Prof. Dr. Gerhard Berendt Anwendungen in Mathematik

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Prof. Dr. Gerhard Berendt
WS 2001/2002
Anwendungen in Mathematik
Arbeitsblatt 8: Polynome (Forts.)
Polynome: Definition und algebraische Eigenschaften.
Sei {X} eine einelementige Menge und K ein Körper. Die Elemente der Menge K[X]
aus den formalen Summen
 ai X i
i 0
mit Koeffizienten ai aus K , in denen nur endlich viele ai von Null verschieden sind,
werden als Polynome in der Variablen X über dem Körper K bezeichnet. Die
Teilmenge {aX 0 | a  K} von K[X] kann mit dem Körper K identifiziert und somit
in K[X] auf kanonische Weise eingebettet werden.
Seien P =  ai X i und Q =  bj X j Elemente aus K[X] . Dann definieren wir:
P + Q : =  (ai + bi ) X i ,
 P : =   ai X i
mit   K
und
P  Q :  (
k
 ai b j X k ) .
i , j ; i  j k
Mit diesen Definitionen wird K[X] zu einem Ring.
Der Grad des Polynoms P =  ai X i wird definiert als
Grad (P ) : = max {i | ai  0} .
Damit gilt Grad ( P  Q ) = Grad (P) + Grad(Q) .
Per Konvention erhält das Nullpolynom den Grad –  (bei manchen Autoren auch
den Grad –1) .
In vielen Dingen verhalten sich Polynome ähnlich wie ganze Zahlen. Insbesondere
gilt auch für Polynome ein EUKLIDischer Divisionsalgorithmus:
Satz 1 (Divisionsalgorithmus):
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Seien F und G Polynome und G verschieden vom Nullpolynom. Dann lässt sich F auf
eindeutige Weise in der Form
F=QG+R
mit Polynomen Q und R schreiben, wobei der Grad von R kleiner als der von G oder
R = 0 ist.
Beweis
Zur Existenz:
Sei Grad (F) = d und Grad (G) = d' . Falls d < d' , ist die Behauptung mit Q = 0
und R = F bewiesen. Für d  d' beweisen wir die Behauptung durch vollständige
Induktion nach d :
Die Koeffizienten von F seien mit ai , die von G mit bj bezeichnet. Dann gilt für
d = d' die Zerlegung
F
ad
G  R
bd
mit einem Polynom R , das höchstens vom Grad d–1 ist; die Behauptung trifft also
für d = d' zu.
Angenommen nun, sie sei richtig für ein bestimmtes d  d' , und sei F ein Polynom
vom Grade d+ 1. Dann ist
a
~
F  F  d X d d '  G
bd '
ein Polynom vom Grade d und mithin nach Induktionsvoraussetzung in der Form
~ ~
F  Q G  R
~ a
mit Grad (R) < d' schreibbar. Mit Q  Q  d X d d ' ist also auch F  Q  G  R .
bd '
Zur Eindeutigkeit:
Die Relation
Q1 G  R1  Q2 G  R2
bedingt
(Q1  Q2 ) G  R2  R1 .
Da der Grad der linken Seite größer oder gleich d' , der der rechten Seite kleiner als
d' ist, sofern Q1 – Q2 nicht das Nullpolynom ist, folgt die Behauptung.
Die Existenz des Divisionsalgorithmus erlaubt analog zu den ganzen Zahlen die
Bestimmung des ggT zweier Polynome (der eindeutig ist, wenn die Polynome
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normiert angenommen werden, ihre Koeffizienten der höchsten Potenzen von X also
gleich 1 sind) und die eindeutige Zerlegung eines Polynoms in ein Produkt von
"irreduziblen", also nicht weiter faktorisierbaren Polynomen kleineren Grades. Eine
wichtige Anwendung des zuletzt genannten Sachverhaltes ist die Zerlegung eines
Polynoms in sogenannte "Wurzelfaktoren", die bei der Untersuchung von Nullstellen
eines Polynoms eine wichtige Rolle spielen.
Die Irreduzibilität bzw. Reduzibilität eines Polynoms hängt i.a. davon ab, über
welchem Körper das Polynom betrachtet wird. So kann ein Polynom aus K[X] über
dem Grundkörper
K
irreduzibel sein, jedoch über einem geeigneten
Erweiterungskörper reduzibel werden (s. u.).
