Teilchenbeschleuniger Ausarbeitung zum Seminarvortrag ’Teilchenbeschleuniger’ vom 19. April 2005 Betreuung: Prof. Dr. Achim Stahl Jan Kovermann, Matr.Nr. 234250 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 3 2 Wozu benutzt man Teilchenbeschleuniger? 3 3 Komponenten eines Beschleunigers 3.1 Was kann man beschleunigen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Wie beschleunigt man geladene Teilchen? . . . . . . . . . . . 3.2.1 Elektrostatische Beschleunigung . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Beschleunigung in elektromagnetischen Wechselfeldern 3.3 Magnete in Beschleunigern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Dipolmagnete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Quadrupolmagnete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Magnete höherer Ordnung, Spezialmagneten . . . . . 3.3.4 Magnetmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Teilchenquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 4 4 4 4 5 5 6 6 7 7 4 Linear- und Ringcollider 4.1 Ringcollider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Linearcollider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 8 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Neue Technologien bei großen Beschleunigern der Hochenergiephysik 10 5.1 Der Large Hadron Collider (LHC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 5.1.1 Technische Daten des LHC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 5.1.2 Die Dipolmagnete des LHC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 6 Der 6.1 6.2 6.3 6.4 International Linear Collider (ILC) Der ILC als weltweites Kooperationsprojekt Beschleunigung in stehenden Mikrowellen . Einige technische Daten zum ILC . . . . . . Technische Herausforderungen . . . . . . . . 6.4.1 Güte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Quenchen . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Superstructures . . . . . . . . . . . . 7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 13 13 14 15 15 16 17 18 2 1 Einleitung Teilchenbeschleuniger sind im letzten Jahrhundert in der modernen Hochenergiephysik zu einem unverzichtbaren Werkzeug der Teilchenphysiker geworden. Modernste Beschleuniger benutzen aktuellste Technologien, die zum Teil eigens für diese Beschleuniger entwickelt wurden, und erreichen Dimensionen, die diese Maschinen zu den größten Maschinen der Welt zählen lassen. Dieser Seminarvortrag soll zunächst Einblick in die Komponenten eines Beschleunigers geben und danach die wichtigsten Neuentwicklungen von zwei modernen Beschleunigern genauer beleuchten. 2 Wozu benutzt man Teilchenbeschleuniger? Wie der Name schon ausdrückt, dient ein Teilchenbeschleuniger der Beschleunigung von Teilchen bzw. Partikeln, typischerweise Elementarteilchen oder Atomkernen auf sehr hohe kinetische Energien. Diese Energien machen sich dann aufgrund der relativistischen Geschwindigkeiten durch eine stetige Zunahme der Teilchenmasse bei Energiezufuhr bemerkbar. Prominenteste Beispiele für Teilchenbeschleuniger sind aufgrund der Größe, der Baukosten und den damit erreichten wissenschaftlichen Erkenntnissen die Beschleuniger der Hochenergiephysik. Teilchenbeschleuniger werden aber noch in vielen anderen Bereichen eingesetzt. In der Physik sind dies noch die Erzeugung von instabilen Teilchen für weitere Untersuchung und die Erzeugung von Synchrotronstrahlung für Festkörperphysik, Chemie und Biologie. Ein weiteres Anwendungsfeld von Beschleunigern findet sich in der Medizin, die diese nutzt, um zum einen Patienten bei der Krebstherapie direkt zu bestrahlen, und zum anderen um medizinisch genutzte Isotope z.T. auch für die Krebstherapie herzustellen. In der Industrie werden Beschleuniger zur Materialbearbeitung wie Schweißen, Schneiden etc. genutzt, sowie