Der Markt bedarf der politischen Ordnung

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Frühjahrstagung des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie
Tutzing
Tagungstitel „Schafft Ethik Wachstum?“
Rede Andrea Nahles:
„Der Markt bedarf der politischen Ordnung“
-ENTWURF-
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Gliederung:
1. Die Krise und ihre Bewältigung
2. „Unternehmerische Verantwortung“ als Lösung?
3. Der Markt bedarf der politischen Ordnung
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1. Die Krise und ihre Bewältigung
Die aktuelle Krise ist nicht das Ende des Marktes. Ich würde nie so weit
gehen wie Ole von Beust, der gesagt hat, der Kapitalismus ist gescheitert.1
Aber der Kapitalismus ist in einer schweren Krise.
Die Krise macht Maßnahmen erforderlich, die in einem funktionierenden
Markt nicht nötig wäre. Und die in einem funktionieren Markt auch nicht
angebracht wären:
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»Der Nationalismus und Sozialismus sind gescheitert. Und was ist mit dem Kapitalismus? Leider ist auch diese Idee
gescheitert. Der Markt allein richtet es nicht«, sagte von Beust bei einer Regierungserklärung vor der Hamburger
Bürgerschaft.
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Staatliche Rettungspakete, große Bürgschaften, staatliche Kredite, wenn es
sein muss auch Verstaatlichungen.
Solche Maßnahmen sind notwendig aufgrund der Dimension der Krise:
Die Weltwirtschaft schrumpft zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg,
der Welthandel wird 2009 den stärksten Rückgang seit 80 Jahren erleiden,
die globale Industrieproduktion könnte Mitte des Jahres um 15 Prozent
unter dem Wert des Vorjahres liegen.2
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Prognosen der Weltbank.
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Die Systemische Bedeutung von Unternehmen erfordert
Rettungsmaßnahmen des Staates. Nicht nur um Banken am Leben und
Finanzmärkte funktionstüchtig zu erhalten. Auch um industrielle Kerne zu
sichern. Dienstleistungsgesellschaften ohne industrielle Unterfütterung
funktionieren nicht, auch das hat die Krise gezeigt.
Eine City of London allein reicht für den Erhalt einer Volkswirtschaft
nicht aus. Großbritannien braucht Vauxhall noch nötiger als wir Opel
brauchen. Aber insgesamt kann Europa ohne industrielle Basis kein
wirtschaftliches Zukunftsmodell entwickeln. Große Teile des Mittelstands
hängen genau so davon ab, wie wichtige Dienstleistungsbereiche.
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Aber bei allen jetzt nötigen Maßnahmen muss eins klar sein: Das ist
Krisenmanagement, hier wird kein Anlauf auf eine neue Staatswirtschaft
unternommen. Was wir brauchen ist ein neuer verantwortlicher
Kapitalismus.
Der Markt hat sich historisch bewährt. Allerdings ist der Markt dann am
besten für die Menschen, wenn er Regeln hat.
Dann haben Viele Anteil an den geschaffenen Werten – und das ist
gerecht, da Viele am Schaffen der Werte Anteil haben.
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Am Ende der Krise muss eine neue Ordnung stehen, die diesen Grundsatz
in den Mittelpunkt stellt. Ich sehe dabei keinen neuen Sozialismus
heraufziehen und kenne nur wenige versprengte, die sich so etwas
wünschen. Ich sehe am Ende der Krise einen neuen Kapitalismus, der
durch Verantwortung für wirtschaftliche, soziale und ökologische
Nachhaltigkeit geprägt ist.
Ich werde nachher noch ausführlicher darauf eingehen, wie ich mir eine
politische Ordnung für die Märkte der Zukunft vorstelle, die diesem
Anspruch gerecht wird.
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2. „Unternehmerische Verantwortung“ als Lösung?
Da Ihr Tagungsthema die Frage stellt, ob Ethik Wachstum schafft, möchte
ich mich zunächst dieser Frage widmen.
