Kapitel 1 Identifikation und Bewertung potenzieller Neukunden Von Harald Ackerschott 1.1 *) Einleitung Neben den Aufgabenkomplexen Kundenbindung, Produkt/Leistungsinnovation und Produkt/Leistungsverbesserung stellt die Neukundengewinnung die vierte Kernaufgabe der Unternehmensbereiche Marketing und Vertrieb dar (vgl. Tomczak und Karg (2002, S. 2)). Ganz ohne Neukundengewinnung werden nur wenige Unternehmen auskommen. Allerdings hat die Kundenakquisition von Fall zu Fall einen unterschiedlich hohen Stellenwert, es lassen sich sogar branchentypische Verhältnisse erkennen: Gemäß einer Studie von Tomczak et al. (1998) nimmt die Bedeutung der Kernaufgabe Neukundengewinnung in der Konsumgüter- und vor allem der Industriegüterindustrie generell zu, wogegen ihre Bedeutung in den beiden Branchenzweigen Dienstleister und Handel durch die Komplexe Kundenbindung und Produkt/Leistungsinnovation verdrängt wird. Für Unternehmen, die mit Kunden langfristige Kundenbeziehungen pflegen, können aus heute profitablen Kunden, deren Zukunft im Markt aber schlecht aussieht, Erfordernisse erwachsen, drohende Umsatzausfälle im Sinne einer Risikominimierungsstrategie (vgl. Ackerschott (2001, S. 109)) durch proaktive Neukundengewinnung abzufangen. Um für das einzelne Unternehmen eine Balance zwischen den beiden Kernaufgaben Neukundengewinnung und Kundenbindung zu finden, plädieren Blattberg und Deighton (1996, S. 137) für die Verwendung der Customer Equity (siehe Ackerschott (2001, S. 244)) als Optimalitätskriterium zur Bestimmung dieser Balance1. In der Praxis erweist sich die Neukundengewinnung immer wieder als teuer. Andererseit ist ihre Umsetzung in vielen Fällen schwierig. – Nicht zuletzt, weil viele Vertriebsmitarbeiter bei vorhandenem Stammkundenpotenzial oft schwer zur Gewinnung neuer Kunden zu motivieren sind. Besonders für Unternehmen, die den Aufbau einer langfristigen Kundenbindung anstreben (müssen), ist die Gewinnung neuer nicht profitabler Kunden problematisch. Aus diesen Gründen ist eine systematische Vorgehensweise bei der Kundenakquisition auf der Basis klar 1 Die Customer Equity steht in engem Zusammenhang mit dem Kundenwert. Auf beide Begriffe wird im Folgenden eingegangen. *) Dieser Beitrag ist veröffentlicht worden in: Decker, R., F. Wartenberg (Hrsg.), Vertriebs- und Kundenmanagement, Eul, Lohmar, 2004 definierter (messbarer) Ziele erforderlich, an deren Ausgangspunkt die Identifizierung und Bewertung „lohnender“ potenzieller Neukunden steht. 1.2 Theoretischer Hintergrund Deshalb erscheint das Ziel, neue Kunden zu gewinnen, für viele Unternehmen zu kurz gegriffen, denn Neukunden sollen profitabel sein oder sich mit der Zeit zu profitablen Kunden entwickeln (lassen). Reinartz und Kumar (2002) haben in einer empirischen Studie2 unter Einsatz der Methode des Event-History-Modeling3 nachgewiesen, dass 1. 2. 3. 4. zwischen Customer Lifetime und Profitabilität eines Kunden nicht notwendig eine positive Korrelation besteht, sowohl kurz- als auch langfristig an das Unternehmen gebundene Kunden profitabel sein können, die Service-Kosten für langfristig an das Unternehmen gebundene Kunden nicht notwendig niedriger sind als bei anderen Kunden, langfristig an das Unternehmen gebundene Kunden nicht notwendig höhere Preise bezahlen als andere Kunden. Die Untersuchung beschäftigte sich ausschließlich mit Kunden, bei denen keine Rahmenverträge oder andere Kontrakte für eine Einkaufsbindung bestehen. Sie stellt einige in Praxis und Theorie verbreitete Ansichten in Frage, die sich auf die zu den vier aufgeführten Hypothesen zugehörigen Alternativhypothesen stützen. Hierauf hatten bereits Dowling und Uncles (1997, S. 78) mit ihrer Aussage „in short, the contention that loyal customers are always more profitable is a gross oversimplification“ grundsätzlich hingewiesen. Kunden generieren nicht nur Umsatz und verursachen nicht nur Kosten; sie können in günstigen Fällen auch die Neukundengewinnung eines Unternehmens unterstützen, d. h. sie besitzen ein mehr oder weniger großes Referenzpotenzial. Darunter versteht man die Summe der Umsatzpotenziale aller Neukunden, die aufgrund des (möglichen) Empfehlungs- und Einflussnahmeverhaltens eines Kunden gewonnen werden (können). In diesem Zusammenhang konnten Reinartz und Kumar (2002) in ihrer Studie nachweisen, dass Kunden, die sowohl bei der extrinsischen Loyalität als auch bei der intrinsischen Loyalität hohe Werte erzielten, gegenüber solchen, die lediglich bei der extrinsichen Loyalität hohe Werte erreichten, eine deutlich größere Wahrscheinlichkeit aufwiesen, aktive Mund-zuMund-Propaganda für das Unternehmen zu betreiben. Die extrinsische Loyalität eines Kunden wird sichtbar durch sein Kaufverhalten, d. h. ob er (alle) Folgekäufe beim Unternehmen tätigt. Dagegen beruht die intrinsische Loyalität auf der Einstellung des Kunden zu seinem Lieferant, z. B. aufgrund Vorliegen weicher 2 Insgesamt wurden 16 000 Privat- und Firmenkunden von vier Unternehmen untersucht, die den Branchen Unternehmensdienstleister, Versandhändler, Lebensmittelketten und Direktbanken angehören. 