als extrem feine Sonde bei der Elektronenstrahllithographie in der Halbleiterherstellung. In der Forschung befindet sich zur Zeit die protonenstrahlinduzierte Transmutation. Hierbei werden langlebige radioaktive Isotope durch Protonenbeschuss zu kurzlebigen Isotopen umgewandelt, was eine Lösung der Problematik der Endlagerung von radioaktivem Abfall darstellen könnte. In den Kapiteln 4 und 5 wird noch genauer auf die Beschleuniger LHC und ILC eingegangen. Diese beiden Beschleuniger sind zur Zeit im Bau bzw. in der Planung. Weitere große Beschleuniger der Hochenergiephysik befinden sich an den Beschleunigerzentren DESY in Hamburg, CERN nahe Genf, SLAC nahe San Francisco, Fermilab nahe Chicago und am KEK nahe Tsukuba, Japan. 3 3 Komponenten eines Beschleunigers 3.1 Was kann man beschleunigen? Betrachtet man die vier grundlegenden physikalischen Kräfte, so stellt man fest, dass einzig und allein die elektromagnetische Kraft zur Beschleunigung in Frage kommt, alle anderen Kräfte sind entweder zu schwach oder zu kurzreichweitig. Da die elektromagnetische Kraft nur auf geladene Teilchen wirkt kommen auch nur diese für die Benutzung in Beschleunigern in Frage. Benötigt man Strahlen ungeladener Teilchen, so muss man diese durch Reaktion eines Teilchenstrahls aus geladenen Teilchen mit einem Target, also einem Festkörper, erzeugen. 3.2 Wie beschleunigt man geladene Teilchen? Zur Zeit stehen zwei Konzepte der elektromagnetischen Beschleunigung zur Verfügung, die auch im großen Maßstab eingesetzt werden: Beschleunigung in elektrostatischen Feldern und in elektromagnetischen Wechselfeldern, wobei die Beschleunigung in elektrostatischen Feldern die historisch ältere Methode ist, da hohe Spannungen relativ einfach erzeugbar sind. Die Nutzung von Wechselfeldern begann erst in der Mitte des 20.Jahrhunderts bedingt durch die starke Weiterentwicklung der Hochfrequenztechnik während des zweiten Weltkrieges. In der Entwicklung sind Technologien, die auf der Benutzung eines LASERs aufbauen, da dieser sehr kurze Pulse extrem hoher Energie erzeugen kann. Drei Konzepte seien hier erwähnt: Der Inverse-Free-Electron-Laser (IFEL), also die Beschleunigung von Teilchen in der Strahlung eines Freie-Elektronen-Lasers, LaserWakeField-Acceleration (LWFA), damit ist die direkte Beschleunigung mit einem Laserstrahl gemeint, und Plasma-WakeField-Acceleration (PWFA), dies ist die Beschleunigung in einem laserinduzierten Plasma [1]. 3.2.1 Elektrostatische Beschleunigung Die elektrostatische Beschleunigung geschieht nach dem Prinzip des Plattenkondensators. Das geladene Teilchen befindet sich in einem elektrischen Feld und wird durch die Coulomb-Kraft zur gegenteilig zum Teilchen geladenen Kondensatorplatte hinbeschleunigt. Der Energiegewinn ist linear proportional zur durchlaufenden Potentialdifferenz. Aufgrund technischer Probleme bei der Isolierung etc. sind im Betrieb Spannungen über 1MV kaum noch handhabbar. Darüber hinaus ist es aufgrund der notwendigen Erdung nicht möglich, beliebig viele elektrostatische Beschleunigungselemente hintereinander anzuordnen. Diese Art der Beschleunigung wird deshalb nur noch in kleinen Beschleunigern bzw. Vorbeschleunigern oder bei der Erstbeschleunigung in Teilchenquellen eingesetzt. 3.2.2 Beschleunigung in elektromagnetischen Wechselfeldern Bei der Beschleunigung von Teilchen in elektromagnetischen Wechselfeldern benutzt man den Effekt der Resonanzüberhöhung von Mikrowellen in auf die Frequenz dieser Mikrowellen abgestimmten Kavitäten. Hierzu sind sowohl stehende als auch laufende Wellen 4 einsetzbar. Durch diese Resonanzüberhöhung erreicht man sehr hohe Feldstärken und damit verbunden sehr hohe Amplituden des elektrischen Feldanteils, der dann wie im elektrostatischen Beschleuniger für die beschleunigende Kraft auf das Teilchen sorgt. Die genaue Funktionsweise und die dazu nötigen Anforderungen werden im Kapitel über den ILC genauer erläutert. 