Fokus Frankreich (2/2): Wer wird die Präsidentschaftswahl gewinnen?

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Fokus Frankreich (2/2): Wer wird die
Präsidentschaftswahl gewinnen?
In Frankreich steht am 23. April der erste Wahlgang zur Präsidentschaftswahl an.
Selten hat die Wahl eines europäischen Staatspräsidenten die Finanzmärkte und die
Analysten so sehr beschäftigt und zugleich verängstigt. In jedem Fall ist diese Wahl
aber insofern bemerkenswert, als den Kandidaten der beiden großen Parteien kaum
noch Chancen auf einen Wahlsieg zugerechnet werden. Über die Gründe dafür haben
wir im Fokus in der letzten Woche berichtet. In dieser Woche soll es um die Frage
gehen, wie die Präsidentschaftswahl in Frankreich funktioniert, welche Kandidaten
zur Auswahl stehen, was die Umfragen bisher zeigen und was ein Wahlsieg der
jeweiligen Kandidaten für Auswirkungen hätte.
Patrick Harms
Telefon: 040-3333-15207
Kasten: Zentrale
Programmpunkte der
Kandidaten
Emmanuel Macron („En marche
!“)
- Lohnverhandlungen stärker auf
Unternehmensebene als mit Verbänden
und Gewerkschaften
- Reform des Bildungssystems, Stärkung
des „dualen“ Elements
- Anhebung der allgemeinen
Sozialversicherungsabgabe (auch auf
Kapitalerträge, Renten etc.) zur
Stärkung niedriger Nettoeinkommen
- Eigenes Budget der Eurozone für mehr
öffentliche Investitionen
- Reduzierung der Abgeordnetenanzahl
um 1/3
Marine Le Pen (Front National)
- Nationale Souveränität (vor allem:
Geldpolitik, Finanzpolitik und
Einwanderungspolitik)
- Austritt aus dem Euro
- Protektionismus (3 % Zoll auf alle
importierten Güter)
- Sofortiger Einwanderungsstopp
(Maximum: 10.000 pro Jahr)
- Austritt aus der NATO
Francois Fillon (Les
Républicains)
- Steuersenkungen für Unternehmen
- Abschaffung der Vermögenssteuer
- Erhöhung der Mehrwertsteuer
- Weniger Arbeitslosengeld, Struktur
nach dem Vorbild Deutschlands
- Gemeinsame Verteidigungspolitik in
Europa und höhere Militärausgaben
Das Wahlsystem und Lehren aus der Geschichte
Bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich gilt das Mehrheitswahlrecht mit Stichwahl
in zwei Wahlgängen. Erreicht keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang eine
absolute Mehrheit – der Regelfall – kommt es zu einer Stichwahl zwischen den beiden
Kandidaten mit den meisten Stimmen. Im ersten Wahlgang treten dabei Kandidaten
von quasi allen Parteien gegeneinander an, bei dieser Wahl sind es 11. Derzeit haben
vor allem drei Kandidaten ernsthafte Chancen, in den zweiten Wahlgang zu kommen:
Der unabhängige Kandidat und ehemalige Wirtschaftsminister Emmanuel Macron
mit seiner linksliberalen Bewegung „En Marche !“, die erst im letzten Jahr gegründet
wurde, Marine Le Pen vom rechtspopulistischen Front National (FN) und der
konservative François Fillon, der sich überraschenderweise bei den Vorwahlen seiner
Partei „Les Républicains“ gegen die Favoriten Nicolas Sarkozy und Alain Juppé
durchsetzte. Der Kommunist Jean-Luc Mélenchon und der Kandidat der Parti
Socialiste (PS) Benoît Hamon liegen in den Umfragen deutlich hinter den anderen
Kandidaten. Dass Hamon als Kandidat der PS keinerlei Chancen auf einen Wahlsieg
eingeräumt werden ist insofern bemerkenswert, als es in den allermeisten Fällen die
Kandidaten der beiden großen Parteien waren, die sich für den zweiten Wahlgang
qualifizierten. In der Geschichte der Fünften Republik schaffte es ein Kandidat der
politischen Ränder erst einmal in den zweiten Wahlgang einer Präsidentschaftswahl,
nämlich Jean-Marie Le Pen (Marine Le Pens Vater) bei der Wahl 2002. Damals
Jean-Luc Mélenchon (La France
gewann Jacques Chirac die Stichwahl mit mehr als 80 % der Stimmen, da sich alle
insoumise)
Quelle:
Bloomberg, HSH Nordbank
- Steuermehreinnahmen (bis zu 90 %
übrigen Kandidaten gegen Le Pen und damit für Chirac aussprachen.
