Aus dem CharitéCentrum für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie Klinik für Psychiatrie Direktor: Professor Dr. med. A. Heinz Habilitationsschrift Langzeitgedächtnisstörungen für Gesichter bei Temporallappenepilepsie zur Erlangung der Lehrbefähigung für das Fach Medizinische Psychologie vorgelegt dem Fakultätsrat der Medizinischen Fakultät Charité – Universitätsmedizin Berlin von Dr. rer. medic. Thomas Bengner, Dipl.-Psych. geboren am 25.05.1968 in Viersen Eingereicht: Juni 2010 Dekanin: Professor Dr. med. A. Grüters-Kieslich 1. Gutachter: Professor Dr. rer. soc. F. Rist 2. Gutachter: Professor Dr. med. G. Juckel Inhaltsverzeichnis Einleitung ............................................................................................................................................... 3 Ergebnisse............................................................................................................................................. 7 1) Gesichtergedächtnis bei MRT-negativer und MRT-positiver Temporallappenepilepsie... 7 2) T2 Relaxationszeitkorrelate von Gesichtergedächtnisdefiziten bei Temporallappenepilepsie .............................................................................................................. 19 3) Langzeit- versus Kurzzeitgedächtnisdefizite für Gesichter bei Patienten mit Temporallappenepilepsie und generalisierter Epilepsie........................................................... 28 4) Dissoziation von Kurz- und Langzeitgedächtnis für Gesichter anhand des LangzeitRecency Effekts bei Temporallappenepilepsie .......................................................................... 34 5) Erinnern versus wissen während der Gesichterwiedererkennung bei Patienten mit unilateraler Temporallappenepilepsie mit oder ohne Hippocampussklerose........................ 47 Diskussion............................................................................................................................................ 57 Zusammenfassung ............................................................................................................................. 62 Literaturangaben................................................................................................................................. 63 Erklärung.............................................................................................................................................. 68 3 Einleitung Epilepsie ist eine Erkrankung des Gehirns, die gekennzeichnet ist durch die Prädisposition, epileptische Anfälle zu generieren. Die Ursachen dafür sind vielfältig und reichen von genetischer Disposition über angeborene und erworbene Hirnmissbildungen und -schäden bis hin zu Hirntumoren und vaskulären Läsionen. Epilepsien werden klassifiziert in idiopathisch generalisierte, idiopathisch fokale und symptomatische oder kryptogene fokale Epilepsien (Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, 2008). Die Epilepsien sind sehr häufige neurologische Erkrankungen, mit einer Prävalenz in der Bevölkerung von 0,7-0,8%. Symptomatische oder kryptogene fokale Epilepsien können im Temporallappen, Frontallappen, Parietallappen oder Okzipitallappen entstehen. Die Leistungsfähigkeit und das Verhalten des Patienten werden vorwiegend durch die Ursache der jeweiligen Epilepsie geprägt. Komorbiditäten wie Depressionen oder Angsterkrankungen sind häufig. Dazu kommen bei Patienten mit Temporallappenepilepsie Störungen des deklarativen Gedächtnisses. Das deklarative Gedächtnis umfasst das Wissen von Fakten (semantisches Gedächtnis) und die Erinnerung an frühere Ereignisse (episodisches Gedächtnis) (Squire et al., 1993). Gedächtnisstörungen bei Temporallappenepilepsie (TLE) treten im Anfall auf, bestehen aber auch in interiktalen Phasen. Neben der pharmakologischen Therapie stehen für fokale Epilepsien auch resektive operative Verfahren zur Verfügung. Die überwiegende Mehrzahl (ca. 60%) der chirurgischen Eingriffe erfolgt dabei im Temporallappen. Die Folgen eines solchen Eingriffs für das deklarative Gedächtnis sind nur nach spezieller neuropsychologischer Testung abschätzbar (Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, 2008). Temporallappenteilresektionen werden nur unilateral durchgeführt, da eine bilaterale Resektion zu einer vollständigen anterograden Amnesie führt (Scoville & Milner, 1957). Häufig kommt es aber auch bei unilateralen Resektionen zu einer Einbuße materialspezifischer deklarativer Gedächtnisleistungen. Häufig bestehen zusätzlich bereits präoperativ Gedächtnisstörungen. Eine linkshemisphärische TLE ist dabei zumeist mit Gedächtnisdefiziten für sprachliche Informationen verbunden. Während die Rolle des linken Temporallappens für das Verbalgedächtnis allgemein anerkannt ist (Elger et al., 2004), wird eine Dominanz des rechten Temporallappens für das nonverbale Gedächtnis bis heute immer wieder kontrovers diskutiert (Barr et al., 1997; Lee et al., 2002). Nonverbale Information ist definiert als idiosynkratrische Muster, die zu reich im Detail sind, um schnell und eindeutig sprachlich beschrieben werden zu können (Milner, 1968). Gesichter stellen eine nonverbale Information