„EIN FUNDBÜRO DER ERINNERUNGEN“ Eine ortsspezifische, spartenübergreifende Theaterproduktion „Wer sich nicht erinnert, einfühlt und begreift, der wirft den Schlüssel zum eigenen Haus aus dem Fenster. Er mag sich darin irgendwie einrichten, aber der Weg zu seinen Nachbarn bleibt ihm verschlossen.“ Sibylle Schuchardt, (Katalog der Ausstellung „Wir waren Nachbarn“ ) 1. Kurzbeschreibung des Projektes „Ein Fundbüro der Erinnerungen“ ist als „Site Specific Performance“1 geplant, als theatraler Rundgang durch das leerstehende Gebäude der früheren Hungerburgbahntalstation, von der aus die Stadt Innsbruck durch die alte Drahtseilbahn ein knappes Jahrhundert lang mit dem Berg und den oben auf der Hungerburg lebenden Menschen verbunden war. Das für das Frühjahr 2013 geplante Projekt der ZEITGEIST Gruppe wird speziell für die stillgelegte Hungerburgbahntalstation konzipiert und legt den Fokus auf die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung der umliegenden Stadtteile Mühlau, Saggen und der Hungerburg. Der Stoff für diesen Theaterabend sind persönliche Erinnerungen von Menschen aus den genannten Stadtteilen, für die die Hungerburgbahn zum alltäglichen Leben gehörte – AnwohnerIn, Angestellte, einstige Schulkinder. Das Material dafür sammeln wir in Dokumentationen rund um die Bahn, Zeitungsartikeln, alten Ansichtskarten und vor allem in Gesprächen mit Menschen verschiedener Generationen aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Szenisch, tänzerisch und performativ setzen wir das Textmaterial dann mit Studenten der Schauspielschule Innsbruck um, mit denen wir im Rahmen eines Studienprojektes arbeiten werden. Als Darsteller werden auch einige Laienschauspieler älterer Generationen hinzukommen. Das Publikum, das einer fiktiven Geschichte folgend durch das ganze Gebäude samt Keller und Wohnung im ersten Stock geführt wird, soll sich selbst erinnern: An diesen besonderen Ort von nicht immer freiwilliger Zusammenkunft, an den einst mit Anderen - Fremden, FreundInnen und NachbarInnen - geteilten Alltag. 1 Für diese Form von Postmodernem Theater hat sich leider bis heute keine deutsche Bezeichnung durchgesetzt (wörtlich: Ortsspezifisches Theater). Anstatt einen klassischen Theaterraum zu bespielen wird ein theaterferner Ort als Aufführungsraum gewählt. Spezifisch für eine „Promenade Performance“ ist, dass das Publikum sich entweder frei durch die Räume bewegen kann oder aber durch die Räumlichkeiten geführt wird. Die klassische Beziehung zwischen einem zumeist sitzenden Zuschauer und dem auf der Bühne agierendem Schauspieler wird dadurch aufgehoben. 3 2. Ausführliche Projektbeschreibung 2.1 Idee und Thema Diese neue Arbeit des KünstlerInnenkollektivs ZEITGEIST Gruppe, die 2008 von Lisa Überbacher als Verein gegründet wurde, um unterschiedliche künstlerische Projekte mit anderen KünstlerInnen unter einem Namen zu realisieren (u.a. das bereits vom Bmuuk geförderte Projekt „Innsbruck Sammelsurium, eine Innsbruck Schachtel“), wird eine „Site-Specific-Promenade Performance“ mit Text, Tanz, Bildern und Musik sein. Zur Gruppe holt Lisa Überbacher, die das Konzept entwickelt und den Raum gestalten wird, für dieses Projekt die Regisseurin Corinna Popp, die Choreographin und Tänzerin Maria Walser, die Dramaturgin Alida Breitag und Kostümbildnerin Susanne Albrecht dazu. Ziel ist es, einen theatralen Rundgang durch das leerstehende und