Jedes ADS ist anders – Besonderheiten in Diagnostik und Therapie

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Jedes ADS ist anders – Besonderheiten in Diagnostik und Therapie (M
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ä rz 2005) ADS/ADHS, Diagnose, Therapie, Elterntraining Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ • Vorstellung: • Dr. med. Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt und diplomierter Psychologe • ­ seit 1993 Arbeit in einer eigenen Praxis • ­ neben allgemeiner Kinder­ und Jugendmedizin Schwerpunkt Neuropädiatrie • ­ dadurch intensivere Beschäftigung mit der AD/HS seit jetzt 10 Jahren • Albert­Schweitzer­Str. 62 in 81735 München, Tel. 089 676197, Fax 089 6732739, E­Mail: WilliBaukhage@t­online.de Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ • Vorbemerkungen: • 1. Es ist mir eine besondere Ehre und Freude bei dieser Veranstaltung sprechen zu können. • 2. Bei der Aufmerksamkeitsdefizit­/Hyperaktivitätsstörung handelt es sich um ein Konzept, das im Bereich der Medizin entwickelt wurde. Ich möchte Sie bitten, konkurrierende eigene Konzepte für eine Stunde beiseite zu lassen und sich von mir in das Konzept AD/HS einführen zu lassen. • 3. Der Titel meines Vortrags lautet: „Jedes ADS ist anders – …“. Das ist eine richtige Aussage. Gleichfalls richtig ist aber auch das Gegenteil: „Jedes ADS ist gleich“. Ich will Ihnen erst das Wesen der AD/HS darstellen und danach die Differenzierungen. • 4. Ich werde Sie in der nächsten Stunde überhaupt nicht schonen, sondern Ihnen das AD/HS kompakt und trocken, ohne viel Fallbeispiele darstellen. Mein Vortrag wird sicher ein Prüfstein für Ihre Aufmerksamkeitsfähigkeit werden. • 5. Nicht alles, was ich Ihnen vortragen werde, ist offizielle Lehrmeinung. Alles was meine eigene Meinung wiedergibt, habe ich auf meinen Folien kursiv geschrieben. Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ • Gliederung: • 1. Was ist die AD/HS oder was ist bei allen Menschen mit AD/HS gleich? • 2. Die neurobiologischen Grundlagen der AD/HS • 3. Das Konzept von den Jägern und Sammlern • 4. Unterschiedliche Ausprägungsgrade und Unterarten der AD/HS • 5. AD/HS in den verschiedenen Altersstufen • 6. Folge­ und Begleitprobleme der AD/HS (Komorbidität) • 7. Wie stellt man die Diagnose „ AD/HS“ ? • 8. Die 3 Säulen der AD/HS­Behandlung: die Schwächen kompensieren, die Stärken „ ausnutzen“ , die medikamentöse Behandlung • 9. Was können PädagogInnen mit dem AD/HS­Konzept anfangen? • 10. Zusammenfassung Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ • 1. Was ist die AD/HS oder was ist bei allen Menschen mit AD/HS gleich? Hauptmerkmale der AD/HS: • Aufmerksamkeitsstörung (bei langsam sich entwickelnden Prozessen und Tätigkeiten), Konzentrationsschwäche, Ablenkbarkeit, Neu­ Gier, Schnell­gelangweilt­sein. • Impulsivität im Handeln und in den Gefühlsreaktionen • Hyperaktivität, die aber nicht in jeder Lebenslage und in jedem Lebensabschnitt in Erscheinung tritt ­ betroffene Erwachsene sind in der Mehrheit nicht mehr hyperaktiv. ­ Kinder sind dann nicht hyperaktiv, wenn sie (gerade) sozial gehemmt sind. • Fähigkeit zur Hyperfokussierung, zur Überkonzentration, zum „Versinken“ in einer Tätigkeit. Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ • 1. AD/HS: weitere negative Eigenschaften, Schwächen • sehr oft minimale cerebrale Dysfunktionsproblematik (Poltrigkeit, häufiges Anstoßen und Hinfallen bei schnellen, impulsiven Bewegungen, häufiges Umstoßen oder Fallenlassen von Gegenständen, schlechte Feinmotorik) • Eigenwilligkeit, Sturheit, Entwickeln von Marotten, von schlecht nachvollziehbaren Neigungen und Abneigungen usw. • chaotische Lebensführung (Unordnung, Vergesslichkeit, Unzuverlässigkeit usw.) • Wahrnehmungsverarbeitungsstörungen • überempfindliche Körperoberflächensensitivität (kitzlig) Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ • 1. AD/HS: weitere Eigenschaften, typische Stärken: • Fähigkeit zur „Hyperfokussierung“, zur „Überkonzentration“ • Hilfsbereitschaft und soziales Engagement • schnelle Orientierung in neuen Situationen • oft großer Ideenreichtum, Kreativität, Nonkonformität im Denken • Körperorientiertheit mit Vorliebe für rasche Bewegungen, oft recht sportlich (typisch für ADHS) • oft sehr gute Beobachtung (typisch für ADS) Jedes ADS ist anders ­ • 2. neurophysiologische Grundlagen der AD/HS „ Katecholaminhypothese
“ Katecholaminhypothese • 1937 hat Bradley zum ersten mal beschrieben, dass Psychostimulanzien bei der AD/HS sehr gut helfen. Da diese Medikamente die Wirkung einer Gruppe von Botenstoffen im Nervensystem steigern (der Katecholamine
Katecholamine , im ZNS: Noradrenalin und Dopamin), hat man schon fr
und Dopamin), hat man schon fr ü
ü h vermutet, dass bei der AD/HS Minderfunktionen in den Hirnarealen und ­­ funktionssystemen zu finden sein m
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ü ssten, die mit Noradrenalin und Dopamin als Botenstoffe (
