Azethylcholin
Dopamin
anticholinerg
Senken
Azetylcholinspiegel
•
•
•
Atropin
Anticholinerge
Medikamente
Anticholinerge
Mechanismen
- 18 -
Psychotische Symptome:
− Wahn
− Halluzination
− Denkstörungen,
Unruhe, Nesteln
Delirien aufgrund eines akuten
Azetylcholinverlusts
Prozess
Beispiele
Energiemangel
Hypoxie (systemisch)
Hypoglykämie
Hypotension
Zerebrale Thrombose/Infarkt
Hyper-/Hyponatriämie
Hyperkalziämie
Hyperammonämie
Hyperglykämie
Diffuse Axonschädigung
Blutung
Offene Verletzung
Primäre ZNS Infektion
Hämatogene Streuung ins ZNS
Primäre ZNS Tumore
Metastasen
Anticholinergika
Dopamin Agonisten
GABA Agonisten
Opioide
Stoffwechselstörung
ZNS Trauma
Infektionen
Neoplasmen
Medikamentöse Intoxikation
Pethidin
Benzos
- 19 -
(Maclullich et al. J Psychosom Res. 2008;65:229-238)
Praxisbeispiel Notfallstation
August 2011
•
•
•
•
•
•
•
•
Patientin mit frischer Schenkelhalsfraktur
Patientin hat Schmerzen
Patientin ist exsikkiert
Befunde: Mehrere Fehler im Aufmerksamkeitstest (Monate Rückwärts)
und mehrere Fehler im MSQ (10 Fragen)
=> V.a. subsyndromales Delir
2 Stunden später:
Patientin ist schmerzfrei nach Schmerzmittelgabe
Infusion zum Offenhalten läuft
Fehlerfreier Aufmerksamkeitstest
=> Delirgefahr vorerst gebannt
- 20 -
Delir-Prävention bei Patienten mit Hüftfraktur
(Marcantonio et al. J Am Geriatr Soc. 2001;49:516-522)
• Marcantonio et al.
• reduzierten präoperativ bzw. eliminierte die
anticholinerg wirkenden Substanzen
• korrigierten erniedrigte Sauerstoffsättigung
• korrigierten Elektrolyt- und Wasserhaushalt
• behandelten schwere Schmerzzustände suffizient
• regulierten Blasen- und Darmfunktion
• sorgten für postoperativ ausreichende Ernährung
• förderten Frühmobilisation
• vermieden postoperative Komplikationen
Die Delirrate wurde um 36% gesenkt,
schwere Delirien sogar um 59%
- 21 -
Delir und Pathomechanismen
DSM-IV:
Delir
Medizinische Ursache
Azetylcholin
Hypothese
- 22 -
Substanzinduziert
Übersteigerte
Alkohol-
Stressreaktionen
entzug
Mischformen
Sonstige
Delirien aufgrund überschiessender
Vulnerables Gehirn: Altern / Demenz
Stressreaktionen
Peripheres
Ereignis
Gewebemakrophage
IL-1β
TNF-α
PGE2
Infektion
Verletzung
Operation
Aktivierte
Mikroglia
IL-1β
TNF-α
IL-6
IFNαβ
PGE2
Aktivierung der limbischhypothalamischNebennierenrindenAchse, z.B. über CRH im
Hypothalamus
Schädigung
Neurone
Akut
beeinträchtige
neuronale
Funktion
Stress Reduktion
Delir
23
Nebennierenrinde
(Maclullich et al. J Psychosom Res. 2008;65:229-238)
Praxisbeispiel Februar 2012
• Unruhige Patienten mit Blasendauerkatheter
• Bereichsfachverantwortliche wird hinzugezogen zur
Abklärung, wohin delirante Patientin verlegt werden kann
• Patientin gibt an, Urin lösen zu müssen
• Pflegefachperson gibt zur Antwort, dass Patienten BDK
hat
• Patientin kommt auf Nachtstuhl
• Erfolgreicher Stuhlgang
• Unruhezustand beendet -> Patientin schläft
- 24 -
Delir-Prävention durch Stress reduzierende
Massnahmen (Inouye et al. N Engl J Med. 1999;340:669-676)
• Inouye adressierte die Risikofaktoren
Kognitive Einschränkung, Schlafmangel, Immobilität, Seh- und
Hörschwäche sowie Dehydratation.
• Interventionen
regelmässig orientierende Massnahmen, Verbesserung der
Kommunikation durch die Versorgung mit Hör- und Sehhilfen, die
nichtpharmakologische Schlafförderung mittels rhythmischen
Einreibungen, die Frühmobilisation der Patienten und ein
Trinkprotokoll.