3 Mit der Methode des Event-History-Modeling wird die Wahrscheinlichkeit dargestellt, mit der ein künftiges Ereignis eintreffen wird. Dabei stützt man sich auf statistische Muster, die entweder theoretisch entworfen oder empirisch nachgewiesen wurden. Faktoren wie gesammelter Erfahrungen, Kundenzufriedenheit, Vertrauen, Akzeptanz und Begeisterung. Die Ergebnisse von Reinartz und Kumar liefern auch in diesem Kontext eine Bestätigung dafür, nicht nur das Kaufverhalten zu betrachten, sondern zusätzlich die intrinsische Loyalität, die sich hinter der subjektiven Einstellung des Kunden gegenüber dem Unternehmen verbirgt. Beide Loyalitätsdimensionen werden von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst: Die extrinsische Loyalität in erster Linie von faktischen Faktoren, die intrinsische hauptsächlich von psychologischen. Faktische Einflussfaktoren sind ökonomischer Natur (z. B. Bonus-, Rabatt- und Incentiv-Systeme, Gegengeschäfte) oder haben technologischen (z. B. proprietäre Maschinen oder EDV-Systeme) bzw. vertraglichen (z. B. Rahmenverträge, Unternehmensverflechtungen, Sanktionierungen) Charakter. Aufgrund dieser Ausprägung werden sie häufig auch „harte Faktoren“ oder Wechselbarrieren genannt. Psychologische Einflussfaktoren basieren auf weichen Faktoren wie z. B. Sicherheitsstreben, Vertrauen, Involvement oder weiteren Umständen, die beispielsweise von Marken ausgehen. Zur Einschätzung der Loyalität, Kundenbindung und Kundenzufriedenheit nicht nur von Konsumenten (Business-to-Consumer-Bereich), sondern von organisationalen Kunden (Business-to-Business-Bereich) bzw. im Buying Center, siehe Ackerschott (2001, S. 228). Dort wird das Modell „Kundenbindungsstatus“ beschrieben, gemäß dem ein Kunde, der in beiden Loyalitätsdimensionen hohe Werte erreicht, als „treuer Kunde“ bezeichnet wird. Mit einem treuen Kunden wird eine langfristige, aktive Kundenbeziehung (Customer Lifetime)4 verbunden. Wie aus der angeführten Studie von Reinartz und Kumar hervorgeht, muss ein treuer Kunde allerdings nicht unbedingt profitabel sein. Diese Aussage steht jedoch nicht im Widerspruch zu bestätigenden Untersuchungen der Hypothese „Der Kundendeckungsbeitrag (Kundengewinn) steigt mit der Dauer der Geschäftsbeziehung“ (Winkelmann (2000, S. 125)), die z. B. Reichheld und Sasser (1999) in einem Überblick darstellen – allerdings hauptsächlich für Unternehmen aus Branchen, die mit ihren Kunden langfristige Verträge abschließen (z. B. Versicherungen) oder wo naturgemäß andere hohe Wechselbarrieren bestehen. Für Unternehmen aus Branchen, in denen generell langfristige Kundenbeziehungen angestrebt werden, macht es ceteris paribus in erster Näherung wenig Sinn, einen Neukunden zu gewinnen, für den von vornherein klar ist, dass er niemals eine hohe intrinsische Loyalität aufbauen wird, es sei denn, er hat trotzdem einen hohen Kundenwert. Eine differenziertere Aussage für solche Unternehmen treffen Reinartz und Kumar (2000) aufgrund ihrer empirischen Untersuchung mittels eines Portfolios mit den Dimensionen „vom Kunden angestrebte Beziehungsdauer“ und „Profitabilität“, wie es in Abbildung 1 skizziert wird. Kunden, die zwar eine hohe Profitabilität bieten aber aus den unterschiedlichsten Gründen (z. B. aufgrund von variety seeking) stark zum Wechsel von Lieferanten tendieren, bezeichnen sie als „Schmetterlinge“. Diejenigen Kunden, die zwar unprofitabel sind, aber langfristige 4 Der besondere Fall, dass ein Unternehmen einem Neukunden generell nur ein einziges Mal etwas verkaufen will und dessen Kunden auch nicht auf die Gewinnung weiterer Neukunden Einfluss nehmen kann, wird nicht betrachtet. Beziehungen mit dem Lieferant anstreben, nennen sie „Kletten“. Kunden, die in beiden Dimensionen hohe Werte erzielen, sind für ein Unternehmen der betrachteten Konstellation sehr erstrebenswert, wogegen Kunden mit niedrigen Werten in beiden Dimensionen Lasten darstellen. hoch Wunschkunden uninteressante Kunden Kletten Profitabilität Schmetterlinge niedrig niedrig Vom Kunden angestrebte Beziehungsdauer hoch Abbildung 1: Profitabilität von Kunden versus Dauer der Kundenbeziehung (in Anlehnung an Reinartz und Kumar (2000, S. 20)) Die Ermittlung des Kundenwerts verlangt in der Form einer Kapitalwertberechnung eine Schätzung der Einnahmen und Ausgaben über die gesamte Dauer der Geschäftsbeziehung mit einem Kunden. Durch Ab- und Aufzinsung gehen sowohl Vergangenheits- als auch Zukunftswerte – letztere auf der Basis von Prognosen – in die Berechnung ein. Vergangenheitswerte liegen meistens exakt vor. Bei beiden Kategorien darf auf der Einnahmenseite nicht nur das monetäre Kundenerfolgspotenzial (Erlöspotenzial) berücksichtigt werden, sondern auch das (potenzielle) Referenzpotenzial des (Neu-) Kunden sowie sein Cross-Selling-Potenzial sind relevant. Genau genommen müsste man auch noch sein Informationspotenzial sowie sein Synergiepotenzial berücksichtigen. Das Informationspotenzial stellt eine Bewertung der vom Unternehmen mit Hilfe des Kunden aufnehmbaren Marktinformationen dar. Das Synergiepotenzial bewertet zwischen Lieferant und Kunde entstehende Synergien, z. B. innerhalb der Wertschöpfungskette, im Bereich F&E oder innerhalb gemeinsamer Förderprogramme