Ethik als Richtschnur für das eigene Handeln halte ich für wichtig. Für
mich als Christin gibt es da gar keine Zweifel. Ethik gibt uns die
Grundlage, jenseits reiner Eigeninteressen Verantwortung zu übernehmen:
für uns selbst, für andere, für unsere Gesellschaft insgesamt.
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Für die Wirtschaft heißt das: Verantwortung für allen sozialen Schichten,
für unsere Umwelt, auch für die Menschen in anderen Ländern und auf
anderen Erdteilen.
Für den Unternehmer heißt das: Verantwortung auch für die Mitarbeiter
und ihre Familien, Verantwortung für die Region in der ich produziere,
Verantwortung auch in ausländischen Standorten und bei Zulieferern in
anderen Ländern.
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Norbert Röttgen hat in seiner viel beachteten Bundestagrede vom 7.
Oktober formuliert:
„Diese Krise zeigt an allererster Stelle, dass kein Regelwerk, schon gar
nicht die Wirtschaft bestehen kann, wenn die einzelnen wirtschaftlichen
Akteure glauben, frei von moralischer Bindung, frei von
unternehmerischer Ethik, ohne gesamtgesellschaftliches
Verantwortungsgefühl agieren zu können.“
Und Röttgen weiter:
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„Der Staat kann durch Regulierung nie ersetzen, was von
verantwortlichen Wirtschaftsakteuren an moralischer Selbstverpflichtung
nicht mehr empfunden wird. Nach unserer Überzeugung gehört der
Vorrang der ethischen Dimension unmittelbar und originär zur
Marktwirtschaft, und zwar an allererster Stelle.“
Da stelle ich mir aber schon die Frage, ob Herr Röttgen nicht die Aufgaben
von Politik und Ethik durcheinander bringt. Natürlich brauchen wir
ethische Grundlagen, ich habe das eben beschrieben. Aber Politik kann da
nicht stehen bleiben.
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Die christlichen Gebote sind richtig und wichtig. Aber Aufgabe der Politik
ist es, unsere ethische Vorstellungen, unsere Grundwerte in Regeln und
Maßnahmen umzusetzen.
Das biblische Gebot „Du sollst nicht stehlen“ darf doch die Politik nicht
davon abhalten, Strafgesetze gegen Diebstahl zu erlassen. Das ist der
Fehler der Röttgenschen Argumentation.
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Wenn Röttgen davon spricht, „die Grenzen des Gesetzgebers [zu]
beachten“, besteht die Gefahr, dass sich der Gesetzgeber auf
Kanzelpredigten beschränkt.
Damit erfüllt der Gesetzgeber aber weder seine Aufgabe, noch kann er das
besonders gut – jedenfalls wenn ich mir die durchschnittliche Qualität von
Bundestagsreden anschaue ;-)
Wenn es um die Gestaltung der Märkte geht, auf denen wirtschaftliche
Akteure nach Erfolgen streben und auf denen es einen harten
Konkurrenzkampf gibt, dann reicht Ethik als Moralappell nicht aus.
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Denn dann besteht die Gefahr, dass sie „in dem eiskalten Wasser
egoistischer Berechnung ertränkt“3 wird, wie ein Trierer Bürger das mal
formuliert hat.
Politik wird ihrer Verantwortung nicht gerecht, wenn sie „für den Markt
als Wertordnung“ eintritt, wie es Norbert Röttgen sagt. Gerade weil
Politik auf ethischen Grundlagen beruhen muss, darf sie den Markt als
Mittel, nicht als Ziel ihres Handelns sehen.
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Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei
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Oder umgekehrt: Wenn moralische unternehmerische Verantwortung
vorhanden ist, kann sie sich nur entfalten, wenn Politik bereit ist den
Märkten Regeln zu geben. Im Umgang mit Verantwortung gibt es zu oft
das fatale Motto: „Wenn ich nicht so handele, tun es die anderen.“
Dagegen müssen die Regeln des Marktes diejenigen schützen, die
verantwortlich handeln. Um damit das Verantwortungsbewusstsein von
Unternehmern zur Regel zu machen – und nicht zum Wettbewerbsnachteil.
