MedTech Radar Innovationen in der Medizintechnologie Ein Medienservice des Bundesverbandes Medizintechnologie, Earlybird Venture Capital und des High-Tech Gründerfonds über Innovationen in der Medizintechnik Ausgabe 1 - Dezember 2011 Schwerpunktthema: Innovationen im Kampf gegen den Herzinfarkt Executive Summary Der MedTech Radar soll anhand von Praxisbeispielen Einblicke in die Innovationswelt der MedTech-Branche geben. Er soll als Mediendienst Stärken und Schwächen analysieren und Hintergrundinformationen geben. Schwerpunktthema der ersten Ausgabe sind Innovationen gegen den Herzinfarkt. Was wenige wissen: nur 15 Prozent der Fälle sind auf eine schleichende Verengung der Arterien durch Gefäßkrankheiten zurückzuführen. 85 Prozent aller Herzinfarkte werden durch plötzliches Aufplatzen entzündlicher Fettablagerungen verursacht. Die Fallstudie der Cryotherapeutics GmbH zeigt, wie der Einsatz von Kälte gezielt zu therapeutischen Zwecken genutzt werden kann. Das Unternehmen aus Potsdam arbeitet an der Entwicklung eines -10 bis -20°C kalten Katheters, der in der Arterie die Entzündung mildert und ein Aufplatzen verhindert. „In Deutschland ist das Umfeld im Bereich Medizintechnik sehr gründerfreundlich“, so der englische Firmengründer Dr. John Yianni. MedTech Radar Editorial Der Medtech Radar dient dazu, Interessierten einen regelmäßigen Einblick in neue Entwicklungen der Innovationswelt der Medizintechnik zu gewähren. Anhand von Praxisbeispielen wird der komplexe Weg eines Medizinproduktes von der Forschung bis zum Einsatz beim Patienten gezeigt und verdeutlicht, welche entscheidende Rolle dabei die Innovationsförderung zum Wohle des Patienten spielt. Deutschland ist ein bewährter und qualitativ hochwertiger Standort für medizintechnische Entwicklungen. Neben der Industrie, die eigene Forschung betreibt und Produkte auf den Markt bringt, liefert die Forschung an den Universitäten Innovationen, die in der medizinischen Versorgung eine wichtige Rolle spielen. Doch für Innovationen ist der Weg von der Erfindung zum Markt ein langer und nicht immer einfacher. Begleiter auf diesem Weg eines Produktes von der Idee bis zum Patienten und gleichzeitig Urheber dieses Medtech Radars sind der High-Tech Gründerfonds, Earlybird Venture Capital und der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed). Der High-Tech Gründerfonds, eine Initiative des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi), der KfW und zwölf Industriepartnern, unterstützt junge Erfinder mit einer ersten Finanzierung und operativen Hilfestellungen, um Technologien mindestens bis zum Prototypen oder bis zur Markteinführung zu bringen. Im Anschluss an die sog. „Seedphase“ hilft ein Wagniskapitalgeber wie Earlybird Venture Capital Unternehmen dabei, über die Markreife hinaus zu wachsen und international zu skalieren. Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) vertritt als Wirtschaftsverband über 230 Industrie- und Handelsunternehmen der Medizintechnologiebranche. Im BVMed sind unter anderem die 20 weltweit größten Medizinproduktehersteller im Verbrauchsgüterbereich organisiert. Schwerpunktthema Erkrankung der Herzkranzgefäße Das Herz Die Lebenspumpe Herz – ein etwa faustgroßer Hohlmuskel – hält unseren Kreislauf in Schwung, indem sie Blut durch die Gefäße pumpt und so den Organismus mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Angetrieben durch die Leistung des Herzens durchfließt das Blut dabei über 