Rechtssicherheit im Netz Vier Vorlesungen zum Thema: Ethik, Recht, Gesellschaft und Geld (und „Wirtschaften“) Prof. Dr. Hans-Ulrich Niemitz (HTWK Leipzig) 1. Warum gibt es Zivilisation – und andere grundlegende Fragen (Rätselakkumulation)? (29.03.06) 2. Die operativ-logische Rekonstruktion der Gesellschaft (Ethik, Recht, Gesellschaft) (05.04.06) 3. Zahlungssysteme und das Wunder Menschenrecht (12.04.06) 4. Technik, Informatik, Wissenschaftlichkeit (19.04.06) Wir haben uns in der dritten Vorlesung (12.04.06) beschäftigt mit: • Fortsetzung und Abschluss der operativ-logischen Kette • Die Bedeutung des „nichtGeldes“ • Geldkredit ohne Geldemission • Mieten und Geld • Definition von Besitz, Eigentum und Proprietas • Das allgemeine Lizenzgeschäft (im Folgenden: Rechtstitelgeschäft) • Geldemission heute: das (moderne) zweistufige Bankensystem • Was machen Banken? • Buchen und das (Giro)Konto (Es gibt kein Giral- oder Buchgeld) • Das Menschenrecht – und woher kam die Sklaverei? • Arbeiter vermieten sich (ihre Besitzseite) und verkaufen nicht ihre Arbeitskraft • Heutige Ethik bzw. heutiges ethisches Recht verbieten Sklaverei – auch freiwillige! Alle rot gekennzeichnete Begriffe bzw. Probleme/Rätsel sind gelöst – wie in den folgenden Folien gezeigt. Der Weg – paradigmatisch neu von: Ethik Chronologie Zivilisation Geschichte Wissenschaft Philosophie Wirtschaften: Kredit Gesellschaft Proprietas = Eigentum + Besitz Sklaverei Menschenrecht Lohnarbeit Recht Zins Geld Technischer Fortschritt – modern: nicht endend -------------------- ANTIKE --------------------................................................ ......................................................................----------- MODERNE --------Fo-04-C-RechtssichNetz-ParadigmaWeg / 03.04.06 Chronologieprobleme Der schnelle Start der Antike – also der antiken Gesellschaft – kann nicht verstanden werden, wenn man zwischen dem Ende der Herrschaft (in Griechenland die Mykener, Stichwort: Trojanischer Krieg, beschrieben vom Dichter Homer in der Ilias) und dem Start der Gesellschaft sieben leere Dunkle Jahrhundert („dark ages“) annimmt. Eine Revolution der Beherrschten gegen ihre Herrscher ist plausibler und entspricht auch den Aussagen der Quellen. Diese Revolution konnte gelingen, weil die Macht der Herrscher durch eine globale Naturkatastrophe so geschwächt war, dass die Revolutionäre siegen konnten. Sie konstruierten das, was wir Gesellschaft (als normatives Konstrukt) und Zivilisation (als das real Beobachtete) nennen. Fo-B-ChronologieDarkAges / 18.04.06 Die moderne Ethik Vier Verbote als Konstruktionsprinzipien der neuen Form des Zusammenlebens (Gesellschaft), die nicht Gemeinschaft und nicht Herrschaft sein darf. Verbot 1: Niemand darf dem anderen befehlen oder sogar versuchen, diesen Befehl gewaltsam durchzusetzen. Nur wenn jemand gegen die Ethik verstößt, darf per Gewaltanwendung durch alle (bzw. Institutionen) das ethische Verhalten erzwungen werden (Verbot der Unfreiheit, d.h. Zwang zur Freiheit). In der Herrschaft konnte der Herrscher befehlen und gewaltsam Gehorsam durchsetzen. Aber auch die Gemeinschaft konnte Gemeinschaftsmitgliedern befehlen. Fo-B1-EthikmodernNeufassung / 18.04.06 Die moderne Ethik Verbot 2: Niemand darf fordern, er dürfe oder müsse ungleich im Vergleich mit den anderen handeln oder behandelt werden ( ein Mann, eine Stimme bzw. Gleichbehandlung durch die [zu