par excellence dar. Brenda Milner beschrieb bereits 1968 anhand testpsychologischer Untersuchungen an Epilepsiepatienten nach links- bzw. rechtsseitiger Temporallappen-Teilresektion eine dominante Rolle des rechten Temporallappens für das Erinnern von Gesichtern (Milner, 1968 u. 2003; Barr, 2003). In der 4 präoperativen epilepsiechirurgischen Diagnostik besteht dennoch bis heute ein Mangel an neuropsychologischen Testverfahren, die spezifisch eine Dysfunktion des rechten Temporallappens bei Patienten mit Temporallappenepilepsie (TLE) abbilden können (Barr et al., 1997; Lee et al., 2002). Ein solches Maß könnte zur Lateralisierung des epileptischen Fokus und der Vorhersage von möglichen Gedächtnisdefiziten nach einer rechtsseitigen Temporallappenteilresektion und somit der Beratung von Patienten im Vorfeld einer solchen Operation dienen (Jokeit et al., 1997). Die in der vorliegenden Schrift beschriebenen Studien sind ein Beitrag dazu, rechtstemporale Funktionen anhand des Gesichtergedächtnisses zu untersuchen. Funktionell-bildgebende Studien an gesunden Probanden weisen darauf hin, dass die Wahrnehmung und das Gedächtnis für Gesichter dominant in der rechten Gehirnhälfte repräsentiert werden (Kanwisher et al., 1997; Kelley et al., 1998). Klinische Studien an Patienten mit TLE konnten aufzeigen, dass im Vergleich zum Gedächtnis für andere nonverbale Informationen wie geometrische Muster oder räumliche Informationen das Gesichtergedächtnis die am deutlichsten rechts temporal lateralisierte Gedächtnisfunktion ist (Barr, 1997; Chiaravalloti and Glosser, 2004; Vaz, 2004). Dennoch haben eine große Zahl von Studien an TLE Patienten keine rechtsseitige Dominanz für das Gesichtergedächtnis finden können (Naugle et al., 1994; Hermann et al., 1995; Baxendale, 1997; Glogau et al., 2004; Testa et al., 2004; Carvajal et al., 2009). Eine Auflösung dieses Widerspruchs könnte in der Verwendung von längeren Testzeitintervallen zur Untersuchung des Gesichtergedächtnisses bei TLE liegen. Die meisten Studien zum Gesichtergedächtnis bei TLE Patienten verwendeten dabei Abrufintervalle von nur 90 Sekunden oder weniger. Dies ist ein Zeitrahmen, den man dem Arbeits- oder Kurzzeitgedächtnis zuordnen würde. Gedächtnisdefizite bei Temporallappenepilepsie sind jedoch vermutlich durch ein beschleunigtes Vergessen bedingt (e.g. O’Connor et al., 1997; Blake et al., 2000; Mameniskiene et al., 2006). Beschleunigtes Vergessen bedeutet, dass Informationen, die bereits im Gedächtnis abgelegt wurden, schneller wieder vergessen werden als dies bei Gesunden der Fall ist. Dies geschieht wahrscheinlich aufgrund eines gestörten Konsolidierungsprozesses. Es wurde zum Beispiel gezeigt, dass Patienten mit TLE nach 30 Minuten oft noch ein normales Gedächtnis aufweisen, aber dennoch Defizite im Vergleich zu Gesunden zeigen, wenn man die Information nach Tagen oder Wochen abfragt (O’Connor et al., 1997; Blake et al., 2000; Mameniskiene et al., 2006). In diesem Zusammenhang ist relevant, dass Kurzzeitgedächtnisprozesse von wenigen Sekunden bis zu mehreren Stunden andauern können (McGaugh, 2000; Dudai, 2004; Nader, 2003). Diese Definition des Kurzzeitgedächtnisses ist klar zu unterscheiden von dem Konzept des Arbeitsgedächtnisses. Arbeitsgedächtnisprozesse sind gebunden an eine Zahl von mehr oder minder sieben Informationseinheiten während der Wahrnehmung und initialen Verarbeitung. 5 Arbeitsgedächtnisprozesse sind vulnerabel für Störreize und sind lediglich aktiv im Zeitrahmen von Sekunden bis zu einer Minute (Baddeley, 1992). Das Kurzzeitgedächtnis reicht zeitlich also bereits weit über das Arbeitsgedächtnis hinaus, ist aber dennoch weiterhin vulnerabel, vergessen zu werden. Im Gegensatz zum Kurzzeitgedächtnis ist das Langzeitgedächtnis eine relativ stabile Gedächtnisform, die neuronal auf der Synthese neuer Proteine basiert (Milner et al., 1998; Nader, 2003). Dieser Prozess kann mehrere Stunden brauchen, um sich zu stabilisieren (McGaugh, 2000; Dudai, 2004). Die Bildung des Langzeitgedächtnisses beruht ebenso auf einer Reaktivierung und Redistribution neu erworbener Gedächtnisrepräsentationen (Nader & Hard, 2009). Diese Prozesse finden hauptsächlich während Ruhephasen ohne Anforderungen an das erneute Enkodieren von Informationen statt, wie zum Beispiel im Schlaf (Rasch & Born, 2007). Die Konsolidierung episodischer Informationen findet unter anderem während der Tiefschlafphasen statt (Marshall & Born, 2007). Tiefschlaf wird möglicherweise durch epileptische Aktivität bei Temporallappenepilepsie gestört (Sammaritano et al., 1991). Deshalb erscheint es interessant, das Langzeitgedächtnis für Gesichter nicht wie bisher üblich schon nach wenigen Minuten oder einer halben Stunde zu untersuchen, sondern nach mindestens einigen Stunden, oder noch besser nach einer nächtlichen Schlafphase. Hierdurch wird es möglich, eine eventuell bestehende Störung des längerfristigen Konsolidierungsprozesses zu beobachten, die bei ausschließlicher Testung nach bereits wenigen Minuten nicht abgebildet werden kann. Diese Überlegungen führten dazu, in den weiter unten berichteten Studien abweichend von den meisten früheren neuropsychologischen Studien das