100.000 Kilometer Blutkanäle – mehr als das Doppelte des Umfangs der Erde. Anatomisch ist das Herz in zwei Herzhälften geteilt, die wiederum jeweils aus einer Kammer und einem Vorhof bestehen. Vorhöfe und Kammern sind durch Herzklappen 2 MedTech Radar getrennt, durch die das Blut nur in eine Richtung fließen kann: Die Arterien transportieren sauerstoffreiches Blut vom Herzen zu den Organen, während die Venen sauerstoffarmes Blut von den Organen zum Herzen fließen lassen. In diesem Zyklus kreist das Blut jeden Tag über 1.400 Mal durch den Körper, und das idealerweise ein Leben lang – eine enorme Leistung, die bislang keine Maschine in gleicher Art und Weise erbringen kann. Das Herz ist eines der belastbarsten Organe des menschlichen Körpers. Wenn die Lebenspumpe jedoch nicht mehr richtig funktioniert, kann das für den Menschen sehr schnell lebensbedrohliche Folgen haben. So waren Herz-Kreislauf-Erkrankungen 2008 Grund für über 40 Prozent aller Sterbefälle in Deutschland. Hoffnungen für betroffene Patienten gibt es jedoch dank der modernen Medizintechnologie. In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat die medizinische Forschung bahnbrechende Innovationen hervorgebracht, die jährlich Hunderttausenden von Menschen das Leben retten. Krankheitsbild Koronare Herzkrankheit Um uns am Leben zu halten, muss der Herzmuskel von den Herzkranzgefäßen (medizinisch: Koronararterien) ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt werden. Die Gefäße tragen ihren Namen deshalb, da sie das Herz kranzförmig wie ein Netz von kleinen und größeren Blutgefäßen überziehen. Kommt es im System der Koronararterien zu Blockaden und dadurch zu einer Beeinträchtigung der Sauerstoffversorgung des Herzens, spricht man von einer koronaren Herzkrankheit (KHK), deren schwerwiegende Folgen häufig Herzschmerz (Angina Pectoris), Herzschwäche oder Herzinfarkt sind. Jedes Jahr versterben allein in Deutschland 340.000 Menschen an der Erkrankung. Die KHK gilt somit als Zivilisationskrankheit Nr. 1, noch weit vor Krebserkrankungen. Als Herzinfarkt wird das Absterben eines Teils des Herzmuskels auf Grund einer Durchblutungsstörung bezeichnet: Wenn seine Blutzufuhr komplett unterbrochen ist, beginnen Teile des Herzmuskels nach 15 bis 20 Minuten abzusterben. Neue Sicht: Herzinfarkt Arteriosklerose bezeichnet eine Erkrankung der Gefäßwand, bei der eine Verengung der Arterie durch Ablagerungen entsteht. Bis vor einigen Jahren gingen Mediziner davon aus, dass ein Herzinfarkt erfolgt, wenn ein längerer Krankheitsverlauf zu einem vollständigen Verschluss der Arterie führt. Forschungen der letzten 20 Jahren zeigen allerdings, dass nur rund 15 Prozent der Herzinfarkte auf diese langsame Verengung der Arterien zurückzuführen sind. Neuen Untersuchungen zufolge ist die Beschaffenheit der Ablagerungen das größere Problem: Die Zusammensetzung aus weißen Blutzellen und Lipiden (Fettzellen) ist entzündlich und kann plötzlich aufplatzen. In einer normalen Abwehrreaktion sorgt der Körper für Blutgerinnung, um die Wunde zu verschließen – und eben dieses Blutgerinnsel verstopft die Arterie und stoppt, wenn es groß genug ist, die Blutversorgung zum Herzen. Inzwischen werden 85 Prozent aller Herzinfarkte auf das plötzliche Aufplatzen der Fettablagerungen zurückgeführt. 