3.3 Magnete in Beschleunigern Magnetische Felder stellen bei hochrelativistischen Teilchenenergien die einzigen Kräfte zur Verfügung, die zur Ablenkung oder Fokussierung eines Teilchenstrahls technisch handhabbar sind. Für ein Teilchen, das praktisch mit Lichgeschwindigkeit fliegt, gilt der Zusammenhang E = c · B, was dazu führt, dass man ein etwa 300MV/m starkes elektrisches Feld benötigt um die gleiche Kraft auf ein Teilchen auszuüben wie mit einem magnetischen Feld von 1T. 300MV/m sind technisch unmöglich, 1T ist dagegen relativ leicht zu erzeugen. In Beschleunigern werden Magnete bis zur sechsten Stufe der magnetischen Multipolentwicklung genutzt, in Ausnahmefällen auch höhere Ordnungen [2]. 3.3.1 Dipolmagnete Dipolmagnete dienen der Ablenkung von Teilchenstrahlen auf eine Kreisbahn. Benötigt wird hierzu ein einfaches, homogenes magnetisches Feld, das senkrecht zur Bewegungsrichtung des Teilchens und senkrecht zur gewünschten Ablenkrichtung steht. Abbildung 1: Schnittzeichnung durch einen normalleitenden Dipolmagneten Gut erkennbar sind hier die felderzeugenden Spulen in einer Anordnung wie bei einem Helmholtz’schen Spulenpaar, das eiserne Rückführungsjoch sowie das evakuierte Strahlrohr im Luftspalt des Jochs. 5 3.3.2 Quadrupolmagnete Die nächste Stufe in der mag. Multipolentwicklung sind die Quadrupolmagneten. Diese Magneten dienen zur Fokussierung der Teilchenstrahlen auf kleinste Querschnitte oder zum Zurückbringen von Teilchen auf die Sollbahn. Quadrupolmagnete wirken immer in einer Ebene fokussierend und in der anderen Ebene defokussierend, so dass immer zwei Quadrupolmagnete hintereinander auftreten, die um 90 Grad gegeneinander gekippt sind. Abbildung 2: Prinzipzeichnung eines normalleitenden Quadrupolmagneten Quadrupolmagnete haben den Nachteil, dass sie impulsaufweitend sind, vergleichbar mit der chromatischen Abberation in der Optik. Diese Fehler können mit Sextupolmagneten korrigiert werden. 3.3.3 Magnete höherer Ordnung, Spezialmagneten Weitere Anwendungen von magnetischen Feldern in Beschleunigern sind: Sextupolmagnete: Diese Magnete korrigieren die Impulsaufweitung der Teilchen durch Quadrupolmagnete Kickermagnete und Septummagnete: Diese Magnete dienen zur Injektion bzw. Ejektion von Teilchen in einen Strahl oder aus einem Strahl heraus Wiggler und Undulatoren: Diese Magneten verursachen eine Strahlablenkung auf sehr kleinen Radien und erzeugen so gezielt Synchrotronstrahlung. Die in einem Beschleuniger verbaute Magnetoptik ist komplett durch einen Matrizenformalismus ähnlich zur Matrizenoptik beschreib- und berechenbar. 6 3.3.4 Magnetmaterialien Beim Bau von Magneten für Teilchenbeschleuniger kommen zwei Techniken zum Einsatz: Konventionelle Magnettechnologie und supraleitende Magnettechnologie. Konventionelle Magneten bestehen zumeist aus einem Eisenjoch mit felderzeugenden Wicklungen aus Kupfer. Die Feldformung kann durch Polschuhe aus Eisen relativ einfach erfolgen. Leider erreichen diese Magneten aufgrund der Sättigung des Eisenmaterials nur maximale Feldstärken von ca. 2T. Viel besser sind hier supraleitende Magneten mit maximalen Feldstärken von bis zu 10T. Problematisch ist hierbei die aufwändige Kühlung sowie die Feldformung, da aufgrund der Sättigung nur Luftspulen gebaut werden können. Ein weiteres Problem ist der plötzliche Verlust der supraleitenden Eigenschaften bei Überlastung oder lokalen Erwärmungen, das so genannte Quenchen. Hierbei muss gewährleistet sein, dass die gesamte, im Magneten gespeicherte Feldernergie zerstörungsfrei in Wärme außerhalb des Magneten umgesetzt wird. 3.4 Teilchenquellen Am Anfang eines jeden Teilchenbeschleunigers steht eine