Langzeitgedächtnis für Gesichter nicht nur nach wenigen Minuten, sondern auch nach 24 Stunden zu untersuchen. Die im folgenden beschriebenen Studien untersuchen somit zum einen die klinische Frage nach der Lateralisierung von Gesichtergedächtnisstörungen bei TLE, zum anderen untersuchen sie die theoretisch relevante Unterscheidung von Kurz- und Langzeitgedächtnis und die Rolle des Temporallappens für diese beiden Gedächtnisarten am Beispiel der TLE. Die Relevanz dieser zweiten Fragestellung ist weiterhin dadurch begründet, dass die Unterteilung des deklarativen Gedächtnisses in ein Kurz- und Langzeitgedächtnis in den Kognitionswissenschaften bis heute umstritten ist (Nairne, 2002; Ranganath & Blumenfeld, 2005). Im Folgenden werden zunächst Studien zur Lateralität des Langzeitgedächtnisses für Gesichter bei TLE unter Berücksichtigung des Vorliegens einer morphologischen Schädigung im Temporalbereich dargestellt (Studien 1+2). In der ersten Studie wurden TLE Patienten aufgrund des klinischen MRT Befunds in MRT-negative und MRT-positive Patienten unterteilt. Zusammen mit der Unterteilung in links- und rechtsseitige TLE ergaben sich somit 4 Gruppen von Patienten, die in ihren Gesichtergedächtnisleistungen verglichen wurden. Die zweite Studie verließ sich nicht mehr allein auf den klinischen MRT Befund auf 6 Nominalskalenniveau, sondern untersuchte anhand des T2 Relaxationsmaßes ein intervallskaliertes Maß für die Schädigung verschiedener temporaler Strukturen in Korrelation zu Gesichtergedächtnisdefiziten. Die dritte Studie untersuchte, ob TLE vor allem die Konsolidierung von Gedächtnisinhalten im Langzeitgedächtnis stört. Hierzu wurde das Kurz- und Langzeitgesichtergedächtnis von TLE Patienten mit dem von Patienten mit idiopathischer generalisierter Epilepsie verglichen. Abschließend werden anhand des Recency Effekts und des Remember-Know Paradigmas qualitative Veränderungen des Gedächtnisses bei TLE untersucht (Studien 4+5). Der Recency Effekt besteht in einer besseren Erinnerung der letzten Items einer Liste verglichen mit den Items davor und dient in der kognitiven Psychologie zur Unterscheidung von Kurz- und Langzeitgedächtnisprozessen (Glanzer & Cunitz, 1966). Studie 5 untersucht den Einfluss von Temporallappenepilepsie auf das semantische und episodische Gedächtnis. Dazu benutzen wir das Remember-Know Paradigma. Das Paradigma stammt wie der Recency Effekt aus der kognitiven Psychologie (Mandler, 1980; Tulving, 1985). Das Wiedererkennen eines Gesichts beinhaltet zwei Prozesse: Das Wissen ein Gesicht zu kennen, und das Erinnern von Kontextinformationen über die frühere Begegnung mit der Person. Diese beiden Anteile können dissoziiert sein, zum Beispiel, wenn man auf der Straße eine Person trifft, von der man mit Sicherheit weiß, dass man sie kennt, sich jedoch nicht erinnern kann, wo oder wann man ihr vorher begegnet ist. Beim Remember-Know Paradigma gibt der Proband zunächst an, ob er sich an ein Gesicht erinnert. Wenn der Proband dies bejaht, wird er dann noch weiterhin gefragt, ob er sich lebendig an Details oder Aspekte beim ersten Betrachten des Gesichts erinnert, oder ob er zwar weiß, dass das Gesicht schon vorher gezeigt wurde, er sich aber nicht mehr an etwaige Details in Verbindung mit dem vormaligen Betrachten erinnern kann (Gardiner & Java, 1999; Knowlton, 1998). In Studie 5 testen wir mit Hilfe des Remember-Know Paradigmas am Beispiel von TLE Patienten mit oder ohne Hippocampussklerose verschiedene Hypothesen über die Rolle des Hippocampus und der linken und rechten Hirnhemisphäre für das episodische und semantische Gedächtnis für Gesichter nach 24 Stunden. Ergebnisse 1) Gesichtergedächtnis bei MRT-negativer und MRT-positiver Temporallappenepilepsie Bengner T, Malina T, Lindenau M, Voges B, Goebell E, Stodieck S. Face memory in MRInegative and MRI-positive temporal lobe epilepsy. Epilepsia 2006;47:1904-1914. Bisherige Studien zu Gesichtergedächtnisstörungen bei TLE haben zum einen nur das Gedächtnis nach wenigen Sekunden oder Minuten untersucht, zum anderen wurden TLE Patienten mit und ohne strukturelle Veränderungen nicht gesondert betrachtet. Letzteres könnte dazu geführt haben, dass bei TLE Patienten eine bestehende Dominanz des rechten Temporalbereichs für das Erinnern von Gesichtern verschleiert wurde. Die vorliegende Studie testete neben dem Direktabruf auch die um 24 Stunden verzögerte Erinnerung an Gesichter bei 44 Patienten mit unilateraler TLE. Weiterhin wurden die rechts- und linksseitigen TLE Patienten in Untergruppen mit oder ohne positiven Magnetresonanztomogramm (MRT) Befund eingeteilt. Als Kontrollgruppen dienten 12 Gesunde sowie 12 Patienten mit idiopathisch generalisierter Epilepsie. Die Probanden studierten eine Serie von 20 einzeln nacheinander präsentierten unbekannten Gesichtern, und mussten diese kurze Zeit nach der Präsentation aus einer Serie von 40 Gesichtern herausfinden. Als Maß für das Gedächtnis diente der sogenannte Diskriminationsindex. Hierzu wurde die Anzahl fälschlich wiedererkannter von der Anzahl richtig erkannter Gesichter subtrahiert. Patienten mit rechtsseitiger TLE wiesen im Vergleich zu den anderen Gruppen Defizite im Gesichtergedächtnis