für den Managementnachwuchs. Praktisch ist es jedoch nur selten möglich, die beiden letztgenannten Potenzial- kategorien für einen potenziellen Neukunden einzuschätzen, so dass wir sie hier vernachlässigen. Den so ermittelten Kundenwert kann man in den Vergangenheitswert, der sich aus den Bewegungen im aktuellen Geschäftsjahr und den vorausgegangenen Geschäftsjahren ergibt, und den Zukunftswert aufteilen, in dem die geschätzten Einnahmen und Ausgaben der künftigen Jahre zusammengefasst werden (siehe Ackerschott (2001, S. 60-62)). Für einen (potenziellen) Neukunden bedeutet dies, dass in seinen „Vergangenheitswerten“ die Berechnungen nur für das aktuelle Jahr eingehen, in dem die ihn betreffenden erwarteten Einnahmen und Ausgaben einzeln prognostiziert und anschließend summiert werden. Künftige Jahre fließen wie bei Kunden in seinen (potenziellen) Zukunftswert ein, so dass der (potenzielle) Neukundenwert sich als Summe beider Werte ergibt. Prinzipiell lassen sich acht Fälle unterscheiden, von denen jedoch nur sechs möglich sind und in der folgenden Tabelle aufgeführt werden: Fall Vergangenheitswert Zukunftswert Neukundenwert 1 Positiv Positiv Positiv 2 Positiv Negativ Positiv 3 Positiv Negativ Negativ 4 Negativ Positiv Positiv 5 Negativ Positiv Negativ 6 Negativ Negativ Negativ Tabelle 1: Mögliche Ausprägungen des Neukundenwerts Der Fall 6 ist generell besonders kritisch. Solche Kandidaten sollten nicht akquiriert werden. In besonderem Maße kritisch ist ebenfalls der Fall 3. In dieser Konstellation ist es wichtig, den richtigen Zeitpunkt zu ermitteln, zu dem der Neukunde nicht mehr betreut wird, weil er danach unprofitabel wird. Eine solche Verfahrensweise wird allerdings nicht bei jedem Kunden möglich sein, deshalb sollte man überlegen, ob solche Kandidaten überhaupt akquiriert werden! Der Fall 2 ist ähnlich gelagert. Der Fall 5 ist ebenfalls kritisch. Hierbei ist es besonders wichtig, den Erfolg geplanter, adäquater Kundenbindungsmaßnahmen vorab realistisch einzuschätzen und später tatsächlich konsequent umzusetzen und ihre Zielerreichung in einer Fortschrittskontrolle zu verfolgen. Auf diesen Aspekt verweist auch Winkelmann (2000, S. 223): „Neukunden sollten nur für eine bestimmte Zeit diesen Sonderstatus tragen. Sonst sammeln sich in dieser Rubrik die ‚ewigen Neukunden‘, die trotz aller optimistisch klingenden Prognosen doch immer nur Einzelgeschäfte (zu günstigen Neukunden-Einstiegskonditionen) tätigen“. Ähnlich sieht es im Fall 4 aus. Einzig der Fall 1 ist unkritisch. Gut wenn die gesteckten Ziele bereits mit solchen potenziellen Neukunden erreicht werden können, für die Vergangenheits- und Zukunftswert positiv sind. Im Idealfall lässt sich sogar eine Rangfolge über den Neukundenwert oder seine beiden Summanden bilden, mit denen unter verschiedenen Gesichtspunkten Optimierungen möglich werden. Im Einzelfall sollte man den Zukunftswert genauer analysieren, um solche Marktpartner erkennen zu können, für die der Zukunftswert ab einem prognostizierten Zeitpunkt unter einen zuvor definierten Schwellenwert fällt, so dass der Zukunftswert zwar insgesamt positiv ist, aber u. U. bereits erwirtschaftete Deckungsbeiträge wieder aufgezehrt werden. Auf Einzelheiten wird hier jedoch nicht eingegangen. 1.3 Klassifizierung von Kunden Klassifizierung spielt auch bei der Neukundengewinnung eine Rolle. In der Praxis findet man verschiedene Klassifizierungsansätze. Zur Anwendung kommen häufig Methoden wie die Bildung von Kundensegmenten (beispielsweise anhand des Kundenwerts oder anhand des Verhaltens) oder die Charakterisierung von Kundentypen (z. B. preissensible Kunden, Servicekunden oder ökologisch bewusste Kunden). Kulturen zeichnen sich durch „Übereinstimmung der Verhaltensmuster vieler Individuen“ (Kroeber-Riel, Weinberg (1999, S. 541)) aus. Beispiele für Ansätze, die sich auf die in Kulturen und Subkulturen bestehenden „inhärenten“, abgrenzbaren Verhaltensmuster stützen, sind Klassifizierungen auf der Basis geographischer Einheiten (z. B. AC-Nielsen-Gebiete) oder sozialer Schichten. Kundensegmentierungsansätze sollten nicht mit Marktsegmentierungsansätzen verwechselt werden. Letztere sind vor allem im Konsumgüterbereich gebräuchlich, wenn Massenmärkte differenziert bearbeitet werden sollen. Ziel der Segmentierung ist hierbei meistens das Aufspüren von Präferenzen für Produkte und Leistungen oder Absatzkanäle sowie die Einschätzung der Wirkung von Werbemaßnahmen in möglichst homogenen Gruppen oder Klassen. Obwohl die Grenzen fließend sind, legt man bei der Kundensegmentierung den Schwerpunkt meistens auf die Einschätzung, mit welchem Aufwand einzelne Kunden – bei der so genannten individuellen Segmentierung – oder Kundengruppen (kumulierte Segmentierung) bearbeitet werden sollen. Hier wird für die Klassifizierung ein strategisch/taktischer Portfolioansatz in Form des Klassifizierungswürfels eingesetzt (siehe Ackerschott (2001, S. 49-58)). Bei diesem Vertriebsinstrument als Teil der Vertriebskonzeption werden die in der folgenden Tabelle aufgeführten Dimensionen berücksichtigt. Dimension Mögliche Ausprägung Marktpotenz des Marktpartners Große Zukunft, großes