Polynome: Analytische Eigenschaften.
Polynome spielen nicht nur in der Algebra, sondern auch in der Analysis eine
wichtige Rolle. Hierzu interpretiert man die Polynome als Funktionen von R nach R
(oder von C nach C), indem man die algebraisch formale Variable X als reelle (bzw.
komplexe Variable auffasst und die formalen Summen direkt ausführt. Mit dieser
Interpretation werden Polynome (beliebig oft) differenzierbare Funktionen von sehr
einfachem Typus, die sich insbesondere zur Approximation komplizierterer
Funktionen oder von Datensätzen verwenden lassen. Von besonderem Interesse wird
in diesem Zusammenhang die Frage nach den Nullstellen eines Polynoms, d.h.
denjenigen Werten der Variablen X, für die ein Polynom P(X) = 0 wird (wobei die
"0" die additive Einheit des zugrundeliegenden Körpers K aus K[X] ist.
Nicht jedes Polynom besitzt eine oder gar mehrere Nullstellen in K. So besitzt
beispielsweise das Polynom P(X) : = X 2 + 1 bekanntlich keine reelle Nullstelle; über
dem Körper K = C hat das gleiche Polynom jedoch die beiden (und nur die beiden)
Nullstellen X1 = i und X2 = – i .
Hierzu ein
Beispiel:
Wir betrachten alle Polynome mit maximalem Grad 3 über dem BOOLEschen
Körper GF(2):
0
Nullpolynom
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1
konstantes Polynom
X
X+1
lineare Polynome
X2
X2 + 1
X2 + X
X2 + X + 1
(*)
quadratische Polynome
X3
X3 + 1
X3 + X
X3 + X + 1
(*)
X3 + X2
X3 + X2 + 1
(*)
X3 + X2 + X
X3 + X2 + X + 1
kubische Polynome
Von diesen sind die mit (*) gekennzeichneten Polynome irreduzibel über dem
Grundkörper (Beweis als Aufgabe!). Wir erweitern nun den Grundkörper durch
Hinzunahme eines Elements  mit der Eigenschaft  2 +  + 1 = 0 :
+
0
a2
*
0 1 a a2
0
0 1  2
0
0 0 0 0
1
1 0 2 
1
0 1  2

 2 0
1

0  2 1
2 2  1
0
2 0 2 1 
1 a
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In diesem erweiterten Körper ist per Konstruktion das Polynom X 2 + X + 1 nicht
mehr irreduzibel, da es sich nach
X 2 + X + 1 = (X + ) (X +  2)
zerlegen lässt. Die beiden über dem Grundkörper irreduziblen Polynome dritten
Grades bleiben jedoch auch über dem durch  (und  2) erweiterten Körper
irreduzibel.
Für die angesprochene Fragestellung ist daher der folgende Satz von großer
Bedeutung.
Der Fundamentalsatz der Algebra.
Der so genannte Fundamentalsatz der Algebra enthält die Aussage, dass jedes
Polynom endlichen Grades mit reellen oder komplexen Koeffizienten mindestens
eine Nullstelle besitzt; diese Nullstelle kann selbst reell oder komplex sein. Ist diese
Nullstelle die Zahl z0 , dann lässt sich das Polynom durch den Wurzelfaktor (z – z0)
ohne Rest dividieren und liefert so ein Polynom mit einem um eins geringeren Grad.
Die Fortsetzung dieses Verfahrens führt daher auf die Aussage, dass das Polynom in
der Tat genau so viele (reelle und/oder komplexe) Nullstellen besitzt, wie sein Grad
angibt. Hat das Polynom nur reelle Koeffizienten, dann müssen seine komplexen
Nullstellen paarweise konjugiert komplex zueinander sein.
Beim Beweis des Fundamentalsatzes werden – zusätzlich zu den im Arbeitsblatt 7
notierten elementaren Eigenschaften der komplexen Zahlen –
noch deren
trigonometrische Darstellung und die EULERsche Formel
ei   cos   i sin 
benutzt. Diese Eigenschaften werden in der Vorlesung hergeleitet.
Satz 2 (Fundamentalsatz der Algebra):
Jedes komplexe Polynom positiven Grades besitzt mindestens eine Nullstelle in C .