auf. Dies steht im Einklang mit der Idee einer materialspezifischen Dominanz des rechten Temporallappens für nonverbales Material. Das Defizit trat vor allem nach 24 Stunden zu Tage. Hier waren rechtsseitige TLE Patienten mit negativem und positivem MRT Befund gleichermaßen beeinträchtigt. Im Gegensatz dazu wiesen beim Direktabruf nur rechtsseitige TLE Patienten mit positivem MRT Befund ein Defizit auf. Kombinierte man, wie vorangegangene Studien dies getan haben, Patienten mit und ohne positiven MRT Befund, so zeigte sich die rechtsseitige Dominanz für das Gesichtergedächtnis nur nach 24 Stunden, aber nicht beim Direktabruf. Die Ergebnisse weisen zum einen darauf hin, dass in bisherigen Studien durch die Vermengung von Patienten mit und ohne morphologisches Korrelat Unterschiede zwischen rechts- und linksseitiger TLE im unmittelbaren Erinnern von Gesichtern verborgen blieben. Zum anderen weist die Studie darauf hin, dass ein langes Testintervall die Sensitivität für rechtstemporal bedingte Gesichtergedächtnisstörungen erhöht, vor allem bei Patienten ohne strukturelles MRT-Korrelat. 2) T2 Relaxationszeitkorrelate von Gesichtergedächtnisdefiziten bei Temporallappenepilepsie Bengner T, Siemonsen S, Stodieck S, Fiehler J. T2 relaxation time correlates of face recognition deficits in temporal lobe epilepsy. Epilepsy & Behavior 2008;13:670-677. Diese Studie knüpft inhaltlich an die oben beschriebene Studie an (Bengner et al., 2006, Epilepsia, 47). Morphologische Veränderung in Amygdala, Hippocampus und fusiformem Gyrus wurden anhand der T2 Relaxationszeit bei 22 Patienten mit unilateraler TLE quantifiziert (10 links/12 rechts) und mit dem Kurz- und Langzeitgedächtnis für Gesichter korreliert. Die T2 Werte und Gedächtnisleistungen der Patienten wurden weiterhin mit den Werten gesunder Kontrollen verglichen. Es zeigte sich neben den zu erwartenden erhöhten T2 Werten im ipsilateralen Hippocampus auch erhöhte Werte in der ipsilateralen Amygdala. Rechtsseitige TLE war mit einer Verschlechterung des Gesichtergedächtnisses vom direkten zum verzögerten Abruf verbunden. Höhere T2 Werte im rechten als linken Hippocampus oder fusiformen Gyrus korrelierten negativ mit dem Kurzzeitgedächtnis für Gesichter. Zum Langzeitgedächtnis ließen sich keine Korrelationen mit dem T2 Wert finden. Obwohl die Amygdala ipsilateral zum Focus pathologische Veränderungen aufwies, ließ sich keine Verbindung zum Gesichtergedächtnis ziehen. Aufgrund der kleinen Stichprobe sind die Ergebnisse als vorläufig zu betrachten. Vorsichtig interpretiert lässt sich aber sagen, dass morphologische Veränderungen im Temporalbereich eher mit Kurzzeitgedächtnisstörungen als mit Langzeitgedächtnisstörungen korrelieren. Möglicherweise hängen Defizite im 24-h Langzeitgedächtnis für Gesichter bei TLE Patienten von rechtshemisphärischen Strukturen außerhalb der hier untersuchten Bereiche des Temporallappens ab. 3) Langzeit- versus Kurzzeitgedächtnisdefizite für Gesichter bei Patienten mit Temporallappenepilepsie und generalisierter Epilepsie Hötting K, Katz-Biletzky T, Malina T, Lindenau M, Bengner T. Long-term vs. short-term memory deficits for faces in temporal lobe and generalized epilepsy patients Journal of the International Neuropsychological Society 2010;16:574-578. Diese Studie knüpft an ein Nebenergebnis der weiter oben beschriebenen ersten Studie an (Bengner et al., 2006, Epilepsia, 47). Dort zeigte sich, dass Patienten mit idiopathisch generalisierter Epilepsie im Gegensatz zu TLE Patienten Defizite im Kurzzeitgedächtnis aufwiesen, nach 24 Stunden aber ein den Gesunden vergleichbares Ergebnis erzielten. Bei TLE Patienten war das Gegenteil der Fall. Sie zeigten ein intaktes Kurzzeitgedächtnis bei defizitärem Langzeitgedächtnis. Dieses Resultat könnte auf eine doppelte Dissoziation zwischen Kurz- und Langzeitgedächtnis hinweisen. Es ist immer noch eine offene Frage, ob Kurz- und Langzeitgedächtnis zwei anatomisch dissoziierbare Funktionen darstellen, die parallel und unabhängig voneinander arbeiten, oder ob Kurz- und Langzeitgedächtnis durch neuronale Netzwerke sich überschneidender kortikaler Areale repräsentiert werden. In der nun folgenden Studie untersuchten wir deshalb erneut das Gesichtergedächtnis bei neun IGE und zehn TLE Patienten sowie einer Kontrollgruppe von 10 gesunden Probanden. Um die Reliabilität zu erhöhen, wurden in dieser Studie 100 Gesichter studiert, die dann während eines Direktabrufs und eines 24-h verzögerten Abrufs aus einer Anzahl von jeweils 200 Gesichtern (100 bekannt, 100 neu) herausgefunden werden sollten. TLE Patienten wiesen ein unbeeinträchtigtes Kurzzeitgedächtnis auf, das Gedächtnis nach 24 Stunden war jedoch im Vergleich zu Gesunden beeinträchtigt. Patienten mit idiopathisch generalisierter Epilepsie wiesen dagegen bereits im Kurzzeitgedächtnis deutliche Defizite auf, das Gedächtnis nach 24 Stunden war hingegen nicht signifikant verschieden von dem der gesunden Probanden, und nahm auch nicht mehr ab im Vergleich zum Direktabruf, wie es bei TLE der Fall war. Diese doppelte Dissoziation spricht dafür, dass initial enkodierte Informationen einer Konsolidierung bedürfen, um in eine stabilere Gedächtnisform überführt zu werden. Diese Konsolidierung ist auf den Temporalbereich angewiesen. 