Teilchenquelle, die je nach Beschleuniger ganz bestimmte Anforderungen erfüllen muss. Hier nun die wichtigsten Prinzipien von Teilchenquellen: Protonenquellen: Protonen können sehr einfach durch Ionisation von Wasserstoffgas durch Mikrowellen etc. gewonnen werden. Elektronenquellen Glühkathode: Hierbei treten Elektronen aus einem glühenden Draht oder einer glühenden Metallspitze aus Feldemission: Durch sehr hohe elektrische Feldstärken treten an dünnen Metallspitzen durch Feldemission Elektronen aus Photoeffekt: Durch Beschuss mit einem Laser treten Elektronen durch den Photoeffekt aus Metallplatten aus, hiermit können auch polarisierte Elektronen erzeugt werden Nach dem Austritt aus den Quellen werden die Elektronen bzw. Protonen zunächst in einer Potentialdifferenz beschleunigt und dann weiteren Beschleunigungsstrukturen zugeführt. Exotischere bzw. instabile Teilchen müssen durch Reaktion der Elektronen bzw. Protonen gewonnen werden, was z.T. sehr aufwändig ist. 7 4 Linear- und Ringcollider In diesem Kapitel sollen die Vor- und Nachteile von Linear- und Ringcollidern vorgestellt werden. Hierzu müssen zuvor einige Begriffe eingeführt werden: Luminosität L: Die Luminosität ist ein Maß für die Leistungsfähigkeit eines Beschleunigers. Multipliziert mit dem Wirkungsquerschnitt ergibt sich die Anzahl der Teilchenreaktionen pro Zeitintervall. ∂N =σ·L ∂t (1) Synchrotronstrahlung: Ein geladenes Teilchen strahlt Synchrotronstrahlung ab, wenn es beschleunigt wird, z.B. wenn es durch ein Magnetfeld auf eine Kreisbahn gezwungen wird. Der Energieverlust pro Umlauf einer geschlossenen Kreisbahn berechnet sich zu: ∆EU mlauf = E4 m4 · R (2) Wobei E die Teilchenenergie, R der Radius der Kreisbahn und m die Masse des Teilchens ist. 4.1 Ringcollider In einem Ringcollider (Abb.3, rechts) beschreiben die Teilchen eine Kreisbahn, wobei meistens zwei Strahlen gegenläufig auf nahezu gleichem Radius verlaufen. Dies ermöglicht es, eine große Anzahl von Experimenten in den Ring einzubauen. Ein weiterer Vorteil des Ringcolliders bzw. Speicherrings ist das Speicherprinzip. Da die Teilchen beliebig oft umlaufen, können immer mehr Teilchen in den Ring eingebracht werden, was die Luminosität beträchtlich erhöht. Ein solcher Speicherring wird nach dem Synchrotronprinzip betrieben, d.h. die Teilchen werden mit einer geringen, aber schon relativistischen Energie durch einen Vorbeschleuniger in den Ring eingebracht und gespeichert, u.U. sogar mehrfach bis der Ring seine Kapazität erreicht hat. Danach werden die Teilchen durch auf dem Ring verteilte Beschleunigungsvorrichtugngen hochbeschleunigt und synchron dazu das Dipolfeld in den Ablenkmagneten erhöht bis die max. Feldstärke der Magneten erreicht ist. Auf diese Weise bleibt der Radius der Kreisbahn die ganze Zeit konstant. Nachteilig ist, dass über den gesamten Ring Dipolmagneten verteilt werden müssen um die Kreisbahn aufrecht zu erhalten. Bei dieser ständigen Ablenkung der Teilchen verlieren die Teilchen kontinuierlich Energie, und zwar je mehr desto leichter sie ist. Sinnvoll bei hohen Energien sind daher nur Protoncollider. 4.2 Linearcollider In einem Linearcollider (Abb.3, links) werden Teilchen auf einer geraden Strecke auf höchste Energien beschleunigt und dann mit einem Teilchenstrahl zur Kollision gebracht, der durch einen weiteren Linearbeschleuniger auf der Gegenseite erzeugt wurde. Großer 8 Vorteil dieser Maschine ist, dass keinerlei Ablenkmagneten benötigt werden und damit auch keine Synchrotronstrahlung entsteht. Nachteilig ist, dass über die komplette Länge Beschleunigungselemente und die dafür erforderliche Peripherie benötigt werden. Bei 1TeV Schwerpunkstenergie sind somit Baulängen von ca. 30km zu erwarten. Weitere Nachteile sind zum einen die Beschränktheit der Anzahl der Experimente und