Schlaf ist die beste Medizin

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nzz
25.02.09
Nr. 46
Seite 11
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Teil 01
Schlaf ist die beste Medizin
Ein tatkräftiges Immunsystem dank ausgedehnter Nachtruhe
Der Schlaf und die Immunabwehr sind
zwei lebenswichtige Funktionen, die sich
gegenseitig beeinflussen. Dies, weil einige
Botenstoffe in die Regulationsprozesse
beider Systeme eingreifen.
Schlafmangel macht mürbe – der Kopf schmerzt,
und die Konzentrationsfähigkeit sinkt. Auch die
Körperabwehr geht nach einer durchwachten
Nacht in die Knie; darauf weisen verschiedene
Studien der letzten Jahre hin. Der Psychologe
Sheldon Cohen und andere Wissenschafter von
der Carnegie Mellon University in Pittsburgh,
USA, haben nun erstmals gezeigt, dass schon
relativ geringe Störungen des Schlafs die Widerstandskraft des Körpers gegenüber einer Virusattacke schmälern können.1
Erkältungsviren in die Nase geträufelt
Die Forscher hatten rund 150 gesunden Testpersonen, die vorab nach ihren Schlafgewohnheiten befragt worden waren, Erkältungsviren in
die Nase geträufelt. Diejenigen Personen, die
gewohnheitsmässig weniger als sieben Stunden
pro Tag schliefen, erkrankten danach rund dreimal häufiger an einem Schnupfen als ausdauernde Schläfer. Bei Probanden mit niedriger
«Schlafeffizienz», Personen also, die schwer einschlafen konnten oder nachts häufig aufwachten,
war das Erkrankungsrisiko sogar um den Faktor
fünf erhöht.
Dieses Experiment legt nahe, dass das Immunsystem bei ausreichender Nachtruhe am effektivsten gegen die Viren vorgehen kann. Aber warum
und wie beeinflusst der Schlaf die Körperabwehr?
Möglicherweise nutzt das energieintensive Immunsystem die nächtliche Ruhephase, wenn andere Körperprozesse heruntergefahren sind, zum
«Auftanken» – etwa um den hohen Verschleiss an
weissen Blutzellen wieder auszugleichen. Diese
Ansicht vertritt Brian Preston vom Max-PlanckInstitut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.2 Zusammen mit anderen Forschern verglich
er kürzlich die Schlafdauer von 26 Säugetierarten
und deren Anfälligkeit für Parasiten. Das Resultat: Je länger die Tiere täglich schliefen – die Zeit
variierte bei den untersuchten Arten zwischen 3
und 20 Stunden –, desto mehr weisse Blutkörperchen fanden sich im Blut, und umso besser waren
sie gegen Parasiten geschützt. Im Laufe der Entwicklungsgeschichte habe es sich, so die Erklärung der Leipziger Forscher, für manche Arten
offenbar gelohnt, trotz Einbussen bei der Nahrungsaufnahme und zeitweiliger Wehrlosigkeit, in
einen ausgedehnten Schlaf und damit ein starkes
Immunsystem zu investieren.
Dass Schlaf gut für die Immunabwehr sei, sei
unbestritten, sagt auch Thomas Bollinger vom
Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universität Lübeck. Nur über welche
Mechanismen dieser Einfluss erfolge, sei eine
komplizierte und zum Teil noch unverstandene
Angelegenheit. In der Hansestadt läuft seit vielen
Jahren ein grosses Forschungsprojekt, das sich
mit der Bedeutung des Schlafs für die Gedächtnisbildung, den Stoffwechsel und das Immunsystem beschäftigt. Die Lübecker Forscher fanden zum Beispiel schon heraus, dass die Immunantwort auf eine Hepatitis-Impfung schlechter
ausfällt, wenn die Testpersonen in der Nacht nach
der Impfung nicht schlafen.