Beweisidee:
Der Beweis wird als Widerspruchsbeweis geführt und benutzt im wesentlichen die
(leicht zu verifizierende) Tatsache, dass es für jedes b  C und ein beliebiges m  1
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ein Azimut  so gibt, dass das Monom b z m für z =  ei negativ reelle Werte
annimmt. Der Beweis verläuft dann in 3 Schritten:
1.
Man nimmt an, dass ein beliebiges gegebenes Polynom n–ten Grades pn(z)
keine Nullstelle besitzt und zeigt zunächst, dass sein Absolutbetrag dann in
einem endlich großen Kreis um den Nullpunkt an einer Stelle  ein Minimum
mit | p() | > 0 besitzt.
2.
Man bildet das Polynom q(z): = p(z+) / p() , das ebenfalls vom Grad n ist,
an der Stelle z = 0 den Wert 1 annimmt, und dessen Betrag für alle von Null
verschiedenen z größer als 1 ist.
3.
Man zeigt unter Verwendung der oben genannten Eigenschaft eines Monoms,
dass ein Azimut existiert, für das bei genügend kleinem z der Betrag von q(z)
kleiner als 1 wird und konstruiert damit den Widerspruch zur Eigenschaft von
q(z) in 2., die aus der Annahme unter 1 folgt.
Nun der (elementare) Beweis:
Gegeben sei das Polynom
p( z )  an z n  an 1 z n 1    a1 z  a0 , n  1 ,
mit an  0 .
Die reellwertige und stetige Funktion | p(z) | ist stets nicht–negativ und besitzt daher
ein Infimum   0 . Ferner gibt es ein r > 0 so, dass für | z | > r stets | p(z) | > 
bleibt. Das bedeutet aber, dass  sogar das Infimum von | p(z) | bleibt, wenn man z
auf den Kreis K: = {z  C | z  r} einschränkt. Da K kompakt ist, nimmt diese
Einschränkung ihr Infimum an einer gewissen Stelle   K an; infolge dessen ist
auch | p() | =  .
Angenommen, | p() | sei verschieden von Null. Dann ist
q( z ) : p( z   ) / p( )
ein Polynom vom Grade n mit q(0) = 1 und |q(z)|  1 für alle z, das wir in der Form
q( z )  1  bm z m  bm 1 z m 1    bn z n (m  1, bm  0)
schreiben. Die Zahl – |bm| / bm hat den Betrag 1; ist  ihr Argument und  : =  / m,
dann gilt

| bm | i
 e  ei m , also bm ei m   | bm | .
bm
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Hat z die Form z =  e i, ( > 0) , so folgt nun die Abschätzung
| q(  ei  ) |  | 1 | bm |  m |  | bm 1 |  m 1    | bn |  n .
Für jedes  < 1 / | bm| ist 1 – |bm|  m > 0 ; für diese  wird daraus
| q(  ei  ) | 1   m ( | bm |  | bm 1 |     | bn |  n  m ) .
Da jedoch für genügend kleine  der Klammerinhalt größer als Null bleibt, gibt es
also im Widerspruch zur Annahme Werte von z , für die |q(z)| < 1 ist. Das Polynom
p(z) muß mithin mindestens eine Nullstelle besitzen.
■
Der Fundamentalsatz der Algebra zeigt also, dass die Erweiterung des Körpers R
zum Körper C zur Folge hat, dass alle Nullstellen eines beliebigen Polynoms aus
C[X] in C liegen. Jedes möglicherweise über R irreduzible Polynom aus R[X] ist
mithin über C reduzibel. Dies ist ein besonders glücklicher Umstand, der im
allgemeinen Fall, wie das weiter oben angeführte Beispiel zeigt, nicht zu erwarten
ist. Betrachten wir nämlich beispielsweise wie dort den BOOLEschen Körper B
={0,1} mit der Addition und Multiplikation modulo 2 und den Polynomring B[X].
Nullstellen von Polynomen aus diesem Ring können in B ebenso wie die
Variablen X selbst nur die Werte 0 bzw. 1 besitzen; das Polynom X 2 + X + 1 z.B.
hat mithin überhaupt keine Nullstelle in B. Aber auch die Erweiterung von B[X]
durch die Nullstellen von X 2 + X + 1 hat nur zur Folge, dass dieses spezielle
Polynom reduzibel wird, nicht jedoch alle anderen Polynome aus B[X].
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