zum anderen ein größerer Aufwand bei der Erzeugung einer ausreichend hohen Luminosität, da die Teilchen ja nur einmal den Beschleuniger durchlaufen. Die Luminosität kann hier nur durch eine Erhöhung des Strahlstromes und durch eine Verringerung des Strahlquerschnitts erreicht werden. Abbildung 3: Skizze eines Linearcolliders (TESLA) und eines Ringcolliders (LHC) mit typischen Einrichtungen und Größenordnungen [3], [4] 9 5 Neue Technologien bei großen Beschleunigern der Hochenergiephysik 5.1 Der Large Hadron Collider (LHC) Der LHC ist zur Zeit im Bau und soll im Jahre 2007 seinen wissenschaftlichen Betrieb aufnehmen. Aufgebaut wird der Beschleunigerring im Tunnel des ehemaligen LEPBeschleunigers. Im LHC werden in Zukunft Protonen mit Protonen bei einer Schwerpunktsenergie von 14TeV zur Kollision gebracht und diese Ereignisse mit großen Detektoren aufgezeichnet. In einer späteren Ausbaustufe sollen zudem Bleikerne auf Bleikerne geschossen werden. Der alte LEP-Beschleuniger war ein Elektron-Positron-Collider mit einer maximalen Schwerpunktsenergie von 204GeV, wobei aber aufgrund der Synchrotronstrahlungsverluste ca. 3GeV Teilchenenergie pro Umlauf verloren gingen und deshalb ständig nachbeschleunigt werden musste. Der LHC wird bedingt durch die im Vergleich zum Elektron etwa 2000-fach schwereren Protonenmasse einen Synchrotronstrahlungsverlust pro Umlauf und Teilchen von nur ca. 7keV haben. Dies zeigt sehr gut, dass Elektron-Positron-Ringcollider bei Schwerpunktsenergien über 200GeV kaum noch sinnvoll eingesetzt werden können. Hier muss man auf Linearcollider zurückgreifen. Abbildung 4 zeigt die geographische Lage des LHC bzw. LEP mit dem Vorbeschleuniger SPS: Abbildung 4: Geographische Lage des LHC bzw. LEP mit dem Vorbeschleuniger SPS [4] 10 5.1.1 Technische Daten des LHC Der LHC-Beschleuniger soll eine maximale Strahlenergie von 7TeV erreichen wobei zwei Strahlen gegenläufig den Ring umlaufen und an bestimmten Punkten bzw. Experimenten zur Kollision gebracht werden. Der Umfang des Tunnels beträgt 26.6km. Das zur Ablenkung des Strahl auf eine Kreisbahn benötigte magnetische Dipolfeld wird von 1200 supraleitenden Dipolmagneten zu je 15m Länge erzeugt und hat einen Krümmungsradius von 2.6km. Es wird 4 Experimente geben. In den Strahlröhren werden 2808 Teilchenpakete (bunches) zu je 1011 Protonen umlaufen, die in den Experimenten zur Durchdringung gebracht werden, wobei im Schnitt etwa 19 Ereignisse auftreten werden. Dies führt zu einer Ereignisrate von ungefähr 700 Millionen Ereignissen pro Sekunde und Detektor. Die Luminosität wird mit 1.0 · 1034 cm−2 s−1 die Luminosität des bisher größten ProtonProton-Ringcolliders, dem TEVATRON, um Faktor 50 übertreffen. Wichtigste Neuerung beim LHC sind die supraleitenden Ablenkmagnete, die diese hohen Energien bei dem gegebenen Umfang erst möglich machen. 5.1.2 Die Dipolmagnete des LHC Der LHC ist vom Grundprinzip her ein Synchrotron, d.h. der Ring wird zunächst mit zuvor im SPS vorbeschleunigten 450GeV-Protonen bis zur nominalen Grenze von 2808 bunches befüllt, wozu ein Dipolfeld von 0.5T in den Ablenkmagneten notwendig ist, um den Strahl auf dem idealen Orbit zu halten. Ist dieser Befüllvorgang abgeschlossen, werden die bunches durch im Strahlengang befindliche Beschleunigungselemente beschleunigt und synchron dazu das Dipolfeld in den Ablenkmagneten erhöht. Diese Magnete sind für eine maximale Feldstärke von 8.33T ausgelegt. Das entspricht der gewünschten Strahlenergie von 7TeV. Um derart hohe Feldstärken erreichen zu können, werden die Magnete aus feinstfaserigen Niob-Titan-Drähten aufgebaut und auf eine Temperatur von 1.9K abgekühlt. Kühlmittel ist suprafluides Helium. Unter diesen Bedingungen fließen bei 8.33T knapp 12000A durch die Wicklungen. Abbildung 5 zeigt einen Querschnitt