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Regeln und Verantwortung sind also kein Widerspruch. Ohne Regeln wird
verantwortliches Handeln bestraft. Aber umgekehrt bleiben ohne
persönliche Verantwortungsethik Regeln auch hohl und leblos.
Ohne einen Konsens, dass wirtschaftliches Handeln nicht nur der schnellen
Bereicherung dient, wird es immer wieder Versuche geben, Regeln zum
eigenen Vorteil zu umgehen. Wenn solche Versuche die Ausnahme sind,
kann man sie bekämpfen. Wenn sie der Mainstream der wirtschaftlichen
„Eliten“ sind, stößt auch politische Regulierung schnell an ihre Grenzen.
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Das müsste nach der Krise eigentlich allen klar sein. Daher frage ich mich,
wo findet diese Debatte statt – außer hier in Tutzing.
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3. Der Markt bedarf der politischen Ordnung
Nur geordnete Märkte ermöglichen ethisches Wachstum. Wachstum, das
der Umwelt nicht irreparablen Schaden zufügt. Dazu braucht es Regeln,
die schlimmste Umweltschädigungen verbieten.
Es bedarf aber auch Marktanreize, die umweltfreundliche Produktion und
Produkte attraktiv machen. Auch solche Anreize gehören zu dem
Unterfangen, dem Markt eine politische Ordnung zu geben.
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Wir brauchen aber auch Wachstum, das den Menschen keine irreparablen
Schäden zufügt: Die Arbeitsbedingungen in vielen Fabriken der Dritten
Welt sind katastrophal und wir sehen in Handelsabkommen viel zu häufig
darüber hinweg.
Ich plädiere dabei nicht für einen neuen Protektionismus, der die
Schwellen- und Entwicklungsländer von den Wohlstandsgewinnen der
Globalisierung abschneidet. Aber ich bin überzeugt, dass bestimmte
Standards für Arbeitnehmer weltweit gelten müssen, zumindest die
Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO.
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Und auch bei uns gibt es Möglichkeiten für Verbesserungen bei den
Arbeitsbedingungen. Für gesündere, familienfreundlichere Arbeit.
Das Ziel der „Guten Arbeit“ bleibt für die Sozialdemokratie zentral. Das
erreichen wir aber nicht unter der Peitsche von 25 Prozent Rendite.
Josef Ackermann kann es ja nicht lassen, weiter Öl ins Feuer zu gießen. Er
erklärt, dass 25 Prozent Rendite für ihn weiterhin das Ziel ist. Das Feuer
der Krise ist noch längst nicht gelöscht und Ackermann wirft schon wieder
mit Brandbeschleunigern um sich.
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Und es gibt Geier die auch jetzt noch - mitten in der Krise - gut verdienen,
indem sie Kredite billig aufkaufen und Unternehmen die Fälligkeiten
aufdrücken. Damit zwingen sie die Firmen, die wegen der Krise ohnehin
in einer schwierigen Lage sind, in die Knie.
Das ist für mich ein eklatantes Beispiel, warum ich mich nicht allein auf
das Verantwortungsbewusstsein von Unternehmern und Managern
verlassen will. Nicht weil die Mehrheit so denkt wie Herr Ackermann oder
diese Geier. Aber weil wenige, die so denken, ausreichen um einen
Flächenbrand zu entfachen.
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Deshalb brauchen wir nach der akuten Krisenbewältigung eine politische
Ordnung auf den Finanzmärkten, die die Gefahr solcher Brände begrenzt.
Lassen Sie mich das kurz skizzieren: Brände verhindern wir mit
Rauchmeldern: Mit einer europäischen Finanzaufsicht. Und mit einem
konsequenten Vorgehen gegen Steueroasen, damit wir Informationen
bekommen was dort mit Geld aus Deutschland geschieht..
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Und wir brauchen Brandschutztüren: Das sind für mich die
Eigenkapitalvorschriften für die Banken. Wenn das Eigenkapital einer
Bank unter eine bestimmte Schwelle sinkt, muss die Tür zugehen und sie
darf bestimmte riskante Geschäfte nicht mehr machen. Bis sie wieder eine
ordentliche Kapitalausstattung hat.