Eine mögliche Erklärung dafür liefert Bollinger mit einer neuen Studie: Bei Personen, die vom
Schlafen abgehalten wurden, verringerte sich im
Experiment die Vermehrungsfreudigkeit jener
Abwehrzellen (T-Helfer-Zellen), die für das Starten einer Antikörperantwort gegen Viren unerlässlich sind.3 Ausserdem bringe ein Schlafmangel
die natürlichen Schwankungen im Auftreten von
Immunzellen durcheinander, berichtet Bollinger.
So tauchten die meisten von ihnen normalerweise
nachts vermehrt und aktionsfreudiger im Blut auf
als tagsüber. Einen solchen Rhythmus konnten
die Lübecker jetzt auch bei den sogenannten
regulatorischen T-Zellen nachweisen, die als
Wächter eine Abwehrreaktion gegen körpereigenes Gewebe verhindern helfen.
Nicht alles spielt sich im Blut ab
Allerdings sagen diese Messungen nicht viel über
die Stärke der Körperabwehr zu einer bestimmten Tageszeit aus. Denn wesentliche Aktivierungsschritte spielen sich bei einer Immunantwort nicht im Blut ab, sondern in den Schaltzentralen der Abwehr, den Lymphknoten. Dennoch bilden die natürlichen Schwankungen der
Immunzellverteilung im Körper offenbar einen
wichtigen Baustein für eine gut funktionierende
Immunabwehr.
Massgeblich mitbeteiligt an der engen Verquickung von Schlaf und Immunsystem ist wohl die
Tatsache, dass die beteiligten Zellarten – Nervenund Immunzellen – teilweise die gleiche «Sprache» sprechen, also über dieselben Botenstoffe
kommunizieren. Das führt nicht nur dazu, dass
der Schlaf die Körperabwehr beeinflusst. Auch
die Aktivität des Immunsystems wirkt sich auf
das Schlafverhalten aus. Das dürfte jedem aus
eigener Erfahrung gut bekannt sein: Bei einem
Infekt stellt sich rasch der Drang ein, das Bett aufzusuchen und sich gesund zu schlafen, was den
Genesungsprozess zweifellos unterstützt. Das gesteigerte Schlafbedürfnis dürfte an verschiedenen
Signalstoffen (Zytokine) liegen, die die Immunabwehr in die richtige Richtung dirigieren. Von
rund 20 dieser Zytokine ist bekannt, dass sie auch
Auswirkungen auf den Schlaf haben. Dazu gehört
etwa der sogenannte Tumornekrosefaktor, der zu
Beginn einer Infektion in grossen Mengen produziert wird und müde macht, weil er direkt auf das
Schlafzentrum wirkt.
Auch im Gehirn werden Faktoren produziert,
die die Aktivität von Immunzellen beeinflussen.
Dazu gehören etwa die Hormone der Hirnanhangdrüse wie das Prolaktin und das Wachstumshormon, die in einem schlafabhängigen
Rhythmus ins Blut ausgeschüttet werden. Durch
diese Schwankungen ändert sich das Milieu, in
dem sich die Abwehrzellen bewegen. Es sei daher
kein Wunder, erklärt Bollinger, dass sich die
Immunzellen am Tag anders verhielten als nachts.
Würden die natürlichen Hormonschwankungen
durch Schlafmangel durcheinandergebracht, leide auch die Immunabwehr.
Betrachtet man den Schlaf als notwendigen
Bestandteil der Körperabwehr, könnte das laut
Experten in Zukunft auch Folgen für die ärztliche
Impfpraxis haben. Denn möglicherweise wäre es
sinnvoll, Impfungen zu bestimmten Tageszeiten
durchzuführen oder nach einer Immunisierung
ausgedehnt zu schlafen. Zudem werden sich künftig alle fragen müssen, ob sie nicht für einmal auf
den Spätfilm verzichten sollten – aus Rücksicht
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25.02.09
Nr. 46
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Teil 02
auf die ruhebedürftige Immunabwehr.
Ulrike Gebhardt
1
Archives of Internal Medicine 169, 62–67 (2009); 2 BMC Evolutionary Biology, Online-Publikation vom 9. Januar 2009
(doi:10.1186/1471-2148-9-7); 3 Clinical and Experimental Immunology 155, 231–238 (2009).
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