4) Dissoziation von Kurz- und Langzeitgedächtnis für Gesichter anhand des LangzeitRecency Effekts bei Temporallappenepilepsie Bengner T, Malina T. Dissociation of short- and long-term face memory: evidence from longterm recency effects in temporal lobe epilepsy. Brain & Cognition 2007; 64:189-200. Der Recency Effekt besteht in einer besseren Erinnerung der letzten Items einer Liste verglichen mit den Items davor. Er galt zunächst als Hinweis darauf, dass man Kurz- und Langzeitgedächtnis unterscheiden muss. Dabei werden beim Erinnern der Liste gleich im Anschluss an die Präsentation die letzten Items aus einem wenig stabilen Kurzzeitgedächtnis erinnert, während die anderen Items bereits aus dem beständigeren Langzeitgedächtnis erinnert werden (Zwei-Speicher Theorie). Der Recency Effekt wird durch Distraktion zwischen Lern- und Testphase gelöscht. Spätere Studien zeigten, dass der Recency Effekt unter bestimmten Bedingungen auch im Langzeitgedächtnis zu finden ist (Langzeit Recency Effekt), wodurch er seine Rolle für den Nachweis eines separaten Kurzzeitspeichers einbüßte. Dies sprach wiederum für das Alternativmodell der Ein-Speicher Theorie, dass also erlernte Informationen kurz- oder langfristig aus demselben Gedächtnisspeicher abgerufen werden. Es ist jedoch umstritten, ob der Langzeit Recency Effekt durch die gleiche neuropsychologische Funktion unterstützt wird wie der eigentliche Recency Effekt. Die folgende Studie testete, ob Gedächtnisdefizite bei TLE besser durch die Ein- oder Zweispeichertheorie beschrieben werden können. Dazu untersuchten wir den Einfluss von TLE und proaktiver Interferenz auf den direkten und 24-h Recency Effekt während der Rekognition von Gesichtern. Proaktive Interferenz bezeichnet dabei den Umstand, dass eine bereits zuvor erlernte Information das Lernen oder Behalten einer nachfolgend präsentierten ähnlichen Information beeinträchtigt. Wir verglichen 18 rechtsseitige und 21 linksseitige TLE Patienten mit 16 gesunden Kontrollprobanden. Bei gesunden Probanden wurde der Langzeit Recency Effekt durch proaktive Interferenz gelöscht, der direkte Recency Effekt blieb dagegen sichtbar. TLE führte, ähnlich wie proaktive Interferenz bei gesunden Kontrollen, zu einer Auslöschung des Langzeit Recency Effekts. Der direkte Recency Effekt war weiterhin sichtbar. Rechtsseitige TLE war auch noch mit weiteren Defiziten für mittlere und frühe Items verbunden. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass nur der Langzeit Recency Effekt auf die Funktion des Temporallappens angewiesen ist, und sprechen somit für die Zwei Speicher Theorie. Die Ähnlichkeit des Effekts von proaktiver Interferenz und TLE spricht dafür, dass die Funktion des Temporallappens darin besteht, Interferenz zwischen verschiedenen Items zu reduzieren. 5) Erinnern versus wissen während der Gesichterwiedererkennung bei Patienten mit unilateraler Temporallappenepilepsie mit oder ohne Hippocampussklerose Bengner T, Malina T. Remembering versus knowing during face recognition in unilateral temporal lobe epilepsy patients with or without hippocampal sclerosis. Brain & Cognition 2008;68:148-156. Das Wiedererkennen eines Gesichts beinhaltet das Wissen das Gesicht zu kennen und das Erinnern von Kontextinformationen über die Person. Diese beiden Anteile können dissoziiert sein, zum Beispiel, wenn man eine Person trifft, von der man mit Sicherheit weiß, dass man sie kennt, sich jedoch nicht erinnern kann, wo oder wann man ihr vorher begegnet ist. Während das alleinige Wissen, dass man die Person kennt, als Ausdruck des semantischen Gedächtnisses gewertet werden kann, ist das zusätzliche Erinnern von Details der vorherigen Begegnung dem episodischen Gedächtnis zuzuordnen. In der vorliegenden Studie untersuchten wir verschiedene Hypothesen über die Rolle des Hippocampus für das Wissen und das kontextuale Erinnern bei der Wiedererkennung von Gesichtern. Aktuell wird diskutiert, ob der Hippocampus entweder für das kontextuale Erinnern oder das Wissen, oder aber für beide Funkionen zuständig ist. Neben dieser ersten Fragestellung prüft die folgende Studie zwei weitere konkurrierende Hypothesen. Die eine besagt, dass der linke Hippocampus das kontextuale Erinnern und der rechte das Wissen repräsentiert (mode of processing view). Die andere nimmt eine materialspezifische Lateralisierung des kontextualen Erinnerns an, das heißt, der linke Hippocampus speichert verbale Kontextinformationen, und der rechte nonverbale (material specificity view). Wir untersuchten die 24-h Rekognition von Gesichtern anhand des sogenannten Remember-Know Paradigmas. Dabei werden die Probanden nach jedem wiedererkannten Gesicht gefragt, ob sie sich lebendig daran erinnern, oder ob sie das Gesicht zwar als bekannt erleben, aber sonst keine weiteren Erinnerungen damit verbinden. 