erstellenden ethischen!] Gesetze (Verbot der Ungleichheit, d.h. Zwang zur Gleichheit). In der Herrschaft war der Herrscher per se privilegiert. Fo-B2-EthikmodernNeufassung / 18.04.06 Die moderne Ethik Verbot 3: Niemand darf dem anderen etwas wegnehmen, aber auch: niemand darf dem anderen etwas geben (Verbot des Nehmens und Gebens, d.h. Zwang zum „Enteignungsverbot“ – zuerst bezogen auf das Heredium, dann nach Erfindung des Rechts [Verbot des Nehmens und Gebens und „auf höherer Stufe“] auf die Proprietas). In der Herrschaft konnte der Herrscher jedem alles nehmen (Herrscherwillkür, auch: Willkür der Minderheit bzw. des Herrschers). In der Gemeinschaft mußte jeder jedem soviel geben, wie er in der Not brauchte (Solidarpflicht). Die Gemeinschaft bestimmte in unvorhersehbarer Weise, was das ist (Gemeinschaftswillkür: auch Willkür der Mehrheit). Fo-B3-EthikmodernNeufassung / 18.04.06 Die moderne Ethik Verbot 4: Niemand darf Eigentum an einem anderen haben (Verbot der Sklaverei [der Sklave ist Eigentum bzw. Proprietas], Verbot der Leibeigenschaft [diese ist ein Gewaltverhältnis]). Das ist das Menschenrecht Das Prinzip, dass ausgeschlossen sein muss, nach der Eigentums-BesitzProprietasaktion entscheiden zu können, ob diese abgewickelt worden war oder nicht, lässt erkennen: Auch Organtransplantation ist verboten, da unethisch (Stichwort: irreversible Organsklaverei). Der Organspender müßte immer und sofort sein Eigentum (Beispiel Niere), das nun Besitz des Organempfängers ist, wieder zu seiner Proprietas machen können, d.h. auch in seinen Besitz bringen können. Fo-A-EthikmodernNeufassung / 18.04.06 Das Recht bzw. das Rechtssystem entsteht aus der (lebensweltlichen) Notwendigkeit, dass man einander geben und voneinander nehmen dürfen muss. Das Recht verpflichtet Gebende und Nehmende – und ermöglicht dies auch erst! –, mit Hilfe von Rechtstiteln die gegenseitigen Forderungen „wahr und wirklich“ zu garantieren. Die Gesellschaft bzw. alle anderen Gesellschafter sind formal-prozedural die Garanten, dass gefordert werden kann (Aspekt der Logik, das System ist konsistent und lässt vorhersagen, was geschehen wird [„wahr“]). Und sie sind die Garanten, dass die Vollstreckung (durchgeführt von der Gesellschaft für den Fordernden) gegebenenfalls durchgeführt werden kann, so dass natural-inhaltlich gegeben werden muss (Aspekt der Wirklichkeit, der Fordernde bekommt wirklich etwas [„wirklich“]). Fo-B1-RechtNeufassung / 18.04.06 Dieser Beschluß, Ethik und Recht zu setzen, ist kein Mehrheitsbeschluß! (Dies gilt für Ethik und Recht und damit auch für Gesellschaft.) Dieser Beschluß muss einstimmig gefällt werden. Wer nicht mitmachen will, muss gehen. Er gehört nicht zur Gesellschaft. Und jeder, der bewußt (und manipulativ bzw. dann kriminell) oder auch unbewußt gegen Recht und Ethik verstößt, muss ermahnt und letztlich bestraft (oder, wenn möglich, ausgeschlossen) werden. Wenn die Mehrheit gegen Recht und Ethik verstößt und sich nicht bremsen lässt, gehen Ethik, Recht und Gesellschaft verloren. Alle historische Erfahrung sagt, dass dann Herrschaft kommt (Hitler, Stalin, Honecker). Fo-B2-RechtNeufassung / 18.04.06 Besitz ist an einer Entität der Rechtsanspruch, der einen Rechtstitel erzeugen lässt, der nicht eine Belastung bedeutet. Eigentum ist an einer Entität der Rechtsanspruch, der einen Rechtstitel erzeugen lässt, der nur eine Belastung bedeutet. Kommentar: