Hirnforschung Langzeitgedächtnis Dem Lernen auf der Spur Faszinierende Erkenntnisse: Forscher verstehen immer besser, wie das Gedächtnis funktioniert – und wie die grauen Zellen auch bis ins hohe Alter fit bleiben s wiegt nur 1,3 Kilo, hat auf einer Handfläche Platz und ist doch das komplexeste, materielle System der Welt: Das menschliche Gehirn. Es ist die Schaltzentrale im Kopf, steuert Denken und Handeln, speichert das Wissen, das wir im Laufe unseres Lebens erwerben. Bei jedem Gedanken sind verschiedene Regionen im Gehirn aktiv, lösen dabei das Feuerwerk E Ente, die hinter einem Geparden herläuft. Denn jede einzelne Gehirnzelle leistet bereits so viel wie ein durchschnittlicher PC-Prozessor. Sind wir geistig aktiv, funken die verknüpften Zellen miteinander. Die Kontakte zwischen ihnen laufen parallel ab, sodass es zu millionenfachen Funkverbindungen gleichzeitig kommt. Natürlich neugierig. Leider bedeutet das nicht, dass wir schneller rechnen und uns mehr merken „Löst das Gehirn ein Problem, belohnt es sich selbst für seine gute Leistung“ Dr. Holger Schulze, Neurobiologe einer gigantischen Maschinerie aus. Der deutsche Neurologe Korbinian Brodmann (1868 – 1918) schuf schon vor 100 Jahren ein Bild, das diesen Vorgang verdeutlicht. Er verglich das Gehirn mit einem Orchester. Denken wir an eine Erdbeere, gleichen die Prozesse im Gehirn einer perfekten Sinfonie. Form, Farbe, Geruch und Geschmack werden aus unterschiedlichen Arealen zu einem Kunstwerk zusammengestellt. Wie und wer das Orchester dirigiert, gehört allerdings noch zu den großen Geheimnissen. Milliarden Nervenzellen. In Zahlen ausgedrückt sprengt das Hochleistungszentrum im Kopf beinahe unsere Fantasie: Schätzungsweise 100 Milliarden Nervenzellen besitzt das Gehirn. Jede von ihnen ist mit rund 10 000 anderen vernetzt. Das bedeutet, dass ein Gehirn mehr Verknüpfungsmöglichkeiten bietet, als es Sterne im Universum gibt. Ein Computer wirkt im Vergleich zu diesem Konstrukt wie eine lahme 110 können als ein Computer. Dabei ist das Gehirn von Geburt an neugierig und möchte nichts anderes, als zu lernen. Und das Schöne daran ist: Lernen macht glücklich. Aktuelle Forschungen zeigen, dass der hirneigene Botenstoff Dopamin dabei eine Schlüsselfunktion innehat. Er wird beispielsweise bei der Lösung eines Problems verstärkt ausgeschüttet. „Das bedingt eine euphorisierende Wirkung. Das Gehirn belohnt sich selbst für seine gute Leistung“, erläutert Dr. Holger Schulze vom Leibniz-Institut für Neurobiologie in Magdeburg. Außerdem verbessert Dopamin den Transport der Informationen vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis und sorgt dafür, dass sie dort abgespeichert werden. Doch Lernen allein reicht nicht. Ebenso wie ein Fußballer im Training nicht nur gegen den Ball tritt, sondern auch Kondition und Taktik trainiert, braucht das Gehirn mehr, um Spitzenleistung zu liefern. Die notwendige Unter- stützung basiert vor allem auf vier Säulen: der richtigen Ernährung, Schlaf, Sport und der hirneigenen, also geistigen Aktivität. Futter für die Zellen. Gesunde, ausgewogene Kost versorgt das Organ mit dem nötigen Brennstoff (siehe Kasten Seite 113). Sport hilft gleich mehrfach. Zum einen unterstützt er den Stressabbau, zum anderen funktioniert das Gehirn in Kombination mit Bewegung messbar besser. Laut einer aktuellen Untersuchung steigt die Lernfähigkeit um bis zu 39 Prozent. Gut sind Sportarten, die Körper und Geist fordern, etwa Tanzen. Es hilft sogar, beim Denken herumzulaufen. Außerdem wird bei