„...am Ende will ich sicher sein können, dass meine Arbeit einen sozialen Gedanken hat“ (Christoph Schlingensief) Pressemitteilung, 29. Juni 2010 Auftakt der Arbeit am Deutschen Pavillon Susanne Gaensheimer stellt die Zusammenarbeit mit Christoph Schlingensief vor Anfang Mai verkündete das MMK Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main, dass Christoph Schlingensief die Einladung der Kommissarin des Deutschen Pavillons der 54. Venedig Biennale 2011, Dr. Susanne Gaensheimer, Direktorin am MMK, angenommen hat. Bei der Pressekonferenz zum Auftakt der Zusammenarbeit konnte Christoph Schlingensief krankheitsbedingt leider nicht anwesend sein. Susanne Gaensheimer kommentiert die geplante Zusammenarbeit: „Ausgangspunkt meiner Einladung an Christoph Schlingensief war die Überlegung, einen Künstler meiner Generation anzusprechen, der mit seiner Arbeit in repräsentativer Weise die künstlerischen, gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen der letzten Jahrzehnte der wiedervereinigten Bundesrepublik nicht nur begleitet, sondern maßgeblich mitbestimmt hat. Ich halte Christoph Schlingensief für einen der ganz bedeutenden Künstler dieses Landes, der immer vollkommen rückhaltlos, auch sich selbst gegenüber, seine Position geäußert und behauptet hat, in aller Deutlichkeit und Direktheit, die notwendig ist, um Zustände effektiv zu kommentieren und Diskussionen auszulösen.“ Christoph Schlingensief arbeitet seit den frühen 1980er Jahren mit einer Vielfalt von Medien. Er macht Filme, politische Aktionen, Theater, Kunstprojekte, Oper. Obwohl er sich ursprünglich dezidiert vom Erbe des sogenannten Neuen Deutschen Films freigeschwommen hat, sind auf vielerlei Ebenen die Vergleiche mit Rainer Werner Faßbinder naheliegend. Dabei ist es vor allem die Zusammenarbeit im Team, die im Film und am Theater üblich, in der bildenden Kunst dagegen immer noch ungewöhnlich ist, die seine Arbeit seit Jahrzehnten prägt. Das Arbeiten in verschiedenen Medien und Genres macht es unmöglich, Schlingensief eindeutig zu kategorisieren. Ein wesentlicher Aspekt seiner Arbeit ist im Gegenteil gerade die Überschreitung und Auflösung genrespezifischer Grenzen und vermeintlicher formaler und inhaltlicher Eindeutigkeiten. Das Werk von Schlingensief ist extrem komplex und es liegt in der Natur seiner Arbeit, dass sie sich in einem Zustand permanenter Selbstbefragung und Wandlung befindet. Schlingensiefs außergewöhnliche Risikobereitschaft, Radikalität und durchaus auch provokative Kraft ist allerdings immer auch mit einem ernsthaften Interesse an tatsächlicher gesellschaftlicher Relevanz und einer realen sozialen Dimension der künstlerischen Arbeit verbunden. Darin sieht die Kommissarin des Deutschen Pavillons die beiden zentralen Errungenschaften von Schlingensief: sein Beitrag zur Entgrenzung der Künste und zur Frage der gesellschaftlichen Relevanz von Kunst. „Für meine Entscheidung, Christoph Schlingensief nach Venedig einzuladen, gab letztendlich auch noch das Afrikaprojekt, das Operndorf in Ouagadougou, den Ausschlag“, so Susanne Gaensheimer. „Hier wird deutlich, dass Schlingensief nicht nur für die Kunst in Deutschland repräsentativ ist, sondern seine Fragestellungen in einen transnationalen, transkontinentalen Kontext stellt. Mit dem Festspielhaus in Afrika und seiner Kooperation mit den dortigen Partnern - allen voran Francis Kéré, der mit dem Aga-Khan-Preis ausgezeichnete Architekt des Operndorfes - und vor allem auch mit der Selbstreflektion des Projekts und der Thematisierung seines eigenen Scheiterns im aktuellen Theaterstück „Via Intolleranza II“, gelingt es Schlingensief, seine Analyse des „Deutschseins“ und die damit verbundenen Fragen in eine globale, transnationale Dimension zu übertragen: ‘Warum wollen wir ständig dem afrikanischen Kontinent helfen, obwohl wir uns selber nicht helfen können?’ fragt er. Bei der Zusammenarbeit mit Christoph Schlingensief im Deutschen Pavillon im nächsten Jahr, die durchaus auch eine Kontextverschiebung bedeutet, werden wir uns auf die spezifische Dynamik in Schlingensiefs Werk konzentrieren. Eine Entgrenzung der Kunst und eine Stärkung ihrer sozialen Dimension und gesellschaftlichen Relevanz sind heute dringlicher denn je”, erklärt sie. Die Ausstellung im Deutschen Pavillon entsteht im Auftrag des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland und wird realisiert in Zusammenarbeit mit dem Institut für Auslandsbeziehungen (ifa). Elke aus dem Moore, die Leiterin der Abteilung Kunst des ifa, über den Deutschen Pavillon: „Das Institut für Auslandsbeziehungen realisiert im Auftrag des Auswärtigen Amtes den Auftritt des Deutschen Pavillons in Venedig seit 1971. In enger Zusammenarbeit mit der Kuratorin Susannne Gaensheimer und ihrem Produktionsteam werden wir den Auftritt von Christoph Schlingensief organisatorisch und budgetverantwortlich begleiten. Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit. Als älteste Mittlerorganisation der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik der Bundesrepublik Deutschland steht der internationale Kunstaustausch im Zentrum unserer Arbeit. Vor diesem Hintergrund freue ich mich auf den Auftritt Christoph Schlingensiefs im Deutschen Pavillon und eine kritische, lebendige Auseinandersetzung zu Fragen der nationalen Identität und den Herausforderungen und Verschiebungen, die eine von den Folgen der Globalisierung geprägte Welt, mit sich bringt.“ Christoph Schlingensief hat gerade in München sein Projekt VIA INTOLLERANZA II abgeschlossen, das von der Aktionsoper „Intolleranza 1960“ des italienischen Komponisten Luigi Nono ausgeht und von Schlingensief als eine begleitende Forschungsarbeit zu seinem Operndorf-Projekt im westafrikanischen Burkina Faso gesehen wird. Christoph Schlingensief zu seiner Arbeit am Deutschen Pavillon: „Ich habe in vielen Bereichen gearbeitet, als Film-, Theater- und Opernregisseur, Produzent, Alleinunterhalter, Mensch, auch als kranker Mensch und Christ, auch als Politiker und Performer und ich habe mich auch immer für Künstler interessiert, die die Kunst fast zwanghaft betrieben haben, darin auch nicht unbedingt eine Unterscheidung zum Zwang des Leben-Müssens oder -Wollens gesehen haben. Eine Form von Schizophrenie war für meine Arbeit und mein Leben schon immer typisch. Wenn ich nur bei einer Sache wäre, würde ich mich langweilen, käme mein Kopf nicht in Fahrt. Ich muss zwischen der Musik und dem Bild, den Menschen und der Sprache, dem Gesunden und Kranken, dem Lustigen und Traurigen immer die Chance haben, auch das Gegenteil zu behaupten. An die Eindeutigkeit der Welt glaube ich nicht. Die Aufgabe den Deutschen Pavillon, einen verdächtigen Repräsentationsbau, nicht für repräsentative Zwecke, sondern für künstlerische Zwecke zu benutzen, ist da genau das Richtige: eine schwere Last, aber Kunst macht leicht, was sonst schwer ist. Vielleicht ist das aber gerade das Gute daran. Ich liebe jedenfalls Risse und Gegensätze und in den nächsten Monaten werde ich herausfinden, welche Gegensätze für Venedig, den Deutschen Pavillon und Burkina Faso am produktivsten sind“, kommentiert er. MMK MUSEUM FÜR MODERNE KUNST FRANKFURT AM MAIN Christina Henneke Pressesprecherin Domstr. 10, 60311 Frankfurt/Main, Germany Tel.0049 (0)69 212 37761 oder 0049 (0)69 212 35844 Fax.0049 (0)69 212 37882 E-Mail: [email protected] Pressefotos finden Sie unter www.mmk-frankfurt.de