Wachstum Durchschnittliche Zukunft, durchschnittliches Wachstum Stagnation oder Rückgang Akzeptanz Ihres Unternehmens beim Marktpartner Bevorzugt Ihr Unternehmen Kauft bei Ihnen und Ihren Wettbewerbern Bevorzugt Ihre Wettbewerber Potenzialklasse des Marktpartners A (groß) B (mittel) C (gering) Tabelle 2: Dimensionen des Klassifizierungswürfels Die Einflussfaktoren der Dimension Marktpotenz (z. B. Image, Managementqualität, Innovationskraft, Human Kapital, Customer Equity, Finanzkraft, Zukunftssicherheit bearbeiteter Märkte) differiert von Branche zu Branche. Die folgende Abbildung zeigt, wie sich aus der Kombination dieser Merkmale die Segmente des Klassifizierungswürfels ergeben, zum Beispiel 1A oder 7C. Jeder Marktpartner kann damit einem Würfelsegment zugeordnet werden. 1 Bevorzugt uns gegenüber unseren Wettbewerbern 1 1 2 24 4 Arbeitet mit uns und unseren Wettbewerbern zusammen 4 Bevorzugt unsere Wettbewerber 7 2 3 35 5 57 7 3 6 6 68 8 8 9 Potenzialklasse C 9 Potenzialklasse B 9 Potenzialklasse A Große Zukunft Großes Wachstum Durchschnittliche Zukunft Durchschnittliches Wachstum Stagnation Rückgang Abbildung 2: Klassifizierungswürfel Auf der Basis des Klassifizierungswürfels lassen sich verschiedene Normstrategien für individuelle Kunden oder Kundensegmente definieren, z. B. Erhaltungs- oder Risikominimierungsstrategien (siehe Ackerschott (2001, S. 106)). Im vorliegenden Beitrag wird der Klassifizierungswürfel bei der Identifizierung potenzieller Neukunden eingesetzt. 1.4 Neukundengewinnungsprozess Der Kundenwert dient der ökonomischen Gesamtbewertung eines Kunden bzw. der Beziehung mit ihm aus Sicht des Unternehmens. Er ist identisch mit dem Kapitalwert der Kundenbeziehung oder zumindest eine gute Approximation. Mit diesem Konzept lassen sich die Auswirkungen von Marketing- und Vertriebsaufwendungen sowie von Preis- und Konditionenzugeständnissen kalkulieren. Die monetären Daten kann man im Rechnungswesen sowie in Marketing- und Vertriebssystemen ermitteln. Bei potenziellen Neukunden muss dies anhand von Schätzungen erfolgen, um einen potenziellen (Neu-) Kundenwert zu ermitteln. Auch bei der Schätzung ist die Berücksichtigung des Identitätsprinzips wichtig. Danach lassen sich zwei Größen untereinander oder einem Kalkulationsobjekt nur dann eindeutig zurechnen, wenn diese auf dieselbe Entscheidung zurückzuführen sind (vgl. Riebel, P. (1994, S. 259)). Problematisch bleibt in jedem Fall die Frage, ob für einen potenziellen Neukunden nach dem Erstkauf auch Folgekäufe erwartet werden können, denn die Antwort hängt von vielen Faktoren ab, z. B. ob es sich um einen Neuverwender, einen Kunden des Wettbewerbs oder gar einen ehemaligen Kunden des Unternehmens handelt und welche Qualität die Kundenbindung zum derzeitigen Lieferanten aufweist. Ebenso haben beispielsweise die Erfahrungen, die ein Neukunde in der Akquisitions- und späteren Nutzungsphase mit dem Unternehmen sammelt, bis hin zur Gesamtkundenzufriedenheit mit dem Unternehmen einen erheblichen Einfluss. Man kann eine derartig aufwändige Schätzung des (Neu-) Kundenwerts in der Regel nicht für jeden Prospect durchführen, um aussichtsreiche Kandidaten für die Neukundengewinnung zu identifizieren. Prospects sind Nicht-Kunden, bei denen man offenkundigen oder latenten Bedarf vermutet oder erwartet. Aufwände bei Prospects würden die Customer Equity des Unternehmens natürlich einseitig in Form von Akquisitionskosten belasten. Dies trifft ebenso auf die im ersten Schritt der Identifizierung ermittelten Interessenten zu, also diejenigen Prospects, die (offenkundigen oder latenten) Bedarf haben. Deshalb ist es sinnvoll, aus den ermittelten Interessenten (siehe Abbildung 3) im zweiten Schritt diejenigen als potenzielle Neukunden auszufiltern, die dem definierten Idealkundenprofil genügen, in dem relativ allgemein gehaltene (Basis-) Kriterien beschrieben werden. Diese festgelegten Merkmale muss ein (potenzieller) Kunde aufweisen. Ist dies nicht der Fall, ist er für Ihr Unternehmen uninteressant. Streben Sie beispielsweise die Gewinnung später treuer Neukunden an, so sollten Sie darauf achten, ob die Kandidaten auch ein Potenzial für eine intrinsische Loyalität besitzen, oder ob sie naturgemäß (vielleicht nur für die von Ihrem Unternehmen angebotenen Produkte und Leistungen) einen ständigen systematischen Lieferantenaustausch anstreben. In diesem Fall wären für Sie selbst Schmetterlinge nicht interessant, sondern ausschließlich Wunschkunden (siehe Abbildung 1). Auf diese Problematik weist auch Grion (2002-2003, S. 32) hin: „It is often the case that companies grow too fast by acquiring easy-to-find customers who have no intrinsic loyalty potential“. In diesem Zusammenhang sollten Sie aber auch Kriterien berücksichtigen, anhand derer Sie erkennen können, ob Ihr Unternehmen zu einem Kunden respektive seinen Vorstellungen von einem Lieferanten passt (vgl. Ackerschott (2001, S. 102)). Das Idealkundenprofil stellt also einen ersten Leitfaden für die Bewertung potenzieller Neukunden dar. Als Instrument der Vertriebskonzeption soll es zusätzlich beispielsweise sicher stellen, dass die Vertriebsmitarbeiter nicht Kontakt