3 MedTech Radar 4 Arteriosklerose vs entzündliche Fettablagerungen Während Arteriosklerose als Krankheit gilt, die insbesondere alte Menschen und Risikogruppen trifft, ist die Gruppe derer, die durch plötzliches Aufplatzen entzündlicher Fettablagerungen gefährdet sind, deutlich schwieriger zu identifizieren. Diese Gefäßerkrankung kann genetische Ursachen haben und wird durch falsche Ernährung und mangelnde Bewegung begünstigt, trifft aber oftmals Menschen, die bisher als gesund galten. Auch in den Behandlungsmethoden gibt es Unterschiede. Die altbekannte Arteriosklerose wird durch etablierte Verfahren behandelt, meist durch eine sogenannte Ballondilatation, bei der die verengten Gefäße mit Hilfe von kleinen Ballons wieder aufgedehnt werden. Das Verfahren nennt sich Perkutane Transluminale Coronare Angioplastie (PTCA) und wird deutschlandweit pro Jahr rund 270.000 Mal durchgeführt. Es hat allerdings den Nachteil, dass sich 30 bis 50 Prozent der so behandelten Gefäße nach spätestens sechs Monaten wieder verengen. Deshalb wird mittlerweile häufig ergänzend ein Stent – eine kleine Gefäßstütze aus einem Drahtgeflecht, die oft auch mit Medikamenten beschichtet ist – in das Gefäß implantiert, um einer erneuten Bildung von Engstellen (Restenose) vorzubeugen. Dieses Verfahren heißt Perkutane Koronarintervention (PCI). Entzündliche Ablagerungen sind aus zweierlei Sicht schwieriger zu behandeln. Zunächst gibt es kaum Methoden, um Betroffene zu identifizieren, so dass derzeit Patienten meist erst durch den Infarkt auffällig werden und auch dann erst behandelt werden können. Außerdem gibt es – abgesehen von Medikamenten, mit denen nur auf lange Sicht Erfolge erzielt werden können – keine Behandlungsverfahren. Die medizinische Forschung ist derzeit auf der Suche nach ad-hoc Lösungen, die den Zeitraum nach einem Herzinfarkt bis zum Anschlagen der Medikamente überbrücken. Fallstudie: Cryotherapeutics GmbH Ein Ansatz, Arterien-Innenwände (med.: Endothel) zu behandeln, ist die sogenannte Kryotherapie, also der gezielte Einsatz von Kälte zu therapeutischen Zwecken. Einer der Vorreiter auf diesem Gebiet ist die Cryotherapeutics GmbH aus Potsdam. Hier arbeitet man an der Entwicklung eines -10°C bis -20°C kalten Katheters, der in der Arterie die Entzündung mildert und ein Aufplatzen verhindert. In etwa so, wie man eine Prellung kühlt, um eine Schwellung zu vermeiden. Durch die mäßige Kälte wird das Endothel gestärkt, doch die Muskeln im Gefäß nicht beschädigt. Konkret sieht die Behandlung folgendermaßen aus: Der Katheter wird in der betroffenen Arterie an das entzündete Endothel geführt. An der Spitze des Katheters wird mit Hilfe eines Kühlmittels eine Temperatur zwischen -10°C und -20°C erzeugt. Die Zufuhr des Kühlmittels wird dabei durch Software gesteuert. Der Engländer Dr. John Yianni, Gründer der Cryotherapeutics GmbH, ist mit seinem Geschäftsmodell aus gutem Grund nach Deutschland gekommen: „In Deutschland ist das Umfeld im Bereich Medizintechnik sehr gründerfreundlich. Abgesehen von einem positiven Finanzierungsumfeld für junge innovative Unternehmen verfügt Deutschland über eine exzellente Infrastruktur in Bezug auf klinische Studien, sehr gutes technisches MedTech Radar Know-how und talentierte Arbeitskräfte. Die Voraussetzungen sind ideal, um Technologien auf höchstem Niveau zu entwickeln.