eine diva, anders - Barbara Hendricks International Club

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EINE DIVA, ANDERS
ALS DIE ANDEREN
BARBARA
HENDRICKS
DIE STIMME DES HERZENS
Im letzten Jahr in Dubrovnik hat Barbara Hendricks für die Einwohner der
belagerten Stadt gesungen. In dem Augenblick, in dem sie sich darauf
vorbereitet, in Sarajewo dieses Beispiel von Mut und Nächstenliebe wieder
aufzunehmen, eröffnet sie uns ihr Doppelleben als Diva und als Kämpferin. Das
einer Sängerin, bemüht um Qualität und einer besorgten Frau, besorgt um dien
"neue" Weltordnung.
DIE WELT DER MUSIK - Sie symbolisieren eine neue Generation an Sängerinnen fernab von dem
Gehabe einer Diva, sehr viel näher dem Publikum.
BARBARA HENDRICKS: Ich habe nie danach gesucht, ein Symbol zu sein. Ich bin nicht anders als andere
Leute, aber ich versuche auch nicht, ihnen um jeden Preis zu gefallen. Ich singe ein sehr eingeschränktes
Repertoire, das meiner Stimme liegt und wozu der Zugang nicht immer einfach ist. Die Leute, die kommen, in
der einzigen Hoffnung, mich in Spirituals zu hören, müssen davor Berg, Ravel oder Debussy ertragen.
LE MONDE: Sie singen wenig Opern.
BARBARA HENDRICKS: Nicht weniger als früher. Ich bereite zur Zeit "Liebestrank" und "Hoffmanns
Erzählungen" für die Oper von Lyon vor, wo die Arbeitsbedingungen exzellent sind. Zu proben ist heute ein
Luxus und die grossen Stars sehen es als Zeitverlust an. Ich bin keine Aida und keine Tosca, um die man eine
neue Produktion aufbaut, also bin ich dazu verdammt, in grossen Häusern meine Rolle in zwei Tagen
aufzunehmen ohne szenische oder musikalische Vorbereitungen. Das ist genauso gefährlich wie uninteressant.
Indem ich diesen Kompromiss ablehne und einige Probezeit verlange, scheine ich das gesamte Starsystem zu
bekämpfen. In Wien hat man mich als launisch bezeichnet, weil ich für die Vorbereitung der
"Rigoletto"-Produktion vier Tage Proben verlangte. So ist die Situation. Ich hatte Lust, dem Publikum zu sagen,
applaudiert nicht, wir haben nicht ernsthaft gearbeitet. Ich ziehe ein Konzert oder ein Ensemble vor, wie die
Opera von Lyon, die am Rande der grossen internationalen Betriebe arbeiten.
LE MONDE: Isoliert Sie diese Vorpostenstellung nicht?
BARBARA HENDRICKS: Doch. Man zögert, mir verschiedene Projekte vorzuschlagen, und ist anschliessend
überrascht, dass ich sie mit Enthusiasmus annehme. Es geht mir nicht um die Höhe der Gage, die mich
interessiert, sondern um den künstlerischen Aspekt einer Unternehmung. Selbst wenn ich keinen Sou bekommen
würde, würde ich weitermachen und ich würde auch vollkommen pleite weitermachen.
LE MONDE: Die Kritiker sparen Sie nicht aus. Wie reagieren Sie darauf?
BARBARA HENDRICKS: Je schärfer und erbitterterter die Attacken sind, desto mehr habe ich das Gefühl auf
dem richtigen Weg zu sein.
LE MONDE: Was ist das Geheimnis Ihres Erfolges?
BARBARA HENDRICKS: An erste Stelle setze ich die Emotion. Und es gibt keine Emotion ohne
Kommunikation. Die Musik, die Stimme wendet sich direkt ans Herz, an die Vorstellungskraft. Ich weiss, dass
ich niemals mit der Grösse meiner Stimme und auch nicht der Schnelligkeit meiner Koloraturen beeindrucken
kann. Also singe ich mit einer Technik so vollendet wie möglich. Aber vor allem bewahre ich den
grösstmöglichen Respekt vor der Musik, die ich interpretiere. Wie Peter Brock schon sagt: "Es ist nicht das Rohr,
was interessiert, sondern das Wasser, was durchläuft." Das ist - sehr einfach ausgedrückt - eine Wahrheit.
LE MONDE: Arbeiten Sie eigentlich sehr schnell?
BARBARA HENDRICKS: Nein, ich investiere sehr viel Zeit in der Erarbeitung eines Charakters. Wenn man
mich drängt, dann verliere ich den Blick fur das Ganze und verliere mich in Details. Ich beneide die Darsteller,
die hundert Mal hintereinander die gleiche Rolle spielen. Ich habe sehr stark gelitten, als wir in "Carmen" in
Orange dieses Jahr, als ich die Micaela spielte und mit Neil Shicoff sang, der den Don José spielte, und er erst am
Vorabend der Vorstellung angekommen ist und sich auf seine Nerven und auf seine augenblickliche Inspiration
verlassen hat.
Wenn die Gewalttaten immer mehr Raum gewinnen, kann man nicht
damit zufrieden sein, an geschützten Stellen vor gutgenährten Leuten,
Musik zu machen.
LE MONDE: Sie scheinen die grossen Veranstaltungsorte zu fürchten?
BARBARA HENDRICKS: Das ist das, was ich hasse. Es zwingt einen, zu heulen, zu schreien. Wie wollen Sie
beispielsweise an der MET das Duettino zwischen Susanna und Cherubino aus "Figaros Hochzeit" flüstern, so
wie es die dramatische Situation in dem Augenblick verlangt? Wie hätten Sängerinnen wie Elisabeth
Schwarzkopf oder Irmgard Seefried Karriere machen können, wenn die Oper von Wien 4000 Plätze hätte?