23 linksseitige und 24 rechtsseitige TLE Patienten mit oder ohne Hippocampussklerose wurden mit 31 gesunden Kontrollprobanden verglichen. Patienten mit Hippocampussklerose wiesen weniger „Bekannt“-Antworten auf als Patienten ohne Hippocampussklerose, während rechtsseitige TLE mit weniger lebendigem Erinnern einherging als linksseitige TLE. Dieses Ergebnismuster ist vereinbar mit einer nichtlateralisierten Rolle des Hippocampus für das Wissen, und einer materialspezifischen Lateralisierung kontextualen Erinnerns von Gesichtern in der rechten Hemisphäre (material specificity view). 57 Diskussion Die hier vorgestellten Studien weisen darauf hin, dass das Langzeitgedächtnis für Gesichter ein spezifisches und klinisch relevantes Maß für rechtstemporale Funktionsstörungen bei Patienten mit TLE ist. Hierbei ist wichtig, dass die gefundenen Effektstärken für den Unterschied zwischen rechts- und linksseitigen TLE Patienten im mittleren bis hohen Bereich lagen (Cohen’s d = 0,55 in MRT positiver TLE, und Cohen’s d = 0,71 in MRT negativer TLE, siehe Studie 1, Seite 7). Anders als bisherige Untersuchungen des Gesichtergedächtnisses bei TLE nahelegen, sollte die Untersuchung des Langzeitgedächtnisses deshalb klinisch relevante Unterscheidungen ermöglichen, wie dies bereits beim Verbalgedächtnis der Fall ist (Elger et al., 2004). In bisherigen Studien zu Gesichtergedächtnisstörungen bei TLE war zur Lateralisierung von rechts- und linksseitiger TLE lediglich das Kurzzeitgedächtnis nach wenigen Minuten getestet und als klinisch unbrauchbar eingeschätzt worden (Naugle et al., 1994; Hermann et al., 1995). Ein weiteres wichtiges Ergebnis der vorliegenden Studien ist, dass rechtsseitige TLE Patienten mit negativem und positivem MRT Befund vergleichbare Einbußen im Abruf von Gesichtern nach 24 Stunden zeigten. Hier ist zu vermuten, dass funktionelle oder mikrostrukturelle Veränderungen bei TLE Patienten ohne MRT Veränderungen eine ebenso wichtige Rolle für die längerfristige Konsolidierung spielen wie makroskopisch sichtbare strukturelle Veränderungen. Dies ist klinisch relevant, da Temporallappenteilresektionen auch an TLE Patienten ohne MRT Auffälligkeiten durchgeführt werden (Holmes et al., 2000; Sylaya et al., 2004). Unsere Ergebnisse validieren hier frühere Ergebnisse, die darauf hinweisen, dass die mit der TLE einhergehenden morphologischen Läsionen nur geringfügig mit den Gedächtnisstörungen korrelieren (Giovagnoli & Avanzini, 1999). Unsere Ergebnisse relativieren diese Aussage jedoch. Während wir keine Zusammenhänge zwischen morphologischen Veränderungen des Temporallappens und dem Langzeitgedächtnis finden konnten, korrelierte das Kurzzeitgedächtnis aber doch mit dem T2 Relaxationswert (siehe Studie 2, oben). Eine der wichtigsten Nebenwirkungen einer Temporallappenteilresektion sind anterograde deklarative Gedächtnisstörungen. Nach linksseitiger Resektion sind es vor allem verbale Gedächtnisstörungen. Die präoperative Untersuchung des Verbalgedächtnisses hilft bei der Abschätzung postoperativer Gedächtniseinbußen (Jokeit et al., 1997). Bei Patienten, die beruflich sehr auf ihr Gedächtnis angewiesen sind, kann eine präoperative Beratung über mögliche postoperative Gedächtniseinbußen von großer Relevanz sein für den Erfolg des elektiven chirurgischen Eingriffs. Während die Untersuchung des Verbalgedächtnisses an vermutlich allen Epilepsiezentren weltweit zur neuropsychologischen Testbatterie gehört, wird die Untersuchung des Gesichtergedächtnisses in der präoperativen epilepsiechirurgischen Diagnostik bislang nicht standardmäßig eingesetzt, denn bei rechtsseitiger Temporallappenteilresektion gehen die Meinungen über das Risiko eines 58 Gedächtnisverlusts auseinander. Einige Autoren vermuten, dass die Wahrscheinlichkeit eines Gedächtnisverlusts nach rechtsseitiger Resektion geringer ist als nach linksseitiger Resektion (Lee et al., 2002). Diese Autoren haben jedoch das Gesichtergedächtnis nicht berücksichtigt. Andere Autoren beklagen den Mangel an Gedächtnistests zur Überprüfung rechtstemporaler Funktionen, verweisen aber gleichzeitig auf widersprüchliche Ergebnisse bei Verwendung verschiedener Testinstrumente (Barr et al., 1997; Vaz, 2004). Die von uns vorgestellten Arbeiten legen zusammen mit weiteren Studien nahe, dass die Untersuchung des Langzeitgedächtnisses für Gesichter ein sensitives Maß für postoperative Gedächtnisänderungen nach einer rechtsseitigen Temporallappenteilresektion sein könnte (Chiaravalloti &Glosser, 2004; Chiaravalloti et al., 2004). Ein längeres Testintervall könnte die Diagnostik rechtstemporaler Funktionsstörungen verbessern, da der rechte Temporallappen eine wesentliche Rolle bei der Konsolidierung von Gesichterinformationen spielt. Weiterhin konnten unsere Studien zeigen, dass ein Testinstrument, das zusätzlich zur Rekognition auch die Lebendigkeit der Wiedererkennung erfragt, erhöhte Sensitvität für die Lateralisierung von Gesichtergedächtnisdefiziten bei TLE Patienten aufweist. So variierten die „Remember“ Antworten in Studie 5 in Abhängigkeit zur Lateralisierung des Fokusses, während „Know“ Antworten in Abhängigkeit zum Bestehen einer Hippocampussklerose standen. Wir haben kürzlich einen auf den hier beschriebenen Arbeiten basierenden computergestützten Gesichtergedächtnistest vorgestellt (Bengner & Malina, 2010). Dieser Test muss aber noch psychometrische Gütekriterien nachweisen und an gesunden Probanden normiert werden. Ein möglicher