Erfolg im Sport Dopamin ausgeschüttet und das wieder um kann auch für andere Leistungen motivieren. Geistige Aktivität hält das Gehirn fit, vergleichbar mit einem Muskel kann es trainiert und somit leistungsfähiger werden. Gute Trainingseinheiten sind Gedächtnisübungen. Um die Aufnahmefähigkeit kurzfristig zu steigern, eignen sich ungewohnte Herausforderungen, etwa Spiegelschrift lesen. Langfristig sind kompliziertere Spiele wie Schach sinnvoll. So lernt das Gehirn • Für die Ewigkeit: Hier werden Informationen langfristig abgelegt. Es dauert aber mindestens 24 Stunden, bis sie dort abgespeichert werden, denn dafür muss das Gehirn neue Strukturen schaffen: Die Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen, Synapsen, müssen neu gebildet werden. Informationen, die mit starken Gefühlen verbunden werden, gelangen leichter ins Langzeitgedächtnis. Kurzzeitgedächtnis • Nicht von Dauer: Der Speicher für Großhirnrinde kurze Zeit. Wird auch Arbeitsgedächtnis genannt. Hier laufen zunächst alle Infos auf. Das Kurzzeitgedächtnis ist für kurzfristiges Erinnern, z. B. einer Telefonnummer. Es kann aber nur 7 Sinneseinheiten, etwa 7 Ziffern in Folge, speichern. Später werden sie entweder gelöscht (nach wenigen Minuten oder bis zum nächsten Tag) oder gehen ins Langzeitgedächtnis. Für diesen Transfer benötigt das Gehirn Dopamin. End-Station • Vom Stirnhirn wird das Wort in die Großhirnrinde transportiert. Hier sitzt das Langzeitgedächtnis. Dort speichert unser Hirn die neu gelernte Vokabel ab. Den Computer erkunden: Auch ältere Menschen können den Umgang mit neuen PC-Programmen lernen Hippocampus Trichter Sehrinde Weiterleitung der Informationen • Ist die Info erfasst, wird sie in Sekundenbruchteilen in die für das Sinnesorgan zuständige Hirnrinde weitergeleitet. Beim Lesen ist die Sehrinde, der visuelle Kortex, zuständig. Sie wird vom Auge beliefert. • Der Hippocampus bestimmt, Präfrontaler Kortex Zwischen-Station welche Informationen in das Langzeitgedächtnis dürfen. • Von der Sehrinde gelangt das Wort ins Stirnhirn (präfrontaler Kortex). Hier sitzt das Arbeitsgedächtnis. Dieser Prozess dauert ebenfalls nur Sekundenbruchteile. Der richtige Speicher • Alles an seinem Platz: Informationen werden in unterschiedlichen Bereichen des Langzeitgedächtnisses abgelegt. Die Forschung geht davon aus, dass drei besonders bedeutend sind: das episodische Gedächtnis (eigene Vergangenheit), das prozedurale Gedächtnis (motorische Fähigkeiten, RechenFormeln) und das deklarative Gedächtnis (sprachliche Fähigkeiten). Speicherplätze in beiden Gehirnhälften Prozedurales Gedächtnis Episodisches Gedächtnis Deklaratives Gedächtnis Linke Hirnhälfte Rechte Hirnhälfte Weitere Hilfestellung gibt der jahrmillionenalte Ginkgo-Baum. In Tierversuchen stellte das schwedische Karolinska-Institut in Stockholm fest, dass ein Extrakt des Baumes die DopaminKonzentration im Gehirn auf bis zu 163 Prozent des Normalwertes steigern kann. Möglicherweise ist dieser Effekt der Grund dafür, dass Ginkgo-Extrakt beim Menschen nachweislich die Gedächtnisleistungen verbessert. Komplexe Netzwerke. Doch wie lernen wir eigentlich? Die Prozesse funktionieren über verknüpfte Nervenzellen, die Netze miteinander bilden. Diese Netze sind plastisch, das heißt, sie lassen sich verändern, aber nur in den Hirnregionen, die gefordert sind. Die besten Lehrjahre sind bis zum Ende der Pubertät. In dieser Zeit gießen wir das Fundament für späteres Lernen, etwa Bitte umblättern Gute Zeiten, schlechte Zeiten Eingang aller Informationen durch die fünf Sinne • Sehen, Hören, Riechen, Tasten, Schmecken. Wie die Informationen dann weitergeleitet werden, zeigt die Illustration am Beispiel eines neu gelernten Wortes, etwa der Vokabel einer Fremdsprache. • Der inneren Uhr folgen: Die perCa. 