seit längerem völlig entkernte Gebäude der Innsbrucker Hungerburgbahntalstaion zu kreieren. Das Projekt wird mit der lokalen Bevölkerung der anliegenden Stadtteile Hungerburg, Mühlau und Saggen im Frühjahr 2013 erarbeitet und im April 2013 zur Aufführung gebracht werden. Neben narrativen, szenischen Theaterelementen wird es auch Tanz- und Bewegungssequenzen und Räume mit installativem Charakter geben. Die Stadt Innsbruck, besonders die oben genannten drei Stadtteile, waren fast ein Jahrhundert lang (1906- 2005) durch die alte Drahtseilbahn eng mit dem Berg und miteinander verbunden. Die Hungerburgbahn war einerseits eine touristische Sehenswürdigkeit und hat auf der anderen Seite das alltägliche Leben der drei Stadtteile auf besondere Art und Weise geprägt. Die Schließung der alten Bahn im Dezember 2005 kam für die meisten InnsbruckerInnen unerwartet und wird von vielen bis heute als Verlust empfunden. Ohne dieses spezielle Verkehrsmittel, das von Ingenieur Josef Riehl geplant wurde, hätte es wohl den regen Austausch zwischen den Vierteln auf diese Art und Weise nicht gegeben. Die Bahn wurde zwar 1906 vorranging erbaut, um das Gebiet für den Tourismus zu erschließen, wurde aber bald auch zum Transportmittel der lokalen Bevölkerung. Die BewohnerInnen der Hungerburg nutzten sie, um schnell in die Stadt „runter“ zu kommen, wo sie normalerweise zur Arbeit oder zur Schule gingen, und auch, da es in den Anfängen der Bahn nur dort Geschäfte gab. Die MühlauerInnen und SaggenerInnen widerum nutzen die Bahn gerne am Wochenende um dort „oben“ ihre Freizeit zu genießen.2 Wir wollen den besonderen Charakter dieses öffentlichen Raumes, den die Hungerburgbahn mit ihrer Berg- und Talstation bildete, als einen Ort der Kommunikation in der Nachbarschaft untersuchen. Dafür befragen wir die Bevölkerung der genannten Stadtteile nach Erinnerungen, Anekdoten, Berichten und persönlichen Geschichten, sowie altem Foto- und Videomaterial. Die Bahn war für die AnrainerInnen nicht nur ein nützliches Verkehrsmittel: Sie war auch ein Treffpunkt. Das Warten auf die Bahn war Teil des Alltags, die Fahrt selbst war eine Zeitspanne, die mit Gesprächen gefüllt wurde: TouristInnen erfragten Auskünfte, SitznachbarInnen und Bekannte tauschten sich aus, Nachbarschaftsverhältnisse wurden gepflegt. Die alte Hungerburgbahn, die fast das ganze 20. 2 Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Bahn jahrzehntelang die einzige Möglichkeit war, ohne große Anstrengung auf die Hungerburg zu kommen, bevor Autos und Busse als Transportmittel für eine breitere Bevölkerungschicht hinzukamen. Daher fuhr die Bahn ursprünglich viel häufiger und ebenfalls bis in die späten Abendstunden. Erst aus Spargründen wurde der Bahnbetrieb vor allem ab den 1980er Jahren stark reduziert. 4 Jahrhundert als öffentliche, städtische Einrichtung gedient hat, war ein besonderer Ort der Begegnung von Menschen einer Stadt im Alltag und erinnert an frühere Stadtstrukturen, die sich heute verschoben haben. Unser Interessenschwerpunkt liegt darauf, diesen Ort noch einmal aufleben zu lassen und ihn einem Publikum in einer besonderen, künstlerischen Form zugänglich zu machen. Dabei ist der Charakter des entkernten Gebäudes, das wie ein Mahnmal des vergangenen Jahrhunderts heute eine vor allem emotionale Bedeutung für die Innsbrucker Stadtbevölkerung besitzt, ausschlaggebend für die Konzeption unseres