Donnerstag, 12.05.2016 14.00 Uhr Impuls Was heißt „politisch

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Frank Kittelberger
Studienleiter Referat IV
Ethik in Medizin und Gesundheitswesen, Pastoralpsychologie und Spiritual Care, Akademiearbeit in Franken
zugehörig – angewiesen – gemeinsam
Warum der Trialog in der Psychiatrie einen hohen Stellenwert hat
11. - 12. Mai 2016 in Tutzing
Donnerstag, 12.05.2016
14.00 Uhr
Impuls
Was heißt „politisch wirksam sein“?
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
bevor wir uns heute Nachmittag mit den Fragen der politischen Wirksamkeit auch im Felde der
Gesundheitsgesetzgebung und der Belange der Psychiatrie und es Trialogs beschäftigen, möchte ich ein
paar Ausführungen zum Begriff Politik und zur politischen Wirksamkeit vorausschicken.
Wenn von Politik die Rede ist, kommen zunächst immer die politischen Parteien und die staatlichen
Entscheidungsinstanzen und die kommunalen Parlamente und die politischen Mandatsträger in den
Blick. Politik ist das Geschäft von Regierungen und Parlamenten und wird bewegt von den Parteien, die
in unserem Land zugelassen und aktiv sind.
Das Wort Politik begegnet uns aber auch in vielen Zusammensetzungen: Gesellschaftspolitik,
Wirtschaftspolitik, Kirchenpolitik, Familienpolitik, Unternehmenspolitik, Gesundheitspolitik und viele
andere. Damit sind also bestimmte Felder und Gegenstandsbereiche bezeichnet, auf die sich politisches
Handeln bezieht. Zum anderen kommen damit auch immer andere Akteure in den Blick, die jeweils auf
ihre Weise Politik machen.
Schließlich hört man immer wieder, dass der eine oder andere Beschluss einer Veranstaltung, die eine
oder andere Stellungnahme einer Gruppe, oder auch die eine oder andere Aktion einzelner Aktivisten
politische Wirksamkeit entfaltet. Was damit genau gemeint ist, kann man nicht immer näher
bestimmen. Aber irgendwie kann vieles politisch wirksam sein, auch wenn es nicht direkt aus einem
Parlament oder einer Parteizentrale kommt.
Um dem Blick also nicht vorzeitig einzuengen, empfiehlt es sich, Politik in einem weiteren Sinn zu
verstehen. So findet Politik in den unterschiedlichsten sozialen Zusammenschlüssen statt, sei es ein
Gesangsverein, die Bundesärztekammer, eine Universität oder auch ein Verein für psychische
Gesundheit. Natürlich kann es auch ein Stadtrat oder der Staat sein. Politik umfasst viele Vorgänge der
kollektiven Willensbildung und Entscheidungen, deren Ergebnis für ein Kollektiv, seine einzelnen
Mitglieder und seine Umwelt wirksam sind. Solch ein Kollektiv kann die Gesellschaft sein, oder eine
gemeinde oder eine bestimmte Gruppe.
Der Gegenstand politischen Handelns kann in konkreten Plänen und Maßnahmen bestehen, mit denen
man Ziele erreichen möchte. Auch wenn die Mitglieder eines Kaninchenzüchtervereins sich
zusammentun, um ihren Vorsitzenden abzusetzen, ist das ein politischer Akt. Es geht immer auch um
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Grundlagen für das politische Handeln und damit um Regeln, nach denen sich das Handeln und die
Entscheidungen einer Gruppe in seinen Außenbeziehungen richtet. Wenn also der FC Bayern einen
wertvollen Spieler von Borussia Dortmund kauft, dann ist das ein politischer Akt: Es wird im
Gesamtgefüge der Bundesliga etwas verändert, was durch strategisches Nachdenken und gezielte
Manöver zu Wege gebracht wurde.
In unserer Gesellschaft gilt zum Glück:
Mitdenken darf jeder.
Mitreden darf jeder.
Sich zusammenschließen, um etwas zu bewegen, darf jeder.
Und wählen darf jeder. – ja, das auch, aber eben nicht nur!
Politik ist also viel mehr, als Gesetzgebung und Parteipolitik.
Der Begriff kommt aus dem griechischen, weil das Wort polis nichts anderes als Stadt bedeutet. Die
Menschen in einer Stadt haben sich schon im alten Griechenland – und sicher auch viel früher – bemüht,
ihre Belange zu regeln, um das Zusammenleben halbwegs erträglich zu machen. Was die Bürger im
einzelnen taten, hat sich auf die Gemeinschaft ausgewirkt: Es betraf die polis und war damit Politik.
Mit dem Begriff zoon politikon (ζῷον πολιτικόν) bezeichnete der Philosoph Aristoteles eine Wesensart
des Menschen. Er sei „ein politisches Wesen“. Der Duden erklärt diesen Begriff so, dass er den
Menschen als „soziales, politisches Wesen“ beschreibt.