10.00–12.00: Das Kurzzeitgedächtnis arbeitet prima. Gute Zeit für Kreativität und Konzentration Ca. 7.00–9.00: Die Leistungsfähigkeit steigt allmählich Denker-Pose: Wer den Geist trainiert, lernt auch noch in späteren Jahren fekte Tageszeit zum Lernen gibt es nicht. Es hängt vom eigenen Biorhythmus ab, wann Informationen am Ca. 13.30–14.30: Der besten aufgenommen Körper wird träger. In werden – und den dieser Stunde hat man bestimmen die Geein Leistungstief ne. Sicher ist, dass Morgenmuffel in der Früh nicht so Ca. 15.00–18.00: Das neue Hoch leistungsfähig sind. kommt. Am späten Nachmittag geht die Arbeit rasch von der Hand Taktgeber der inneren Uhr ist das Licht, Helligkeit macht wach. Mit einem ganz leichten Hungergefühl klappt Lernen besser – ein voller Magen studiert nicht gern. 111 Wortverwandlungen Beispiel: Mann wird zum Weib Geht die Hose bis zum Nabel? M W W W W H O S E N A A E E E N N N I I N N N N B N A B E L Quelle: Gesellschaft für Gehirntraining, Ebersberg für den Sprach-Erwerb. „Wie sich die Zellen untereinander verschalten, bestimmen die Sinnesorgane. Sie leiten die zu verarbeitenden Reize, also beispielsweise Laute und Wörter, ans Gehirn weiter, strukturieren so diese Prozesse und damit das reifende Gehirn“, erläutert Experte Schulze. Das erklärt auch, warum ein Chinese, der als Kind nie den Buchstaben R gehört hat, ihn später auch nicht sprechen kann. Kein Reiz durch die Sinnesorgane, keine Verschaltung der Nerven, keine sprachliche Fähigkeit. Späteres Lernen. Das Ende der Jugend bedingt aber nicht das Ende der Lernfähigkeit. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass auch im Erwachsenenalter noch neue Netze geknüpft werden können, allerdings nicht mehr so schnell und nicht mehr so viele. Aber vermutlich liefern diese Neu-Vernetzungen die Erklärung dafür, dass SchlaganfallPatienten oder Unfall-Opfer verlorene Fähigkeiten, etwa im sprachlichen oder motorischen Bereich, wieder erwerben können. Lebenslanges Lernen ist also möglich, aber man muss mehr dafür tun als in den Kinder- und Teenagertagen. Einige Funktionen, wie die Merkfähigkeit, gehen im Alter zurück. „Bereits im mittleren Alter, also ab Mitte, Ende 40, finden sich Defizite beim Lernen neuen Materials“, bilanziert der Privatdozent Dr. Rainer Kaschel, Neuropsychologe an der Uni Osnabrück. Tröstlich für alle über 16 ist, dass es tatsächlich so etwas wie Altersweisheit gibt: „Manches klappt später besser, beispielsweise Schlussfolgerungen aus komplexen, unvollständigen oder sogar sich widerspre- Buchstaben-Kapriolen • Trainiert geistige Beweglichkeit: Bilden Sie mit den Buchstaben Wörter. Sie dürfen in jedem Feld beginnen, in alle Richtungen gehen. Die Felder müssen sich an einer Seite oder Ecke berühren. Jedes Feld darf pro Wort nur einmal benutzt werden! Zehn Wörter sollten Sie finden – 122 wurden schon gefunden. E S B R I E L I R S O N A N G E Lösungen: (16 Wörter) Anreise, Arno, Bern, Bingo, Egon, Eier, Esel, Ilse, Inge, Iran, Leise, Neon, Rang, Reise, Reling, Riesling Flexibilität: Aus dem oberen Wort soll Schritt für Schritt das untere Wort werden. Pro Zeile dürfen Sie jeweils nur einen Buchstaben verändern, und zwar so, dass bei jedem Schritt immer ein neues, sinnvolles Wort entsteht. Lösung: Hosen – Hasen – Nasen – Naben – Nabel • Trainiert geistige chenden Informationen zu ziehen“, sagt der Berliner Hirnforscher Gerd Kempermann. Doch genau das, was im Lauf des Lebens immer schwerer fällt, nämlich das Einprägen neuer Inhalte, ist im Berufsalltag gefordert. Untersuchungen zeigen, dass Ginkgo das Gehirn hierbei unterstützen kann. In einer neuen Studie mit dem pflanzlichen Arzneimittel Tebonin stellte Kaschel fest, dass der darin enthaltene Ginkgo-Spezialextrakt EGb 761 die Lern- und Merkfähigkeit erhöht. „Wir haben herausgefunden, dass er vor allem die Zuverlässigkeit der Gedächtnisleistung steigert“, sagt Kaschel. Chemie im Gehirn. Einen festen Ort im Gehirn, der für das Lernen zuständig ist, gibt es nicht. Es findet im gesamten Organ statt, vor allem in der Großhirnrinde. Informationen werden zunächst im Kurzzeitgedächtnis aufgenommen und später mittels biochemischer Prozesse ins Langzeitgedächtnis transportiert. Dafür benötigt das Gehirn mindestens 24 Stunden. Auf dem Weg der Lerninhalte in das Langzeitgedächtnis spielt der Hippocampus eine entscheidende Rolle. Wie durch das schmale Ende eines Trichters müssen sie dort hindurch. Gefühle unterstützen. Welche Informationen langfristig abgelegt werden, ist leider nicht zuverlässig steuerbar. Man weiß, dass Dopamin diesen Prozess befördert und dass er durch diverse Faktoren zu beeinflussen ist. Dazu gehören Wiederholung des Gelernten, Vermeidung von Ablenkung durch andere Reize wie Fernsehen. Und man sollte eine Nacht darüber schlafen. Gefühle – auch negativer Art – spielen eine große Rolle. Wenn man emotional beteiligt ist, kann man sich Dinge leichter merken. Bestes Beispiel ist die heiße Herdplatte, deren Berührung man schließlich Claudia Michaelsen nie vergisst. Tipps zum Thema www.mental-aktiv.de Übungen zur geistigen Fitness www.gfg-online.de Gesellschaft für Gehirntraining TV-Tipp Gesundheit live Thema: Leichter lernen mit Ginkgo SA 29. 7. • 13.35 Uhr • N-TV So essen Sie sich schlau Ideale Nahrung für die grauen Zellen • Kohlenhydrate: Energie- • Vitamine: Lieferanten, wichtig für die Konzentrationsfähigkeit. Auf dem Speiseplan sollten unbedingt komplexe Kohlenhydrate, die langsam aufgespalten werden, stehen: Bananen, Gemüse, dunkles Roggenbrot, Naturreis, Kartoffeln. • Fett: Verbessert das Lernvermögen. Das Gehirn ist auf die ungesättigten Fette angewiesen. Sie stecken in Nüssen, Samen, Fisch (Lachs, Makrele, Hering) und Pflanzenölen (Oliven, Raps, Perilla- und Avocadoöl). • Eiweiß: Gehört zu den Hauptbausteinen des Körpers, wichtig für die Nervenzellen. Empfehlenswert sind mageres Fleisch (Rind, Wild, Geflügel), Milchprodukte (Schnittkäse mit 45 % Fett, fettarmer Speisequark). Regen die Hirntätigkeit an, vertreiben Müdigkeit, insbesondere die BVitamine (B1, B2, B3, B12). Top-Lieferanten sind Milchprodukte, Obst und Gemüse wie Brokkoli, Pilze. • Mineralstoffe: Sorgen für Leistungsfähigkeit. Ganz wichtig ist Magnesium. Bei einem Mangel fühlt man sich müde und gereizt. Nüsse, Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte liefern reichlich Mineralstoffe. • Spurenelemente: Eisen, Zink, Jod, Chrom, Selen beschleunigen den Stoffwechsel, bringen das Hirn auf Touren. Sie sind in Vollkornprodukten, Milch, grünem Gemüse, etwa Spinat, enthalten. Quelle: Gesellschaft für Gehirntraining, Ebersberg 112 113 FOTOS: MEDICAL PICTURES, IMAGE SOURCE (2), CD IMAGE SOURCE (3), CD PHOTO ALTO (4), PRIVAT Sprach-Lektion über Kopfhörer: Lernen klappt am besten, wenn man sich ohne Ablenkung auf die Inhalte konzentrieren kann