Projektes. Das Projekt will nicht nur das alte Gebäude der Hungerburgbahntalstation begehbar machen, es will dadurch auch zum Nachdenken anregen: Es will die Neugier wecken, hinter Absperrbänder und Fassaden von Gebäuden, aber auch hinter die Fassade einer Gesellschaft, eines Menschen zu schauen; es will dazu anregen, sich auf Fremdes und Neues einzulassen und dennoch die Erinnerung an Altes nicht zu vergessen. Das heißt auch, nicht zu vergessen, was es bedeutet, einander zu begegnen - während wir heutzutage meistens kommunizieren, ohne dabei am gleichen Ort zusammenzukommen. Da die Hungerburgbahn so viele Erinnerungen, aber auch viel Vergessenes, verlorene Geschichten der Menschen und ihrer persönlichen Schicksale birgt, wollen wir diesen Geschichten und Erinnerungen nachspüren und sie aufsammeln: Um Menschen, die vielleicht schon jahr- oder jahrzehntelang, vielleicht aber auch erst seit kurzer Zeit in Nachbarschaft in diesen drei Innsbrucker Stadtvierteln wohnen, miteinander ins Gespräch zu bringen. Dies ist uns als junge Generation und auch als Gruppe, die großteils nicht aus Innsbruck kommt nur möglich, indem wir älteren AnwohnerInnen Fragen zu ihren Erinnerungen stellen. Gerade unser Blick von außen ist uns dabei aber trotzdem besonders wichtig, um aus den Erinnerungen ein neues Ereignis an einem besonderen Ort entstehen zu lassen. Auch, da aktuell viel über die Neugestaltung des „Rotundenalreals“ gesprochen wird und die Innsbrucker mit in den Ideenfindungsprozess einbezogen werden, möchten wir die Geschichte des Ortes aufgreifen. Es ist uns wichtig, dass es bei dem Thema der Erinnerung um etwas anderes geht als eine „Früher-war-alles-besser-Nostalgie“. Unsere Absicht ist, durch ein theatrales Ereignis für eine heute dort lebende Bevölkerung einen Bezugsraum zu schaffen und vielleicht dadurch auch Ideen zu generieren, wie man das Gebäude neu nutzen kann. Vielleicht kann die Talstation in einer neuen Form wieder ein Ort der Kommunikation zwischen Nachbarn werden. 2.2 Stoff, Material, Recherche Uns ist es wichtig, dieses breitgefächerte Thema des öffentlichen Raums als Ort des Miteinanders am Beispiel eines sehr konkreten, im Rahmen der Performance sinnlich erfahrbaren Ortes zu bearbeiten. Dieser Ort, das Gebäude der Talstation, ist ein Ort der Erinnerung. Die Bühnenbildnerin Lisa Überbacher ist neben der Bahntrasse aufgewachsen und mit der Bahn zur Schule gefahren; sie verbindet daher selbst viele Erinnerungen mit die Bahn. Den für das Frühjahr 2013 geplanten Proben (Startschuss des Projekts wird Ende Jänner sein) werden intensive Recherchearbeiten vorangehen- im Innsbrucker Stadtarchiv, in der Bibliothek des 5 Ferdinandeums, auf Flohmärkten, in Antiquariaten sowie in privaten Sammlungen werden wir nach Berichten, Dokumentationen und Fundstücken rund um die alte Drahtseilbahn suchen. Anekdoten, Geschichten, persönliche Erinnerungen sammeln wir in dieser Recherchephase in Gesprächen mit der Bevölkerung in den um die Talstation angesiedelten Stadtteilen und Interviews zum Beispiel mit ehemaligen Angestellten der Bahn. Später werden wir Teile aus diesen Erzählungen zusammen mit recherchierten Fakten um das Gebäude und die Bahn zu einer Narration verstricken. Die vielfältigen, „echten“ Erinnerungen werden in eine einzige, „fiktive“ Geschichte einfließen, die Geschichte eines Menschen oder einer Gruppe von Menschen, auf deren Spuren