Bei Regional- und Parlamentswahlen sind die Erfahrungen mit Kandidaten des FN im
zweiten Wahlgang größer, denn auch dort existiert ein leicht abgeändertes
Mehrheitswahlrecht. Nicht die beiden stärksten Kandidaten des ersten Wahlgangs
qualifizieren sich, sondern alle, die mehr als 12,5 % der Stimmen auf sich vereinigen,
im zweiten Wahlgang gewinnt dann die relative Mehrheit. So erreichte der Front
National bei den Parlamentswahlen im Jahr 2012 13,6 % der Stimmen im ersten
Wahlgang, wohingegen die Partei nach dem zweiten Wahlgang nur zwei Sitze erhielt,
was 0,35 % entspricht. Die PS erhielt im ersten Wahlgang 29,35 % der Stimmen,
stellte allerdings 48,5 % der Parlamentarier. Bei den Regionalwahlen im Dezember
2015 – nur wenige Wochen nach den Terroranschlägen von Paris am 13. November –
erzielten die Kandidaten des FN insgesamt knapp 28 % der Stimmen im ersten
Wahlgang, also einen ähnlichen Wert, wie er Le Pen laut Umfragen im ersten
Wahlgang für die Präsidentschaftswahl zugeschrieben wird. In keiner der 18 Regionen
aber gewann ein Kandidat der Rechtspopulisten die Regionalpräsidentschaft, auch
Marine Le Pen nicht, die in der FN-Hochburg im Norden Frankreichs kandidierte.
Einkommenssteuer) von beinahe 200
Milliarden Euro
- Rücknahme der Arbeitsmarktreformen
von 2016 („Loi El Khomri“)
- Gegen die Unabhängigkeit der
Geldpolitik (notfalls Austritt aus dem
Euro)
- Deutliche Anhebung des
Mindestlohnes
- Austritt aus der NATO
Benoît Hamon (Parti Socialiste)
- Einführung eines bedingungslosen
Grundeinkommens
- Besteuerung von Robotern
- Für ein Eurozonenbudget mit einem
Parlament für die Eurozone
- Organisation einer Abstimmung über
eine neue Verfassung für eine 6.
Republik
Der Grund dafür ist, dass in vielen Fällen die großen Parteien nur den Kandidaten
mit der besseren Aussicht auf einen Wahlsieg im zweiten Wahlgang kandidieren
lassen und so nur zwei Kandidaten im zweiten Wahlgang antreten.
Die Programme der Kandidaten und deren Auswirkungen
Die oben genannten Kandidaten unterscheiden sich vor allem in ihren
wirtschaftspolitischen Programmen teilweise drastisch. Der Kasten auf der rechten Seite rechts fasst diese
Positionen zusammen.
Die Präsidentschaft beider Kandidaten würde einem Erdbeben gleich kommen. Beide Umfragen im ersten Wahlgang (grau: Le Pen,
blau: Macron, rot: Fillon)
befürworten, Frankreich aus den internatio nalen Institutionen (Nato, Euro)
zurückzuziehen. Der ökonomische Schock, den etwa der Austritt aus dem Euro für die 29
französische Wirtschaft bedeuten würde, ist schwer zu quantifizieren. Ökonomische
27
Unsicherheit und Inflation wären die wahrscheinlichsten Folgen. Darüber hinaus
wird Marine Le Pens protektionistische Wirtschaftspolitik die französische Wirtschaft 25
noch weniger dynamisch machen als ohnehin und ihr islamfeindlicher Kurs die
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Gräben in der französischen Gesellschaft weiter vertiefen. Benoît Hamon, der
Kandidat der PS, die gegenwärtig die Regierung stellt, tritt innenpolitisch mit einem
21
stramm linken Programm an. Allerdings sind seine außenpolitischen Vorstellungen
19
eher gemäßigt. Ein gemeinsames Budget für die Eurozone, das demokratisch von
einem gemeinsamen Parlament oder einer zweiten Kammer im EU-Parlament
17
verwaltet wird, ist ein interessanter und fortschrittlicher Vorschlag. Mit dieser Idee
tritt auch der unabhängige Kandidat Emmanuel Macron an. Sein Programm zielt auf 15
1.2
15.2
1.3
15.3
29.3
die Modernisierung der Gesellschaft, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes
insbesondere um jungen Leuten bessere Chancen zu geben und eine auf Kooperation
Umfragen im zweiten Wahlgang
setzende Außenpolitik. François Fillon kandidiert hingegen mit einem klassischen
(Durchschnitte der letzten 45 Umfragen)
Programm der gemäßigten Rechten: Wirtschaftsliberale Reformen gepaart mit
konservativen Werten.