• Die Delirinzidenz konnte somit um 34%, die Dauer um 35% und die
Anzahl der Delirepisoden um 31% gesenkt werden.
- 25 -
Faktoren, welche ein bestehendes Delir
verschlechtern
(McCusker et al. J Am Geriatr Soc. 2001;49:1327)
• Intensivstation
• Anzahl der Zimmerwechsel
• Fehlen einer Uhr oder Armbanduhr
• Fehlen der Brille
• Verwendung von chemischen und physischen
Fixierungsmassnahmen
- 26 -
Delirauslösende überschiessende
Stressreaktionen beim alten Menschen
• Können in Abwesenheit eines geeigneten
• Medikaments nur gemildert werden durch:
• Niedrighalten der anticholinergen Belastung
• Massnahmen der Stressreduktion
• Pflegerische Massnahmen
• Umgebungsgestaltung
• Adäquates Schmerzmanagement
• Adäquates Management von Ausscheidungen
• Vermeiden und Behandlung von Infektionen
- 27 -
Evidenz der Reduktion der Delirdauer
Verzicht auf Benzos bei
Nichtentzugsdelirien
Die Begleittherapie mit
Neuroleptika und atyp.
Neuroleptika
Hu et al. Chongging Medical Journal. 2004 (8), 1234-1237
- 28 -
(Breitbart et al. Am J Psychiatry. 1996;153:231-237)
Evidenz der Reduktion der Schweregrades von
Delirien
Die Begleittherapie mit
Neuroleptika oder atypische
Neuroleptika reduziert
Delirschweregrad signifikant
im Gegensatz zu Placebo
Hu et al. Chongging Medical
Journal. 2004 (8), 1234-1237
- 29 -
Systematisches Screening und
frühzeitige Interventionen
reduzieren Schweregrad von
Delirien
Hasemann, Godwin, Spirig, Kressig, ErminiFünfschilling, Frei, Tolson (2012). Effects of the
Interdisciplinary Basel Delirium and Dementia
Prevention and Management Program DEMDEL
Rückmeldungen zur Einführung eines
systematischen Delirmanagements (1)
• Bewussterer Umgang
„dann ist noch bewusster: wir müssen den jetzt
aufnehmen! auch wenn er nur am Bettrand sitzen.
Auch wenn man sagt, der kann ja nicht alleine sitzen,
muss man sagen: du musst dabei bleiben, sonst kippt
er um, steht auf und lauft uns davon. Ähm, musst ihn
trotzdem aufnehmen, bleibst halt dabei, hilfst ihm dann
wieder ins Bett, vorher aufs WC, dann ins Bett, sonst
wird er unruhig, weil er eigentlich auf das WC muss.
Ähm ja, so Sachen, man geht schon viel bewusster
damit um, finde ich“
- 30 -
Hasemann, Godwin, Spirig, Kressig, ErminiFünfschilling, Frei, Tolson (2012).
Rückmeldungen zur Einführung eines
systematischen Delirmanagements (2)
• Alternativen zur herkömmlichen Schlafmedikation werden
eingesetzt:
„Also im Moment haben wir auch Bilder auf die Tür
gemacht, damit der Patient weiss: ah, da muss ich rein,
wenn ich im Gang bin. Ähm, ich arbeite auch mit
Orangenblütentee oder mit warmer Milch mit Honig, äh so
Sachen versuchen müde zu werden..“
- 31 -
Hasemann, Godwin, Spirig, Kressig, ErminiFünfschilling, Frei, Tolson (2012).
Rückmeldungen zur Einführung eines
systematischen Delirmanagements (3)
• Angehörige werden mehr involviert
PDF unter www.delir.info
oder als Broschüre in Deutsch,
Französich, Italienisch über die
Alzheimervereinigung
www.alz.ch
- 32 -
Hasemann, Godwin, Spirig, Kressig, ErminiFünfschilling, Frei, Tolson (2012).
Take Home Messages
• Auf der Grundlage der bisherigen Evidenz lassen sich
ca. 1/3 der Delirien verhindern
• Verlauf von Delirien lässt sich positiv beeinflussen
durch ein systematisches Delirmanagement
• Adäquate Schmerzreduktion und Erkennen von
Ausscheidungsbedürfnissen sind wichtige Pfeiler in
der nichtpharmakologischen Delirprävention
• Das Erkennen eines langjährigen
Benzodiazepingebrauchs und der adäquate Umgang
damit können Entzugsdelirien vorbeugen.
- 33 -
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
- 34 -
www.delir.info
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