das Publikum unserer Performance sich dann begeben wird. Unsere InterviewpartnerInnen wählen wir zunächst aus dem Bekanntenkreis und der unmittelbaren Nachbarschaft von Lisa Überbacher aus. Wir hoffen, dass sich durch diese ersten Gespräche weitere ergeben werden und wir Kontakte zu Menschen bekommen, die Lust haben, für das Projekt eine Erinnerung beizusteuern. Des Weiteren wollen wir Personen befragen, die mit der Bahn in noch direkterem Bezug standen, als die Nachbarn und Mitfahrer: ehemalige Angestellte, die damaligen PächterInnen des Kiosks in der Wartehalle, die BesitzerIn des Blumenladens, der eine Zeitlang im Gebäude integriert war oder auch die letzten MieterInnen der Wohnung im ersten Stock. Interviews und Gespräche werden wir im Allgemeinen auf Video aufzeichnen. So besteht die Möglichkeit, verschiedene Stimmen eventuell bei einer Ton – oder Videoinstallation in die Performance zu integrieren. 2.3 Das Gebäude, die Gestaltung der Räume, das Prinzip des Site-Specific-Theaters „Theater benötigt keinen festen Theaterraum, es kann überall stattfinden. Überall, wo AkteurInnen zusammenkommen, um auf bestimmte Art eine Erfahrung zu machen, kann sich Theater ereignen.“ 3 schreibt der Künstler und Kulturwissenschaftler Paul Divjak. Er bezieht sich damit auf das, was Peter Brook bereits 1968 in seinem Buch, einem Klassiker der modernen Theaterliteratur, „Der leere Raum“ beschrieben hat. „Ich kann jeden leeren Raum nehmen und ihn eine nackte Bühne nennen. Ein Mann geht durch den Raum, während ihm ein anderer zusieht; das ist alles was zur Theaterhandlung notwendig ist. Allerdings, wenn wir vom Theater sprechen, meinen wir etwas anderes. Rote Vorhänge, Scheinwerfer….“ 4 Wir haben uns dafür entschieden, immer wieder Theater an einem „Nicht-Theater-Ort“ zu machen, an einem wie bei Brook beschriebenen „leeren Raum“. Das zieht natürlich logistische und technische Herausforderungen mit sich. Doch bei einer „Site-Specific-Performance“ kann das Stück ohne diesen einen konkreten Ort nicht stattfinden. Ein Stück wird also speziell für den Ort konzipiert. Aufführungsort und Erzählung liegen so nahe beieinander, dass sie ohne einander gar nicht funktionieren. Bei der „Promenade“, dem Rundgang, ist es sogar so, dass der Ort einen Teil der Erzählstruktur übernimmt. 3 Divjak, Paul: Integrative Inszenierungen. Zur Szenografie vom partizipativen Räumen. Transcript Verlag, Bielefeld 2012, S. 41 4 Brook, Peter: Der Leere Raum. Alexander Verlag, Berlin 2009, S.9 6 Wir haben das Gebäude der alten Hungerburgbahntalstation einen Erinnerungsort genannt. Das heißt, das wie aus der Zeit herausgefallen wirkende Gebäude bringt uns heute zum Nachdenken über seine Geschichte, die ja auch eine Geschichte des 20. Jahrhunderts ist. Michel de Certeau konstatiert in seinem Hauptwerk „Die Kunst des Handelns“, einer soziologischen Theorie des Alltagslebens: Der Raum ist nicht nur „ein Ort, mit dem man etwas macht, der Raum ist auch ein Ort, der etwas mit uns macht.