Einwand gegen einen klinischen Nutzen des Abrufs nach 24 Stunden ist, dass er zu aufwendig sei. Hier möchte ich einen Vergleich ziehen zur EEG Untersuchung bei TLE. Ein 20-minütiges Routine EEG mag bei einer Reihe von Patienten bereits genügen, um auf eine Temporallappenepilepsie hinzuweisen. In vielen Fällen führt jedoch erst ein mehrtägiges Video-EEG Monitoring zur Diagnose. Ähnlich darf bei der Diagnostik von Gedächtnisstörungen bei TLE ein zunächst unauffälliges Ergebnis bei der Gedächtnisuntersuchung anhand kurzer Testintervalle nicht zu dem voreiligen Schluss führen, es lägen keine Defizite vor. Unsere Studien legen nahe, dass die Beschwerden von TLE Patienten über Gedächtnisprobleme im Alltag ernst genommen werden sollten, auch wenn eine erste neuropsychologische Untersuchung unter Verwendung kurzer Testintervalle kein auffälliges Ergebnis erbringt. Die vorgelegten Studien liefern weiterhin einen Beitrag zur theoretischen Unterscheidung von Kurz- und Langzeitgedächtnisfunktionen. Dabei wurde anhand des Vergleichs von TLE Patienten und Patienten mit idiopathisch generalisierter Epilepsie im direkten und verzögerten Abruf sowie der Analyse des Langzeit Recency Effekts bei TLE 59 Patienten gezeigt, dass der Temporallappen vor allem für die Konsolidierung von Inhalten im Langzeitgedächtnis zuständig ist. Zum einen konnten wir zeigen, dass bei TLE Patienten im Vergleich zu Gesunden eher das Langzeit- als das Kurzzeitgedächtnis betroffen ist, während Patienten mit idiopathisch generalisierter Epilepsie das komplementäre Muster aufwiesen. Dies spricht für eine doppelte Dissoziation von Kurz- und Langzeitgedächtnis und unterstützt die Vorstellung, dass es eines Konsolidierungsprozesses bedarf, um bereits im Gedächtnis befindliche Informationen langfristiger abzulegen (Nader, 2003). Zum anderen konnten wir zeigen, dass der Recency Effekt beim direkten Abruf und beim Abruf nach 24 Stunden von verschiedenen Gehirnstrukturen getragen wird. TLE unterdrückte den Langzeit-Recency Effekt, hatte aber keinen Einfluss auf den Recency Effekt beim kurzfristigen Abruf von Informationen. Dies spricht wiederum für eine Dissoziation von Kurz- und Langzeitgedächtnisprozessen und steht in Übereinstimmung mit den Ergebnissen früherer Studien (Carlesimo et al., 1996). Unsere Ergebnisse stehen im Widerspruch zu der Idee, dass der Temporallappen auch eine entscheidende Rolle beim Kurzzeitgedächtnis spielt (Ranganath & Blumenfeld, 2005). Unsere Analyse des Langzeitgedächtnisses anhand des Remember-Know Paradigmas ergab, dass der Hippocampus bilateral eine Rolle für das Gefühl des Vertrautseins beim langfristigen Erinnern hat, Strukturen in der rechten Hemisphäre hingegen für die Lebendigkeit des langfristigen Erinnerns relevant sind. Diese Ergebnisse stehen im Widerspruch zu Studien, die dem Hippocampus eine hervorgehobene Rolle für das episodische Gedächtnis einräumen (z.B. Tulving & Markowitsch, 1998). Die Ergebnisse sprechen vielmehr für eine Variante der Indextheorie, nach der die Aufgabe des Hippocampus darin besteht, multimodale Repräsentationen eines Erlebnisses in einen Gedächtnisindex einzubinden (Moscovitch, 2000). Die Repräsentationen selbst sind jedoch in verschiedenen Gehirnregionen abgelegt. Während einer Rekognitionsaufgabe führt der hippocampale Index selbst lediglich zu einem Gefühl des Vertrautseins. Je besser es dem hippocampalen Index dann gelingt, multimodale Repräsentationen in anderen Gehirnarealen anzustoßen, umso lebendiger wird die Erinnerung (Moscovitch, 2000). Eine ähnliche Auffassung vertreten Squire et al. (2007): “The neurons of the hippocampus are less stimulus-selective and are more likely to signal prior occurrence, regardless of which stimulus is presented.” Zukünftige Studien zu Gesichtergedächtnisdefiziten bei TLE sollten neben dem Direkt- und dem 24-Stunden Abruf auch einen einstündigen Abruf testen. Dies könnte weitere Aufschlüsse über die Art der Konsolidierungsstörung erbringen, z.B. ob das Defizit erst nach einer Schlafphase sichtbar wird, oder schon früher. Außerdem könnte man die Präsentationsdauer während der Lernphase variieren (z.B. 1 Sekunde, 5 Sekunden, 10 60 Sekunden). Dies würde zusammen mit der Analyse verschiedener Testintervalle Aufschluss darüber liefern, ob die Gedächtnisdefizite eher durch Probleme bei der Enkodierung oder bei der Konsolidierung entstehen. Eine diagnostische Unschärfe unseres bisherigen Untersuchungsdesigns besteht darin, dass die vorher studierten Gesichter während des Direktabrufs und erneut nach 24 Stunden überprüft werden. Hierdurch kommt es zu einem erneuten impliziten Enkodierprozess während des Direktabrufs. Ein Defizit während des verzögerten Abrufs könnte also auch durch eine mangelhafte Re-Enkodierung während des Direktabrufs bedingt sein. Durch die Präsentation mehrerer Gesichterlisten und die separate Testung dieser Listen beim Direktabruf und beim verzögerten Abruf ließe sich diese Konfundierung auflösen. Das hier vorgeschlagene Design könnte folgendermaßen aussehen: Jede Person absolviert neun Lerndurchgänge mit jeweils 15 Gesichtern, d. h. drei Lernphasen à eine Sekunde, drei à fünf Sekunden und drei à zehn Sekunden