zu Interessenten suchen, deren Strategie die Kostenführerschaft ist, während Ihr Unternehmen selbst im betrachteten Marktsegment Hochpreisanbieter ist, es sei denn, sie tun dies unter anderen Gesichtspunkten (etwa die angestrebte Gewinnung von Trendsettern) bewusst. Andererseits stellt es einen Wegweiser zur Verfügung, mit dessen Hilfe die Vertriebsmitarbeiter einen klar definierten Erwartungshorizont aufbauen können, anhand dessen zielorientiert Akquisitionsgespräche durchgeführt werden können. Im dritten Schritt werden die potenziellen Neukunden den 7er-, 8er- oder 9erSegmenten des Klassifizierungswürfels mit den entsprechenden Potenzialklassen zugeordnet5. Diese Klassifizierung ist bei Nicht-Kunden erheblich einfacher durchführbar als die Ermittlung ihres Kundenwerts. Bei Interessenten, die man schon länger beobachtet, wird die Klassifizierung größtenteils bereits zu einem früheren Zeitpunkt durchgeführt worden sein. Die Marktpartner der Segmente 7 und 8 des Klassifizierungswürfels sind lohnend, denn sie verschwinden mit hoher Wahrscheinlichkeit (mit ihren Bedarfen) zumindest kurz- bis mittelfristig nicht vom Markt und bieten deshalb Planungssicherheit. 7er werden in den meisten Fällen sogar einen guten potenziellen (Neu-) Kundenwert aufweisen, wenn es gelingt, sie auf die Kundenbindungstufe „treu“ oder zumindest „zufrieden“ zu bringen. Ähnliches wird auch auf viele 8er zutreffen. Die prognostizierten Kosten für die entsprechenden Maßnahmen müssen natürlich in den potentiellen (Neu-) Kundenwert einfließen. Mit der Planung der Neukundengewinnungsstrategie (siehe Ackerschott (2001, S. 108, 112)) für lohnende Marktpartner sollte deshalb im vierten Schritt simultan (für 7er und 8er) die Ermittlung des potenziellen (Neu-) Kundenwerts einher gehen. Alle lohnenden Marktpartner mit positivem Neukundenwert sind profitabel. Auch diejenigen mit lediglich positivem Zukunftswert respektive Vergangenheitswert werden unter den zuvor aufgeführten Restriktionen als profitabel aufgefasst. Die Vorgehensweise der simultanen Ermittlung des Kundenwerts und der Aufstellung der Neukundengewinnungsstrategie bietet den Vorteil, solche profitablen potenziellen Neukunden nicht in die Klasse der Zielneukunden aufzunehmen, für die keine erfolgversprechende Neukundengewinnungsstrategie aufgestellt werden kann! Die Erfolgsaussichten der Gewinnung eines Neukunden hängen neben psychischen Vorgängen und psychischen Zuständen der beteiligten Menschen nicht nur im Business-to-Business-Bereich zusätzlich von individuellen Eigenschaften des Kandidaten ab – egal ob Konsument oder Familie respektive Institution oder Buying Center: Handelt es sich beispielsweise um einen Neuverwender oder um einen Wettbewerbskunden? Im zweiten Fall spielt es noch eine Rolle, ob der Kandidat dem Wettbewerb treu gegenübersteht oder lediglich zufrieden, gleichgültig oder gar verärgert. Auch die Basisstrategie kann den Erfolg beeinflussen: Will man mit eingeführten oder neuen Produkten und Leistungen latente Bedürfnisse wecken oder bestehende Bedürfnisse besser befriedigen als der Wettbewerb? Ebenso übt die Fähigkeit der Vertriebsmitarbeiter, die Situation beim Marktpartner systematisch zu analysieren und beispielsweise latente Bedürfnisse zu erkennen, einen großen Einfluss auf die Erfolgswahrscheinlichkeit aus. So muss sich die Maßnahmenplanung bei Wettbewerbskunden auf eine genaue Analyse ihrer bestehenden faktischen und psychologischen Einflussfaktoren der Loyalität gegenüber den aktuellen Lieferanten stützen. Mögliche Maßnahmen in Richtung einer Abschmelzung der Wirkung faktischer Einflussfaktoren bestehen z. B. in besonderen ökonomischen Anreizen bis hin zu Kompensationsleistungen oder rechtlichem Beistand. Auf der Seite der psychologischen Faktoren sind 5 Der Klassifizierungswürfel gibt in seiner Dimension „Marktpotenz“ einen Hinweis darauf, wie lang der Lebenszyklus eines Kunden sein könnte und ob darin Wachstum möglich ist oder eher Stagnation oder gar Rückgang. beispielsweise Besuche bei Referenzkunden, Garantieleistungen oder sogar Vorabinvestitionen denkbar. In diesem Zusammenhang sollte man auch das eventuelle Vorliegen von die Wechselbereitschaft fördernden Einflussfaktoren auf der psychologischen Ebene (z. B. im Zusammenhang mit Einkaufskomfort oder variety seeking) und der faktischen Ebene (z. B. Reklamationen, Lieferschwierigkeiten) bedenken, deren Kenntnis jedoch im Einzelfall eine umfangreiche Beschäftigung mit dem Marktpartner voraussetzt. Das gilt analog für die Ermittlung des Wechselbereitschaftsindex (zu Einzelheiten siehe Ackerschott (2001, S. 89)). Natürlich müssen derartig geplante Maßnahmen in die Berechnung des (Neu-) Kundenwerts einfließen. Prospects Interessenten Potenzielle Neukunden Lohnende Profitable Aktuelle Kunden Neukundengewinnungsstrategie Stammkunden Zielneukunden Umsetzung der Neukundengewinnungsstrategie Neukunden Wechselkunden Einmalkunden Ehemalige Kunden Verlorene Altkunden Abbildung 3: Neukundengewinnungsmodell: Potenzielle Neukunden und Interessenten als geschachtelte Teilmengen der Prospects. Profitable potentielle Neukunden und lohnende potenzielle Neukunden