Jede Entität dieser Art ist immer Besitz und Eigentum zugleich. Jede Entität hat einen Besitzer (bzw. dieser besitzt sie) und hat einen Eigentümer (bzw. dieser hat sie zum Eigentum). Besitzer und Eigentümer können eine Person sein. Dann ist diese Person der Proprieteur. Der Proprieteur kann alle anderen von seiner Proprietas ausschließen. Er kann seine Proprietas aufspalten in Besitz und Eigentum, so dass Besitzer und Eigentümer verschiedene Personen sind (Beispiel: Vermieter/Eigentümer vermietet an Mieter/Besitzer). Fo-B1-BesitzEigentumNeufassung.doc / 18.04.06 Zwischen Besitz und Eigentum lassen sich infolge der Vertragsfreiheit „Zwischendinger“ erzeugen. So den Mietvertrag mit Kündigungsfrist oder abgesicherter Laufzeit: der Eigentümer ist für diese Zeit gehindert, sein Eigentum zu Proprietas zu machen [„Verschiebung“ hin zur Eigentumseigenschaft]. So den Geldkreditschuldvertrag, bei dem während der Laufzeit (und nicht erst am Ende) Zinsen gezahlt werden müssen: der Gläubiger/Krediteur kann, wenn (auch nur) eine Zinsrate nicht gezahlt wird, vorzeitig den Kreditschuldvertrag kündigen und vorzeitige Erfüllung fordern [„Verschiebung“ hin zur Besitzeigenschaft]. Fo-B2-BesitzEigentumNeufassung.doc / 18.04.06 rechtsunsichere Gesetzbücher In den folgenden drei Folien wird gezeigt, wie die ethisch falsche Definition von Besitz und die Nichtdefinition von Eigentum im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und Strafgesetzbuch (StGB) Rechtsunsicherheit schaffen! Gewalt schafft Rechtsansprüche? BGB § 854 Erwerb des Besitzes. (1) Der Besitz einer Sache wird durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache erworben. „Wir wissen nicht, was Eigentum ist.“ Der Jurist und Rechtsphilosoph Norbert Körsgen schreibt 2005 in seinem Aufsatz „Eigentum als Grundrecht im Grundgesetz“ (in Andreas Eckl; Bernd Ludwig (2005): Was ist Eigentum? Beck) nach längerer Analyse: „Darin wird das Dilemma des BVerfG deutlich. Es muß ... Rechtsprechung sichern und braucht dazu einen Grundrechtbegriff von Eigentum ... . Alle Rechtsprechung ist Anwendung bestimmter Rechtsbegriffe. Kein Gericht soll zugleich den Inhalt von ihm anzuwendender Rechtsbegriffe (allein) bestimmen und anwenden. Das läßt die Gewaltenteilung ... nicht zu. / Der Grundgesetzgeber hat ... das Eigentum als Institutsgarantie gewährleistet (Gewährleistungsformel), und damit deren Anwendungsbereich bestimmt: das Eigentum. Den Verfassungsinhalt dieses reinen Rechtsbegriffs läßt er unbestimmt. Damit hat dieser von Verfassung wegen keine Inhalts- und keine Umfangsbestimmung, ist unanwendbar“ (258f). „Der (grundgesetzliche) reine Rechtsbegriff `Eigentum´ ist unbestimmt (geblieben)“ (259). „Wir wissen nicht, was Eigentum ist“ (260). ... „So sucht die Verfassungsgemeinschaft noch heute nach ihrem Begriff vom Eigentum“ (260). Stromdiebstahl – Datensatzdiebstahl? Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen, hg. Von den Mitgliedern des Gerichtshofes und der Reichsanwaltschaft, Bd. 32. (1900), S. 181, 183, 185 [Brand/Hattenhauser (1994): Der Europäische Rechtsstaat. 