Vergleicht man Macron und Fillon, erscheinen die Maßnahmen von Fillon deutlich
einschneidender und erinnern eindeutig an die Wirtschaftspolitik Ronald Reagans
und Margret Thatchers. Macron hingegen setzt weniger auf eine radikale
Verschlankungskur des Staates, dafür stärker auf die Modernisierung der
Institutionen. Der sozialpolitische Kahlschlag, der Fillon teilweise unterstellt wird,
könnte Frankreich zwar langfristig auf die Beine helfen, müsste aber mit
Widerständen der Gewerkschaften rechnen, die das Land noch nicht erlebt hat. Auch
Macron wird es schwer haben, all seine Versprechen umzusetzen, aber sein weniger
einseitiges Programm und die Aufbruchsstimmung, die sein Wahlsieg verbreiten
könnte, lassen die Chancen auf eine tatsächliche Reformbewegung deutlich höher
aussehen.
70
60
50
40
30
20
10
0
Macron
Le Pen
Die Umfragen
Wahrscheinlichkeiten für den Wahlsieg der
Vor allem nach der Wahl Donald Trumps wurden die Ängste vor einem Wahlsieg von Präsidentschaftswahl abgeleitet aus
Marine Le Pen immer größer. Dazu passte lange Zeit die Schlagzeile, dass sie die
Wettquoten (Oddschecker) (grau: Le Pen,
Umfragen des ersten Wahlgangs anführte. Dies ist nicht mehr ganz so eindeutig wie blau: Macron, rot: Fillon)
die obere Grafik auf der rechten Seite es anzeigt. In den aggregierten Umfragen
80
(Grafik) sind Macron und Le Pen gleichauf und in den letzten sieben von acht
70
Umfragen lag der unabhängige Kandidat Emmanuel Macron vorne. Fillon wird von
den beiden gegenwärtig mit einer komfortablen Marge von 6-8 % auf Distanz
60
gehalten. Sollten sich tatsächlich Macron und Le Pen für den zweiten Wahlgang
50
qualifizieren (zweite Grafik), würde Macron Le Pen laut Umfragen mit einem
Vorsprung von knapp 25 Prozentpunkten schlagen. Im Endergebnis ist die aus
40
Wettquoten abgeleitete Wahrscheinlichkeit für einen Wahlsieg Emmanuel Macrons
30
in den letzten beiden Monaten deutlich angestiegen, was ihn zum eindeutigen
Favoriten macht. Francois Fillon war mit großer Euphorie gestartet, stolperte aber
20
über die Beschäftigungsaffäre seiner Frau. Marine Le Pen hält sich bei etwa 25 %, was
10
laut Soziologen und Politikwissenschaftlern in etwa ihrem „Wählerpotential“
entspricht. Emmanuel Macron wäre damit der erste Präsident, der nicht einer der
0
20.1
3.2
17.2
3.3
17.3
31.3
beiden großen Parteien angehört (eine kleine Ausnahme war Valery Giscard
d’Estaing, dessen zentristische Partei später aber oft mit den Konservativen
Quelle: Bloomberg, HSH Nordbank
kooperierte, die Nachfolgepartei MoDem unterstützt Macron). Für ihn wird es
allerdings schwer werden, bei den Parlamentswahlen am 11. und 18. Juni eine eigene
Mehrheit zu erringen. Er erhält aber die Unterstützung von sowohl sozialistischen als
auch konservativen Abgeordneten.
Das wahrscheinlichste Ergebnis der beiden Wahlen ist aus unserer Sicht ein Sieg von
Emmanuel Macron bei den Präsidentschaftswahlen und ein unklares
Mehrheitsverhältnis bei der Parlamentswahl. Dies wird die Bildung einer stabilen
Regierungsmehrheit schwer machen – gegebenenfalls ist eine auf Konsens ausgerichtete
Regierungsmannschaft mit wechselnden Parlamentsmehrheiten die realistischste
Option.
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