Botenstoffe ( Neurotransmitter
Neurotransmitter ) arbeiten. • Mit vielen Methoden, ä
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ö ntgen, Labor) und neueren (Szintigraphie, Kernspintomographie, CT, funktionelle Kernspintomographie, SPECT, PET) hat man diese Vermutung inzwischen best
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ä tigt. Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ • 2. neurophysiologische Grundlagen der AD/HS Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ • 1.präfrontraler Kortex – die • • Vorstandsetage Exekutivfunktionen sind bei der AD/HS geschwächt: Setzen von Prioritäten, Selbstkontrolle und Überwachung komplexerer Handlungsabläufe, Zielsetzung und Überwachung der Zielverfolgung, Über­ Ich, Gewissen. Arbeitsgedächtnis funktioniert schlechter: in der Großhirnrinde des Stirnlappens und des Gyrus cingulus ist das Arbeitsgedächtnis angesiedelt. Bei der AD/HS scheinen weniger leicht Inhalte vom Arbeitsgedächtnis in das Langzeitgedächtnis überzugehen. Anmerkung: gerade bei AD/HS sehr motivationsabhängig. • • • 2.Striatum – eine Schaltzentrale als solche z.B. unentbehrlich zur Automatisierung von Verhaltensabläufen und für die Zuwendung und Aufrechterhaltung gezielter Aufmerksamkeit. vermittelt zwischen Stirnhirn und dem limbischen System, in dem unsere Gefühle „verwaltet“ werden. Damit wichtig für die „Beherrschung“ von Gefühlen, für Entstehung und Aufrechterhaltung von Motivation und Erleben von Belohnung Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ •2. neurophysiologische Grundlagen der AD/HS
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Stroop ­­ Test • schwarzrotgrüngelbblaurotschwarzgrüngelbrot • schwarzrotgrüngelbblaurotschwarzgrüngelbrot • schwarz
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gelb rot Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt Jedes ADS ist anders ­ • 2. Genetik der AD/HS • Familienuntersuchungen, Zwillingsuntersuchungen (Vergleich eineiiger mit zweieiigen Zwillingspaaren) und Untersuchungen an Adoptivkindern beweisen unzweifelhaft eine starke Vererbungskomponente bei der AD/HS (50 ­ >90%). • Die Grundlagen der AD/HS gelten als fast genauso stark genetisch festgelegt wie die K
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öß e. • Commings hat sich 2001 dadurch verdient gemacht, dass er die bisherigen Studienergebnisse zu speziellen Genver
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ö nnten, zusammengefasst hat. Danach denkt man heute, dass mindestens 13 Genver
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ä nderungen, wahrscheinlich deutlich mehr, eine Rolle spielen bei der genetischen Festlegung der AD/HS = Polygenie
Polygenie ­ Modell. • Vererbt bedeutet auch, man hat die Grundlagen zur AD/HS von Geburt bis zum Tod in sich. Schon daraus folgt, dass die AD/HS keine Kinderkrankheit ist! Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ • 3. Das Konzept von den Jägern und Sammlern • Thom Hartman ist der Erfinder der „ Jägertheorie“ . Danach sind • die Grundlagen der AD/HS angeboren als besondere Begabungsstruktur, die einen Menschen besonders dazu befähigt, ein Leben als Jäger und –ich möchte hinzufügen­ als Sammler und (Krieger) zu führen. • Offenheit für neue Reize, schnelle Orientierung, schnelle Entscheidung und schnelles Handeln und Ausdauer bei körperlichen Tätigkeiten sind wichtige positive Eigenschaften für einen Jäger und Sammler. Genau diese Eigenschaften sehen wir als typische Schwächen der AD/HS. Prozesse, die sich langsam entwickeln, bei denen nicht viele neue und kräftige Reize entstehen, liegen einem Jäger und Sammler nicht. • Der Begabungstyp, den Thom Hartman dem Jägertypen gegenüberstellt, ist der Farmer. Seine andere Begabungsstruktur bewirkt vor allem, das er sich mit langsam sich entwickelnden Prozessen gut und gerne beschäftigen kann . Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ • 3. Das Konzept von den Jägern und Sammlern • Daraus folgt, dass nicht die angeborene Begabungsstruktur die Störung ist. • Die AD/HS ist die typische Reaktion und das Erscheinungsbild eines Menschen mit Jägerbegabungsstruktur, der fast ständig Anforderungen unterworfen ist, die seine Schwächen ansprechen, insbesondere in den Lebensbereichen „Wissenserwerb“ und „Arbeit“ • und dessen Stärken im Alltag nicht besonders geachtet werden. • Bei den meisten – aber nicht allen – Berufstätigkeiten in unserer Gesellschaft kommt man besser zurecht, wenn man eine Farmerbegabungsstruktur hat. Insbesondere die Schule setzt fast völlig auf der Farmerbegabungsstruktur auf. Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ • 4. Unterschiedliche Ausprägungsgrade und Unterarten der AD/HS • Die Diagnose „AD/HS“ ist eine dimensionale, keine kategoriale. Bei der dimensionalen Diagnose gibt es immer ein mehr oder weniger im Ausprägungsgrad. Hier muss man sich auf eine Trennkriterium einigen. Nur wenn das überschritten ist, sieht man die Diagnose als gegeben an. • Das Trennkriterium bei der AD/HS wird meist intuitiv vom Diagnostizierenden festgelegt. Hier fließt seine Erfahrung ein. • Es gibt aber auch intersubjektive Trennkriterien. Hierbei handelt es sich um Fragebogen, die die Kernsymptome der AD/HS abfragen und quantifizieren. Ab einem bestimmten Punktwert hält man den Ausprägungsgrad für so hoch, dass man berechtigt ist die Diagnose zu stellen. • Ein wichtiges Problem bei den intersubjektiven Trennkriterien ist, dass man die Diagnose manchmal trotz Erfüllen des Trennkriteriums nicht stellen kann, nämlich dann wenn das Funktionsniveau des Patienten trotzdem nicht bedeutsam gestört ist. Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ • 4. Unterschiedliche Ausprägungsgrade und Unterarten der AD/HS • 1. AD/HS, Mischtyp aus Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität (DSM­IV: 314.01) oder „einfache hyperkinetische Störung“ (ICD­10: F90.0) • 2. AD/HS, vorwiegend hyperaktiv­impulsiver Typ (DSM­IV: 314.01) oder „hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens“ (ICD­10: F90.1) ( wie 1., aber mit aggressivem, oppositionellem, dissozialem Verhalten) • 3. AD/HS, vorwiegend unaufmerksamer Typ (DSM­IV: 314.00) oder sonstige Verhaltensstörung („Aufmerksamkeitsdefizitstörung ohne Hyperaktivität“ ) (ICD­10: F98.8) Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ • 4. Unterschiedliche Ausprägungsgrade und Unterarten der AD/HS • An dieser Stelle kann jetzt die Frage beantwortet werden, wie oft denn die AD/HS in der Bevölkerung vor kommt? Wie groß ist ihre Prävalenz? • Die Antwort auf diese einfache Frage ist aus 2 Gründen nicht einfach: 1. kommt es bei der dimensionalen Diagnose auf die Wahl des Trennkriteriums an und 2. macht es einen Unterschied, ob man nach der ICD­10 diagnostiziert (, die nur ADS mit Hyperaktivität kennt) oder nach der DSM­IV (die ADS mit und ohne Hyperaktivität erfasst). • Wenders (1995) und Trott (1993) geben an, dass 6 – 10 % aller Kinder von AD/HS betroffen sind (Jungen 3 bis 4 X so häufig wie Mädchen). • Huss (2003/4) fand für Deutschland in einer sehr sorgfältigen, repräsentativen Studie (nur ADHS!), dass 8,5 % unserer Kinder die typischen Merkmale aufweisen, aber ­ vor allem wegen einer mangelnden Störungsrelevanz bei einigen Kindern­ nur bei 3,9 % aller Kinder in Deutschland eine ADHS zu diagnostizieren ist. Dabei kommen 4,5 Jungen auf 1 Mädchen. • Bezieht man die Kinder mit AD/HS vom vorwiegend unaufmerksamen Typ (Tagträumervariante) mit ein, wird sich die Knabenwendigkeit relativieren. Die Prävalenz insgesamt muss dann auf 4,5 –7,5 % bei Anwendung der von Huss gewählten Diagnosestrategie und bei alleiniger Orientierung am Vorhandensein der Hauptmerkmale auf über 10 % geschätzt werden. Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ • 4. Unterschiedliche Ausprägungsgrade und Unterarten der AD/HS Erkl
Erkl ää rungsmodell f
rungsmodell f üü r die Entstehung der ADS ohne Hyperaktivit
Hyperaktivit ää t (ADS)
t (ADS) • ADS­ler ohne HA sind in irgendeiner Weise sozial gehemmt, in sozial fremder Umgebung oder gegenüber Respektspersonen zurückhaltend, abwartend, beobachtend. • Diese „ soziale Gehemmtheit“ oder „ soziale Unsicherheit“ ist ein zusätzliches, eigenständiges Problem (Komorbidität), das zunächst mit der AD/HS nichts zu tun hat, deren Erscheinungsbild aber deutlich verändert. • Die „ soziale Gehemmtheit“ unterdrückt in sozial fremder Umgebung und in Anwesenheit von „Respektspersonen“ die Hyperaktivität. Menschen mit dieser Eigenschaft erscheinen außerhalb ihrer vertrauten Umgebung besonders ruhig. • In sozial fremder Umgebung beobachten ADS­ler sehr genau. Wenn sie nichts Neues mehr entdecken können, schalten sie ab und ziehen sich in ihre eigene Gedankenwelt zurück, sie träumen am Tag. Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 4. Unterschiedliche Ausprägungsgrade und Unterarten der AD/HS Spezialprobleme der ADS ohne Hyperaktivit
Spezialprobleme der ADS ohne Hyperaktivit ää t (ADS) Die 4 Untergruppen der sozialen Hemmung: • Bei allen Kindern mit ADS ohne HA kann man Zeichen einer der 4 folgenden Eigenschaften finden, die jede für sich zu einer Hemmung im sozial fremder Umgebung führen: • 1. soziale Ängstlichkeit • 2. zu Ängsten allgemein neigend • 3. Kapriziosität (Prinzessinnen­ bzw. Prinzenverhalten) • 4. starke Bezogenheit auf die Dingwelt, starke Introversion Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 5. AD/HS in den verschiedenen Altersstufen: Säuglingsalter ­ Die nebenstehenden Probleme muss man als sichere Frühzeichen einer AD/HS ansehen auftreten ­ Aber: Viele Kinder, bei denen sich später eine AD/HS zeigt, sind aber ganz fröhliche, unproblematische Babys gewesen. ­ Solange Eltern von ihrem Baby begeistert sind, treten auch bei AD/HS­Anlage keine Probleme auf! ­ erst wenn der Grad an Impulsivität und Lebhaftigkeit beim Baby die elterliche Kompetenz übersteigt, kommt es zu nebenstehenden Problemen.
Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt Jedes ADS ist anders ­ 5. AD/HS in den verschiedenen Altersstufen: Kleinkindalter 1 • • • • • • • • • • • • bei ADHS: sobald eigenständige Fortbewegung möglich ist, sehr umtriebig: ständig in schneller Bewegung, an allem herumhantieren, oft waghalsig klettern Handlungswechsel schnell, häufig, unvorhersagbar Ausdauer gering bei Gruppenspielen Ausdauer bei Kleinstkindern gering beim freien Einzelspiel, mit zunehmenden Alter ausgesprochen hoch beim selbst bestimmten Spiel alleine Trotzreaktionen oft stark ausgeprägt, sehr eigenwillig reagieren vorschnell auf Anweisungen Bezugsperson (Mutter) soll möglichst ständig zuschauen und loben Sozialverhalten außerhalb der Familie impulsiv, d.h. unberechenbar, oft unbekümmert aggressiv Teilleistungsschwächen (Wahrnehmungsverarbeitungsstörungen, (grob­ und) feinmotorische Entwicklungsdefizite Neigung zu Unfällen und zu Verlorengehen Sprachentwicklung entweder akzeleriert (später „Quasselstrippen“) oder verzögert (aktiver Sprachgebrauch, nicht Sprachverständnis) Freundschaften oft nicht dauerhaft, abrupte, unerklärliche Beziehungsabbrüche Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 5. AD/HS in den verschiedenen Altersstufen: Kleinkindalter 2 • • • • • • • • • • • • • • bei ADS: schon im Kleinstkindalter Zeichen der sozialen Gehemmtheit: besonders starkes Fremdeln, der Mutter nicht von der Seite weichen Hyperaktivität in vertrauter Umgebung durchaus oft vorhanden oft Furcht vor oder kein Interesse an Fremden und Bekannten, Sozialverhalten außerhalb der Familie gehemmt. Eingewöhnungsprobleme in Gruppen, insbesondere im Kindergarten hören oft nicht zu sind zappelig Handlungswechsel phasenweise schnell, häufig, unvorhersagbar Teilnahmebereitschaft und Ausdauer gering bei Gruppenspielen Ausdauer schon bei Kleinstkindern oft hoch beim selbst bestimmten Spiel alleine ein Teil der Kinder zeigen oft stark ausgeprägte Trotzreaktionen, ist sehr eigenwillig, stur, dickköpfig ein anderer Teil schließt sich besonders eng der Bezugsperson (Mutter) an, wird nur sauer, wenn die nicht voll zur Verfügung steht, sonst gute Kooperation mit ihr (was sich auf LehrerIn übertragen kann) Teilleistungsschwächen (Wahrnehmungsverarbeitungsstörungen, grob­ und feinmotorische Entwicklungsdefizite, bis auf die kapriziösen oft unsportlich Sprachentwicklung entweder akzeleriert (später „Quasselstrippen“) oder verzögert (aktiver Sprachgebrauch, nicht Sprachverständnis), teilweise elektiver Mutismus Freundschaften keine oder wenige, oft nicht dauerhaft, schnell Beziehungsabbrüche • Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 5. AD/HS in den verschiedenen Altersstufen: Jugendalter Vorbemerkung: die Pubertät ist keine psychische Erkrankung! • • • • • • • • • • • • • bei 2/3 aller ADHS­ler verschwindet die Hyperaktivität mit der Pubertät. Es bleiben oft Rudimente bestehen in Form kleinerer Bewegungen am Platz (ständig begleitend mit Gegenständen hantieren, Nasebohren, an den Haaren zupfen, mit einem Bein wippen usw.) die Unaufmerksamkeit und das Schnell­gelangweilt­sein bleiben, können sogar zunehmen. Die Impulsivität bleibt und nimmt in der Pubertät sogar zu, später wieder ab ein Teil der AD/HS­ler „packt es“ plötzlich in der Pubertät, „zieht sich selber aus dem Sumpf“, lernt besser, wird ehrgeizig, manchmal sogar überengagiert Bei einem anderen Teil nehmen die Probleme zu: „Null­Bock­Haltung“, Leistungsverweigerung Oppositionell­aggressives Verhalten Stark vermindertes Selbstwertgefühl, das oft überkompensiert wird Entwicklung von Ängsten und Depressionen Neigung zu (Verkehrs­)Unfällen impulsives, risikoreiches Sexualverhalten, bei Mädchen Frühschwangerschaften ganz besondere Anfälligkeit fürs Rauchen!!!! Anfälligkeit für Alkohol­ und Drogenabusus Anfälligkeit fürs Abgleiten in Delinquenz Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 5. AD/HS in den verschiedenen Altersstufen: Erwachsenenalter
Was wird aus den Hauptsymptomen? ­ meist nicht mehr hyperaktiv, aber Neigung zu kleinen Bewegungen ­ weiter impulsiv (Impulsivität nimmt allerdings bei jedem Erwachsenen mit zunehmenden Alter ab.) ­ weiter in der Konzentration gestört bei „langweiligen“ Tätigkeiten. Alle nebenstehenden Probleme können auftreten. Es gibt aber auch viele Erwachsene mit einer Jäger­ und Sammlerbegabungsstruktur, die insgesamt recht glücklich und erfolgreich sind, auch wenn sie dieselben Grundzüge wie AD/HS­Erwachsene zeigen. Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt Jedes ADS ist anders ­ • 6. Folge­ und Begleitprobleme der AD/HS (Komorbidität) • • • • • • Insbesondere die beiden Möglichkeiten, dass aus der AD/HS weitere psychische Störungen entstehen können und dass es bei einer Person (unabhängig von der AD/HS) andere psychopathologische Erscheinungen geben kann, haben zur Folge, dass das ADS bei jedem anders ist. Gerade die Komorbidität macht die größten diagnostischen Probleme bei der Untersuchung auf AD/HS In Lehrbüchern und öffentlichen Stellungnahmen wird immer wieder davor gewarnt, die AD/HS mit anderen psychopathologischen Störungsbildern zu verwechseln. Diese Warnung ist natürlich sehr berechtigt. Es wird aber dadurch auch schnell der Eindruck erweckt, als könne man nur entweder AD/HS oder eine andere Störung haben. Im konkreten Fall geht es aber meist nicht um „entweder­oder“, sondern um „ sowohl ­ als auch“ oder um „erst X ­ dann auch Y dazu“ usw. In all diesen Fällen ist es wichtig, sich Rechenschaft darüber abzulegen, was denn das wichtigste Problem des Patienten ist, was ihn am meisten beeinträchtigt in seiner psychosozialen Funktionsfähigkeit. Wir wissen noch viel zu wenig über das genaue Zusammenspiel verschiedener psychopathologischer Störungsbilder mit der AD/HS. Wir kennen Korrelationen, statistische Zusammenhänge, viel mehr nicht. Ich glaube, dass man in Zukunft mit mehr Wissen über die Wechselwirkung verschiedener Störungsbilder, viele heute geltende Auffassungen über die Psychopathologie bei Kindern und Jugendlichen gerade auf dem Hintergrund des AD/HS­Konzepts wird neu formulieren müssen. Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 6. Folge­ und Begleitprobleme der AD/HS (Komorbidität) • Teilleistungsstörungen (insbesondere LRS und Dyskalkulie, Wahrnehmungsverarbeitungsstörungen) • Minderbegabung mit und ohne Verhaltensauffälligkeiten • Hochbegabung mit psychischen Folgeproblemen (Ich glaube, dass es Hochbegabte mit und ohne AD/HS gibt!) • soziale Deprivationsproblematik, Vernachlässigung, Misshandlung • „einfache“ soziale Störungen • depressive Reaktionen und Verstimmungen • Frühkindlicher Autismus und Asperger­Syndrom • Tic­Störung und Tourette­Syndrom • körperliche Erkrankungen, wie das fragile X­Syndrom, Sonderformen der Hyperthyreose, schwere Neurodermitis oder chronische Obstipation, Absenceepilepsie Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 7. Wie stellt man die Diagnose „ AD/HS“ ? • Die Diagnose „Aufmerksamkeitsdefizitstörung“ ist eine klinische Diagnose. • Es gibt keinen objektiven Test für die AD/HS! • Man schaut, ob bei einem Patienten die wichtigsten Eigenschaften einer AD/HS (Haupt­ und Nebenkriterien) und eine bedeutsame Ausprägung derselben zu finden sind. • Es geht nie nur um die Diagnose der AD/HS alleine, sondern immer um die ganze Situation des Kindes auch mit seinen Begleit­ und Folgestörungen zur AD/HS und mit seinen Stärken. Es geht immer um ein Gesamtbild vom Patienten!!! • Es darf nicht nur die Schule als typisches Konfliktfeld beachtet werden. Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 7. Wie stellt man die Diagnose „ AD/HS“ ? Die typischen Konflikt­ und Problemfelder bei der AD/HS • schulischer Leistungsbereich • soziale Einordnung in der Schule und anderen Bereichen • sozialer Kontakt zu Gleichaltrigen • innerfamiliärer Bereich und Alltagsbewältigung Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 7. Wie stellt man die Diagnose „ AD/HS“ ? • Man verschafft sich Klarheit über das Vorliegen der Haupt­ und der weiteren Eigenschaften der AD/HS und der sonstigen Situation des Patienten durch: • Befragung der Eltern, des Patienten und weiterer Personen • ­ im offenen Gespräch • ­ durch (halb­)standardisierte Interviews • ­ durch Fragebogen • ­ durch frei formulierte schriftliche Stellungnahmen, Schulzeugnisse • Untersuchung des Patienten • ­ neurologische Untersuchung • ­ psychiatrische Untersuchung • ­ körperliche Untersuchung • ­ Anwendung psychometrischer Tests • Verhaltensbeobachtungen am Patienten • ­ in freier Form während des Vorstellungstermins • ­ mit Videoaufzeichnungen Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 8. Die 3 Säulen der AD/HS­Behandlung Einige Vorbemerkungen: • Bei einer Störung wie der AD/HS gibt es immer zwei beteiligte Parteien: das Kind und seine Umwelt. Prinzipiell stehen nun 2 grundlegende Behandlungsansätze zur Verfügung: das Kind an seine Umwelt anpassen, damit es besser zurecht kommt und die Umwelt besser an das Kind anpassen, damit es in ihr besser lernen und leben kann. • Jedes Kind muss in seiner ganz speziellen Gesamtsituation behandelt werden. Bei einem mag eine Beratung ausreichen, bei einem anderen ist ein „Gesamthilfeplan“ notwendig. Die spezifische Behandlung der AD/HS gliedert sich für mich in 3 Bereiche: 1.seine Schwächen abmildern, kompensieren, 2. seine Stärken „ ausnutzen“ , 3. die medikamentöse Behandlung. • Ziel der Behandlung der AD/HS ist nicht, aus dem Jägertypen einen Farmertypen zu machen, sondern auch AD/HS­ler eine glückliche Kindheit haben zu lassen und ihnen zu helfen, glückliche und in den wichtigsten Lebensbereichen (Partnerschaft, Beruf, lebenslanger Wissenserwerb) erfolgreiche Erwachsene zu werden!! • „Gewonnen“ hat man immer dann, wenn man den AD/HS­ler in einen Lebenszusammenhang stellen kann, in dem er in seiner Art geachtet wird und er seine Begabungsstruktur Erfolg bringend einsetzen kann. Dann ist die Behandlung erfolgreich abgeschlossen! Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 8. Die 3 Säulen der AD/HS­Behandlung: 1. die Schwächen kompensieren • erzieherische und verhaltenstherapeutische Hilfen im Alltag • Lernhilfen aller Art • heilpädagogische Behandlung, Ergotherapie • Eltern als „Kotherapeuten“: Elterntraining, Erziehungsberatung, Erziehungshilfe • Verhaltenstherapie • Familientherapie • Tiefenpsychologisch orientierte Psychotherapie (insbesondere bei bedeutsamen Begleit­ oder Folgestörungen) Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 8. Die 3 Säulen der AD/HS­Behandlung: 2. die Stärken „ ausnutzen“ Vorbemerkung: dieser Punkt ist mir ganz besonders wichtig, weil Sie ihn mit dem selben Nachdruck in der AD/HS­Literatur sonst nicht finden können! • Wenn es uns nicht gelingt, an unseren Kindern mit AD/HS etwas Gutes zu finden, sie grundsätzlich in ihrer Art zu achten, sie zu mögen, arbeiten wir uns an ihnen auf und sie scheitern an uns. • Wir müssen uns genauso viele Gedanken darüber machen, wie wir die typischen und individuellen Stärken der AD/HS­Kinder in die Waagschale werfen können, wie wir sie uns über die Hilfen und Behandlungen zur Überwindung der Schwächen machen. Es muss eine Kultur des Einsatzes der Stärken in der Behandlung der AD/HS entstehen! • Einige Anregungen: Sport fördern; für das Kind interessante Familienunternehmungen; karitative Jugendgruppen; fest umrissene Bereiche definieren, in denen das Kind, die Verantwortung trägt, aber auch die Entscheidungsfreiheit hat; Teilnahme an Aktivitäten, die anderen helfen; Förderung von Hobbys und besonderen Talenten; Nachhilfe geben lassen, soziales Engagement in der Schule fördern usw. Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 8. Die 3 Säulen der AD/HS­Behandlung: 2. die Stärken „ ausnutzen“ Die Neigung bzw. Fähigkeit zur Hyperfokussierung als Stärke betrachtet: die 4 „ Standardsituationen“ , in denen sich AD/HS­ler immer gut konzentrieren und mit Ausdauer bei der Sache bleiben können: • bei allen Aktivitäten, die spannend sind, (Am besten ist, wenn sie auch mit Bewegung verbunden sind.) • bei allen Aktivitäten, die sie selber in ihrem Ablauf regulieren können, bei denen sie die Regeln festlegen, sie der Chef sind, (Alles, was man alleine macht, reguliert man sowieso selber.) • bei allen Dingen, die sie brennend interessieren, • in allen Situationen, in denen sie viel gelobt werden, sie viel Anerkennung und Bestätigung finden können. (Bemerkung: jeder Mensch braucht Lob und Anerkennung, der mit AD/HS braucht das ausdrücklich, laut und deutlich, und in einem engen zeitlichen Zusammenhang!) Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 8. Die 3 Säulen der AD/HS­Behandlung: 3. die medikamentöse Behandlung • 4 von 5 Kindern mit einer AD/HS profitieren sehr gut von einer medikamentösen Langzeittherapie mit einem Psychostimulanz (z.B. Methylphenidat (MPH) = Ritalin, Medikinet, Equasym, Concerta) oder einem Noradrenalinwiederaufnahmehemmer (Atomoxetin (AMX) = Stratera) • erreicht wird damit: • ­ Erhöhung der geistigen Wachheit und Reduktion des „Schnell­gelangweilt­ seins“ • ­ Reduktion der Reizoffenheit • ­ Abmilderung der Impulsivität • ­ größere motorische Ruhe • ­ Erniedrigung der Dopamin­Transporterdichte bzw. Herabsetzung der Wiederaufnahme von Noradrenalin (und Dopamin) in die Nervenzellen in bestimmten Hirnzentren • nicht erreicht wird damit: • • • • ­mehr Intelligenz ­mehr Bravheit ­„High­sein“ ­Glücklichsein Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 8. Die 3 Säulen der AD/HS­Behandlung: 3. die medikamentöse Behandlung Methylphenidat (MPH) • ist in den Präparaten Ritalin, Medikinet, Equasym, Methylphenidat ratiopharm (nicht retardiert) und in Concerta und Medikinet retard (retardiert, in Deutschland zugelassen) und Ritalin SR und Ritalin LA (retardiert, (bisher) in Deutschland nicht zugelassen) enthalten. • reduziert die Menge an Dopamintransportern. Das sind Eiweißstoffe in den Zellwänden der Nervenzellen im Bereich von Synapsen, die freies Dopamin im Interzellulärspalt (hier im intersynaptischen Spalt) an sich binden und in die Nervenzelle hineinschleusen. Je weniger Dopamintransporter vorhanden sind, des do mehr Dopaminmoleküle verbleiben im intersynaptischen Spalt und können hier eine Signalübertragung von einer Nervenzelle auf die nächste bewirken. Eine vermehrte Wirkung von Dopamin im Striatum