200 Zeugnisse seiner Geschichte. Heidelberg, Seite 122f] Kann Strom gestohlen werden? Der Begriff der Sache (die gestohlen werden kann gemäß § 242 St.G.B) ist hier nicht anwendbar. Die „Garantiefunktion des gesetzlichen Tatbestandes“ führte zum Freispruch. Extra-Paragraph! § 248c StGB: „Entziehung elektrischer Energie“ Zins und Sicherheit entstehen: Für die Gläubiger – oder wie später zu erkennen die Rechtstitelakzeptanten – muss ausgeschlossen sein, entscheiden zu können, ob nach Ablauf des Geschehens dieses Rechtsgeschäft (Rechtstitelakzeptanz) abgeschlossen worden war oder nicht. Das, was der Rechtstitelakzeptant weggegeben hat, muss deshalb versichert werden hinsichtlich des Eintretens des Risikofalls: der Rechtstitelemittent muss Sicherheit, in die vollstreckt werden kann, stellen oder vorgewiesen haben. Außerdem müssen dem Rechtstitelakzeptanten die entgangenen Möglichkeiten dessen, was er weggegeben hat, ausgeglichen werden. Fo-B1-KreditZinsSicherheitWirtschaft / 18.04.06 Diese entgangenen Möglichkeiten sind erstens die Vermehrung oder naturale Nutzung des Weggegebenen („Besitzseite“). Und diese sind zweitens der Wegfall der Sicherheit, die dadurch gegeben wäre, das Weggegebene (natural) zu verbrauchen oder (rechtlich) zu belasten („Eigentumsseite“). Diese entgangenen Möglichkeiten erzwingen den Zins. Ohne Sicherheit und Zins würde ein irreversibler Vermögensschaden entstehen. Fo-B2-KreditZinsSicherheitWirtschaft / 18.04.06 Wirtschaften ist nicht „Tauschwirtschaft“ oder „Mangelwirtschaft“ oder „Geldwirtschaft“, sondern bedeutet, Rechtsgeschäfte zu tätigen, d.h. Proprietas zu „riskieren“. Dies führen im allgemeinen auch dazu, zu produzieren, um Besitz und Eigentum zu vermehren - dies, um Schulden begleichen und Zins geben zu können. Gewirtschaftet kann werden, sobald belastbares Eigentum bzw. Proprietas vorliegt. Es muss nicht gespart werden. Es muss nur ein Rechtssystem vorhanden sein. (Der Wechsel kommt ohne Sparen in die Welt!) Fo-B3-KreditZinsSicherheitWirtschaft / 18.04.06 Geld entsteht entweder privat von geldemittierenden Gläubigern (diese emittieren Banknoten [Zettel] für ihre Schuldner gegen die von den Schuldnern für sie emittierten Schuldscheine) oder Geld entsteht staatlich lizenziert von geldemittierenden Zentralbanken (diese emittieren das gesetzliche Schuldenzahlungsmittel) gegen sichere Wertpapiere. Wertpapiere sind dann sicher, wenn sie – wie privat emittiertes Geld – doppelt gesichert sind, und zwar unmittelbar gläubigergesichert und mittelbar (d.h. indirekt) schuldnergesichert (klassisches Wertpapier dieser Art ist der Wechsel). Geld ist kein Tauschmittel. Geld ist (nur) Schuldenzahlungsmittel. „Das Geld wurde dazu erfunden, dass wir immer wissen, wie hoch wir verschuldet sind.“ – so ein Witz, der wirklich die Wahrheit sagt ... Fo-A-GeldNeufassungVorlesung4 / 18.04.06 Lohnarbeit Besitz- und Eigentumslose haben in Gesellschaften mit Menschenrecht immer Eigentum an sich selbst in dem Sinne: Verbot 4: Niemand darf Eigentum an einem anderen haben (Verbot der Sklaverei [der Sklave ist Eigentum bzw. Proprietas], Verbot der Leibeigenschaft [diese ist ein Gewaltverhältnis]). Deshalb sind Besitz- und Eigentumslose immer vertragsfähig hinsichtlich eines Mietvertrages, d.h. Arbeitsvertrages. Sie vermieten „ihren Besitz“ an den Unternehmer. Sie können sicher sein, nicht versklavt zu werden. Dieser Mietkontrakt stellt für sie keine Gefahr dar. Auch überschuldete Unternehmer können nicht in die Sklaverei gebracht werden. Sie haben ein zweite Chance. Die Anzahl der Unternehmer nimmt nicht ab (eher zu!). Fo-A-Lohnarbeit / 18.04.06 Bemerkung zur nächsten Folie Wenn mit Geld Geschäfte gemacht werden, dann werden im Prinzip