“ 5 In diesem Zitat sehen wir unsere Faszination für das alte, leerstehende Gebäude der Hungerburgbahntalstation auf den Punkt gebracht. Der Anblick des Gebäudes, die Erinnerungen an Momente, die man dort erlebt hat, Geräusche, die einen wieder zurück in die Zeit versetzen, als zum Beispiel die Holztür aufging und man am Kontrolleur vorbei, sein Ticket zeigend, zur Bahn konnte - all die dadurch entstehenden Gefühle machen etwas mit uns, sie lösen etwas in uns aus, sie sind Teil eines kollektiven Gedächtnisses und auch Teil der Geschichte dieser Stadt. Eines der Ziele unserer Theaterarbeit ist, durch die Organisation eines Raumes und der Erfahrung dieses Raumes beim Publikum Interaktion und Partizipation zu ermöglichen - im Idealfall auch eine Form von Autonomie, eine Eigengestaltung des Theaterereignisses durch den Zuschauer selbst. Jede(r) ZuschauerIn vervollständigt durch die Art und Weise, wie er/sie sich im Raum bewegt, die Erzählung und sein eigenes Erleben der Performance. Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht der Raum als Möglichkeit, als Frei- und Zwischenraum, der Handeln und Denken ermöglicht. Die Arbeit mit vorgefundenen Gegenständen, Objekten und strukturellen Gegebenheiten, das „Sich anpassen“ an den Raum und die gegebenen Umstände in dem entkernten Gebäude der alten Hungerburgbahntalstation, ist ein wesentlicher Bestandteil und gleichzeitig die Herausforderung dieser ortsspezifischen Theaterproduktion. Wir glauben, dass diese Herangehensweise einen kreativen Prozess auslöst, durch den wir zu der Besonderheit dieses Projektes für Innsbruck finden. Die Räume des Gebäudes auf drei Etagen werden im Rundgang unterschiedliche Verwendung finden. Dabei werden wir zunächst von der Unterscheidung in öffentliche (wie die Wartehalle) und nicht öffentliche Räume (Maschinenraum etc.) ausgehen. Im Keller, in dem sich früher nicht nur technische Räume, sondern auch die öffentlichen Toiletten befanden, würden wir die ziemlich dunklen, eine Kälte und Nüchternheit ausstrahlenden Zimmer nutzen, um sie mit eher abstrakten Bildern zu füllen: zum Beispiel einen Raum voller „Erinnerungs- Post its“, einen mit einer Installation aus Ansichtskarten, oder einen Raum mit einer Audioinstallation aus aufgenommenen Geräuschen und Interviewteilen. Die Kellerräume scheinen aufgrund der Unbewohntheit geeignet dazu, sie als Ausstellungsräume mit eher musealem oder installativen Charakter zu verwenden. Das Erdgeschoß mit seiner großen Wartehalle, dem Zugang zur Bahn und seinen freien Flächen soll hingegen Hauptschauplatz für die performativen Teile unserer Arbeit sein. Visuell sollen diese Ort durch Gegenstände, Möbel und andere Details wiederbelebt, anstatt komplett abstrahiert werden. Im Obergeschoß, das für die breite Öffentlichkeit nie zugänglich war, da es entweder als Büro oder auch als Wohnung für Angestellte genutzt wurde, bietet es sich an, gestalterisch in eine phantastische, private Welt einzutauchen. Da die Wohnung ein privater Raum war, wollen wir diesen Charakter beibehalten und dort oben einen besonders intensiven, persönlichen Kontakt zwischen den SpielerInnen und den ZuschauerInnen herstellen, die Enge und Intimität der Räume nutzen. 5 Vgl. De Certeau, Michel: Die Kunst des Handelns. Merve. Berlin, 1988. S. 217f 7 Unsere Absicht ist es, durch Elemente wie einer speziellen Lichtinstallation, Möbel, Requisiten, Geräuscheinspielungen im vorgefundenen Raum neue Räume zu erschaffen. Räume für die Phantasie, für Assoziationen und für Irritationen. 