LE MONDE: Warum verwenden Sie immer mehr Zeit für ihre humanistischen Aktivitäten?
BARBARA HENDRICKS: Früher an der Universität war ich eine "versteckte Militante". Aber als ich in das
Hochkommissariat eingetreten bin, habe ich mich sehr schnell für die Flüchtlinge und Vertriebenen engagiert.
Und meine Reisen auf diesem Gebiet haben mich in dieser Wahl bestätigt. Wenn die Gewalttaten immer mehr
Raum gewinnen, kann man nicht damit zufrieden sein, an geschützten Stellen vor gutgenährten Leuten Musik zu
machen. Ich muss mich fühlen können wie die anderen mit den anderen. Wenn ich beispielsweise die Metro
benutze, erkennt mich keiner, oder man sagt, dass ich Barbara Hendricks ähnlich sehe. Aber dass wirklich die
echte Barbara Hendricks in der Metro ist, wird keiner glauben. Aus dieser Anonymität heraus kann ich für die
Situation der Benachteiligten agieren. Das ist auch der Grund, warum ich alleine reise, egal ob es für zu Singen
oder für zu Kämpfen ist. Ich führe ein Doppeltes Leben: meine Familie auf der einen Seite und meine Last auf der
anderen. Das alles kommt aus meiner Kindheit, als ich erkennen musste, dass die Kinder aus dem
Schwarzenghetto von New York sehr viel schlechter dran waren als wir, die wir zwar nicht reich waren, aber
auch nicht hungrig. Seit dem ich in Amerika für die Schwarzenkinder singe, erkläre ich ihnen, dass Musik, die
ich ihnen bringe, etwas anders ist, als die, die sie im Radio hören, weil ich nämlich nicht die Stimme einer Aretha
Franklin habe, aber dass es auch nicht notwendig ist, gut gebildet zu sein, um sich Schubert oder Debussy nähern
zu können. Sie hören mich an, sie hören mir zu, und sie sind bewegt, auch wenn sie die Texte nicht verstehen.
Es gibt keine Emotion
ohne Kommunikation
LE MONDE: Und was beihaltet jetzt genau Ihre Mission vom Hochkommissariat für die Vertriebenen?
BARBARA HENDRICKS: Einmal im Jahr oder wenn ich irgendwie kann, besuche ich eines der Camps. Im
letzten Jahr war ich in Thailand. Ich habe den Vertriebenen geholfen bei ihrer Rückkehr nach Kambodscha. Ich
habe bei einer Reise in Korea und in Japan dabei geholfen, zusammenzufinden, mich verwendet für diese Leute
in den politischen Instanzen und ihnen geholfen, die Regionen, die mit Minen gespickt sind, zu durchqueren.
LE MONDE: Und woher finden sie dafür das nötige Geld?
BARBARA HENDRICKS: Es gibt Sponsoren und humanitäre Organisationen und auch sanitäre
Organisationen, die uns die Medikamente und auch Prothesen zur Verfügung stellen. Man muss sich auch um die
Wiedereingliederung der Kranken kümmern. Ich habe junge Leute gesehen, die in ihren Rollstühlen Basketball
spielten. Deshalb muss man Kliniken haben, und ich arbeite im Augenblick an der Ausarbeitung eines solchen
Centers. Ich war in Nubien, wo die Situation schrecklich ist. Ich habe versucht, Journalisten mit mir zu nehmen,
weil es wichtig ist, damit man begreift, dass diese grauenvollen Situationen nicht unreparierbar sind, wenn man
mit Konsequenz handelt. 300.000 Personen zu helfen ist zwar nicht, die gesamte Not in der Welt zu lindern, aber
es ist ein Anfang.
LE MONDE: Sie geben auch Benefizkonzerte.
BARBARA HENDRICKS: Ja, ich habe in Dubrovnik Ende 1991 ein Konzert gemacht, das Bernard Kouchner
und seine Organisation "Erste Stunde, erster Tag" organisiert hat. Und wir haben beschlossen, jedes Jahr ein
solches Konzert zu machen an einem ganz besonders neuralgischen Punkt. Leider haben wir dabei die Wahl der
Qual.
Man muss erklären' dass man einen Kampf verhindern muss
LE MONDE: Glauben Sie an die Möglichkeit, eine neue Weltordnung zu etablieren?
BARBARA HENDRICKS: Die Auflösung des Sowjetischen Blocks zwingt uns, darüber ernsthaft
nachzudenken. Die UNO hat katastrophale finanzielle Probleme und die Politiker sind nicht mehr glaubhaft. Man
muss an einem Nullpunkt anfangen.
LE MONDE: Die Vereinigten Staaten ziehen da in erster Linie die Fäden.
BARBARA HENDRICKS: Ja. Aber wenn 5 Prozent der bevölkerten Erde, die übrigbleibenden 95 Prozent
verschmutzt, haben die am stärksten industrialisierten Länder immer mehr Unrecht, wenn sie eine solche
Legitimation auferlegen. Das System des Sicherheitsrates ist ungerecht und antidemokratisch. Man sieht es in
Jugoslawien, wo man darauf gewartet hat, dass die Vereinigten Staaten sich dazu entschliessen, zu handeln.
Deswegen brauchen wir ein starkes Europa. Die humanitäre Aktion beginnt damit, dass man eine solche
Katastrophe verhindert. Man muss den Leuten in Diskussionen erklären, dass man einen Kampf verhindern muss.
Das ist wesentlich einfacher, als nachher die Wunden zu verbinden.
(Le Monde de la Musique, Dezember 1992)
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