Rechtstitel, d.h. eben Forderungen auf „nichtGeld“ emittiert. Dies ist dann eben ein „allgemeines Rechtstitelgeschäft mit Geld und nichtGeld“. In der letzten Vorlesung hieß das noch das „allgemeine Lizenzgeschäft“. Die Struktur dieses Geschäftes finden Sie im „Schuldvertragsmodell“ (auch „Wabnermodell“) kommender Vorlesungen wieder. Das allgemeine Rechtstitelgeschäft mit Geld und nichtGeld Zahlung/Geld Geld-Schuldner Geld-Gläubiger allg. „RtE“ / Geld Lizenznehmer, Käufer, Mieter spez. RtA / nichtGeld allg. RtA / Geld Verkäufer, Vermieter, Lizenzgeber spez. RtE / nichtGeld nichtGeld-Gläubiger nichtGeld-Schuldner Rechtstitel (nichtGeld) Das Recht neu denken! Es geht hier nicht darum, das Recht neu zu interpretieren. Da die Gelehrten und Juristen nicht wissen, was Recht ist (wie gleich zu lesen), ist jedes Gesetz höchstens zufällig ethisch korrekt und jedes Urteil Ergebnis einer Interpretation, die zwangsläufig rechtsunsicher sein muss. BGB: Besitz ist falsch definiert. BGB: Eigentum ist nicht definiert. Entweder wir denken das Recht neu und setzen dieses neue Denken durch, oder die Gesellschaft droht verloren zu gehen. „Das Recht auf einen einfachen Begriff zu bringen, wird wohl nie gelingen.“ „Das Recht auf einen einfachen Begriff zu bringen, wird wohl nie gelingen“, so Reinhold Zippelius, Professor für Rechtsphilosophie und öffentliches Recht in seinem Buch „Das Wesen des Rechts. Eine Einführung in die Rechtsphilosophie“. München, Beck 1997, Seite 2. RechtaufeinenBegriffbringenscheitertZippe / 30.03.2006 „Jeder Versuch einer Letztbegründung ... ist ... zum Scheitern verurteilt.“ „Jeder Versuch einer Letztbegründung rechtlicher oder moralischer Normen ist nach ALBERT zum Scheitern verurteilt. Eine ´letzte Begründung´ kann es nicht geben, weil für jede Begründung wieder nach einem Grund gefragt werden kann. Wer nach einer letzten Begründung sucht, muss entweder immer weitere Begründungen angeben (unendlicher Regress), sich auf einen Satz stützen, der in der Begründungskette bereits aufgetaucht war (Argumentationszirkel) oder das Begründungsverfahren abbrechen (dogmatischer Abbruch). Der Letztbegründer steht damit vor einer ähnlichen Situation wie der berühmte Lügenbaron, weshalb ALBERT auch von dem „Münchhausen-Trilemma´ spricht“ (dtv-Atlas Recht, Band 1, 2003, Seite 49). RechtaufeinenBegriffbringenscheitertAlbrechtdtv / 30.03.2006 universell oder generell gesellschaftlich? So hilflos, wie eben gezeigt, müssen Philosophen und Juristen argumentieren, die meinen, immer universalistisch denken bzw. analysieren zu müssen. Dass es manches nur in der Gesellschaft geben kann – und dann eindeutig und gesellschaftlich wie letztbegründet ist –, ist ihnen undenkbar. (Analog die Wirtschaftswissenschaftler: „homo oeconomicus“.) „In der Masse gerecht“? Ein Grundproblem der universalistischen „Mehrheits-“ und „Masse-Denker“: Sie erkennen nicht: Rechtssicherheit muss für jeden einzelnen immer gelten (auch „Minderheitenschutz“ genannt). Es geht nicht um Gerechtigkeit sondern um Recht bzw. Rechtssicherheit Aus der Lehrveranstaltung des Studium generale der HTWK Leipzig / Stand WS 05/06: Seminar: Was ist Recht? Juristische und ethische Argumente Leitung: Rechtsanwalt Ralf Vogt, Prof. Dr. Hans-Ulrich Niemitz Der Rechtsanwalt sagt: Recht stellt die Normen/Regeln dar, die das Zusammenleben der Menschen einer Gesellschaft regeln und zwar nach den Vorstellungen der jeweiligen aktuellen Gesellschaft. Dabei soll und kann nicht jeder alles immer als gerecht empfinden. Das Recht soll in der Masse der Fälle gerecht sein. FunterschiedVN060330Vogt / 30.03.06 Der Ethiker sagt – erster Teil „Recht ist ...