Standort: Ulm Klinik für Kieferorthopädie und Orthodontie, Universitätsklinikum Ulm Direktor und Projektleiter: Prof. Dr. Bernd Lapatki Projekt: Entwicklung von intelligenten festsitzenden kieferorthopädischen Zahnspangen (interdisziplinäres DFG-Projekt unter Beteiligung von Kieferorthopädie, Mikrosystemtechnik und Mikroelektronik) Festsitzende kieferorthopädische Behandlungsapparaturen bestehen aus adhäsiv an den Zähnen fixierten Brackets, welche die Befestigung eines Drahtbogens sowie von Zusatzelementen ermöglichen, und somit eine individuelle Kraft- und Drehmomentübertragung auf die einzelnen Zähne erlauben. Ein effektiver, nebenwirkungsarmer und möglichst schmerzfreier Ablauf der biologischen Prozesse bei der Zahnbewegung steht mit einer adäquaten Dimensionierung der therapeutisch angewandten Kräfte und Drehmomente in Zusammenhang. Gemäß neuerer Studien stellt neben der individuellen Prädisposition vor allem die Applikation von zu hohen Kräften und Drehmomenten einen signifikanten kausalen Faktor für irreversible Resorptionen an der Zahnwurzel dar. Der daraus resultierende Verankerungsverlust des Zahnes kann in Extremfällen sogar zum totalen Zahnverlust führen. Ein wesentliches Grundproblem der Behandlung mit festsitzenden Apparaturen besteht darin, dass trotz dieser Vorgaben und Risiken eine objektive Kontrolle der auf die Zähne applizierten Kraft-/Drehmomentsysteme im klinischen Alltag nur sehr eingeschränkt möglich ist. Messungen am Patienten mit derzeit verfügbaren Methoden sind äußerst umständlich und zeitintensiv, relativ ungenau, nur eindimensional, und nicht gleichzeitig an allen Zähnen möglich. Aufgrund dieser Limitationen muss sich der Kieferorthopäde im klinischen Alltag bis heute stark auf sein Gefühl und seine klinische Erfahrung sowie auf die (nur eingeschränkt auf die klinische Therapie übertragbaren) Richtlinien aus Materialversuchen verlassen. Im Rahmen eines interdisziplinären, von der DFG geförderten Forschungsprojektes (in Kooperation zwischen der Klinik für Kieferorthopädie der Universität Ulm und dem Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg) wurde ein methodisches Konzept für eine intelligente kieferorthopädische Apparatur entwickelt und realisiert, welche die quantitative Bestimmung aller sechs auf den einzelnen Zahn übertragenen Kraft- und Drehmomentkomponenten erlaubt. Dieses Konzept basiert auf der Einbettung eines 2 x 2,5 x 2 mm großen mikroelektronischen Sensorchips mit multiplen Stresssensoren im Inneren der auf den einzelnen Zähnen befestigten kieferorthopädischen Brackets (Abb. 1). Die größten technischen Herausforderungen bestehen in der extremen Miniaturisierung des Sensorsystems bei nur wenigen mm3 verfügbarem Platz sowie in der Entwicklung einer (aus klinisch-praktischen Gründen notwendigen) telemetrischen Energie- und Datenübertragung. Die realisierbarkeit des methodischen Konzepts konnte bereits anhand eines maßstabsgetreuen Modells eines intelligenten Brackets erfolgreich demonstriert werden (Lapatki et al., 2007). A B Abb. 1A: Derzeit sind nur feste Zahnspangen ohne Kraft- und Drehmomentsensorik verfügbar. B: Aktuelle Version eines intelligenten kieferorthopädischen Brackets im 1:1-Maßstab (noch mit Kabelverbindung) zur Messung der bei der Zahnbewegung übertragenen Kräfte und Drehmomente. Die momentanen Arbeiten bei diesem Projekt bestehen unter anderem in der Integration telemetrischer Systemkomponenten zur kabellosen Energie- und Datenübertragung, welche eine Voraussetzung für den klinischen Einsatz der Methode darstellt. Neben den faszinierenden Perspektiven einer Anwendung intelligenter Brackets in der klinischen Therapie zur Verbesserung der Richtungskontrolle bei der Zahnbewegung sowie zur Miminierung der Risiken für Wurzelresorptionen, ist in naher Zukunft auch deren Einsatz im Rahmen der Aus- und Weiterbildung von Kieferorthopäden sowie in der biomechanische Grundlagenforschung vorgesehen. Die Anwendung der entwickelten, miniaturisierten Kraft/Drehmoment-Sensorik und telemetrischen Methoden bietet sich auch in einem breiteren medizinischen Kontext an. Beispielsweise ist ein Einsatz in dentalen Implantaten sowie (Endo-)Prothesen in verschiedenen Bereichen des muskuloskelettalen Systems denkbar. Literatur: Lapatki, B.G., Paul, O.: Intelligente Brackets für 3D-Kraft-/Drehmomentmessungen in der kieferorthopädischen Grundlagenforschung und Therapie – derzeitiger Entwicklungsstand und Zukunftsperspektiven. J Orofac Orthop 68, 377-396, 2007. Projektnr. LA2418/1-1, Laufzeit bis Ende Mai 2011 Kontakt: Univ.-Prof. Dr. Bernd Lapatki, Ärztlicher Direktor Klinik für Kieferorthopädie und Orthodontie Universitätsklinikum Ulm Albert-Einstein-Allee 11, D-89081 Ulm, Tel.: 0731-500-64401; Fax: 0731-500-64402