Präsentationsdauer. Für jede Präsentationsdauer findet je ein Direktabruf, ein um eine Stunde verzögerter Abruf und ein um 24 Stunden verzögerter Abruf statt. Bei jedem Abruf bekommen die Teilnehmer eine Serie von 30 Gesichtern präsentiert, welche die jeweils 15 alten Items aus der Lernphase und 15 für den Teilnehmer unbekannte Distraktoren enthält. Die Teilnehmer entscheiden nun für jedes Gesicht, ob es bereits gesehen wurde oder ob es ein neues, unbekanntes Gesicht ist. Beim einstündigen und 24 h-Abruf entscheiden die Teilnehmer weiterhin für jedes Item, das sie als schon gesehen klassifiziert haben, ob sie das jeweilige Gesicht lebhaft erinnern oder ob es ihnen lediglich bekannt vorkommt. Die Variation der Präsentationsdauer würde auch Aufschluss geben können, ob die Defizite durch mangelhafte Enkodierungsstrategien der Patienten verursacht sind, oder durch eine mangelnde Arbeitsgedächtniskapazität. Eine mangelnde Enkodierstrategie sollte vor allem bei langer Präsentationsdauer deutlich werden, wenn Zeit genug zur Anwendung von Strategien gegeben ist. Arbeitsgedächtnisdefizite sollten dagegen eher zu Gedächtnisdefiziten bei geringer Präsentationsdauer führen. Mit diesem parametrischen Design mit je drei Enkodier- und Abruffaktorstufen wäre es möglich, Kurz- und Langzeitgedächtnisstörungen bei TLE noch präziser zu charakterisieren. Ein weiterer Vorteil von drei Abrufzeiten wäre z.B., dass ein eventuell bestehendes beschleunigtes Vergessen zwischen dem einstündigen und dem 24 stündigen Abruf sichtbar gemacht werden könnte. Man könnte auch untersuchen, ob der Langzeit Recency Effekt bei TLE Patienten eventuell bereits nach einer Stunde schon nicht mehr zu sehen ist. Weiterhin steht der Nachweis aus, ob die präoperative Untersuchung des Langzeitgedächtnisses für Gesichter nach 24 Stunden postoperative Gedächtnisveränderungen nach rechtshemisphärischer Temporallappenteilresektion in klinisch relevanter Weise vorhersagen kann. Hierzu sind 61 Längsschnittstudien zum prä- und postoperativen Vergleich notwendig. Zukünftige Studien mit größeren Stichproben sollten ebenso überprüfen, ob die Ergebnisse der hier beschriebenen Studien für beide Geschlechter gelten, oder durch die Mittelung verschiedener Leistungen bei Männern und Frauen zustande gekommen sind (Bengner et al., 2006b; Adreano & Cahill, 2009). 62 Zusammenfassung Die vorliegende kumulative Habilitationsschrift untersucht die Lateralisierung von Gesichtergedächtnisstörungen bei Patienten mit links- und rechtsseitiger TLE, sowie die Unterscheidung von Kurz- und Langzeitgedächtnis und die Rolle des Temporallappens für diese beiden Gedächtnisarten am Beispiel der TLE. Die vorgestellten Studien korrelieren dazu Gedächtnisleistungen mit MRT- und EEG-Befunden, und bedienen sich verschiedener kognitionspsychologischer Untersuchungsmethoden wie des Recency Effekts und des Remember-Know Paradigmas. Die Ergebnisse zeigen, dass das Langzeitgedächtnis für Gesichter ein spezifisches und klinisch relevantes Maß für temporale Funktionsstörungen bei Patienten mit rechtsseitiger TLE ist. Weiterhin erhöht die Untersuchung des Langzeitgedächtnisses die Sensitivität für Gedächtnisstörungen bei Patienten mit rechtsseitiger TLE ohne MRT-Korrelat. Anhand des Vergleichs von Patienten mit idiopathisch generalisierter Epilepsie und TLE Patienten im direkten und verzögerten Abruf sowie der Analyse des Langzeit Recency Effekts bei TLE Patienten wird gezeigt, dass der Temporallappen vor allem für die Konsolidierung von Inhalten im Langzeitgedächtnis zuständig ist. Die Analyse des Langzeitgedächtnisses anhand des Remember-Know Paradigmas bei TLE Patienten mit und ohne Hippocampussklerose weist darauf hin, dass der Hippocampus eine Rolle für das Gefühl des Vertrautseins beim Wiedererkennen von Gesichtern hat, weitere Strukturen in der rechten Hemisphäre hingegen für die Lebendigkeit der Erinnerung relevant sind. 63 Literaturangaben Andreano JM, Cahill L. 2009. Sex influences on the neurobiology of learning and memory. Learning & Memory 16: 248-266. Barr WB, Chelune GJ, Hermann BP, Loring DW, Perrine K, Strauss E, Trenerry MR, Westerveld M. 1997. The use of figural reproduction tests as measures of nonverbal memory in epilepsy surgery candidates. Journal of the International Neuropsychological Society 3: 435-443. Barr WB. 2003. Delineating the functions of the nondominant hemisphere. Epilepsy & Behavior 4: 797-798. Baxendale SA. 1997. The role of the hippocampus in recognition memory. Neuropsychologia 35: 591-598. 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Seizure 13: 446-452. 68 Erklärung § 4 Abs. 3 (k) der HabOMed der Charité Hiermit erkläre ich, dass - weder früher noch gleichzeitig ein Habilitationsverfahren durchgeführt oder angemeldet wurde. - die vorgelegte Habilitationsschrift ohne fremde Hilfe verfasst, die beschriebenen Ergebnisse selbst gewonnen sowie die verwendeten Hilfsmittel, die Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern/Wissenschaftlerinnen und mit technischen Hilfskräften sowie die verwendete Literatur vollständig in der Habilitationsschrift angegeben wurden. - mir die geltende Habilitationsordnung bekannt ist. 19.05.2010 (T. Bengner)