“: Recht konstituiert und sichert die Gesellschaft und regelt das Zusammenleben der Gesellschafter als (potentielle) Rechtstitelakzeptanten ( Rechtstitel) und Rechtstitelemittenten ( Rechtsverpflichtung). Recht stellt die und nur die Normen/Regeln dar, die (trotz aller Anpassungen) niemals die die „Gesellschaft“ bestimmenden Konstruktionsprinzipien verletzen (dürfen). Diese sind „Garantie der Rechtstitel“ (für jeden Einzelfall!) d.h. ETHIK: Ausschluss von Ungleichheit, von Unfreiheit und vom Risiko des Rechtstitelakzeptanten (d.h. Ausschluss von Enteignung; naiv:„Gläubigerschutz“). Ethik lässt Gesellschaft und Recht zu bzw. erzwingt sogar beides. Alles drei bedingt sich gegenseitig. Deshalb kann es nur in Gesellschaften Recht geben. fUnterschiedVN060330Niem01 / 30.03.06 Der Ethiker sagt – zweiter Teil „Recht ist ...“: Im Konfliktfall wird nach einer normierten d.h. von Willkür freien Prozedur entschieden (Gerichtsverfahren, Prozess). Ergebnis ist Vergabe oder Nichtvergabe eines Rechtsanspruchs in Form eines Titels für den Kläger oder die Bestätigung oder der Entzug eines Rechtsanspruchs für den Angeklagten (Urteil). Es können „Rechtslücken“ entdeckt werden – z.B. infolge technischen Fortschritts (Drucken, Kopieren, geistiges Eigentum). Aufgabe der Gesellschaft bzw. der Gesellschafter ist es, „Rechtslücken“ zu schließen. Das geschieht durch ständiges – aber ethisches! – Anpassen der Gesetze (Parlament). Nur so können das Recht und damit die Gesellschaft erhalten werden. fUnterschiedVN060330Niem02 / 30.03.06 Die Rolle der Juristen (1) Juristen verstehen sich als Manager der Herrscher bzw. der Herrschaft. Unberührt von ethischen Prinzipien dienen die meisten Juristen jedem, der nur Gesetze erlässt, und nennen solch ein Gesetzeswerk „Recht“. Wenn zufälligerweise Gesellschaft „herrscht“, dann dienen sie eben auch der Gesellschaft – und dies ohne ethischen Sinn und Verstand. Die Rolle der Juristen (2) Es entgeht ihnen – Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten – regelmäßig, dass sie nur in einer Gesellschaft wirklich Juristen sein können, und dass es deshalb Gesellschaft und so dann auch den eigenen Berufsstand zu verteidigen gilt. Denn ohne Rechtssicherheit und damit dann Recht kann es doch gar keine Juristen geben, oder? Es entgeht ihnen, dass insbesondere gerade sie als Juristen aus der Ethik heraus, weil eben in besonderer Weise gesellschaftlich verpflichtet, politisch zu agieren haben, wenn ethische Prinzipien verletzt werden. Ethik ist keine Theorie Ethik ist keine Theorie! Sie ist also nicht unsicher, wie es jede wissenschaftliche Theorie ist. Warum ist dem so? Ethik wird (von der sich begründenden Gesellschaft bzw. den Gesellschaftern) willkürlich gesetzt. Sie ist Setzung eines Konstruktionsprinzips: „Gleichheit, Freiheit, Proprietas“. Das Rechtssystem bzw. das „Recht“ leitet sich aus der Ethik ab (vom Abstrakten zum Konkrete[re]n). Es gibt nun Rechtsansprüche (Ausschlüsse) und es entstehen Rechtstitel (Forderungen). Das Prozessieren wird möglich. „Gutes“ Recht funktioniert seinerseits nach dem Ableitungsprinzip. Aus allgemein formulierten Gesetzestexten kann abgelesen