durch einen LHC-Dipolmagneten: Abbildung 5: Querschnittsskizze eines LHC Dipolmagneten, Erklärungen siehe Text [4] 11 Gut erkennbar sind die beiden Strahlröhren im Inneren des Magneten. Durch die Feldformung und die Stromrichtungen sind die Magnetfelder in den Strahlröhren antiparallel zueinander, so dass für zwei gegenläufige, aber sonst identische Strahlen nur ein Magnet mit Kryostat etc. erforderlich ist. Um die Strahlröhren herum befindet sich eine Spulenhalterung aus nichtmagnetischem Edelstahl, die dafür sorgt, dass trotz der starken magnetischen Felder, die Zugkräfte im Tonnen-Bereich aufbringen, die Struktur stabil bleibt. Weiter außen befindet sich noch ein Rückführungs- und Abschirmungsjoch aus normalen Eisen sowie die thermische Abschirmung und Isolation (nicht im Bild). Die gesamte, zu kühlende Masse liegt bei ca. 24 Tonnen pro Magnet. Die Betriebsdaten der Magnete liegen nah an der Grenze des Zusammenbruchs der Supraleitung (Quenchen), die durch Spulenstromdichte, Temperatur und magnetische Feldstärke bestimmt werden. Beim Quenchen eines Magneten wird die gesamte, im magnetischen Feld gespeicherte Energie frei und muss über geeignete Schutzbeschaltungen außerhalb des Magneten in Wärme umgesetzt werden, damit der Magnet nicht zerstört wird. Abbildung 6 zeigt das Phasendiagramm des Spulenmaterials NbTi. Die aufgespannte Oberfläche ist der Übergang zwischen normalleitendem und supraleitendem Zustand, die schraffierte Fläche zeigt den Arbeitsbereich der HERA-Magnete am DESY. Die LHC Magnete arbeiten bei T=1.9K und B=8.33T, was eine maximale Stromdichte von ca.2kA/mm2 zulässt. Abbildung 6: Phasendiagramm von NbTi 12 6 Der International Linear Collider (ILC) 6.1 Der ILC als weltweites Kooperationsprojekt Der ILC soll als internationales Kooperationsprojekt im Jahre 2015 in Betrieb gehen und dann Elektronen auf Positronen mit einer maximalen Schwerpunktsenergie von 1TeV aufeinander schießen. Hierzu sind zwei in Verlängerung gegeneinander gerichtete Linearbeschleuniger zu je 500GeV Leistung notwendig. Da die Baukosten mit der Länge des Beschleunigers steigen, versucht man einen möglichst hohen Beschleunigungsgradienten zu erreichen, so dass entweder die Schwerpunktsenergie erhöht oder die Baulänge reduziert werden kann. Im Jahr 2004 ist die Entscheidung auf die Beschleunigungstechnologie des TESLA gefallen. TESLA war ein Projekt des DESY, dass praktisch komplett durchgeplant war, aber dann doch nicht gebaut wurde. Man setzt nun beim ILC auf die Beschleunigung in supraleitenden Kavitäten wie sie für TESLA entwickelt und danach auch noch weiter verbessert wurden. 6.2 Beschleunigung in stehenden Mikrowellen Die Beschleunigung von geladenen Teilchen in stehenden Mikrowellen nutzt das Prinzip der Resonanzüberhöhung von elektromagnetischen Wellen in abgestimmten Kavitäten. Passt die Resonanzfrequenz der Kavität exakt zur anregenden Frequenz, so enstehen durch Resonanzüberhöhung weit höhere Feldstärken, als die anregende Mikrowellenstrahlung allein besitzt. Das Teilchen ’sieht’ nun diese Potentialdifferenz innerhalb der stehenden Mikrowelle und wird in dieser beschleunigt. Modernste Kavitäten erreichen mit diesem Prinzip bis zu 50MV/m an Beschleunigungsgradient. Abbildung 7: Links: Prinzip der Beschleunigung in stehenden Mikrowellen: Die Teilchen ’surfen’ praktisch auf der elektromagnetischen Welle. Rechts: Querschnitt durch ein Kryostatenmodul mit supraleitenden Kavitäten 13 Diese Art der Beschleunigung ist im Vergleich mit elektrostatischer Beschleunigung mit erheblichen technischen Schwierigkeiten verbunden, dafür ist aber der Beschleunigungsgradient um nahezu Faktor 100 besser und es ist vor allem eine Nacheinanderschaltung von beliebig vielen Modulen möglich. Probleme bereiten die enorme Güte der Kavitäten, ohne die allerdings die Resonanzüberhöhung nicht die gewünschten hohen Amplituden erzeugen könnte, und das Quenchen der Kavitäten, also der Zusammenbruch der Supraleitung auf der inneren Oberfläche der Kavitäten. Diese Probleme und deren technische Überwindung sollen in den nächsten Kapiteln genauer beschrieben werden. 