und im Frontalhirn wird als der wichtigste Wirkmechanismus von MPH und den anderen Psychostimulanzien angesehen. Nach der Einnahme einer wirksamen Dosis (, die von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ist,) tritt die Wirkung nach 20 bis 60 Min. ein und endet bei einem nicht retardierten Präparat nach 2 ½ Stunden bei dem einem Individuum, nach 6 Stunden bei einem anderen, im Durchschnitt nach 3­4 Stunden. Danach ist man so wie man vorher war. Eine größere Minderheit (mein Schätzwert 35%) zeigt beim Abklingen der MPH­ Wirkung ein Reboundphänomen, macht eine Phase durch, in der die Betroffenen besonders unruhig und/oder aggressiv und/oder jammrig sind (durchschnittliche Dauer 30 Min). Eine längere Wirkung des MPH erreicht man durch die ein­ oder mehrmalige Nacheinnahme einer Dosis eines nicht retardierten Präparats oder durch die Einnahme eines Retardmedikaments. • • • • Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 8. Die 3 Säulen der AD/HS­Behandlung: 3. die medikamentöse Behandlung Atomoxetin (AMX) • ist im Präparat Stratera enthalten, das seit diesem Monat (März 2005) als zugelassenes Medikament in Deutschland zur Verfügung steht. • ist ein selektiver Noradrenalinwiederaufnahmehemmer, führt also dazu, dass aus dem intersynaptischen Spalt der Neurotransmitter Noradrenalin nicht wieder in die Nervenzelle aufgenommen wird und damit zur Signalübertragung länger zur Verfügung steht. Damit verbessert AMX die Funktion des „hinteren Aufmerksamkeitssystems“ und indirekt über eine Mitwirkung auf den Botenstoff Dopamin auch die Funktionen des Frontalhirns. • soll auf die Kernsymptome der AD/HS (Unaufmerksamkeit, Impulsivität, Hyperaktivität) vergleichbar stark wirken wie MPH. • wird streng nach Kilogramm Körpergewicht (0,5 mg / kg Kgw in der 1. Woche, dann 1,2 mg / kg Kgw als ständige Dosis) dosiert und einmal am Tag (oder 2 X) eingenommen. • Die Wirkung setzt schleichend ein und erreicht das Wirkmaximum erst nach 6­8 Wochen. Die Wirkung hält 24 Stunden am Tag an und länger. Mit Restwirkungen nach Absetzen muss über mehrere Tage gerechnet werden. • Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 8. Die 3 Säulen der AD/HS­Behandlung: 3. die medikamentöse Behandlung • • • • • • • • • mit den zur Verfügung stehenden Medikamenten kann man eine AD/HS sehr gut behandeln, aber die zu Grunde liegende Begabungsstruktur nicht „ ausheilen“ mit MPH und AMX kann man über eine längere Behandlungszeit ungünstige Eigenschaften des Kindes abmildern und ihm so Entwicklungschancen in den typischen AD/HS­Problembereichen eröffnen man hat inzwischen über 60 Jahre Erfahrungen mit der Behandlung mit MPH, ca. 2 Jahre mit AMX MPH ist hoch wirksam und erstaunlich arm an (nicht handhabbaren) Nebenwirkungen die Einnahme von MPH (oder von AMX) macht nicht süchtig erfolgreich mit MPH behandelte AD/HS­Kinder entwickeln als Erwachsene signifikant weniger psychiatrische Erkrankungen als unbehandelte AD/HS­ Kinder. Langzeitstudien für AMX liegen noch nicht vor. Negative Langzeitfolgen der MPH­Behandlung sind nicht bekannt (Ausnahme Wachstum ???) seltene Langzeitfolgeschäden sind prinzipiell möglich, bisher aber nicht erforscht, weil eben kein Verdacht in irgendeiner Richtung aufgekommen ist. Aus bestimmten theoretischen Überlegungen zum Hirnstoffwechsel heraus wurde vor einigen Jahren der Verdacht geäußert, eine lange Psychostimulanzienbehandlung könne die Entstehung der Parkinsonerkrankung im Alter begünstigen. Ob das richtig ist, weiß bis heute niemand. Aber dieser Verdacht kann jetzt wissenschaftlich untersucht werden. Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 8. Die AD/HS­Behandlung: andere Behandlungsansätze • Alle anderen Behandlungsansätze zur AD/HS sind entweder • ­ nachgewiesen unwirksam oder es gibt darüber • ­ nur „ Erfahrungswerte“, was bedeutet, dass es immer wieder Leute gibt, denen die eine spezielle Methode toll geholfen hat, es aber auch andere gibt, die von derselben völlig enttäuscht worden sind oder • ­ sie lassen sich unter einen der vorher angeführten 3 Behandlungskomplexe subsumieren. • fragwürdige bzw. nicht (gut) untersuchte Behandlungsansätze sind z. B.: Diäten (auch oligoallergene Diät nach Prof. Eggers), Nahrungsergänzungsmittel (z.B. Afa­Algen), Training der akustischen Wahrnehmung, Training der Koordination (z.B. mit Kinesiologie), Prismenbrille und damit Korrektur der Winkelfehlsichtigkeit, Behandlung der akustischen Wahrnehmungsstörung, Bachblüten, Homöopathie usw. Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 9. Was können PädagogInnen mit dem AD/HS­Konzept anfangen? • • • • • • Viele ihrer Problemkinder und wie sie „funktionieren“ (besser) verstehen. Sicher vorhersagen können, in welchen Situationen AD/HS­Kinder Probleme haben und dieses Wissen in die Unterrichtsgestaltung einbeziehen: z. B. Ablenkungsmöglichkeiten reduzieren, immer wieder in den Unterricht einbeziehen (besonders bei den Tagträumern wichtig), in der Kommunikation mit klaren, deutlichen, kräftigen Reizen arbeiten, klare Grenzen setzen und deren Einhaltung konsequent und schnell durchsetzen usw. Sicher vorhersagen können, in welchen Situationen AD/HS­Kinder gut zurechtkommen und dieses Wissen in die Unterrichtsgestaltung und den Schulalltag einbeziehen: z.B. Verantwortung an AD/HS­Kinder übertragen, sie anderen helfen lassen, das Wissen über die Fähigkeit zur Hyperfokussierung einsetzen: z.B. viel loben (, was aber unbedingt authentisch sein muss), größere Unterrichtsprojekte durchführen, die AD/HS­ler sich möglichst viel bewegen lassen usw. Es ist mir ein ganz besonderes Anliegen, hier vermittelt zu haben, dass AD/HS­ ler trotz ihrer „ Ecken und Kanten“ geachtet werden müssen und das sie das auch „ verdient“ haben. Was ich hier hinzufügen möchte ist: es lohnt sich für Sie selber, die positiven Seiten der Kinder mit AD/HS zu fokussieren. Die medikamentöse Behandlung als in das AD/HS­Konzept gut integriert verstehen und das Potential, das in dieser Behandlungsoption liegt, erkennen. Meine Bitte ist, diese Behandlung zu unterstützen durch Beobachtung der Auswirkung einer medikamentösen Behandlung und ggf. durch Erinnern an die Tabletteneinnahme. Noch ein Statement: eine einzelne „ Helfergruppe“ alleine wird das Problem „ AD/HS“ sicher nicht lösen können. Es braucht die Zusammenarbeit aller beteiligter Gruppen. ErzieherInnen und LehrerInnen aber auch HeilmittelerbringerInnen und PsychotherapeutInnen sind dabei völlig unverzichtbar! Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 10. Zusammenfassung • Drei Hauptkriterien der AD/HS: Aufmerksamkeitsstörung, Impulsivität, Hyperaktivität, als viertes Hyperfokussierung • Drei Untergruppen der AD/HS: Mischtyp oder einfache AD/HS, vorwiegend hyperaktiv­impulsiver Typ oder ADHS mit aggressiven Verhaltensstörungen, vorwiegend unaufmerksame Typ oder Tagträumervariante der AD/HS • Zur ADS ohne Hyperaktivität kommt es, wenn ein Kind sozial gehemmt ist • Prävalenz der ADHS in Deutschland 3,9%, aller Untertypen wahrscheinlich zwischen 4,5 und 7,5 % Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 10. Zusammenfassung • Die AD/HS ist eine genetisch begründete Störung bei der eine Minderfunktion der mit Dopamin und Noradrenalin als Botenstoffe arbeitenden Hirnareale insbesondere im Stirnhirnbereich • Angeboren ist eine bestimmte Begabungsstruktur, die Jäger­ und Sammlerstruktur, die dann als Störung in Erscheinung tritt, wenn der damit „ausgerüstete“ Mensch chronisch in den Bereichen seiner Schwächen gefordert wird • Die AD/HS deutet sich schon im Säuglingsalter an, zeigt in jedem Alter ein typisches, aber durchaus buntes Erscheinungsbild und besteht oft bis ins Erwachsenenalter fort. Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ 10. Zusammenfassung • Die Diagnose AD/HS ist eine klinische, eigentlich nicht schwer zu stellen, aber durch oft anzutreffende Komorbidität (z.B. Intelligenzminderung, (Hochbegabung), Depressivität, soziale Störungen, körperliche Erkrankungen) dann evtl. doch wieder recht kompliziert • Die Diagnose zielt nie nur auf das AD/HS sondern auf ein Gesamtbild von der psychosozialen Gesundheitssituation des Patienten ab. • Die nachgewiesen wirksamen, störungsspezifischen Behandlungsmöglichkeiten können in drei Bereiche eingeteilt werden: 1. die Schwächen kompensieren, 2. die Stärken „ausnutzen“ und 3.die medikamentöse Behandlung. • LehrerInnen, ErzieherInnen, HeilmittelerbringerInnen, PsychotherapeutInnen sind bei der Behandlung der AD/HS im Einzelfall und bei der Bewältigung der AD/HS als gesellschaftliches Problem unverzichtbar. Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
Jedes ADS ist anders ­ Politische Schlussbemerkung • eine so kinderarme Gesellschaft wie unsere kann es sich nicht leisten, einen Teil der nachwachsenden Generation „systematisch“ scheitern zu lassen. Mit dem heutigen Wissen über die AD/HS ist es durchaus möglich, betroffenen Kindern und Jugendlichen (und Erwachsenen) sehr gut zu helfen. Neben der Zusammenarbeit aller „Helfergruppen“ ist ein gesellschaftliches Umdenken notwendig. Die Jäger­ und Sammlertypen mehr achten, sie nicht nur in Actionfilmen und im Sport als Helden verehren, sondern sich ihr Begabungspotential als Gesellschaft in allen möglichen Lebensbereichen gezielt und ausdrücklich nutzbar zumachen und diesen Menschen damit das Los des ständigen Scheiterns und Ungenügendseins abzunehmen, halte ich für dringend notwendig! Dr. med. Diplompsychologe Carl Wilhelm Baukhage, Kinder­ und Jugendarzt
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