werden, wie im Einzelfall zu entscheiden ist. Gesetzestexte, die Recht sein sollen, müssen sich auf ethische Prinzipien zurückführen lassen. Fo-18-A-EthikistkeineTheorie / 28.03.06 Ethik bedarf keiner Interpretation Das „ethische Wissen“ ist sicher. Ethik, Gesellschaft, Recht: All das ist eine von Menschen geschaffene, geistige – sozusagen „begriffliche“ – Kunstwelt. Jeder Begriff ist eindeutig und bedarf keiner Interpretation bzw. darf nicht interpretierbar sein. (Das ist entsprechend in der Informatik jedem Teilnehmer selbstverständlich!) Es ist eindeutig klar, was Ethik, Recht, Gesellschaft, Kreditschuldvertrag bzw. Kreditschuldvertragsschuldschein und Valuta, Vollstreckungstitel, Geld, Kaufgeschäft und Mietgeschäft bzw. Geldschuldvertrag und „nichtGeldschuldvertrag“ sind. Ähnliches kennt man hinsichtlich der Kunstwelt Technik: „Zweite Natur“. Sie ist eine von Menschen geschaffene, natural-geistige – und damit auch „begriffliche“ – Kunstwelt. Es ist eindeutig klar, was eine Ebene („Dreiplattenverfahren“), eine Schraube, ein Elektromotor ist. Ohne eindeutige Begriffe (mit zugehöriger Kunstwelt Technik) kann Technik bzw. der Techniker nicht sein. Warum ist der Vortragende sicher, dass stimmt, was er sagt? (I) Wie kann man behaupten, dass „nur so“ – durch diese Setzung – Gesellschaft entstehen kann und sein kann? Kann es nicht andere Setzungen geben? Nein! Dies ist einerseits logisch erschließbar, denn die Gesellschaft kann logisch widerspruchsfrei entwickelt und dargestellt werden; Die Folgen gesellschaftlichen Handelns sind – da Gesellschaft ein Zwangssystem ist – vorhersagbar. Das Problem eins [„Wahrheit“] ist gelöst. [So wie es nur (eine) Wissenschaft geben kann, so auch nur (eine) Gesellschaft.] Dies („es kann keine andere Setzung geben“) ist andererseits so, weil die Gesellschaft so gewollt ist. Wer aber will die – und zwar so? Hier liegt die Verständnisschwierigkeit. Selbstverständlich wollen nicht alle heute in Gesellschaft Lebenden „Gesellschaft“. Und: Woher weiß ich, das „die Gesellschafter“ das wollen – oder zumindest wollen müss[t]en? Der Witz aller erkennbaren Kreditschuldverträge ist, dass der Gläubiger die Garantie hat, prozedural abgesichert, keinen Schaden erleiden zu müssen (Verbot des Rechtitelakzeptantenrisikos). Selbstverständlich können Dummheit oder Naturkatastrophen auch letztendlich den Gläubiger schädigen. Denn nichts in der Welt ist ohne Naturalrisiko. Natural kann nichts garantiert werden, nur das Formale kann garantiert werden – die Prozedur. Warum ist der Vortragende sicher, dass stimmt, was er sagt? (II) Der Kreditvertrag ist die Uraktion des Rechts (er erzwingt das Rechtssystem) und damit der prozessierenden Gesellschaft. Das ist strukturell, operativ-logisch und soziologischhistorisch zu erkennen. Wer das nicht sieht bzw. aberkennt, wird mir nicht folgen können. Muss man das so sehen? Ist es so? Hier bin ich im Zirkelschluss, aber in diesem Zirkelschluss sind einstimmig alle Gesellschafter, zumindest die, die wirklich Gesellschafter sein wollen. Denke Dir den Kreditschuldvertrag weg: Er sei verboten, so wie er unmöglich und damit verboten ist in Gemeinschaft und Herrschaft. Schon hast Du die Erklärung. Dazu muss man nicht historisch quellenbelegt forschen, weil aus der Gegenwart gesellschaftlichzeitgeschichtlich dies abzuleiten ist. Das Problem zwei [„Wirklichkeit“] ist gelöst. [So wie es ohne