“ Cryotherapeutics wird vom High-Tech Gründerfonds, US-Amerikanischen Investoren und der Investitionsbank Brandenburg unterstützt. Mit 1,2 Millionen Euro Finanzierung, die bisher geflossen sind, konnte das Unternehmen den Kryotherapie-Katheter entwickeln und in präklinischen Modellen erfolgreich testen. Es bedarf weiterer klinischer Versuche und weiteren 3 Millionen Euro Finanzierung, bevor das System an Herzinfarktpatienten testweise zum Einsatz kommen kann. Sobald die Versuchsphase abgeschlossen ist, soll das Produkt europaweit registriert und kommerzialisiert werden. „Die Produktzulassung wird die akute Versorgung von Herzinfarktpatienten deutlich verbessern. Ein weitaus größerer Durchbruch wird dann jedoch darin bestehen, die Therapie präventiv einsetzen zu können, also um Herzinfarkte zu verhindern.“, so John Yianni. „Hierzu sind aber auch im Bereich der Krankheitserkennung weitere Innovationen notwendig.“ Es darf also geforscht werden. Wenn das gut klappt, dann können die ersten Patienten in drei Jahren von dieser innovativen Therapie profitieren. Hintergrund und Service Experten zur Fallstudie Prof. Dr. med. Norbert Frey, med. Klinik Direktor der Klinik für Kardiologie & Angiologie, Christian Albrecht Universität zu Kiel, Tel. -49 - 431-597 1440, [email protected] Prof. Dr. Klaus Paulat, Fakultät Mechatronik und Medizintechnik, Fachhochschule Ulm, Tel. +49 - 731-50 28606, [email protected] Links zu weiterführenden Informationen Artikel in Scientific American Magazine, May 2002 "Atherosclerosis: The New View" A long-held idea about how atherosclerosis develops has been overturned, offering clues to fighting this deadly disease (By Peter Libby, May 4, 2002): http://www.bvmed.de/download.php?57650 Informationen der BVMed-Initiative "Maßstab Mensch" zu innovativen MedTech-Verfahren bei Herzerkrankungen: http://www.massstab-mensch.de/Medizintechnologien/Herz/article/Kunstherz.html MedTech-Branchenbericht: http://www.bvmed.de/branchenbericht 5 MedTech Radar Standort Deutschland: Exzellente Versorgung und perfekte Infrastruktur, allerdings Schwächen bei der Medtech-Erstattung Ergänzende Information aus der MedTech-Herbstbefragung, an der sich 117 BVMedMitgliedsunternehmen im Oktober 2011 beteiligt haben: Insgesamt wird dem Standort Deutschland von den Unternehmen der Medizintechnologie ein gutes Zeugnis ausgestellt. 60 Prozent der Teilnehmer sehen ein hohes Versorgungsniveau der Patienten. Als große Stärken werden weiterhin genannt: eine gute Infrastruktur (58 Prozent), die schnelle Marktzulassung (47 Prozent), gut ausgebildete Ärzte (44 Prozent) sowie ein hoher Standard der klinischen Forschung (42 Prozent). Schwächen sehen die Unternehmen im Erstattungsbereich. 59 Prozent beklagen den zunehmenden Preisdruck durch Einkaufsgemeinschaften, 52 Prozent ein insgesamt zu niedriges Erstattungsniveau in Deutschland. Knapp 50 Prozent der Unternehmen kritisieren eine innovationsfeindliche Politik der Krankenkassen. Ein immer wichtigerer Aspekt wird der zunehmende Fachkräftemangel. Mehr zur Umfrage unter: http://www.bvmed.de/stepone/data/downloads/8b/e0/00/4_schmitt.pdf Kontaktdaten der drei Redaktionspartner BVMed Manfred Beeres, Leiter Kommunikation/Presse Tel. +49 - 30 246 255-20, [email protected], www.bvmed.de Earlybird Christine Höfer Tel. +49 - 40 432941 0, [email protected], www.earlybird.com High-Tech Gründerfonds Stefanie Zillikens Tel. +49 - 228 82300107, [email protected] , www.htgf.de Impressum Verantwortlich für den Inhalt i.S.d.P.: BVMed - Bundesverband Medizintechnologie, Reinhardtstr. 29 b, 10117 Berlin Earlybird Venture Capital GmbH &Co KG, Van-der-Smissen-Str.3, 22767 Hamburg High-Tech Gründerfonds Management GmbH, Ludwig-Erhard-Allee 2, 53175 Bonn 6