sind Teilmengen der potenziellen Neukunden. Wird man mit den im vierten Schritt ermittelten, verbleibenden profitablen potenziellen Neukunden der Segmente 7 und 8, die einen positiven potenziellen (Neu-) Kundenwert aufweisen, mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits die gesteckten Ziele für die Kernaufgabe Neukundengewinnung erreichen, stehen die Zielneukunden, d. h. die Marktpartner für die Neukundengewinnung, fest: Lohnende, profitable potenzielle Neukunden mit erfolgversprechender Neukundengewinnungsstrategie. In diesem Fall kann man zur Feinformulierung der Neukundengewinnungsstrategien respektive der Definition der daraus erwachsenden Maßnahmen übergehen. Im anderen Fall müssen in einem fünften Schritt auch für potenzielle Neukunden des 9er-Segments, also nicht lohnende potenzielle Neukunden, deren Kundenwerte ermittelt werden. Unter diesen kann es u. U. auch profitable geben, denn in vielen Fällen wird lediglich der Zukunftswert kritisch sein. Mit diesen ist analog fortzufahren. Liegt man dann insgesamt immer noch unterhalb der gesteckten Ziele, bleibt die Analyse, ob man bei den ehemaligen Kunden, d. h. verlorenen Altkunden, profitable mit hoher Erfolgsaussicht einer Reaktivierungsstrategie findet. Auf diesen Aspekt wird allerdings hier nicht näher eingegangen. Werden damit die Ziele des Neukundengewinnungsprogramms immer noch nicht erreicht, muss man die Ziele als unrealistisch verwerfen und neu ermitteln! Der skizzierte Neukundengewinnungsprozess ist aufwändig und stellt hohe Anforderungen an die Informationstiefe über potenzielle Neukunden. Mit Methoden des Business Intelligence lassen sich oft flankierende Maßnahmen herleiten, mit deren Hilfe man aussichtsreiche Kandidaten für die Kundenakquisition z. B. auf der Basis von Ähnlichkeitsuntersuchungen finden kann. Data-Mining-Verfahren können helfen, solche Attribute zu finden und in ihrer Ausprägung zu messen, mit denen die bestehende Kundenbasis des Unternehmens auf der Grundlage von Mustern segmentiert werden kann, beispielsweise im Zusammenhang mit der Kundenbindung. Diese Erkenntnisse lassen sich dann wiederum bei der Identifizierung lohnender Kandidaten einsetzen, z. B. bei der Definition des Idealkundenprofils. Besonders im Business-to-Consumer-Bereich lassen sich in vielen Fällen etwa für die Akquisitionskosten sowie für die Erlöse eines „Durchschnittsneukunden“ oder eines typischen Marktpartners innerhalb eines homogenen Kundensegments Standardwerte ermitteln. Liegt aufgrund früherer Aktionen eine Schätzung der Neukundengewinnungsrate6 vor, so lässt sich aus diesen Parametern bei gegebenem maximalen Gesamtbudget das optimale Akquisitionsbudget ableiten. Einzelheiten findet man in dem Artikel von Blattberg und Deighton (1996). Eine derartig standardisierte Vorgehensweise ist natürlich nicht in jedem Fall möglich. Aus ähnlichen Gründen sollte man als Alternative zum in den (Neu-) Kundenwert einfließenden monetären Kundenerfolgspotenzial nicht sofort eine Umsatzpotenzialschätzung anstreben, nur weil die Schätzung so schwierig und aufwändig ist. Diese Variante reicht nämlich für die Bewertung der potenziellen Beziehung in vielen Fällen nicht aus, denn letztlich sind „Versuche, die Wertigkeit von Kunden mit Hilfe umsatzbezogener Analysen zu bestimmen, problematisch, weil sie keinerlei Aussagen über die Rentabilität von Kunden (beziehungen) zulassen“ (Cornelsen, J. (1996, S. 9)). Wie die vorstehenden Ausführungen darlegen, gibt es je nach Marktkonstellation unterschiedliche Vorgehensweisen im Rahmen der Neukundengewinnung, was nicht nur auf die Verschiedenartigkeit von Marktentwicklungs- und Marktdurchdringungsstrategien zurück zu führen ist. 1.5 6 Fortschrittskontrolle im Neukundengewinnungsprozess Die Neukundengewinnungsrate einer Neukundengewinnungsaktion ist als Quotient der Anzahl gewonnener Neukunden und der Anzahl Prospects definiert. Neben der bisher behandelten Bewertung potenzieller Neukunden im Rahmen der Identifizierung von Zielneukunden muss im gesamten Neukundengewinnungsprozess eine ständige Messung der Gewinnungswahrscheinlichkeit einzelner Zielneukunden im Sinne einer Fortschrittskontrolle der Zielerreichung erfolgen. Neben diesen individuellen Zielen müssen allerdings auch die übergeordneten Gesamtziele für die Kernaufgabe Neukundengewinnung Berücksichtigung finden. Ob die Gewinnungswahrscheinlichkeit anhand subjektiver Schätzung des Vertriebsmitarbeiters oder mit statistischen Verfahren ermittelt wird, soll hier nicht weiter behandelt werden, da dieser Aspekt vorwiegend technischer Natur ist. Wesentlich ist, dass der Zielerreichungsfokus auf die erfolgreiche Umsetzung der Neukundengewinnungsstrategie für einen identifizierten Zielneukunden gerichtet ist. Die daraus erwachsenden Maßnahmen werden im Neukundengewinnungsprozess zusammengefasst, den es durch eine permanente Fortschrittskontrolle zu steuern gilt. Hauptsächlich in Abhängigkeit von der Branche, in der das Unternehmen tätig ist, weist er eine mehr oder weniger individuelle Struktur bezogen auf einzelne Marktpartner, Zielgruppen oder Kundensegmente auf. In manchen Fällen ist er sogar standardisierbar. Die