Wirklichkeitsbezug keine Wissenschaft geben kann.] In den „Gesellschaften“, die den Ausschluss des Rechtstitelakzeptantenrisikos nicht vollständig garantiert hatten, haben sich die Rechtstitelakzeptanten bzw. Gläubiger immer beschwert, nicht wirklich geschützt zu sein. „Gesellschaften“, die diesen Beschwerden nicht nachkamen, wurden zu Herrschaften. Fo-21-A-derVortragendeistsicher / 28.03.06 Gesellschaft, Wissenschaft – einstimmig geschützt Die Menschen, die in eine Gesellschaft hineingeboren werden, sie also nicht mitbegründet haben, erscheint dieser der Einstimmigkeit entspringende Zwang als ungerecht. Praktisch und theoretisch opponieren sie gegen diese Ungerechtigkeit ( Kriminalität und Gerechtigkeitsphilosophie). Sie wollen die ethische Begründung nicht akzeptieren. Die Wissenschaft stellt entsprechende Forderungen: einstimmige Akzeptanz von Wissenschaftlichkeit mit Wirklichkeits- und Wahrhaftigkeitsanspruch. Dagegen gibt es solch ein Opponieren nicht – darf es nicht geben! Warum ist der Vortragende sicher, dass stimmt, was er sagt? (II) (Analogie zum „Dreiplattenverfahren“) Das Dreiplattenverfahren ist die Urtat bzw. das Rezept des Prozesses zur prototypenfreien Herstellung von Ebenen und damit einer wirklichen Geometrie: D.h. das wirkliche Herstellen von ebenen Flächen (Ebene am Körper), von Kanten (Gerade am Körper) und von Ecken (Punkt am Körper). Das ist strukturell und operativ-logisch zu erkennen. Wer das nicht sieht bzw. aberkennt, wird mir nicht folgen können. Muss man das so sehen? Ist es so? Hier bin ich im Zirkelschluss, aber in diesem Zirkel sind einstimmig (oder müssen sein) alle Ebenenhersteller, die prototypenfrei Ebenen denken und wirklich herstellen wollen. Denke Dir das Dreiplattenverfahren weg. Es sei verboten, Ebenen herzustellen bzw. sogar, es so zu denken. Der Wirklichkeitsbezug wäre verloren. Da es aber nicht verboten ist, so zu denken und zu handeln, gilt: Das Problem zwei [„Wirklichkeit“] ist gelöst. Bei den Geometern bzw. Ebenenherstellern, die das Dreiplattenverfahren nicht kennen oder seine Bedeutung abstreiten, haben sich die Ebenenbenutzer bzw. Praktiker immer beschwert, keine wirkliche Bezugsebene zu haben: Was ist ein „gekrümmter Raum“, wenn ich ihn nicht auf das Ungekrümmte, also eine wirkliche Ebene bzw. „euklidische Geometrie“ beziehen kann? Geometer und Physiker, die diesen Beschwerden nicht nachkamen, lassen ihre Mitwissenschaftler und im Prinzip alle Menschen lebensweltlich und physikalisch gesehen (im Sinne der angebotenen Wirklichkeit) in einer absurden Welt leben. Wir haben uns in der vierten Vorlesung (19.04.06) beschäftigt mit: • Wiederholung der Rätselakkumulation – Benennen der Rätsel und Lösungen • Die Bedeutung der Einstimmigkeit im Gegensatz zur „Mehrheit“ in der Gesellschaft • Rechtsanspruch als Ausschluss und Rechtstitel als Forderung • Was es bedeutet, das Recht neu zu denken • Das Scheitern der Rechtsphilosophen und Juristen • Das ethische Wissen ist sicher – und damit ist klar, was Recht ist • Die Strukturähnlichkeit von Gesellschaft und Wissenschaft • Das Dreiplattenverfahren begründet Naturwissenschaft wie Ethik Gesellschaft und Geisteswissenschaft begründet: Man ist sich gegenseitig Werkzeug und Werkstück, Überprüfender und Überprüfter – dies gemäß Konstruktionsprinzipien von Wissenschaft bzw. Ethik. Ebenen und Gesellschaften sind immer und überall prototypenfrei herstellbar ☺