Aber technisch Vorkehrungen allein reichen nicht. Um Brände
wirkungsvoll verhindern zu können braucht es Brandschutzbeauftragte:
Das sind für mich die Betriebsräte und Arbeitnehmervertreter in
Aufsichträten.
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Die treten dafür ein, dass Unternehmen langfristig Erfolg haben und
Arbeitsplätze schaffen. Und nicht nur auf das nächste Quartalsergebnis
und die hohe Rendite schauen.
Wir brauchen nicht weniger Mitbestimmung, sondern mehr. Und jeder
verantwortungsvolle Unternehmer und Manager hat das doch in den
letzten Jahren gelernt: Bei dem Versuch eine langfristige
Unternehmensstrategie durchzusetzen, sind die Betriebsräte seine
Verbündeten, nicht die der Finanzinvestor in seinem Unternehmen.
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Deren die Ideologie, die bis vor wenigen Monaten den Ton der globalen
Eliten bestimmt hat, ist gescheitert.
Die Zurückdrängung der demokratischen Gestaltung durch den Markt ist
die Ideologie von gestern. Jetzt gilt: „Mehr Demokratie wagen“, auch in
der Wirtschaft. Verantwortung ist nicht nur die moralisch richtige
Entscheidung des Einzelnen, sie liegt auch in der Notwendigkeit zur
Kooperation und zum Ausgleich.
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Wir brauchen eine Wirtschaftsordnung, die nachhaltig ist und ausgerichtet
auf die Bedürfnisse der Menschen. Die aber auch keine wolkige
sozialromantische Vision ist, sondern besteht im rauen Wind der
Globalisierung.
Das sage ich auch ganz klar und nicht nur hier, sondern auch in
Versammlungen mit Gewerkschaftern: Es gibt auch weiterhin keine
Aussicht auf die Rückkehr in die 70er Jahre per Parteitagsbeschluss. Es
gibt kein Versprechen, dass der Wettbewerb weniger hart wird.
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Aber wir können und müssen dem Wettbewerb Regeln geben. Auch auf
der internationalen Ebene muss das Primat der Politik wieder gelten. Mit
Regeln für die Finanzmärkte und die globalisierte Produktion. Dazu
müssen Regeln auf globaler, europäischer und nationaler Ebene ineinander
greifen.
Dies zu verwirklichen ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Sie wird nur
gemeinsam mit Partnern in anderen Ländern zu erreichen sein. Und sie
darf nicht von egoistischen Versuchen geprägt sein, allein Vorteile für die
eigene Volkswirtschaft zu erlangen.
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Aber selbst wenn wir gute Regeln für den Markt schaffen, wird es
Probleme geben, vor denen wir die Augen nicht verschließen dürfen: Auch
in einem perfekten Markt wird es Armut geben. In unserem Land und in
der Welt.
Weil aber Armut, und besonders die Armut von Kindern, für uns ethisch
nicht hinnehmbar ist, werden wir auch weiterhin an dieser Stelle die
Ergebnisse des Marktes korrigieren müssen. Und wir werden das auch in
wirtschaftlich schwierigen Zeiten tun.
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Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, hat
Recht, wenn er sagt:
„Ein Nachlassen im Kampf gegen Armut und Hunger sowie die Folgen des
Klimawandels können nicht die Antwort auf die Krise sein.“4
Von einer gerechten Weltwirtschaftsordnung, werden wir auch in
Deutschland profitieren.
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Statement anlässlich des Studienhalbtages der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz zur
Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise am 4.3.09
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Deutschland hat eine große Chance – sein Modell von hoher Produktivität
durch gut ausgebildete Fachkräfte, hohe soziale Standards und einer hohen
Sensibilität für die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen hat Zukunft.
Dieses Modell ist wirtschaftlich vernünftig und ethisch tragfähig. Wenn
ich mich also frage „Schafft Ethik Wachstum?“, sage ich „Ja, wenn der
Markt eine ethisch begründete politische Ordnung hat.“
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