Fortschrittskontrolle soll zu definierten Zeitpunkten stattfinden, um einerseits rechtzeitig neue Maßnahmen für die Zielerreichung zu planen. Andererseits geht es darum, nicht erreichbare Ziele frühzeitig fallen zu lassen oder fälschlicherweise als profitabel eingestufte Zielneukunden aufzugeben, um sich neuen Potenzialen zuzuwenden. Dieser Aspekt wird in der Praxis immer wieder vernachlässigt. Zwar wird hierdurch die Flopp-Rate nicht wesentlich minimiert, aber der Gesamtaufwand für die Flopps7 unter den Zielneukunden. Die Flopp-Rate hängt in weitaus größerem Maße davon ab, wie gut und konsequent die Erfolgswahrscheinlichkeit der Neukundengewinnungsstrategie bereits bei der Identifizierung der Zielneukunden berücksichtigt wurde. Wie bei der Ausprägung der Vorgehensweise im Rahmen der Neukundengewinnung gibt es für die Messung der Gewinnungswahrscheinlichkeit von Zielneukunden verschiedene Ansätze. Die meisten streben eine Messung anhand definierter Meilensteine des Neukundengewinnungsprozesses an. Ziel ist bei großen Kampagnen neben der Generierung von Erfolg in erster Linie die Früherkennung und Aufgabe von Flopps. Solche Meilensteine könnten sich etwa an einem intuitiven Prozess mit folgenden Phasen orientieren: Identifizieren – Interesse wecken – Akzeptanz schaffen – Vertrauen schaffen – Alleinstellungsmerkmale/Wettbewerbsüberlegenheit aufzeigen – Wettbewerbsüberlegenheit beweisen – Kaufentscheidung herbeiführen – Abschluss des Erstkaufs realisieren – ordnungsgemäße Abwicklung des Erstkaufs sicherstellen. Ein anderer Ansatz legt den von Weitz (1978) aufgestellten ISTEA-Prozess zu Grunde, der sich aus den Phasen Impression – Strategy – Transmission – Evaluation – Adjustment zusammensetzt. Hierbei handelt es sich um ein rekursives Prozessmodell. In der ersten Phase verschafft man sich einen Eindruck von der jeweils 7 Als Flopp wird hier ein Zielneukunde verstanden, den man nicht zum Neukunden transformieren konnte. Mit der Flopp-Rate wird die Anzahl der Flopps im Verhältnis zur Anzahl der Zielneukunden bezeichnet. aktuellen Situation beim Zielneukunden, auf deren Basis in der Phase zwei eine Strategie erarbeitet wird, die in entsprechenden geplanten Maßnahmen zur Umsetzung mündet. Die dritte Phase dient der Umsetzung der Maßnahmen. In Phase vier werden die Wirkungen analysiert und bewertet: Falls das Ziel nicht bereits erreicht ist, finden in einer fünften Phase erforderliche Modifikationen und Feinjustierungen des bestehenden Eindrucks der aktuellen Situation des Zielneukunden, der Strategie sowie der (künftig) geplanten Maßnahmen zur Umsetzung statt. Auf dieser Basis wird dann – falls der Erfolg nicht bereits eingetreten ist – bei Phase eins respektive zwei oder drei fortgefahren. Ein anderer Ansatz unterteilt den Verkaufsprozess in die Phasen Identifizierung – Qualifizierung – Verteidigung – Angebotsabgabe – Entscheidung – Realisierung. In diesem Prozessmodell wird die Synchronisation von Verkaufs- und Kaufprozess unter besonderer Berücksichtigung der Wettbewerbssituation in den Vordergrund gestellt. Es wird ausführlich bei Ackerschott (2001, S. 19) beschrieben. Die drei aufgeführten Modelle haben die Gemeinsamkeit, dass sie die Vertriebsmitarbeiter zu einer systematischen Vorgehensweise anhalten anstatt unkoordinierte, wenig zielführende Aktionen im Sinne von „shooting in the dark“ durchzuführen. Gleichzeitig können sie als Basis für die Definition von innerhalb einzelner Phasen durchzuführenden (Standard-) Maßnahmen dienen. Ein Beispiel hierfür bieten Vorhaben, den Neukunden innerhalb der Realisierungsphase auf die Kundenbindungsstufe „treu“ zu bringen und Wechselbarrieren aufzubauen. Ebenso lassen sich für die einzelnen Phasen kritische Erfolgsfaktoren für zu erreichende Phasenziele definieren. Dies insbesondere unter dem Aspekt, aussichtslose Vorhaben möglichst früh zu erkennen und abzubrechen oder neue Maßnahmen aufzustellen. Ein ideales Steuerungsinstrument für in dieser Weise definierte Verkaufsprozesse ist der so genannte Verkaufstrichter (siehe Ackerschott (2001, S. 27)): Mit diesem Controlling-Werkzeug des Vertriebsinstrumentenmix kann man die Neukundengewinnung steuern, einen Forecast generieren und gleichzeitig die Vertriebsmitarbeiter coachen. 1.6 Wichtige Aspekte der Vertriebspolitik Die Kernaufgabe Neukundengewinnung sollte nicht isoliert neben der Kundenbindung betrachtet werden. Nicht nur, um eine optimale Aufteilung (Allokation) knapper Ressourcen und Budgets zu ermöglichen, beispielsweise auf das Neukunden- und Stammkundengeschäft oder auf sich bietende Chancen im Markt mit unterschiedlich guten Erfolgsaussichten. Einzelheiten hierzu, insbesondere bezüglich der Allokation auf Markt- oder Kundensegmente, findet man bei Albers und Krafft (2001). Daneben hat ein pragmatischer Aspekt großes Gewicht: In vielen Fällen ist es wichtiger oder einfacher, Kundenabwanderungen („Customer Churn“) zu stoppen als Neukunden aufzubauen. Dies gilt besonders für Oligopole oder Branchen mit naturgemäß hohen Wechselbarrieren. Deshalb ist es wichtig, sich abzeichnende Kundenabwanderungstendenzen frühzeitig zu erkennen. Dabei kann ein