6.3 Einige technische Daten zum ILC Infrastruktur: Der Beschleuniger wird eine Länge von ca. 30km erreichen und wird in einem Tunnel von ca. 6m Durchmesser untergebracht. Die Aufstellgenauigkeit beträgt 0.5mm über die gesamte Länge. Die Versorgung mit elektrischer Energie und flüssigem Helium erfolgt über mehrere überidrische Hallen. In der Mitte des Beschleunigers, also dem Kollisionspunkt von Elektronen und Positronen wird es eine Detektorhalle geben, in der ein oder zwei Detektoren aufgestellt werden. Bei zwei Detektoren teilt sich die Luminosität im Gegensatz zu Ringcolidern auf beide Detektoren auf. Supraleitende Kavitäten: Für eine Schwerpunktsenergie von 1TeV werden bis zu 2000 Module zu je 12 Kavitäten benötigt. Das Kavitätenmaterial ist hochreines Niob. Es hat eine Sprungtemperatur von 9.2K und quenched bei einer Kühlung mit suprafluidem Helium von 1.9K erst bei einer Feldstärke von 200mT. Dies entspricht einem Gradienten von 50MV/m. Niob lässt sich zudem relativ einfach beschaffen und bearbeiten, was eine (notwendige) industrielle Fertigung erst zulässt. Der Wirkungsgrad einer supraleitenden Kavität liegt bei ca. 50% (HF to beampower) und bei ca 17% inkl. Verbrauch zur Heliumverflüssigung (wall-plug to beampower). Elektrische Daten: Die Betriebsfrequenz der Kavitäten liegt bei exakt 1.3Ghz. Zur Erzeugung der Mikrowellenstrahlung werden Klystrons mit einer Spitzenleistung von 10MW eingesetzt, die im Pulsbetrieb arbeiten. Ein Puls hat eine Länge von ca. 2ms, die Repetitionsrate beträgt 5Hz. Das Feld innerhalb der Kavität wird auf TM010-Mode abgestimmt, d.h. das elektrische Feld hat seine maximale Potentialdifferenz in Richtung der Teilchenbahn. Die einzelnen Module laufen in π-Mode, d.h. das Feld ändert in der Zeit, die 14 das Teilchen benötigt, um die Kavität zu durchqueren einmal sein Vorzeichen. So sieht das Teilchen immer eine beschleunigende Potentialdifferenz. 6.4 Technische Herausforderungen 6.4.1 Güte Die Güte oder auch Q-Wert liegt bei diesen Kavitäten bei einer Größenordnung von 1010 , was einer Bandbreite von etwa 500Hz bei den 1.3GHz Betriebsfrequenz entspricht. Neben den mittlerweile beherrschbaren Produktionstoleranzen muss die aktive Verformung und damit Verstimmung- der Kavitäten durch Lorentzkräfte im Pulsbetrieb verhindert bzw. kompensiert werden. Hierzu nutzt man zum einen mechanische Stabilisierungsringe zwischen den Kavitäten und zum anderen ein aktives Tuning mittels Piezo-Elementen: Abbildung 8: Blick auf ein Kavitätenmodul mit Stabilisierungsringen zwischen den einzelnen Kavitäten. Abbildung 9: Rechts: Mechanischer Aufbau für aktives Tuning mittels Piezoelement. Links: Abweichung der Resonanzfrequenz von der anregenden Frequenz mit und ohne aktivem Tuning. Mit aktivem Tuning ist die Resonanz während der Beschleunigungsphase maximal. 15 6.4.2 Quenchen Die Supraleitung innerhalb der Kavitäten dient der Minimalisierung von Ohm’schen Verlusten im Kavitätenmaterial. Das Supraleitende Niob setzt dem elektromagnetischen Feld nur noch einen Restwiderstand von etwa 3nΩ entgegen, der dadurch auftritt, dass es sich um Wechselfelder handelt, bei denen der Restwiderstand nach BCS-Theorie nicht auf exakt 0Ω absinkt. Hierdurch wird die Dämpfung sehr klein, was wieder eine sehr hohe Güte ermöglicht. Da die Supraleitung bei zu hohen Feldstärken zusammenbricht (ab ca. 50-60MV/m), dieser Bereich aber noch möglichst weit ausgenutzt werden soll, müssen alle Möglichkeiten ausgeschlossen werden, die