Die Forscher sind sich nicht ganz einig, ob in der Antike damit der Mensch generell als ein soziales und
auf Gemeinschaft und Gemeinschaft bildendes Lebewesen bezeichnet wurde, oder ob es im engeren
Sinn nur um den Bezug des Menschen auf seine Stadtgemeinschaft ging. Einig sind sich aber alle, dass
schon die frühen Philosophen erkannt haben, dass Politik und politische Wirksamkeit Eigenarten und
Bestrebungen eines jeden Menschen sind.
Wir sollten das im Blick behalten, wenn wir uns über die politische Wirksamkeit und unserem
politischen Auftrag Gedanken machen. Es geht eben nicht darum, die Politik anderen zu überlassen. Es
geht aber auch nicht, so zu tun, als hätte man selbst nichts mit der Politik zu schaffen. So wie wir vom
Psychoanalytiker Paul Watzlawik gelernt haben, dass der Mensch „nicht nicht kommunizieren“ kann, so
sollten wir auch akzeptieren, dass der Mensch auch nicht unpolitisch sein kann. Auch wer nicht zur Wahl
geht, trifft eine Entscheidung. Wer sich aus dem politischen Alltagsgeschäft heraushält, trifft eine
Entscheidung. Wer meint, er interessiere sich nicht für Politik, überlässt diese den anderen und trifft
damit eine Entscheidung. Wer sein eigenes Verhalten in seiner Gruppe, in seiner Familie, in seinem
Verein, in seiner Gemeinde, in seiner Kommune oder seinem Land für unpolitisch erklärt, denkt nur
nicht darüber nach, was genau dieses Verhalten politisch bedeutet.
Im günstigsten Fall überlässt man Wirksamkeit den Anderen. Im ungünstigsten Fall verleugnet man
seine eigene Wirksamkeit, indem denkt, man sei unpolitisch.
Doch unpolitisch kann niemand sein.
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Ich möchte dies an einem Beispiel deutlich machen:
Im Vorfeld dieser Tagung hatte ich einen sehr regen Briefwechsel mit einem Arzt, der unser
Tagungsprogramm heftig angegriffen hatte. Man finden dort nämlich an einer Stelle den Begriff
Behandler:
Mitsprache aus Sicht eines Behandlers (Dr. Markus Opgen-Rhein)
Sie erinnern sich, das war gestern am Nachmittag.
Mit diesem Wort bezeichnen wir im Unterschied zu den Angehörigen und Patienten eben die Ärzte und
Therapeuten. Sie sind Behandler oder auch Behandelnde. Die Verwendung dieses Begriffes aber ist
eminent politisch, was mir erst im Nachhinein klar wurde. Mein Gesprächspartner hat sich bitter
darüber beschwert, dass wir damit einen Begriff aus den Nationalsozialismus übernommen haben, der
heutzutage eigentlich nicht mehr verwendet werden dürfte.
Im Dritten Reich war 1938 jüdischen Ärzten nämlich verboten, die Berufsbezeichnung „Arzt“ zu
verwenden. Sie galten als Krankenbehandler – und das war abwertend gemeint. Solche
Zusammenhänge hat nicht jeder im Blick. Mir war das nicht bewusst. Aber trotzdem war es eminent
politisch, als ich dieses Wort ins Programm geschrieben habe. Ich konnte im Dialog meinen
Gesprächspartner davon überzeugen, dass es weder so gemeint war, noch dem Duktus unserer Tagung
entspricht, den Begriff so zu verstehen. Letztlich war auch dieser Dialog dann politisch wirksam: Er hat
meinen Horizontbeweis erweitert und meine Aufmerksamkeit an dieser Stelle geschärft.
Mein Gesprächspartner wiederum hat sich von meiner Argumentation überzeugen lassen, hat die
Schärfe in seinem Vorwurf zurückgenommen und wünscht uns eine gute Tagung. Dieser kleine Vorgang
war eminent politisch. Er hat nicht nur Auswirkungen auf mein zukünftiges Verhalten, sondern er hat ein
Stück Dialogkultur ermöglicht, die weit über Vorwurf und Verteidigung hinausging.
Miteinander zu reden, ein Anliegen zu vertreten, Wünsche zu äußern und gemeinsam Strategien zu
entwickeln, wie man etwas auf demokratischem Weg erreichen kann. All das ist Politik! So gesehen ist
auch diese Tagung politisch wirksam, egal was sich nach dieser Tagung an Strukturen ändert oder eben
nicht.
Für dieses weite Verständnis von Politik gilt es immer wieder zu werben, damit wir unserem Mut zum
gemeinsamen Handeln nicht verlieren.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
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