Beschwerdemanagementsystem gute Dienste leisten (siehe Kapitel 11). In der Praxis ist es oft auch einfacher und billiger, einen verlorenen Altkunden wieder zu aktivieren als einen Neukunden zu gewinnen, weil im Unternehmen bereits Kundenwissen vorhanden ist. Allerdings besteht die Gefahr der Nichtaktualität. Insgesamt ist der richtige Zeitpunkt des Aufsetzens der Reaktivierungsstrategie ein kritischer Erfolgsfaktor. Zumindest ist es sinnvoll zu warten, bis etwaige Gegner nicht mehr an Board sind oder ihr Einfluss im Buying Center oder im aktuellen Kaufprozess nachgelassen hat. Beim Wiederaufbau von Vertrauen kann natürlich die mit dem aktuellen Lieferant gesammelte Erfahrung helfen. Deshalb sollte man beim Verlust eines profitablen Kunden zwar die Beobachtung auf ein Mindestmaß zurückfahren, aber nicht ganz einstellen. Andererseits führen Allokationsüberlegungen, verbunden mit der Tatsache, dass sich viele Maßnahmen der Neukundengewinnung von solchen der Kundenbindung generell unterscheiden, zur Frage, ob die beiden Kernaufgaben von verschiedenen Spezialistenteams durchgeführt werden sollten. Diese Überlegungen werden von der Tatsache begleitet, dass bei der Neukundengewinnung Erfolg und Misserfolg besonders nahe beieinander liegen. Deshalb kann die Motivation der Vertriebsmitarbeiter für die Kundenakquisition – speziell bei Vorliegen günstiger Erfolgsaussichten bei Stammkunden – schnell Schaden erleiden. Eine interessante koordinierte Vorgehensweise bei der getrennten Bearbeitung praktiziert die Firma Dell Computer: Das Hunter-Team ist für die Neukundengewinnung verantwortlich. Neukunden werden, nachdem sie einen definierten Status der Kundenbindung erreicht haben, an das Farmer-Team übergeben, das im Rahmen der Kernaufgabe Kundenbindung die weitere Betreuung übernimmt. Inzwischen gibt es die Möglichkeit des Außendienstleasings. Setzt man unternehmensfremde Mitarbeiter – ähnlich Handelsvertretern – etwa für die Kundenakquisition ein, muss man natürlich die entsprechenden Prämien und Provisionen im (Neu-) Kundenwert berücksichtigen. Ähnliches gilt für mehrstufige Vertriebskanäle. Kritisch ist oft allerdings die spätere Übernahme der Verantwortung durch eigene Vertriebsmitarbeiter. Andere Ansätze setzen zur Neukundengewinnung nicht nur eigene Vertriebsmitarbeiter oder die von Lieferanten ein, sondern die von ausgewählten eigenen Kunden. Bei diesem Ansatz wird das Referenzkundenpotenzial also gezielt aufgebaut und genutzt: „Referenzkunden-Marketing arbeitet im Stillen. Zum Vorteil der Top-Verkäufer“ (Winkelmann (2000, S. 326)). Im Rahmen der Vertriebspolitik sollte man ebenfalls klären, wie man mit Interessenten verfährt, die an das Unternehmen herantreten, obwohl sie keine Zielneukunden und keine Prospects sind. Bei Beachtungen dieser Aspekte ist auch die Kompatibilität der Neukundengewinnung mit der Vertriebspolitik gewährleistet. 1.7 Fazit Neukundengewinnung ist teuer. Der Erfolg eines Unternehmens hängt immer stärker von der Qualität der Kundenbeziehungen ab. Insbesondere die Profitabilität des einzelnen Kunden ist ein kritischer Aspekt. Bei manchen Kunden wird man diese durch Optimierung der Kostenseite der Kundenbeziehung verbessern können. Bei anderen wird das nicht möglich sein. Während man bei solchen unprofitablen Kunden über einen Abbau nachdenkt, können andere profitable Kunden trotz größter Bemühungen des Lieferanten abwandern oder sogar vom Markt verschwinden. So wichtig die Kundenbindung auch ist: die Neukundengewinnung darf nicht vernachlässigt werden. Im Gegenteil muss sie in den meisten Fällen sogar in vorausschauender Weise gezielt durchgeführt werden, um drohende Verluste aufzufangen. Um die Profitabilität der Gesamtheit aller Kundenbeziehungen nicht zu verschlechtern, sollten neue Kunden profitabel sein oder die Möglichkeit zur kurzfristigen Überschreitung der Profitabilitätsschwelle aufweisen. Zudem will man treue Neukunden aufbauen. Aus den genannten Gründen ist bei der Neukundengewinnung systematisch vorzugehen: das Ziel ist nicht lediglich der Erstkauf „um jeden Preis“, sondern der profitable Neukunde, der sich fest an seinen Lieferanten bindet. Für die Bewältigung dieser Aufgabe, deren Stellenwert aufgrund des ständig steigenden Wettbewerbsdrucks immer mehr zunimmt, wurden in der Praxis erprobte Instrumente aufgezeigt. 1.8 Literaturverzeichnis Ackerschott, H. (2001): Strategische Vertriebssteuerung, 3. Aufl., Wiesbaden, Gabler. Albers, S.; M. Krafft (2001): Optimale Segmentierung von Kunden, Verfahren, Bewertung, Umsetzung, in: Albers, S.; V. Hassmann, T. Tomczak (Hrsg.): Verkauf: Kundenmanagement, Vertriebssteuerung, E-Commerce, Düsseldorf, Symposion. Blattberg, R. C.; J. Deighton (1996): Manage Marketing by the Customer Equity Test, Harvard Business Review, 136 - 144 Cornelsen, J. (1996): Kundenwert, Begriff und Bestimmungsfaktoren, Arbeitspapier Nr. 43, in: Diller, H., Arbeitspapiere des Lehrstuhls für Marketing an der Universität Erlangen-Nürnberg. Dowling, G. R.; M. Uncles (1997): Do Customer Loyalty Programs Really Work, Sloan Management Review, Vol. 38, , 71 - 82 Grion, R. S. 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