eine lokale Verringerung der maximalen Feldstärke zur Folge haben. Ein lokales Quenchen führt an dieser Stelle zu einer Erwärmung, die immer größer wird, bis die gesamte Kavität ausfällt. Die Gründe für einen lokalen Zusammenbruch sind vielfältig und bedürfen individueller Lösung: Unreines Rohmaterial: Gewinnung und Schmelzen des Niobs unter Vakuum, dabei Entfernung von Fremdmaterial. Die fertige Kavität wird nach dem Zusammenbau noch einmal ausgeglüht um leichte Fremdatome wie Sauerstoff, Wasserstoff und Kohlenstoff durch Diffusion zu entfernen. Kontrolle des Niobs: Die für die Produktion der Kavitäten hergestellten Niob-Rohlinge werden mittels Wirbelstromscanner auf Einschlüsse etc. untersucht und fehlerhafte Teile aussortiert. Herstellung der Kavitäten: Herstellung und Aufbau erfolgt und Reinraumbedingungen. Die geformten Rohlinge werden unter Hochvakuum mit einem Elektronenstrahlschweißgerät zusammengefügt. Optimierung der Oberfläche: Eine möglichst glatte Oberfläche vermeidet lokale Spitzeneffekte und damit Quenchen. Die Oberflächen werden zunächst optisch auf Kratzer etc. kontrolliert und danach durch Elektropolitur mit starken Säuren unter Stromfluss poliert. Die Elektropolitur hat im Gegensatz zur einfachen Politur mit Säuren ohne Stromfluss den Vorteil, dass der Abtrag an Oberflächenspitzen sehr viel größer ist als an glatten Flächen. Die einfache Politur trägt dagegen überall gleichmäßig ab. Die so erreichten Oberflächen ermöglichten erst Beschleunigungsgradienten von über 40MV/m. Abbildung 10 zeigt die Oberflächen nach normaler und nach Elektropolitur. 16 Abbildung 10: Links: Oberfläche nach normaler Säurepolitur, die höchsten Strukturen sind ca. 1µm hoch. Rechts: Oberfläche nach Elektropolitur, max. Strukturhöhe ca. 0.1µm 6.4.3 Superstructures Eine Superstructure ist die Zusammenfassung von zwölf Kavitätenmodulen zu je neun Kavitäten in einem Kryostatenmodul. Jeweils zwei Kavitätenmodule werden dabei von einem Klystron versorgt. Hierzu ist die Verbindungsröhre zwischen den Kavitätenmodulen zu vergrößern, damit die Welle ungehindert hindurchdringen kann. Der Vorteil liegt in einer Einsparung bei den HF-Komponenten von 50%. Zudem können diese 2x9Zellenmodule jeweils zusammen gefertigt werden, was die Produktionszeit verringert. Diese Bauweise ermöglicht auch eine bessere Ausnutzung der Länge des Beschleunigers, da mehr Länge effektiv zur Beschleunigung beiträgt. Abbildung 11: 2x9-Zellenmodul mit vergrößertem Verbindungsrohr. Der power coupler ist der Anschluss für die HF-Leistung, die HOM-coupler sind Antennen, die parasitäre Moden wegdämpfen. 6 dieser Module werden zusammen mit Quadrupolmagneten und Strahldiagnose in einem Kryostatenmodul eingebaut 17 7 Fazit Die geforderten immer höheren Energien bei der Teilchenkollision verlangen dem Beschleunigerbau technische Höchstleistungen ab. Erst die Nutzung von physikalischen Effekten bei extremen Bedingungen wie z.B. der Supraleitung ermöglichen eine immer weiter ansteigende Schwerpunktsenergie. Es gibt zudem keine Beschleuniger für alle Teilchen mehr, vielmehr müssen die Beschleuniger an die Teilchen angepasst werden. Die Beschleunigung in supraleitenden Kavitäten ist derzeit Stand der Technik, die Grenzen dieser Technologie sind aber absehbar und werden in den nächsten Jahren erreicht. Es ist also dringend Forschung in Richtung neuer Technologien erforderlich. Literatur [1] LINAC 2004, Lübeck, Germany: C.J.Joshi: Survey of Advanced Acceleration Techniques, http://bel.gsi.de/linac2004/TALKS/TU102 TALK.PDF [2] Klaus Wille: Physik der Teilchenbeschleuniger und Synchrotronstrahlungsquellen, Teubner Studienbücher Physik, 1996. [3] DESY: TESLA Technical Design Report, Part II: The Accelerator, March 2001 [4] CERN: Cern Document Server (CDS), http://cdsweb.cern.ch/ 18