2.4 Aktualität und Relevanz des Themas Durch den technischen Fortschritt und die neuesten Errungenschaften der Kommunikation und Unterhaltungselektronik werden wir immer mehr zu EigenbrötlerInnen in unserer eigenen kleinen Welt. Obwohl wir mit so vielen unterschiedlichen Leuten wie noch nie zuvor kommunizieren, oft gleichzeitig und stundenlang, fehlt es oft an wahren Freundschaften, echten Begegnungen und an gemeinsam gemachten Erfahrungen. Unsere Gesellschaft strebt nach immer Neuerem, Besserem und doch spürt man gleichzeitig einen immer lauter werdenden Ruf nach gesellschaftlichen Werten. Das beinhaltet den Zusammenhalt einer Gemeinschaft, Ereignisse, die man in einer Gruppe erlebt hat, die einen geprägt haben und Verbundenheit mit anderen Menschen und einem Ort herstellen. Modern war lange, das Alte, nicht mehr Funktionierende wegzuwerfen und durch Neues zu ersetzen. Genauso modern war es, in immer kleineren Strukturen zu leben, sich innerhalb einer Gesellschaft als abgekapselte Zelle zu sehen, dem/der NachbarIn aus dem Weg zu gehen, Kontakte und damit vielleicht verbundene Konflikte zu vermeiden. Aber ist diese „Mode“ heute noch aktuell? Sollten wir nicht längst in einer Gesellschaft leben, in der das Alte, das Recyclete, das Reparierte wieder modern wird? Und in der der/die NachbarIn vielleicht wieder wichtiger wird als der Gartenzaun? Können wir nicht viel mehr von der Auseinandersetzung mit bestehenden Strukturen, sei es landschaftlichen oder städtbaulichen, sowie von der Auseinandersetzung mit unseren NachbarInnen profitieren? Welchen Wert messen wir dem Wissen, der Lebenserfahrung und den Erinnerungen älterer Menschen bei, die neben uns leben? Welche Geschichten erzählen uns alte Menschen - was erzählt uns ein altes Gebäude? Durch das Verschwinden seiner einstigen Funktion und seinem früheren Nutzen findet ein Raum eine neue Identität – er wird zum Erinnerungsraum. In ihm sind Erinnerungen und Geschichten präsent, die diese Präsenz nicht hätten, wenn die alte Funktion noch wie vorher bestünde. Und so öffnen sich mit der Einnerung noch andere, neue Räume: ein Raum für Phantasie, ein Raum für eigene Gedanken. Die ZEITGEIST Gruppe hat die Diskussion um die Weiternutzung der alten Hungerburgbahntalstation und der Rotunde verfolgt und hat sich sowohl mit ihren Ideen eingebracht als auch bereits Kontakt mit der Stadt Innsbruck bzw. den Initiatoren des Ideenfindunsgprozesses hergestellt . Es gibt unterschiedlichste Ideen und Ansätze. Wir sehen unser Projekt als einen Beitrag zum Ideenfindungsprozess, der das Lernen aus der Vergangenheit und das Erinnern unterstreicht. Erst wenn wir begreifen, dass die Hungeburgbahn nicht nur ein nützliches Beförderungsmittel war, sondern zur Umgebung gehörte und die Nachbarschaft und das soziale Leben durch das ganze 20. Jahrhundert hindurch mitgetragen hat, können wir die emotionale Reaktion auf die Schließung 2005 verstehen. Vielleicht kann für die neue Planung des Gebäudes die Erinnerung an die Geschichte und Geschichten der Bahn nützlich sein. Doch bevor dieser neue Abschnitt beginnt und das Talstationsgebäude eine neue Funktion bekommt, möchte die ZEITGEIST Gruppe mit „Ein Fundbüro der Erinnerungen“ die Räume des Gebäudes noch einmal ganz anders füllen. Als Kollektiv sind wir überzeugt, dass jede Stadt immer wieder neue Orte finden muss, die zur Reflexion einladen und zum aktiven Miteinander: „Spielräume“, in denen wir uns bewegen können, wo wir handeln und denken können. Unsere künstlerische Arbeit beabsichtigt, einen Ort der 8 Begegnung zu etablieren, an dem Erfahrungen ausgetauscht werden können, Konventionen befragt und innovative Ansätze ausprobiert werden können. 9